Mord (und Baklava) (London Roses Europareise – Band 1) - Blake Pierce - E-Book

Mord (und Baklava) (London Roses Europareise – Band 1) E-Book

Blake Pierce

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Beschreibung

"Wenn man denkt, dass das Leben nicht besser werden kann, kommt Blake Pierce mit einem weiteren Meisterwerk an Spannung und Geheimnis daher! Dieses Buch ist voller Wendungen und am Ende gibt's eine überraschende Enthüllung. Sehr empfehlenswert für die Dauerbibliothek eines jeden Lesers, der einen sehr gut geschriebenen Thriller zu schätzen weiß." --Books and Movie Review (über 'So Gut Wie Vorüber')   MORD (UND BAKLAVA) ist der Debütroman der charmanten, neuen Cosy-Krimi-Reihe des #1 Bestsellerautors Blake Pierce, dessen Buch 'Verschwunden' über 1.500 Fünf-Sterne-Rezensionen bekommen hat.   Als London Rose, 33, von ihrem langjährigen Freund einen Heiratsantrag erhält, wird ihr klar, dass sie einem stabilen, vorhersehbaren, vorherbestimmten (und leidenschaftslosen) Leben gegenübersteht. Sie flippt aus, rennt in die andere Richtung - und nimmt stattdessen einen Job jenseits des Atlantiks an, als Reiseleiterin auf einer europäischen High-End-Kreuzfahrtlinie, die täglich durch ein anderes Land fährt. London ist auf der Suche nach einem romantischen, ungeschriebenen und aufregenden Leben, von dem sie sich sicher ist, dass es irgendwo da draußen existiert.   London ist begeistert: Die europäischen Flussstädte sind klein, historisch und charmant. Jeden Abend sieht sie einen neuen Hafen, probiert eine endlose Reihe von neuen Gerichten und trifft einen Strom interessanter Leute. Es ist der Traum eines Reisenden - und alles andere als vorhersehbar.   Aber als ein wohlhabender, anspruchsvoller Passagier außerhalb von Budapest plötzlich tot aufgefunden wird, ist die Kreuzfahrt ein bisschen zu unberechenbar geworden. Schlimmer noch: Als letzte Person, die ihn lebend gesehen hat, fällt der Verdacht auf London. Ihr bleibt keine andere Wahl, als das Verbrechen aufzuklären (mit ihrem neuen Gefährten, einem verwaisten Hund), um ihre Kreuzfahrtgesellschaft und sich selbst zu retten.   Zum Lachen komisch, romantisch, liebenswert, voller neuer Sehenswürdigkeiten, Kultur und Essen: MORD (UND BAKLAVA) bietet eine lustige und spannende Reise durch das Herz Europas, verankert in einem faszinierenden Mysterium, das euch bis zur allerletzten Seite in seinen Bann ziehen wird.   Buch #2 (TOD UND APFELSTRUDEL) und Buch #3 (VERBRECHEN UND LAGERBIER) der Serie sind jetzt ebenfalls erhältlich.  

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2020

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M O R D

(U N D   B A K L A V A)

London Roses Europareise, Band 1

B L A K E   P I E R C E

Aus dem Englischen von Oliver Hoffmann

Blake Pierce

Blake Pierce ist die Autorin der RILEY-PAGE-Bestsellerreihe, die siebzehn Krimis um die FBI-Spezialagentin umfasst. Aus ihrer Feder stammt außerdem die vierzehnbändige MACKENZIE-WHITE- Krimiserie. Darüber hinaus sind von ihr die Krimis um AVERY BLACK (sechs Bände), KERI LOCKE (fünf Bände), die Krimiserie das MAKING OF RILEY PAIGE (sechs Bände), die KATE-WISE- Krimiserie (sieben Bände), die Psychothriller um JESSIE HUNT (vierzehn Bände), die Psychothriller-Trilogie AU PAIR, die ZOE-PRIME-Krimiserie (bislang fünf Bände), die neue Krimireihe um ADELE SHARP und die Cosy-Krimi-Reihe LONDON ROSES EUROPAREISE, deren erster Band hier vorliegt, erschienen.

Als begeisterte Leserin und lebenslanger Fan des Krimi- und Thriller-Genres freut sich Blake immer, von ihren Leserinnen und Lesern zu hören. Bitte besuchen Sie www.blakepierceauthor.com, um mehr zu erfahren und in Kontakt zu bleiben

Copyright © 2020 by Blake Pierce. Alle Rechte vorbehalten. Vorbehaltlich der Bestimmungen des U.S. Copyright Act von 1976 darf kein Teil dieser Publikation ohne vorherige Genehmigung des Autors in irgendeiner Form oder mit irgendwelchen Mitteln reproduziert, verteilt oder übertragen oder in einer Datenbank oder einem Abfragesystem gespeichert werden. Dieses eBook ist nur für Ihren persönlichen Gebrauch lizenziert. Dieses eBook darf nicht weiterverkauft oder an andere Personen weitergegeben werden. Wenn Sie dieses Buch mit einer anderen Person teilen möchten, kaufen Sie bitte für jeden Empfänger ein zusätzliches Exemplar. Wenn Sie dieses Buch lesen und Sie es nicht gekauft haben, oder es nicht nur für Ihren Gebrauch gekauft wurde, dann senden Sie es bitte zurück und kaufen Sie Ihre eigene Kopie. Vielen Dank, dass Sie die harte Arbeit dieses Autors respektieren. Dies ist eine erfundene Geschichte. Namen, Charaktere, Unternehmen, Organisationen, Orte, Ereignisse und Vorfälle sind entweder das Ergebnis der Phantasie des Autors oder werden fiktiv verwendet. Jede Ähnlichkeit mit tatsächlichen Personen, ob lebendig oder tot, ist völlig zufällig. Jacket image Copyright Abie Aguiar, verwendet unter der Lizenz von Shutterstock.com.

BÜCHER VON BLAKE PIERCE

LONDON ROSES EUROPAREISE

MORD (UND BAKLAVA) (Band #1)

ADELE SHARP MYSTERY-SERIE

NICHTS ALS STERBEN (Band #1)

NICHTS ALS RENNEN (Band #2)

NICHTS ALS VERSTECKEN (Band #3)

DAS AU-PAIR

SO GUT WIE VORÜBER (Band #1)

SO GUT WIE VERLOREN (Band #2)

SO GUT WIE TOT (Band #3)

ZOE PRIME KRIMIREIHE

GESICHT DES TODES (Band #1)

GESICHT DES MORDES (Band #2)

GESICHT DER ANGST (Band #3)

GESICHT DES WAHNSINNS (Band #4)

JESSIE HUNT PSYCHOTHRILLER-SERIE

DIE PERFEKTE FRAU (Band #1)

DER PERFEKTE BLOCK (Band #2)

DAS PERFEKTE HAUS (Band #3)

DAS PERFEKTE LÄCHELN (Band #4)

DIE PERFEKTE LÜGE (Band #5)

DER PERFEKTE LOOK (Band #6)

DIE PERFEKTE AFFÄRE (Band #7)

DAS PERFEKTE ALIBI (Band #8)

DIE PERFEKTE NACHBARIN (Band #9)

CHLOE FINE PSYCHOTHRILLER-SERIE

NEBENAN (Band #1)

DIE LÜGE EINES NACHBARN (Band #2)

SACKGASSE (Band #3)

STUMMER NACHBAR (Band #4)

HEIMKEHR (Band #5)

GETÖNTE FENSTER (Band #6)

KATE WISE MYSTERY-SERIE

WENN SIE WÜSSTE (Band #1)

WENN SIE SÄHE (Band #2)

WENN SIE RENNEN WÜRDE (Band #3)

WENN SIE SICH VERSTECKEN WÜRDE (Band #4)

WENN SIE FLIEHEN WÜRDE (Band #5)

WENN SIE FÜRCHTETE (Band #6)

WENN SIE HÖRTE (Band #7)

DAS MAKING OF RILEY PAIGE MYSTERY-SERIE

BEOBACHTET (Band #1)

WARTET (Band #2)

LOCKT (Band #3)

NIMMT (Band #4)

LAUERT (Band #5)

TÖTET (Band #6)

RILEY PAIGE MYSTERY-SERIE

VERSCHWUNDEN (Band #1)

GEFESSELT (Band #2)

ERSEHNT (Band #3)

GEKÖDERT (Band #4)

GEJAGT (Band #5)

VERZEHRT (Band #6)

VERLASSEN (Band #7)

ERKALTET (Band #8)

VERFOLGT (Band #9)

VERLOREN (Band #10)

BEGRABEN (Band #11)

ÜBERFAHREN (Band #12)

GEFANGEN (Band #13)

RUHEND (Band #14)

GEMIEDEN (Band #15)

VERMISST (Band #16)

AUSERWÄHLT (Band #17)

EINE RILEY PAIGE KURZGESCHICHTE

EINST GELÖST

MACKENZIE WHITE MYSTERY-SERIE

BEVOR ER TÖTET (Band #1)

BEVOR ER SIEHT (Band #2)

BEVOR ER BEGEHRT (Band #3)

BEVOR ER NIMMT (Band #4)

BEVOR ER BRAUCHT (Band #5)

EHE ER FÜHLT (Band #6)

EHE ER SÜNDIGT (Band #7)

BEVOR ER JAGT (Band #8)

VORHER PLÜNDERT ER (Band #9)

VORHER SEHNT ER SICH (Band #10)

VORHER VERFÄLLT ER (Band #11)

VORHER NEIDET ER (Band #12)

VORHER STELLT ER IHNEN NACH (Band #13)

VORHER SCHADET ER (Band #14)

AVERY BLACK MYSTERY-SERIE

DAS MOTIV (Band #1)

LAUF (Band #2)

VERBORGEN (Band #3)

GRÜNDE DER ANGST (Band #4)

RETTE MICH (Band #5)

ANGST (Band #6)

KERI LOCKE MYSTERY-SERIE

EINE SPUR VON TOD (Band #1)

EINE SPUR VON MORD (Band #2)

 

Inhalt

KAPITEL EINS

KAPITEL ZWEI

KAPITEL DREI

KAPITEL VIER

KAPITEL FÜNF

KAPITEL SECHS

KAPITEL SIEBEN

KAPITEL EIGHT

KAPITEL NEUN

KAPITEL ZEHN

KAPITEL ELF

KAPITEL ZWÖLF

KAPITEL DREIZEHN

KAPITEL VIERZEHN

KAPITEL FÜNFZEHN

KAPITEL SECHZEHN

KAPITEL SIEBZEHN

KAPITEL ACHTZEHN

KAPITEL NEUNZEHN

KAPITEL ZWANZIG

KAPITEL EINUNDZWANZIG

KAPITEL ZWEIUNDZWANZIG

KAPITEL DREIUNDZWANZIG

KAPITEL VIERUNDZWANZIG

KAPITEL FÜNFUNDZWANZIG

KAPITEL SECHSUNDZWANZIG

KAPITEL SIEBENUNDZWANZIG

KAPITEL ACHTUNDZWANZIG

KAPITEL NEUNUNDZWANZIG

KAPITEL DREIßIG

KAPITEL EINDUNDDREIßIG

KAPITEL ZWEIUNDDREIßIG

KAPITEL DREIUNDDREIßIG

KAPITEL VIERUNDDREIßIG

 

KAPITEL EINS

London Rose spürte, wie Luft aus ihrer Lunge entweichen wollte.

Nicht gähnen, ermahnte sie sich streng. Was auch immer du tust, du darfst nicht gähnen.

Sie wollte nicht noch auffälliger demonstrieren, dass sie gelangweilt war. Aber ihr Freund, Ian Mitchell, schien es nicht mitbekommen zu haben. Er redete nur weiter unaufhörlich – und nervös – über seine Buchhaltungsfirma.

„Ich spreche von der Zukunft, London“, sagte Ian gerade, „und ich glaube, sie sieht sehr gut aus.“

Das Gähnen brach in sich zusammen.

Die Zukunft, dachte London.

Sie wünschte, sie hätte Ians Vertrauen in die Zukunft. Noch hatte sie ihm nicht erzählt, dass sie allen Grund zu der Annahme hatte, bald arbeitslos zu sein. Sie wünschte, sie müsste es ihm überhaupt nicht anvertrauen.

Es könnte perfekt in seine Pläne passen, überlegte sie, während er weitersprach.

„Weißt du, man hat mich gebeten, alle Bücher für die Übernahme und Fusion meiner Firma vorzubereiten …“

Sie war jetzt etwa ein Jahr mit Ian zusammen und sah ihn jedes Mal, wenn sie in New Haven war, aber sonst redete er nicht wie ein Wasserfall. Sie hatte einen unschönen Verdacht, warum das an diesem Abend anders war.

„Alles in allem“, fuhr Ian fort, „scheint mir die absehbare Zukunft der Firma wirklich rosig …“

London war sicher, dass Ian auf etwas Bestimmtes hinauswollte und auf seine ungeschickte Art und Weise darauf hinarbeitete. Sie hatte geahnt, was er vorhatte, als er ihr gesagt hatte, er habe einen Tisch im Les Chambres reserviert, einem der besten und teuersten Restaurants New Havens. Sie war vor ein paar Jahren schon einmal hier gewesen, war aber noch nie zuvor durch das Labyrinth der Speiseräume in eine lauschige Nische geführt worden.

Sie und Ian hatten sogar einen eigenen kleinen Kamin. Die Maiabende in Connecticut konnten ein Feuerchen durchaus rechtfertigen, wenn man auf diese Art Ambiente stand.

Die Szenerie war perfekt, Feuerschein, Kerzenlicht, das weiche Licht der Wandleuchten, Wände in warmen Braun- und Cremetönen und bequeme Sessel an einem kleinen, elegant gedeckten Tisch.

Das Essen war spektakulär gewesen – geeiste englische Erbsensuppe mit in Minze mariniertem Ziegenkäse, gefolgt von wunderbaren Hummertortellini.

Das Tischgespräch hingegen ließ zu wünschen übrig.

Ian redete immer noch über Berufliches.

„… weißt du, ich habe mal eine Jahresvorschau für die Firma erstellt …“

Während London sich Mühe gab, ihm zuzuhören, stocherte sie mit der Gabel in ihren Choux Profiteroles herum. Die winzigen Windbeutel, die man ihnen zum Nachtisch serviert hatte, zerbröselten auf exquisite Art und Weise und waren innen herrlich fluffig. Sie probierte, und das Dessert zerging ihr praktisch auf der Zunge.

Köstlich, dachte sie.

Sie hatte die Welt bereist, an Hunderten unterschiedlichen Orten die köstlichsten Speisen gekostet und war zu Recht stolz auf ihr Urteilsvermögen, was Spitzenküche anging.

Tatsächlich war der Choux Profiterole so leicht und zart, dass es beinahe ein Wunder war, dass er nicht davonschwebte. Zweifellos würde sie ihn wie den Rest des Menüs trotz der misslichen Begleitumstände genießen können.

Sie wünschte nur, der Abend würde nicht so ausgehen, wie sie es befürchtete.

„… und wir entwerfen gerade einen Zehnjahres- und einen Zwanzigjahresplan“, fuhr Ian fort.

Plötzlich hielt er inne.

Wird er mich jetzt fragen?

Es würde nach dem, was er bisher erzählt hatte, ziemlich aus dem Zusammenhang gerissen wirken.

Er sah sie eindringlich an und schenkte ihr das wärmste Lächeln, das er zustande brachte.

„Weißt du, in unserer Branche geht es vornehmlich um Stabilität. Berechenbarkeit.“

Er beugte sich über den Tisch zu ihr herüber und murmelte: „Ich finde das beides wichtig – nicht nur in geschäftlichen Zusammenhängen, sondern auch in zwischenmenschlichen.“

Wieder hielt er inne und setzte dann bedeutungsschwer hinzu: „Du nicht?“

London schluckte krampfhaft.

Was um alles in der Welt soll ich sagen?

Zum Glück näherte sich ihr hochnäsiger französischer Kellner dem Tisch, ehe sie sich an einer Antwort versuchen konnte.

„Ist alles zu Ihrer Zufriedenheit, Madame, Monsieur?“, fragte er mit starkem Akzent.

Ehe London den Mund öffnen konnte, um ihm zu sagen, dass alles perfekt gewesen war, ließ sich Ian vernehmen: „Madame und ich hätten gerne jeweils ein Glas Ihres besten Cognacs.“

„Sehr wohl, Monsieur.“

Als der Kellner verschwunden war, lachte Ian gezwungen.

„Der Kellner hat dich Madame genannt“, amüsierte er sich.

Du auch, hätte London am liebsten gesagt.

„Nun ja, ich werde auch nicht jünger“, erwiderte sie stattdessen. „Ich schätze, die Zeiten, zu denen mich alle Franzosen automatisch Mademoiselle genannt haben, sind vorbei.“

Obgleich man mit vierunddreißig auch noch nicht gerade kurz vor der Vergreisung steht, hätte sie beinahe hinzugesetzt.

„Oh, ich glaube nicht, dass das etwas mit dem Alter zu tun hat“, widersprach Ian. „Du bist nach wie vor jung und schön. Das sieht der Kellner sicher auch so.“

Trotz des Kompliments fühlte sich London nicht besser. Leider war ihr klar, dass der Kellner Ian eine Steilvorlage geliefert hatte. Wenn es nach Ian ging, konnten Franzosen sie für den Rest ihres Lebens Madame nennen. Viele andere Leute würden Sie mit Mrs ansprechen, egal, wie altmodisch das war.

Ian lächelte sie wissend an und sagte: „Wenn du mich fragst, hat dich Marcel Madame genannt, weil wir einfach aussehen wie ein Paar.“

„Glaubst du?“, fragte London.

„Oh, ich bin mir sicher.“

London musste zugeben, dass er wahrscheinlich recht hatte.

Aber war das denn so schlimm?

Warum konnte sie etwas Gutes, das ihr widerfuhr, nicht einfach akzeptieren? Was konnte falsch daran sein, einen Inbegriff der Stabilität wie Ian Mitchell zu heiraten? Eigentlich hätte sie zu schätzen wissen müssen, dass er sich auf seine unelegante Weise bemühte, diesen Abend zu etwas wirklich Besonderem zu machen. Das Essen war ja auch tatsächlich großartig gewesen.

Aber dieses ganze Gerede von Berechenbarkeit setzte ihr ganz schön zu, denn darum war es ihr im Leben noch nie gegangen. Sie hatte immer mehr zu Spontaneität und Abenteuer geneigt. Aber an diesem Abend fragte sich London, ob der Rat ihrer älteren Schwester vielleicht doch gut war. Offenbar kam sie langsam in ein Alter, in dem man seine Abenteuerlust etwas zügeln sollte.

Wäre das so schlimm?

Mir bleiben doch auf jeden Fall meine Erinnerungen – und meine Geschichten.

Ian und sie verstummten für einen Augenblick. London wünschte sich langsam, er würde sie endlich fragen. Sie setzte darauf, dass es ihr irgendwie gelingen würde, einen angemessen ekstatischen, wenn auch nicht ganz ehrlichen Laut der Überraschung auszustoßen und dann atemlos zwei-, drei- oder viermal ja zu sagen.

Wie schade, dass keine anderen Gäste in der Nähe waren, die hätten applaudieren können. Dann wäre die Szene perfekt gewesen.

Warum sollte ich nicht ja sagen?

Vor einem Jahr, als ihre Schwester Tia sie mit Ian verkuppelt hatte, hatte sie ihn noch nicht so langweilig gefunden. Das war unmittelbar nach dem schrecklichen Jahr gewesen, in dem London mit Albert zusammen gewesen war, einem charmanten, gebildeten, wohlhabenden Tunichtgut – und absolut exzentrischen Narzissten. Nach ihrer unschönen Trennung war sie mehr als bereit gewesen, sich auf einen praktisch veranlagten, beständigen Mann einzulassen.

Vielleicht war dies ja sogar ein ganz passender Zeitpunkt, um sich zu binden. Sie war gerade von ihrem jüngsten Job als Gästebetreuerin bei einer Karibik-Kreuzfahrt zurückgekehrt. Die elftägige Reise nach Yucatán dürfte ihr letzter Einsatz bei Epoch World Cruise Lines gewesen sein, dessen war sie ziemlich sicher. Gerüchteweise stand die einst florierende Firma vor dem Ruin, sie konnte der sich verschärfenden Konkurrenz unter den Kreuzfahrtanbietern nicht mehr standhalten.

Tatsächlich hatte sie gerade ein paar Stunden zuvor eine SMS von Jeremy Lapham erhalten, dem Geschäftsführer der Schifffahrtslinie, in der er sie für den nächsten Morgen um ein Videomeeting bat.

Wahrscheinlich, um mich zu feuern, dachte sie.

Das würde ein trauriger Meilenstein eines bisher ziemlich ereignisreichen Lebens sein – das Ende einer „Epoche“ sozusagen. Im Augenblick hatte London keine Vorstellung davon, wie ihre Zukunft aussehen würde.

Plötzlich kamen ihr die Choux Profiteroles gar nicht mehr so süß vor.

Aber vielleicht war es Zeit, dass ein wenig Alltag in ihrem Leben Einzug hielt. Praktisch veranlagt und beständig hatte bestimmt auch seine Vorteile. Außerdem fand sie Ian nach wie vor gutaussehend. Mit seinem attraktiven, stets gut rasierten Gesicht strahlte er eine schlichte Ernsthaftigkeit aus – im Gegensatz zu Albert, an dem London zuerst seine unglaubliche Glätte aufgefallen war. An diesem Abend sah Ian besonders gut aus, er hatte seinen besten Anzug mit Weste an.

Wahrscheinlich sahen sie zusammen tatsächlich ziemlich gut aus. London trug eines ihrer schönsten Outfits, ein langes Chiffonkleid mit züchtigem Oberteil, das am Saum einen knallbunten, floralen Druck aufwies. Sie hatte ihr kurzes, kastanienbraunes Haar sogar so frisiert, dass es wirkte, als seien ihre Locken absichtlich so gestylt und nicht einfach vom Wind zerzaust.

Während sie diesem Gedanken nachhing, spürte London eine Veränderung in Ians Verhalten. Der arme Kerl schwitzte auf einmal und fuhr sich mit dem Finger unter den Kragen, als sei ihm der plötzlich zu eng, und er bekäme nicht richtig Luft.

Bitte bring es endlich hinter dich, dachte sie.

„London, was ich sagen will …“

Er verstummte.

„Ich glaube, ich weiß, worauf du hinauswillst“, half ihm London so sanft sie konnte aus der Patsche. „Das Geschäftsleben und zwischenmenschliche Beziehungen sind einander gar nicht so unähnlich, nicht wahr?“

Er lachte leise und selbstironisch.

„Wenn ich es doch nur so hätte auf den Punkt bringen können“, stimmte er ihr zu.

Auf den Punkt wäre gut gewesen, dachte London.

Doch sie merkte schnell, dass er immer noch nicht so weit war.

„London, als meine Eltern etwa in unserem Alter waren, haben sie … fusioniert, ganz ähnlich, wie ich es derzeit für meine Firma plane.“

Fusioniert?, dachte London und versuchte verzweifelt zu verhindern, dass ihr die Kinnlade herunterfiel.

„Weißt du, was zeitlebens ihr Geheimnis war?“, fuhr Ian fort. „Planung. Von Anfang an haben sie ihr gemeinsames Leben bis ins kleinste Detail geplant. Das möchte ich ab heute Abend auch mit dir gemeinsam tun – planen.“

London spürte, wie sie erbleichte.

Planen?

Es war noch schlimmer, als sie befürchtet hatte.

Sie hatte in ihrem ganzen Leben noch nie ernsthaft etwas geplant.

Ian setzte hinzu: „Du weißt ja, was für eine produktive, gedeihliche und glückliche Fusion die Ehe meiner Eltern war.“

London hatte keine Ahnung. Sie hatte Ians Eltern nur ein paarmal getroffen, und da waren ihr die beiden vorgekommen wie Androiden – nicht nur London, sondern allen Menschen, sogar einander gegenüber, distanziert. London war Ians Elternhaus vorgekommen wie direkt aus Die Dämonischen, dem Film, in dem außerirdische Invasoren alle Bewohner einer kalifornischen Stadt durch gefühllose Doppelgänger ersetzten.

Ian hob meditativ den Blick zur Decke.

„Ich glaube, jetzt, wo das zweite Quartal endet und die Zinsen tiefer sind denn je, ist der richtige Zeitpunkt gekommen, ein Haus anzuzahlen …“

London fröstelte heftig.

„Wir werden besonders am Anfang sparsam leben müssen“, fuhr er fort. „Ganz bescheiden, und am besten in derselben Gegend wie Tia und Bernard. Da ist auch ganz in der Nähe eine gute Schule. Ein einstöckiges Haus reicht. Keine Treppen, damit wir für die nächsten fünfzig Jahre nicht mehr umziehen müssen. Nach zwei Jahren kriegen wir dann ein Kind, zwei Jahre später das zweite und weitere zwei Jahre später …“

Drei Kinder?, fragte sich London.

Über Kinder hatte sie noch gar nicht nachgedacht. Sie waren immer eine abstrakte Möglichkeit gewesen, nie eine geplante Priorität.

„Wir sollten den Augenblick nutzen“, sprach er weiter. „Gerade ist ein optimaler Zeitpunkt für Ausbildungsversicherungen für die Kinder und Ratenkäufe. Wir können auch schon mal festlegen, auf welche Schulen sie gehen sollen, vom Kindergarten bis zum College.“

Er kratzte sich nachdenklich am Kinn.

„Wir erfreuen uns bester Gesundheit, ich bin sicher, wir werden beide locker über neunzig.“

London fröstelte, als sie versuchte, sich all die Jahrzehnte sorgsam abgewogener und eingeteilter Freuden vorzustellen. Sie hoffte bloß, er hatte nicht auch schon eine Grabstätte reserviert und einen Stein ausgesucht. Zum Glück endete sein Monolog, ehe er über mögliche letzte Worte sinnieren konnte. Er schwitzte immer mehr und sah aus, als sei er gerade ein paar Kilometer gerannt.

Ian klang jetzt ein wenig heiser.

„London … was ich zu sagen versuche, ist … ich würde mich tief geehrt fühlen, wenn du diese …“

„Fusion?“, fragte London.

Er lächelte und nickte achselzuckend, offenbar fehlten ihm die Worte.

„Äh, Ian … was war das denn gerade? Hast du mir gerade … die große Frage gestellt?“

Ian kniff nachdenklich die Augen zusammen.

„Naja, schon irgendwie. ‘Die große Frage stellen’ ist eine ziemlich gute Formulierung.“

Er fasste in die Jacketttasche, entnahm ihr ein kleines, schwarzes Schächtelchen und öffnete es.

Darin befand sich natürlich ein Diamantring.

„London Rose, willst du … dein Leben mit meinem fusionieren?“

Während Londons Welt vor ihren Augen verschwamm, kehrte der Kellner mit zwei Kristallschwenkern mit Cognac an ihren Tisch zurück. Ian hob sein Glas zu einem Trinkspruch. Aber London konnte sich nicht beherrschen und nahm einen unangemessen großen Schluck. Sie hatte das Gefühl, sie würde noch mindestens einen weiteren Cognac brauchen, um den Rest dieses Abends zu überstehen.

Aber bis dahin …

Was um alles in der Welt soll ich sagen?

KAPITEL ZWEI

 

Tias Stimme ging in den Explosionen beinahe unter.

„Du hast was gesagt?“, verlangte Londons Schwester zu wissen. Sie musste beinahe schreien, weil die Kinder einen solchen Lärm veranstalteten.

„Ich habe gesagt, ich denke darüber nach.“ London hob ebenfalls die Stimme.

„Was gibt's denn da nachzudenken? Ian ist perfekt für dich!“

Mit ihrer älteren Schwester zu streiten fühlte sich für London oft an wie eine Diskussion mit ihrem Spiegelbild, aber nicht mit einem aktuellen, sondern mit einem, wie es vielleicht eines Tages aussehen würde. Tia sah ihr sehr ähnlich, hatte aber ein paar Falten mehr auf der Stirn, war ein paar Kilo schwerer und trug das dunklere Haar modisch glatt.

London machte sich nicht die Mühe, ihr verzweifeltes Seufzen zu unterdrücken. Es ging ohnehin im Lärm aus dem Wohnzimmer nebenan unter. Tias Töchter, die zehnjährige Stella und die zwölfjährige Margie, spielten ein Kriegsspiel, für das sie den Fernseher als Monitor nutzten, und jagten Dinge in die Luft.

Zumindest bedienen sie keine Geschlechterklischees, dachte London.

Andererseits musste sie zugeben, dass Prinzessinnenkostüme, Barbies und Teepartys deutlich weniger Krach gemacht hätten.

Es war der Morgen nach dem peinlichen Abendessen mit Ian. Wie so oft wohnte London zwischen zwei Seereisen bei ihrer Schwester. Diesmal aber fragte sie sich, wo sie unterkommen sollte, wenn sie keinen Anschlussjob bekam. Würde sie die Hotels und das Gästezimmer ihrer Schwester aufgeben und sich eine eigene Wohnung suchen müssen?

Oder werde ich …?

Schließlich war Ian nach wie vor eine Option.

Inmitten des Haushaltsdurcheinanders war es Tia gelungen, einen großen Teller voller leicht zerrupft aussehender Pfannkuchen zu backen. Ein chaotisches Frühstück mit den Kindern war gerade zu Ende gegangen, und die beiden Mädchen waren nach nebenan ins Wohnzimmer gestürmt.

Das hatte den Schwestern zum ersten Mal an diesem Morgen Gelegenheit gegeben, sich ernsthaft zu unterhalten, und Tia hatte die Nachricht von Londons Unentschlossenheit überhaupt nicht gut aufgenommen. Während London jetzt mit den Sirupresten auf ihrem Teller herumspielte, sprang Tia auf und begann, in der Küche herumzuräumen.

„Lass mich das machen“, rief London. „Gib mir nur einen Augenblick.“ Aufgrund irgendeines schwarzmagischen Küchenfluchs schien in der Spüle und auf den Arbeitsplatten mehr schmutziges Geschirr herumzustehen, als die Spülmaschine jemals würde bewältigen können.

„Oh, ich bin das gewohnt“, flötete Tia. „Frühstücke du in Ruhe zu Ende. Nach ein paar Jahren geht einem das in Fleisch und Blut über.“

Sie versuchten beide, Tias siebenjährigen, flachsblonden Sohn Bret zu ignorieren, der neben dem Tisch stand und London schweigend anstarrte.

„Was hast du sonst noch gesagt?“, fragte Tia im Vorüberwirbeln und schnappte sich eine Handvoll schmutzigen Geschirrs, das irgendwie auf einem Küchenstuhl gelandet war.

Was habe ich geantwortet?, fragte sich London. Sie sah sich im Zimmer um und ignorierte den schweigenden Jungen nach wie vor.

Sie wusste es nicht mehr so genau. An den Vorabend erinnerte sie sich nur noch verschwommen. London fragte sich, ob sie aufgrund von Ians Heiratsantrag tatsächlich unter Schock gestanden hatte.

„Ich glaube … ich habe gesagt … ich sei sehr …“

Tia riss die Augen auf, während London sich an den genauen Wortlaut zu erinnern versuchte.

„Oh nein, London. Erzähl mir nicht, du hast ‚geschmeichelt‘ gesagt. Das wäre gleich in mehrerlei Hinsicht eine Katastrophe. ‚Geschmeichelt‘ würde implizieren, dass du an der Ernsthaftigkeit von Ians Gefühlen zweifelst. Abgesehen von seinen vielen anderen Tugenden ist Ian die Ehrlichkeit in Person.“

Das wäre nun nicht gerade der Begriff gewesen, den London gewählt hätte, aber …

Auf seine Art und Weise ist er schon ehrlich.

Was das Wort ‚geschmeichelt‘ anging, war London allerdings ganz Tias Meinung. Egal, wie überrumpelt sie gewesen war, sie hatte sicher nicht ‚geschmeichelt‘ gesagt.

„Ich glaube … ich habe gesagt … ich sei gerührt.“

„‘Gerührt‘?“, wiederholte Tia und schnappte sich ein paar Gabeln, die auf magische Weise auf dem Boden aufgetaucht zu sein schienen. „Du hast gesagt, du seist ‚gerührt‘? Was soll das denn heißen? Hast du nicht vielleicht ‚durcheinander‘ gemeint?“

London zuckte die Achseln.

„Ich weiß nicht“, antwortete sie. „Einfach nur ‚gerührt‘, das ist alles.“

„Wie wäre es mit begeistert gewesen? Erfreut? Geehrt?“

Soweit London sich erinnerte, wären „begeistert“ und „erfreut“ keine passenden Adjektive zur Beschreibung ihrer Gefühlslage gewesen. Was ‚geehrt‘ anging, das war gar nicht so falsch. Sie hatte es tatsächlich als Kompliment aufgefasst, dass ein so grundsolider Typ wie Ian sie in seine präzisen, komplexen Pläne einschließen wollte. Aber ‚geehrt‘ hätte so … ja, wie denn eigentlich geklungen?

Viktorianisch vielleicht.

Schon allein die Vorstellung eines Heiratsantrags war für Londons Geschmack zu altmodisch. Aber Ian war wenigstens nicht niedergekniet und hatte dann den teuren Ring zum Vorschein gebracht. Nach all dem Gerede über Geschäfte hätte sie das vermutlich nervlich nicht ausgehalten.

Tia öffnete den Mund, um London noch weiter zu schelten, dann zuckte sie zusammen, als es nebenan besonders laut knallte.

Sie rief: „Mädels, das reicht jetzt mit dem Krieg, den ihr heute gegeneinander führt.“

Stella und Margie brachen unisono in ein Klagegeheul aus.

„Ach Mo-o-mmm …“

„Tante London und ich versuchen, uns zu unterhalten“, fügte Tia hinzu. „Aber wir können uns nicht mal selbst denken hören.“

Gehorsam schalteten die Mädchen ihr Spiel aus, aber London wusste genau, dass sie nicht auf dauerhaften Frieden und Stille hoffen durfte. Ein Schauer kroch ihr über den Rücken, und sie merkte, dass der starre Blick des kleinen Bret sie langsam, aber sicher aus der Ruhe brachte. Sie wurde den Eindruck nicht los, dass er aussah wie ein Kind aus einem anderen alten Science-Fiction-Film – Das Dorf der Verdammten.

Tatsächlich sahen für sie Tias Kinder alle aus, als könnten sie wie das außerirdische Gezücht in diesem Film mit ihren Gedanken Wände schmelzen lassen, wenn sie es wirklich versuchten. Sie alle hatten das glanzlose blonde Haar ihres Vaters geerbt.

Tia schenkte dem restlichen Küchenchaos keine Beachtung mehr, sondern goss ihnen beiden Kaffee nach und setzte sich London gegenüber.

„Hier unterhalten sich Erwachsene, Schatz“, wandte sich Tia an Bret.

„Okay“, sagte der.

Er regte sich nicht.

„Das bedeutet, du sollst uns bitte allein lassen, Schatz“, erklärte ihm Tia.

Er sah sie an, als hätte sie ihm sein Lieblingsspielzeug weggenommen.

„Aber ich kriege Tante London so selten zu sehen“, wandte er ein. „Immer ist sie unterwegs, irgendwo ganz weit weg.“

London verspürte einen Anflug von Schuldgefühlen.

Er vermisst mich wirklich, dachte sie.

Die Tatsache, dass sie dieses Gefühl nicht gerade erwiderte, verursachte ihr heftige Gewissensbisse.

„Tante London kommt uns besuchen, so oft sie kann, Süßer“, versicherte Tia und warf London einen missbilligenden Blick zu. „Sie ist doch jedes Jahr mehrmals hier.“

Bret regte sich noch immer nicht.

Er starrte London in rückhaltloser Bewunderung an und sagte: „Meine Freunde finden es cool, dass meine Tante Kapitänin ist.“

Tia tätschelte Brets Kopf.

„Äh, Bret, eigentlich ist London keine richtige Kapitänin“, korrigierte sie.

„Was dann? Eine Matrosin?“

London sah Tia an, dass sie die zutreffende Berufsbezeichnung gerade nicht parat hatte.

„Man nennt es ‚Gästebetreuerin‘, Schatz“, erläuterte sie Bret.

„Ist das so, wie wenn Mom eine Party gibt?“

London antwortete achselzuckend: „Nun ja, irgendwie schon.“

„Mit Geschenken und so?“

London hatte keine Ahnung, was sie dazu sagen sollte. Wie sollte sie einem Siebenjährigen das komplexe Aufgabenfeld einer Gästebetreuerin auf einem Ozeanriesen erklären? Sie musste jeden Tag zahllose logistische Probleme lösen und hatte fast ununterbrochen direkten Kontakt mit Menschen. Es war ebenso ihre Aufgabe, Shuffleboard-, Curling- und Bridgeabende zu organisieren wie Geburtstagsfeiern, besondere Abendessen, Konzerte und noch vieles mehr. Sie war dafür verantwortlich, dass alles reibungslos lief, und sie war gut darin.

Dazu kommt noch die frische Luft, dachte sie mit einem Anflug von Melancholie.

Wenn London morgens an Deck kam, genoss sie fast immer die Seeluft. Obgleich Connecticut um diese Jahreszeit schön sein konnte, hatte sie noch keine Gelegenheit gefunden, mal rauszugehen. Sie fragte sich kurz, warum sich die Kinder an einem augenscheinlich schönen Tag wie diesem noch immer im Haus aufhielten. Hatte ihre Schwester nicht mal gesagt, sie hätten sich wegen der großen Gärten und Parks für ein Leben in der Vorstadt entschieden?

Tia tätschelte ihrem Sohn erneut den Kopf. Er rührte sich noch immer nicht von der Stelle.

„Hier unterhalten sich Erwachsene, Süßer“, wiederholte sie.

„Okay.“

Diesmal wandte sich Bret ab und schlenderte von dannen. Im selben Augenblick kamen die beiden Mädchen in die Küche gestürmt und hätten den kleinen Jungen dabei beinahe umgerannt. Sie fochten mit LED-Lichtschwertern im Star-Wars-Stil. Bret stieß einen Schrei aus und griff vergeblich nach einer ihrer Waffen.

Diesmal ignorierte Tia sie einfach alle drei.

Es war hoffnungslos, erkannte London. Sobald Tia in diesem Haus eine Lärmquelle zum Verstummen brachte, brach direkt vor ihrer Nase ein neuer, viel schlimmerer Krach los.

„Was ist mit dem Ring?“, versuchte Tia eine neuerliche Woge des Lärms zu überschreien.

„Was soll damit sein?“, fragte London zurück, die die Frage nicht verstand.

„Ist er schön?“

„Schätze schon. Hübsch. Teuer. Diamanten und so.“

„Zeig mal her“, forderte Tia sie auf.

„Ich habe ihn nicht.“

Tia schauderte von Kopf bis Fuß. Sie stieß ein leises, durch und durch entsetztes Kreischen aus.

„Oh nein! Du hast ihn doch nicht etwa weggeworfen?“

Beide Mädchen hörten lange genug auf, ihre Schwerter zu schwingen, um fast unisono ungläubig zu fragen: „Du hast den Ring weggeworfen?“

„Ihr sollt doch nicht lauschen“, blaffte Tia. „Ab ins Wohnzimmer mit euch. Eure Tante und ich müssen uns unterhalten.“

Als die Mädchen keine Anstalten machten zu gehorchen, setzte sie hinzu: „Ich erzähl‘s euch später.“

Kichernd verzogen sich die Mädchen aus der Küche, dicht gefolgt von ihrem Bruder.

Als sie fort waren, erklärte London: „Tia, ich habe ihn nicht angenommen. Ich weiß noch nicht, ob ich Ian heiraten möchte.“

Tia schlug mit der flachen Hand auf den Tisch.

„Dann lass mich das für dich entscheiden. Wir rufen ihn auf der Stelle an.“

„Tia, nicht“, bat London.

Aber Tia sprach weiter, als hätte sie überhaupt nichts gesagt.

„Du wirst ihm sagen, dass du dich gestern Abend blöd benommen hast, dich überschwänglich entschuldigen und ihm erklären, dass das lediglich ein vorübergehender Anflug von Wahnsinn war, dann sagst du zahllose Male ja, und dann fragst du ihn, wann ihr euch wiedersehen könnt. Bei dem Treffen gibst du ihm dann einen dicken Kuss und landest vermutlich mit ihm im Bett. Rufen wir ihn an.“

„Nein.“

Tia schob bedrohlich die Unterlippe etwas vor.

Oh nein. Jetzt schmollt sie gleich wieder.

„Das nehme ich persönlich, London“, verkündete sie.

Natürlich tust du das, dachte London.

Tia fuhr fort: „Ich bin sicher, Bernard sieht das auch so. Erinnerst du dich nicht mehr, dass wir dich Ian überhaupt erst vorgestellt haben?“

Oh ja, und wie ich mich daran erinnere.

Tia war nicht aufzuhalten: „Weißt du nicht mehr, wie schlimm du durch den Wind warst, nachdem du dich von diesem Idioten Albert getrennt hattest?“

Doch, natürlich.

Damals war London Tia und deren Mann Bernard sehr dankbar gewesen, dass sie ihr einen so normalen, beständigen, netten Typen vorgestellt hatten. Nach der Beziehung mit einem unberechenbaren Soziopathen war es ihr vorgekommen, als hätte sie genau das gebraucht.

Bernard war einer der Partner in Ians Buchhaltungs- und Rechnungsprüfungsfirma. Außerdem waren die beiden eng befreundet. Bernard war auf dem Golfplatz, und erst jetzt kam London der Gedanke, dass er durchaus mit Ian auf dem Green sein konnte. Würden die beiden über Ians Pläne, London zu heiraten, sprechen?

Nein, dachte sie. Wahrscheinlich eher über langfristige Zinsentwicklungen.

Inzwischen zitterte Tias Unterlippe.

„Das verletzt mich, London“, sagte sie.

London wünschte, sie könnte sich wie ein Gürteltier zum Selbstschutz zu einer Kugel zusammenrollen. Das Talent ihrer älteren Schwester, ihr Schuldgefühle zu bereiten, war schon immer unglaublich gewesen.

Tia fuhr fort: „Bernard und ich wollten doch nur, dass du genauso glücklich wirst wie wir. Ich finde, das haben wir nach der Kindheit, die wir überlebt haben, beide verdient.“

Oh, bitte fang jetzt nicht damit an, dachte London.

„Unsere Eltern waren doch wundervoll“, sagte sie.

„Naja, aber eine stabile Kindheit sieht anders aus.“

London war erleichtert, als es klingelte.

„Ich mache auf“, rief Tia und eilte zur Tür.

London saß einfach nur da und starrte für einige segensreiche Sekunden in ihren Kaffee, während all der Lärm zum Hintergrundrauschen wurde. Ihr fiel auf, dass aus dem Nichts allerlei Spielzeug auf dem Tisch aufgetaucht zu sein schien, beschloss aber, es zu ignorieren.

Als London über Tias Worte nachdachte, musste sie zugeben, dass ihre Kindheit tatsächlich nicht besonders stabil gewesen war. Wenn man eine Stewardess und einen Flugbegleiter als Eltern hatte, bedeutete das, dass man häufig umzog und es zu vielen Brüchen im Leben kam. Aber Londons Instabilitätstoleranz war schon immer größer als die ihrer Schwester gewesen – genau wie ihre Abenteuerlust.

Selbst als ihr Vater sich noch während ihrer Kindheit als schwul geoutet hatte, hatte London das als spannende Entwicklung in ihrer aller Leben empfunden. Ihre Eltern hatten sich nicht scheiden lassen, und die ganze Familie hatte weiter zusammengelebt, fröhlich wie immer. Sowohl Mom als auch Dad waren weiterhin gute Vorbilder gewesen.

Aber dem Familienglück war keine Dauer vergönnt gewesen. London und Tia waren Teenager gewesen, als ihre Mutter beschlossen hatte, allein eine Europareise zu unternehmen.

Sie war nie wieder zurückgekommen.

Niemand hatte eine Ahnung, was aus ihr geworden war.

Es hatte keine Anzeichen eines Verbrechens gegeben. Sie war offenbar einfach gegangen. London hatte stets geglaubt, ihr sei etwas Furchtbares zugestoßen, aber Tia sagte immer …

„Ich schätze, sie war wohl doch nicht so glücklich, wie sie sich gab.“

Über diese Fragestellung dachte London nicht gerne nach. Als Erwachsene war sie dem ganzen Thema aus dem Weg gegangen, indem sie ausschließlich Jobs auf Karibikkreuzfahrten annahm.

Tia kam wieder und setzte sich ihr gegenüber.

„Das war nur der Gärtner, er hatte eine Frage“, informierte Tia sie. „So, wo waren wir stehengeblieben?“

Sie sah London mit verletzter Miene an, als wolle sie gleich anfangen zu weinen.

„Ich habe immer versucht, dir eine gute große Schwester zu sein, London“, beteuerte Tia. „Ist mir das etwa nicht gelungen?“

„Doch, natürlich“, versicherte London.

„Warum nimmst du dir dann nicht ein Beispiel an mir? Schau dich doch mal um. Wir führen ein gutes Leben, London. Was Bernard und ich hier haben, mit den Kindern, unseren Freunden und Nachbarn, ist gut. Es ist real. Du kannst nicht für den Rest deines Lebens durch die Weltgeschichte reisen, als wärst du auf der Flucht. Das Leben bringt nun mal Verantwortung und Verpflichtungen mit sich. Beides ist wundervoll. Lohnend. Das verstehst du doch sicher.“

London zuckte zusammen, als vor dem Küchenfenster ein Rasenmäher zu knattern begann.

Tia trank einen Schluck Kaffee und fuhr dann ruhig fort: „Das Beste daran ist, dass ihr gleich um die Ecke wohnen könnt, Ian und du, vielleicht sogar im selben Block wie wir.“

Bei diesen Worten hatte London einen Anflug von Déjà-vu.

Dann fiel ihr wieder ein, was Ian am Vorabend gesagt hatte.

„Ganz bescheiden, und am besten in derselben Gegend wie Tia und Bernard.“

Beinahe hätte sie laut aufgekeucht.

Hatten sich Tia und Ian gegen sie verschworen?

Hing Bernard da mit drin?

Sie ermahnte sich, nicht paranoid zu werden. Aber eines schien ganz klar. Ian, Tia und vermutlich auch Bernard lagen auf derselben Wellenlänge und hatten dieselben Vorstellungen von ihrer Zukunft. Wenn Sie Ian heiratete, würde sie in jeder Hinsicht genau hier landen.

Hier, in einer Kopie des Lebens ihrer Schwester.

Tatsächlich fand London einiges daran gar nicht so schlimm.

Es war ein schönes Haus.

Das Leben hier hatte keine großen Höhen und Tiefen – es war sicher.

Meist mochte London sogar die Kinder ihrer Schwester.

Natürlich würde sie irgendwann auch ihre eigenen mögen.

Tut das nicht jeder?

Also hatte Tia möglicherweise doch recht. Vielleicht versuchte London nur, vor der Realität zu fliehen, vor Verantwortung und Verpflichtungen. Vielleicht war es Zeit, das zu tun, was ihre Eltern nie wirklich getan hatten.

Vielleicht wird es langsam Zeit, erwachsen zu werden.