Morden in der Menopause mit dem richtigen Mindset - Tine Dreyer - E-Book

Morden in der Menopause mit dem richtigen Mindset E-Book

Tine Dreyer

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Beschreibung

Liv ist 48, Ehefrau, Mutter, Küchenplanerin und – nachdem ihre erste Hitzewallung eine tödliche Kettenreaktion ausgelöst hat: Mörderin. Jetzt schläft Liv nicht mehr nur wegen des Hormonmangels schlecht, sondern auch wegen ihrer Schuldgefühle. Aber sich stellen und ins Gefängnis gehen ist keine Option, immerhin muss sie sich um drei pubertierende Kinder und ihren Mann Jörn kümmern, und natürlich um Marlies und Werner, ihre betagten Schwiegereltern. Bleibt nur eins, um mit sich ins Reine zu kommen: Liv muss ihre Einstellung ändern, ein positives Mindset erarbeiten. Ausgerechnet eine Exprostituierte und ihre Schwiegermutter helfen ihr dabei. Unglücklicherweise kommt es trotz aller Bemühungen zu weiteren Morden – aber wenigstens stehen ihr die beiden Frauen dabei mit einem positiven Mindset zur Seite. Mit viel Witz und Spannung erzählt ›Morden in der Menopause mit dem richtigen Mindset‹ die Geschichte einer Frau, in deren Keller sich unversehens weiterhin die Leichen stapeln. Nach Band 1 der zweite menopausale Krimi der Welt! Die humorvolle Krimireihe 'Morden in der Menopause' von Tine Dreyer: 1. Band: Morden in der Menopause 2. Band: Morden in der Menopause mit dem richtigen Mindset Alle Bände sind eigenständige Romane und können unabhängig voneinander gelesen werden.

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Seitenzahl: 309

Veröffentlichungsjahr: 2025

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»Mit dem richtigen Mindset kommt man wesentlich besser durch die Krisen, in die einen das Leben so ungefragt wirft, ob Mord oder Meno.«

Liv ist 48, Ehefrau, Mutter, Küchenplanerin und – nachdem ihre erste Hitzewallung eine tödliche Kettenreaktion ausgelöst hat: Mörderin. Jetzt schläft Liv nicht mehr nur wegen des Hormonmangels schlecht, sondern auch wegen ihrer Schuldgefühle. Aber sich stellen und ins Gefängnis gehen ist keine Option, immerhin muss sie sich um drei pubertierende Kinder und ihren Mann Jörn kümmern, und natürlich um Marlies und Werner, ihre betagten Schwiegereltern. Bleibt nur eins, um mit sich ins Reine zu kommen: Liv muss ihre Einstellung ändern, ein positives Mindset erarbeiten. Ausgerechnet eine Exprostituierte und ihre Schwiegermutter helfen ihr dabei. Unglücklicherweise kommt es trotz aller Bemühungen zu weiteren Morden – aber wenigstens stehen ihr die beiden Frauen dabei mit einem positiven Mindset zur Seite.

Mit viel Witz und Spannung erzählt ›Morden in der Menopause mit dem richtigen Mindset‹ die Geschichte einer Frau, in deren Keller sich unversehens weiterhin die Leichen stapeln. Nach Band 1 der zweite menopausale Krimi der Welt!

© Teresa Rothwangl

Tine Dreyer ist das Pseudonym einer Autorin, die seit Jahren erfolgreich Kriminalromane und Thriller sowie Drehbücher schreibt. Nicht nur alterstechnisch ähnelt sie ihrer Protagonistin aus ›Morden in der Menopause‹, auch das Hormonchaos, das mitunter die gesamte Familie betrifft, ist ihr bekannt – inklusive aller absurden Folgeerscheinungen. Das Morden überlässt sie allerdings lieber ihrer Romanheldin Liv. Tine Dreyer lebt mit ihrem Mann, zwei Söhnen und einer Hündin in Köln.

Tine Dreyer

Morden in der Menopause mit dem richtigen Mindset

Roman

E-Book 2025

© 2025 DuMont Buchverlag GmbH & Co. KG, Amsterdamer Straße 192, 50735 Köln, [email protected]

Alle Rechte vorbehalten.

Die Nutzung dieses Werks für Text- und Data-Mining im Sinne von §44b UrhG behalten wir uns explizit vor.

Lektorat: Leonora Tomaschoff

Umschlaggestaltung: Lübbeke Naumann Thoben, Köln

Satz: Angelika Kudella, Köln

E-Book Konvertierung: CPI books GmbH, Leck

ISBN E-Book 978-3-7558-1084-1

www.dumont-buchverlag.de

Für Julia.

Hormone sorgen dafür, dass wir uns hübsch machen, um die besten Gene für unseren Nachwuchs zu ergattern. Sie sind dafür verantwortlich, dass wir uns für Familie, Nest und Job abrackern und dabei unsere eigenen Bedürfnisse völlig selbstlos links liegen lassen. Mit der Menopause endet das hormonelle Strippenziehen, emotionale Tiefpunkte sind nicht selten die Folge, und eine positive Denkweise wird wichtiger denn je. Leichter gesagt als getan? Glauben Sie mir, auch mit ein paar erschlagenen Dealern im Nacken lässt sich an einem positiven Mindset arbeiten!

Prolog

Es heißt, ein Drittel der Frauen geht komplett beschwerdefrei durch die Menopause. Ein weiteres Drittel hat mäßige Probleme und das letzte Drittel haut der hormonelle Engpass aus den Schuhen. Ich weiß nicht, zu welcher Gruppe Sie zählen, ich gehöre auf jeden Fall zur dritten – und das ist keine Übertreibung, immerhin ging meine erste Hitzewallung mit meinem ersten Mord einher.

Wie Sie sich denken können, habe ich das Ganze nicht so leicht weggesteckt. Bis dahin war ich schließlich in erster Linie Mutter, Ehefrau und angestellte Innenarchitektin in einem Küchenstudio. All das bin ich immer noch, aber bedauerlicherweise muss ich mir jetzt auch den Button Mörderin ans Revers heften. Wir können uns auch auf Totschlägerin einigen, denn geplant habe ich keine dieser Taten. Aber macht es das besser? Das Resultat ist schließlich dasselbe.

Hormone hin oder her, mein schlechtes Gewissen funktionierte immer noch hervorragend. Jetzt schlief ich nachts nicht mehr nur wegen des Hormonmangels maximal vier Stunden, sondern auch aufgrund meiner erdrückenden Schuldgefühle.

Aber ich konnte die Toten nicht mehr lebendig machen, weder mit Hormonen noch ohne. Und mich zu stellen und ins Gefängnis zu gehen erschien mir ebenfalls keine Alternative, immerhin hatte ich noch drei schwer pubertierende Kinder zu versorgen. Und meinen Mann Jörn. Und natürlich Marlies und Werner, meine hochbetagten Schwiegereltern. Ich würde das Leben meiner Familie ruinieren und das der toten Schwerkriminellen nicht wiederherstellen, wenn ich zur Polizei ginge. Also entschied ich mich dagegen.

Es gab nur einen Weg, um wieder Frieden mit meinem Gewissen zu schließen. Ich musste meine Einstellung ändern, ein positives Mindset erarbeiten und so zu einer neuen Denkweise finden. Dass mir dabei ausgerechnet eine ehemalige Prostituierte und meine siebenundachtzigjährige Schwiegermutter helfen würden, hätte ich damals auch nicht gedacht. Aber manchmal hilft es, die eigene Komfortzone zu verlassen und den Horizont zu erweitern, gerade wenn neue Probleme auftauchen – oder totgeglaubte Zuhälter. Mit dem richtigen Mindset kommt man wesentlich besser durch die Krisen, in die einen das Leben so ungefragt wirft, ob Mord oder Meno.

Ausgerechnet Marlies, für die Mindset eher in die Kategorie Twinset gehört, hat mich dazu gebracht, meine Einstellung zum Leben neu zu überdenken. Und zwar an dem Tag, an dem der von mir getötete Oberzuhälter und Drogenbaron wieder quicklebendig vor mir stand. Na ja, nicht wirklich quicklebendig und auch nicht wirklich stehend, aber er war wieder da. Und mit ihm auch meine Probleme.

Sie können Ihr Mindset, also Ihre persönliche Denkweise, aktiv verändern. Gerade in der Menopause ist das durchaus empfehlenswert, denn durch das hormonelle Tief neigen wir dazu, erst einmal alles negativ zu sehen – und damit meine ich keine erschlagenen Dealer, die sind und bleiben natürlich negativ. Aber auch in allen anderen Bereichen lenkt eine negative Grundeinstellung den Fokus automatisch auch immer wieder auf die negativen Aspekte des Lebens. Das hat verständlicherweise große Auswirkungen auf die Lebensqualität. Ein Teufelskreis, den Sie zum Glück aktiv durchbrechen können.

1

Mein letzter Termin beim Ehepaar Wugner lag noch gar nicht so lange zurück, als ich an diesem Abend nach Hause kam. Cathy Wugner zählte zu den schwierigsten und kompliziertesten Kundinnen, die ich in meiner Laufbahn als Küchenplanerin je betreut habe. Die exzentrische Mittzwanzigerin, optisch eine Kopie der jungen Pamela Anderson, hielt sich selbst für den Nabel der Welt und hatte Ansprüche, die sich in ihrer riesigen, mit rosa Marmor ausgelegten Luxusküche widerspiegelten. Dass sie nicht nur die verwöhnte Gespielin ihres deutlich älteren Mannes Klemens war, wurde mir erst später klar. Den ich übrigens umgebracht habe – ich weiß, wie furchtbar das klingt. Aber ich will ehrlich zu Ihnen sein. Ich hatte den Mann, Drogenbaron und Zuhälterboss in Personalunion, aus dem Fenster im zweiten Stock gestoßen – eine Verkettung unglücklicher Umstände, das müssen Sie mir glauben. Doch worauf ich hinauswill: Entgegen meiner Annahme hatte Klemens Wugner diesen Sturz überlebt. Und das wurde mir leider erst bei besagtem Termin bewusst.

Die Tatsache, dass einer der gefährlichsten Männer Kölns mich nun womöglich auf dem – vermutlich recht tödlichen – Kieker hatte, stresste mich verständlicherweise gewaltig. Zumal Freddy, ein weiterer toter Drogendealer und Zuhälter, im überdimensionalen Küchenblock der Wugners ruhte – ja, richtig: Die Nummer geht leider auch auf meine Kappe.

Meine einzige Hoffnung war, dass der schwer gezeichnete Klemens mich nicht erkannt hatte. Hatte er aber, wie sich an diesem Tag herausstellen sollte, allerdings ganz anders, als ich es erwartet hatte.

Ein anstrengender Arbeitstag lag hinter mir. Seitdem Jörn seinen Job verloren hatte und sich in Vollzeit um Haushalt und Familie kümmerte, war ich von meiner Achtzig-Prozent-Stelle zurück auf hundert gegangen. Eine weise Entscheidung aus Arbeitnehmerinnensicht, denn nun hatte ich für dieselbe Arbeit fünf statt vier Tage Zeit und bekam mehr Geld. Kurzzeitig beschlich mich das ungute Gefühl, dass Teilzeit einfach eine schöne Umschreibung für die Ausbeutung berufstätiger Mütter war, jedenfalls kannte ich niemanden, der in Teilzeit weniger geleistet hätte als in einem Vollzeitjob. Im Gegenteil. Schnell verwarf ich den Gedanken wieder, es war ja schließlich meine eigene Entscheidung gewesen, dafür konnte ich niemand anderen verantwortlich machen.

Normalerweise machte mir die Arbeit im Küchenstudio großen Spaß. Ich mochte meine Kollegen Franzi und Mick genauso wie unseren Chef Pablo, mit dem mich seit dem Küchenbau bei den Wugners sowieso eine Menge verband. Aber das war eine andere Geschichte.

Jede Küche plante ich mit Leidenschaft, ich liebte es, Materialien auszusuchen und raffinierte technische Details einzubauen. Aber kein Job der Welt schenkte pausenlose Erfüllung, Bürokratie und Verwaltung ließen niemanden unberührt. Und so hatte ich mich heute ausschließlich mit Papierkram zu beschäftigen, Angebote von Lieferanten zu prüfen, eigene für Kunden zu erstellen, Rechnungen zu schreiben, lauter ödes Zeug. Ich hatte diesen Teil meiner Arbeit noch nie gemocht, aber im Moment fiel es mir noch schwerer, mich darauf zu konzentrieren. Die Tatsache, dass Klemens Wugner nicht tot war, ließ meine Gedanken immer wieder von italienischen Wandkacheln und überteuerten Induktionsfeldern zu möglichen Racheakten wandern.

Würde der Kopf eines Drogen- und Zuhälterkartells die Person in Ruhe lassen, die ihn in den Rollstuhl gebracht hat? Wohl kaum. Vermutlich würde er doch eher dafür sorgen, dass dieser Person jeder Knochen im Körper gebrochen und die Haut in Streifen abgezogen wird. So stellte ich mir jedenfalls Racheakte im Schwerverbrechermilieu vor. Im Prinzip konnte ich seit Tagen an nichts anderes mehr denken und war dementsprechend gestresst.

Und die Situation zu Hause tat ihr Übriges. Nachdem Jörn als gut bezahlter Hauptverdiener weggefallen war, hatten wir eigentlich alles ganz gut geregelt, dachte ich jedenfalls. Jörn kümmerte sich um Kinder, Haushalt und seine Eltern, ich mich ums Geldverdienen. So weit die Theorie. In der Praxis liefen die Dinge allerdings anders als gedacht. Das lag vor allem daran, dass Jörn seine häuslichen Pflichten deutlich lockerer sah als ich meine früher – obwohl auch an mir keine Vorzeigehausfrau verloren gegangen war. Ich gehörte nie zu denen, die jeden Tag alles frisch eingekauft und zubereitet haben. Wer Kinder hat und berufstätig ist, weiß, dass es an der Realität vorbeigeht, mittags den Nudelteig selbst zu kneten und die Soße mit den Bio-Tomaten aus dem eigenen Garten zu kochen. Ich stand Tiefkühlgemüse und Pfannengerichten also durchaus offen gegenüber.

Aber jetzt wurden wir plötzlich Stammkunden beim nahe gelegenen Pizzaservice, weil Jörn ständig vergaß einzukaufen. Immer häufiger verbrachte er einen chilligen Nachmittag mit den Kindern, anstatt sie zu den Hausaufgaben zu motivieren oder auf die Einhaltung der diversen Freizeittermine zu achten. Und die Wettleidenschaft seines Vaters hatte er ebenso wenig im Blick wie dessen Diabetes und die damit verbundenen Arzttermine. Im Prinzip war ich jetzt voll berufstätig und hätte zusätzlich noch eine Teilzeitstelle als Assistentin meines Mannes ausfüllen können, deren Hauptaufgabe es gewesen wäre, ihn an seine Pflichten zu erinnern. Aber bisher weigerte ich mich standhaft, diesen Zusatzjob anzunehmen.

Ich weiß genau, was Sie jetzt denken, vor allem die Herren unter Ihnen. Wieder so eine Mutti, die ständig an der vermeintlich unvollkommenen Care-Arbeit ihres Mannes herummäkelt. Aber Sie irren sich. Genau so wollte ich nämlich niemals sein. Ich habe all diese Frauen schließlich selbst kennengelernt, als die Kinder noch klein waren und ich notgedrungen viel Zeit auf Spielplätzen verbringen musste. Dort wimmelt es nur so von denen, die alles besser wissen und ständig ungefragt Ratschläge geben, Hashtag: Ich-meine-es-ja-nur-gut. Eine Unsitte, die ich mir niemals zu eigen machen werde, schon gar nicht meinem Mann gegenüber, der schließlich immer versucht, sein Bestes zu geben (kleiner Scherz).

Ich parkte den Wagen in unserer Einfahrt, in der das Unkraut aus allen Fugen spross. Der warme Herbst hatte dafür gesorgt, dass der Pflanzenbefall zwischen den Pflastersteinen nicht weniger wurde. Wenn man nicht aufpasste, dann breitete sich das Zeug in kürzester Zeit flächendeckend aus. Niemand wusste das besser als ich.

Für einen Moment beschlich mich der Gedanke, dass Jörn gar nicht ahnte, dass man Unkraut regelmäßig entfernen musste, schließlich hatte er es in den letzten zwanzig Jahren nie selbst getan und mich vermutlich auch nie dabei beobachtet, wie ich das Kraut von den Steinen kratzte. Möglicherweise glaubte er, es würde eines Tages einfach von selbst verschwinden – oder er sah es schlichtweg nicht. Das hatte ich schon bei anderen Dingen bemerkt. Auch Staub sah er nur selten, Kalkflecken nahm er überhaupt nicht wahr. Und ich erinnere mich noch gut daran, wie überrascht er war, als der Seifenspender in der Gästetoilette leer war. Tatsächlich hatte er ihn noch nie ohne Flüssigseife gesehen und hielt ihn vermutlich für eine Art Perpetuum mobile der Hygieneproduktwelt. Keine Frage, ich sah im Moment eher das Negative und nahm alles Positive so wenig wahr wie mein Mann das Unkraut in der Einfahrt.

Auf dem Weg zu unserem Haus versuchte ich, mir die positiven Auswirkungen unseres neuen Familienkonzeptes ins Gedächtnis zu rufen. Erst kürzlich hatte ich gelesen, wie die moderne Rollenverteilung die Zufriedenheit der Eltern verbessert. Gerade als ich versuchte, in mich reinzuhorchen, um der Zufriedenheit nachzuspüren, sprang mir der überfüllte Briefkasten ins Auge, und ich konnte mich des Gedankens nicht erwehren, dass es wohl zu viel verlangt war, ihn einmal am Tag zu leeren.

»Ist doch nicht schlimm, wenn ich das mache«, murmelte ich. »Ist ja nicht so, als ob die Welt davon untergeht, du alte Hozi.«

Hozi hatte mich meine Tochter Sofie neulich genannt, als ich in einem vermeintlich vertraulichen Gespräch mein Wissen über die komplizierte Welt der weiblichen Hormone mit ihr teilen wollte. Doch mein pubertierender Nachwuchs hatte über meine Ausführungen nur spöttisch gelacht und mich als alternde Hormonzicke, kurz Hozi, bezeichnet.

Ich liebe meine Tochter, bitte haben Sie keinen Zweifel daran. Aber ich wünsche ihr viele, viele eigene Töchter mit schwierigen Pubertätsverläufen, ja, das tue ich wirklich. Pubertierende Töchter sind nämlich etwas ganz Besonderes. In erster Linie besonders herausfordernd, und ich finde, diese Erfahrung sollte ihr im Leben nicht verwehrt bleiben. Ich jedenfalls habe dadurch sehr viel mehr Verständnis für meine eigene, inzwischen leider verstorbene Mutter bekommen. Vor allem für ihre Wutausbrüche, als ich in der Pubertät und sie in den Wechseljahren war.

Ich nahm den Stapel Post heraus, der trotz des Keine-Reklame-Schildes am Briefkasten zu mindestens fünfzig Prozent aus Werbung zu bestehen schien, und hielt kurz inne. Stimmen, Musik, Gelächter. Eindeutig aus dem Inneren unseres Hauses.

Hatte ich etwa einen Geburtstag vergessen?

Sich selbst rhetorische Fragen zu stellen war eine ziemlich dumme Angewohnheit. Natürlich wusste ich, dass ich keinen Geburtstag vergessen hatte, das war mir schließlich noch nie passiert. Trotzdem ging ich zur Sicherheit noch mal alle im Kopf durch, um dann zu dem Schluss zu kommen, dass es einen anderen Grund für die offensichtliche Party geben musste. Aber welcher sollte das sein? An einem Montag? Und wie konnte Jörn so etwas zulassen?

Vermutlich war etwas ganz Wundervolles passiert, vielleicht hatte Hannes eine Eins in Französisch geschrieben (unwahrscheinlich) oder Paul eine Eins in Deutsch (noch unwahrscheinlicher). Sofies Noten waren sowieso gut, ihre schulischen Leistungen konnten also nicht der Anlass sein. Oder hatte Jörn gar einen neuen Job? Einen spektakulär guten und auch gut bezahlten? Das wäre wirklich ein Grund zum Feiern, denn obwohl ich als Küchenplanerin nicht schlecht bezahlt wurde, hatte Jörn in der Unternehmensberatung deutlich mehr verdient. Der Gedanke, bei der nächsten Urlaubsplanung vielleicht nicht mehr so genau aufs Budget achten zu müssen, hob meine Laune, und ich ignorierte die Stimme in meinem Kopf, die mir zuraunte, dass Jörn doch gar kein Vorstellungsgespräch gehabt hatte, jedenfalls keines, von dem ich wusste. Aber vielleicht hatte er es mir verschwiegen, um mich heute zu überraschen. Ausschließen konnte ich das jedenfalls nicht.

Als ich das Haus betrat, wurde mir erst richtig bewusst, wie laut die Musik und wie gut die Stimmung meiner Familie offenkundig war. Ich hörte Klatschen, Anfeuerungsrufe, fröhliches Johlen und Lachen. Von allem einen Hauch zu viel, jedenfalls um ein gutes Jobangebot zu feiern. Für einen Junggesellenabschied hingegen wäre die Geräuschkulisse durchaus angemessen gewesen.

Ich legte den Stapel Briefe in die Küche und folgte den Stimmen und der Musik. Im Wohnzimmer angekommen wähnte ich mich zunächst im falschen Film. Vielleicht war es ein Fehler in der Matrix, oder ich war in eine Zeitschleife geraten, jedenfalls konnte die Szene, die sich unmittelbar vor meinen Augen abspielte, nicht der Realität entsprechen.

Meine Kinder, Iza, die Betreuerin von Marlies und Werner, und mein Mann hatten einen Kreis gebildet, in dessen Mitte meine hochbetagten Schwiegereltern eine Art Lambada tanzten. Vielleicht ahmten sie auch den Paarungstanz irgendwelcher Primaten nach, ich wusste es nicht, fand es aber erstaunlich, wie ungehemmt und vor allem wie beweglich die beiden im Hüftbereich noch waren. Sofie, Hannes und Paul klatschten begeistert Beifall, während Iza und Jörn ihre Arme in der Luft kreisen ließen und dabei immer wieder ein Johlen ausstießen, das eher an ein Jaulen erinnerte. Iza trug wieder eines von Marlies’ schicken Sechzigerjahre-Kostümen, die meine Schwiegermutter alle aufgehoben hatte und die der jungen Rumänin deutlich besser standen als ihre früheren Prostituierten-Outfits. Die langen, dunklen Haare hatte sie hochgesteckt, doch durch das rhythmische Wiegen des Oberkörpers löste sich die Frisur langsam auf.

Seit ich Iza sozusagen versehentlich von ihrem Zuhälter befreit hatte, lebte sie bei meinen Schwiegereltern und kümmerte sich um die alten Herrschaften, was erfreulich gut funktionierte. Jedenfalls wirkten sie wie frisch aus einem Jungbrunnen entsprungen.

Marlies zupfte während der Tanzeinlage immer wieder an Werners Hosenträgern und freute sich diebisch, wenn diese gegen seine Brustwarzen klatschten, was meinem Schwiegervater jedes Mal ein fast vergnügtes Kichern entlockte. Daraufhin packte er sie an den Hüften und zog sie wackelig zu sich heran, wohl um einen Sambaschwung zu imitieren, was ihm aber nicht so recht gelingen wollte. Tatsächlich sahen die beiden ziemlich genau so aus, wie man sich zwei Siebenundachtzigjährige vorstellte, die mit ihren Unterleibern aufeinanderprallten – falls diese Vorstellung überhaupt in irgendeinem Gehirn auf dieser Welt existierte.

Im Gegensatz zu Iza hatten sie sich auch nicht schick gemacht, Marlies trug einen karierten Rock mit einem bequemen Gummizug und dazu eine ihrer unzähligen rosafarbenen Blusen, Werner ein weißes, inzwischen ziemlich fleckiges Hemd zu seiner beigen Hose. Auch Jörn und die Kinder hatten sich nicht rausgeputzt, sondern trugen dieselben Klamotten, in denen ich sie noch am Morgen gesehen hatte. Wenigstens schien ich keinen offiziellen Termin vergessen zu haben. Aber irgendetwas hatten sie zu feiern.

Auf dem Wohnzimmertisch stand eine zweistöckige Torte, oder besser gesagt, eine ehemals zweistöckige Torte. Von der oberen Etage war nur noch ein kleines Stück übrig, dafür schien der Unterbau noch relativ intakt zu sein. Eine Prinzregententorte aus dem Café Reichard, wie ich mit einem Blick auf die Kuchenschachtel feststellte, dem vermutlich besten und leider auch teuersten Café der Stadt. Eine zweistöckige Torte konnte dort schnell an die hundert Euro kosten, das war definitiv nichts, was man sich an einem Montagabend mal eben gönnte. Gleiches galt für die drei geöffneten Champagnerflaschen, die zusätzlich zu einer noch verschlossenen danebenstanden.

Was zur Hölle war hier los?

In diesem Moment begann auch Jörn laut zu klatschen. »Und jetzt alle!«, rief er und drehte sich um die eigene Achse. »Ah la la la la – Liv!«

Überrascht, aber beim besten Willen nicht erschrocken, hielt er inne. Strahlend kam er auf mich zu und drückte mir einen champagnergeschwängerten Kuss auf den Mund.

»Du bist ja auch da!«

»Ich wohne hier.«

»Ach so!« Lachend nahm er meine Hände und zog mich in den Kreis, in dem Marlies und Werner jetzt eine Art Dirty Dancing für Hüftgeschädigte zum Besten gaben.

»Gibt es einen Grund zu feiern?«, fragte ich, während mir von der Dreherei flau im Magen wurde. Hoffentlich, fügte ich in Gedanken hinzu, denn sonst wäre dieses montägliche Sauf- und Fressgelage ja noch schlimmer.

»Opa hat beim Pferdewetten gewonnen!«, rief Paul mit einem breiten Lächeln.

»Zehntausend!« Selbst Sofie, die sonst nie ihre Mundwinkel nach oben zog, strahlte über das ganze Gesicht.

»Wie bitte?« Ich konnte es nicht fassen.

Hannes formte seine Hände zu einem Trichter vor dem Mund und brüllte: »OPA HAT ZEHNTAUSEND …«

»Ich bin nicht taub!«, unterbrach ich ihn und ließ Jörns Hände sofort los. »Ich dachte, das Thema Wetten wäre vorbei?«

»Nun freu dich doch!«, rief Werner lallend, auf dessen Brust ein Stück Schokoladenglasur klebte. »Schnapp dir ein Glas und feiere mit uns!«

»Jetzt krieg ich ein neues Handy, ein neues Handy«, trällerte Sofie glückselig vor sich hin.

»Und ich die neue Playstation!« Wie ein Wimbledonsieger riss Paul die Arme in die Höhe.

»E-Scooter, E-Scooter!«, skandierte Hannes laut, als würde er seinen geliebten FC Köln im Stadion anfeuern.

Jörn lachte. »Kinder, Opa hat doch keine Million gewonnen.«

»Noch nicht!«, rief Werner. »Aber beim nächsten Mal bestimmt!«

Sofort brachen alle in frenetischen Jubel aus. Alle, nur ich nicht.

Ich bin keine Spielverderberin, wirklich nicht. Aber wie einige von Ihnen vielleicht noch wissen, hatte mein Schwiegervater ein veritables Problem mit Pferdewetten, auch unter dem Begriff Spielsucht bekannt. Und das hat unsere Familie in den letzten Jahren nicht nur einmal in finanzielle Schwierigkeiten gebracht, weil Jörn sich immer dafür verantwortlich fühlte, die Wettschulden seines Vaters zu begleichen. Sich darüber zu freuen, dass er jetzt ein Mal gewonnen hatte, war ungefähr so, als würde man einen Junkie dafür feiern, einen Haufen Stoff umsonst ergattert zu haben. Denn ein Gewinn war für einen Spielsüchtigen doch nichts anderes als Heroin für einen Junkie. Es machte ihn glücklich, euphorisch und sorgte dafür, dass er schnell mehr davon wollte.

»Ich weiß nicht, was es da zu feiern gibt!«, schimpfte ich. »Euch ist doch wohl klar, dass das ganze Wettgeschäft nur deshalb funktioniert, weil neunundneunzig Prozent der Leute dabei verlieren!«

»Und ich gehöre zu dem einen Prozent, das gewinnt!« Werner drehte sich im Kreis und verlor fast das Gleichgewicht. Hätte Iza ihn nicht geistesgegenwärtig am Arm gepackt, wäre er womöglich gestürzt. »Ab jetzt habe ich eine Glückssträhne, Livi, das spüre ich deutlich. Meine Füße kribbeln schon die ganze Zeit, das ist ein gutes Zeichen!«

»Du bist überzuckert, das ist alles«, fauchte ich und marschierte mit energischen Schritten aus dem Wohnzimmer zurück in die Küche.

Ich hatte mir von meinem Abgang etwas anderes erhofft, offene Münder, beschwichtigende Rufe, Einladungen zum Dialog. Nichts dergleichen geschah, und es versetzte mir einen kleinen Stich, als ich nur die Stimme meiner Tochter hörte – und ihr Rufen galt nicht mir.

»Können wir jetzt endlich Taylor anmachen?«

Während ihre Brüder lautstark protestierten und Werner immer wieder fragte, wer denn dieser Taylor Swift sei, kam Marlies mit zwei Gläsern Champagner in der Hand zu mir in die Küche. Lächelnd reichte sie mir eines davon.

»Früher gab’s Frauengold, wenn wir besonders gestresst waren, aber Champagner tut’s auch.« Grinsend prostete sie mir zu und nahm einen tiefen Schluck.

»Alkohol war noch nie eine Lösung.« Ich versuchte, so streng wie möglich zu klingen. »Und wenn Werner neben dem Wetten auch noch anfängt zu saufen – na dann, gute Nacht!«

Marlies schaute mich kopfschüttelnd an. »Du siehst in letzter Zeit alles so negativ.«

Jetzt war ich also wieder schuld. Meine Schwiegermutter hatte wirklich ein unglaubliches Talent, die Schuld nie bei sich selbst, sondern immer bei anderen zu suchen.

»Sich im Zuge einer Spielsucht an einem Montagabend mit seinen minderjährigen Enkelkindern zu betrinken ist negativ!« Meine Stimme klang giftig, und ich fand das durchaus angemessen.

»Es war doch nicht das erste Mal in ihrem Leben, dass sie Alkohol getrunken haben«, versuchte Marlies mich zu beschwichtigen.

»Das zu unterstützen ist unverantwortlich!«

»Jaja, du hast ja recht. Aber du könntest das Ganze doch auch mal positiv sehen. Du könntest es wenigstens versuchen«, fügte Marlies noch aufmunternd hinzu. Liebevoll legte sie einen Arm um meine Schulter und drückte mich kurz an sich. »Ist es nicht schön, dass wir in unserem Alter noch mit den Enkeln feiern können?«

»Wenn es etwas zu feiern gäbe – vielleicht.« Schlechter als ich konnte man nicht gelaunt sein.

Marlies seufzte. »Genau das meine ich. Du siehst alles immer nur negativ. Aber das ist das Alter.« Fast tröstend strich sie mir über den Rücken.

Altersdiskriminierende Sprüche waren das Letzte, was ich jetzt gebrauchen konnte, auch wenn sie von meiner siebenundachtzigjährigen Schwiegermutter kamen.

»Das hat rein gar nichts mit meinem Alter zu tun«, stieß ich gepresst hervor. Mein Oberkörper verhärtete sich, mein Nacken war wie versteinert, alle Zeichen standen auf Abwehr – aber wogegen eigentlich? Gegen das Alter? Sofort nahm Marlies ihre Hand von meinem Rücken. »Vielleicht hat es ja etwas mit deinem Alter zu tun, dass du Werners Probleme nicht wahrhaben willst.«

Meine Schwiegermutter presste ihre rot geschminkten Lippen aufeinander und sah mich einen Moment lang schweigend an.

»Glaub mir, ich kenne meinen Mann besser als jeder andere Mensch auf dieser Welt.« Sie nahm noch einen großen Schluck aus ihrem Glas und atmete tief durch, vermutlich auch, um ein aufkommendes Rülpsen zu unterdrücken. »Er wird langsam dement, Liv. Und wenn er sich noch einmal so über etwas freuen kann, dann ist das doch schön!« Sie lächelte leicht gezwungen.

Eine Welle des Mitgefühls durchströmte mich. Ich wollte Marlies gerade fest an mich drücken, als sie betont munter weitersprach. »Morgen hat er seinen Gewinn sowieso schon wieder vergessen. Dann heißt es: neuer Tag, neues Glück!« Sie grinste mich breit an.

Ungläubig sah ich sie an. »Und er geht wieder auf die Rennbahn und wettet auf den nächsten Gaul. Bin ich eigentlich die Einzige, die das problematisch findet?«

Marlies nickte, und ich verdrehte die Augen. Beruhigend tätschelte sie mir daraufhin die Wange. »Ach Kindchen, ich kann mich noch gut daran erinnern, als ich solche Stimmungsschwankungen hatte.«

»Ich habe keine …«

»Damals war es zwar ein großes Tabuthema, aber ich war auch gestresst, als ich in die Wechseljahre kam«, ließ Marlies mich gar nicht erst zu Wort kommen. Sie griff in ihre Rocktasche und holte eine kleine, aufklappbare Nagelfeile hervor, die sie immer bei sich trug. Konzentriert bearbeitete sie damit ihre schon perfekten Krallen, die wahrscheinlich nur deshalb so perfekt waren, weil sie praktisch immer und überall gefeilt wurden.

»Das war Anfang der Achtzigerjahre, ich weiß es noch genau, weil 1981 Frauengold verboten wurde. Ausgerechnet als ich es am nötigsten gebraucht hätte.«

»Das wurde verboten?« Diese Information überraschte mich wirklich. Gestressten Frauen Alkohol als Allheilmittel anzudrehen fand ich zwar auch mehr als fragwürdig, aber ich konnte nichts Gesetzeswidriges daran erkennen. »War das nicht einfach nur Kräuterschnaps?«

»Plus irgendwelche krebserregenden Stoffe«, klärte Marlies mich auf. »Jedenfalls fiel das als Seelentröster weg.«

»Und dann bist du auf Champagner umgestiegen?«, fragte ich ungläubig. Bisher hatte ich nur den – hoffentlich einmaligen – Konsum von Ecstasy bei meiner Schwiegermutter abgespeichert, dass sie allerdings einen Hang zum Trinken hätte, war mir neu. Eierlikör, klar, den gab es regelmäßig, aber das fiel in ihrer Altersklasse doch nicht unter Alkoholmissbrauch, das war doch eher so wie Schnapspralinen naschen (was sie auch sehr gerne tat).

Marlies sah mich tadelnd an. »Champagner hat damals kein Mensch getrunken. M&M-Sekt war das Maß aller Dinge. Und auch den gab es nur an Feiertagen oder natürlich bei meinen beruflichen Veranstaltungen.«

Ich verstand nicht, worauf sie hinauswollte. »Bist du jetzt für Alkohol in den Wechseljahren oder dagegen?«

»Natürlich dagegen! Alkohol ist schlecht für den Teint.«

»Unter anderem.«

»Wechseljahresbeschwerden existierten damals praktisch nicht, weil einfach niemand darüber sprach«, fuhr Marlies unbeirrt fort. »Diese sogenannten Frauenleiden interessierten ja keinen, nicht einmal die Ärzte.«

Haben Sie schon vom Gender Health Gap gehört? Die Vernachlässigung des weiblichen Körpers in der medizinischen Forschung? Das beste Beispiel dafür ist sicherlich der Herzinfarkt. Die Symptombeschreibung dafür – Stechen in der Brust, das in den linken Arm ausstrahlt – trifft nur auf Männer zu. Die Symptome bei Frauen – Bauchschmerzen, Atemnot, Schwäche – sind auch heute noch viel weniger bekannt. Aus diesem Grund kommen Frauen mit einem Herzinfarkt im Durchschnitt etwa zwei Stunden später in die Notaufnahme als Männer. Sie können sich ausmalen, welche Folgen das gerade bei einem Notfall wie diesem hat, bei dem jede Sekunde zählt.

Und das ist nur ein Beispiel. In vielen Bereichen der Medizin gibt es weniger Daten über Frauen als über Männer. So basierten die Angaben zu Nebenwirkungen auf vielen Beipackzetteln lange Zeit fast ausschließlich auf Studien mit Männern. Bis in die 1990er-Jahre ging das so, und was dabei an den Herren der Schöpfung herausgefunden wurde, das galt eben auch in der medizinischen Praxis: Frauen bekamen die gleiche Dosis wie Männer. Größe, Gewicht, unterschiedliche Verteilung von Muskelmasse und Fettgewebe, gänzlich andere Hormonausschüttungen und damit verbundene Reaktionen der Organe – drauf gepfiffen. Immer rein damit. Im schlimmsten Fall konnte das tödlich enden.

»Frauengold wurde mir schon lange von meinem Frauenarzt gegen alle möglichen Monatsbeschwerden empfohlen«, erzählte Marlies weiter. »Sie haben Migräne? Versuchen Sie es mal mit Frauengold, das wird Sie entspannen. Regelschmerzen? In dieser Zeit können Sie ruhig häufiger am Tag zu Frauengold greifen, das lindert die Beschwerden«, imitierte Marlies den Bariton eines Arztes, um dann im schönsten Werbesingsang fortzufahren: »Frauengold schafft Wohlbehagen, wohlgemerkt an allen Tagen!«

»Aber das ist ja unglaublich«, staunte ich.

»Na ja, das war in der Zeit, als beim Arzt im Wartezimmer noch geraucht wurde.« Marlies grinste, klappte die Nagelfeile wieder ein und verstaute sie in ihrer Rocktasche. »Nachdem Frauengold vom Markt genommen wurde, war ich jedenfalls für kurze Zeit ziemlich verzweifelt. Aber das Einzige, was mir wirklich gegen meine Stimmungsschwankungen geholfen hat, war, meine Denkweise zu ändern. Es klingt vielleicht komisch, aber eine positive Einstellung zum Leben kann wirklich sehr hilfreich sein.«

Ich erinnerte mich daran, dass meine Freundin Eva vor nicht allzu langer Zeit an einem Seminar zum Thema positives Mindset teilnehmen wollte, aber keinen Platz mehr bekommen hatte, weil der Andrang zu groß gewesen war. »Du meinst, dieser neue Positives-Mindset-Trend ist gar nicht so neu?«

Marlies sah mich verwirrt an. »Was für ein Trend?«

»Das hört man doch jetzt ständig, dass man an einem positiven Mindset arbeiten muss, wenn man ein glückliches Leben führen will.«

Marlies runzelte die Stirn. »Ich habe keine Ahnung, wovon du sprichst, Kind.« Sie warf einen skeptischen Blick auf mein Champagnerglas. »Was ich sagen wollte: Als ich in die Wechseljahre kam, konnte ich dem Ganzen nichts Gutes abgewinnen. Ich fand es einfach schrecklich, jetzt eindeutig in der Mitte des Lebens angekommen zu sein.« Sie lachte kurz auf. »Aus heutiger Sicht ist das natürlich absurd.«

»Und wie hast du deine Einstellung dazu ändern können? Hast du dir dann jeden Morgen gesagt: Juhu, die Hälfte ist geschafft, jetzt kann es nur noch besser werden?«

Die Mundwinkel meiner Schwiegermutter verzogen sich zu einem Schmunzeln. »Im Prinzip, ja. Das ging natürlich nicht von heute auf morgen. Es war ein langer Prozess, an dessen Ende ich meine Karriere bei Tenetdor begonnen habe.« Sie strahlte mich an. »Wenn dir die Haare ausfallen und die Nägel brüchig werden, kannst du darüber jammern und deine Hormone dafür hassen – oder du packst ordentlich Farbe drauf und wirst die beste Nagellackverkäuferin des Landes!«

Ich seufzte und nahm einen Schluck aus meinem Glas. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass es so einfach ist.«

»Was ist schon einfach im Leben?«, meinte Marlies mit einem Schulterzucken. »Aber genau das macht das Leben doch aus. Würden wir uns vielleicht über Erfolge freuen, wenn sie uns einfach in den Schoß fallen würden? Werner hätte sich heute doch niemals so gefreut, wenn er nicht jahrelang so viel Geld verloren hätte.«

»Schlechtes Beispiel.«

»Glück und Unglück gehen immer Hand in Hand«, überging Marlies meine Bemerkung.

»Den Spruch hast du von irgendeinem Kalenderblatt.«

»Aber er stimmt. Glaub mir, ich spreche aus Erfahrung. Man darf nicht nur das Schlechte sehen. Du kannst nicht verstehen, dass wir feiern? Na gut! Aber die Torte und der Champagner sind jetzt nun mal da, warum greifst du also nicht einfach zu? Das hebt deine Laune sofort. Und vielleicht siehst du auch mal die Post durch«, fügte sie noch mit Blick auf den Briefberg hinzu, den sie neugierig mit einem Finger durchblätterte. »Vielleicht hast du ja im Lotto gewonnen.«

»Ich spiele nicht«, murmelte ich, während ich über die Worte meiner Schwiegermutter nachdachte, die schulterzuckend die Küche verließ.

Sie war siebenundachtzig Jahre alt, hatte eine schwere Brustkrebserkrankung überstanden, drei Jungs großgezogen und es geschafft, seit vielen Jahren eine glückliche Ehe zu führen. Und eigentlich war sie dabei die meiste Zeit guter Dinge. Vielleicht lohnte es sich wirklich, sich einmal etwas intensiver mit einem positiven Mindset zu beschäftigen?

Ich weiß genau, was einige von Ihnen jetzt denken. Bei einem hormonell bedingten Stimmungstief kann man doch nicht einfach den Positives-Mindset-Knopf drücken, und schon ist die Welt wieder in Ordnung. Stimmt. Aber die allseits bekannte Das-Glas-ist-halb-voll-Sichtweise gilt auch hier. Ihr Hormonglas ist halb voll und nicht halb leer, es geht auf einen neuen Lebensabschnitt zu und nicht auf das Ende. Auch ich musste lernen, das zu verinnerlichen – nicht immer einfach, wenn man für das Ende des einen oder anderen Menschen verantwortlich ist.

Als ich nach einer Weile wieder ins Wohnzimmer kam, hatten es sich Marlies, Werner und Jörn auf Sofa und Sesseln bequem gemacht. Ganz offensichtlich hatten es alle mit Champagner und Torte übertrieben, meine Schwiegereltern waren eingenickt und mein Mann kurz davor. Von meinen Kindern war nichts mehr zu sehen, aber die vertrauten Geräusche aus dem Obergeschoss verrieten ihren Aufenthaltsort.

»Werner hat drei Stück Torte gegessen.« Iza räumte kopfschüttelnd die Teller ab. »Hoffentlich hat er keinen Zuckerschock.«

Ich musterte meinen Schwiegervater prüfend. Seinen Altersdiabetes hatte er zum Glück ganz gut im Griff, aber der Champagner-Torten-Exzess war sicher nicht gut für ihn. Mir fiel kein Lebewesen auf diesem Planeten ein, dessen Körper bei der Ladung Fett, Zucker und Alkohol Hurra geschrien hätte. Zum Glück konnte ich bei Werner keinerlei Anzeichen eines Zuckerschocks feststellen.

»Hat er zu Hause sein Insulin genommen?«, fragte ich Iza und sammelte die Gläser ein. Gemeinsam brachten wir alles in die Küche.

»Ja sicher. Glaubst du, ich lasse ihn ohne Medikamente an so einer Zuckerorgie teilnehmen?« Stirnrunzelnd trat sie näher ans Fenster. Ihre Hochsteckfrisur hatte sich inzwischen fast vollständig aufgelöst, und die langen schwarzen Haare fielen ihr bis auf die schmale Taille, die durch das Sechzigerjahre-Kostüm noch mehr betont wurde. »Fuck«, stieß sie im nächsten Moment tonlos hervor. Trotz des vielen Rouges war Iza leichenblass geworden.

Negative Menschen bringen negative Stimmungen in Ihr Leben. Es wird mittlerweile sogar erforscht, ob der Umgang mit ständigen Nörglern und Hatern die Fähigkeit, positive Bindungen einzugehen, beeinträchtigt. Deshalb ist es so wichtig, sich von solchen Menschen abzugrenzen – und im Gegenzug die Beziehung zu den positiven Vertretern unserer Spezies zu stärken. Tun Sie das ganz bewusst, ziehen Sie Grenzen, und werfen Sie die Schlechtmacher aus Ihrem Leben. Sie werden den positiven Effekt schnell an sich selbst spüren!

2

»Fuck, fuck, fuck«, wiederholte Iza, und der Gedanke, dass Freddy genauso wenig tot war wie Klemens Wugner und jetzt vor unserem Fenster stand, schoss mir plötzlich durch den Kopf.

Du siehst wirklich immer nur das Negative, schalt ich mich sofort, Marlies hatte vollkommen recht. Ich hatte Freddy in mindestens zwanzig Einzelteile zerlegt und in einem Küchenblock einbetoniert, es gab nicht den geringsten Grund für meine negative Annahme, dass er jetzt unter dem Carport stehen könnte. Wir waren hier schließlich nicht bei The Walking Dead op Kölsch. Vermutlich zog einfach nur Regen auf, oder die adipöse Nachbarskatze erleichterte sich mal wieder in der Einfahrt.

»Die kenne ich«, flüsterte Iza.

»Ist das die dicke rotbraun Getigerte?«, fragte ich, während ich das Geschirr in die Spülmaschine räumte.

»Nein. Das ist Frau Wugner.«

Jetzt hatte Iza meine ungeteilte Aufmerksamkeit. Mit einem Satz war ich bei ihr am Fenster und starrte hinaus. Tatsächlich stolzierte Cathy Wugner in hohen Hacken und kurzem Rock den beleuchteten Bürgersteig entlang, ging von Haus zu Haus und schien die Namensschilder zu betrachten, wobei sie jedes Mal ihre blonde Mähne in den Nacken warf.

War ich jetzt zu negativ, wenn ich befürchtete, dass sie mein Haus suchte – oder einfach nur realistisch?

Reflexartig knipste ich das Licht in der Küche aus, damit man uns von draußen nicht sofort sehen konnte.

»Woher kennst du sie?«, flüsterte ich nun auch, was ein wenig absurd war, denn hören konnte uns Cathy Wugner beim besten Willen nicht.

»Aus meiner Zeit mit Freddy«, antwortete Iza leise. »Sie ist die Frau von einem echt miesen Menschenhändler. Der ist auch dick im Drogengeschäft.«

Das war keine Überraschung für mich.

»Und sie selbst ist keinen Deut besser. Die hat sich um die Neuankömmlinge gekümmert, um das Frischfleisch, wie sie es immer nannte.«

Ein mulmiges Gefühl breitete sich in meiner Magengegend aus. Hatte Iza selbst solche Erfahrungen mit Cathy Wugner gemacht?

»Sie hat die neuen Frauen eingewiesen und mit Drogen versorgt«, fuhr Iza leise fort. »Im Grunde ist sie nichts anderes als eine Zuhälterin und Dealerin.«

Das hätte ich ihr nun doch nicht zugetraut.

»Und sie war dafür bekannt, immer eine Waffe bei sich zu tragen.«

Das komische Gefühl in meiner Magengegend verstärkte sich. Mir wurde fast schlecht. Cathy Wugner war aus unserem Blickfeld verschwunden.

»Angeblich hat sie die auch regelmäßig benutzt. Auf jeden Fall …«

Bevor Iza weitersprechen konnte, klingelte es an der Haustür. Wir zuckten synchron zusammen und sahen uns wortlos an. Izas Augen spiegelten Panik. Ich hielt es für besser, wenn sie in der dunklen Küche blieb und nicht sofort von Cathy Wugner gesehen wurde. Iza wusste zwar nicht, ob die Wugner sie wiedererkennen würde, aber wenn ja, dann könnte diese Begegnung das Gespräch von Anfang an in eine falsche Richtung lenken – auch wenn ich nicht den Hauch einer Ahnung hatte, was wohl die richtige Richtung sein könnte. Alles an Cathy Wugners spätabendlichem Auftauchen war falsch, und ich konnte die Augen nicht davor verschließen, dass diese Frau höchstwahrscheinlich aus äußerst gefährlichen Gründen hier war.

»Ich bin nur ein paar Meter entfernt«, raunte Iza mir zu, während sie sich in die Nische zwischen Kühlschrank und Sideboard quetschte. »Und ich gehe sofort dazwischen, wenn es brenzlig wird.« Sie schnappte sich noch ein großes Messer aus dem Messerblock und zog sich in ihr Versteck zurück. »Du kannst dich auf mich verlassen.«

»Ich weiß.« Und obwohl sich mein Herzschlag bei Izas Hinweis auf eine möglicherweise brenzlige Situation noch beschleunigte, verspürte ich Dankbarkeit, diese Situation nicht allein durchstehen zu müssen.