Mörderisches Klassentreffen - Uwe Voehl - E-Book

Mörderisches Klassentreffen E-Book

Uwe Voehl

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Beschreibung

Die Zeit heilt keine Wunden Das Klassentreffen in dem beschaulichen Kurhotel Villa am See steht unter keinem guten Stern. Kurz zuvor wurde Ingo, der stadtbekannte schwarze Schwan, getötet und einem Gast ins Bett gelegt. Auch sonst droht das Klassentreffen zu einem Desaster zu werden, man erinnert sich alter Fehden und Vergehen. Und schließlich kommt zutage, was damals auf der Klassenfahrt im Landschulheim wirklich geschah. Ein packender Coming-of-Age-Krimi um Verdrängung, Schuld und Sühne. Die Printausgabe des Buches umfasst 224 Seiten. Die Exklusive Sammler-Ausgabe als Taschenbuch ist nur auf der Verlagsseite des Blitz-Verlages erhältlich!!!

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Uwe VoehlMÖRDERISCHES KLASSENTREFFEN

In dieser Reihe bisher erschienen

3501 Thomas Ziegler Überdosis

3502 Renate Behr Tod am Dreiherrenstein

3503 Alfred Wallon Sprung in den Tod

3504 Ulli B. Entschärft

3505 Udo W. Schulz Unter Blendern

3506 Alfred Wallon Die Escort-Lady

3507 Stephan Peters Die Hexe von Gerresheim

3508 Uwe Voehl Mörderisches Klassentreffen

Uwe Voehl

Mörderisches Klassentreffen

DER REGIONAL-KRIMIRuhrgebiet

Uwe Voehl ist freiberuflicher Autor und Lektor. Als Redakteur betreute er u.a. die Serie „Cotton Reloded“. Bis heute ist er als ­Redakteur verantwortlich für die Gruselserie„Professor Zamorra“ („Die langlebigste Horror-Serie der Welt“).

Seine erfolgreichen Krimireihen spielten in der Eifel („Mords-­Weihnacht“), im Teutoburger Wald („Tod und Rüben“) und in seiner Heimat Bad Salzuflen („Lipper Blut“).

Für seine Erzählung „Sternenkinder“ erhielt Uwe Voehl den Utopia-­Literaturpreis der Aktion Mensch und des Börsenvereins des ­Deutschen Buchhandels.

www.uwevoehl.de

Als Taschenbuch gehört dieser Roman zu unseren exklusiven Sammler-Editionen und ist nur unter www.BLITZ-Verlag.de versandkostenfrei erhältlich.Bei einer automatischen Belieferung gewähren wir Serien-Subskriptionsrabatt.Alle E-Books und Hörbücher sind zudem über alle bekannten Portale zu beziehen.© 2023 BLITZ-Verlag, Hurster Straße 2a, 51570 WindeckRedaktion: Jörg KaegelmannUmschlaggestaltung: Mario HeyerTitelbild: Mario HeyerSatz: Harald GehlenAlle Rechte vorbehaltenISBN 978-3-95719-386-5

Prolog

Die Gestalt auf dem Balkon schaute interessiert auf den Kurpark und den kleinen See darin hinunter. Was für eine Idylle an diesem frühen Tag! In dem ruhigen Teil des Gewässers spiegelten sich in der Morgensonne die am Ufer stehenden Weiden, deren Zweige sich mit der Oberfläche des Sees zu vermählen schienen. Als würden sie ihr Gegenbild zärtlich küssen.

Was für ein romantischer Vergleich!, dachte die Gestalt am Fenster und grinste breit, während sie mit dem Fernglas weiter Ausschau hielt.

Nur eine einzelne Joggerin trabte auf dem Weg entlang des Ufers. So eine Banausin! Mit ihren Knöpfen im Ohr, mit denen sie sich wahrscheinlich mit irgendeiner Dudelmusik beschallen ließ, entgingen ihr die herrlichen Geräusche, die die Natur wie jeden Morgen bereithielt: das stimmungsvolle Konzert der Vögel, allen voran der Gesang einer Drossel. Dazu gesellten sich das Quaken eines Frosches und das Summen der Bienen. Allein über dem See selbst herrschte eine ungewöhnliche Stille.

Eine Entenmutter schwamm mit ihren vier Jungen im Schlepptau zur Mitte hinaus. Gestern waren es noch fünf putzige Entchen gewesen.

Die Entenmutter schien nervös. Immer wieder schaute sie sichernd zu allen Seiten hin, bevor sie gründelte. Und schnell kam sie wieder hervorgeschossen, so als fürchte sie eine Gefahr.

Und die nahte in der Tat!

Die Gestalt auf dem Balkon hatte den schwarzen Schwan schon vorher gesehen. Unweit der Entenmutter mit ihren Jungen befand sich eine winzige Insel. Im dichten Grün hatte der Schwan regungslos ausgeharrt.

Er hatte natürlich auch einen Namen. Die blöden Menschen mussten ja jedem Tier einen Namen verpassen. Bei ihren Kötern und Katzen verstand man das ja noch halbwegs, aber es sollte sogar Zeitgenossen geben, die ihren Goldfisch Goldie oder noch schlimmer nannten.

Den Schwan hatten irgendwelche Idioten Ingo getauft, und als solcher hatte er es sogar in den Lokalteil der Landes­zeitung gebracht.

Nun, vielleicht würde heute sogar die Lokalzeit über Ingo berichten.

Geduldig wartete die Gestalt auf den Moment, in dem Ingo zuschlagen würde.

Und der kam –

JETZT!

Die Entenmutter war gerade eben erst erneut unter­getaucht, als Ingo flügelschlagend aus dem Gebüsch hervorschoss und über das Wasser lief. Zwei, drei Sekunden später hatte er eines der Entenjungen erreicht. Es war das Kleinste. Das, welches ganz als Letztes in der Reihe mit den Füßchen paddelte.

Es quietschte laut auf, als Ingo es schnappte und mit seinem starken Schnabel zubiss. Die Entengeschwister stoben panikartig davon. Ingo aber tauchte sein Opfer unter Wasser.

Zwei, drei Minuten lang hielt er den langen Schwanenhals mitsamt seiner Beute nach unten gedrückt.

Die Entenmutter war längst wieder aufgetaucht. Wild flatterte sie mit den Flügeln, wagte es aber nicht, den viel größeren Mörder anzugreifen. Laut kreischend flog sie davon, ihre restliche Brut beschützen wollend, als Ingos Kopf wieder hervorbrach.

Noch immer hielt er das Entenjunge in seinem Schnabel. Reglos hing es dort.

Er hatte es ertränkt!

Denn Ingo, der Killerschwan, wie ihn die Landeszeitung getauft hatte, duldete keine Brut außer seiner in seinem Revier. Vielleicht würde er sich heute noch weitere Jungenten schnappen, vielleicht aber ließ er sich bis morgen Zeit, um seine Mördertour genüsslich zu zelebrieren.

Die Gestalt auf dem Balkon setzte das Fernglas ab und summte ein altes Kinderlied. Dabei reimte sie in Gedanken, frei nach den Zehn kleinen Negerlein:

Fünf kleine Entchen, die schwammen grad noch hier,

eines tränkte Ingo tot, jetzt sind es nur noch vier!

Nein, entschied die Gestalt, Ingo würde heute kein Entchen mehr totbeißen oder ertränken. Er würde überhaupt nie wieder ein Entchen killen.

Die Gestalt hatte sich schon angekleidet. Leise ­öffnete sie die Zimmertür und huschte die Treppen hinunter. Die Rezeption war an diesem frühen Morgen noch nicht besetzt. Überhaupt schienen noch alle zu schlafen. Nur aus der Küche drang leises Geklapper. Himmlischer Kaffee­duft stieg der Gestalt in die Nase.

Sollte sie erst ...?

Nein, beschloss sie: erst das Vergnügen, danach die Stärkung. Das Frühstück würde sozusagen die Belohnung werden, und der Kaffee die Krönung.

Die Gestalt eilte aus dem Hotel hinaus und hinunter zum Kurparksee.

Sie hatte sich gut vorbereitet und bereits am gestrigen Abend Brot und Salatblätter vom Tisch mitgehen lassen. Nun wartete sie geduldig ab. Sie war sich sicher, dass Ingo sie bereits misstrauisch von irgendwoher beobachtete. Andererseits war er gierig, und auch seine Partnerin und seine eigenen Jungen, die von allen Blicken verborgen auf der kleinen Insel residierten, mussten versorgt werden. Die Gestalt hatte tags zuvor mitbekommen, dass Ingo Menschen gegenüber absolut nicht angriffslustig war, sondern sich von ihnen gerne füttern ließ.

Du schlauer Hund!

Es dauerte keine zwei Minuten, und Ingo kam herbeigeflattert. Zehn Meter vor der Gestalt landete er im Wasser. Vorsichtig beäugte er den Menschen, der so ungewohnt früh hier stand und ihn mit Leckereien versorgte.

„Komm, komm, komm ...“, lockte die Gestalt mit sanfter, hoher Stimme und wedelte mit einem Salatblatt. Doch so ganz schien Ingo dem Braten nicht zu trauen. Er blieb auf Abstand.

„Hier! Schluck du Mistvieh!“ Auch das klang sanft, im Gegensatz zum Inhalt. Die Gestalt warf dem zögernden Schwan einen Brotklumpen zu. Gierig schnappte Ingo danach.

Der Hunger war nun größer als die Vorsicht. Er kam angepaddelt, den langen Hals vorgestreckt und den Schnabel hungrig geöffnet.

Die Gestalt fütterte ihn mit zwei weiteren Brotkrumen. Dann trat sie zwei, drei Schritte vom Ufer zurück. Ingo folgte ihr watschelnd.

Die Gestalt ging in die Hocke und legte alles Brot und die Salatblätter vor ihren Füßen ab. Ingo hatte längst alle Vorsicht vergessen. Mit Heißhunger machte er sich über das unverhoffte Frühstück her. Sein Hals befand sich nur wenige Zentimeter von der Gestalt entfernt.

So ein schöner schwarzer langer Hals ...

Mit einer blitzschnellen Bewegung zog sie das Messer, dessen Knauf sie die ganze Zeit bereits fest umfasst gehalten hatte, aus der Jackentasche. Es war das schärfste, was sie in der Küche hatte finden können, als sie sich in der Nacht dort umgeschaut hatte.

Ingo kreischte auf, als die Klinge in seinen Hals fuhr. Mit der anderen Hand umfasste die Gestalt den Hals und drückte zu, damit Ingo nicht wegfliegen konnte.

Das Vieh kreischte. Hoffentlich weckte es nicht das ganze Hotel auf!

Rasch zog die Gestalt den wild mit den Flügeln flatternden Schwan in ein Gebüsch.

Dort erledigte sie den Rest. Wieder und wieder fuhr die Klinge in das Fleisch, bis sich das Tier endlich nicht mehr regte.

Ingo war ein ziemlich zäher Bursche gewesen!

Schwer atmend ließ die Gestalt das Messer sinken.

Dann lauschte sie.

Es blieb alles still. Auch vom Hotel her wehte kein einziger Laut herüber.

Noch ein paar Minuten blieb die Gestalt im Gebüsch hocken. Dann zog sie sich die blutbespritzte Jacke aus und verdeckte den toten Schwan damit. Ganz reichte es nicht, aber sie hoffte auch weiterhin darauf, dass noch alle schliefen – bis auf das verdammte Küchenpersonal.

Aber auch diesmal hatte sie Glück. Bei ihrer Rückkehr traf sie auf keinen Menschen. Und nach wie vor klang aus der Küche das Geklapper, nun jedoch untermalt von leisem Stimmengemurmel und einer nervenden Gute-Laune-Musik aus einem quäkenden Radio.

Mist, verdammter! Da war sie doch glatt über die Kante des Teppichs gestolpert. Gerade noch konnte sie sich fangen und schlich weiter.

Der Duft frisch aufgebrühten Kaffees schmeichelte erneut verlockend ihren Geruchssinn und überdeckte sogar den des Blutes.

Mit dem blutigen Bündel in der Hand schlich sie die Treppen hinauf in ihr Zimmer. Ingo war ein ganz schön schwerer Brocken.

Umso mehr hatte sie sich gleich ein üppiges Frühstück verdient!

Kapitel 1 – Blutspur am Morgen, bringt Kummer und Sorgen

Da war doch wer? Vorsichtig lugte Jimmie, der in der Küche unter der resoluten Chefköchin Elsbeth den Kochlöffel schwang, um die Ecke. Der junge Schwarz­afrikaner sah gerade noch ein paar Stiefelsohlen die Treppe aufwärts verschwinden.

Er wusste nicht genau zu sagen, was ihn daran störte. Vielleicht weil es so lautlos geschehen war. Bis auf das eine Stampfen, das ihn hatte nachschauen lassen. Vielleicht war ja einer der Gäste über den Teppich vor der Rezeption gestolpert und hingefallen. Henkelmann hatte sich darum kümmern sollen, aber wie das so ist ...

Jimmie schüttelte den Kopf und wollte sich schon wieder in die Küche begeben, als er den Blutstropfen auf dem Boden sah.

Er ging dorthin, begab sich in die Hocke und wischte ihn automatisch mit dem Spültuch weg, das er in der Hand hielt. Da sah er zwei Meter entfernt den nächsten Fleck ...

„Was krauchst du denn da auf dem Boden rum?“

Die Stimme in seinem Rücken erklang so plötzlich, dass er hochschrak.

„Hey, keinen Grund, bei meinem Anblick in Panik zu verfallen!“ Es war Lisa, die junge Servicekraft, die da so unvermittelt hinter ihm aufgetaucht war.

Mussten denn heute Morgen alle so herumschleichen! Jimmie erhob sich. „Ich habe nur einen Blutfleck weggewischt.“

„Hast du dich geschnitten?“ Sie schaute dabei so mitfühlend auf seine feingliedrigen Hände, als spähe sie inständig nach einer Wunde aus, die sie verarzten könne. Jimmie mochte die dralle schwarzhaarige junge Frau, aber wie verliebt sie ihn manchmal anschaute, war ihm unheimlich. Selbst wenn sie Miss Sonstwas gewesen wäre, wäre er auf keine einladenden Blicke eingegangen: Etwas mit einer Kollegin anzufangen, gehörte sich nicht! Das konnte nur problematisch enden. Da hatte er seine Prinzipien.

„Äh, nein.“ Er ertappte sich dabei, wie er die Hände eng an die Schürzennaht presste.

„Ach ... okay ...“ Das klang wie: „Ach, schade.“

Jimmie wies auf den anderen Flecken. „Da ist noch einer. Keine Ahnung, wer das war.“ Und das stimmte sogar, er hatte ja nur ein paar Gummistiefel gesehen.

Bevor er dort war, hatte Lisa den zweiten Fleck erreicht. Er war sogar noch größer als der erste. Sie bückte sich und berührte ihn vorsichtig mit der Fingerspitze.

„Ist doch komisch, oder? Wer verliert denn hier Blut?“

Kopfschüttelnd ging sie weiter. „Hier ist noch einer!“

Nun hatte sie wortwörtlich Blut geleckt. Oder fast wortwörtlich. Sie folgte der Spur bis zum Treppenansatz. Ein roter Läufer bedeckte die Stufen. Auch auf ihm waren Flecken zu sehen.

„So eine Sauerei!“, schimpfte Lisa. „Am besten hol ich gleich mal Spülmittel, bevor es eintrocknet!“

Und schon lief sie in die Küche. Jimmie ließ sie gewähren, während er weitere Blutflecken vom Fliesenboden putzte. Eigentlich war für so etwas Henkelmann, ­Faktotum, Mädchen für alles und seines Zeichens Hausmeister, zuständig. Der war zwar meistens als Erster morgens wach, vertrieb sich aber wahrscheinlich im Heizungskeller die Zeit mit ein paar Kreuzworträtseln.

„Jimmie?“ Das war die resolute Stimme von Elsbeth Przybilla. „Ker, wo bleibst du, die Bütterkes schmiern sich nicht von alleine!“

Lisa flitzte an der Köchin vorbei, ohne sie zu beachten.

„Muss nur eben was aufwischen“, sagte Jimmie. Er hatte soeben den letzten Blutstropfen weggeputzt. Den Rest auf der Treppe konnte Lisa wegmachen. Er wurde jetzt in der Küche gebraucht. Seine selbst ernannte Chefin verstand da keinen Spaß. Er kniff Lisa noch ein Auge zu und trollte sich zurück in die Küche.

*

Auf den Knien arbeitete sich Lisa weiter vor und schrubbte die Blutflecken gewissenhaft weg. Der schöne Teppich! Erst vor einem Jahr war er neu verlegt worden. Beste Manufakturware! Und rot hatte er sein müssen, hatte Percival erklärt. Die Gäste würden es mögen, auf einem roten Teppich hinaufzuwandeln – quasi in ihre Gemächer.

Lisa fluchte insgeheim. Die Bescherung wegzumachen, lag jetzt an ihr. Aber sie konnte keinem Gast zumuten, den Fuß auf einen blutbesudelten Teppich zu setzen. Obwohl man es kaum sah, wenn man nicht genau hinschaute. Rot auf Rot eben.

Als sie die erste Etage erreicht hatte, hatte sie elf Flecken entfernt. Aber oben auf dem Korridor lag ebenfalls ein roter Teppich. Und die Spur verlief weiter.

Jetzt packte Lisa die Neugier.

Wollen doch mal sehen, bis zu welcher Zimmertür die Blutspur führt!

Natürlich würde sie nicht in das Zimmer stürzen. Aber vielleicht ganz zaghaft klopfen und fragen, ob alles in Ordnung sei. Vielleicht konnte sie dem Gast ja ein Pflaster reichen oder sonst wie behilflich sein ...

Trotz allem war ihr nicht ganz wohl dabei, als sie, den Blick auf den Teppich gerichtet, langsam weiterging. Was, wenn es sich nicht einfach nur um eine kleine Verletzung handelte, sondern um ...?

Etwas Größeres.

Als begeisterte Krimiguckerin verpasste sie keinen Thriller im Fernsehen. Insofern kam sie sich auf einmal fast so vor wie in einem Film. Zumal die Stille beängstigend war. Noch nicht einmal das Geklapper aus der Küche drang hier hoch.

Die Spur endete vor der Besenkammer. Lisa schluckte den Kloß hinunter, der auf einmal in ihrem Hals saß. Die Besenkammer war groß genug, dass ein Mensch hineinpasste. Hatte sich der Verletzte darin versteckt? Vielleicht weil er gemerkt hatte, dass Lisa seine Spur verfolgte und es ihm peinlich war, dass er den Teppich besudelt hatte. Aber vielleicht erwartete sie auch dort drinnen –

Etwas Schlimmeres?

Eine Leiche?

Kurz schoss ihr in den Sinn, nach unten zu laufen und Jimmie von ihrer Entdeckung zu berichten. Mit ihm an ihrer Seite würde es sicherlich nicht so schlimm werden, die Wahrheit herauszufinden. Was auch immer sich hinter der Besenkammertür verbarg.

Nein, die Neugier, das Rätsel jetzt und hier zu lösen, war größer als die aus zig Krimis geborene Angst vor dem Unbekannten.

Mit einem Ruck zog sie die Besenkammer auf.

Etwas fiel ihr entgegen.

Lisa schrie wie noch nie zuvor in ihrem Leben.

*

Verdammt, der große Schwarze hatte was gemerkt! Dieser vermaledeite Teppich, über die sie gestolpert war! Aus der Deckung der Balustrade heraus beobachtete die Gestalt, wie der Schwarze herumschnüffelte. Jetzt bückte er sich und sah den Blutfleck.

Die Gestalt grinste, als sie sah, dass der Tölpel den Flecken wegwischte. Gut so, keine Spuren hinterlassen! Obwohl sie ja keinen Menschen umgebracht hatte. Nur Ingo, den Killerschwan. Er hatte seine gerechte Strafe bekommen. Insofern hätte sie sogar eine Belohnung verdient.

Wie wär’s mit einer schönen Gänsebrust heute Abend?

Als sie schon hoffte, der Schwarze würde wieder zurück in die Küche an seine Arbeit gehen, entdeckte er den nächsten Fleck. Und jetzt kam auch noch diese Frühstücktstussi hinzu.

Während sich die beiden unterhielten, nutzte die Gestalt die Gelegenheit zu verschwinden. Dass das Blut aus der Jacke getropft war, war ihr gar nicht aufgefallen. Aber jedem Malheur wohnte auch etwas Gutes inne, oder wie sagte man?

Auch jetzt tropfte Blut heraus. Nur tröpfchenweise zwar, aber genug, dass sich die Spur bis zu ihrem Zimmer verfolgen ließe. Da fiel ihr die Besenkammer ins Auge. Hoffentlich hielten sich die beiden noch weiter dort unten auf!

Die Besenkammer war nicht verschlossen. Zudem steckte ein Schlüssel im Schloss, wozu auch immer, wenn niemand abschloss.

Die Gestalt hörte noch immer Stimmen von unten. Daher war es nicht weiter tragisch, dass die Tür leise quietschte, als sie sie öffnete.

Mit einem Blick erfasste sie den Inhalt der Kammer und überschlug blitzschnell die Möglichkeiten. Dann hatte sie es!

Sie riss einen der Plastikmüllsäcke vom Haken und stopfte die Jacke mit dem blutigen Schwan da rein.

Dann lauschte sie nach unten. Die alte Schachtel aus der Küche rief etwas. Gut so, die waren also noch beschäftigt.

Also blieb noch genug Zeit, um sich einen kleinen Spaß zu erlauben.

Sie nahm einen der Besen, tauchte ihn in den Müllsack und sah zu, dass die Borsten schön blutig wurden. Dann setzte sie den Müllsack ab und stellte den Besen wieder zurück in die Kammer. Aber mit dem Stil nach unten und so, dass er an der Tür lehnte. Es war ein wenig knifflig, ihn so zu bugsieren, dass er auch wirklich stehen beziehungsweise daran angelehnt blieb, während sie die Tür vorsichtig wieder schloss.

My work is done.

Zumindest der Anfang. Sozusagen das Vorspiel. Und es hatte alles viel besser geklappt, als sie erhofft hatte.

Den Weg zu ihrem Zimmer schlich sie auf Zehenspitzen zurück. Dabei lugte sie noch einmal vorsichtig nach unten. Die dumme Pute war tatsächlich dabei, mit irgendeinem Reinigungszeug den Teppich zu behandeln.

Sollte sie! Ihr würde sie jedenfalls nicht auf die Schliche kommen. Dennoch atmete die Gestalt auf, als sie endlich ihr Zimmer erreichte und die Tür hinter sich abschloss.

Wohin jetzt mit Ingo? Darüber hatte sie sich zuvor überhaupt keine Gedanken gemacht. Es war das eine, den Schwan vom Balkon aus zu betrachten. Aus der Entfernung wirkte er weit weniger groß. Ingo war ein richtiger Kaventsmann. Auch hatte sie das viele Blut nicht vorausgesehen. Gut, das Problem war jetzt gelöst. Der Müllsack ließ nichts davon durch. Aber wohin jetzt mit dem Ding?

Ruhig Blut, nichts überstürzen. Sie hatte ja Zeit ...

Natürlich könnte sie darauf bestehen, dass ihr Zimmer bis zum nächsten Morgen nicht gereinigt werden sollte. Aber das würde nachträglich einen Verdacht auf sie werfen. Die Stubenmädchen im Hotel waren sehr gründlich, nahezu pingelig, und nahmen sich sehr viel Zeit. Die saugten sogar unter dem Teppichläufer und wischten die Kante des Türrahmens oben sauber.

Aber ob sie auch den Schrank öffneten? Immerhin lagerten ja da private Dinge, nicht nur die Kleidung. Aber immerhin steckte auch hier ein Schlüssel im Schloss.

Nach kurzer Überlegung deponierte sie den Sack, den sie zuvor zugeknotet hatte, auf den Boden des Schrankes und machte die Tür zu. Dann schloss sie ab und schob den Schlüssel in die Hosentasche. Jetzt konnte niemand mehr seine neugierige Nase so einfach in den Schrank stecken.

Perfekt!

*

Der Schrei weckte das ganze Hotel auf. Zumindest die, die noch schliefen. Also eigentlich fast alle.

Es war Percival, der sein Refugium in der obersten Etage hatte, der dennoch als Erster am Tatort war. Mit abstehender Out-of-Bed-Frisur und gestreiftem Pyjama, an dem in Höhe des Bauchnabels ein Knopf fehlte.

In der Küche unten hatte niemand den Schrei gehört, weil jemand in dem Augenblick eine Pfanne hatte fallen lassen, was alles andere übertönt hatte.

Die wenigen Gäste waren zwar nun erwacht, zogen es jedoch vor, die Angelegenheit dem Personal zu über­lassen. Manch einer wähnte sich auch noch im Traum oder glaubte zumindest, den schrillen Schrei nur geträumt zu haben. Zumal es wirklich nur ein einziger Schrei gewesen war, dem kein weiterer folgte.

Und so war Percival nicht nur der Erste, sondern tatsächlich auch der Einzige, der herangestürmt gekommen war.

Lisa stand in erstarrter Haltung vor der offenen Besenkammer. Als Percival sie erreichte, zitterte sie noch immer am ganzen Körper.

„Kindchen, was ist denn los?“

Das Wort Kindchen nahm Percival sonst nie in den Mund – allein aus Respekt nicht, genauso wenig wie er eine junge Frau mit Fräulein ansprach. Aber in diesem Fall rutschte es ihm heraus, weil Lisa einen ganz und gar jämmerlichen und bemitleidenswerten Eindruck machte.

Schluchzend warf sie sich ihrem Chef in die Arme. ­Percival fühlte sich ein wenig überfordert. Schließlich aber beruhigte sich Lisa wieder ein wenig.

Noch immer zitternd löste sie sich von ihm. Jetzt erst fiel Percival die rote Schwellung an ihrer Stirn auf.

„Mein Gott, hast du dich verletzt?“, fragte er besorgt.

Sie schüttelte den Kopf. Noch immer war sie nicht in der Lage zu sprechen. Stattdessen wies sie auf den Besen, der auf dem Boden lag.

„Äh ... ja.“ So richtig wusste Percival mit dem stummen Hinweis nichts anzufangen. Er bückte sich, um den Besen aufzuheben. Das sah er den Blutfleck daneben. Hatte sie sich doch verletzt? Ratlos schaute er sie an.

Und endlich gelang es Lisa, ein paar zusammen­hängende Sätze herauszubringen.

„... und dann, als ich die Tür hier geöffnet habe, fiel mir der Besen entgegen. Direkt gegen die Stirn. Ich hab mich so erschrocken, dass ich geschrien habe. Es tut mir so leid!“

„Das braucht es nicht. Ich glaube, ich hätte auch geschrien.“

Na ja, vielleicht nicht ganz so laut, dass man gleich davon aus dem Bett fällt.

Percival wusste zwar nun, was geschehen war, allzu schlau war er jetzt trotzdem nicht.

Er stellte den Besen zurück in die Kammer, und zwar an seinen ordnungsgemäßen Platz. Die Kammer war gerade mal so groß, dass sie den Reinigungswagen und einige zusätzliche Utensilien enthielt. Er schnüffelte. Der Geruch war merkwürdig. Leicht metallisch. Es roch eindeutig nach Blut.

Aber er sah keines. Zumindest nicht auf den ersten Blick. Dafür fiel ihm auf, dass die Müllbeutel vom Haken heruntergerissen waren und auf dem Boden lagen. Dann sah er die blutigen Borsten. Die waren ihm vorher nicht aufgefallen.

Grübelnd schaute er erneut auf den Blutfleck auf dem Teppich. Seltsam, der befand sich tatsächlich direkt vor der Kammer. Percival verfolgte die Spur zurück. Es war tatsächlich so, wie Lisa erzählt hatte. Alle ein, zwei Meter war ein weiterer Fleck im Teppich zu erkennen. Bis kurz hinter dem Treppenaufsatz. So weit war Lisa gekommen und hatte sie weggewischt. Nur noch die feuchten Stellen waren zu sehen.

Die Sache blieb ein Rätsel. Aber andererseits war sie auch keiner längeren Spurensuche wert. Viel war ja nicht passiert. Das Blut war schon größtenteils weggewischt, und die leichte Beule auf Lisas Stirn war hoffentlich nichts Ernstes.

„Am besten lässt du dich kurz verarzten. Wenn du natürlich meinst, es ist schlimmer, dann ...“

Lisa schüttelte den Kopf. „Nein, tut gar nicht weh, Chef. Es war nur der Schreck. Der verdammte Besen!“

„Ich frage mich, ob das Zufall war oder Absicht?“ Die Frage stellte er mehr sich selbst als seiner Angestellten. Trotzdem antwortete sie prompt: „Das war Absicht, da wette ich für! Keiner von uns ist so blöd und stellt den Besen so zurück, dass er gegen die Tür kippt!“

„Tja, dann ... Ich ... äh, zieh mich jetzt erst mal an.“

„Und ich geh wieder an die Arbeit und wisch den Rest weg.“

Taffes Mädchen! Aber schließlich hatten sich in der Villa am See schon ein paar echte Morde ereignet, da war auch das Personal abgehärtet.

Trotzdem ging Percival die Sache nicht aus dem Kopf. Auch nicht, als er unter der Dusche stand und sich danach ankleidete. Die Frage, die ihn vor allem beschäftigte, war: Hing beides – Blut und Besen – irgendwie zusammen? Und wenn, so konnte es sich doch nur um einen schlechten Scherz handeln, oder? Hatte jemand Lisa eins auswischen wollen? Nein, denn dieser mögliche Jemand hatte ja nicht ahnen können, dass ausgerechnet Lisa die Tür zur Besenkammer öffnete.

Wer befand sich überhaupt zurzeit im Hotel? Im Kopf erstellte er eine Liste:

Vom Personal dürften zu dieser frühen Stunde nur ­Jimmie, Elsbeth und Henkelmann eingetrudelt sein. Lisa war erst kurz zuvor gekommen. In normalen Zeiten war die Rezeption rund um die Uhr besetzt. Chef des Ganzen war Carsten Schwalbe, der entweder selbst dahinter stand oder seine Vertreter einteilte. Da jedoch nur vier Gäste in der Villa am See weilten, sah Percival keinen Anlass, die Rezeption nach zweiundzwanzig Uhr geöffnet zu halten. Für alle Fälle gab es einen Klingelknopf. Es wäre nicht das erste Mal gewesen, dass Percival jemandem, der den Schlüssel vergessen oder sonst ein Problem hatte, geholfen hätte.

Von den vier Gästen waren zwei treue Stammgäste. Der dritte Gast hieß Erwin Dämmer und war geschäftlich eingekehrt. Der vierte Gast – eine Gästin genau genommen, Simone Ljung – war eine Dame in den Vierzigern, die, so hatte sie erzählt, einfach mal ausspannen wollte. Außerdem dichtete sie. Auf Percival wirkte sie ein wenig verrückt, sodass er die Gespräche, die sie offensichtlich permanent suchte, mit ihr mied. Sein Job war so oder so schon anstrengend genug. Vor allem in diesen Zeiten, wo es mehr Personal als Gäste durchzufüttern gab.

Apropos füttern! Allmählich verspürte er Hunger. Der Gedanke an ein üppiges Frühstück ließ seinen Bauch zustimmend knurren.

Kapitel 2 – Frühstück mit Schwänin

Unten in der Halle empfing ihn die gewohnte Geschäftigkeit. Auch bei nur vier Gästen lief die Maschinerie der Villa am See wie geschmiert. Lisa und die zwei anderen Servicekräfte huschten von der Küche und dem Frühstückssaal hin und her, um die schon am Vorabend eingedeckten Tische mit Köstlichkeiten zu bestücken. Lisa warf ihm im Vorübergehen ein dankbares Lächeln zu. Klümchen und Carsten Schwalbe standen hinter der Rezeption und steckten die Köpfe zusammen. Selbst Henkelmann war aufgetaucht. Unter dem Arm klemmte ein Stapel aktueller Tageszeitungen, die er nun in die dafür vorgesehenen Ständer steckte. Percival hatte längst den Kampf aufgegeben, ihm begreiflich zu machen, die Kreuzworträtsel darin den Gästen zu überlassen. Er war nun mal besessen davon und erschien nicht eher aus seinem Keller, bis er auch das letzte Kästchen ausgefüllt hatte. Wenigstens die Silbenrätsel und Sudoku verschonte er. Letzteres war die Leidenschaft Heinrich von Meyrinks, Oberst a. D. und seit Jahren Percivals treuester Dauergast. Er hätte einen Krieg entzündet, hätte Henkelmann auch noch sein geliebtes Sudoku gelöst.

„Chef!“

Klümchen winkte ihn zur Rezeption. Percival runzelte die Stirn. Das Frühstück war ihm heilig. Und vorher, das wusste jeder, war er nicht ansprechbar. Allerdings hatte dieser Tag ja eh schon anders begonnen als üblich. Dennoch überlegte er, nicht einfach den Weg zum Frühstückssaal fortzusetzen.

„Chef!“ Diesmal klang es schon etwas bestimmter. Klümchen ließ einfach nicht locker.

Percival seufzte und änderte die Richtung.

Während Carsten eine gewohnt stoische Miene beibehielt, lächelte Klümchen geradezu euphorisch. So als hätte sie im Lotto gewonnen. Oder zumindest von einer saftigen Gehaltserhöhung erfahren, die sich Percival im Augenblick eh nicht leisten konnte.

„Erst mal einen wunderschönen guten Morgen“, flötete Klümchen, die um die Prioritäten ihres Chefs wusste.

„Guten Morgen“, grummelte Percival.

„Wir haben eine mega Buchung reinbekommen. Dreizehn auf einmal. Und der ganze Verein will schon gleich morgen hier eintrudeln!“

Percival zog die Braue hoch. „Ein Verein? Etwa ein Kegelverein?“

Vor seinem geistigen Auge zog eine wilde Bande über Siebzigjähriger vorbei, die alle schon geimpft waren. Denn sonst dürften sie wohl nicht im Rudel anreisen.

„Natürlich nur im übertragenen Sinne. Und die Impfe haben die auch alle schon bekommen.“

Also doch über Siebzigjährige.

„Allesamt Krankenhauspersonal aus einer Stadt. Die wollen einfach mal ausspannen ...“

„Und das gleich im Rudel?“ Percival zog die Stirn kraus. „Das wird nicht so einfach, die Hygieneregeln einzuhalten.“

„Ach was, Carsten und ich haben das schon ausgetüftelt. Wir separieren sie von den anderen Gästen, indem wir das Frühstück in zwei Schichten fahren. Oder, wenn doch alle zur gleichen Zeit frühstücken wollen, servieren wir im Konferenzraum. Und aus die Maus.“

„Na schön ...“

„Na schön? Super, oder?“

„Äh ja, ihr habt das schon im Griff.“ Das Bauchknurren war nun nicht mehr zu überhören.

Carsten Schwalbe räusperte sich. „Die Freude über die Buchung kommt garantiert mit dem ersten Frühstücksei“, klärte er seine Kollegin auf.

---ENDE DER LESEPROBE---