Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Nach ihren Erfolgen "MordsAbgang" und "MordsAbgang Blutrot" mit Krimis in deutschen Weinregionen führen Astrid und Frank Kallweit ihre Leser nun mit Spannung und Witz durch ferne Weinregionen. Amerika, Frankreich, Mallorca und Madeira werden zu neuen Tatorten für die weinsinnigen Sauerländer.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 174
Veröffentlichungsjahr: 2025
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Amerikas tiefer Fall
Tatort: USA / Amerika
Frank W. Kallweit
Französisch für Anfänger
Tatort:
Languedoc-Roussillon / Südfrankreich
Astrid Kallweit
Ein toter Pirat in Port de Soller
Tatort:
Port de Soller / Mallorca (Spanien))
Frank W. Kallweit
Mädels-Tour
Tatort: Madeira / Portugal
Astrid Kallweit
Mein Name ist Karl, aber nennt mich doch einfach Charly, denn alle nennen mich seit meiner frühesten Kindheit so. Meine Geschichte, die ich euch hier erzähle, ist so unglaublich, dass ich sie nicht verschweigen kann, obwohl ich doch seither viel Schuld auf mich geladen habe. Eigentlich sollten es die glücklichsten Wochen meines Lebens werden. Es waren ja schließlich auch unsere Flitterwochen. Gut, es waren für mich nicht die ersten Flitterwochen. Dies ist aber eine ganz andere Geschichte, die jedoch nach viel Schmerz und finanziellem Aderlass schon seit einigen Jahren der Vergangenheit angehört hatte.
Das neue Glück an meiner Seite war eine tolle Frau mit Namen Rosa Lopez. Sie arbeitete in Iserlohn in dem kleinen spanischen Tapas-Restaurant ihres Vaters. Genau dort hatte ich meine Traumfrau auch kennengelernt. Als Weinlieferant des Lokals waren mir die Türen weit geöffnet worden, wenig später war ich bereits ein Teil der Familie. Einer meiner besten Rotweine hatte den anfänglichen Widerstand meines Schwiegervaters brechen können. Für seine einzige Tochter hätte es eigentlich ein waschechter Spanier sein müssen, am besten ein Matador aus Andalusien. Ich hatte mich eher als das rote Tuch gefühlt. Doch meine edlen spanischen Rotweine und meine Begeisterung für Kultur und Küche des Landes hatten sein Herz geöffnet und mir damit den Weg in die Familie geebnet. Nach der großen Hochzeitsfeierlichkeit, die schon einem kleinen Volksfest glich, machten Rosa und ich uns auf den Weg nach Atlanta.
Die Vereinigten Staaten von Amerika waren unser Ziel für einen echten Traumurlaub. Fackeln im Sturm, Vom Winde verweht – wir wollten sie sehen, diese Drehorte und Kulissen der Filmgeschichte. Wie Scarlett O’Hara und Rhett Buttler wollten wir über die stattlichen Anwesen am Mississippi in den blutroten Sonnenuntergang reiten.
Eine erste Hürde galt es jedoch bereits direkt nach der Landung in Atlanta zu überspringen.
Mit reichlich Gepäck bewegten wir uns langsam der Übernahme des Mietwagens entgegen. Ein riesiger Platz zugeparkt mit Autos bis zum Horizont lag direkt vor uns. Auf einer der zahlreichen Laternen, die das gesamte Anwesen bevölkerten, sollten wir die Nummer 568 finden.
„Wo ist denn diese blöde Nummer“, Rosa klang ziemlich genervt. Ihre Stimmung verbesserte sich auch nicht durch meinen Gesang.
„Ein Licht, das unsre Nummer trägt …“
„Endlich, da ist es“, seufzte meine Frau voller Erleichterung.
Wir hatten es geschafft! Das gesuchte Mietauto stand vor uns. Gut, dieses Fahrzeug war ein wenig zu groß, es war ganz sicher nicht der bestellte Kleinwagen.
Was soll’s? In den Staaten ist doch alles etwas größer als in Europa.
Rosa klang bedrückt: „Eine Beule!“
„Hast du dich gestoßen, Schatz? Ich hoffe, es ist nicht so schlimm. Warte, ich helfe dir sofort bei deinen Taschen.“
„Mir tut nichts weh, aber das Auto …“
„Oh nein, das darf doch nicht wahr sein!“, richtig laut schrie ich meinen Frust heraus.
Die Beifahrertür unseres Mietwagens war total demoliert.
„Das Auto müssen wir sofort reklamieren“, schien für mich die einzige Lösung zu sein.
Rosa nickte zustimmend.
Unser Vorhaben war jedoch nicht ganz so einfach umzusetzen, da auf dem gesamten Gelände weit und breit keine Menschenseele zu sehen war. Also luden wir unsere Koffer ein und folgten mit unserem neuen Gefährt der unübersichtlichen Wegführung. Im Schritttempo fuhren wir durch ein Labyrinth von Einbahnstraßen. Bald hatten wir vollkommen unsere Orientierung verloren. Irgendwo sollte doch der Verwaltungspavillon zu finden sein.
„Pass auf!“, schrie Rosa.
Direkt vor mir war aus dem Boden ein eisernes Band mit Krallen hervorgeschossen.
Meine ganze Körperkraft warf ich auf das Bremspedal. Noch rechtzeitig vor dem Hindernis blieb unser Gefährt stehen. Ein bewaffneter Mann stürmte uns entgegen und schrie mich laut an: „Hände aufs Lenkrad! Ich will deine Hände sehen!“
Ich verharrte regungslos, da ich mich erstmal an den amerikanischen Slang gewöhnen und die Worte deuten musste.
Rosa reagierte mürrisch. „Ist das hier ein Wunschkonzert, oder was? Wer weiß, welchen Körperteil er gleich noch sehen will.“
Irgendwie waren wir wohl ziemlich direkt auf das Hauptausgangstor zugesteuert und hatten die erforderlichen Kontrollstellen umfahren. Das Wachpersonal hielt uns offensichtlich für Autodiebe.
Ich folgte stumm den weiteren Anweisungen des Uniformierten, stieg seinem Befehl folgend ganz langsam aus dem Wagen aus und legte meine Hände aufs Autodach. Ein zweiter Wachmann kam seinem Kollegen zur Hilfe.
Was passierte nun hinter meinem Rücken? In meiner unbequemen Position verharrte ich einige Minuten. Irgendwie stieg in mir ein ungutes Gefühl auf. Was war das? Ein Druck auf meiner rechten Schulter. Ruckartige Bewegungen könnten in dieser Situation äußerst gefährlich sein. Ich versuchte meinen Kopf nicht zu bewegen, nur aus den Augenwinkeln wollte ich die Situation erfassen. Neben mir stand ein geschniegelter Anzugträger mit stark gegelten Haaren.
Er sprach langsam und deutlich ein für uns gut verständliches Englisch. „Das war aber wirklich ein fantastischer Test für unsere Security. Unsere Männer sind auf Zack. Mein Motto: Lieber gleich mit Kanonen auf Spatzen schießen, denn Time is Money. Ich sollte mich kurz vorstellen. Mein Name ist Mike Johnson, ich bin hier der Niederlassungsleiter. Sir, Sie glauben gar nicht, wie häufig versucht wird, eines unserer wunderbaren Fahrzeuge zu stehlen.“
„So wunderbar ist dieses Auto aber überhaupt nicht“, bemerkte ich etwas schnippisch.
„Keep cool. Das sollte doch wirklich kein Problem für uns sein, Sir.“
Der geschniegelte Verkäufer pfiff laut auf zwei Fingern, dann wurde schon ein anderes Fahrzeug vorgefahren. Dieses Vehikel war noch eine Nummer größer, aber nicht unbedingt weniger ramponiert. Ich hatte noch kein einziges Wort gesagt, meine Gesichtszüge jedoch hatten offenbar meine Gedanken verraten, denn ein weiterer Pfeifton rief ein neues Mietauto. Wieder war das Objekt beachtlich gewachsen. Ich war einen Moment lang sprachlos.
Der Krawattenträger setzte ein breites Grinsen auf.
„Low Budget for a big World, that’s America!“
Ich lächelte etwas gequält: „Wundervoll, einfach wundervoll.“
„Ja, bei uns ist der Kunde König.“
Ich stieg mit meiner Frau und unserem Gepäck in das neue Gefährt und verließ zügig auf sicherem Weg das Gelände. Die Wachposten salutierten militärisch, während der Verkäufer mit seinem mit Stars and Stripes bedruckten Taschentuch winkte. „Aber dieser Wagen hat doch noch mehr Schrammen“, kommentierte Rosa völlig verwundert meine Entscheidung, als wir uns schon einige Meilen entfernt hatten.
„Einmal muss wirklich genug sein“, seufzte ich.
„Sonst wären wir am Ende noch mit einem Monstertruck vom Platz gefahren.“
Dieses Spektakel hatte uns sehr viel Zeit gekostet. Die letzten Sonnenstrahlen waren am Horizont zu sehen. Rosa übernahm für den ersten Teil der Strecke das Steuerrad und ich sollte ihr als Lotse den Weg weisen. Je vertrauter ihr das Auto wurde, desto forscher wurde ihre Fahrweise. Die zunehmende Dunkelheit erschwerte mir das Erkennen der Verkehrsschilder.
„Da vorn, das ist unsere Ausfahrt!“, bemerkte ich lautstark.
„Das hätte dir mal etwas eher einfallen sollen. Sechs Spuren weiter nach rechts zu wechseln bei diesem dichten Verkehr, das braucht einen gewissen Vorlauf. Wir nehmen einfach die nächste Ausfahrt.“
Als so einfach entpuppte sich diese Lösung leider nicht. Die Strecke bis zur nächsten Ausfahrt zog sich in die Länge. In der Zwischenzeit war es ziemlich finster geworden. Das lag nicht nur am mangelnden Tageslicht. Die Gegend, in der wir uns nun bewegten, war richtig finster.
„Irgendwie müssen wir hier wieder ganz schnell weg, jetzt nur keine Panne“, dachte ich und blickte auf trostlose Hauseingänge und verwitterte Fassaden.
„Was ist das?“, schrie Rosa laut auf.
Die zeitgleiche Vollbremsung drückte mich fest in den Gurt. Ein lauter Knall folgte. Rosa saß regungslos und stumm auf ihrem Platz.
„Ist bestimmt halb so schlimm“, versuchte ich meine Frau zu beruhigen, ohne selbst die geringste Ahnung davon zu haben, was genau geschehen war.
Ich stieg vorsichtig aus dem Mietwagen. Um mich herum lag tiefe Dunkelheit, nur mein Handy spendete mir etwas Licht. Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis ich die Front des Autos erreicht hatte. Oh nein, es war alles noch viel schlimmer, als von mir befürchtet. Als Rosa das Fahrzeug ein Stück zurückgesetzt hatte, sah ich im Scheinwerferlicht erst das gesamte Ausmaß des Aufpralls.
„Ist es schlimm?“, fragte Rosa zaghaft.
„Ein Mann liegt mitten auf der Straße, den sollten wir ins Krankenhaus bringen“, versuchte ich die Situation in kurzen Worten zu schildern, ohne die Gefühlslage meiner Frau weiter zu verschärfen. „Ja, wenn er das möchte, sollten wir das tun. Der kennt bestimmt auch den Weg dahin“, klang Rosa etwas gefasster.
Mittlerweile war mir jedoch klar geworden, dass uns der Mann, der verletzt vor meinen Füßen auf der schmutzigen Straße lag, sicher nicht mehr den Weg in die nächste Klinik würde weisen können. Jede ärztliche Hilfe wäre vergebens, daran bestand für mich kein Zweifel, denn der Mann war mausetot. Die folgenden Handlungen waren nicht bewusst von meinem Verstand gesteuert worden. Sie liefen nach einer vorbestimmten Automatik ab, die durch die Ereignisse ausgelöst worden war. Ich schleifte den leblosen Körper über den Asphalt bis zum Fahrzeugheck, wo ich ihn wie ein weiteres Gepäckstück verstaute. Unser Luxusgefährt besaß einen klimatisierten Kofferraum. Warum braucht man so etwas? Diese Frage hatte ich mir oft bei angebotenen Sonderausstattungen der Autohersteller gestellt. Jetzt hatte ich für diese Zusatzfunktion eine Antwort gefunden. Meine Frau verweilte stumm im Auto.
Auf den nächsten Meilen, ich hatte das Steuerrad übernommen, versuchte ich nun, meiner Frau die Auswirkungen ihrer Kollision mit der männlichen Person nahezubringen.
„Rosa, das Krankenhaus können wir uns sparen.
Der Mann ist tot.“
Meine Frau zeigte keine erkennbare Reaktion. Sie fiel in eine Art Schockstarre.
In einem Vorort der Limonadenmetropole, der uns einen sicheren Eindruck vermittelte, hielten wir an. Wir brauchten dringend Hilfe, was mir bei diesen Ereignissen in einem fremden Land nicht ganz einfach erschien. Nach Hause telefonieren, war mein erster Gedanke. Ich musste unbedingt meinen Freund Klaus kontaktieren. Als Jurist würde er mir sicherlich weiterhelfen können. „Weißt du eigentlich, wie spät es hier in Deutschland ist?“, reagierte Klaus äußerst mürrisch am anderen Ende der Leitung.
Ich war nur erleichtert, seine Stimme zu hören.
Über die verschiedenen Zeitzonen hatte ich mir wirklich keinerlei Gedanken gemacht.
„Ich hoffe nur, dass es einen wichtigen Grund für deinen Anruf gibt“, hatte Klaus im gleichen Tonfall ergänzt.
Diesen Wunsch konnte ich meinem Freund erfüllen.
„Also, um es kurz zu machen. Rosa und ich sind heute in Atlanta gelandet …“
„Flitterwochen, ich weiß …“, fuhr Klaus dazwischen.
„Leg nicht auf, ich brauch’ dich. Rosa hat hier einen Mann überfahren, in einer wirklich fiesen Gegend.“
„Habt ihr die Polizei gerufen?“ Klaus klang sehr konzentriert.
„Nein, wir haben uns um das Opfer gekümmert.
Wir wollten ihn direkt ins Krankenhaus bringen, nur schnell die finstere Gegend verlassen.“
„Wo ist der Verletzte nun?“
„Er liegt im Kofferraum unseres Mietautos.“
„Was? Das ist doch nicht möglich“, Klaus zweifelte an meinen Worten.
„Doch das stimmt, der Mann ist tot“, ergänzte ich.
„Du willst mir allen Ernstes sagen, dass ihr nun mit einer Leiche im Gepäck durch die USA reist?“ Klaus konnte immer noch nicht glauben, was ihm am Telefon geschildert worden war. „Doch, das ist ja unser Problem. Deshalb brauchen wir dringend deinen juristischen Rat.“
„Der Unfall geschah in einer finsteren Gegend, hattest du gesagt. Dann habt ihr sicher einen Schwarzen überfahren. Ein guter Anwalt …“ „Das Opfer ist weiß“, fuhr ich dazwischen.
Nach einer kurzen Pause ergänzte Klaus: „Und dann wurde das Opfer noch von einer Latina umgebracht.“
„Klaus, es war doch ein bedauerlicher Unfall und meine Frau ist Spanierin“, ich war verzweifelt.
„Das fällt gar nicht auf. Rosa ist zurzeit wirklich ziemlich blass. Was sollen wir nun der Polizei sagen?“
„Polizei? Weißt du denn nicht, dass in einigen Bundesstaaten noch die Todesstrafe vollzogen wird.“
Dieses Telefonat war keine Hilfe. Es entwickelte sich vielmehr zu einem Albtraum.
„Benehmt euch ziemlich unauffällig, so wie normale Touristen. Fahrt am besten in eine ländliche, eine richtig weiße Gegend. Dort solltet ihr einige Tage untertauchen. Irgendwann müsst ihr natürlich euer Problem unauffällig beseitigen. Es kommt die Zeit, da wird sich schon eine Lösung anbieten. Mehr kann ich auch nicht für euch tun. Viel Glück!“
Dann war die Leitung gekappt, Deutschland schien unerreichbar weit.
Wir waren noch einige Meilen weitergefahren, einfach immer Richtung Westen. Unterwegs hatten wir einen Stopp eingelegt und etwas eingekauft, Tortillas, Dips, Flaschen mit Mineralwasser, eine Gallone Weißwein und viele Rollen Frischhaltefolie. In einem einfachen Motel direkt an der Hauptstraße verbrachten wir die erste Nacht unserer Flitterwochen. Alles an diesem Ort war blauweiß-gestreift, Wände, Möbel, Vorhänge, selbst die Bettwäsche trug diese Farbkombination.
Rosa klang beim Anblick der Umgebung etwas hysterisch. „Hier kann ich nicht bleiben. Ich mach’ an diesem Ort kein Auge zu.“
„Liebling, das ist auch nicht meine erste Wahl. Mir wäre schwarz-gelb auch lieber gewesen. Das wahre Leben ist nun mal kein Wunschkonzert.“
„Nein, aber das hier erinnert mich an Knast und Häftlingskleidung.“
„Rosa, da musst du dir keine Gedanken machen. Die Häftlinge hier tragen orange Overalls.“
Ich weiß nicht warum, aber diese Worte hatten meine Frau beruhigt. Am nächsten Morgen begutachtete ich zuerst die Front unseres Autos. Bis auf ein paar Schrammen hatte der Unfall keine Spuren am Fahrzeug hinterlassen, dafür umso mehr in unseren Seelen. Das Auto hatte ich rückwärts einge-parkt, direkt vor den Eingang unseres Motel-Appartements. So konnte ich mich unbeobachtet um unseren Gast im Kofferraum kümmern.
„Da wollen wir mal schauen, ob die Werbeversprechen wirklich zutreffen.“
In einer aufwendigen Prozedur wickelte ich den Körper komplett in Frischhaltefolie ein. Schief gewickelt, dachte ich, egal. Hauptsache, es funktioniert. Anschließend warf ich eine Decke aus dem Kofferraum über ihn. Zuletzt konnten unsere Koffer mit dem Gepäck eingeräumt werden und wir waren abreisebereit.
Als nächstes Ziel unserer besonderen Rundfahrt mit Sonderfracht hatte ich ein kleines Örtchen in Texas ausgewählt. Die Sonne strahlte am wolkenlosen Himmel, eine echte Erholung für unsere Gemüter. Das aufkommende Hungergefühl dokumentierte, dass wir bereits einige Stunden unterwegs waren. Gegen Mittag erreichten wir Holy Springs. Ganz im Zeitplan passierten wir das Ortsschild der kleinen Gemeinde. Genau in diesem Moment traf uns ein heller Blitz aus heiterem Himmel.
„Oh nein, wenn das kein böses Zeichen ist. Ein Zeichen von ganz weit oben“, klang Rosa verzweifelt.
Laute Sirenen ließen sie abrupt verstummen. Ein Polizeiwagen mit Blaulicht überholte uns mit hoher Geschwindigkeit und zwang uns durch starkes Abbremsen zum Halten.
„Wir müssen jetzt ganz ruhig sein. Keine hektischen Bewegungen. Hier wird sofort geschossen“, versuchte ich mich und meine Frau auf die neue Situation einzustimmen.
Meine beiden Hände hatte ich gut sichtbar aufs Lenkrad gelegt. In dieser Position verharrte ich wie versteinert. Ein weißer Sheriff erschien. Er sah so aus, als hätte man ihn für Dreharbeiten eines Western ausstaffiert: großer Hut, dunkle Sonnenbrille, Revolver im Halfter und an der Brust einen großen Metallstern.
Ich konzentrierte mich darauf, eine gewisse Ruhe auszustrahlen, obwohl es in meinem Innern brodelte. Langsam öffnete ich das Seitenfenster. „Guten Tag, Sir. Sie wissen welchen Vergehen Sie sich schuldig gemacht haben?“
Rosa rutschte nervös auf dem Beifahrersitz hin und her. Das war kein gutes Zeichen. Dann platzte es laut aus ihr heraus. „Ich habe dir gleich gesagt, das geht nicht gut.“
„Beruhigen Sie sich, so etwas kommt hier schon häufiger vor“, reagierte die Ordnungsmacht mit ruhiger Stimme.
„Das habe ich auch schon gelesen, dass so etwas hier völlig normal ist. Aber in Deutschland ist das nicht so. Das macht es für mich so schwierig. Für uns ist das wirklich das erste Mal“, Rosa brach bei ihren Worten in Tränen aus.
„Für uns das erste Mal als Eheleute. Wir sind hier in den Flitterwochen“, versuchte ich die Situation zu retten.
Der Polizist blickte angestrengt suchend ins Wageninnere. „So, ein frisch vermähltes Ehepaar aus Deutschland sitzt also hier im Auto vor mir“, fasste der Sheriff zusammen.
„Ja, genau“, bestätigte ich kurz.
Der Polizist schwieg, schien zu überlegen.
„Wir sind beide Deutsche. Die Haare meiner Frau sind normalerweise heller. Viel heller. Blond“, nutzte ich die kurze Pause.
Der Polizist schaute mich ziemlich irritiert an. „Ja, nicht richtig blond. So ein mittelblond“, ergänzte ich.
Wiederholt zögerte der Polizist, zeigte keinerlei Reaktion und machte einen nachdenklichen Eindruck. „Manche Menschen werden seltsam, wenn sie verheiratet sind. Heute werde ich mal Gnade vor Recht walten lassen und für die Geschwindigkeitsübertretung nur eine mündliche Verwarnung aussprechen. Fahren Sie in Zukunft langsamer“, verkündete der Sheriff sein Urteil.
Gerade wollte der Ordnungshüter die Kontrolle beenden und sich von unserem Auto abwenden, da stockte er.
„Was ist das da hinten?“, wollte der Polizist wissen.
„Was meinen Sie?“, antworteten wir im Chor sichtlich nervös.
„Eine angebrochene Weinflasche liegt im Auto!“, der Polizist klang vorwurfsvoll.
Ehe ich antworten konnte, hatte Rosa bereits reagiert.
„Diese Flasche konnten wir wirklich nicht an einem Abend leeren. Wir vertragen ja einiges, aber was zu viel ist, ist zu viel. Eine Gallone, das sind ja fast vier Liter.“
In mir wuchs die Befürchtung, dass Rosa mit ihren Worten unsere Situation nicht unbedingt verbessert hatte.
„Schatz, ich glaube, das wollte der Herr Polizist jetzt gar nicht hören“, versuchte ich meine Frau zur Zurückhaltung zu bewegen.
Eine tiefe unbekannte Männerstimme ließ uns zusammenzucken.
„Zwei arme Sünder auf dem Weg in unsere Gemeinde.“
Der Gemeindepfarrer begleitete den Sheriff auf seinen Streifzügen durch das Gemeindegebiet. Unbemerkt hatte er das Polizeiauto verlassen und sich neben den Polizisten gestellt. Da hier nicht nur die Tatbestandsmerkmale einer Straftat erfüllt waren, sondern auch gesündigt worden war, waren beide Ordnungsmächte gleichermaßen betroffen. Uns als Delinquenten wurden zwei Wege aufgezeigt. Wobei uns der Weg der weltlichen Macht viel steiniger erschien. Die Entscheidung über ein eingeleitetes Verfahren lag allein beim zuständigen Friedensrichter, auf dessen Eintreffen es galt, in der Gefängniszelle des Ortes zu warten. Erfahrungsgemäß könne sich die Wartezeit jedoch auch auf mehr als vierzehn Tage verlängern. Alternativ könne auf ein förmliches Strafverfahren verzichtet werden, wenn wir die Bereitschaft zur Buße erkennen lassen würden. Die Fracht im Kofferraum ließ uns keine Wahl.
„Wir wollen Buße tun. Der Teufel Alkohol muss vertrieben werden“, wählte ich den einzig möglichen Weg für uns.
Rosa schwieg.
Der Kirchenvertreter begrüßte diese Entscheidung: „Eine lobenswerte Einstellung, mein Sohn. Kehrt auf den rechten Weg zurück.“
Wie rechts dieser Weg war, sollten wir später noch erfahren. Das Mietauto wurde in einer nahe gelegenen Scheune untergestellt. Anschließend lud ich zwei Taschen mit Gepäck in das Polizeiauto.
„Brauchen Sie noch etwas aus ihrem Auto?“, fragte der Polizist.
„Nein, nein, das wird reichen“, lehnte ich das Angebot entschlossen ab.
Bisher war unser Mitreisender unentdeckt geblieben. Jedes Öffnen des Kofferraums ließ die Anspannung unerträglich werden. In der Scheune hatten wir einen kühlen Platz für die nächsten Tage gefunden und verließen diesen Ort in der Hoffnung, dass niemand unser Geheimnis lüften würde. Rosa und ich stiegen in das Fahrzeug der Staatsmacht und ergaben uns unserem Schicksal. In der Mitte der Rücksitzbank saß der Pfarrer, am Steuer der Sheriff.
„Was machen Sie beruflich. Das muss ich wissen, damit ich sie sinnvoll beschäftigen kann“, wollte der Priester von uns erfahren.
„Ich handle mit Wei…“
Rosa schoss dazwischen. „Weihrauch. Mein Mann handelt mit Weihrauch.“
Ich nickte erleichtert. Da hatte Rosa wirklich gut reagiert.
„Das ist ein ungewöhnlicher Beruf. Davon kann man in Deutschland leben?“
Ich nickte nur. Rosa gab an, als Köchin zu arbeiten. Sie sollte entsprechend Verwendung finden. Mir wurde die Aufgabe zugeteilt, die Hauptstraße von Unrat zu reinigen.
Vor uns lag ein typisches Westerndorf mit einer langen Straße, einer sehr langen Straße. Dieser Ort erinnerte mich irgendwie an einen Freizeitpark im Sauerland, doch dort waren die Bösen sofort zu erkennen. In der Westernstadt in Texas waren die Gebäude wie Perlen an einer Kette aufgereiht. Am Dorfeingang befand sich ein Krämerladen mit Kisten und Säcken vor der Tür, unser erster Halt. Hier wurde ich für meine neue Aufgabe eingekleidet. Blauer Overall und Gummistiefel, Schaufel und Besen sollten die Arbeitsausstattung für die nächste Zeit werden. Die Ausstattung musste ich natürlich selbst bezahlen. Anschließend setzten wir unsere Fahrt fort. Wir fuhren die Straße weiter an verschiedenen kleinen Häusern entlang, einem Friseur für die Ladys und einem Barbershop für die Männer mit großen Schaufenstern, einem Metzgerladen, einer Bäckerei, einem Schmied am offenen Feuer und einer Gemeindeverwaltung mit großer Gemeinschaftsküche. Alles war vorhanden, um sich vor Ort zu versorgen, fast alles, denn es fehlte der Saloon. Teufelswerk hatte scheinbar hier keinen Platz gefunden. Überall waren riesige amerikanische Flaggen gehisst oder schmückten Teile der Hausfassaden. Genau im Zentrum befand sich die Polizeistation mit dem Gefängnis auf der einen Straßenseite und gegenüber lag die stattliche Kirche. Der Polizeiwagen stoppte an dieser Stelle. Der Sheriff war aus dem Wagen gesprungen und verkündete lauthals: „Wir sind stolz auf unser Land und unseren zukünftigen Präsidenten. Dafür würden wir auch …“
In diesem Moment zog er seinen Revolver und schoss in den Himmel. „Dafür würden wir auch mit unseren Waffen kämpfen“, verkündete der Sheriff lautstark.
High Noon, willkommen im wilden Westen.
„Sollten Ungläubige es wagen, uns und unsere Familien zu bedrohen, dann sind wir bereit, in den heiligen Krieg zu ziehen.“
Oje, wo waren wir hier gelandet. Es schien wie eine Zeitreise, weit, weit zurück.