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Als ein neues Kreuzfahrtschiff der Superlative in der HafenCity festmacht, halten viele Hamburger den Atem an. Doch es kommt anders, denn plötzlich fehlt an Bord von Urlaubsstimmung jede Spur. Wegner und sein Team haben es gleich mit mehreren Morden zu tun, in die ausgerechnet Besatzungsmitglieder verwickelt sind. Um die Hintergründe aufzudecken, müssen sie bis zum Äußersten gehen ... und weit darüber hinaus. (Jeder Wegner-Fall ist eine in sich abgeschlossene Geschichte. Es kann jedoch nicht schaden, auch die vorangegangenen Fälle zu kennen ...;)
Lektorat/Korrektorat: Michael Lohmann
Aus der Reihe Wegners erste Fälle:
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Veröffentlichungsjahr: 2022
Mord: Inklusive
Wegners letzte Fälle
von Thomas Herzberg
Alle Rechte vorbehalten
Fassung: 1.02
Cover: Titel: thisisheartless / photocase.de; Hamburg Skyline: pixelliebe/stock.adobe.com
Covergestaltung (oder Umschlaggestaltung): Marius Gosch, www.ibgosch.de
Die Geschichte ist frei erfunden. Alle Ähnlichkeiten mit lebenden Personen und/oder realen Handlungen oder Schauplätzen sind rein zufällig. Sämtliche Äußerungen, insbesondere in Teilen der wörtlichen Rede, dienen lediglich der glaubhaften und realistischen Darstellung des Geschehens. Ich verurteile jegliche Art von politischem oder sonstigem Extremismus, der Gewalt verherrlicht, zu selbiger auffordert oder auch nur dazu ermuntert!
Ein großes Dankeschön geht an:
Michael Lohmann (Lektorat, Korrektorat: worttaten.de)
Nicolas (für seine Hilfe bei Konzept und Entstehung)
Meine lieben Testleserinnen Birgit, Lia und Dagmar
Als ein neues Kreuzfahrtschiff der Superlative in der HafenCity festmacht, halten viele Hamburger den Atem an. Doch es kommt anders, denn plötzlich fehlt an Bord von Urlaubsstimmung jede Spur. Wegner und sein Team haben es gleich mit mehreren Morden zu tun, in die ausgerechnet Besatzungsmitglieder verwickelt sind. Um die Hintergründe aufzudecken, müssen sie bis zum Äußersten gehen ... und weit darüber hinaus. (Jeder Wegner-Fall ist eine in sich abgeschlossene Geschichte. Es kann jedoch nicht schaden, auch die vorangegangenen Fälle zu kennen ...;)
»Mord: Inklusive« ist Teil 5 der Serie »Wegners letzte Fälle«
Lektorat/Korrektorat: Michael Lohmann - worttaten.de
Weitere Informationen und Bücher findet Ihr auf meiner Homepage:
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Bisher aus der Reihe Wegners erste Fälle:
»Eisiger Tod« (Teil 1)»Feuerprobe« (Teil 2)»Blinde Wut« (Teil 3)»Auge um Auge« (Teil 4)»Das Böse« (Teil 5)»Alte Sünden« (Teil 6)»Vergeltung« (Teil 7)»Martin« (Teil 8)»Der Kiez« (Teil 9)»Die Schatzkiste« (Teil 10)Aus der Reihe Wegner & Hauser:
»Mausetot« (Teil 1)»Psycho« (Teil 2)Aus der Reihe Wegners schwerste Fälle:
»Der Hurenkiller« (Teil 1)»Der Hurenkiller – das Morden geht weiter …« (Teil 2)»Franz G. - Thriller« (Teil 3)»Blutige Rache« (Teil 4)»ErbRache« (Teil 5)»Blutiger Kiez« (Teil 6)»Mörderisches Verlangen« (Teil 7)»Tödliche Gier« (Teil 8)»Auftrag: Mord« (Teil 9)»Ruhe in Frieden« (Teil 10)Aus der Reihe Wegners letzte Fälle:
»Kaltes Herz« (Teil 1)»Skrupellos« (Teil 2)»Kaltblütig« (Teil 3)»Ende gut, alles gut!« (Teil 4)»Mord: Inklusive« (Teil 5)»Mörder gesucht« (Teil 6)»Auf Messers Schneide« (Teil 7)»Herr Müller« (Teil 8)Aus der Reihe Hannah Lambert ermittelt (Friesenkrimis):
»Ausgerechnet Sylt« (1)»Eiskaltes Sylt« (2)»Mörderisches Sylt« (3)»Stürmisches Sylt« (4)»Schneeweißes Sylt« (5)»Gieriges Sylt« (6)»Turbulentes Sylt« (7)Aus der Reihe Zwischem Mord und Ostsee:
»Nasses Grab« (Teil 1)»Grünes Grab« (Teil 2)Aus der Reihe Auftrag: Mord!:
»Der Schlitzer« (Teil 1)»Deutscher Herbst« (Teil 2)»Silvana« (Teil 3)Unter meinem Pseudonym "Thore Holmberg":
»Marthas Rache« (Schweden-Thriller)»XIII« (Thriller)Ansonsten:
»Zwischen Schutt und Asche« (Nachkriegs-Krimi/Hamburg 1946)»Zwischen Leben und Tod« (Nachkriegs-Krimi/Hamburg 1946)»Blutrausch: E.S.K.E. - Thriller« (Serienstart)»Wiener Blut: E.S.K.E. - Thriller« (Teil 2)»Ansonsten lächelt nur der Tod«
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Deutsche Bucht, gegen Mitternacht
»Alles im Lot aufm Boot, Erster?«
»Boot ist gut, Käpt’n. Immerhin war unsere Prinzessin bis vorletzten Monat noch das größte Kreuzfahrtschiff von allen.«
»Sie sagen es, Erster: War das größte!« Kapitän Helmut Weiß, der erst kurz zuvor die Brücke betreten hatte, lachte verbittert. »Mittlerweile wurden wir überholt. Und es dauert nicht mal mehr sechs Wochen, dann läuft ein noch größeres Schiff vom Stapel. Das wird alle anderen mit Abstand schlagen.« Der Kapitän warf nacheinander einen Blick auf verschiedene Monitore und schüttelte den Kopf. »Was glauben Sie, wo das noch hinführt?«
Claude Bernard, seines Zeichens Erster Offizier der ›Ocean Princess‹, zuckte zuerst mit den Schultern. Doch er ließ es sich trotzdem nicht nehmen, seine eigene Theorie zu präsentieren: »Schauen Sie sich doch mal die überfüllten Städte an, Käpt’n. Würde mich nicht wundern, wenn irgendwann die halbe Erdbevölkerung auf hoher See lebt. Zwangsweise!«
»Aber bestimmt nicht so luxuriös wie hier bei uns an Bord. Die werden wohl auf Kaviar und Schampus verzichten müssen – können wahrscheinlich froh sein, wenn’s noch Wasser und Brot gibt.«
»Apropos Wasser.« Bernard lehnte am Steuerstand. Er deutete auf einen Bildschirm, der Live-Satellitenbilder aus der Deutschen Bucht lieferte. »Wir sind etwa Höhe Helgoland. Bis Brunsbüttel haben wir kaum Gegenverkehr.«
Helmut Weiß nickte zufrieden. Aktuell stützte er sich auf einem riesigen Kompass ab. Ein solches Relikt aus alten Seefahrertagen diente auf der Brücke eines supermodernen Kreuzfahrt-Riesen nur noch zur Zierde oder um Passagiere zu beeindrucken. Die Navigation dieser schwimmenden Luxus-Oasen übernahmen Computer, die dabei nicht auf einen alten Kompass angewiesen waren.
»Ich schau mir mal meine Koje ein bisschen genauer an«, murmelte der Kapitän und präsentierte zum Abschluss ein seltsames Grinsen. »Am besten wecken Sie mich erst, wenn der Elblotse an Bord kommt. Und falls irgendwas Besonderes passiert, holen Sie lieber den Zweiten aus den Federn.« Helmut Weiß ließ seinen Blick über die zahllosen Monitore auf der Steuerbrücke wandern. Hier hatte sich Seefahrer-Romantik längst verabschiedet, um für den rauen Charme eines Rechenzentrums Platz zu machen.
»Manchmal frage ich mich, was wir hier überhaupt noch verloren haben.« Der Kapitän lachte kurz auf. Eine Antwort auf seine lauten Gedanken erwartete er vermutlich nicht. »Der Dampfer würde auch ohne uns wunderbar funktionieren – vielleicht sogar besser.«
»Sonst noch was?«, erkundigte sich Bernard schmunzelnd.
Helmut Weiß schüttelte den Kopf. Er sah nicht nur müde, sondern auch völlig desillusioniert aus. »Machen Sie einfach, Erster! Und spielen Sie nicht so viel an den Knöpfen herum.«
»Aye, Käpt’n.« Claude Bernard hatte alle Mühe, ernst zu bleiben. Er deutete ein Salutieren an. »Angenehme Träume.«
Die Tür der Brücke war gerade erst hinter dem Kapitän ins Schloss gefallen, da klingelte das Handy des Ersten Offiziers.
»Was gibt’s denn?«
»Bist du alleine? Kannst du reden?«
»Die Brücke gehört ganz mir, also leg schon los.«
Am anderen Ende der Leitung erklang ein geräuschvolles Atmen. »Sieht so aus, als würde Geier tatsächlich in Hamburg zu euch an Bord kommen. Wenn das der Fall ist, können wir uns warm anziehen, fürchte ich.«
»Mach dir deshalb nicht ins Hemd. Nichts wird so heiß gegessen, wie’s gekocht wird.«
»Du hast Nerven. Wenn unsere Geschäfte auffliegen, buchten sie uns mindestens bis zur Rente ein.«
»Und du bist ein Schwarzmaler.« Während er telefonierte, lief Claude Bernard an einer Reihe von Monitoren entlang, die in erster Linie technische Daten bereithielten. Die Prinzessin zeigte sich aktuell ungewohnt durstig, stellte er in Gedanken fest. Vermutlich mussten sie in Hamburg die Schweröltanks bis zur Hälfte füllen, um es mit dem Brennstoffvorrat bis Zypern zu schaffen. Dort tankte man nicht nur sein Auto, sondern auch seinen Ozean-Riesen deutlich preiswerter.
Die Stimme am anderen Ende holte ihn in die Realität zurück: »Hast du dir wenigstens mal überlegt, wie’s weitergehen soll?«
»Wie schon?«, fauchte Bernard. »Wir machen weiter wie bisher. Läuft doch alles prächtig. Also warum sollten wir was ändern?«
»Verrätst du mir auch, wie das funktionieren soll? Geier hat bei euch an Bord doch überall Zutritt. Es dauert nicht lange, dann findet er ...«
»So weit wird es gar nicht kommen!« Zum ersten Mal erhob Bernard die Stimme. »Dafür sorge ich schon.«
»Bin gespannt, wie du das anstellen willst.«
»Auf jeden Fall habe ich die Nase voll vom Diskutieren. Sag mir lieber, was aus unserem Problem in Hamburg wird. Das solltest du doch lösen.«
»Und es wird gelöst – heute Nacht. Verlass dich drauf!«
»Endgültig?«
»Natürlich ... wolltest du doch.« Der Mann am anderen Ende zögerte einen Moment. »Du hast wirklich Nerven, Claude. Manchmal frage ich mich, ob das Geld überhaupt noch was von deinem Charakter übrig gelassen hat.«
»Von welchem Charakter?«, erkundigte sich Bernard lachend. »Davon abgesehen: Wir stecken schon viel zu tief drin, um jetzt eine Kehrtwende hinzulegen. Das ist genau wie bei unserer Prinzessin: Wenn wir hier oben auf die Bremse treten, kommen wir erst zwei Kilometer später zum Stehen. Das hilft auch keinem Segler, der bescheuert genug ist, vor unserem Bug zu kreuzen.«
»Dann sag mir wenigstens noch, was du vorhast. Ich meine, mit Geier ... wenn er tatsächlich zu euch an Bord kommt.«
»Was schon?« Bernard lachte auf. »Wenn uns einer unsere schönen Geschäfte kaputtmachen will ... was soll ich dann deiner Meinung nach tun? Tatenlos zusehen?«
»Am besten bringst du ihn auch zum Schweigen«, erklang es nach kurzem Zögern. »Aber wie?«
»Auf jeden Fall so, dass keiner Lunte riecht.«
»Verrätst du mir auch, wie das funktionieren soll?«
»Nein! Aber du musst dir keine Sorgen machen: Ich hab nämlich schon jemanden, der das für uns erledigt.«
»Kannst du mir mal verraten, was das werden soll, Manfred?« Rita Graf stand – nur mit Slip und Schlaf-T-Shirt bekleidet – in ihrer offenen Wohnzimmertür. Sie schaute kopfschüttelnd zur Uhr. »Weißt du eigentlich, wie spät es ist? Vielleicht solltest du langsam mal ins Bett kommen. Sonst schlafe ich längst, bevor du ...«
»Ich will nur noch eben die Flasche fertig bekleben«, knurrte Wegner zurück. »Wenigstens der Teil kann doch nicht so schwer sein.« Er sah auf und wirkte ehrlich verzweifelt. »Oder?«
Seine Freundin hüpfte auf Zehenspitzen bis zum Sofa. »Ist das immer noch dieses Schiff in der Flasche? Das Geschenk für Lennie?«
»Nein! Ist schon das zweite ... für den alten Krause von gegenüber.«
»Wusste gar nicht, dass du mit dem neuerdings so dicke bist.«
Wegner stöhnte genervt. »Ich auch nicht.« Er legte die Flasche auf den Tisch neben Hunderte winziger Utensilien und Aufkleber. Die warteten allesamt darauf, am Ende ein Segelschiff zu bilden, das seinen letzten Hafen durch den Hals einer Flasche beziehen sollte.
»Bist du sicher, dass du für solche Dinge wirklich genug Geduld mitbringst?«
Wegner schaute auf und kniff die Augen zusammen. »Es ist für meine Tochter!« Jedes Wort klang, als wolle er es zeitgleich in Stein meißeln. »Und falls es nicht rechtzeitig zu Lennies Geburtstag fertig wird, bekommt sie es eben zu Weihnachten. Fest steht: Ich mache weiter, egal, wie lange es dauert!«
Seine Freundin schlang ihre Arme um seinen Hals. »Dann kannst du jetzt ja auch ins Bett kommen. Ich meine, wenn du noch so viel Zeit damit hast.«
»Manchmal frage ich mich, ob es vielleicht doch besser gewesen wäre, du hättest dich nach Berlin davongemacht.«
»Ist das dein Ernst?« In Rita Grafs Stimme schwang ehrliche Sorge mit.
»Natürlich nicht!« Wegner hatte sich vom Sofa erhoben und nahm seine Freundin etwas ungeschickt in den Arm. »Ich muss mich wohl erst mal wieder an ständige Zweisamkeit gewöhnen. Ich hab viel zu lange in Buschs Wohnung gehaust und bin ein bisschen aus der Übung.«
Rita Graf lachte über dieses ungewohnt defensive Fazit und deutete auf das halb fertige Schiff und die leere Flasche. »Vielleicht überlässt du solche Dinge lieber anderen – aber ansonsten funktioniert es mit uns beiden doch schon ganz gut.« Sie verzog das Gesicht und sah misstrauisch aus. »Oder nicht?«
»Das Leben besteht aber aus mehr, als nur im Bett zu liegen«, erwiderte Wegner lachend. »Leider! Und wir können deshalb nicht den ganzen Tag ...«
»Was du nicht sagst!«, unterbrach ihn Rita Graf. »Endlich mal einer, der mir auch die Hintergründe erklärt.« Für diesen letzten Kommentar fing sie sich einen Klaps auf den Hintern ein. Sie jaulte auf und tat, als würde sie vor Wegner davonlaufen.
»Ich krieg dich sowieso. Und danach ...«
»Du lässt schön deine klebrigen Finger von mir, alter Mann. Das hat sich für den Rest der Woche erledigt!«
Wegner hatte sie eingeholt und hielt sie am Arm fest. »Wenn das dein Ernst ist, dann fang ich sofort an, deine Sachen für Berlin zu packen.«
***
»Ich mach bei dem Mist nicht mehr mit ... hab ich eurem Boss doch letzte Woche schon gesagt. Ist das so schwer zu verstehen?« Eike Matzen hatte gerade seine Wohnungstür aufgeschlossen, da tauchten hinter ihm zwei Männer auf. Die hatten wohl eine halbe Etage höher gewartet, um ihn zu überrumpeln.
Erfolgreich. Denn einen Atemzug später fand er sich in seinem Wohnungsflur wieder. Wie auf Kommando verlosch in diesem Moment das Licht im Treppenhaus.
Leises Fluchen war zu hören. Hände tasteten nach dem richtigen Lichtschalter. Als die ihr Ziel gefunden hatten, atmete Eike Matzen zunächst erleichtert aus. Aber diese Freude hielt nicht lange an, denn vor ihm tauchte eine von Akne-Narben übersäte Fratze auf. Die gehörte zu einem bärenhaften Rotschopf, der sich seine Arme wohl von King Kong ausgeliehen hatte.
»Ich weiß überhaupt nicht, was ihr von mir wollt«, protestierte Matzen ein weiteres Mal. »Außerdem: Ich hab niemandem etwas über eure Geschäfte verraten. Ehrenwort!«
»Schön wär’s«, erklang es hinter dem rothaarigen Riesen lachend. Dieser zweite Typ, ein schmächtiges Männchen mit pechschwarzem Haar, war vermutlich das Hirn dieser Aktion. Für ausreichend Muskelkraft sorgte sein Kollege. »Hättest du tatsächlich dein blödes Maul gehalten, wären wir heute wohl kaum hier, oder?«
Passend zu dieser Feststellung spürte Eike Matzen plötzlich eine riesige Pranke, die seinen Hals wie ein Schraubstock umklammerte. Und auch wenn er nicht mehr Luft holen konnte, roch er schlechten Atem, der sich an einem Dutzend schiefer Zähne vorbeiquälen musste. Der Rotschopf grinste dämlich und lieferte dieselbe Erklärung in einer anderen Variante: »Hättest du tatsächlich deine Scheißfresse gehalten, wäre alles paletti, Kollege.«
Durch seine zugeschnürte Kehle konnte Eike Matzen keinen noch so winzigen Laut entlassen, deshalb schüttelte er nur den Kopf. Der eiserne Griff löste sich ein Stück, also packte er die Gelegenheit beim Schopf. »Was wollt ihr denn von mir, verdammt?«
»Kannst du dir das nicht denken?«, erklang es von hinten mit eiskalter Stimme.
Natürlich hatte Eike Matzen eine gewisse Vorstellung von dem, was ihm blühte. Schon seit einigen Monaten kursierten Gerüchte, in denen es um Abtrünnige und deren Schicksal ging. Da war nie von bloßen Drohungen oder Einschüchterungsversuchen die Rede gewesen. Wer nicht spurte, der verschwand – und tauchte in der Regel nie wieder auf. Wenn überhaupt, dann als Leiche.
»Okay, ich mache weiter. Wäre es in Ordnung, wenn ich ...?« Eike Matzen kam nicht mal dazu, seine Frage zu beenden. Eine Faust hatte seinen Unterkiefer getroffen und – außer für einen Blutgeschmack in seinem Mund – auch für ein hässliches Knacken gesorgt. Sein Verstand beschäftigte sich unterdes mit seltsamen Dingen: Er hatte noch nie zuvor eine Hand mit so vielen Sommersprossen darauf gesehen. Aber es blieb nicht genug Zeit, um die zu zählen oder deren Zahl auch nur ansatzweise zu schätzen. Schließlich ballten sich die Finger ein zweites Mal zur Faust. Die sah Eike Matzen wie einen Dampfhammer auf sich zurasen. Keine Sekunde später wurde es dunkel in seinem Kopf.
»Wir haben Befehl, den Scheißkerl in Einzelteile zu zerlegen, aber wir sollen ihn liegen lassen, nicht entsorgen.« Das dunkelhaarige Männchen klang noch emotionsloser als zuvor. »Kriegst du das hin, Holzkopf?«
»Der Typ atmet noch.«
»Dann sorg dafür, dass er damit aufhört!«
Der Rotschopf grinste dämlich. »Kein Problem ... ist doch mein Job.«
»Verraten Sie mir freundlicherweise, was Sie daran nicht verstehen, Busch. Ich dachte, Sie hätten mit Ach und Krach das Waldorf-Abitur geschafft. Oder musste Ihr Vater sogar da noch mit seinem Geld nachhelfen?« Wegner brauchte einen Moment, um sein Lachen zu verschlucken. »Obwohl ... ich stelle mir gerade vor, wie Sie Ihren Namen tanzen. Dafür würde ich einen halben Monatslohn hergeben.«
Detlef Busch kaute eine Weile auf diesen letzten Sätzen herum und fuhr dann ungerührt mit seinem vorangegangenen Protest fort: »Cheffe! Wir können hier unmöglich alles umkrempeln. Nur weil da oben einer meint, wir hätten bisher ...«
»Das war keine Bitte«, unterbrach ihn Wegner. »Das war ein Befehl. Verstanden?«
Am Schreibtisch weiter hinten kicherte Anja vor sich hin. Dieser neue Morgen in der Mordkommission fing schließlich genauso an, wie der letzte Abend aufgehört hatte: mit Streit.
Detlef Busch schickte seiner Kollegin – und Ex-Freundin – einen wütenden Blick. Eines war klar: Der junge Kommissar hatte längst noch nicht aufgegeben. »Das ganze Berichtswesen wird umgestellt, sämtliche Kostenstellen geändert ... wir brauchen wahrscheinlich Wochen, bis wir den Mist umgesetzt haben. Und wofür?«
»Wenn Sie wirklich so lange brauchen, sollten Sie lieber anfangen.« Wegner klang völlig unbeeindruckt. »Außerdem tun Sie gerade so, als wäre das Ganze meine Idee gewesen. Vielleicht muss ich es Ihnen erklären: Unser neuer Kriminaldirektor will sich mit solchen Geistesblitzen doch nur seine ersten Sporen verdienen. Einer wie Sie kann es natürlich nicht wissen: Das ist immer so, wenn ein neuer Kapitän das Ruder übernimmt.«
Zum maritimen Slang passend ruderte Detlef Busch mit den Armen, als wollte er mitten im Büro abheben. »Ausgewachsener Blödsinn ist das! Und Sie hätten sich wenigstens wehren können. Oder Ihrer Freundin sagen, dass sie ...«
»Lassen Sie Rita aus dem Spiel!«
»Lassen Sie Rita aus dem Spiel«, äffte Busch seinen Chef nach. »Da hat wohl einer auf Schoßhündchen umgeschult.«
Angesichts einer solchen Beleidigung sah Wegner noch relativ gelassen aus. Er warf einen Blick zu Anja hinüber, bevor er grinsend zum Gegenschlag ausholte. »Ich will darüber nicht diskutieren. Und falls Ihnen hier irgendwas nicht passt: Bei den Kollegen von der Wirtschaft ist ’ne Stelle freigeworden. Vielleicht nerven Sie die mal zur Abwechslung mit Ihrem Geheule?«
»Heißt das, Sie würden mich gehen lassen? Einfach so?«
Wegner überlegte einen Moment lang. Weiter hinten war schon wieder Anjas Kichern zu hören; Busch wartete noch mit hochrotem Kopf auf eine Antwort.
»Sagen wir mal so«, begann Wegner in väterlichem Ton. »Ich habe im Laufe der Jahre gelernt, dass man Reisende nicht aufhalten soll. Reicht Ihnen das?«
»Herzlichen Dank, Cheffe!« Busch hatte auf dem Absatz kehrtgemacht und raste in Richtung Bürotür.
»Es wird immer schlimmer mit ihm«, stellte Anja fest, nachdem sich die Tür hinter ihrem Kollegen mit lautem Krachen geschlossen hatte. »Vielleicht sollten wir ...«
»Der beruhigt sich schon wieder.« Wegner langte nach seiner Zeitung. »Sie sollten es doch noch besser wissen als ich: Der Bengel hat einfach zu viel Temperament.«
Anja war aufgestanden, hatte einen Becher mit Kaffee gefüllt und stellte den vor der Nase ihres Chefs ab. Bevor sie anfing, ließ sie sich auf der Schreibtischkante neben ihm nieder. »Glauben Sie, das mit uns hier geht auf Dauer gut?«
Wegners Zeitung wanderte eine Etage tiefer. »Sie meinen, weil unser Jungspund und Sie ...?«
»Unter anderem«, flüsterte Anja gequält. »Wir waren zwar nur ein paar Tage richtig zusammen – aber falls Sie es für besser halten, frage ich mal in der Wirtschaft nach, ob die auch mit ’ner Frau leben können.«
»Das fehlt grad noch!«, hielt Wegner gegen. »Sie wollen mich doch nicht ernsthaft mit Busch und seinen Allüren allein lassen, oder? Außerdem: Was soll das heißen: Ob die auch mit ’ner Frau leben können? Ich hab im Laufe der Jahre gelernt, dass Frauen manchmal die besseren Bullen abgeben – auch wenn ihnen die Hörner fehlen.«
»Nicht nur die Hörner«, hielt Anja lachend gegen. »War ja auch nur ein Vorschlag, Chef.« Sie wollte gerade noch etwas sagen, als auf dem Schreibtisch direkt neben ihr das Telefon klingelte.
Anja deutete auf den Hörer. »Soll ich?«
Wegner schüttelte den Kopf. Die Zeitung landete in seinem Schoß, er griff zum Hörer. »Was gibt’s?«, quakte er gewohnt mürrisch.
»Würde sagen: Arbeit für euch.«
»Wer ist denn da, verdammt?«
»Hans, vom Einundvierzigsten ...«
»Und was meinst du mit Arbeit, Hans vom Einundvierzigsten?«
»Hundertfünfzig Pfund Hackfleisch, die bis gestern Abend wohl noch auf den Namen Eike Matzen gehört haben. Zumindest haben wir die Reste von einem Mann in dessen Wohnung gefunden. Das könnte zusammenpassen!«
»Deine Witze waren auch schon mal besser.« Wegner kritzelte die Adresse auf einen Zettel und hielt den seiner Kollegin entgegen. »Zwei meiner Leute machen sich gleich auf den Weg; deine sollen bloß nichts anrühren.«
»Was gibt’s denn?«, wollte Anja wissen, kaum dass der Hörer auf der Gabel lag.
»Arbeit! Suchen Sie Busch und dann raus an die Front mit euch beiden.«
»Und was ist mit Ihnen?«
»Ich bleibe hier und warte ...«
»Worauf?«
Wegner zuckte zuerst mit den Schultern, aber sein Lächeln verriet ihn. »Erinnern Sie sich noch an die Geschichte, die ich Ihnen gestern Abend erzählt habe ... nachdem sich unsere Mimose in den Feierabend verabschiedet hat?«
Anja nickte. »Ich weiß, dass ich Detlef nichts davon erzählen soll ... mach ich auch nicht. Aber ist das wirklich Ihr Ernst?«
»Zumindest will ich mir den Typen mal genauer ansehen. Und wenn er infrage kommt, mach ich Nägel mit Köpfen. So schnell wie möglich!«
»Wenn er infrage kommt, Chef. Wenn …«
***
»Kannst du mir bitte mal sagen, was mit dem Alten los ist?« Busch saß hinterm Steuer, Anja hockte neben ihm. Nachdem sie ihren Kollegen beim zweiten Frühstück in der Kantine aufgetan hatte, herrschte zunächst eisiges Schweigen.
Anja schnalzte mit der Zunge. »Ich darf ihn nicht so nennen, aber du sprichst vom Alten. Das ist ...«
»Ernsthaft: Ein neuer Mord – und Wegner bleibt im Büro sitzen?« Buschs Kopf flog hin und her. »Das hab ich noch nie erlebt.«
»Es gibt für alles ein erstes Mal.« Anja schaute aus dem Seitenfenster. Mitte Juni zeigte sich Hamburg von seiner schönsten Seite. Am liebsten wäre sie ausgestiegen, um durch den Stadtpark zu joggen oder um an der Alster Schwäne zu füttern.
»Ansonsten geht es auch nicht so weiter«, fuhr Busch mit Grabesstimme fort. »Ich werde noch verrückt.«
»Was meinst du?«
»Was soll ich schon meinen? Ich rede von uns. Wie soll das auf Dauer gut gehen?«
Anja war gedanklich noch immer bei den Schwänen und kehrte nur widerwillig in die Realität zurück. Die empfing sie mit einem Gesicht, das halb zweifelnd und halb wütend wirkte. »Mein Gott, Detlef! Mach doch kein Drama um die Sache. Das mit uns hat nur ein paar Tage gehalten und ... ach, vergiss es!«
»Nur ein paar Tage«, wiederholte Busch mit empörter Stimme. »Schön, dass du Herzensdinge einfach so abtun kannst.«
»Ich finde, wir sollten professionell damit umgehen.« Anja lächelte und strich ihm mit dem Handrücken über die Wange. »Das eine ist Arbeit, das andere Privatleben.«
»Wie sieht es denn bei dir momentan aus?« Busch wirkte tatsächlich etwas entspannter als noch kurz zuvor. »Schon was Neues am Start?«
»Wenn, dann würde ich es dir als Letztem erzählen – besser gar nicht.« Anja hob die Hand und deutete durch die Frontscheibe. »Wir müssen da vorne rechts rein.«
»Was du nicht sagst!« Busch setzte den Blinker und bog viel zu rasant ab. Beinahe wäre er mit einem Streifenwagen kollidiert, der die kleine Seitenstraße vollständig abgesperrt hatte. Ein Stück weiter standen etliche Zivilfahrzeuge der Polizei: das übliche Aufgebot.
»Wenn du so weiterfährst, brauchen wir uns keine Gedanken mehr über irgendwas zu machen.« Anja lachte. Sobald der Audi zum Stehen gekommen war, schob sie die Tür auf. Aber sie drehte sich noch mal zu ihrem Kollegen um. »Ich kann mit der Situation übrigens sehr gut leben – Wegner auch. Vielleicht solltest du dich lieber nach was Neuem umsehen. Dann kannst du die Geschichte mit uns endlich vergessen.«
Buschs Kinn hing fast auf seiner Brust. »Und wenn ich dich nicht vergessen will ... oder nicht kann?«
Anja strich ihm erneut über die Wange. »Sorry! Das ist dein Problem, Kollege. Und ich bin vermutlich die Letzte, die daran was ändern kann.«
Es war kurz vor Mittag, als die ›Ocean Princess‹ – mit über zwei Stunden Verspätung – am Kreuzfahrtterminal in der HafenCity festmachte. In halber Höhe elbaufwärts hatte es auf dem Wasser Stau gegeben, weil die Maschine eines polnischen Stückgutfrachters nicht mehr wollte.
»Jetzt geht der ganze Zauber von vorne los.« Kapitän Helmut Weiß lachte und legte seinem Ersten Offizier eine Hand auf die Schulter. Die beiden Männer standen auf der Brücke des Kreuzfahrt-Riesen. Und obwohl die sich rund zwanzig Meter über der Wasseroberfläche befand, hätte man von dort die wartenden Passagiere im vollverglasten Terminal auf selber Höhe fast anfassen können. Zweitausend Urlaubshungrige warteten darauf, endlich ihr schwimmendes Luxushotel betreten zu dürfen; ebenso viele hatten den Urlaub hinter und den Heimweg noch vor sich. »Dreißig Jahre Seefahrt ... da hat sich einiges verändert.«
Claude Bernard schaute seinen Kapitän fragend an, aber der gab keine Antwort. »Für mich hat sich nur eines geändert: Die Schiffe sind größer geworden und es werden immer mehr Leute.«
»Früher reichte den Passagieren Sonne, frische Seeluft und am Ende ein Kapitäns-Dinner ... damit waren die Leute zufrieden. Heute haben wir Wasserrutschen so breit wie Autobahnen an Bord, eine Kletterwand, die es mit der Zugspitze aufnehmen kann und ein 4D-Kino.« Weiß lachte verbittert. »Ich habe nicht mal eine Ahnung, was das ist.«
»Soll ich es Ihnen erklären?«
»Verzichte!«
»Verzeihung, Käpt’n.« Von hinten hatte sich ein weiterer Offizier hinzugesellt. »Wir haben das übliche Problem mit dem Reserve-Kühlraum. Der Chefkoch flucht schon wie ’ne alte Seemöwe.«
»Dann rufen Sie die Reederei an, die sollen uns sofort einen Techniker schicken. Ansonsten müssen wir gleich im Ärmelkanal fünfhundert Tonnen Obst und Gemüse über Bord werfen.«
»Mit trockenem Brot und Dauerwurst lassen sich unsere Passagiere wohl nicht abspeisen«, fügte der Erste Offizier lachend hinzu, nachdem sich sein Kollege wieder davongemacht hatte. »Haben Sie gehört, wer heute an Bord kommt?«
Der Kapitän nickte. Seine Augen verfolgten ein junges Paar mit Kinderwagen, das vor ihm – in schwindelerregender Höhe, aber gottlob hinter fingerdickem Sicherheitsglas – auf die Gangway zusteuerte. »Meinen Sie Geier?«
»Wen sollte ich sonst meinen?«
Helmut Weiß verzog das Gesicht. Mittlerweile gehörte seine komplette Aufmerksamkeit dem Ersten Offizier. »Soweit ich informiert bin, handelt es sich um einen Routine-Besuch. Machen Sie sich etwa Sorgen?« Der Kapitän zuckte mit den Schultern. »Wir haben doch nichts weiter zu verbergen. Oder?«
»Geier ist dafür bekannt, dass er auch was findet, wenn es nichts zu finden gibt.«
»Dann lassen Sie ihn einfach machen. Ich bin lange genug dabei ... und ich hab schon ganz andere Vögel überlebt, glauben Sie mir.«
***
»Das sieht nicht wie ein normaler Mord aus.« Nach einem ersten Blick auf die Leiche hatten Busch und Anja das Apartmenthaus in einer Seitenstraße des Volksdorfer Wegs fluchtartig wieder verlassen. »Was meinte Wegner: hundertfünfzig Pfund Hackfleisch?« Der junge Kommissar verzog gequält das Gesicht und deutete in Richtung Eingangstür. »Würde sagen, das war fast noch ’ne Untertreibung.«
»Wer stellt so was nur an?« Anja hatte sich weitestgehend im Griff. Sie hatte es sogar geschafft, den Mitarbeitern der Spurensicherung einige Fragen zu stellen. Aber deren Antworten boten – abgesehen von weiterer Verwirrung – keinen weiterführenden Hinweis.
Busch rang noch immer um Fassung. Er stand direkt neben einem Blumenbeet. Dessen dunkle, von jeglichem Unkraut befreite Erde, sprach für einen gewissenhaften Gärtner. »Wissen wir schon, was der Typ beruflich gemacht hat?«
Anja zückte ihr Tablet, wischte darauf herum und begann vorzulesen: »Eike Matzen, siebenunddreißig, geschieden, zwei Kinder ... laut Finanzamt Hamburg-Hansa war er Abteilungsleiter bei der Zulassungsstelle.« Einen Wisch weiter folgte die nächste Information. »In der Süderstraße.«
»Dann war’s garantiert ein wütender Kunde«, stellte Busch lachend fest. »Bei den Wartezeiten neuerdings.«
Anja schüttelte den Kopf. »Du musst nur einen Termin machen, Kollege. Mit Termin geht alles ganz schnell.« Sie wischte schon wieder auf ihrem Tablet herum. »Aber unserer lieber Herr Matzen hatte übrigens noch eine weitere Einnahmequelle ...«
»Und die wäre, Teuerste?«
»Bundesliga-Schiedsrichter. Also: Zweite Liga!«
Busch riss seiner Kollegin das Tablet aus der Hand. »Bist du sicher?«
Anja hatte sich abgewandt, denn Doktor Schmude war gerade aus der Eingangstür des Apartmenthauses getreten und schaute sich ratlos um.
»Ich hoffe, Sie suchen nach uns.« Anja näherte sich dem Rechtsmediziner mit langen Schritten und übte ihr schönstes Lächeln. »Hat Ihre erste Untersuchung der Leiche etwas ergeben?«
Schmude schüttelte den Kopf; darüber hinaus wirkte er völlig abwesend. »Eigentlich halte ich nur nach meinem Fahrer Ausschau. Möchte mal wissen, wo der wieder steckt.«
Anja packte die Gelegenheit beim Schopfe: »Können Sie schon etwas über die Todesursache sagen?«
Schmude holte tief Luft, doch es wollte zunächst nichts herauskommen.
»Wir könnten einen ersten Hinweis gut gebrauchen«, flüsterte Anja mit der Stimme eines jungen Mädchens. Dazu stupste sie dem Rechtsmediziner, der ebenso gut ihr Opa hätte sein können, freundschaftlich in die Seite. »Sie haben doch schon eine erste Meinung, oder?«
»Können Sie nicht auf meinen Bericht warten?« Schmude sah nicht nur genervt aus, er klang auch genauso. Abgesehen davon schien der Mann gegen Freundlichkeit und Flirtversuche immun zu sein.
Anja quengelte weiter: »Nur Ihr erster Eindruck ... mehr nicht.«
»Wenn ich jetzt eine Prognose wage, kann ich mir hinterher wieder das Gemaule von Ihrem Chef anhören.«
»Trotzdem: Ich sehe Ihnen doch an, dass Sie schon eine erste Vermutung haben.« Anja lächelte noch immer. Anderenorts wäre ein Eisberg geschmolzen. Sie lehnte sich dem Doktor entgegen. »Ein Experte wie Sie hat doch immer einen Trumpf in der Hinterhand. Kommen Sie ... nur ein kleiner Hinweis, dann helfe ich Ihnen auch dabei, Ihren Fahrer zu suchen.«
»Das war keine spontane Tat aus Wut oder Eifersucht«, begann der Rechtsmediziner ebenso leise. »Das war eine Hinrichtung. So was sieht man sonst nur im Fernsehen, wenn die mexikanischen Drogenkartelle aufeinander losgehen.«
Anja schwieg beharrlich. Wobei ihr Gesicht nicht mehr ganz so fröhlich wirkte, denn nun folgten vermutlich Details.
»Man hat diesen Herrn Matzen zuerst nach allen Regeln der Kunst zusammengeschlagen. Sie werden in seinem Körper kaum einen unversehrten Knochen finden.«
»Das Suchen überlasse ich lieber Ihnen«, gab Anja mit unsicherem Lachen zurück. »Noch etwas?«
Doktor Schmude nickte vorsichtig. »Ich schätze den Todeszeitpunkt auf zwei Uhr heute Nacht, höchstens drei. Und weil sein Mörder Herrn Matzen von oben bis unten aufgeschlitzt hat, konnte ich mir gleich ein Bild von seinem Mageninhalt machen.«
Anja zuckte mit den Schultern. Das reichte hoffentlich für eine Fortsetzung.
»Der Mann war – Entschuldigung, ich kann es nicht anders sagen – vollgefressen! Ich mache meinen Job schon einige Jahre, aber so viel unverdautes Essen habe ich noch in keinem Magen gefunden.«
»Und Sie meinen vermutlich, dass das mitten in der Nacht eher ungewöhnlich ist, richtig?« Anja hatte einen kleinen Schritt zurückgemacht und schaute den Rechtsmediziner halb verwirrt, halb angewidert an. »Haben Sie eine Erklärung dafür?«
Schmude zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung. Von mir bekommen Sie nur Tatsachen. Den Rest müssen Sie schon alleine herausfinden.« Er verzog das Gesicht zu einem schrägen Grinsen. »Außerdem haben Sie doch Ihren Herrn Wegner.«
»Was meinen Sie damit?«, erkundigte sich Anja stirnrunzelnd.
»Ganz einfach: Ihr Chef weiß doch immer alles besser. Und wenn nicht, dann haut er so lange obendrauf, bis unten die Wahrheit rausfällt.«
»Da müssen Sie einen anderen meinen«, erwiderte Anja lachend.
Doktor Schmude verzichtete auf eine Widerrede. Er hatte offensichtlich seinen Fahrer gefunden und fluchte dem schon entgegen: »Können wir endlich losfahren?«
»Was hat der denn?«, wollte Busch wissen, als er sich kurz darauf zu Anja gesellte.
»Nichts Besonderes. Aber ich glaube, Wegner und er werden keine Freunde mehr.«
»Und wie kommst du darauf, weise Kollegin?«
Anja lächelte geheimnisvoll. »Keine Ahnung ... ist nur so ein Gefühl.«