Mord in bizarren Kreisen - Catarina Bervigue - E-Book

Mord in bizarren Kreisen E-Book

Catarina Bervigue

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Beschreibung

1924: Die Zeiten, in denen im Wildpark bei Potsdam Tiere gejagt wurden, sind längst vorbei. Jedoch ruft der Fund eines toten Mannes Inspektor Stein im Morgengrauen in den Wald. Seine Ermittlungen führen ihn unweigerlich zu einer vergessenen alten Villa, in der ... ...finden Sie es doch selbst heraus!

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Für meinen Vater

Inhaltsverzeichnis

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

EPILOG

Prolog

1924. Was auch immer die Planer des Wildparks Lenné und Persius für edle Bemühungen hatten, am Ende war es ein Stück Wald, gelegen südwestlich von Schloss Sanssouci. Ganze 5 Hektar groß und mit einem hohen Zaun umgeben, wurde das Wild in den guten alten Zeiten zum reinen jagdlichen Zeitvertreib der Obrigkeit am Weglaufen gehindert. Doch der Große Vaterländische Krieg machte dem ein jähes Ende. Aber was oder besser wem, könnte in heutiger Zeit ein Toter nicht entkommen?

Die alte Garnisonsstadt wusste in Sachen Militär mit reichlich Geschichte aufzuwarten, aber was die Kriminalpolizei 1924 anging, musste Potsdam jeden Vergleich zu Berlin scheuen. Doch selbst dort wird es erst in ein paar Jahren eine richtige Mordinspektion geben. Vorher gab es lediglich einen Mordbereitschaftsdienst. Und in Potsdam… in Potsdam gab es eigentlich nichts. Bis auf zwei einsame Streiter: Inspektor Richard Stein und Dr. Gernot Hermlich. Zusammen bemühten sie sich weit vor der Zeit der großen Namen niemanden mit Mord davon kommen zu lassen.

Und dann gab es da noch die Villa M, gelegen mitten im Wildpark, aber deren geheimnisvolle Geschichte müssen Sie schon selbst heraus finden …

1

Der Morgen begann gerade erst zu dämmern und der junge Wilfred konnte nur wenige Umrisse durch den Nieselregen erkennen, als er von seinem elterlichen Hof in Richtung Stadt wie immer die Abkürzung durch den Wildpark nahm.

Aber er kannte den Weg auch im Halbdunkel. Plötzlich sah er etwas im feuchten Gras unter einem Wildrosenbusch. Es schien wie ein Bündel Kleidung oder gar eine Puppe auszusehen, oder war es gar ein menschlicher Körper? Vielleicht ein Waldarbeiter, einer der seinen Rausch von letzter Nacht ausschlief? Aber wieso soweit hier draußen? Der würde sich schon noch ärgern, wenn er aufwachte und seine Kleidung total durchnässt war, dachte er. Wilfred lehnte sein Rad an einen Baum und näherte sich langsam und mit unsicheren Schritten im trüben Schein der Karbidlampe. Es war kein Kleiderbündel, es war keine Puppe, es war ein Mann. Und der war tot! Auf seiner Brust prangte ein großer Blutfleck.

Noch völlig schockiert schnappte er sich sein Achillesrad und radelte so schnell er konnte in die Stadt, wo er die Polizei verständigte.

Inspektor Richard Stein mochte keine Morde an verregneten Tagen, es machte alles nur noch trauriger. Seine Stimmung war wie immer auch so schon mies genug. Doch sie sollte es noch sehr viel mehr werden. Er war einfach ein Mensch, der ständig und ohne Grund übel gelaunt war. Den es nervte, wenn mal wieder gemordet wurde. Zugleich konnte er sich nichts anderes vorstellen, als Mörder zu jagen, und dazu musste – zwangsläufig - jemand getötet worden sein. Die Schupos seiner Wache wussten dies und gingen ihm lieber aus dem Weg. Er war noch nie verlobt, von einer Ehe ganz zu schweigen und oft quälte er sich ob des vielen Absinth am Abend zuvor, am Morgen aus dem Bett.

Meist unrasiert, oft schnell und unbedacht gekleidet.

Geboren 1887 in Potsdam, Sohn eines Schutzpolizisten und einer Näherin, hätte Stein sicher gern die ‚Preußische Höhere Polizeischule‘ in Potsdam-Eiche besucht, doch diese gab es zu seiner Zeit noch nicht, als er ebenfalls den Polizeidienst anstrebte. Aber er wollte mehr, er wollte zur Mordpolizei. So hatte er erst in Berlin Jura studiert und sich dann in Kriminologie ausbilden lassen. Und da es niemanden in Potsdam weitergab, stieg er schnell vom Kommissar zum Inspektor auf, was natürlich eine Überqualifizierung für diese Provinz war. In der Reichshauptstadt lernte er Dr.

Gernot Hermlich kennen, der zur selbigen Zeit an der Friedrich-Wilhelms-Universität studierte und war seit dem mit ihm befreundet, wenn auch beide nicht unterschiedlicher hätten sein können - von ihrer Herkunft und ihrer Lebensart. Dennoch verbrachten sie viele Nächte bei Bier und Wein in billigen, verrauchten Kaschemmen, immer spekulierend, wie sie den Tätern auf die Spur kommen würden. Der eine mit seinem Kopf, der andere mit der Wissenschaft.

Da war dieser Abend, sie saßen gerade wieder einmal zusammen in einem der weniger schönen und deshalb erschwinglichen Lokale Berlins und sinnierten über Spuren und Motive, da kam diese junge Frau herein. Jeder männliche Kopf drehte sich nach ihr um, außer einem, der von Stein. Sie war sehr elegant, fast aufreizend für diese Zeit gekleidet, aber mit einem Selbstbewusstsein versehen, dass sie wohl niemand anzusprechen wagen würde. Ihr sehr blondes, zu einem strengen Bob geschnittenes Haar stand in krassem Gegensatz zu ihrem dunkelroten, fast schwarzen Lippenstift, der ihren Mund noch schmaler aussehen ließ. Ihre ebenfalls schwarz umrandeten Augen ließen sie etwas düster, aber auch glamourös aussehen. Sie blieb kurz stehen, um sich im Raum umzusehen. Hermlich pfiff leise durch seine Zähne und grinste.

„Haben Sie das Fräulein gesehen, mein lieber Richard?“

„Hmm …?“

Stein hatte über seine Notizen der letzten Unterrichtsstunde gebrütet, hatte er doch bald seine Prüfung zum Kriminalkommissar zu bestehen.

„Sind Sie Richard Stein?“ Das Fräulein stand nun plötzlich neben ihm. Stein blickte endlich hoch, hoch in dieses bezaubernde Gesicht.

„Eine Freundin von mir studierte damals an ihrer Universität, sie meinte, sie wären jetzt ein angehender Kriminaler und könnten mir sicher helfen? Sie sagte, Sie wären Klassenbester und… nun ja, ich möchte mit meinem Problem nicht zur Polizei gehen. Sie müssen mir wirklich helfen!“

„Junge Dame, ich bin sozusagen noch ein Lehrling und da ich nicht weiß, worum es geht, kann ich Ihnen auch nicht sagen, ob ich Ihnen helfen kann. Sehen Sie, mein Freund hier, Gernot Hermlich macht demnächst seinen medizinischen Doktor und gleichzeitig studiert er in Sachen Rechtsmedizin. Kann er einen Giftmord erkennen? Ich weiß es nicht.“

Hermlich sprang auf und schwadronierte über diverse Gifte und deren Erkennung. Nach ein, zwei Minuten winkte ihm Stein sich wieder zu setzen und sagte “ Mein Guter, ich weiß doch, dass Sie jedes Gift, selbst das einer schwarzen Mamba erkennen würden, auch wenn solch eine Schlange in unseren Gefilden nicht vorkommt.“

Hermlich, offensichtlich in seiner Seele als angehender Rechtsmediziner bestätigt, setze sich wieder, während Stein zum Fräulein fortfuhr „Ich hingegen muss mich noch durch diverse Prüfungen quälen, bis man mich auf echte Verbrecher loslässt.“

„Aber Richard“, unterbrach Hermlich diesen, „nun lassen Sie das Fräulein doch erst einmal Platz nehmen. Wo sind Ihre Manieren? Junge Dame, setzen Sie sich zu uns und erzählen Sie uns von Ihrem Problem. Vielleicht können wir Ihnen doch helfen.“ Das Fräulein setzte sich zu Stein und Hermlich an den Tisch und sah sich nach dem Kellner um.

„Möchten Sie etwas von unserem Branntwein, mein Fräulein? Sie sehen aus, als könnten Sie einen guten Schluck vertragen.“

Hermlich war wie immer perfekt, die wirkliche Gemütsverfassung unter der oberen Fassade zu erkennen. Eine Gabe, um die ihn Stein oft beneidete. Das Fräulein machte kurz große Augen und nickte dann auffällig, denn sie schien wirklich etwas hochprozentiges nötig zu haben. Nachdem alle drei einen Schluck getrunken hatten, eröffnetet Hermlich wieder das Gespräch.

„Nun, seien Sie nicht schüchtern und erzählen Sie uns, wo der Schuh drückt.“

„Gernot, glauben Sie wirklich, diese Dame würde sich die Mühe machen und sich in diese Spelunke wagen, wenn ihr nur der Schuh drückt?“

„Ach Gott, Stein, das ist doch nur eine Redewendung, die so viel sagt, wie: was ist ihr Problem?“

Stein war das natürlich peinlich in Gegenwart dieser hübschen Frau, doch versuchte er sich nichts anmerken zu lassen.

„Gut dann erzählen sie doch mal …", sagte er schnell.

Am Ende dieses Abends wussten Stein und Hermlich, dass die junge Dame eine angehende Schauspielerin und ihr Vater selbst ein ranghoher Polizist war, weswegen sie diesen nicht einschalten konnte, sie gerade eine vielversprechende Filmrolle angeboten bekommen hatte, was bereits in den Kinoreklame-Magazinen nachzulesen war, jedoch von einem schmierigen Photographen, bei dem sie in Ermangelung von Geld um ihre Karriere anzuschieben, aufreizende – um nicht zu sagen Nacktphotos - gemacht hatte und deshalb seit einiger Zeit erpresst wurde.

Stein hatte die Idee mit seinem Ausweis, der im lediglich den Zutritt zur Polizeischule ermöglichte, sich diesen Burschen einmal vorzunehmen und ihm für die Herausgabe der Photos Straffreiheit zu garantieren. Das Ganze durfte natürlich niemals herauskommen, aber Stein und Hermlich waren sich sicher, das Fräulein würde stillschweigen behalten und der sogenannte Photograph ebenfalls. Und so begaben sich die beiden edlen Ritter das Burgfräulein zu befreien. Zu befreien aus den Händen eines skrupellosen Erpressers. Sie hatten die Adresse seines Ateliers und an einem sehr frühen Morgen klopften sie an dessen Tür, in Erwartung einen verschlafenen Herrn anzutreffen. Künstler gingen bekanntermaßen immer spät zu Bett. Hätte man einen Poeten bemüht, so hätte er für die Unterkunft dieses Herrn die Worte `Bohéme´ oder `sehr arm´ verwandt. Doch Stein und Hermlich waren in diesem Moment der poetischen Muse nicht zugewandt und sahen deshalb sofort, dass dieser Mann zwar ein Gauner, doch auch leicht einzuschüchtern war. Er blickte zum Glück nur kurz auf Steins Ausweis. Wahrscheinlich hatte er noch nie einen richtigen Polizeiausweis gesehen und erkannte den Unterschied nicht.

„Guter Mann, Sie werden nicht verleugnen, dass Sie eine unfehlbare Dame erpresst haben?“

„Ich, ich? Wovon reden Sie überhaupt? Ich bin ein bekannter Photograph und stelle meine Dienste in die Gunst vieler Künstler und besonders von Schauspielern.“

„Ja genau,“ konterte Stein „Schauspieler! Nur leider haben Sie neben dem Anfertigen von Hochglanzfotos wohl gedacht, dass sich ein Nebenerwerb ergeben könnte. Diese junge Dame strebt gerade eine Karriere an und das war wie ein gefundenes Fressen für Sie. Was auch immer ich persönlich von den Damen, die sich nackt photographieren lassen oder den Photographen, die diese Abbilder anfertigen halte, eine Erpressung ist eine Erpressung!“

„Aber, aber…“ erwiderte der Photograph, „ich habe niemanden erpresst, dass müssen Sie mir glauben!“

„Wollen Sie das dem Richter erzählen oder besser gleich die Photos heraus rücken und ich lasse Sie in Ruhe, sollten Sie nicht wieder auf dumme Gedanken kommen?“

„Meine lieben Herren Polizisten, Sie können mir doch bitte nicht mit solch einer Verleumdung meine Existenz kaputt machen.“

Stein versuchte sich erstmals im Verhör, er war sich gleichzeitig sicher und auch wieder unsicher, ob des Erfolges.

Theorie und Praxis sind derweil zwei verschiedene paar Schuhe. So setzte er dem Photographen noch einmal nach.

„Sie können mir nun hier eine Menge erzählen, jedoch werde ich jetzt ihr Photo Atelier nach den Bildern durchsuchen. Ich bin dazu berechtigt. Oder wollen Sie freiwillig zugeben, die Dame erpresst zu haben? Dann könnte ich Ihnen für diesen einen Fall Straffreiheit zusichern. Sollte Sie jedoch jemals wieder auffällig werden, versichere ich Ihnen, dass sie das Kittchen von innen kennen lernen!“

Stein benutzte mit Absicht die Sprache der Unterwelt, in der Hoffnung, den Mann weiter einzuschüchtern. Nach einigem hin und her gab der Photograph zu, eine Anfrage nach einer höheren Bezahlung gemacht zu machen.

„Dann händen Sie mir jetzt die Photos aus und ich hoffe, von Ihnen nie wieder etwas zu hören.“

Der inzwischen sehr eingeschüchterte Mann trollte sich hängenden Kopfes in eine Ecke seines armseligen Ateliers, zog einen Stein aus der unverputzten Mauer und übergab beiden die Photos.

„Sehen Sie, es war doch ganz einfach. Und nun überlegen Sie sich, wie Sie Ihr Geld auf solide Weise verdienen.

Richtig zusammen geschweißt hatte sie dann allerdings dieser erste echte gemeinsame Fall in Potsdam. Es war der Mord an einem kleinen Jungen. Ein Waise, der sich mit Taschendiebstahl und allerlei übler Kleinganoven-Tricks mehr schlecht, als recht, durchs Leben schlug. Dummerweise ist er eines Tages an den Falschen geraten und wurde von ihm erschlagen. Die Leiche wurde in einem Weiher gefunden, aufs übelste zugerichtet.

Beide waren damals in Sachen Theorie gut geschult, doch in der Praxis setzte besonders der Anblick dieses kleinen Kindes beiden arg zu. Dennoch konnten sie den Fall lösen und den Übeltäter an den Strick überführen. Von diesem Moment an wussten beide, dass die Realität noch grausamer, als in ihren Lehrbüchern war. Um so mehr wollten sie jedem Verbrechen entschlossen entgegen treten und vereinbarten eine Art Pakt. Einen Pakt mit dem sie niemanden mit Mord davon kommen lassen würden.

Dr. Gernot Hermlich war nicht weniger kauzig, als der Inspektor, doch auf eine immer gut gelaunte Weise, zudem höchst intelligent und bestens ausgebildet. Seine einzige Schwäche waren Frauen und Golf. Obwohl im normalen Leben Allgemeinmediziner und Kinderarzt, hatte er unterhalb seiner Praxis im Keller ein kleines, aber feines Laboratorium zur Sezierung von Leichen eingerichtet. Dem Geld seiner Familie sei Dank. Denn auch eine Rechtsmedizin gab es in der Provinz nicht. Hier forschte er zu seinem Vergnügen an Blutgruppenanalysen, Giften, Bakterien und sonstigem, was Stein nicht mehr wirklich verstand und beschäftigte auch einen Laborassistenten. Nun ja, es ist nie verkehrt, wenn man aus reichem Hause kommt, dachte Stein.

Aus sehr reichem, in diesem Fall. Deshalb profitierte er bei der Lösung seiner Fälle immer wieder von diesen neuen Methoden, über die sich Hermlich ständig belas und mit Berliner Kollegen, aber auch international austauschte.

Am Tatort diente ein junger Schutzpolizist, der in seiner Freizeit Landschaftsphotographien anfertigte, behelfsmäßig als Polizeiphotograph. Dieser und Dr. Hermlich waren bereits beim Opfer.

„Können Sie mir schon etwas sagen?“, fragte Inspektor Stein, als er dazu stieß.

„Nun ja,“ antwortete ihm Hermlich, „ich kann hier vor Ort nur feststellen, dass der Verunglückte eine Wunde in der linken Brusthälfte und viel Blut verloren hat. Ob von einer Schuss- oder Stichwaffe, kann ich nicht sagen. Die Leichenschau wird uns mehr zeigen.“

„Irgendwas zu seiner Identität?“ Hermlich stand auf und sah mit seinen Golf-Knickerbokers irgendwie fehl am Platz aus. Scheinbar hatte er auf besseres Wetter und ein paar Löcher auf dem Platz gehofft, dachte Stein. Er sah den Inspektor an und rollte mit den Augen.

„Ich vermute, er ist ein Stallbursche, wenn man mal seine Kleidung näher betrachtet.“

„Ja, ja, schon gut, hätte ja sein können, dass er etwas zu seiner Identifikation dabei hatte. Können Sie wenigstens schon etwas zum Zeitpunkt des Todes sagen?“

„Ich schätze, dass er leider nur bis kurz nach Mitternacht gelebt hat.“

„Hmm… danke, und was ist mit dem Jungen da, der die Leiche gefunden hatte?“ Hermlich grinste und sagte „Der ist froh, dass er sein Frühstück noch drin hat. Ich bin mir sicher, dass er nichts damit zu tun hat.“ Stein murmelte etwas Unverständliches und sagte dann laut „Gut, dann werde ich mal die umliegenden Anwesen aufsuchen, ob irgend jemand seinen Stallburschen vermisst.“

Er stieg in seinen Opel und fuhr los. Ein Stück die Straße hinunter kam er an einer Einfahrt vorbei. Hinter Zweigen verborgen stand auf einem dezenten Schild „Villa M“. Er bog ein und folgte dem schmalen Weg durch den Wildpark.

Am Ende gelangte er an ein Tor in einer sehr hohen Mauer, die ein Haus umgab. Nur war dies eigentlich kein Haus, es war ein imposantes und vor allem riesiges Anwesen mit vielen Fenstern, umgeben von einem Park mit äußerst gepflegten Rasen, einfach mittendrin versteckt in diesem dunklen Wald. Wie in einem Märchen aus dem Mittelalter der Burgen und Schlösser. Stein war wirklich beeindruckt und irgendwie konnte er sich des Eindrucks nicht verwehren, dass er vor einem alten englischen Herrenhaus stand.

Zinnen und Türmchen, Efeu rankte die Fassaden hoch und eine breite Kiesauffahrt um einen kleinen Brunnen mit Fontäne gaben dem ganzen einen äußerst mondänen Anblick. Da fiel ihm wieder die Geschichte von diesem englischen Lord ein, der damals, lange vor dem Großen Krieg, hierher kam und diese Villa im Stile seiner Heimat erbaute.

Das hatte er schon ganz vergessen. Er soll ein sehr reicher Textilhändler gewesen sein, der aber leider viel zu früh im Großen Krieg für sein Vaterland gegen Deutschland, seiner neuen Heimat verstarb. Weiter hinten konnte man Stallungen sehen, daneben das zugehörige Stallmeisterhaus.

Das große schwarze schmiedeeiserne Tor war verschlossen.

Stein läutete und wie von Geisterhand schwangen nach einem Moment die Flügel des Tores langsam auf. Er hatte schon von dieser neuen Erfindung aus Frankreich gehört und war beeindruckt. Nachdem er seinen Wagen geparkt hatte und an der Villa klingelte, erschien es ihm, als verginge eine Ewigkeit, bis sich endlich im Inneren Schritte näherten. Ein Hausmädchen mit weißer Haube und gestärkter Schürze öffnete ihm die Tür.

„Ähm… ich würde gern den Hausherren sprechen, Inspektor Stein mein Name, preußische Polizei“.

„Hausherrin!“ antwortete das Hausmädchen. „Kommen Sie bitte herein, Herr Inspektor.“ Sie ließ ihn eintreten und in der großen Halle des Hauses zurück, dessen Boden aus schwarz-weißem Marmor wie ein riesiges Schachbrett gestaltet war. In der Mitte stand ein großer schwarz lackierter Tisch, auf dem ein Gesteck weißer Lilien ihren Duft verströmten. Zwei geschwungene Treppen führten rechts und links in die oberen Stockwerke. Die Wände waren mit dunklem Holz getäfelt, unterbrochen von einer englisch-grünen Tapete mit goldenen Ornamenten. Stein starrte ihr nach, als sie im ersten Stock in einer der vielen Türen verschwand. Von irgendwoher drangen erstickte Laute, die nicht wirklich zu verstehen waren. Weit entfernt spielte eine Grammophon einen französischen Chanson.

Er konnte nicht länger über die Geräusche nachsinnen, als die Hausherrin erschien. Sie war unübersehbar eine Erscheinung, wie sie in ihrem eleganten langen schwarzen Kleid zusammen mit einer äußerst großen Dogge neben sich die Treppen herunter auf ihn zukam. Stein war sich nicht sicher, ob er wegen des Hundes Bedenken haben musste, doch diese schmiegte sich sogleich an sein Hosenbein.

„Das ist Anubis, haben sie keine Angst, er mag alles und jeden.“

Stein tätschelte dem Tier vorsichtig den Kopf und versuchte es von seinem Bein wegzudrücken. Doch Anubis sah gar nicht ein, den neuen Freund in Ruhe zu lassen und lehnte sich mit vollem Gewicht gegen ihn.

„Anubis, lass das! Bei Fuß!“ und sofort saß der riesige Hund wieder neben seiner Besitzerin. Stein konnte endlich einen ausführlicheren Blick auf sein Gegenüber wagen. Sie trug keinen von diesen neumodischen Kurzhaarschnitten, die er bei Frauen gar nicht mochte, sondern einen strengen Dutt und auch keines dieser modernen Kleider, bei denen die Taille der Frauen irgendwo war, nur nicht da, wo sie die Natur angelegt hatte. Er war eben ein Liebhaber der klassischen Frauensilhouette. Sie begrüßte ihn mit einem freundlichen und offenen, aber äußerst selbstbewussten Lächeln, als sie ihm die behandschuhte Hand reichte „Madame Christine Dobois, Sie wollten mich sprechen Herr Inspektor?“

Ihr französischer Akzent war nicht zu überhören.

„Inspektor Stein, Richard Stein. Sehr angenehm. Es geht um einen Toten, wohl um einen Stallburschen, den man heute morgen unweit ihres Anwesen gefunden hat. Haben sie einen Stallburschen oder vermissen sie diesen?“

„Gehen wir doch in den Salon, Herr Inspektor“, sagte sie, wobei ihm der Schock in ihrem Gesicht nicht entging.

Stein folgte ihr, als sie die große Schiebetür öffnete und ihn herein bat. Für einen kurzen Moment verschlug es ihm die Sprache. Unzählige kleine Lampen tauchte den riesigen Raum in ein diffuses gelbes Licht und ließen die Gesichter der Ölgemälde mystisch auf den Betrachter hinab blicken.

Die großen gepolsterten Ohrensessel vor einem fast mannshohen flackernden Kamin gefielen ihm besonders.

Überall fanden sich Souvenirs von Reisen aus Afrika, dem Orient, Indien und auch den polynesischen Inseln. Der Raum war schier überfüllt damit, fast wie ein Museum. Auf einer großen Photographie war die Hausdame selbst zu sehen. Sie trug eine britische Safari-Uniform mit Tropenhelm und kniete neben einem sich an sie schmiegenden Geparden, dem sie sanft über den Kopf streichelte.