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Der idyllische Markt Essing im unteren Altmühltal hat viele Besonderheiten, darunter nicht nur eine eigene Detektei mit der Dorfschnüfflerin Mary Weidinger, sondern nun auch eine dorfeigene Hexe mit dem Namen Pandora. Seit sie in Essing wohnt, passieren seltsame Dinge. Natürlich gerät sie deswegen in Verdacht, bis sie nach einer aufregenden Geisterbeschwörung tot in einem sagenumwobenen Tümpel entdeckt wird. Nicht nur die beiden Kommissare aus der Polizeiinspektion Kelheim beginnen zu ermitteln, sondern auch Mary. Als beliebte einheimische Ex-Kommissarin weiß sie, wie sie die Essinger zum Reden bringt. Und auch der Opa, Marys umtriebiger Schwiegervater, ist ihr ein zuverlässiger Spion. Schließlich taucht der angebliche Sohn von Pandora auf und es geschieht ein zweiter Mord, der zuerst keiner zu sein scheint.
Welche Geheimnisse umranken die Hexe? Was haben ihr Sohn und vor allem ihr Vater damit zu tun und warum musste auch er sterben?
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Veröffentlichungsjahr: 2025
Marion Stadler
Über die Autorin:
© Mirjam Landfried, Kameraflimmern
Marion Stadler hält dem Altmühltal schon seit ihrer Kindheit die Treue. Sie lebt und schreibt dort, wo andere Urlaub machen, und ihre Krimis spielen: in Essing bei Kelheim in Niederbayern.
Als Agatha-Christie-Fan lässt sie sich von der großen Krimiautorin inspirieren. Durch ihre Arbeit zuerst in der Gastronomie und dann im Verkauf begegnet ihr außerdem immer wieder allzu Menschliches, was in ihre Krimis miteinfließt, wobei es in ihrer Heimat eher idyllisch und friedlich zugeht. Diese Idylle und die Sehenswürdigkeiten baut sie als Schauplätze in ihre Krimis mit ein. Inzwischen sind neun Essingkrimis entstanden. Ihre Kommissarin Mary Weidinger und deren eigensinniger Schwiegervater erfreuen sich bei ihrer Leserschaft großer Beliebtheit. Unter ihrem Pseudonym Florence Jones schreibt sie nun auch Romane. Der erste Band ihrer Zwei-Kontinenten-Saga »Vergiss den Ami« ist bereits erschienen.
Sie ist nicht nur Autorin, sondern auch Kunsthandwerkerin und leidenschaftliche Hobbygärtnerin.
Buchbeschreibung:
Der idyllische Markt Essing im unteren Altmühltal hat viele Besonderheiten, darunter nicht nur eine eigene Detektei mit der Dorfschnüfflerin Mary Weidinger, sondern nun auch eine dorfeigene Hexe mit dem Namen Pandora. Seit sie in Essing wohnt, passieren seltsame Dinge: Auf dem Friedhof werden einige Gräber verwüstet, nachts geheimnisvolle Feuer im Wald entdeckt und über der Kirchentür rätselhafte Graffiti hingeschmiert. Natürlich fällt der Verdacht auf Pandora, aber sie wird nach einer aufregenden Geisterbeschwörung tot in einem sagenumwobenen Tümpel entdeckt. Nicht nur die beiden Kommissare aus der Polizeiinspektion im nahegelegenen Kelheim beginnen zu ermitteln, sondern auch Mary. Dabei ist sie als allseits beliebte Ex-Kommissarin klar im Vorteil, denn sie kennt die Einheimischen und weiß, wie man sie zum Reden bringt. Und auch der Opa, Marys umtriebiger Schwiegervater, ist ihr ein zuverlässiger Spion. Wenig Hilfe bekommt sie allerdings von ihrem Detektei-Partner, der sich um das Haustier der toten Hexe kümmert.
Schließlich taucht der angebliche Sohn von Pandora auf und bringt Marys Ermittlungen und auch ihr Privatleben gehörig durcheinander, bis ein zweiter Mord geschieht, der zuerst keiner zu sein scheint.
Welche Geheimnisse umranken die Hexe? Was haben ihr Sohn und vor allem ihr Vater damit zu tun und warum musste auch er sterben?
Marion Stadler
Dorfkommissarin Mary ermittelt 9
Kriminalroman
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der
Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind
im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
© Oktober 2025 Empire-Verlag
Empire-Verlag OG, Lofer 416, 5090 Lofer
Ansprechpartner: Thomas Seidl
Lektorat: Daniela Guse – www.danibakerbooks.com/lektorat
Korrektorat: Julia Kuhlmann – www.juliesbookhismus.de/Korrektorat/
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise –
nur mit Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden.
Cover: Chris Gilcher
https://buchcoverdesign.de/
Prolog
Walpurgisnacht
Es war Mitternacht. Das Feuer, das sie entzündet hatte, knisterte laut. Die Flammen loderten in die Höhe und die Funken stoben empor zum sternenklaren Himmel. Ein wunderbares Lagerfeuer. Sie warf noch zwei große Scheite hinein und beobachtete, wie die Feuerzungen um die neue Nahrung züngelten und diese schließlich verschlangen.
Der Mond würde erst nach zwei Uhr nachts aufgehen. Die Vollmondphase war sowieso vorüber und seine Leuchtkraft nahm von Tag zu Tag ab. Dieses Jahr trafen also Vollmond und Walpurgisnacht nicht zusammen. Egal, sie würde den Hexenritus so oder so durchführen.
Das hier war zwar nicht der Blocksberg, aber immerhin der Maifelsen, ein alleinstehender, mächtiger Felsen, der sich als Monolith aus dem dicht bewaldeten Talhang emporreckte. Vor langer Zeit diente dieser Felsen den Kelten als Opferplatz. Unterhalb des Felsens wurden jede Menge Scherben bronzezeitlicher Gefäße gefunden, in denen sich vermutlich Opfergaben befunden hatten. Bei heidnischen Frühlingsfeiern waren sie heruntergeworfen worden, um die Geister des Winters endgültig zu vertreiben, die des Frühlings willkommen zu heißen und die des Sommers um eine reiche Ernte zu bitten.
Wie die Druiden damals war sie selbst nun auch ein Medium zwischen den Menschen und den Geistern und Dämonen. Die Tonkrüge mit den Tränken, Kräutern, Tierknochen, Tierexkrementen, der Erde und den Federn für die Beschwörung standen schon bereit. Schon seit sie ein kleines Mädchen war, spürte sie diese spirituelle, übersinnliche Energie in sich, die sich jetzt beim Anblick des mächtigen Feuers an diesem magischen Ort nur noch mehr steigerte. Wie die Hexen auf dem Blocksberg war sie hierher auf den Maifelsen gekommen, um sich mit den Naturgeistern zu verbünden. Nicht nur mit denen. Auch den Teufel wollte sie auf ihrer Seite haben, doch eigentlich hatte das Böse längst von ihr Besitz ergriffen …
Sie war bereit für das Ritual. Zuerst streute sie die Federn in die Flammen, die jäh verglühten. Dann kamen nacheinander alle anderen gefüllten Krüge an die Reihe. Vor sich haltend beschwor sie sie mit Zaubersprüchen und Formeln und warf sie dann durch die Flammen in den Abgrund dahinter. Als alle Gefäße geopfert waren, begann sie mit einem monotonen Singsang und einem hüpfenden Tanz um das Feuer, der sie in Trance versetzte, bis sie aufjaulte und kreischte und dann besinnungslos zusammenbrach.
Kapitel 1
Bayernhymne. Ich wälze mich in meinem Bett herum und taste im Dunklen nach dem Handy auf meinem Nachtkastl. Nebenbei linse ich auf den Radiowecker. Es ist kurz nach halb eins. Mein Mann Toni neben mir brummt.
Auf dem Display der Name der Anruferin: Babsi Zimmermann. Sie ist eine bekannte bayrische Komikerin, die sich letztes Jahr hier in Essing ihr Domizil auf dem Keltenberg gebaut hat, um dem Fanrummel in ihrer Heimatstadt München zu entfliehen. Kaum hierhergezogen, ist sie in mysteriöse Mordfälle verwickelt worden, die ein irrer Verehrer am Tatzelwurm, der berühmten Essinger Holzhängebrücke, verübt hatte. Ziemlich erschütternd für alle Beteiligten. Für sie mit ihrer tragischen Vergangenheit allerdings besonders. Wir haben viel darüber geredet, um es zu verarbeiten. Seitdem sind wir befreundet.
Was kann sie um diese Uhrzeit wollen? Ich nehme den Anruf an.
»Hallo Babsi«, krächze ich ins Handy.
»Mary, entschuldige, dass ich dich mitten in der Nacht aufweck, aber da ist was Komisches im Wald auf der anderen Seite zugange.«
Ich setze mich mühsam auf. »Was Komisches?«
»Ja, oben auf dem Maifelsen. Ich wusst nicht, wen ich sonst anrufen sollt.«
Ihr Haus steht wie gesagt am Keltenberg, einer Siedlung im Ortsteil Neuessing am Talhang, an deren Straße sich aufwärts die Häuser entlang aufreihen. Sie hat eine wunderbare Aussicht über das Tal und auf den Maifelsen am Talhang ihr gegenüber.
»Was ist denn da?«
Babsi holt tief Luft. »Also, ich schreib grad an meinem neuen Bühnenprogramm. Dazu sitz ich immer im Esszimmer am Tisch. Von da hab ich das ganze Tal im Blick. Und dann seh ich da kurz nach Mitternacht einen Feuerschein in der Dunkelheit. Ich bin raus auf die Terrasse, weil ich gedacht hab, vielleicht spiegelt sich nur die Kerzenflamme in der Fensterscheibe, aber dem war nicht so. Und als ich da so draußen steh, hör ich in der Ferne einen unheimlichen Singsang und dann ein lautes Aufkreischen.«
»Und dann?«
»Dann war es plötzlich still. Das kam eindeutig vom Maifelsen gegenüber.«
»Brennt das Feuer immer noch?«
»Nein, es ist langsam ausgegangen. Jetzt ist es wieder ganz finster.«
Ich überlege, was da zu tun ist. Die Feuerwehr zu rufen, wär ein Schmarrn. Es brennt ja nix mehr. Selbst auf den Maifelsen hinaufzuwandern ist in der Dunkelheit zu gefährlich. Die kürzeste Strecke führt über einen Wanderweg ziemlich steil und steinig in Serpentinen durch den Wald hinauf und die andere, wesentlich längere, von hinten auf den Talkamm zu. Wenn man nicht aufpasst, kann man schon bei Tageslicht die unscheinbare Abzweigung zwischen den dicht stehenden Bäumen und Sträuchern übersehen und man verirrt sich hoffnungslos. Toni und ich wandern mindestens einmal im Jahr dort hinauf und jedes Mal finden wir den Weg nicht gleich, auch weil es wenig bis gar keine Wegweiser gibt. Von dort oben hat man eine tolle Aussicht über das Altmühltal, hinüber auf die Burgruine Randeck und hinunter auf das friedlich daliegende Essing.
»Ich geh morgen mal hin und schau nach«, verspreche ich Babsi.
»Kann ich mitkommen? Ich war das letzte Mal als Kind da oben.«
»Ich hol dich um eins ab.«
»Okay«, ist sie einverstanden. »Sorry noch mal wegen der Störung.«
Wir wünschen uns eine gute Nacht und beenden das Gespräch. Es dauert lange, bis ich wieder einschlafe.
Um fünf Uhr ertönt dann mein Radiowecker. Wie jeden Morgen, wenn ich wach werde und ins Bad trotte, gehe ich meinen bevorstehenden Tag durch. Heute wird am Frühstücksbuffet beim Lindenwirt, für das ich von Montag bis Donnerstag zuständig bin, ein Großkampftag, schwant mir. Jedes der zwanzig Gästezimmer ist belegt und außerdem ist heute der 1. Mai und somit Feiertag. Die Touristensaison im Altmühltal hat schon vor Ostern angefangen. Je nachdem wie das Wetter mitspielt, ist mein Heimatdorf Essing ein gut besuchter Urlaubsort und ein Naherholungsgebiet. Wegen der schönen Natur, den vielen Rad- und Wanderwegen, der Sehenswürdigkeiten und der Idylle.
Ich werfe mich nach dem Zähneputzen in meine Arbeitsmontur, eine hellgrün-karierte Trachtenbluse mit dem auf der linken Brust aufgestickten Lindenwirt-Logo und eine Jeans. In der Küche wartet schon mein roter Kater Edi auf mich. Auch er will ein Frühstück. Nachdem ich ihn versorgt, ausgiebig gestreichelt und ihm einen schönen Tag gewünscht habe, verlasse ich mit ihm das Haus und gehe schräg über die Dorfstraße hinüber zur Lieferantentür des Wirtshauses. Edi ist im Nachbargarten verschwunden, um seine Morgentoilette zu erledigen. Meine Freundin Bärbel und ihr Mann Sepp führen den Lindenwirt in der ach-was-weiß-ich-wievielten Generation und haben in den letzten Jahren viel Geld in die Modernisierung gesteckt. Dabei haben sie auch einen extra Frühstücksraum anbauen lassen, in dem ein riesiges Buffet mit allem, was sich das Herz des Gastes nur wünschen kann, seinen Platz gefunden hat. Man erreicht es praktisch durch eine Schiebetür aus der Küche, von wo ich es bestücken und auffüllen kann. Bis vor einem Jahr war ich Kommissarin in der Polizeiinspektion Kelheim, der Landkreisstadt sechs Kilometer talabwärts. Aber mein Beruf hat mich immer mehr überfordert. Mit meinen fast zweiundfünfzig bin ich halt auch nicht mehr die Jüngste und ein schwerer Unfall, der mir meine rechte Schulter vor zwei Jahren ziemlich demoliert hat, hat es mir nicht leichter gemacht. Außerdem bin ich inzwischen zweifache Oma und wollte wieder mehr Zeit für meine Familie haben. Und letztlich waren jener aufwühlende, grausame Fall um Babsi Zimmermann und der neue Kommissar Erdem Alemdaroglu dann die finalen Auslöser, dass ich meinen Job hingeschmissen hab. Ich bin mit dem G’schaftlhuber einfach nicht mehr zurechtgekommen.
Bärbel hat mich gleich in die Pflicht genommen, als sie von meiner Arbeitslosigkeit erfahren hat, und mich eingestellt, weil sie dringend Leute gesucht hat. Momentan ist es wirklich nicht leicht, anständiges Personal in der Gastronomie zu bekommen. Niemand will mehr diesen Knochenjob mit den anstrengenden Gästen und den ungünstigen Arbeitszeiten machen. Ich eigentlich auch nicht, aber ich wollte meine beste Freundin nicht im Stich lassen, und nun kümmere ich mich schon die zweite Saison um die Frühstücksgäste und das Buffet. Wahrlich nicht leicht, droht doch bei Unzufriedenheit oder dem kleinsten Mangel eine schlechte Bewertung im Internet. Es ist ja nicht so, dass ich ein Unmensch wäre, aber manchmal geht halt mein niederbayrisches Temperament mit mir durch, wenn ein besonders nerviger Gast es herausfordert. Trotzdem gefällt mir meine neue Arbeit, vor allem, weil ich durch meine Freundin und dem Stammtischtratsch immer auf dem neuesten Stand der Gerüchteküche im Ort bin. Das ist nämlich auch sehr dienlich für mein zweites Standbein: Ich bin seit Anfang des Jahres stolze Mitbegründerin der ersten Detektei in Essing. Der Bär, mein ehemaliger Arbeitskollege und Ex-Polizeimeister Markus Bärnreuther, ist mein Partner. Weidinger & Bärnreuther – seriös, diskret und zuverlässig, so lautet unsere Firmenbezeichnung genau. Lukas, mein jüngster Sohn, hat uns scherzhaft als Markus Poirot und Mary Marple bezeichnet. Danke auch!
Bärbel hat uns voller Begeisterung für unsere Idee einen kleinen Raum, der früher mal eine Rumpelkammer zwischen dem Kühlhaus und den Toiletten des Wirtshauses gewesen war, zur Verfügung gestellt. Das ist auch ganz praktisch: Ich habe keinen weiten Arbeitsweg, genau wie der Bär, der am anderen Ende von Essing wohnt, und unsere Klienten können uns unauffällig konsultieren, weil neugierige Beobachter annehmen könnten, sie gingen nur zum Wirt auf eine Halbe Bier oder ein Essen. Bisher haben wir aber nur sehr kleine Aufträge bekommen, wie den vom Mortl-Bauern. Er wollte, dass wir herausfinden, wer andauernd seine frisch hergerichteten Waldwege mit seinem Bulldog befährt und tiefe Spuren, bei uns Gloisn genannt, hinterlässt. Natürlich haben wir den Übeltäter ausfindig gemacht, weil der Bär und ich täglich und zu unterschiedlichen Uhrzeiten auf diesen Wegen unserer Freizeitbeschäftigung Nordic Walking nachgegangen sind. Wir haben quasi zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen und den Mortl-Bauern und den Söllner in den Lindenwirt zu einer Einigung ohne Polizei bestellt. Durch unsere Vermittlung und die Wirkung von einigen Bieren, die sich die zwei genehmigt haben, einigten sie sich darauf, dass der Söllner die Wege auf seine Kosten reparieren lässt. Außerdem hat er dem Mortl versprochen, nicht mehr mit seinem Riesen-John-Deere draufzufahren. Fall Nummer eins wurde also zur Zufriedenheit aller aufgeklärt.
Mit Fall Nummer zwei hat mich unser Bürgermeister Wimmer Heinz beauftragt. Am Tor des Eingangs zur Burgruine Randeck hängt eine Art Opferkasten. Jeder, der die Burg besuchen möchte, wird dort schriftlich angehalten, den Obolus von zwei Euro Eintritt in dieses blecherne Kistchen, das wie ein kleiner Briefkasten ausschaut, zu werfen. Laut dem Heinz wird es im Winter wöchentlich und im Sommer bei größerem Andrang täglich von einem Bauhofarbeiter geleert. Vor ungefähr zwei Wochen war es allerdings aufgebrochen und das ganze Geld futsch. Wie viel es genau war, hat mir Heinz nicht sagen können, aber im Durchschnitt wären in den Sommermonaten täglich um die einhundert Euro drin. Ich habe ihn darauf hingewiesen, dass er diesen Diebstahl eigentlich anzeigen müsse, aber er hat gemeint, er wolle nicht gleich am Anfang seiner Amtsperiode so ein Kavaliersdelikt aufbauschen. Er ginge davon aus, dass es sich um Kinder oder zumindest einheimische Täter handle. Daraufhin habe ich ihm geraten, im Marktblatt, das jeden Monat von der Gemeinde herausgegeben und an alle Essinger Haushalte verteilt wird, einen Aufruf an den oder die Täter zu schreiben, dass sie das gestohlene Geld anonym in den Briefkasten am Rathaus einwerfen sollen, dann würde er von einer Anzeige absehen. Was könnten der Bär oder ich da auch unternehmen, als uns jeden Tag im Burggraben auf die Lauer zu legen und diesen blöden Kasten zu observieren. Nein, danke! Da ist mir meine Zeit zu schade. Der Bär hat ja auch noch einen Hauptbroterwerb bei einer Geldtransportfirma.
Kramer Luise wollte uns engagieren, damit wir herausfinden, welcher stinkerte Drecksköter, so ihre Bezeichnung, ihr über Nacht immer vor ihren Briefkasten hinkackt, so dass sie noch einigermaßen schlaftrunken am frühen Morgen schon ein paar Mal beim Zeitungholen mit ihren Pantoffeln direkt in die Hinterlassenschaft dieses Hundes getreten war. Was, bitteschön, sollen wir da tun? Die ganze Nacht vor dem Briefkasten Wache halten? Das hat sie tatsächlich von uns gefordert, aber als wir ihr dann unseren Stundensatz genannt haben, hat sie verächtlich abgewunken. »Davon kann ich mir ja jeden Tag neue Hausschuhe kaufen, reinlatschen und sie dann wegwerfen.«
Ganz umsonst machen wir so was nun auch nicht, aber die meisten glauben das anscheinend. Der Bär und ich sind ja nicht mehr beim Staat angestellt, sondern selbstständige Privatermittler mit gewissen Unkosten und einem unbestimmten Zeitaufwand. Es läuft also eher suboptimal mit unserer Detektei, aber das war dem Bär und mir von vornherein schon klar. Dass wir den Antrieb dazu hatten, lag aber daran, dass in Essing schon viele Kapitalverbrechen passiert sind und die Leute im Dorf uns zwei gern als Dorfgendarmen betrachtet und sich sicherer mit uns gefühlt haben. Schließlich haben wir alle Morde aufgeklärt. Und nicht zuletzt ist es halt einfach auch unser kriminalistisch geschulter Spürsinn, der uns bei jedem Verbrechen auf den Plan ruft. Ich kann doch nicht einfach daheim rumsitzen und Däumchen drehen, wenn in Essing das Verbrechen grassiert, und dem Bär gehts da ähnlich.
Die ersten Frühstücksgäste kommen pünktlich um sieben Uhr. Ich begrüße sie freundlich mit einem »Guten Morgen!«, weise sie auf die Selbstbedienung am Buffet hin und darauf, dass sie sich bei mir melden, falls sie Rühr- oder Spiegeleier möchten. Dann habe ich noch ein bisserl Zeit, mir selbst einen Cappuccino und eine Marmeladensemmel einzuverleiben, denn um acht Uhr, so weiß ich inzwischen aus Erfahrung, ist Rushhour am Buffet. Das heißt, ich komme dann kaum noch hinterher, die Schinkenplatte, den Obstsalat, die Butter oder alles andere aufzufüllen. Ich bin also im Stress als plötzlich Katzmeier Rita aufgebracht und mit wehenden Fahnen in den noch wenig besuchten Frühstücksraum auf mich zu gerannt kommt. Sie ist eine alte Dame und die Mesnerin unserer Altessinger Kirche. Vor allem aber ist sie die Ex-Lebensgefährtin meines Schwiegervaters. Im Dorf ist er allseits als der Opa bekannt. Seit sie ihn letztes Jahr im Juli rausgeschmissen hat, er vor lauter Kummer einen Schwächeanfall gehabt, einen Herzschrittmacher verpasst gekriegt hat und sie sich keinen Deut mehr um ihn schert, mag ich das neugierige, scheinheilige und verratschte Weib noch weniger.
»Maria! Maria! Das ist einfach furchtbar! Auf dem Friedhof!«, ruft sie mir schon von Weitem zu, so dass auch einige Gäste irritiert zu uns hersehen.
Ihre hohe Stimme klingt noch schneidender, wenn sie aufgeregt ist.
Ich atme tief durch. »Was ist denn auf dem Friedhof?«
Sie packt mich am Ärmel. »Komm mit, das musst du dir selbst anschauen!«
Grantig entwinde ich mich ihr. »Ich kann hier nicht weg, Kruzinesn. Das siehst du doch!«
»Ja, aber du bist doch jetzt Detektivin oder so was und da musst du doch den Tatort inspizieren«, ist sie verzweifelt.
Mit ihren Worten versetzt sie mich sofort in Alarmbereitschaft, denn sie hatte zusammen mit dem Opa schon einmal einen Schwerverwundeten mitten vor dem Kirchenaltar gefunden. »Welchen Tatort?«
Ihre in Richtung Friedhof weisende Hand schnellt hoch und haut mir fast den leeren Butterteller aus der meinen. »Na, die verwüsteten Gräber!«
»Jemand hat Gräber verwüstet?«
»Ja, und wie: ausgerissene Blumen, umgeworfene Grablaternen, zertrampelte Erde …« Entsetzt schüttelt sie den Kopf. »Wer macht denn so was?«
»Da musst du den Pfarrer anrufen«, will ich sie abwimmeln. Ich muss unbedingt die Butter aus der Küche holen und am Buffet auffüllen und die hält mich hier auf mit ihrem Schmarrn.
Wieder packt sie mich am Arm. »Das hab ich doch schon, aber der hat Unterricht.«
»Dann ruf die Polizei.«
Wütend über meine Abweisung stemmt sie die Hände in die Hüften. »Was bist du denn für ein Dorfgendarm, wenn dir so ein Verbrechen egal ist?«
Mit ihrem Gekreische haben wir erneut die Aufmerksamkeit von noch mehr Gästen. Ich bin schon an der aufgehenden Schiebetür in die Küche, als ich mich gezwungenermaßen noch mal zu ihr umdrehe. »Also gut, ich schau mir das nach Feierabend an.«
Auf dem beinahe faltenfreien Gesicht von Rita zeigt sich Erleichterung und sie nickt eifrig. »Ich sperr die Kirch auf und lass alles so, wie es ist.«
Was auch sonst? Die Gräber haben Besitzer und die sind für die Pflege zuständig.
»Es kann locker elf werden, bis ich komm«, weise ich sie hin und verschwinde endgültig in der Küche.
Kapitel 2
Es ist sogar erst dreiviertelelf, als ich den Gottesacker über das schmiedeeiserne Tor und ein paar Stufen betrete. Er liegt etwas erhöht von der Dorfstraße, an der auch mein Haus steht, und ist von einer Mauer umgeben. In seinem Zentrum steht unsere kleine Dorfkirche mit dem spitzen, holzschindelgedeckten Turm. Der Pfarrer und Rita kommen mir schon entgegengeeilt. Offenbar hat sie ihn doch dazu überreden können, dass er auch dabei ist. Kein Wunder, so hartnäckig wie die ist.
Wir grüßen uns. Dazu muss ich jetzt erklären, dass ich unseren Pfarrer nicht mag. Robert Pecnik ist ein alter Mann und eigentlich schon in Rente, aber der Priestermangel ist halt auch in Niederbayern spürbar und so wurde er hierher versetzt. Er ist seit fast zwei Jahren da, durch sein altehrwürdiges, unnahbar kühles Gehabe bei seinen Schäfchen nicht sonderlich beliebt und seine Gottesdienste sterbenslangweilig. Sein schlaksiges Gestell, seine schlohweißen Haare und sein ausdrucksloses, eingefallenes Gesicht tragen ebenfalls nicht dazu bei, ihn sympathisch zu finden. Aber ich muss ihn ja nicht mit Heim nehmen.
Rita deutet auf die erste Gräberreihe gleich rechts vom Hauptweg, der zum Eingang der Kirche führt. »Da, schau dir das an!«
Ich folge ihr und tatsächlich: Wahllos hat hier jemand die Bepflanzungen ausgerissen und auf die gekiesten Wege geworfen, Laternen umgestoßen und Erde überall verteilt.
»Da hinten sind noch ein paar verunstaltet.« Sie rennt wie ein Wiesel voraus, der Pfarrer und ich hinterher.
Vor noch ein paar zerstörten Gräbern bleibt sie stehen.
Entsetzt schüttelt Pecnik den Kopf und hält sich die Hand vor den Mund. »Wer, um Himmels willen, tut denn so was? Das gleicht ja einer Orgie.«
Erwartungsvoll sehen mich die zwei an, als könnte ich den Übeltäter einfach so aus dem Hut zaubern.
Ich zucke mit den Schultern. »Da müsst ihr die Polizei einschalten. Ich kann da nix machen.«
Schon will ich in meinen wohlverdienten Feierabend verschwinden, da hält sie mich wieder auf. »Wart, Maria!« Sie kramt in ihrer Jackentasche und zückt ihr Handy. Als würde sie ein Einverständnis beim Pfarrer einholen, nickt er ihr zu und sie wischt auf dem Display herum. Dann hält sie es mir so nah vor die Nase, dass ich einen Schritt zurücktreten muss, damit ich was erkennen kann.
»Das war vor ein paar Tagen über der Tür in die Sakristei gestanden.«
Auf dem Bild sehe ich tatsächlich die schwere Holztür, die auf der Nordseite der Kirche in den Nebenraum der Kirche führt, in dem der Pfarrer und die Ministranten sich für den Gottesdienst vorbereiten. Über dem gebogenen Portal steht mit roter Farbe und Druckbuchstaben Du hast nichts getan hingeschmiert.
Verständnislos blicke ich die Zwei an und wiederhole: »Du hast nichts getan?«
Rita nickt. »Was glaubst, wie ich mich geplagt hab, dass ich das G’schmier wieder weggebracht hab, bevor die ersten Leut in der Früh auf den Friedhof kommen und das lesen?«
Ich will mich selbst davon überzeugen, wie sehr sie sich bemüht hat, und renne auf der Ostseite um die Kirche, bis ich vor der Sakristeitür auf der Nordseite stehe. Die zwei sind mir gefolgt und betrachten mit mir die gelb gestrichene Wand über dem Türbogen.
»Ich hab den Maler herbestellt. Der hat es sofort überstrichen«, informiert mich Pecnik zufrieden.
»Trotzdem ich so fest gebürstet und gerieben und so ziemlich alle Mittel ausprobiert hab, hab ich es nicht ganz weggebracht«, erklärt mir Rita zornig weiter.
Bei näherem Hinsehen erkenne ich, dass das Gelb über der Tür ein bisserl dunkler ist, als die Grundfarbe des Kirchenanstrichs. Die Schrift ist unwiederbringlich darunter verschwunden. Da hat der Maler ganze Arbeit geleistet und somit ist das Beweismittel dahin.
Ich seufze. »Das hättet ihr stehen lassen und sofort die Polizei herbestellen sollen.«
Rita winkt mit ihrem Handy. »Ich habs doch ein paar Mal fotografiert.«
»Aber auf einem Foto kann man halt nicht feststellen, was das für eine Farbe war und wie lang das schon dort gestanden hat. Das könnt alles dazu helfen, um dem Schmierer draufzukommen.«
»Das muss dieser Kirchenschänder in der Nacht davor hingeschmiert haben«, ist Rita überzeugt. »Als ich am Abend davor noch die Kirche abgesperrt hab, hat das noch nicht dagestanden. Das wär mir mit Sicherheit aufgefallen.«
»Wann war denn das genau?«
»Vor zwei Tagen.«
»Also am Montag in der Früh hast du es entdeckt?«
Der Pfarrer und sie nicken zustimmend.
»Frau Katzmeier hat mich angerufen und mir dann das Foto geschickt. Daraufhin hab ich den Maler beauftragt«, bestätigt er mir.
Ich reibe mir über die Stirn. »Also, dann habt ihr jetzt auf jeden Fall ein Problem mit jemandem, der die Kirche nicht mag und zwar so, dass er gewalttätig ist. Ihr müsst endlich die Polizei hinzuziehen, bevor noch mehr passiert.«
Rita rempelt den Pfarrer ungeduldig an. Schließlich räuspert er sich. »Also wir hatten da eher an Sie und Ihre Detektei gedacht, liebe Frau Weidinger. Ihr Motto lautet doch seriös, diskret und zuverlässig.«
»Ja, genau das brauchen wir jetzt«, pflichtet ihm Rita eifrig bei.
Beide schauen mich erwartungsvoll an.
»Aber die Grabbesitzer werden es mitkriegen und sich aufregen. Das wird sich nicht geheim halten lassen.«
»Um die kümmer ich mich«, winkt Rita ab.
»Der Bär und ich können hier nicht jede Nacht auf der Lauer liegen. Wir haben unsere Jobs«, bedenke ich weiter.
Aber der Pecnik hat einen Vorschlag: »Sie sind doch zu zweit. Also können Sie sich abwechseln.«
»Wie viele Nächte?«, frage ich sarkastisch. »Das geht vielleicht zwei oder drei, aber nicht ewig. Wir wissen nicht, wann der Täter oder die Täterin wieder zuschlagen wird.«
»Ja, Herrschaftszeiten!«, fährt mich Rita an. »Für was machst du denn dann so eine depperte Detektei auf, wenn du nicht fähig bist, so was zu leisten?«
Spinnt die, oder was? Geht die mich so an, dass mir gleich komplett die Lust vergeht, überhaupt einen Finger für sie und ihren Pfarrer zu rühren. Ich kann den Opa verstehen, dass er mit dem herrischen Weib nix mehr zu tun haben will. Wie er es nur die drei Jahre mit der ausgehalten hat, wo er bei ihr gewohnt hat? Ich drehe mich um und gehe.
»Frau Weidinger!«, ruft mir der Pfarrer bettelnd hinterher. »Bitte! Sagen wir eine Woche …«
Rita legt nach: »Wenn ihr das aufklärt, wär das doch die beste Werbung für euch und eure Detektei. Die läuft ja nicht so besonders, wie man hört …«
Ich halte inne. Kruzinesn, diese hinterfotzige Ratschkathl, schimpfe ich in mich hinein und wende mich ihnen wieder zu. Ich kann gar nicht sagen, wie es mich nervt, wie selbstgefällig sie dasteht und weiter herumg’schaftelt:
»Du hast doch einen Mann und die Bärbel. Der Opa oder deine Söhne könnten auch mal eine Zeit lang aufpassen. Dann bekommt jeder seinen wohlverdienten Schlaf.«
Jetzt nennt sie ihn also wieder Opa statt Vinzent. Auch gut.
Nun bin ich es, die ihre Hände in die Hüften stemmt. »Also gut, wenn euch der Spaß hundert Euro pro Stunde wert ist, dann übernehmen wir den Auftrag.«
Das ist durchaus ein Stundensatz, den ein Privatermittler verlangen kann. Der Bär und ich haben uns da schon informiert. Zwar beginnt das Honorar bei uns eigentlich weitaus niedriger, wird aber aufgestockt, je nachdem, was von uns verlangt wird und welchen Arbeitsaufwand wir haben.
Ohne sich mit dem Pfarrer darüber abgesprochen zu haben, ergreift Rita das Wort: »Einverstanden! Die Zeitrechnung beginnt täglich um zweiundzwanzig Uhr und endet um sechs Uhr morgens ab heute.«
Während sie das sagt, bin ich auf sie zugegangen und strecke ihr die rechte Hand hin. Ein Geschäft wird bei uns in Bayern immer mit einem Handschlag besiegelt. Sie nimmt sie und drückt fester zu, als ich es von ihr erwartet hätte. Dann reiche ich sie auch dem Pecnik. Sein Einverständnis ist mir auf jeden Fall wichtiger als ihres. Und auch er schüttelt sie. Seine Hand ist knochig und sein Druck schwach. Damit ist unser Geschäftsverhältnis wirksam.
»Von heute, Mittwoch, den 1. Mai bis nächste Woche, Mittwoch, den 8. Mai 2024 behalten wir den Friedhof im Aug, ohne Garantie auf Erfolg«, erkläre ich entschieden.
»Und die Polizei wird vorerst rausgehalten«, fügt Rita noch hinzu.
Dann hau ich ab.
Kapitel 3
Im Mai sind die Nächte noch sehr frisch. Auch diese, in der ich von zweiundzwanzig bis zwei Uhr die erste Schicht von der Friedhofsobservierung übernommen habe. Ich muss zwar um fünf Uhr schon wieder aufstehen und das Frühstück im Lindenwirt machen, aber eine Nacht mit den paar Stunden Schlaf schaffe ich schon.
Ich habe es mir auf einer Luftmatratze im überdachten und offenen Eingangsbereich vor der Kirche gemütlich gemacht und mir eine Decke um den Körper geschlungen. In einer Ecknische zwischen altem Taufbecken und Weihwasserkessel bin ich gut versteckt und ich habe das Eingangstor auf den Gottesacker und die Vorderseite der Kirche samt der schon zerstörten Gräber genau im Blick. Als Kind habe ich das letzte Mal eine Nacht im Freien verbracht. Auf dem Friedhof allerdings noch nie. Ein bisserl gruselig ist es schon, aber die in den Gräbern sind ja alle tot. Was sollten die mir also antun? Trotzdem malt sich meine Fantasie aus, dass sich dort aus dem Grab plötzlich eine Hand aus der Erde bohrt, hier ein Schatten vorüberhuscht und von hinter der Kirche ein unheimliches Stöhnen zu mir dringt. Eine Gänsehaut nach der anderen jagt mir über den Rücken. Der Schatten, der sich da auf mich zubewegt, ist aber real und keine Sinnestäuschung. Je näher er kommt, desto besser kann ich erkennen, um was für ein Wesen es sich dabei handelt. Ich bin so was von erleichtert, als mich mein Kater Edi mit einem Miauen begrüßt. Prüfend beschnuppert er die Luftmatratze und steigt dann vorsichtig darauf, um auf meinen Schoß zu klettern. Er lässt sich erst einmal ausgiebig von mir kraulen und schnurrt dabei auf Teufel komm raus.
»Das ist aber nett von dir, dass du mir Gesellschaft leistest, du Nachtstreuner«, freue ich mich, dass er da ist. »Jetzt gruselt es mich gleich gar nicht mehr so.«
Schon bei unserer ersten Begegnung hab ich gespürt, dass Edi ein ganz besonderer Kater ist. Durch seine Körpersprache gibt er mir Antwort, wenn ich mich mit ihm unterhalte. Dadurch hat er mir schon oft geholfen. Natürlich kann das auch rein meiner Interpretation oder Einbildung geschuldet sein, aber ich bin davon überzeugt, dass er mich versteht. Also erzähle ich ihm auch von meinem Tag: »Heute Mittag hab ich sofort den Bär angerufen und ihm von unserem neuen Auftrag berichtet. Natürlich war er nicht begeistert, dass wir uns eine Woche lang die Nächte auf dem Friedhof um die Ohren schlagen sollen. Aber als er dann unseren Lohn dafür erfahren hat, war er schon besser gestimmt. Ich hab ihm versprochen, wenigstens für ein paar Stunden Ablösung für uns zu organisieren. Am Wochenende haben zum Beispiel der Toni und meine Söhne mal Zeit, um ein paar Stunden Wache zu halten. Bärbel will ich gar nicht erst fragen, denn sie arbeitet sowieso schon so viel. Und den Opa auch nicht. Mit seinem von zwei Herzinfarkten gebeutelten Herz braucht er seinen Schlaf und wär mit seinen fünfundachtzig Jahren auch gar nicht fähig dazu, einen Friedhofsschänder zu stellen. Freilich gehe ich davon aus, dass derjenige unbewaffnet ist. Vielleicht hat er grad noch eine Schaufel dabei, um die Erde besser verstreuen zu können. Bis jetzt aber keine Spur von ihm oder ihr.«
Edi dreht sich ein paar Mal im Kreis, um die beste Ruheposition auf meinen Oberschenkeln zu finden. Dann lässt er sich darauf nieder und rollt sich zusammen.
»Anscheinend ziemlich langweilig, was ich dir da sag, hm?«
Seine Augen sind nur noch schmale Schlitze. Egal, ich rede einfach weiter, weil mich das ablenkt: »Am Abend hab ich auch gleich den Familienrat einbestellt. Lukas war heut sowieso kurz da, weil der Burschenverein den Maibaum aufgestellt hat. Ihn kann ich schon mal nicht einteilen, weil er morgen mit Suri zu ihren Eltern nach Mannheim fährt. Ihre Mutter wird operiert und sie helfen beide in dem Thaifood-Restaurant aus, damit ihr Vater das nicht ganz allein stemmen muss. Und Quirin ist mitsamt seiner Familie gestern Abend nach Mallorca geflogen. Wie kann man nur mit einem vier Monate alten Baby schon in den Urlaub fliegen?«
Im Januar ist der zweite Sohn von Quirin und Vroni auf die Welt gekommen. Sie haben ihn Gabriel genannt. Nach Michael also der zweite »Erzengel« in unserer Familie.
»Vielleicht urlaubt es sich mit zwei solchen Engeln leichter. Auf jeden Fall werden der Bär und ich das irgendwie rumkriegen müssen. Mir grauts davor und ich ärgere mich, dass ich mich von Rita habe breitschlagen lassen.«
Ich gähne, stelle fest, dass Edi nun tief schlummert und schiele schon wieder auf die Uhr. Kurz vor zwei Uhr. Meine Schicht ist gleich zu Ende. Mir kommt die Wanderung mit Babsi am Nachmittag wieder in den Sinn. Ich bin natürlich mit dem Auto bis zu ihrem Haus am Keltenberg gefahren. Von dort sind wir gemeinsam über den Tatzelwurm, der Essinger Holzhängebrücke über dem Rhein-Main-Donaukanal, auf die andere Talseite spaziert und dann nach ein paar Metern links auf dem Wanderweg in den Wald eingetaucht. Dann kommt bald die Abzweigung rechts hinauf zum Maifelsen. Auf dem schmalen Pfad, der gesäumt ist von einem moosigen und üppig grünen Märchenwald, gehts in Kehren steil bergauf. Unterwegs fielen mir ein paar zerbrochene Tonscherben auf. Sie waren aber noch zu neu, um als prähistorisch durchzugehen. Oben angekommen erreicht man das Felsplateau. Schnaufend und schwitzend sind Babsi und ich dort angelangt. Und was haben wir vorgefunden? Ein erloschenes Lagerfeuer, das wir auch so erwartet haben, nachdem sie mir nochmals ihre Beobachtungen der vergangenen Nacht geschildert hatte. Ihr war eingefallen, dass dies die Walpurgisnacht gewesen war. Nun ja, ich glaube nicht an Geister, Gespenster, Hexen und die ganzen Gestalten, aber es gibt natürlich Menschen, die sich davon faszinieren lassen oder sogar glauben, selbst so was zu sein. Meinetwegen, dann hat sich halt hier in der Walpurgisnacht ein Spinner oder eine Spinnerin ein Feuerchen gemacht und sich als Hexe gefühlt. Jedenfalls war dort keine Leiche rumgelegen und es wurde auch kein Tier geopfert. Offenes Feuer ist allerdings bei uns im Wald untersagt. Aber wo kein Kläger, da kein Richter. Babsi und ich hatten uns auf der ziemlich morschen verwitterten Bank niedergelassen, den Ausblick ins Tal genossen und mal wieder ausgiebig geratscht. Sie hatte sogar daran gedacht, eine Thermoskanne mit Kaffee und zwei Stück Marmorkuchen in einer Tupperdose in ihrem Rucksack mitzuschleppen, so dass wir auch noch ein kleines Picknick machen konnten. Mich fasziniert ihr Starleben wirklich und ich bewundere sie, wie sie den Spagat zwischen der Präsenz auf der Bühne und in der Öffentlichkeit und ihrem Privatleben hinbekommt. Ich wäre jedenfalls absolut genervt, wenn mich die Leute auf der Straße erkennen würden und andauernd Autogramme oder Fotos mit mir wollten. Außerdem könnte ich nie vor tausenden Menschen da oben stehen und zwei Stunden lang das Publikum zum Lachen bringen. Das ist halt eine Gabe, genau wie mein kriminalistischer Spürsinn.
Der meldet sich allerdings jetzt grad überhaupt gar nicht. Ich gähne schon wieder. Und dann tauchen auch schon die dunklen Umrisse vom Bär am Tor auf. Er war schon mal schlanker, stelle ich wieder einmal fest. Noch als Polizist hatte er über zwanzig Kilo abgespeckt, aber seit er nur noch Geld herumkutschiert, wie er seine Arbeit bezeichnet, hat er wieder zugenommen. Zwar ist er noch nicht wieder ganz zur alten Form eines Bären, denn dem plüschigen Tier ähnelt er optisch tatsächlich, zurückgekehrt, aber fast. So mag ich ihn jedenfalls lieber. Das passt auch besser zu seinem gemütlichen und behäbigen Charakter. Eigentlich hat er sich nie zum Bullen geeignet, auch weil er kein Blut und keine Leichen sehen kann und Gewalt verabscheut. Außerdem ist er ziemlich empfindlich und schnell eingeschnappt. Aber innendrin ist er halt ein lieber Kerl und ich kenne ihn inzwischen in- und auswendig. Darum habe ich ihn auch als Partner an meiner Seite.
Ich gebe mich mit einem Winken zu erkennen und er kommt auf mich zu. Er erkennt Edi in meinem Schoß. »Hast Gesellschaft gekriegt?«
»Mein treuer Freund.«
»Bin ich auch«, stellt er fest und fragt: »Und? War was?«
»Nix!«
»War ja klar, dass sich das ziehen wird«, mosert er. Er hat sich in einen schwarzen Jogginganzug eines bekannten Sportbekleidungsherstellers geschmissen, allerdings dabei übersehen, dass die weißen Streifen auf der Seite alles andere als gute Tarnung sind. Aber darauf werde ich ihn ganz sicher nicht hinweisen. Er lässt sich neben mir ächzend auf die Luftmatratze plumpsen, so dass Edi erschrocken davonstürmt. Schisser-Kater! Er hätte mich jedenfalls nicht vor einem Zombie verteidigt!
»Geh ins Bett!«, befiehlt der Bär mir. »Du musst früh raus.«
»Du nicht?«
»Ich fang erst um zehn an, dann kann ich in der Früh noch ein paar Stunden schlafen.«
»Da hast du wirklich einen tollen Job«, kommentiere ich seine angenehmen Arbeitszeiten.
Er zieht eine Lätschn. »Dafür muss ich abends länger.«
Ich erhebe mich mühsam und strecke mich ächzend durch. So eine Luftmatratze ist halt für meine alten Knochen auch nicht grad der beste Ruheplatz.
»Pscht!«, mahnt mich der Bär eindringlich.
»Sorry, hab nicht mehr dran gedacht.«
Aber er motzt mich weiter an: »Wenn der Grabschänder grad draußen vor der Mauer gestanden hat, hast du ihn jetzt bestimmt vertrieben.«
»Ich glaub nicht, dass der hier noch mal auftaucht«, tue ich meine Vermutung kund. »Das waren wahrscheinlich ein paar Jugendliche, die eine Mutprobe veranstaltet haben.«
»Aber haben die auch diesen komischen Spruch über die Tür geschrieben?«, grübelt er. »Was stand da schon gleich wieder?«
»Du hast nichts getan.«
Der Bär wiederholt nachdenklich. »Du hast nichts getan.«
»Normalerweise wirft man jemandem vor, was er getan hat und nicht nix«, analysiere ich. Ich hab mir darüber auch schon den Kopf zerbrochen.
»Es gibt doch auch unterlassene Hilfeleistung«, fällt dem Bär ein Strafbestand aus dem StGB ein.
Paragraf 323 c oder so, wenn ich recht erinnere.
»Ja, aber schreibt man das über eine Kirchentür?«
»Vielleicht soll das ein Vorwurf an den Herrgott sein.«
Ich rümpfe die Nase. Schon seit der Taufe gehöre ich, wie im tiefsten Bayern halt so üblich, der katholischen Kirche an und bin eigentlich eine ganz passable Christin, glaube ich zumindest. Soweit es mir möglich ist, halte ich mich an die Gebote. Allerdings kann ich mir in der heutigen aufgeklärten Zeit nicht vorstellen, dass jemand die Schuld an etwas Gott gibt. Indirekt vielleicht, aber doch nicht mit einem hingeschmierten Vorwurf an der Kirche. Was soll das auch bringen?
»Ich glaub eher, das sollt jemand lesen, der da öfter vorbeikommt oder durch die Tür geht«, teile ich ihm meine Schlussfolgerung mit.
»Du meinst die Rita?«
»Oder den Pfarrer.«
Der Bär grinst breit. »Dem Opa würd ich es jedenfalls zutrauen, dass er seiner Verflossenen eine mahnende Botschaft hinschmiert, nur um sie zu schocken.«
»Spinnst du!«, rege ich mich auf. »Der kommt doch gar nicht da rauf.« Aber dann fällt mir ein, was der Alte schon alles fertiggebracht hat: eine Bürgerwehr ins Leben gerufen, ungenehmigte Demos organisiert, eine Anti-Sekte-Gruppe und einen Fanclub gegründet. Und jedes Mal spielten dabei vom Opa geschriebene Plakate, Banner oder Schilder eine große Rolle, um seine Meinung kundzutun. Das Geschmier an der Kirche würde also sehr wohl zu ihm passen, auch um seine Ex Rita ein bisserl zu ärgern. Dass ich da noch nicht eher draufgekommen bin?
Der Bär merkt mir wohl an, was ich grad denke. »Siehst, so verkehrt ist das mit dem Opa gar nicht.«
»Das würd auch erklären, warum die Rita so dagegen war, die Polizei einzuschalten. Sie will einfach nur, dass ich den Opa auf frischer Tat ertapp und ihn wieder mal in seine Schranken weise, weil sie zu feige dazu ist«, erweitert sich meine Erkenntnis immer mehr. »Aber Gräber verwüsten, das tut er nicht. Nein, dazu ist er niemals fähig.«
Der Bär schmunzelt. Das kann ich im Schein der Friedhofslaterne genau erkennen. »Am besten, du redest einfach mal mit ihm. Und jetzt schleich dich!«
Er rutscht auf der Matratze nach hinten und lehnt sich mit verschränkten Armen gegen die Mauer.
»Schön wach bleiben, gell!«, mahne ich ihn und mache mich, begleitet von Edi, davon.
Kapitel 4
Bei der Arbeit bin ich an diesem Morgen saumüde. Ich habe nach der Observierung auf dem Friedhof einfach nicht einschlafen können, weil ich kalte Füße gehabt habe und nicht mit dem Grübeln aufhören konnte.
Ich schütte schon den dritten Kaffee in mich hinein und muss mich zum Freundlichsein sehr anstrengen, als Bärbel wie üblich um kurz vor neun erscheint. Sie lässt sich am ultramodernen Kaffeevollautomaten am Frühstücksbuffet auch einen Cappuccino raus und setzt sich dann an ihren Stammplatz, der sich gleich am nächsten zur Schiebetür in die Küche befindet. So kann sie mich jeden Morgen mit dem neuesten Tratsch versorgen, den sie tags zuvor am Stammtisch mitgekriegt hat.
Bevor ich bei ihr gearbeitet habe, haben mich die Gerüchte im Dorf eigentlich wenig interessiert. Ich mag es nicht, wenn Halbwahrheiten herumerzählt, Dinge aufgebauscht oder sogar was dazu erfunden wird, um es noch sensationeller auszuschmücken. Aber bei meinem letzten Fall mit einem Toten auf unserer Burg und zwei verschwundenen Mordsbräuten waren mir Bärbels Infos eine große Hilfe. Darum gehört sie auch zu meinen Informantinnen. Schon wenn sie mich auf diese gewisse Weise mit ihren braunen, großen Augen anschaut, weiß ich, dass sie was in petto hat. Trotz der harten Arbeit und der ständigen Anwesenheit als Chefin bei allen Anliegen ihrer Gäste und Angestellten, hat sie sich eine bewundernswerte Locker- und Fröhlichkeit bewahrt. Ich habe sie noch nie grantig oder wütend erlebt. Deshalb wirkt meine zierliche Mitte vierzigjährige Freundin mit dem braunen Lockenkopf wohl auch noch so jugendlich.
