Morbidly Yours - Ivy Fairbanks - E-Book

Morbidly Yours E-Book

Ivy Fairbanks

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Beschreibung

Der TikTok-Hype mit dem ultimativen Bookboyfriend! Der schüchterne Bestatter Callum muss heiraten, um das Familienunternehmen zu erben – doch Dates sind ihm ein Graus. Lark, eine lebensfrohe Animationsdesignerin aus Texas, sucht in Irland einen Neuanfang. Zwischen dunklem Humor, tiefen Gefühlen und knisternder Spannung entwickelt sich eine unwiderstehliche Friends-to-Lovers-Romance. - Grumpy meets Sunshine – Wenn Gegensätze sich anziehen - Slow Burn – Eine Liebe, die Zeit braucht, um zu wachsen - Neuanfang & Selbstfindung – Emotionale Tiefe mit neurodivergenten Charakteren »Morbidly Yours« von Ivy Fairbanks ist das perfekte Buch für Fans von tiefgründigen, humorvollen und herzerwärmenden Liebesgeschichten. Lass dich von diesem TikTok-Sensation-Roman verzaubern!

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Seitenzahl: 493

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Ähnliche


Ivy Fairbanks

Morbidly Yours

Roman

Aus dem Englischen von Pauline Kurbasik und Andreas Helweg

Kurzübersicht

Buch lesen

Titelseite

Über Ivy Fairbanks

Über dieses Buch

Inhaltsverzeichnis

Impressum

Hinweise zur Darstellung dieses E-Books

zur Kurzübersicht

Über Ivy Fairbanks

Ivy Fairbanks ist eine schamlose Konsumentin von Liebesromanen, Haselnusskaffee und Hozier-Musik. Nicht unbedingt in dieser Reihenfolge. Da sie mit dem Ehlers-Danlos-Syndrom lebt, glaubt sie an die Wichtigkeit der Repräsentation in Liebesromanen. Ivy schreibt Geschichten, in denen unterschiedliche und behinderte Charaktere Liebe, Akzeptanz und ihr Happy End finden. Sie lebt mit ihrem Mann und ihrem Sohn in der Tampa Bay Area. In diesem Moment ist sie wahrscheinlich unter einer schlafenden Katze gefangen. Morbidly Yours ist ihr Debütroman.

Die Übersetzerin

Pauline Kurbasik lebt und übersetzt in Bonn aus dem Englischen und Französischen, u.a. Neal Shusterman, Karine Lambert, Abbie Greaves und Lizzy Dent, und unterrichtet Literaturübersetzen an der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf.

Der Übersetzer

Andreas Helweg, Jahrgang 1963, übersetzt seit dem Studium der Literaturwissenschaft in Bielefeld sowie Literaturvermittlung und Medienpraxis in Essen Romane und Sachbücher aus dem Englischen, zumeist im Bereich Jugendbuch, Kriminalroman und SF/Fantasy. Zu seinen bekanntesten Arbeiten zählt die Übersetzung von George R.R. Martins »Ein Lied von Eis und Feuer«.

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Über dieses Buch

»Morbidly Yours« – Der TikTok-Hype mit dem ultimativen Bookboyfriend!

Der schüchterne Bestatter Callum muss heiraten, um das Familienunternehmen zu erben – doch Dates sind ihm ein Graus. Lark, eine lebensfrohe Animationsdesignerin aus Texas, sucht in Irland einen Neuanfang. Zwischen dunklem Humor, tiefen Gefühlen und knisternder Spannung entwickelt sich eine unwiderstehliche Friends-to-Lovers-Romance.

Grumpy meets Sunshine – Wenn Gegensätze sich anziehen

❤️ Slow Burn – Eine Liebe, die Zeit braucht, um zu wachsen

Neuanfang & Selbstfindung – Emotionale Tiefe mit neurodivergenten Charakteren

»Morbidly Yours« von Ivy Fairbanks ist das perfekte Buch für Fans von tiefgründigen, humorvollen und herzerwärmenden Liebesgeschichten. Lass dich von diesem TikTok-Sensation-Roman verzaubern!

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Impressum

Verlag Kiepenheuer & Witsch GmbH & Co. KGBahnhofsvorplatz 150667 Köln

Titel der Originalausgabe: Morbidly Yours

© 2023 by Melissa Elaine Loera

© 2025 Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln

Aus dem Englischen von Pauline Kurbasik und Andreas Helweg

kiwi sphere

© 2025, Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln

Alle Rechte vorbehalten

Covergestaltung: FAVORITBUERO, München, nach einem Entwurf von Dominique Jones

Coverillustration: Polina

 

ISBN978-3-462-31391-8

 

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt. Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen der Inhalte kommen. Jede unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt.

 

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Inhaltsverzeichnis

Widmung

Anmerkung der Autorin

Irisch / Gälisch – Aussprache und Übersetzung

Kapitel 1 Lark

Kapitel 2 Callum

Kapitel 3 Lark

Kapitel 4 Callum

Kapitel 5 Lark

Kapitel 6 Callum

Kapitel 7 Callum

Kapitel 8 Lark

Kapitel 9 Lark

Kapitel 10 Callum

Kapitel 11 Lark

Kapitel 12 Lark

Kapitel 13 Callum

Kapitel 14 Callum

Kapitel 15 Callum

Kapitel 16 Lark

Kapitel 17 Callum

Kapitel 18 Lark

Kapitel 19 Callum

Kapitel 20 Lark

Kapitel 21 Callum

Kapitel 22 Lark

Kapitel 23 Lark

Kapitel 24 Callum

Kapitel 25 Lark

Kapitel 26 Callum

Kapitel 27 Lark

Kapitel 28 Callum

Kapitel 29 Callum

Kapitel 30 Lark

Kapitel 31 Callum

Kapitel 32 Lark

Kapitel 33 Lark

Kapitel 34 Callum

Kapitel 35 Lark

Kapitel 36 Callum

Kapitel 37 Lark

Kapitel 38 Lark

Kapitel 39 Callum

Kapitel 40 Lark

Kapitel 41 Callum

Kapitel 42 Lark

Kapitel 43 Callum

Kapitel 44 Lark

Kapitel 45 Callum

Kapitel 46 Lark

Kapitel 47 Callum

Kapitel 48 Lark

Kapitel 49 Callum

Kapitel 50 Lark

EPILOG Lark

EPILOG Callum

Danksagung

Leseprobe

Prolog Lo

Für meine Mom

Ich muss dir etwas gestehen:

Während der Mittelstufe habe ich mir jeden Liebesroman mit einem Cowboy oben ohne auf dem Cover, den ich nicht lesen sollte, von deinem Nachttisch stibitzt.

Vermisse dich jeden Tag und ich hoffe, dieses Buch macht es wieder gut.

Anmerkung der Autorin

Morbidly Yours feiert Liebe, Heilung und eine Balance zwischen Helligkeit und Dunkelheit zu finden.

 

Es ist zwar ein optimistischer und humorvoller Roman, allerdings betrauern beide Hauptfiguren unter anderem den (vergangenen) Tod eines Ehepartners und den Verlust einer betagten Freundin. Die Geschichte enthält außerdem kurze, aber realistische Beschreibungen der Versorgung Verstorbener in einem Bestattungsinstitut.

 

Wenn dich diese Themen belasten, pass bitte gut auf dich auf.

Irisch / Gälisch – Aussprache und Übersetzung

Gnéas béil / Gnees Bell / Cunnilingus (Oralverkehr bei einer Frau)

Ag bualadh craicinn / eck buhlla kräckin / Sex (wörtlich: »Häute schlagen«)

Bod / Bohtt / Schwanz

Tóin / TOinn / Hintern (nicht vulgär)

Brollach / BROlach / Brüste

Faighin / FAInn / Pussy

Púrsa te / PURsa Tschä / feuchte Pussy

Áilíosach / OH-LI-osoch / angeturnt (Frau)

Fèintruailligh / fäin-tru-eligg / Fass dich an

Le do thoil / leddaholl / bitte (wörtlich: »Mit deiner Zustimmung«)

Tabhair póg dom / tour pok domm / Küss mich

Santaíonn mé thú / ßantaIun mäi hu / Ich will dich (mit liebevoller Konnotation)

Braitheann sin go deas / BRAHchin schin go dschass / Das fühlt sich super an

Níos moille / niäð moil-jä / langsamer

Tá tú chomh tais / to tu cho tasch / Du bist so feucht

Grá mo chroí / gro mo chrie / Liebe meines Herzens

Mo chuisle mo chroí / mo kuschle mo chrie / Puls meines Herzens

Kapitel 1Lark

Fünf Leichensäcke, Erwachsenengröße.

Ich blinzelte und tastete nach meinem Cuttermesser.

Was zur Hölle?

Ich schaute mich um und hoffte, der wild zusammengewürfelte Kartonstapel um mich herum würde mir meine Fragen beantworten. Aber nichts da. Nur ich und die wenigen Habseligkeiten, ohne die ich keinesfalls den Atlantik hatte überqueren können. Es war wirklich verblüffend, wie klein man ein Leben zusammenpacken konnte – vor allem, wenn die Versandkosten von Texas nach Irland eine Rolle spielten.

Meine Aufmerksamkeit richtete sich wieder auf die harmlose Kiste mit dem ordentlich gefalteten Stapel aus schwarzem Nylongewebe. Ich hatte das Cuttermesser als Mikrofon verwendet, eingelullt von Dolly Partons schillernder Stimme und einem vielversprechenden Neubeginn, als mich beim Auspacken der Schock wegen der Leichensäcke abrupt aus dem Takt riss.

Ich betrachtete die Versandpapiere des eigentlichen Empfängers: Willow Haven. Das Bed and Breakfast nebenan.

Was. Zur. Hölle?

Galways Ruf als lebendige Stadt hatte mich hierhergeführt und jetzt entdeckte ich Todesutensilien in meinem Wohnzimmer.

Klar, dass mir dieses morbide Schreckgespenst namens Schuld aus Austin gefolgt war. Trauer war auf der Reise über den Großen Teich mein blinder Passagier gewesen.

Ich linste durch die Jalousien meiner teilmöblierten Mietwohnung. Kein Lebenszeichen aus dem Gebäude gegenüber. Mit seinen Bogenfenstern und der Steinfassade war es typisch für die Stadt. Auf Google Street View hatte ich mich erst vor zwei Wochen in dieses idyllische keltische Viertel verliebt, dank des grandiosen Blicks auf die Bucht und der lebendigen Kunstszene. Ich war vielleicht spontan genug, um mein Leben in Kisten zu verstauen und kurz entschlossen wegen eines Jobs in ein anderes Land zu ziehen, aber ich war auch clever genug, mir die lokale Kriminalitätsrate anzuschauen, ehe ich versehentlich einen Mietvertrag für eine Wohnung in einer zwielichtigen Ecke der Stadt unterschrieb.

Das Haus war an sich hübsch, ein Altbau, die Möblierung des Apartments war allerdings eher schäbig: ein abgewetztes Zweiersofa und ein Schreibtisch mit Wasserflecken, auf dem nun mein treues iPad Pro samt Stylus-Pen lagen. Mein ramponierter Überseekoffer diente als Couchtisch. Nur das Nötigste für meinen neunmonatigen Aufenthalt.

Mein Blick fiel auf die geschwungene Schrift meiner Cousine Cielo auf der Seite der Kiste. Ich vermisste sie jetzt schon. Nun lagen 4.500 Meilen zwischen mir und allen Menschen aus meinem alten Leben. Zum ersten Mal seit 29 Jahren war ich allein. Ich hatte es zwar so gewollt, aber trotzdem. Bei meinem Neuanfang in Irland hätte ich auf ein Paket mit Leichensäcken definitiv verzichten können.

Vielleicht benötigte die Person, die die Dinger eigentlich bestellt hatte, sie für irgendein Projekt. Menschen, die Leichen verstecken, vermeiden normalerweise rückverfolgbare Lieferwege. Stimmt’s? Galway war, mit seinem College und den Gässchen voller Straßenmusikanten, ein Refugium für Kreative. Sicherlich gab es eine vernünftige Erklärung.

Das georgianische Gebäude nebenan war mit üppigem Efeu berankt. Anmutige Weiden warfen Schatten auf den Hof. Es wirkte nicht böse. Vielleicht wartete der Besitzer schon auf diese Beutel, für ein Theaterstück oder einen Studentenfilm. Es könnte meine Gelegenheit sein, hier die erste Freundschaft zu schließen. Einen Freund zu finden, der definitiv kein Serienmörder war. Von dem Management und den HR-Leuten bei meinem neuen Job abgesehen, kannte ich in Irland keine Menschenseele.

Ich hatte sogar versucht, dem Paketboten ein Gespräch aufzudrängen – rückblickend vielleicht der Grund für dieses Paketwirrwarr. Ich musste diesen Nachbarn kennenlernen, bevor meine Fantasie mit mir durchging. Mann, Galway war doch nicht umsonst schon mehr als einmal zur freundlichsten Stadt der Welt gekürt worden.

Ich schlüpfte in meine Lieblingscowboystiefel von Ariat und zog einen Pullover gegen die Novemberkälte über. Neugierde stieg in mir auf, während ich mit der Kiste unterm Arm zum Bed and Breakfast ging.

Der Schalter an der Rezeption war leer. Die Lobby war traditionell, dabei trotzdem gemütlich eingerichtet und verströmte einen düsteren Vibe. Ein kleiner Betrieb, der von einer deckchenhäkelnden Matrone geführt wurde, so könnte man es sich vorstellen. Schade, sie würde vermutlich nicht meine neue BFF werden. Eine Klingel stand auf dem Tresen, rund und silbern, glänzend wie ein Quecksilbertropfen. Ein befriedigendes Läuten erfüllte den Raum, als ich draufdrückte.

Nada.

»Hallo?« Ich fühlte mich wie eine Figur in einem Horrorfilm, die allein umherwandert, in die Dunkelheit ruft, anstatt abzuhauen.

Voller Dankbarkeit, weil ich keinem Mörder begegnet war, legte ich das Paket auf den Tresen. Aber noch ehe ich die Flucht antreten konnte, ertönte eine tiefe Stimme irgendwo aus dem Off.

Kapitel 2Callum

Der Mund der toten Frau stand offen wie der einer Operndiva während einer Arie. Ich führte die Nadel durch die Nasenscheidewand von Ms Murphy, steckte das gebogene Edelstahl durch ihr rechtes Nasenloch, ehe ich den Gaumen durchstach. Die Naht legte ich um den Kieferknochen, bevor ich wieder zum Anfangspunkt zurückkehrte, dann zog ich die Schlaufe zu. Mit sanftem Zug am Faden schloss ich ihren Mund, band eine Schleife, die ich in ein Nasenloch drückte. So. Viel besser.

Armes Ding. Vierunddreißig Jahre alt – mein Alter. Kein Ehemann, keine Kinder. Ein entfernter Verwandter hatte ihren Nachlass geregelt. Nachdem Ms Murphy an einem Olivenstein erstickt und nicht bei der Arbeit aufgetaucht war, hatte man sie gefeuert, ohne den Grund für ihre Abwesenheit zu eruieren. Nach zwölf Tagen hatte sich ihr Nachbar über den Geruch beschwert. Von meinen wenigen Angestellten abgesehen würde auch meine Abwesenheit niemandem auffallen.

Die Klingel im Vorraum ertönte und die zarte Stimme einer Frau rief: »Hallo?«

Laufkundschaft war ungewöhnlich, aber manchmal kam es vor. Die Uhr zeigte 19:00 an. Zu normalen Geschäftszeiten begrüßte Deirdre unsere Gäste, stand ihnen zur Seite und schätzte dabei ab, ob ein Upgrade zu einem Mahagoni- oder Bronze-Bestattungspaket möglich wäre. Kundenservice war nicht gerade meine Stärke.

Ich drückte gegen die Tür und rief in Richtung Eingang: »Ich b-b-… Einen Moment.«

Soziale Angst und Stottern machten mir das Leben schwer. In meiner Jugend hatte ich Blut und Wasser geschwitzt, wenn ich beim Namensaufruf in der Schule anwesend sagen musste. Die Lehrer wählten mich bei jeder Gelegenheit zum Lautvorlesen aus oder um mich einem Fragenhagel zu stellen (»tough love«, so bezeichneten sie diese Grausamkeit) oder sie ignorierten mich. Meine Klassenkameraden waren noch schlimmer. Ich lebte in einem Bestattungsinstitut und sprach kaum, natürlich war ich der Paria auf dem Gymnasium. Zwar verbesserte sich mein Stottern durch Logopädie irgendwann, das Mobbing hörte trotzdem nicht auf.

Mürrisch zog ich die Handschuhe und den Spritzschutz aus, der mein Gesicht und meine Brille sauber hielt. Wenn die Einbalsamierung einmal im Gange war, musste man sie rasch durchziehen. Gut, dass ich noch nicht angefangen hatte. Konservierungsstoffe erhärteten schnell und fixierten Gliedmaßen und Gesichtsausdrücke. Er dauerte sicher nur eine Minute, um mit dieser Besucherin für morgen einen Termin bei Deirdre zu vereinbaren. Dann konnte ich wieder an die Arbeit zurückkehren.

Ich wappnete mich für die Begegnung, richtete mir die Krawatte und ging nach vorne.

Die Silhouette einer zierlichen Frau um die dreißig mit herzförmigem Gesicht, die eine große Kiste in den Händen hielt, hob sich vor dem rubinroten Buntglas ab. Blondes Haar fiel ihr auf die Schultern und sie trug einen lockeren Pullover und Jeans. Attraktiv. Also nicht, dass das eine Rolle gespielt hätte.

»Hi. Ich bin gerade nebenan eingezogen und habe mich durch einen ganzen Kistenstapel gewühlt. Ich glaube, dieses Paket hier ist von dir?« Sie zog die Worte irgendwie in die Länge, sie war nicht von hier. Hellpinke Cowboystiefel klackerten auf dem Parkett. »Die Post hat das hier aus Versehen zu mir geliefert.«

Ich hatte gar nicht bemerkt, dass die Vormieter ausgezogen waren. Lag wahrscheinlich daran, dass ich meistens in der Leichenhalle war. Als Inhaber von Willow Haven delegierte ich Anrufe, die etwas mit Arbeit zu tun hatten, an Angestellte. Vermeidung und Routine beruhigten mich.

»Fáilte«, brachte ich heraus und räusperte mich. »Willkommen.«

»Danke. Hier sind alle so nett. Ich verstehe, woher dieser Ruf als freundliche Stadt kommt. Und dabei bin ich südliche Gastfreundschaft gewohnt. Aber natürlich in Amerika.«

»Danke.« Ich nahm die geöffnete Kiste, die mir hingehalten wurde. Sie hatte die Laschen wieder zusammengesteckt, um sie zu verschließen.

»Ich habe ausgepackt und gar nicht gemerkt, dass es nicht meine ist, bis ich sie aufgemacht habe. Ups. Es ist aber alles noch da. Versprochen. Ich habe nicht absichtlich reingeschaut.« Sie sprach schnell und gestikulierte dabei. »Ich bin Lark. Wie in ›Es war die Nachtigall, nicht die Lerche …‹ Und bevor du nach dem Namen fragst, ja, meine Mom mag Patschuli und liest gern Auren. Ich nicht. Also ich les nicht gern Auren. Trag auch nicht gern Patschuli.«

Auren? Patschuli? Stille breitete sich zwischen uns aus, während ich mir aus dem Wortschwall eine Antwort zusammenklaubte.

»Callum Flannelly.« Genau, etwas Besseres fiel mir nicht ein.

Trotz meiner knappen Antwort lächelte sie plötzlich aufrichtig warmherzig und schüttelte mir die Hand. Dann kräuselte sie die Nase. Formaldehyd und Eau de Décomposition waren nicht die angenehmsten Düfte, das konnten auch die zahlreichen Blumenarrangements an der Rezeption nicht überdecken. Nach meiner Arbeit im Präparationsraum duschte ich immer, aber ich hatte nicht mit der Unterbrechung gerechnet. Ich sackte zusammen, als sie ihre Hand wegzog.

»Ich freue mich, dich kennenzulernen«, sagte sie.

Sie fuhr mit einem Finger über die Wandtäfelung. Gemütliche Stühle standen um einen Kaminofen herum, in dem ein Torfziegel Wärme spendete. Taschentuchboxen lagen auf jedem Beistelltisch. Sachbezogene Kataloge und Broschüren wurden zwischen den Terminen weggeräumt, um die Verbindung zu betonen und nicht den Konsumismus – mein Großvater Tadhg hatte es immer unhöflich gefunden, sie während einer Totenwache ausliegen zu lassen. Alles in allem handelte es sich um eine behagliche Umgebung, die an ein Zuhause erinnerte.

»Wie lange arbeitest du hier schon?«

Verlegen rieb ich mir die rote Furche, die der Gesichtsschutz auf der Stirn hinterlassen hatte, und richtete ihn mir, ehe er von der Nase rutschte. »Schwer zu sagen. Ich bin in diesem Haus aufgewachsen und helfe schon, seitdem ich laufen kann.«

»Hier schlagen bestimmt viele verschiedene interessante Persönlichkeiten auf, oder?«

Mein Urgroßvater hatte das Gasthaus vor knapp einem Jahrhundert gekauft und in ein Bestattungsinstitut umgewandelt. Seitdem beerdigten wir Menschen aus Galway jeglicher Couleur. Ein*e Tätowierer*in hatte den Wunsch gehabt, dass ein Stück von their Haut entfernt und zum Ausstellen in their Laden präpariert wird. Einen Kinofan, der mit einem detailgetreu nachgebauten Lichtschwert in der Hand zur letzten Ruhe gebettet wurde, dabei spielte der Soundtrack von John Williams. Einen Maler, dessen Familie unsere Kapelle in eine retrospektive Kunstausstellung verwandelte.

Die erbarmungslos extrovertierte neue Nachbarin ließ sich ans Klavier plumpsen und klimperte »Chopsticks« auf den abgenutzten Tasten, um Erlaubnis bitten schien ihr wohl überflüssig. Sie blätterte die Lieder im Buch durch. Die Noten flatterten unter ihren Fingern. »Kannst du etwas davon spielen?« Sie rutschte auf eine Seite der gepolsterten Bank und klopfte auf den Platz neben ihr.

Fröhlich wie eine Lerche. Mit einer einnehmenden Freundlichkeit war sie in mein Zuhause spaziert, also passte diese unbekümmerte Forderung nach einem Vorspiel zu ihr.

»Oh, das geht leider …«

»Bitte! Muss ja nicht Mozart sein. Als unmusikalische Person beeindruckt mich alles mit mehr Komplexität als ›Mary Had a Little Lamb‹.« Sie lächelte mich an. Obwohl ich mich liebend gern im sterilen Präparationsraum versteckt hätte, ging ich zum Piano.

Ich setzte mich hin und wischte mir die schwitzigen Hände an der Hose ab. Ich war ihr nichts schuldig. Sie war nicht einmal eine Kundin. Aber etwas an ihrer umtriebigen Präsenz führte dazu, dass ich gehorchte.

»Sind das alles traurige, traditionelle Liebeslieder?«

Ich vermutete, dass es sich bei allen irgendwie um Liebeslieder handelte. Trauer, Rebellion und Glauben fanden alle in der Liebe ihren Ursprung. Es gab einige romantische Lieder. Aber sie waren nicht alle traurig.

Meine Finger huschten über die Tasten, während ich auswendig Bridge und Refrain von »Galway Bay« spielte. Vertraut wie der Nebel. Genauso durchdrungen von mysteriöser Magie.

Die unverblümte Verwunderung im Gesicht meiner neuen Nachbarin ließ mich vor Stolz erröten. Larks Augen schlossen sich, während warme, satte Noten aus dem antiken Instrument strömten. In meinem peripheren Sichtfeld sah ich, wie sie die Augen noch einen Moment geschlossen hielt, nachdem meine Hände sich nicht mehr bewegten. Ich fühlte mich wie paralysiert, meine gesamte Aufmerksamkeit war auf diese vorwitzige Fremde gerichtet.

»Das war schön.« Lark grub ein Notizbuch unter dem Musiknotenstapel aus. »Was ist das? Irgendwelche handgeschriebenen Gedichte …«

Ich räusperte mich, nahm es weg, hatte die Hände schützend um die abgegriffenen Seiten gelegt. »Das ist privat.«

»Oh. Sorry. Singst du auch?«

»Nein.« Meine Antwort war zu nachdrücklich und kam zu schnell.

Sie runzelte die Stirn, während ich das Notizbuch an mich klammerte, dann lächelte sie wieder unbekümmert. Lark schwang die Füße unter die Klavierbank. Sie war auf meinen ziemlich großen Körper eingestellt, deswegen schwebten ihre Stiefel über dem Hartholzboden. Eine Erinnerung daran, dass ich als kleiner Junge Klagelieder lernen musste, dabei hatte ich doch nur den Segelbooten in der Bucht zuschauen wollen.

»Also, ich muss einfach fragen, auch wenn es mich nichts angeht: Wofür brauchst du die?«

»Die Noten?«

»Nein, Dummerchen!«

Dummerchen? Bei all den Schmähungen und Hänseleien, die ich im Leben schon über mich ergehen lassen musste, hatte mir noch nie jemand Dummheit vorgeworfen. Langsamkeit, ja, häufig. Gruselig, ab und zu, aber Dummerchen suggerierte eine gewisse Schrulligkeit, für die ich bisher zu ernst gewesen war.

»Du weißt schon … Die Leichensäcke. Wofür sind die?«

»Für Leichen«, antwortete ich und verstand die Frage nicht.

Ihr Mund verzog sich zu einem Plastiklächeln. Anders als zuvor. »Ich verstehe natürlich, wofür sie vorgesehen sind. Aber wozu brauchst du sie?«

Larks Frage war nicht offen anschuldigend, sondern zurückhaltend. Besorgt. Ich befeuchtete mir die Lippen mit der Zunge. »Manchmal machen wir Exhumierungen. Und das kann eine ganz schöne Sauerei geben.«

Jetzt musste sie blinzeln. »Was?«

»Schön, dass du vorbeigeschaut hast. Tut mir leid, dass die Pakete vertauscht wurden«, sagte ich, weil ich an Ms Murphy dachte, die immer noch auf dem Tisch lag und auf ihre Einbalsamierung wartete.

»Ich bin ganz schön neugierig.« Sie kicherte nervös. »Ich habe mich ein wenig erschrocken, als ich bemerkt habe, was das für Dinger sind. Meine Fantasie ist mit mir durchgegangen und ich habe gedacht, dass du deine ganzen Gäste abschlachtest oder so. Albern, hm?«

»Musst d-dir keine Sorgen machen. Die sind schon alle t-tot.«

Sie erblasste. »Ich muss los. Ich mach mich auf den Weg. Ähm, gute Nacht.«

Lark sprang von der Bank und eilte zur Tür, dabei behielt sie mich fest im Blick. Ich stand da und trat absichtlich einen Schritt zurück, damit sie sich nicht bedrängt fühlte. Was hatte ich denn gesagt?

»Ich muss auch weitermachen. Die Leute balsamieren sich nicht selbst ein.«

Sie beruhigte sich. Ihr Blick huschte durch das Foyer, als würde sie es zum ersten Mal sehen. Dann musterte sie mich genauso nervig.

»Moment. Ist das hier ein Bestattungsinstitut?«

Ich hatte Angst, sie schon wieder zu verstören, und nickte. Sie sah kurz schockiert aus und schien zusammenzusacken, als wären die Polstermöbel mit Körperflüssigkeiten beschmutzt und Leichen würden à la Jack-in-the-Box aus Särgen springen.

»Ah. Oh, verdammt! Also balsam… – also hast du gerade jemanden einbalsamiert und bist dann zur Tür gekommen?«

»Was hast du denn gedacht?«

»Eine Norman-Bates-Situation. Ich weiß nicht, meine Fantasie ist wohl zu lebhaft. Wie schon gesagt – albern.«

Diesen Namen hatte ich doch schon mal irgendwo gehört. Ich neigte den Kopf.

»Du weißt schon.« Lark tat so, als würde sie mich mit einem unsichtbaren Messer erstechen, und machte dazu ein kreischendes Geräusch. »Hitchcock.«

Oh. Psycho. Aber warum dachte sie …

»Du hast mich für einen mörderischen Gastwirt gehalten?«

Wie man an ihrer Reaktion erkennen konnte, war mein eigentlicher Beruf auch nicht viel besser.

»Ja!« In ihren grauen Augen blitzte Rechtfertigung auf. »Du darfst mir nicht böse sein, aber ich stelle mir dich im Kleid deiner Mutter vor.«

Ich in einem Blümchenkleid wie die Wurst in der Pelle wäre in der Tat ein scheußlicher Anblick.

»Ich dachte, hier würde eine Künstlerkolonie leben und die Säcke wären für eine Performance oder eine Installation. Oder eine politische Demonstration. Ich versuche, jedem Menschen erst einmal zu vertrauen. Ich wusste nicht, dass du … Bestatter bist.« Beim vorletzten Wort senkte sie die Stimme. »Schlimm, ich habe es überhaupt nicht geschnallt. Du musst mich für eine Idiotin und eine Paketdiebin halten.«

Um ehrlich zu sein: Irgendwie schon. Ich lächelte sie wohlwollend an. Hoffte ich zumindest. »Ich frage mich, wie man neben ein B-b-bestattungsinstitut ziehen kann, ohne es zu wissen.« Ich bereitete mich darauf vor, dass sie wegen des Stotterns das Gesicht verzog, aber das tat sie nicht.

»Zu meiner Verteidigung: Willow Haven klingt wie eine Seniorenresidenz oder ein Bed and Breakfast. Und dein Schild ist auf Gälisch.«

Ich hatte nie verstanden, warum Amerikaner diesen Begriff für das Irische benutzten. Hier wurde es als Synonym für das Schottische benutzt. Trotzdem, das Schild hing schon seit Jahrzehnten draußen und die übersetzte Inschrift lautete »Totenhalle – Familienbetrieb seit 1931«. Unzählige Male überstrichen trotzte es dem erbarmungslosen Wetter. Tradition war wichtig – ich hatte kein Interesse daran, etwas auf Englisch aufzuhängen. Eine Neuerung würde es nicht geben.

»Wir sagen einfach Irisch dazu. Oder Gaeilge.«

Sie blickte mich skeptisch an. »Quail-geh? Klingt irgendwie fast wie Quälgeist …«

Nein. Nicht mal annähernd, das G wurde hart ausgesprochen. Ich dachte kurz darüber nach, es noch einmal zu wiederholen, aber ich hielt den Mund.

»Nichts nervt uns mehr, als wenn unsere Sprache als Gälisch bezeichnet wird. Schlimmer ist nur, wenn Amis sich damit brüsten, wie viel Prozent irisches Blut sie haben, weil sie das irgendwo im Internet gelesen haben.«

Amüsiert fummelte Lark an ihrem Pulloversaum herum. Sie konnte kaum stillhalten. »Du bist ein Miesepeter, oder?«

»Und du stellst viele Fragen.« Eine Leiche wartete auf mich.

»Ich dachte, ihr wärt hier alle totaaaaal gastfreundlich. ›Das Land der tausend Willkommen‹, richtig?«

Ich schnaubte. »Ich bin eher im Bereich Tausend Adieus angesiedelt.«

»Nun, der Standort erklärt, warum das Apartment verfügbar war. Ich muss zugeben, ich hätte mir dich nicht unbedingt als Nachbar ausgesucht – o Gott – ich meine das nicht persönlich, ich meine das Bestattungsinstitut. Das war alles nicht so gemeint. Ich lass dich jetzt in Ruhe, nachdem ich dich zweimal beleidigt habe. Sorry.«

Nachdem Lark gegangen war, stand ich verdutzt da. Wegen der Frau an sich und weil ich mich seltsamerweise relativ freundlich mit ihr unterhalten hatte. Ich schaute zur Tür und kehrte in die vertraute Sterilität des Präparierzimmers zurück, legte meine Schutzkleidung an wie eine Rüstung. Mir gefiel die Ordnung des Raums. Die Ruhe.

Ich schnitt in Ms Murphys Hals und tastete mit dem Aneurysmenhaken, bis ich die Arterie fand. Weil sie eine gesunde Frau gewesen war – der verhängnisvolle Olivenstein war einfach Schicksal gewesen –, fühlte sich ihre Halsschlagader wie eine al dente gekochte Macaroni an und bot ausreichend Platz für den arteriellen Katheter, der sich zum Schlauch der Einbalsamierungsmaschine schlängelte. Formalin gurgelte bedrohlich in dem durchsichtigen Behälter und ich klopfte gegen eine pinke Blase. Das verdammte Ding war kurz davor, den Geist aufzugeben. Eine weitere Komplikation, die ich nicht in meinem Leben brauchte. Es sprang summend an und erzeugte Druck im Kreislaufsystem, um das alte Blut durch Konservierungschemikalien zu ersetzen.

Ich dachte über die unerwartete Begegnung mit der Blondine von nebenan nach. Für Lark Klavier zu spielen hatte … Spaß gemacht. Größtenteils. Ich konnte mich nicht an das letzte Mal erinnern, als ich mich mit jemand Fremdem unterhalten hatte und es nicht um die Arbeit ging. Und vor allem nicht um ein Gespräch, das mir Spaß gemacht hatte.

Vermute, ein miesepetriger Unternehmer ist auch nicht schlimmer als eine diebische Nachbarin.

Kapitel 3Lark

Mein Bus hätte vor zehn Minuten kommen müssen. Meine Aufenthaltsgenehmigung hing von diesem Job ab und ich wollte nicht wie ein geprügelter Hund nach Austin zurückkehren. Ich zog mein Telefon aus der Handtasche und drückte auf dem Bildschirm rum, um mir ein Taxi zu rufen.

Langsam ging ich zur Straße und hielt nach dem Bus Ausschau. Eine Radfahrerin raste vorbei, Wasser spritzte mir von ihrem Hinterrad auf Gesicht und Haare. Schockiert von dieser Eisdusche ließ ich mein Handy durch das Gulligitter fallen. No!

Ich blickte in den finsteren Abfluss. Hoffentlich konnte ich das Gerät mit dem Arm rausfischen, aber mein Telefon surfte jetzt in der Kanalisation. Fantastisch. Mein erster Arbeitstag und das Universum kooperierten nicht.

Glücklicherweise hatte ich mir bei der Suche nach dem richtigen Bus den Weg zum Studio schon angeschaut. Während mir der Herbstwind Laub vor die Füße blies, wickelte ich den Trenchcoat noch enger um mich und ging zu Fuß los.

Bevor alles den Bach runtergegangen war, war ich heute früh wie Jessica Rabbit vor dem Spiegel vorbeiflaniert, um für den ersten Tag im neuen Job Selbstvertrauen zu tanken. Übergroße Kirschohrringe vervollständigten mein Outfit, bestehend aus einem leuchtend pinkem Bleistiftrock, einem roten Rollkragenpulli unter meinem Trenchcoat und meinen Lieblingshighheels, ebenfalls in Rot. Es war weniger verrückt als es klang: Der Pixar-Gründer war berühmt für seine Hawaii-Hemden, die er immer im Wechsel trug. Leute, die im Bereich Animation arbeiteten, durften bei der Arbeit so aussehen wie Cartoon-Figuren. Manche Menschen erwarteten das sogar.

Ich blieb abrupt stehen, als ich ein riesiges Friedhofstor sah, das sich über beide Straßenseiten erstreckte. Hier war der Weg zu Ende, sowohl wortwörtlich als auch metaphorisch. Keltische Kreuze sprenkelten die ordentlich gemähte Wiese. Ich schloss die Augen und dachte an einen in Granit gravierten Basketball.

Reese Thompson. Ehemann. Sohn. Bruder. Coach.

Wenn ich über diesen nebeligen, geweihten Boden abkürzte, schaffte ich es vielleicht rechtzeitig. Ein Bagger rumpelte irgendwo in der Ferne. Nein. Das war es nicht wert, Ree und ich waren zwar Skydiven und Windsurfen gewesen, wir waren beide Draufgänger gewesen, die in fröhlichem Adrenalin schwelgten – und trotzdem ließ seit meiner Kindheit nichts meinen Puls schneller in die Höhe schießen als die düstere Stille auf Friedhöfen. Sie hatten mir immer schon wahnsinnige Angst eingejagt und jetzt konnte ich keinen mehr anschauen, ohne an den Mann zu denken, den ich so unvorhergesehen verloren hatte. Keine Abkürzung für mich. Außerdem würde ich, bei meinem Glück heute Morgen, wahrscheinlich stolpern und mir einen Zahn an einem Grabstein ausschlagen.

Ich drehte um, ging an der Bushaltestelle vorbei und weiter die Straße hinab. Zu dieser Zeit waren noch nicht viele Geschäfte geöffnet, aber ein Wagen mit Rosen blockierte den Bürgersteig vor einem Blumenladen, das strahlende Rot hob sich vom Morgennebel ab. Ich blieb vor dem Schaufenster stehen, um mein durchnässtes Spiegelbild zu betrachten. Meine Locken waren zu nassem Seetang erschlafft und meine »wasserfeste« Mascara lief mir die Wangen runter.

Die Tür wurde aufgestoßen.

»Sorry …« Ein breitschultriger Mann wich mir aus und sprach nicht weiter. Sinnliche, volle Lippen blieben offen stehen, bildeten einen Kontrast zu seinen markanten Wangenknochen. Intelligente arsengrüne Augen inspizierten mich hinter einem runden Schildplattgestell. »Oh. Du bist’s.«

»Hey …« Typ, den ich als Serienmörder beschuldigt hatte? Typ, den ich in seinem eigenen Zuhause beleidigt hatte? Ich redete weiter: »Nachbar.«

Er trug eine schwarze Wollweste über einem adretten weißen Hemd und eine schmale Hose, die ihm Baumstammbeine machte, und umklammerte einen Strauß Calla-Lilien. Kein Mantel, trotz des kühlen Novembermorgens. Wenn mich das Studio gebeten hätte, eine »Bestatterfigur« zu entwerfen, hätte sie einen Nadelstreifenanzug und dunkle Augenringe à la Gomez Addams gehabt. Das Modebewusstsein dieses steifen Mannes entsprach diesem Stereotyp, Gesicht und Körper allerdings nicht.

»Callum, richtig?« Ich hielt ihm die Hand hin. »Lark.«

»Du siehst aber bitterfotzig aus.«

Ich fuhr ihn an. »Wie bitte?«

»Dein Gesicht.« Er zeigte auf sein Gesicht und äffte mein Stirnrunzeln nach. Oh. Bitterfotzig. Ich musste mich an diesen weirden Slang gewöhnen.

»Der Morgen war ganz schön chaotisch. Mein Bus ist nicht gekommen, deswegen wollte ich mir ein Taxi rufen, aber diese Radfahrerin hat mich mit Schlamm bespritzt und ich habe mein Handy fallen lassen. Blupp! Direkt in den Gulli. Deswegen sehe ich aus wie Swamp Thing und renne wie eine Verrückte zur Arbeit, damit ich bei meinem neuen Job nicht direkt wieder gefeuert werde.«

Callum kräuselte die Nase. Ob es am Schlamm lag oder weil ich ihn salvenartig mit meinen Problemen beschossen hatte, wusste ich nicht. Kurz fiel sein Blick auf meine unpraktischen (aber grandiosen) Schuhe. »B-bist du heute ohne Cowboystiefel unterwegs?«

»Yep. Habe ich gegen ein Paar hohe Schuhe getauscht, in denen ich nicht gut laufen kann.« Ich rieb mir eine Waschbärmaske um die Augen. »Hey, könnte ich mir kurz mit deinem Handy ein Taxi rufen? Wenn ich auf den nächsten Bus warte, komme ich zu spät.«

Er schwieg eine Sekunde zu lang und gerade, als ich den Mund öffnete, um schon gut zu sagen, bedeutete er mir, mitzukommen. »Ich nehme dich mit rüber.«

»Auf die andere Seite oder willst du mir einen Gefallen tun?«

Er zuckte die Schultern, als könnte beides sein. Sein Gesichtsausdruck bliebt neutral. Und ehrlich gesagt hatte er auch einen guten Grund, mich unter die Erde zu bringen, nachdem ich ihn für einen Serienmörder gehalten hatte.

Hatte ich eine Wahl? Eigentlich nicht. Sonst hätte ich KinetiColor anrufen und ihnen sagen müssen, dass ich am Morgen des ersten Personalmeetings für den neuen Film zu spät käme. Dieses Meeting war total wichtig – eine Vorstellung der Mitarbeiter*innen aus dem Bereich Animation und Design, deren Chefin ich sein würde.

Ich blickte Callum mit gerunzelter Stirn an. »Sicher? Du siehst aus, als hättest du zu tun.«

Callum ging weiter, ohne mir zu antworten, er führte mich zu einem glänzenden antiken Leichenwagen an der nächsten Straßenecke. Einem echten Leichenwagen. Ich blieb zum zweiten Mal abrupt stehen.

»Natürlich …«, murmelte ich in mich hinein.

»Die alte Mrs Higgins begleitet uns, wenn du nichts dagegen hast.«

»Ha ha. Fast reingefallen.« Ich schüttelte den Kopf. Natürlich war der Wagen nicht besetzt, wenn er mir anbot, mich mitzunehmen.

»Ich foppe dich nur. Er ist leer.«

Foppe?

Kurz darauf lächelte er. Zurückhaltend, als würde er ein trendy Kleidungsstück tragen, in dem er sich nicht komplett wohlfühlte. Es wirkte aufrichtig, vielleicht sogar natürlich. Schön zu sehen, dass dieser Typ doch einen Sinn für Humor hatte.

Dann, durch das Fenster, das von diesen seltsamen kleinen Gardinen eingerahmt war, bemerkte ich den Passagier. »Da ist ein Sarg hinten drin!«

»Der würde im Transporter zerkratzen. Er ist leer. Noch.«

»Entschuldige bitte meine Wortwahl, aber das ist Bullshit«, feuerte ich zurück und überraschte mich damit selbst ein wenig. Die unerwünschten Erinnerungen an meine Vergangenheit hatten mich dünnhäutig gemacht.

»Willst du ihn aufmachen und reinschauen?« Er hob eine seiner dicken Augenbrauen und forderte mich auf, es darauf ankommen zu lassen.

»Nein, danke! Ich möchte dich wirklich nicht aufhalten, aber vielen Dank für dein liebes Angebot. Ich schau nur mal, ob der Blumenhändler ein Telefon hat, das ich benutzen kann.«

»Ich dachte, du wärst in Eile.«

»Alles gut. Mach dir um mich keine Sorgen.« Ich lief zum Blumenladen, während er den Leichenwagen aufschloss und das Gesteck in den Kofferraum legte. »War schön, dich zu treffen.«

Ich zwang mich zum Stehenbleiben. Es würde nichts Schlimmes passieren, wenn ich ein paar Minuten in einem Leichenwagen mitfuhr. Und ich wollte Callum nicht vor den Kopf stoßen, nachdem er mir angeboten hatte, mich mitzunehmen. Ohne mein Handy als Navi kannte ich nicht einmal hundertprozentig den Weg. Er war meine beste Option und, na ja, in der Not frisst der Teufel bekanntlich Fliegen.

Er verfrachtete seinen riesigen Körper auf den Fahrersitz und richtete sich den komplizierten Krawattenknoten im Spiegel. »Kommst du?«

Ich gestattete mir ein ungläubiges Schnauben und hoffte, keine*r der neuen Kolleg*innen würde mich beim Aussteigen sehen. »Das ist superweird.«

»Steig einfach ein«, antwortete er nur.

Steig in den Todeswagen ein, wenn du nicht am ersten – und wohl wichtigsten – Tag deines neuen Jobs zu spät sein willst. Mit einem Seufzen sprang ich auf den Beifahrersitz, ehe ich mich umentscheiden konnte. Gott, was würde Cielo dazu sagen, wenn ich mir ein neues Handy kaufte und es ihr erzählte?

»Wohin?«

»KinetiColor Studios.«

Er kannte es nicht, fand es aber schnell auf Google Maps.

Nach einigen Hundert Metern hatten sich mein Herzschlag und meine Klaustrophobie immer noch nicht beruhigt. Ich atmete tief ein und saugte blöderweise eine ganze Lunge voll Lufterfrischer ein. Oder schwebte da Formaldehyd in der Luft? Piña Colada war der Duft, den ich in meinem geliebten alten VW am liebsten gemocht hatte. Mein Herz schmerzte bei der Erinnerung an Reese, der mir einen Aufkleber mit der Aufschrift Bordsteinkante, na und? geschenkt hatte. Er hatte ihn ein wenig schief aufgeklebt, schief wie sein Lächeln. Mein Ehemann hatte sich immer darüber lustig gemacht, wie sehr ich an der Klapperkiste hing. Das Auto zu vermissen, das mich durch den Verkehr in Austin manövriert hatte, war viel einfacher, als Reese zu vermissen. Es war viel sicherer, mich mit Meckereien über Loretta the Jetta abzulenken, wenn ich nicht wollte, dass meine Mascara wieder verlief.

Führerscheine waren in Irland ein teures und zeitlich beschränktes Privileg, wie ich erfahren hatte. Als frisch Eingewanderte dauerte es mehrere Monate, bis ich überhaupt die Prüfung ablegen durfte. Mein Boss hatte mir versichert, dass der öffentliche Personennahverkehr in Galway ausreichte. Wenn ich allerdings darüber nachdachte, bezweifelte ich, dass Mr Sullivan jemals mit dem Bus fuhr.

»Neuer Job also?«, fragte Callum und katapultierte mich wieder in die Gegenwart. Heute ging es nicht darum, sich auf die Vergangenheit zu fokussieren; es war ein Neubeginn.

»Ja. Ich bin die Animation Art Direktorin.«

Er warf mir einen überraschten Blick zu. »Du machst Cartoons?«

»Yup. Sie haben mich für ihr erstes Spielfilmprojekt an Bord geholt.«

»Arbeitest du an etwas, das ich kennen könnte?«

»Mein bekanntestes Projekt war ein Streaming Release über einen ausgestoßenen Viertklässler. Shoelace?« Ich zählte andere kleine Projekte auf, laberte rum, als könnte mich Small Talk davon ablenken, dass schon unzählige Leichen in diesem Fahrzeug transportiert worden waren. Von allen Tragödien, die es schon gesehen hatte. Der ruhige Mann hatte seine Aufmerksamkeit weiterhin auf die schmalen Straßen gerichtet.

»In einer halben Stunde stelle ich meine Ideen bei einem konzeptionellen Meeting mit dem Senior Design Team vor. Das Team ist mir noch völlig unbekannt.«

Callum verzog das Gesicht. Mit effizienten, nahezu mechanischen Bewegungen bog er rechts ab. »Nervös, hm?«

Ich kicherte schrill. Nichts beruhigte die Nerven so gut wie eine improvisierte Fahrt in einem Todesschlitten. »Schon. Wir arbeiten auf Grundlage eines schönen, durch und durch irischen Drehbuchs. Es ist äußerst wichtig, in unseren Visuals den richtigen Ton zu treffen.«

Er nickte mitfühlend.

Immer noch tropfte mir Wasser von den Haaren. »Du weißt schon, dass ich noch nie in so einem Ding gefahren bin.«

»Ich hatte auch noch nie einen derart gesprächigen Fahrgast.«

»Sag so was bitte nicht, dann kann ich so tun, als wäre das eine Limousine und wir fahren zu einer schicken Hochzeit.«

»Kennst du den Unterschied zwischen einer Hochzeit und einer Beerdigung in Irland?«, fragte er.

Ich wartete auf die Pointe.

»Ein Betrunkener weniger bei der Feier.« Ein Mundwinkel schoss hoch, dann fiel er wieder runter. »Sorry. Das war ein schrecklicher Witz.«

Das stimmte, aber ich lachte trotzdem. Ich kurbelte mein Fenster runter und betrachtete meinen Fahrer dabei verstohlen von der Seite. Callums widerwilliges Lächeln war wie ein Blitz bei einem Gewitter. Kurz und dennoch brillant. War er so daran gewöhnt, wegen der Trauer der anderen Menschen seine Freude runterzuregeln, dass er unbewusst seine positiven Emotionen dämpfte?

Die Navigations-App kündigte an, dass wir einen Block von unserem Ziel entfernt waren, und ich erkannte das Gebäude der KinetiColor Studios von der Website. Einige meiner Kolleg*innen standen vor dem Haus herum.

Grandios. Genau diesen ersten Eindruck wollte ich machen.

Ich erkannte Wendy aus der HR, mit der ich mein Vorstellungsgespräch über Skype geführt hatte. Ihre gezupften Augenbrauen schossen in Richtung Haaransatz, als sie mich erkannte, sie kam zu meinem geöffneten Fenster gelaufen.

Ein bärtiger Mann rief jemandem aus der Gruppe zu: »Wie praktisch. Der Bestatter ist gekommen, um die Überreste deiner Karriere einzusammeln!«

Der Animator, den er gemeint hatte, lächelte nicht und huschte ohne sich umzublicken ins Haus, während der andere Mann über seinen eigenen Witz lachte.

»Lark?«, fragte Wendy grinsend. Bei genauerer Betrachtung zuckte sie wegen meiner strähnigen Haare und des verlaufenen Make-ups zusammen.

Ich zwang mich, cool zu bleiben, und lächelte: »Wendy, hi!«

Eine Gruppe junger Mitarbeiter*innen gaffte das Auto an. Ich schaute kurz zu Callum, erwartete ein verschwörerisches Blitzen in seinem Blick, aber nada. Gerade, als ich das Gefühl hatte, zwischen uns könnte das Eis brechen, sorgte Wendys Neugier wieder für Minusgrade.

»Ist das dein Mann?«

»Was? Nein, nein, nein. Wendy, das ist Callum. Er ist – Callum ist mein Nachbar. Nur ein Nachbar. Es ist nicht …« Ich schluckte und klatschte in die Hände. »Na dann! Ich bin gleich oben. Großer Tag heute, ich bin so aufgeregt.«

Eine Person streckte den Kopf aus der Tür und winkte Wendy zu, deswegen entschuldigte sie sich und versprach, dass wir uns drinnen treffen und sie mir alles zeigen würde.

»Deine Ankunft hier wird Stadtgespräch sein«, sagte Callum mit weit aufgerissenen Augen.

Ich hatte gestammelt, er wäre nur mein Nachbar, so als wäre mir alles andere peinlich. Aber es war mir nicht unangenehm, mit ihm gesehen zu werden. Ich fühlte mich nur wegen des Leichenwagens unwohl, und dem hungrigen leeren Sarg im Kofferraum, der darauf wartete, jemanden für alle Ewigkeit zur Ruhe zu betten. Die schmerzhaften Erinnerungen, die der Wagen heraufbeschwor. Callum war so nett zu mir gewesen, dafür war ich dankbar.

»Das ist das weirdeste Uber, das ich je genommen habe. Danke dir.«

»Gerne. Jederzeit wieder.«

Ohne zu viel darüber nachzudenken, beugte ich mich über die Mittelkonsole und gab ihm ein Küsschen auf die Wange. Callums dezentes Aftershave erinnerte mich an Regen.

Flammend pink leuchtete sein Gesicht samt Ohren, als ich mich wieder von ihm löste. Er umklammerte das Lenkrad, als würde er über eine marode einspurige Brücke ohne Geländer fahren. Ich streifte mit dem Daumen über den pinken Lippenstiftabdruck und verschlimmerte alles nur. Callum schluckte schwer. Mist. Dachte er wegen dieses freundschaftlichen Kusses, ich hätte Interesse an ihm? Das stimmte nicht. Früher hatte ich meine Freunde häufig auf die Wange geküsst, aber natürlich waren Callum und ich noch nicht auf dieser Ebene. Da war noch Luft nach oben.

»Du sparst dir einige Minuten, wenn du beim nächsten Mal über den Friedhof abkürzt«, sagte er.

Ich öffnete die Tür und wankte auf den Bordstein.

»Danke für den Tipp, aber ich nehme lieber den längeren und nicht verfluchten Weg.«

Bevor ich das Gebäude betrat, drehte ich mich um und sah, dass Callum die Hand auf seine rote Wange gelegt hat. Unsere Blicke trafen sich und er riss sie weg. Okay. Er war irgendwie niedlich. Ehe er losfuhr, sagte er lautlos: »Viel Glück.« Das würde ich brauchen.

Kapitel 4Callum

Ich starrte das Schachspiel an, das seit dem Jahr unberührt dalag, als der erste Schlaganfall meinen Opa verändert hatte. Über Nacht hatte dieser umtriebige und zugleich einfühlsame Geschäftsmann seine Selbstständigkeit eingebüßt, also hatte ich seine täglichen Arbeitsaufgaben und die Pflege übernommen. Einsamkeit durchdrang das Haus in den stillen Tagen nach seinem zweiten Schlaganfall, der ihn ins Krankenhaus gebracht hatte, noch tiefer. Er war nie zurückgekehrt.

»Ich war immer derjenige, der Willow Haven erben sollte.« Pádraigs raue Stimme tönte durch die Lautsprecher meines Handys. Wir hatten zwar zum Teil dieselbe DNA, ich weigerte mich aber, ihn als »Dad« zu sehen.

»Es soll in der Familie bleiben. In der Familie, die du verlassen hast«, schoss ich zurück. Ich ballte eine Faust um das Handy und die Knöchel wurden ganz weiß. Er hatte nicht das Recht dazu. Im Testament meines Granda stand etwas anderes. Willow Haven würde treuhänderisch verwaltet werden. Wenn ich bis zur Deadline noch Single wäre – meinem 35. Geburtstag im Juli –, würde Pádraig der Eigentümer werden. Wenn ich jedoch eine gültige Heiratsurkunde vorlegen konnte, würde das Unternehmen in meinen Besitz übergehen.

Acht Monate, um eine Frau zu finden. Oder eher sechs Monate, die drei Monate Wartezeit auf die Heiratserlaubnis mit eingerechnet.

Und das alles nur, weil mein Opa nahezu besessen davon gewesen war, einen Erben für das Familienunternehmen zu finden. Auf dem Sterbebett hatte er versucht, sich mit seinem zerstrittenen Sohn zu versöhnen, und mich in die ganze Scheiße mit hineingezogen.

»Macht doch keinen Sinn, das Unvermeidliche hinauszuzögern. Unterschreib einfach die Vereinbarung.«

»Nein! Das ist mein Zuhause. Mein Leben. Das überlasse ich niemandem. Schon gar nicht dir.«

»Schau mal, O’Reilly and Sons haben mir ein Angebot gemacht. Ich will ihnen nicht die Gelegenheit geben, es sich anders zu überlegen.«

»Du hast d-d-dich um eine Übernahme durch unseren Konkurrenten gekümmert?«

Er nannte eine Summe, die ich astronomisch hoch fand. »Das würden sie zahlen. Dafür bekommen sie das Geschäft an sich, das Haus, den Friedhof, den Leichen- sowie den Lieferwagen. Alle vorrätigen Produkte. Das ist ein fairer Deal.«

Das war also der wahre Grund, warum er aus Edinburgh hierhergekommen war. Er hatte heimlich Inventur gemacht, hatte Pläne geschmiedet, während ich trauerte und Granda für die Beerdigung vorbereitete.

Das georgianische Haus bestach durch eine grandiose und pittoreske Lage; und die Tatsache, dass uns der Friedhof gehörte, verschaffte uns einen Vorteil gegenüber der Konkurrenz. Der hohe Wert des Anwesens bedeutete, dass ich schlechte Aussichten auf einen Kredit hatte – und die letzten Renovierungsarbeiten hatten unsere Barmittel erschöpft. Ich hatte keine persönlichen Sicherheiten anzubieten bis auf meinen eigenen Peugeot, keine nennenswerte Berufserfahrung außerhalb von Willow Haven. Ich würde Pádraig unmöglich auszahlen können.

»O’Reilly hat versprochen, dich als Mitarbeiter zu behalten. Und ich gebe dir etwas von dem Geld ab.«

Ich verdrehte die Augen.

»Wir sollten zuschlagen, solange wir ein derart lukratives Angebot haben. Das ist keine persönliche Angelegenheit. Das ist rein geschäftlich.«

»Ich bin kein Verräter«, fauchte ich ins Telefon. »Das hätte Granda nicht gewollt.«

»Du bist genauso stur wie dieser alte Esel, nicht wahr? Na ja, er ist nicht mehr hier, deswegen ist es egal.« Pádraig sprach nun leiser. »Mach dir nichts vor. Wir wissen beide, dass du bis Juli nicht verheiratet sein wirst.«

»Das wollen wir doch erst mal sehen.«

Ich legte auf.

Was hatte ich da gesagt? Ich war zwar einsam, trotzdem war Dating für mich ein Albtraum. Ich konnte kaum mit Frauen sprechen. Ich kam nur sehr langsam und zögerlich mit anderen Menschen in Verbindung; Dates waren daher frustrierend und führten nirgendwohin. Mein Tempo war anders als das der meisten anderen Menschen. Selbst die Frauen, die insistierten, es langsam anzugehen, erwarteten einen Gutenachtkuss. Ich hatte mehr als einmal versucht, mich dazu zu zwingen, und das ging nach hinten los, weil ich sie mit einem lieblosen Küsschen auf die Lippen gekränkt hatte. Bei Romanzen geht es darum, dass sich die Frauen begehrt fühlten, und ich schaffte es einfach nicht, ihnen das vorzuspielen.

Als ich diese Heiratsklausel im Testament zum ersten Mal gesehen hatte, hatte ich mir panisch eine Dating-App runtergeladen. Ich hatte einen Match mit einer anständig wirkenden Lehrerin. Wir trafen uns und mein Stottern sorgte für eine Blockade, die immer schlimmer wurde, als sie sich nach meiner Arbeit erkundigte. Ich beschrieb dummerweise beim Dinner ganz detailliert die Gesichtsrekonstruktion nach einem tödlichen Industrieunfall. Die Lehrerin ging zur Toilette und kam nicht mehr zurück.

Ich fuhr mir mit dem Finger über die Wange, wo Lark mich heute früh geküsst hatte. Ich hätte fast einen Herzinfarkt bekommen, als ihre Lippen meine Haut berührten … Aber ich konnte mit ihr reden. Vielleicht halfen ihre pausenlosen Kommentare. Vielleicht war es die ausgelassene Art, wie sie durch ihren Tag hüpfte, auch wenn sie vollkommen durchnässt war.

In einem Brief, der dem Testament beilag, hatte Granda mit zittriger Schrift seine Beweggründe erklärt. Die Klausel sollte mir Feuer unterm Hintern machen, endlich eine Familie zu gründen. Und er hoffte, dass mein Vater und ich eine Beziehung aufbauen würden. Von wegen. Pádraig war ein egoistischer Sechzehnjähriger gewesen, als er und meine Mutter mich zurückgelassen hatten, um nach Schottland abzuhauen; das Sorgerecht für mich hatten sie meinen Großeltern übertragen. Unsere Unterhaltung zeigte, dass er sich nicht geändert hatte. Mit einem frustrierten Brummen riss ich mir die Brille von der Nase und drückte die Handballen so fest auf die Augen, bis sie wehtaten.

Gute Absichten hin oder her, wie konnte Granda nur so etwas machen? Nachdem ich ihn nach seinen Schlaganfällen gepflegt und jede übrige freie Minute in das Geschäft gesteckt hatte, um es über Wasser zu halten. Willow Haven brauchte nicht nur mich – ich brauchte es genauso. Mich um die Toten zu kümmern und Familien in ihrer Trauer beizustehen, verlieh meinem Leben einen Sinn. Ich mochte meine Arbeit nicht nur und war gut darin, meine ganze Identität hing davon ab, ein weiterer anzugtragender Flannelly zu sein, der ein Lied für die Verstorbenen spielte.

Ich verzog das Gesicht und öffnete die Dating-App. Sechs Monate. Das Feuer war entfacht.

Kapitel 5Lark

Eine übergroße Pop-Art begrüßte mich in der Lobby von KinetiColor. Wendy und Mr Sullivan, der Studioinhaber, hießen mich willkommen. Sie musterten mich von oben bis unten und sagten mir direkt, wo ich mich frischmachen konnte.

Als ich wieder mehr wie eine »kompetente Fachfrau« als wie ein »ertrunkener Waschbär« aussah, bahnte ich mir meinen Weg durch das Schreibtischlabyrinth zum Konferenzraum. Der Schreibtisch von jedem einzelnen Mitarbeitenden aus dem Bereich Animation war ein kreatives Sammelsurium, von kuratierten Vision Boards bis hin zu antiken Spielzeugfiguren, die sich in Regalen über Computer-Monitoren bekämpften. Ich wartete darauf, dass das Team eintrudelte, und scrollte durch eine PowerPoint mit Schlüsselszenen. Ein Praktikant verteilte Donuts. Fakt war: Wenn man einen Vortrag hält, ist es einfacher, sich selbstbewusst zu fühlen, wenn den Leuten im Publikum Regenbogenstreusel am Kinn kleben. Das ist weniger awkward, als sich Kolleg*innen nackt vorzustellen.

Mr Sullivan lächelte warmherzig und zeigte auf mich. »Ich würde gern unsere neue Art Direktorin vorstellen. Lark Thompson.«

Meine Hand schoss nach oben.

»Lark hat in den Blue Star Studios an Shoelace mitgearbeitet«, sprach er weiter, während einige aufgeregt murmelten. »Ich war derart beeindruckt, dass ich sie aus den fernen Vereinigten Staaten eingeladen habe, sich unserem kleinen Team für dieses Projekt anzuschließen. Tun wir alles dafür, dass sie sich willkommen fühlt.«

Der bärtige Kerl, der sich vor der Tür über einen Kollegen lustig gemacht hatte, verschränkte die Arme und seine Blicke durchbohrten mich fast, als ich nach vorne ging.

»Vielen Dank, Mr Sullivan.« Ich scannte das Zimmer, versuchte, mir jedes neue Gesicht zu merken. »Morgen. Ich freu mich, euch alle persönlich kennenzulernen, bevor wir uns in die Arbeit an The Pirate Queen stürzen. Filmemachen ist ein Gemeinschaftsprojekt und ich will, dass alle wissen: Meine Tür steht jederzeit offen, wenn ihr Ideen habt oder euch was auf dem Herzen liegt.«

Das hatte eine lebendige Vorstellungsrunde zur Folge, ehe wir uns ans Storyboarding machten. Anvi, eine vollschlanke Inderin mit einem aufwendig geflochtenen Zopf, der bis zur Taille ihres modischen Kleids reichte, zeigte einige Storyboard Layouts, die sie zu Hause gezeichnet hatte. Sie waren wunderschön und dynamisch, strotzten vor Drama und zeigten die wichtigsten Story Beats.

»Sorry«, sagte sie. »Ich musste mich einfach reinstürzen, nachdem ich das Skript gelesen hatte. Das ist natürlich nur ein grober Entwurf.«

»Grandios! Ich musste auch einfach anfangen, als ich es gelesen habe«, sagte ich. »Ich finde es super, dass wir direkt durchstarten können.«

Anvi war eine liebenswerte Seele. Im Großen und Ganzen waren die Leute bei KinetiColor genauso freundlich wie talentiert. Die Background Artists mit ihren eindringlichen Kulissen, die Character Artists mit ihren Concept Sketches. Was hatte ich den Teamgeist von anderen Kreativen vermisst.

Es war immer schon mein Ziel gewesen, anderen Menschen mit Kunst eine Freude zu machen, schon seit meiner Kindheit. Ich hatte auf dem Boden des Schmuckateliers meiner Mutter gesessen, während sie laut einen eklektischen Mix aus Fleetwood Mac, Donna Summer und Kenny Rogers abspielte, bastelte ich zum Zeitvertreib einfache Daumenkinos, die ich in der Schule verschenkte. Bald schon nahm ich Aufträge für mein Mittagessensgeld entgegen. Die Leute kamen zusammen und betrachteten fasziniert die bewegten Bilder und mir gefiel es, dass ich ihnen dieses Staunen geschenkt hatte. Kunst war für mich sowohl meine Flucht aus der Monotonie des Alltags als auch meine Verbindung zu anderen.

Ich war bei Blue Star rasch aufgestiegen, hatte als Character Designerin bei dem bunt zusammengewürfelten Start-up angefangen, das meine Klassenkameradinnen gegründet hatten.

Die Zusammenarbeit mit Rachel, meiner besten Freundin aus dem College und späteren Schwägerin, war grandios gewesen. Was unserer kleinen Gruppe an Budget oder Erfahrung fehlte, machten wir mit Hingabe und Enthusiasmus wett. Sie, ich und die anderen Mitglieder des kleinen, engagierten Teams warfen uns gegenseitig Ideen zu und das Studio wurde zu einem zweiten Zuhause … Bis sie meinen Anblick nicht mehr ertrug und die zuvor freundliche Gruppe, bestehend aus Kolleg*innen, immer verstummte, wenn ich ein Zimmer betrat. Ich konnte nicht bleiben, obwohl ich dringend etwas gebraucht hätte, um mich während meiner Trauer abzulenken. Irgendwas, das wieder Farbe in mein Leben gebracht hätte, als sich ohne Reese alles grau anfühlte. Mit seinem Verlust hatte ich auch Rachel verloren und zudem auch noch das Team, das für mich fast wie eine Familie war. Nach meinem Ausscheiden hielt ich mich als Freelance-Designerin über Wasser, aber nach achtzehn Monaten Einsamkeit wusste ich die Chance, die sich mir bei KinetiColor bot, umso mehr zu schätzen. Meine neuen Kolleg*innen würden nichts über meine Vergangenheit wissen. In Irland würde ich ein unbeschriebenes Blatt sein, solange niemand nachbohrte. Aber ich würde keine Bohrmaschinen verteilen.

Nachdem ich mich und meine Ideen vorgestellt hatte, sammelte ich meine Sachen ein und beim Anblick des letzten Donuts lief mir das Wasser im Mund zusammen. Noch ehe ich drankam, griff der Mann mit dem rotbraunen Bart zu. »Howya. Seán Fitzgerald.«

»Howdy.« So sprach ich normalerweise nicht – ich kam aus Austin und nicht vom Land –, aber es passte gerade einfach. Bisher gefielen mir die kleinen Unterschiede an diesem Ort, zum Beispiel die Varianten in der Sprache.

Seán nahm einen Bissen. Mir knurrte der Magen, weil ich heute früh aus lauter Nervosität nichts runtergebracht hatte. »Du bist also die neue Chefin?«

»Du bist Senior Animator, oder?«

Er plusterte sich auf. Ein Blick aus haselnussbraunen Augen musterte mich von Kopf bis zu den Zehen, die in den nassen High Heels steckten, und blieb an den kitschigen Kirschohrringen hängen. »Unser letzter Art Direktor war nicht annähernd so jung.«

»Ich nehme das mal als Kompliment. Wie lange arbeitest du schon hier?«

Weiße Zähne blitzten warnend auf. »Seit Tag eins. Wenn du irgendwo nicht weiterweißt, kannst du dich jederzeit an mich wenden.« Leise fügte er hinzu. »Du weißt schon, damit der Rest des Teams nicht weniger von dir hält.«

Mein Lächeln verschwand, aber ich setzte es schnell wieder auf. »Vielen Dank.«

»Diese Renderings des Schiffs, die du bis Mittwoch willst? Ich weiß nicht, ob ich das schaffe.« Er blickte bedauernd auf den Teppich. »Meine Tochter hat am Dienstag einen Arzttermin, weswegen ich den ganzen Tag weg sein werde … schreckliches Timing.«

»Deine Familie geht vor. Immer.« Ich hatte diese Lektion zu spät gelernt. Ich würde von meinem Team auf keinen Fall erwarten, dass jemand die Arbeit über die medizinischen Bedürfnisse der Kinder stellte. »Es sollte auch noch ausreichen, wenn ich sie bis Freitagmorgen bekomme.«

»Ich tue, was ich kann.« Er schaute mich noch einmal an, dann verschwand er auf dem Gang. »Willkommen bei KinetiColor.«

Streusel kullerten durch die leere Donut-Box, als ich sie in den Müll warf. Hatte er sich gerade bei unserer ersten Unterhaltung eine Deadline-Verlängerung von mir erschlichen oder war er einfach ehrlich? Ein Bauchgefühl warnte mich davor, Seán Fitzgerald zu vertrauen.

 

Ich stand hinter den Gardinen und spähte in den Innenhof meines Nachbarn. Aus dem Wohnzimmerfenster schaute man genau auf den Garten hinter Willow Haven, wo Callum Bäume beschnitt und Mulch ausstreute. Hosenträger spannten über seinen breiten Schultern und eine enge Hose reichte ihm bis kurz über die Knöchel, was ihm einen Look irgendwo zwischen lässig-elegant und altmodisch verlieh. Üppige purpurfarbene Rosen blühten auf den ordentlich gestutzten Sträuchern.

Einige Menschen wollten, dass ihre Asche unter Rosenstöcken oder Eichen verstreut wurde: War Callums Garten deswegen so lebendig? Wie dem auch sei, der Anblick meines Nachbarn, der sich um seine Blumen kümmerte, beruhigte mich – ich hätte nicht gedacht, dass er den Rest seines Arbeitstages so verbringt.

Ich war zuvor in meinem Leben erst einmal beim Bestatter gewesen und dieser hatte es geschafft, mich wegen meiner Schuldgefühle mit aggressiven Verkaufstechniken zum Kauf eines teuren Sarges mit gebürsteten Kupferelementen zu drängen. Er beschwatzte mich auch zu hochwertigem Granit für den Grabstein, nachdem ich aus verheulten Augen zehn Minuten lang identische Serifenschriften angestarrt hatte. Mein verstorbener Mann verdiente nur das Beste, oder etwa nicht? Sein Grabstein war das letzte Geschenk, das er jemals bekommen würde, sagten sie, deswegen stimmte ich dem in das Granit eingeätzten Basketball zu. Ehemann. Bruder. Sohn. Coach. Reeses Grabstätte hatte ihn nicht zurückgebracht. Nichts konnte ihn zurückbringen.

Die öffentliche Beerdigung machte alles nur noch schlimmer. Die ganze Highschool nahm daran teil. Vor Scham und Schreck war ich anschließend völlig apathisch. Cielo gewährte mir Unterschlupf, als ich die hohlen Phrasen meiner Mutter nicht mehr ertrug. Meiner Cousine konnte keine Krise etwas anhaben, sie fütterte mich zwangsweise zwischen ihren Kursen, die sie aufs Medizinstudium vorbereiteten, und zwang mich, auf einer halbwegs regelmäßigen Basis zu baden. Nur wegen Lo allein fühlte ich mich schlecht, weil ich Texas verließ.

Natürlich wusste ich, wie wichtig Callums Arbeit war. Die Kanalisation musste instand gehalten werden. Wurzelkanäle mussten gebohrt werden. Leichen mussten bestattet werden. Obwohl sein Beruf bei mir schmerzhafte Erinnerungen hervorrief, war Callum interessant. Ein Mann der leisen Töne, mit einem vollen Bariton. Mysteriös und stoisch, wenn seine eleganten Hände allerdings das Klavier berührten, offenbarten sie tiefe Emotionen. Sein Inneres floss in sein Klavierspiel hinein.

Gott. Ich konnte einfach nicht glauben, dass ich Callum wie einen alten Freund auf die Wange geküsst hatte. Zwischen dem Morgen aus der Hölle und dem Lampenfieber wegen des neuen Jobs hatte ich nicht mehr klar denken können. Wir wohnten nebeneinander und ihn zu verführen wäre komplett weird. Ich wollte niemanden küssen. Der Typ fand mich vermutlich sowieso völlig daneben, nachdem ich ihn für einen Serienmörder gehalten hatte.

Eine große Frau kam zum Garten. Das schwarze Haar fiel ihr wie ein Mitternachtswasserfall über den Rücken, sie trug ein zeitloses saphirblaues ausgestelltes Kleid und eine blickdichte Strumpfhose. Ein Floristen-Van wartete auf dem Bordstein zwischen unseren Häusern. Narzissen bildeten ein bekanntes Logo – dasselbe wie auf dem Laden, vor dem Callum mich aufgelesen und zur Arbeit gefahren hat.

Flannelly, du Schuft.

Der Gedanke, dass dieser mürrische Mann mit jemandem flirtete, machte mich neugierig. Beim Reden mit der Dame wirkte er verstohlen, eher nervös als charmant. Nach einigen Minuten zeigte die schöne Floristin zum Van. Er wischte sich Schmutz von den Händen und machte keine Anstalten, sie zu berühren, sah ihr aber nach.

Als würde Callum meine Anwesenheit spüren, blickte er zu meinem Fenster.

Shit.

Ertappt taumelte ich zurück und fiel über den Vorhangsaum. Ich griff nach dem Stoff, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren, riss dabei die Stange aus der Wand und landete mit einem kräftigen Plumps auf dem Boden.

Ich wollte sterben. Wie praktisch, dass ich jetzt neben einem Bestatter wohnte.

Ehe ich aufstehen und die Gardinenstange vom Holzboden aufheben konnte, klopfte es wie verrückt bei mir an der Tür. Klar. Ich überlegte, ob ich mich einfach unter dem Stoffberg verstecken sollte, bis mein vermeintlicher Retter wieder ging, zwang mich aber zum Öffnen.

Mit einem schuldbewussten Grinsen reckte ich den Hals hoch zu ihm, als sich die Tür knarzend öffnete. Er musste etwa dreißig Zentimeter größer sein als ich. »Du bist nicht hier, um dir etwas Zucker zu borgen, oder?«

»Alles okay mit dir?« Callum zeigte mit dem Kinn auf den Stoffhaufen hinter mir. Seine breite Brust hob und senkte sich, als wäre er hier rübergerannt.

»Ich hänge nur ein paar neue Vorhänge auf und die Schraube muss locker sein.«

»Da ist eine Schraube locker, aha.«

Ich rieb mir das Steißbein. »Du bist furchtbar galant, aber mit mir ist alles in Ordnung.«

»Unsere Fenster liegen einander direkt gegenüber.« Callum blickte sich auf die Hände. Seine Fingernägel und Handknöchel waren schmutzig.

»Und du fandest mich unheimlich.«

Belustigung flackerte auf seinem Gesicht auf. Wir hatten einen Insider. Zwar irgendwie auf meine Kosten, aber es war ein Anfang.

Ich atmete ein, um mich zu beruhigen. »Es gibt dieses Comedy Café, von dem ich gelesen hatte, This Tastes Funny. Wollen wir hin?«

»Z-zusammen?«, stotterte Callum. »Wie auf ein D-date?«

»Wie Freunde. Ich will mich bedanken, weil du mich gestern gefahren hast.«

Ich sah, wie er auf den blassen Streifen an meinem Finger blickte, den mein Ehering hinterlassen hatte. Ich hatte den Ring an dem Morgen ausgezogen, an dem ich in das Flugzeug nach Galway gestiegen war. Vier Jahre mit Reese. Einundzwanzig Monate, seitdem ich sein wildes Lachen und das Klimpern seiner Pfeife um seinen Hals am Spieltag gehört hatte. An dieses nackte Gefühl hatte ich mich gewöhnen müssen.

»Verheiratet?«

»War ich.« Sollte er denken, ich wäre geschieden. Ich ertrug einfach kein Mitleid mehr. »Ist die Floristin deine Freundin?«

»Nein.« Die Spitzen seiner Ohren leuchteten pink. »Wie lange hast du mich beobachtet?«

»Ich weiß nicht, was du meinst. Ich habe mich um meine Angelegenheit gekümmert und die Vorhänge aufgehängt.«

»A-ha.«

Ich habe euch lange genug beobachtet, um zu sehen, dass die Frau mit ihrem Haar gespielt hat, als sie dich bei der Gartenarbeit betrachtete, sagte ich nicht. »Schau mal, es wäre zwar kein Date, wenn du aber denkst, es würde dir deine Chancen bei ihr verbauen …«

Callum neigte den Kopf.

»Sie ist in dich verliebt.«

Er schnaufte leicht selbstironisch.

»Und … Was sagst du?«

»Du willst also mit mir befreundet sein«, sagte er skeptisch.

»Gibt es dafür eine lange Warteliste?« Ich spürte, dass ihm eine Freundin guttun würde. Und ich würde hundertmal lieber in Begleitung zum Comedy Club gehen. Win-win.

»Ja, sicher. Die Leute würden sogar sterben, um mit mir rumzuhängen«, sagte er trockener als die Mojave-Wüste.

Ich stöhnte. »Willst du mir beweisen, dass du Comedy hasst oder so?«

»Klappt es denn?«

»Wenn überhaupt hast du damit nur gezeigt, dass du dringend mal ein ordentliches Stand-up-Programm brauchst. Aber wenn ich in deiner Anwesenheit diese Art von Humor erwarte, sollte ich mein Angebot vielleicht zurücknehmen.«

»Nein, ich komm mit.«

Kapitel 6Callum

»›This Tastes Funny‹.« Lark las das Schild vor, während ihre pinken Boots über den Fußweg hüpften. »Guter Name für ein Café, oder? Das schmeckt komisch.«

»Kann mir nichts Einladenderes vorstellen.«