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Stefan "Charly" Bach wird von Karen "Carry" Lund gebeten, ihr bei der Suche nach einem verschollenen Freund zu helfen. Gemeinsam erleben sie Abenteuer, die sowohl ihrer beider Leben als auch ihre Liebe in Gefahr bringen werden. Erleben Sie die beiden und ihre Freunde auf der Jagd nach einer Verbrecherorganisation, die sich über drei Kontinente erstreckt. Und obwohl die Geschichte an exotischen Plätzen in der ganzen Welt spielt, werden die größten Probleme im idyllischen Taunus geklärt werden. Begleiten Sie also Carry und Charly zu fernen Zielen auf der Welt und in die tiefen Winkel ihrer Seelen. Museum Rescue oder "Der goldene Elefant". Eine Geschichte, in der Dichtung und Wahrheit einander begegnen.
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Seitenzahl: 556
Veröffentlichungsjahr: 2024
Impressum
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
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© 2024 novum publishing
ISBN Printausgabe: 978-3-99146-937-7
ISBN e-book: 978-3-99146-938-4
Lektorat: Sandra Fantner
Umschlagfotos: Ivansmuk, Rtguest | Dreamstime.com, Günther Lietz
Umschlaggestaltung, Layout & Satz: novum publishing gmbh
Innenabbildung: Günther Lietz
www.novumverlag.com
Widmung
Für „Carry“
(Der Autor)
Vorwort
In den 60er und Anfang der 70er Jahre stieg die Anzahl der Grabräubereien in Ägypten sehr stark an. Wurden 1961 noch 54 Räubereien registriert, waren es 1972 schon knapp 4000. Dieser immense Anstieg veranlasste die ägyptische Regierung in Zusammenarbeit mit dem deutschen Außenministerium 1975 eine Spezialeinheit ins Leben zu rufen. Die Abteilung „Museum Rescue“, kurz MR.
Bestand diese nach ihrer Gründung vorwiegend aus Archäologen, so wurden im Laufe der Jahre immer mehr Personen mit kriminalistischem Hintergrund oder besonderen Talenten rekrutiert. Unterstellt ist diese Abteilung dem deutschen Innenministerium. Organisatorisch untersteht sie offiziell der „Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung“.
Dies ist die Geschichte von drei Freunden, die mehr oder minder zufällig zu dieser Abteilung stießen.
1. Teil - Der Anfang
Kapitel 1.1 - Im Café
„Boho, was für ein Scheißwetter“, dachte sich Stefan Bach, genannt „Charly“, als er aus dem U-Bahnschacht „Bornheim Mitte“ kam. Charly war Mitte 30, aber dank seines kurzen Haarschnitts und seiner jugendlichen Art und Weise ging er bei jeder Schätzung mit Mitte 20 durch. Beliebt war er vor allem wegen seiner besonnenen und ruhigen Art. Er konnte aber auch mal einen Spruch raushauen und hatte dann die Lacher auf seiner Seite. Sein Spitzname rührte noch aus alten Fußballtagen, als er in einer Mannschaft spielte, in der es drei Stefans gab. Und da er als letzter hinzukam, blieb nur eine Verballhornung seines Zweitnamens. Er konnte damit leben und so nannten ihn alle, die ihn gut kannten, seit über zwanzig Jahren „Charly“.
Er hatte sich am Abend vorher schon auf einen gemütlichen Abend auf der Couch eingerichtet, als ihn Karen Lund, eine alte Freundin, anrief.
„Du musst unbedingt kommen, es ist wichtig!“, sagte sie in einem energischen Ton.
„Sag mal, was kann denn so wichtig sein, dass du mich so spontan heranzitierst?“, fragte er ziemlich überrascht.
„Kann und will ich dir am Telefon nicht sagen“, entgegnete sie, „bitte komm. Benny habe ich schon angerufen. Er hat auch zugesagt!“
„Schatzi, du weißt doch, dass ich dir keinen Wunsch abschlagen kann. Also gut, ich bin morgen um 17:30 Uhr im Picknick Café“.
„Merkwürdig“, dachte er, als er aufgelegt hatte. Er kannte Karen als einen Menschen, der gerne Termine in ein oder zwei Wochen machte. Sie plante gerne im Voraus, was sicherlich mit ihrer Vergangenheit zu tun hatte, doch dazu später mehr.
Karen, Benjamin und er kannten sich aus einer gemeinsamen orthopädischen Reha, die sie in Oberursel verbrachten. Charly hatte sich bei einem Fußballspiel einen Kreuzbandriss zugezogen, an dem er lange laborierte. Karen war bei schlechtem Wetter die Gangway eines Flugzeuges hinuntergestürzt und hatte sich dabei einen komplizierten Oberschenkelbruch eingehandelt. Und Benjamin war beim Fahrradfahren so unglücklich gestürzt, dass sein rechter Oberarm gebrochen und Sehnen seiner rechten Hand gekappt waren. In der Reha wurden alle drei nach überstandener Operation wieder fit gemacht. Da sie zwischen den Anwendungen viel Zeit hatten, gab es viel Raum für Gespräche und es entstand eine innige Freundschaft zwischen den dreien, die die Jahre überdauerte.
Charly kam pünktlich (eine Eigenschaft, die alle an ihm sehr schätzten) im „Picknick Café“ an. Karen Lund und Benjamin Sauer waren schon da.
„Moin zusammen“, sagte er in die Runde.
„Moin“, kam es wie aus einem Mund von den anderen beiden zurück.
„Was verschafft mir die Ehre dieses spontanen Treffens?“, fragte Charly ohne Umschweife in die Runde.
„Das wüsste ich auch gerne“, entgegnete Benjamin Sauer, von allen nur Benny genannt. „Du klangst sehr geheimnisvoll am Telefon, Carry!“ Benny hatte rote Haare und sein Gesicht zierten tausende von Sommersprossen. Er war bekannt für seine direkte Art, die manchmal etwas frech rüberkam. Aber er trug sein Herz am rechten Fleck und war bei den anderen sehr beliebt.
„Nun, dann will ich gleich zur Sache kommen“, erwiderte Karen Lund, von allen nur Carry genannt. Sie war froh, diesen Spitznamen zu haben, da sie ihr eigentlicher Name zu sehr an Ingrid Bergmann erinnerte. Carry war eine sportliche Mittdreißigerin mit braunen kurzen Haaren, die sie auch gerne mal färbte. Sie hatte dunkelbraune, fast schwarze, Augen und einen ausdrucksvollen Mund. Auf ihrer Nase trug sie einen kleinen Höcker. Dieser rührte von dem Unfall auf der Gangway her, bei dem sie sich zusätzlich zum Oberschenkelbruch einen Nasenbeinanbruch zugezogen hatte. Dieser kleine Makel tat allerdings dem hübschen Gesamteindruck ihres Gesichtes keinerlei Abbruch.
„Kennt ihr die Abteilung „Museum Rescue“, kurz MR?“, fragte sie.
„Nie gehört“, erwiderte Benny.
„Moment mal, ist das nicht eine Organisation, die sich mit Grabräuberei beschäftigt?“, fragte Charly. Durch Zufall hatte er vor einigen Wochen einen Artikel darüber gelesen.
„Genau“, antwortete sie, „ich arbeite für sie, ich und Dimitrie!“
„Das ist aber eine Überraschung“, platzte es aus Benny heraus. „Ich dachte immer, du seist Stewardess. Und warum haben wir Dimitrie die ganze Zeit nicht gesehen?“
„Ja, warum nicht? Meines Wissens sitzt der Laden hier in Frankfurt“, hakte Charly nach.
„Nun haltet mal die Luft an und lasst mich antworten. Ja, ich war Stewardess, bis MR mich abgeworben hat. Die Fliegerei war mir auf Dauer zu öde und als MR mir ein gutes Angebot gemacht hat, habe ich zugegriffen“, gestand sie. „Und Dimitrie ist fast die ganze Zeit in Ägypten. Da bleibt nicht viel Zeit für Gastbesuche!“
„So, nun erzähl aber mal weiter. Du hast uns doch nicht zusammengerufen, um uns über eure Berufsstände aufzuklären“, bohrte Benny.
„Nein, es hat einen anderen Grund“, gestand sie. „Dimitrie ist seit 2 Wochen verschwunden. Er war in der Nähe von Kairo unterwegs, um einen sakralen Schatz aufzuspüren, den Schatz der Chi. Die Chi ist eine uralte Religionsgemeinschaft der Ägypter. Sie beten Ihren eigenen Gott an und sollen sogar Menschenopfer bringen. Damit wollen sie ihren Gott gütlich stimmen. Sie haben in hunderten von Jahren unzählige Gräber geplündert, da sie glauben, nur ihrem Gott stehen diese Schätze zu. Dimitrie hat eine heiße Spur verfolgt. Die letzte Nachricht beinhaltete Koordinaten, die mitten in der Wüste liegen. Seitdem gibt es keine Spur mehr von ihm. Er ist wie vom Erdboden verschwunden!“
„Das ist ja ein Ding“, sagte Charly, „und die Polizei in Ägypten hat keine Spur?“
„Nichts außer den Koordinaten“, entgegnete Carry. „Man muss aber auch sagen, die ägyptische Polizei ist chronisch unterbesetzt und kann nicht so viele Leute einsetzen, wie sie gerne möchte. Erschwerend kommt hinzu, dass auch unser Büro in Kairo im Dunklen tappt und aufgrund von Personalmangel niemanden für die Suche abstellen kann!“
„Moment, Moment, was hat das alles mit uns zu tun?“, unterbrach Benny.
„Ihr seid meine einzige Hoffnung“, antwortete Carry ganz leise. “Ich bin für seine Suche abgestellt, aber ich schaffe das nicht allein. Ich habe deshalb meine Idee Herrn Professor Neumann, das ist mein Chef, dargelegt und er hat nach einigem Zögern zugestimmt. Ihr müsst mir helfen, bitte!“
„Soll das etwa heißen, wir sollen ihn suchen? Das ist doch absurd“, polterte es aus Benny heraus. „Wir sind weder Archäologen noch Polizisten. Wir haben weder eine adäquate Ausbildung, noch kennen wir uns in Ägypten aus. Wir würden keine zwei Tage überleben. Nenne uns bitte einen Grund, weshalb wir an diesem Himmelfahrts-Kommando teilnehmen sollten.“
Benny hatte sich jetzt richtig in Rage geredet. Dann trat eine kurze Stille ein.
„Nun mein Lieber, ich kann dir sagen, weshalb ihr mir helfen sollt. Weil Dimitrie euer Freund ist und dir und Charly vor fast drei Jahren den Arsch gerettet hat. Wenn dies keine Gründe sind, dann weiß ich nicht“, unterbrach Carry die Stille. Sie schaute, während sie dies sagte, Benny böse an. Und Carry konnte sehr böse schauen. „Erinnert ihr euch noch, was damals geschah …?“
Kapitel 1.2 - Die Höhle
„Guten Morgen zusammen“, Dimitrie Maier begrüßte seine drei Freunde gut gelaunt am Eingang einer Höhle in der Eifel. Er war Deutsch-Russe. Seine Eltern waren in den 50er Jahren aus dem Kaukasus ausgewandert und hatten in Deutschland Fuß gefasst. Obwohl Dimitrie in Deutschland geboren war, hatte er den unverwechselbaren Akzent und die Redeweise eines jeden Russen, der aus der damaligen UdSSR ausgewandert oder geflohen war. Es gehörte zu Dimitries Wesen und machte ihn so einzigartig und liebenswert. Auch er hatte mehrere Wochen in der Reha-Klinik verbracht, da nach einem Autounfall sein Schlüsselbein gebrochen war. Er nutzte die gemeinsamen Gespräche vor allem, um seine Deutschkenntnisse zu verbessern.
„Das nennst du einen guten Morgen? Es Ist kalt und schifft in einer Tour“, Benny hatte augenscheinlich schlechte Laune.
„Mir ist kalt“, ergänzte Carry, die in ihrer dicken Jacke und Kapuze fror. Ihre rote Nase und die bleiche Gesichtsfarbe vervollständigten ihren jämmerlichen Gesamteindruck.
„Na komm, Eiskönigin, ein paar Minuten in warme Hütte, ein Tee und gescheite Thermoanzug, dann sieht die Welt ganz anders aus“, erwiderte Dimitrie in seinem leicht gebrochenen Deutsch unbeeindruckt. „Eiskönigin“ hatte Charly sie in der Reha getauft, als sie einige Tage erkältet und sämtliche Farbe in ihrem Gesicht verschwunden war.
„Dein Wort in Gottes Gehörgang“, warf Charly ein. Dieser hatte sich bisher noch ganz zurückgehalten.
„Das, was ich euch zeigen werde, wird euch entschädigen. Davon bin ich überzeugt“, sagte Dimitrie, dem die Kälte als gebürtiger Russe kaum etwas anzuhaben schien.
Und wirklich, eine halbe Stunde später und nach einem heißen Tee konnten die vier Freunde die Höhle erkunden. Sie alle waren ausgerüstet mit einem dicken Thermoanzug, einer Stirnlampe und wasserfesten Stiefeln.
„So, wir gehen jetzt in Höhle!“ Dimitrie ging mit festem Schritt voran.
„Dürfen wir denn da einfach reingehen?“, fragte Carry gewohnt vorsichtig. Ihr vorsichtiges Wesen sollte sie erst später ablegen.
„Ist kein Problem, ich bin Mitglied von Team. Ich habe Erlaubnis von Teamleiter“, entgegnete er. „Außerdem kommt Rest von Truppe auch gleich!“
„Na, dann kann ja nix mehr passieren“, ätzte Benny von hinten.
So stiegen die vier Freunde in die Höhle. Dass der Regen weiter zunahm, bemerkten sie nicht …
„Ich hoffe, der Kutscher kennt den Weg“, meinte Charly ganz trocken. Er hatte längst jegliche Orientierung verloren und verließ sich völlig auf Dimitrie. Der Zugang wurde immer enger und die Gesteinsmassen wirkten immer bedrohlicher. Jetzt konnte man sich nur noch hintereinander fortbewegen.
Wenigstens habe ich eine schöne Aussicht, dachte Charly, der genau hinter Carry lief, besser stolperte. Ruhig Brauner, ganz ruhig, denke nicht mal dran. Sie hat schließlich einen Freund. Und so konzentrierte er sich wieder auf den Weg.
„Keine Angst, Dimitrie kennt Weg. Gleich wird besser“, beschwichtigte Dimitrie die restliche Truppe.
Und wirklich, nach weiteren 50 Metern, Carry dachte schon, der Weg würde niemals enden, wurde der Gang wieder breiter und in der Ferne war ein Wasserfall zu hören.
„Gleich kommt große Überraschung!“ Dimitrie versuchte alles, um seine Freunde bei Laune zu halten. Und dann sahen sie es: Die dunkle Höhle verwandelte sich in ein Lichtermeer. Sie alle schauten staunend nach oben und sahen ein Farbenspiel in Blau, Grün, Gelb und Rot.
„Wir haben sie Kapelle getauft. Warum, brauche ich euch wohl kaum zu erklären.“ Dimitries Stimme klang ehrfürchtig. „Wir haben sie vor vier Wochen entdeckt. Ist noch nicht freigegeben, aber darf schauen!“
Alle schauten nach oben und ergötzten sich an dem Farbenmeer.
In der Zwischenzeit war der Rest des Erkundungsteams am Eingang der Höhle angekommen. Der Regen hatte weiter zugenommen und man konnte ohne Übertreibung von einem Starkregen sprechen.
„Chef, ich glaube, mit der weiteren Erkundung wird das heute nichts. Ich habe kein gutes Gefühl. Ich denke, es ist zu gefährlich. Da kann noch böse was runterkommen. Und wer weiß, wie es in der Höhle aussieht!“
Der Regen und der Wind hatten mittlerweile dermaßen zugenommen, dass Martin Schmidt seinen Chef Edwin Gruber förmlich anschreien musste, damit der ihn verstand.
Dieser brüllte zurück: „Denke, Sie haben Recht, Schmidt. Ich hoffe nur, dass Dimitrie nicht in die Höhle gegangen ist oder gleich wieder auftaucht, das Auto steht jedenfalls hier.“
„Doch, in die Höhle müssen sie gegangen sein. Es fehlen vier Anzüge, vier Lampen und vier Paar Stiefel“, rief ein Mitglied des Forscherteams Gruber zu.
„Schmidt, fordern Sie zwei RTW (Rettungswagen) und ein Rettungsteam an. Ich will kein Risiko eingehen. Ich hoffe, sie sind noch nicht in der Kapelle oder schon auf dem Rückweg. Ansonsten Gnade ihnen Gott.“
„So Leute, Zeit zum Aufbruch. Team müsste auch da sein und gleich kommen. Dann zu eng für uns alle!“ Dimitrie mahnte zum Aufbruch.
„Hört ihr das, es wird immer lauter“, Bennies Stimme wurde immer leiser.
„Ich höre es auch, als würde ein Wasserhahn voll aufgedreht“, entgegnete Carry mit zittriger Stimme.
Kaum hatte sie es gesagt, wuchs das Rauschen zu einem Grollen an. Im nächsten Moment hörten sie Steine fallen. Benny wurde schwer getroffen.
„Los, raus hier!“ Dimitries Stimme überschlug sich bald. Er schnappte Carry am Arm und rannte Richtung Ausgang, dicht gefolgt von Charly.
„Hilfe!“, hörten die drei plötzlich Benny schreien.
„Ihm muss etwas passiert sein“, rief Charly Dimitrie zu. „Bring Carry hier raus, ich kümmere mich um Benny!“
„Du bist wahnsinnig, komm raus hier!“, schrie Dimitrie. Aber Charly war schon auf dem Weg zurück, um Benny beizustehen.
Dann merkte Charly, wie sich immer schneller die Decke des Eingangs der Kapelle löste. Mit einem Hechtsprung landete er genau in der Mitte der Kapelle und nur mit Mühe konnte er verhindern, von Steinen erschlagen zu werden. Da, wo sie vor wenigen Minuten noch gestanden hatten, war nun Wasser und Benny mittendrin.
„Das Wasser steigt unaufhörlich, wir müssen versuchen, hier rauszukommen!“, rief Charly Benny zu.
„Ich kann nicht, mein Bein. Ich habe einen Stein abbekommen!“
In diesem Moment hörte das Grollen auf. Der Zugang war bis auf einen kleinen Spalt komplett verschüttet. Nur das Wasser stieg weiter.
„Da oben kommen wir nicht rauf. Die Steine sind zu instabil, wir würden nur abrutschen. Und du mit deinem Bein schaffst das schon gar nicht!“, stellte Charly fest.
„Dann versuch wenigstens du es“, sagte Benny mit zittriger Stimme.
„Unsinn, ich lasse dich nicht allein. Außerdem könnten sich Steine lösen und dich erschlagen. Nein, die einzige Möglichkeit ist Hilfe von außen. Hoffentlich schaffen Carry und Dimitrie es!“
In der Zwischenzeit hatten Carry und Dimitrie den Ausgang der Höhle erreicht. Carry war mittlerweile so erschöpft, dass sie sich an Dimitrie anlehnen musste.
Gott sei Dank, die zwei sind raus. Aber wo ist der Rest?, fragte sich Gruber.
„Ich muss rein, zwei noch drin. Gib mir Leiter“, rief Dimitrie Gruber zu, nachdem er Carry am ersten RTW abgesetzt hatte.
„Wie ist die Lage?“, fragte dieser.
„Geröll, überall Geröll und das Wasser steigt in Kapelle!“ Dimitrie gab sich keine Mühe mehr, akzentfrei zu sprechen. „Ich muss wieder rein!“
„Das ist Wahnsinn, lassen Sie den Schwachsinn. Es ist zu gefährlich. Mensch, nehmen Sie doch Vernunft an!“ Grubers Stimme überschlug sich fast.
Doch Dimitrie hatte sich schon eine Leiter und ein Seil geschnappt und rannte Richtung Eingang der Höhle.
„Verrückter Hund“, rief Gruber an Carry gerichtet.
„Das stimmt, aber wenn es einer schafft, dann er“, entgegnete sie mit schwacher Stimme.
„Also, ich kann das nicht gutheißen“, rief der Einsatzleiter des Rettungsteams zu Gruber hinüber. Warum haben Sie ihn nicht aufgehalten?“
„Warum? Versuchen Sie mal, den Regen aufzuhalten, dürfte den gleichen Erfolg haben!“, antwortete Gruber und sagte leise: „Gott stehe ihm bei!“
„Ich habe es gehört. Ich kann Ihnen nur beipflichten“, sagte Carry.
Dimitrie hatte zwischenzeitlich die Stelle des Eingangs erreicht, der durch Schutt und Geröll verschüttet war. Er sah oben einen kleinen Spalt, der noch offen war. Wenn er diesen mit der Leiter erreichen würde und die Steinmassen nicht nachgeben, hätte er eine Chance, seine Freunde zu retten. Aber er wusste auch, über kurz oder lang würde der Druck des Wassers, das im Inneren der Kapelle stetig stieg, die Wand zum Einstürzen bringen.
Also los, alter Junge. Dir läuft die Zeit davon, dachte er.
Mit diesem Gedanken setzte er vorsichtig die Leiter an und kletterte hinauf.
Im Inneren der Kapelle wurde die Situation immer kritischer. Benny und Charly hatten keinen festen Boden mehr unter den Füßen. Zusätzlich krümmte sich Benny vor Schmerzen. Sein Bein war augenscheinlich gebrochen und zusätzlich schien sich eine Entzündung darin breit zu machen.
„Benny, halt dich weiter an mir fest. Wir schaffen es.“ Charly versuchte, Benny weiter Mut zu machen, obwohl er selbst kaum noch an Rettung glaubte. Er wusste, wenn die Geröllwand dem Druck des steigenden Wassers nicht mehr standhalten könne, würden sie weggeschwemmt und unter den Geröllmassen begraben werden. Zusätzlich kam hinzu, dass das kalte Wasser seine Kräfte aufsaugte wie ein Schwamm. Auch er war am Ende seiner Kräfte.
„Hallo, da unten jemand?“ Charly glaubte zu träumen. War das Dimitrie?
„Ja hier, direkt unter dir“, schrie Charly mit letzter Kraft.
„Gut, hier Seil“, antwortete Dimitrie und warf das Ende des Seils in die Richtung von Benny und Charly.
Wenn ich das hier überlebe, bringe ich dem Kerl richtig Deutsch bei, dachte sich Charly. Und trotz der prekären Lage, in der er sich befand, musste er grinsen.
Er band das Ende des Seils um Bennies Brust und rief: „Zieh ihn rauf!“
Im nächsten Moment hob sich Benny wie durch Zauberhand in die Höhe.
„OK, ich habe ihn!“, kam die Antwort von Dimitrie.
„Wenn du ihn sicher hast, bring ihn erst raus. Kümmere Dich dann erst um mich, verstehst du“, Charly konnte vor Kälte kaum noch sprechen.
„Nein, wenn beide“, war Dimitries Antwort.
„Hör mit dem Scheiß auf. Du weißt genau, dass die Wand uns nicht alle drei hält. Jetzt mach schon!“
Charly kam sich plötzlich vor, als hätte er einen über den Durst getrunken.
Das muss die Kälte sein, dachte er. „Nur nichts anmerken lassen, sonst kommt Dimitrie noch auf dumme Gedanken
Dimitrie hatte Benny mittlerweile gepackt und zog ihn über das Geröll. Es grenzte an ein Wunder, dass die Steine nicht nachgaben.
„Dimitrie, komm jetzt da runter, den Rest mache ich!“
War das Grubers Stimme? Dimitrie schaute nach unten und erkannte seinen Teamleiter.
„Chef, was machst du hier?“
„Mach hin, wir haben keine Zeit“, antwortete Gruber barsch. Und in der Tat, das Wasser drückte gegen die Geröllwand und kleine Rinnsale von Wasser ergossen sich an der Wand herunter.
„Los raus, den Rest mache ich“, herrschte Gruber Dimitrie nochmal an.
Im nächsten Moment war er schon auf der Leiter und kletterte selbst zu dem Spalt rauf. Die Rinnsale wurden immer größer und es war nur noch eine Frage der Zeit, bis die Geröllwand einstürzen würde.
Währenddessen nahm Dimitrie Benny in den Rautek-Griff, um ihn durch die engen Stellen des Zugangs ziehen zu können.
Gruber war auf der letzten Stufe der Leiter angekommen. Jetzt konnte er Charly das Seil, das er mitgenommen hatte, zuwerfen.
„Los, greifen Sie zu, viel Zeit bleibt uns nicht mehr!“
Mit letzter Kraft griff Charly zu und ließ sich rüber ziehen. Wie in Trance stieg er die Stufen hinunter. Dort wurde er von Martin Schmidt aufgefangen.
„Wo kommen Sie denn her?“, fragte Gruber Martin Schmidt.
„Ja glauben Sie, ich lasse Sie hier allein?“, antwortete dieser.
„Danke Schmidt, jetzt aber raus hier. Ich möchte nicht erleben, wenn das Kartenhaus zusammenbricht!“
Die drei erreichten die engste Stelle des Zugangs, als die Geröllwand nachgab und sich das Wasser Richtung Ausgang ergoss. Dass alle den Eingang erreichten, hatten sie nur dem Umstand zu verdanken, dass sich Steine an der engsten Stelle verkeilten und so das Wasser ca. eine halbe Minute aufgehalten wurde.
„Weg vom Zugang, da kommt gleich Wasser raus!“, schrie Gruber und machte einen Hechtsprung weg vom Eingang, nicht ohne Charly vorher einen kräftigen Tritt zu geben, sodass auch der außerhalb der Gefahrenzone landete. Danach konnte Charly sich an nichts mehr erinnern. Er verlor kurz das Bewusstsein. Schmidt tat es seinem Chef gleich und landete genau vor den Füßen von Carry.
„Ich habe mich selten so gefreut, einer Frau so zu Füßen zu liegen“, war sein Kommentar.
„Gibt Schlimmeres“, konterte Carry grinsend.
„Für diese Handlungsweise werden Sie sich verantworten müssen“, schrie der Einsatzleiter Gruber aufgebracht an.
„Liebend gerne, ich habe ein reines Gewissen“, antwortete Gruber im ruhigen Ton. Er und Schmidt sollten später eine Abmahnung und den Rheinland-Pfälzer Tapferkeitsorden für ihre Tat erhalten.
Als Charly wieder zu sich kam, schaute er in die Augen von Carry, die sich besorgt über ihn beugte.
„Bin ich jetzt im Himmel?“, fragte er sie.
„Hä, wie kommst Du denn da drauf?“ entgegnete Carry.
„Ja, bist du denn kein hübscher Engel?“
„Sag mal, hast du auch was am Kopf abbekommen? Ich sehe gar keine Wunde“, fragte Carry überrascht.
„Nö, mir ist nur saukalt. Wie geht es Benny?“
„Das mit der Kälte gibt sich. Sie kommen jetzt ins Krankenhaus und dann werden Sie einer Wärmebehandlung unterzogen. Ihr Freund ist schon auf dem Weg ins Krankenhaus. Das war Rettung im letzten Moment. Ich bin übrigens Edwin Gruber.“
„Wie kamen Sie in die Höhle?“
„Das haben Sie Frau Lund zu verdanken. Sie hat mich so lange bekniet, bis ich Dimitrie gefolgt bin. Hätte sie das nicht getan, wären Sie jetzt nicht hier!“
„Danke Ihnen!“, sagte Charly und an Carry gewandt: „Doch ein Engel!“
Carry quittierte seine Aussage nur mit einem bezaubernden Lächeln.
Kapitel 1.3 - In Kairo
„Nun, könnt ihr euch jetzt daran erinnern, was Dimitrie für euch getan hat?“ Carry hatte ihre Erzählung beendet und schaute die anderen beiden aus ihren großen braunen Augen durchdringend an.
„Sicher können wir uns noch gut an die Sache in der Höhle erinnern“, entgegnete Benny kurz angebunden. „Es ändert aber nichts an meiner Entscheidung. Für mich ist das mindestens eine Nummer zu groß. Was sagst du, Charly?“
„Ich muss nochmal drüber nachdenken, lass mir noch etwas Zeit“, antwortete Charly an Carry gewandt.
„OK Jungs, ihr habt Zeit bis morgen Mittag 12:00 Uhr. Dann brauche ich eine Entscheidung von euch. Bis dahin gilt auch die Reservierung der Flugtickets nach Kairo. Höre ich nichts von euch, seid ihr raus. Der Flug geht morgen um 17:35 Uhr ab Frankfurt. Ihr habt also vom Zeitpunkt eurer Entscheidung bis zum Abflug nicht viel Zeit zum Packen!“
„Du machst aber keine halben Sachen, das muss man dir lassen!“, bemerkte Charly.
„Für halbe Sachen haben wir keine Zeit, mein Lieber“, und mit diesen Worten verließ Carry das Café. Nicht, ohne vorher noch die Rechnung für alle drei zu bezahlen.
„Ich gehe dann auch“, sagte Benny, „meine Meinung ist klar. Mach es gut und ich kann dir nur raten: Lass es bleiben, egal was du für sie heimlich empfindest. Es ist für uns beide eine Nummer zu groß. Also mach es gut. Hat mich trotzdem gefreut, euch mal wieder gesehen zu haben. Tschau!“
„Mmh“, antwortete Charly auf Bennies Abschlusswort und so verließen beide das Café.
Es war 02:30 Uhr, als bei Carry das Telefon klingelte.
„Ja“, sagte sie mit für diese Uhrzeit erstaunlich klarer Stimme.
„Ja, hier ist Charly, also ich habe es mir überlegt: Ich mache mit. Ich fliege mit nach Kairo, das bin ich Dimitrie schuldig. Ich dachte, ich rufe gleich an, bevor ich es mir anders überlege!“
„Ich habe mir schon gedacht, dass du es bist. Und ich habe mir auch gedacht, dass du „ja“ sagst. Es freut mich, dass ich Recht behalten habe“, sagte Carry erleichtert.
„Hat sich Benny nochmal gemeldet? Könnte ja sein, dass er es sich nochmal anders überlegt hat!“
„Nein, er hat sich nicht mehr gemeldet, er hat ja noch ein bisschen Zeit!“
„Gut, dann schlaf schön … Wir sehen uns morgen am Flughafen“, grade konnte Charly sich noch bremsen. Sie hatte immer noch einen Freund!
„Ja, sei schön pünktlich. Am besten zwei Stunden vorher da sein!“
„Ja Mama, mach ich. Bis denne, gute Nacht, schlaf schön!“
„Das habe ich lange nicht mehr gehört!“
„Was?“
„Bis denne!“
„Gab ja auch keine Gelegenheit!“ entgegnete er.
„Stimmt, schlaf auch schön!“
„Dann bis morgen und träume schön“, sagte Charly, dem noch gar nicht nach schlafen war.
Es machte „klick“, das Gespräch war vorbei.
Nachmittags war Charly pünktlich am Flughafen. Carry wartete schon auf ihn.
„Moin, geht es hier nach Kairo?“, fragte er unschuldig blickend.
„Komm, lass dich erst mal drücken“, antwortete Carry, ohne auf seine flapsige Begrüßung einzugehen.
Sie riecht so gut, dachte Charly. Carry und ihn verbanden eine jahrelange Freundschaft und er gedachte nicht, diese Freundschaft durch eine unbedachte Bemerkung zu gefährden.
„Hast du was von Benny gehört?“, fragte er, nachdem sie sich wieder voneinander gelöst hatten.
„Nein, aber es überrascht mich nicht nach seinem Auftritt gestern“, antwortete Carry. „Es ist seine Entscheidung, da kann man nichts machen. Wichtig ist, dass du da bist. Na komm, lass uns unser Gepäck abgeben“, fuhr sie fort.
Sie reihten sich in die lange Schlange ein und gaben ihr Gepäck auf. Danach gingen sie in den Duty-Free-Shop und vertrieben sich die Zeit bis zum Abflug.
„Letzter Aufruf für Flug LH 787 nach Kairo“, schallte es durch die Abflughalle. Carry und Charly hatten grade ihren Check-In erledigt und warteten auf das Shuttle, das sie zu ihrem Flieger bringen sollte. Da hörten sie eine ihnen bekannte Stimme:
„Moment mal, bitte lassen Sie mich durch. Danke, danke, entschuldigen Sie, entschuldigen Sie!“
Benny drängelte sich durch die Schlange, als gäbe es kein Morgen.
Carry und Charly grinsten sich an.
„Ah, der verlorene Sohn“, bemerkte Charly staubtrocken, als Benny sie erreichte.
„Ja glaubt ihr, ich lasse euch allein auf diese Mission gehen? Nachher macht ihr mir noch Dummheiten. Das kann ich doch nicht zulassen!“
„So, so, hat der gnädige Herr es sich nochmal anders überlegt“, konterte Carry.
„Das bin ich Dimitrie schuldig, nach dem, was er alles für mich getan hat“, murmelte Benny. „Nur eins wundert mich“, fuhr er fort, „ich konnte ungehindert einchecken. Die Reservierung war nicht storniert, warum?“
„Das kann ich dir sagen“, antwortete Carry, „ich habe geahnt, dass du kommst und habe die Reservierung laufen lassen.“ Und dabei grinste sie Benny an.
Hat sich doch ganz schön verändert, unsere kleine Eiskönigin, dachte Charly bei sich und erinnerte sich an das schüchterne Mädchen, das er einstmals kennengelernt hatte. Er schaute heimlich zu ihr rüber und kämpfte wieder gegen ein Gefühl an, das seit ihrem Treffen im Café immer wieder in ihm aufstieg. Er hatte es früher schon gehabt und dachte bisher, es endlich überwunden zu haben.
„So, ab in den Flieger, am Flughafen in Kairo werden wir von einem Mitarbeiter von MR abgeholt“, Carry rief zur Eile, da nun schon alle Passagiere im Flugzeug verschwunden waren.
So kam es, dass unsere Freunde knapp vier Stunden später in Kairo landeten. Hier wurden sie von Abdul Karim empfangen, der schon ungeduldig nach ihnen Ausschau hielt.
„Willkommen in Kairo“, begrüßte er sie mit einem strahlenden Lächeln. „Carry, es ist schön, dich wiederzusehen. Wie geht es dir? Du siehst blendend aus!“
„Danke gut, Abdul. Wie geht es Amal und den zwei Kindern?“
„Drei Kinder, drei. Jetzt ist noch der kleine Omar hinzugekommen. Und Amal wird von Kind zu Kind schöner. Ich zeige euch Bilder, wenn wir im Büro sind!“
Nach einer kurzen Vorstellung begaben sich alle zum Auto und Abdul stürzte sich in den Kairoer Abendverkehr. Dieser war für einen Auswärtigen eine gefährliche Angelegenheit. Es schien keine Regeln zu geben und Charly erlebte vor seinem geistigen Auge mindestens vier Situationen, die nach seinem Gefühl unweigerlich zu einem Unfall führen mussten. Doch Abdul fuhr mit der Souveränität eines Einheimischen um jede dieser prekären Situationen herum.
„Woher können Sie eigentlich so gut Deutsch?“, fragte Benny, nachdem mal wieder so eine gefühlte Unfallsituation überstanden war.
„Ach bitte, Abdul und „du“. Wir werden sicherlich eng zusammenarbeiten und da spricht es sich leichter. Ich habe drei Jahre in Ost-Berlin, damals noch DDR, Geschichte studiert. Eines Tages hat mich Professor Neumann nach der Wende angesprochen und gefragt, ob ich nicht für „MR“ in Kairo arbeiten wolle. Nun, nachdem ich mein Studium beendet hatte, bin ich wieder nach Kairo gegangen und habe dort mit Doktor Dubois das Büro übernommen!“
„Und Abdul und ich haben uns auf einer Mission vor einem Jahr kennengelernt“, ergänzte Carry.
„Ja, du warst noch ganz neu bei MR und hast dir bei uns die ersten Sporen verdient. Jungs, ich kann euch sagen, sie ist richtig gut“, erzählte Abdul mit einem strahlenden Lächeln weiter. Während er Carry durch den Rückspiegel anschaute, ohne den Verkehr aus den Augen zu lassen.
So erreichten die vier unbeschadet das Büro von „MR“ am Rand der Kairoer Innenstadt. Das Büro befand sich in einer kleinen Villa und von außen sah man ihr nicht an, dass sie mit hochmoderner Elektronik ausgestattet war.
„So, dann rein mit euch, Herr Dubois wartet sicher schon!“ Abdul trieb etwas zur Eile.
Frank Dubois war ein kleiner, drahtiger Mittvierziger mit einem buschigen Schnurrbart, der ohne weiteres als Franzose durchging. Stattdessen war er ein waschechter Frankfurter, der seinen Namen hugenottischen Vorfahren verdankte, die vor hunderten von Jahren in Neu-Isenburg eine neue Heimat fanden. Auf seinem Schreibtisch stand ein riesiger Aschenbecher, der meist gut gefüllt war und in langen Nächten, in denen fast durchgearbeitet wurde, auch schon mal überquoll. Sein Büro war nämlich der einzige Raum in der Villa, in dem geraucht werden durfte.
„Hallo Herr Dubois, hier ist unser Besuch aus Deutschland!“ Mit diesen Worten betrat Abdul mit den drei Freunden das Büro von Dubois. Dieser blickte auf und fixierte eine Person nach der anderen. Als er Carry erblickte, begann er, breit zu grinsen und stand hinter seinem Schreibtisch langsam auf.
„Frau Lund, besser Carry, es freut mich, Sie nach so langer Zeit mal wieder zu sehen. Auch herzlich willkommen an Sie alle!“
„Ja, auch wenn die Begleitumstände nicht grade erfreulich sind, ich freue mich auch, Herr Dubois. Dies sind Herr Bach und Herr Sauer. Lassen Sie uns gleich in medias res gehen“, drängelte Carry etwas ungeduldig. Charly war von ihrer Zielstrebigkeit immer wieder überrascht. Welche Veränderung!
„Gut, dann lasst uns mal loslegen, nehmen Sie Platz“, erwiderte Dubois. „Ich möchte betonen, dass ich von der Idee von Herrn Neumann nicht grade begeistert bin. Zwei Personen ohne Ausbildung und Erfahrung auf diese Mission zu schicken, ist mehr als leichtsinnig. Gleichwohl haben wir keine andere Wahl. Der größte Teil unserer Leute steckt in Missionen in Süd-Ägypten und die ägyptische Polizei ist notorisch unterbesetzt. Tja, meine Herren, so sind wir auf Sie gekommen. Lassen Sie mich ehrlich sein, Sie sind nicht meine erste Wahl, aber wir haben keine andere.“
„Herr Dubois, wir sind uns der Problematik voll bewusst. Aber geben Sie uns die Chance. Wir werden versuchen, das Beste daraus zu machen“, antwortete Charly.
„Nun ja“, erwiderte Dubois, „die ersten Mitarbeiter von „MR“ waren auch nur Archäologen und mussten sich mit Kriminellen herumschlagen.“
Dann fuhr er fort: „Was haben wir an Informationen? Maier war auf der Spur der Chi. Information über diese Gruppierung hat ihnen sicherlich schon Frau Lund gegeben.“ Die anderen nickten. „Er ist schon eine ganze Weile hinter ihnen her. Und er weigerte sich beharrlich, noch eine Person hinzuzuziehen. Aber so ist er, wie ein einsamer Wolf. Als wir das letzte Mal Kontakt zu ihm hatten, sprach er von einer heißen Spur und Navigationskoordinaten, denen er jetzt folgen wollte. Alles, was wir dann noch erfahren haben, war, dass er einen Guide angemietet hat, um an der Stelle, die die Koordinaten auswiesen, weitere Nachforschungen anzustellen. Dies war die letzte Meldung und letzte Spur von Maier. Der Guide und er sind seitdem verschwunden. Dies ist jetzt fast zwei Wochen her, genauer gesagt seit Freitag vorletzter Woche.“
„Gibt es denn gar keine Spur? Ich meine, ein Mensch kann sich doch nicht von selbst in Luft auflösen“, fragte Benny.
„Nun, junger Mann. Die Wüste ist tückisch. Wenn jemand von ihr verschluckt wurde, kann es sein, dass er erst Jahre später wieder als Leiche ausgespuckt wird.“
„Wir sind nicht hier, um Dimitries Leiche zu finden. Ich habe immer noch die Hoffnung, dass wir ihn lebend finden“, unterbrach ihn Carry.
Dubois sah sie milde lächelnd an und sagte: „Immer noch die alte Lund. Wie ein Terrier in eine Spur verbeißen und erst wieder loslassen, wenn der Fall gelöst ist. Vorsicht meine Herren, die junge Dame wird Sie schon an Ihre Grenzen bringen.“
„Davon gehe ich aus“, sagte Charly, der bis jetzt sehr ruhig den anderen gelauscht hatte.
„So, genug für heute, es ist fast ein Uhr. Abdul wird Sie jetzt ins Hotel fahren. Ich habe mir erlaubt, noch einen kleinen Imbiss für Sie zu bestellen. Abdul wird Sie auch morgen früh abholen. Ich denke, das ist in Ihrem Sinne, der Verkehr von Kairo ist nichts für schwache Nerven. Ich hoffe, Sie kommen gut miteinander aus. Abdul wird eng mit Ihnen zusammenarbeiten.“
„Ich denke, das passt schon“, sagte Benny mit einem Lächeln und die anderen nickten beifällig.
„Gut, dann sagen wir, wir treffen uns um 10:00 Uhr wieder hier. Abdul wird Sie gegen 09:30 Uhr im Hotel abholen. Aber vorsichtig meine Herrschaften, wenn ich eine Uhrzeit sage, dann meine ich auch diese Uhrzeit. Da bin ich trotz 15 Jahren Ägypten doch Deutsch geblieben.“
„Alles klar, dann 10 Uhr wieder hier“, sagte Carry stellvertretend für alle.
„Abdul, bleiben Sie noch einen Moment“, sagte Dubois an ihn gewandt. „Was halten Sie von den dreien, Abdul?“, fragte er Abdul, als die anderen den Raum verlassen hatten.
„Nun, bei Carry wissen wir, woran wir sind. Die anderen beiden kann ich noch schwer einschätzen. Aber was haben wir für eine Wahl. Sie sind unsere einzige Hoffnung, Maier und den Guide wiederzufinden!“
„Das sind sie, Abdul, das sind sie. Ich hoffe, die machen das Beste draus!“
Mit diesen Worten fuhr Dubois seinen Rechner herunter und Abdul ging zu den drei Freunden, um sie in das Hotel zu fahren.
Im Hotel angekommen gingen alle drei gleich in ihre Zimmer. Charly beschloss, auf dem Balkon noch eine Zigarette zu rauchen und dann schlafenzugehen.
Kaum stand er an der Brüstung, hörte er von nebenan jemanden eine Zigarette inhalieren. Es war Carry, die das Zimmer nebenan hatte.
„Na, kannst du auch noch nicht schlafen?“, flüsterte Charly eng an die Trennung der beiden Balkone gelehnt.
„Nein, mir schwirrt noch ein Haufen Zeug durch den Kopf“, entgegnete sie. „Vor allem die Angst, wir könnten es nicht schaffen.“
„Komm, mach dir keinen Kopf, es hat doch noch nicht mal richtig angefangen. Lass es erst mal auf uns zukommen, dann sehen wir weiter.“
„Immer noch der alte Charly. Nicht zu früh in Panik geraten, erstmal besonnen die Situation analysieren.“
„Genau, solange kein Grund zur Panik besteht, ruhig Blut. Jetzt schauen wir mal, was der nächste Tag bringt.“
„Die gleiche Denke, wie damals in der Hohen Mark“, bemerkte sie. „Wusste schon, warum ich dich dabeihaben wollte.“
„Na und, da sind wir doch damals ganz gut mit gefahren. Und mich jetzt dabei zuhaben wolltest du doch nicht nur wegen meiner analytischen Denke, oder?“, er lächelte keck.
„Na junger Mann, nun bilden Sie sich mal keine Falschheiten ein“, gab sie gespielt streng zurück. „So, ich gehe jetzt schlafen. War ein langer Tag. Schlaf schön, Charly“, murmelte sie gähnend und verschwand in ihrem Zimmer.
„Jo, schlaf schön, bis denne“, entgegnete Charlie und drückte seine Zigarette aus. Wie gerne hätte er sie jetzt in seinen Arm genommen. Aber was nicht ist, ist nicht, dachte er. Dann ging auch er schlafen.
Kapitel 1.4 - In Frankfurt
„Haben Sie etwas für mich?“, fragte Torsten Neumann den Chefchemiker der Universität Frankfurt, Thomas Berger.
„Nun, Herr Neumann, wir haben unser Bestes getan“, antwortete dieser.
„Dann zeigen Sie mal“, entgegnete Neumann. Torsten Neumann war der Chef von MR-Weltweit. Ein zwei Meter Hüne mit einem runden Kopf und Halbglatze. Er fiel durch seine absolute Ruhe und seine Loyalität zu seinen Mitarbeitern auf. Ein Umstand, der bei seinen Vorgesetzten in Berlin nicht immer gut ankam. Außerdem war er durch seine unkonventionelle Arbeit nicht nur beliebt. Aber seine Mitarbeiter gingen für ihn durchs Feuer. Neumann und Berger hatten in der Vergangenheit schon des Öfteren zusammengearbeitet und dabei den Dienstweg manchmal etwas frei interpretiert.
„Wir haben jetzt alle Aufzeichnungen über die Chi, denen wir habhaft werden konnten, studiert, ausgewertet und daraus ein Gegengift gegen ihren „Todestrunk“ entwickelt. Viel Material hatten wir nicht. Wir haben uns vor allem auf die Aufzeichnungen von Professor von Sundheim gestützt“, dozierte der Chemiker.
„Ich weiß, der Informationsstand ist äußerst dünn. Das meiste wissen wir nur vom Hörensagen und das ist noch sehr diffus.“
„Alles, was wir wissen, ist, dass sie wahrscheinlich ein Halluzinogen einsetzen. Dies kann auch bei ihren Messen genutzt werden. Es war äußerst schwierig, aufgrund der gesamten Informationslage irgendetwas zu produzieren. Doch nun haben wir ein Gegengift entwickelt. Wir hoffen, dass es hilft!“
„Gute Arbeit, Berger. Wir wissen noch nicht einmal, ob wir es brauchen. Aber wenn, dann kann es äußerst wertvoll sein.“
„Ich möchte noch darauf aufmerksam machen, dass es noch nicht mal an Tieren ausprobiert wurde. Streng genommen dürfte ich es Ihnen gar nicht aushändigen.“
„Ich weiß Berger, ich weiß. Wenn ich gefragt werden sollte, habe ich es aus dem Internet und kann mich nicht mehr an die Seite erinnern. Aber die Chi haben schließlich auch keine Freigabe für ihren Trunk und setzen ihn vielleicht auch ein. Dann ist es doch legitim, was ich hier mache, oder?“
„Das ist natürlich auch eine Sicht der Dinge“, schmunzelte Berger. „Ich kann Ihnen versichern, dass nur mein Assistent und ich von der Entwicklung wissen. Wir haben die ganze Entwicklung unter Grundlagenforschung abgebucht, da kann uns keiner was.“
„Gut, und unsere Unterhaltung hat nie stattgefunden“, ergänzte Neumann. „Herr Berger, ich danke ihnen!“
„Ach so, hier sind die Tabletten. Wir haben zehn Stück herstellen können. Wir haben noch einen Behälter konzipiert, den man ohne Probleme um den Hals tragen kann. Er ist hitze- und säurebeständig und wird wie ein Blister geöffnet“, erklärte Berger.
„Großartig, ist ja fast wie in einem Spionagefilm“, schmunzelte Neumann.
„Gut, das war es, ich wünsche Ihnen bei Ihrer wie auch immer gearteten Mission alles Gute und hoffe, dass Sie die Tabletten nicht brauchen“, verabschiedete sich Berger.
„Ich werde sie bestimmt nicht brauchen, aber vielleicht jemand anderes“, entgegnete Neumann.
Kaum hatte Berger das Büro verlassen, griff Neumann zum Telefon.
„Hallo Frank, hier spricht Torsten. Frank, ich schicke dir gleich ein Päckchen per Blitzkurier. Es sollte spätestens Übermorgen bei dir sein. Es handelt sich dabei um ein Gegengift gegen den Trunk der Chi. Ich kann aber meine Hand nicht dafür ins Feuer legen, dass es funktioniert!“
„Na großartig Torsten, ist ja wie eine Operation am offenen Herzen. Aber immer noch besser als nichts. Aber du weißt, was ich von der Gesamtsituation halte. Ich habe ihnen Abdul zugeteilt und was wir von Carry zu halten haben, wissen wir!“
„Ich hoffe jedenfalls, dass es funktioniert. Wir hören uns!“ Dann legte Neumann auf und schaute aus dem Fenster auf die Senckenberg-Anlage. Hoffen wir mal das Beste, dachte er, während er aus dem Fenster schaute.
Den Kurier bestellte er persönlich.
Kapitel 1.5 - In der Wüste
Am nächsten Morgen war Abdul auf dem Weg zum Hotel, als sein Handy klingelte.
Oh, Chef, dachte er sich.
„Morgen, Abdul“, hörte er die Stimme von Dubois. „Hören Sie, warnen Sie die drei schon mal vor, dass es heute heiß wird. Sie werden von Sundheim einen Besuch abstatten. Um die passende Kleidung brauchen sie sich keine Gedanken machen. Ich denke, wir haben das Richtige hier!“
„Ist gut Chef, dann werden wir sie erst mal einkleiden und dann zu ihnen kommen!“
„So machen wir es, bis später!“ Dubois war nicht der Freund vieler Worte. Auch Abdul musste sich als geborener Ägypter erst an die knappe Wortwahl seines Chefs gewöhnen. Mittlerweile wusste er, dass dies keine Unhöflichkeit war, sondern seine Art.
Nachdem Abdul sie abgeholt und alle in der Villa angekommen waren, ging es gleich in die Kleiderkammer des Instituts.
„Steht dir nicht schlecht, die Tropenuniform“, bemerkte Charly, nachdem sie sich umgezogen hatten.
„Pffff“, kommentierte Carry das Kompliment. Sie sah in Ihrer dunkelgrünen Kaki Bluse und der dazu passenden kurzen Hose aber auch wirklich gut aus. Der Umstand, dass sie ansonsten nur lange Hosen trug, verlieh ihrem Outfit noch den nötigen Reiz, da ihre langen Beine voll zur Geltung kamen.
„Wir sehen aus wie richtige Entdecker“, ergänzte Benny frech.
„Los jetzt, genug gealbert, Dubois wartet sicher schon auf uns“, mahnte Carry zur Eile.
Und richtig, in einer dichten Rauchwolke aus ägyptischem Tabakrauch saß Dubois hinter seinem Schreibtisch und erwartete alle vier:
„Guten Morgen allerseits, ich komme gleich zum Thema. Sie werden heute zuallererst Professor von Sundheim einen Besuch abstatten. Sundheim ist ein ausgewiesener Spezialist der Chi und kann Ihnen sicherlich den ein oder anderen Tipp geben. Er erforscht sie schon seit 20 Jahren. Ich kenne keinen, der mehr über die Chi weiß. Haben Sie zu gestern noch Fragen?“
„Momentan nicht“, antwortete Carry.
„Gut, ich habe Ihnen noch ein Dossier zu den gestrigen Themen zusammenstellen lassen. Sie können es während der Fahrt lesen. Abdul wird Sie jetzt fahren. Richten Sie sich darauf ein, dass Sie bei Einbruch der Dämmerung bei von Sundheim ankommen. Nehmen Sie also auch Übernachtungssachen mit.“
„Habe ich alles schon im Auto verstaut“, bemerkte Abdul.
„Denken Sie daran, so heiß wie die Tage in der Wüste sind, so kalt wird es nachts. Also nutzen Sie den mitgenommenen Schlafsack!“
„Herr Dubois, ich bin kein Neuling. Ich war schon öfter in der Wüste“, erinnerte Carry Dubois.
„Das stimmt, aber für Ihre Kollegen ist es das erste Mal.“ Dubois machte wieder keinen Hehl daraus, dass er die Situation mit zwei unerfahrenen Neulingen für extrem riskant hielt.
Eine halbe Stunde später war der Jeep komplett beladen und sie fuhren aus der Hofeinfahrt hinaus.
„Wie lange werden wir unterwegs sein?“, fragte Benny.
„Ihr Deutschen, immer fragt ihr nach Uhrzeiten. Ein arabisches Sprichwort sagt: Ihr habt die Uhr, doch wir haben die Zeit. Ihr habt doch gehört, bei Einbruch der Dämmerung sind wir da. Sein Camp ist ca. 150 Kilometer von Kairo entfernt.“
„Was, für 150 Kilometer brauchen wir fast einen ganzen Tag?“ Benny konnte es nicht verstehen.
„Junge, wir sind hier nicht in Deutschland. Noch sind wir auf einer guten Straße, aber in 15 Kilometern geht es landeinwärts. Da ist keine Straße mehr. Ab in die Wüste!“ Carry rollte mit den Augen.
„Die schicken uns tatsächlich in die Wüste!“ Bennys Begeisterung hielt sich in Grenzen.
Nach einer Stunde Fahrt hob Charly den Kopf und schaute in die Runde: „Ich habe mir das Dossier mal durchgelesen, Dimitrie scheint wirklich eine heiße Spur verfolgt zu haben. Er war zwei Mal recht nahe an den Chi dran!“
„Streber“, gab Benny zurück, dessen Kommentar Charly überhörte.
„Das stimmt“, entgegnete Abdul, „aber sie entkamen ihm wie ein labbriger Fisch in der Hand eines Fischers!“
„Aber, wenn die Chi so gefährlich sind, warum unternimmt die Regierung nichts gegen sie?“, fragte Carry.
„Das kann euch von Sundheim nachher erklären“, tat Abdul geheimnisvoll.
Nach insgesamt sieben Stunden Fahrt kamen sie an der Ausgrabungsstätte von Professor von Sundheim an. Es dämmerte bereits. Wie Carry sagte, war der größte Teil der Strecke unbefestigt und Abdul musste seine ganzen Fahrkünste aufbringen, um mit heiler Haut im Camp anzukommen. Professor von Sundheim erwartete sie bereits.
„Sie sind also die Frischlinge aus Deutschland und wollen etwas über die Chi wissen“, begrüßte er sie.
„Guten Abend erstmal“, Carry konnte die Kommentare über ihre Unerfahrenheit nicht mehr hören.
„Na, dann kommen Sie erstmal rein und stärken sich. Ich kann Ihnen während des Essens schon etwas erzählen!“
„Hat Dubois Sie etwa schon vorgewarnt?“, fragte Charly neugierig.
„Er hat mich über Funk gebrieft“, antwortete von Sundheim wortkarg.
„Kennen Sie ihn denn näher?“, kam es von Benny.
„Wir haben mal zusammen bei „MR“ gearbeitet. Ich war auch bei dem Laden. Aber dann bin ich gegangen, war nicht das Richtige für mich. Zu viel Polizeiarbeit und zu wenig wissenschaftliche Forschung. Aber das ist eine andere Geschichte. Sie haben den langen Weg nicht unternommen, um meine Lebensgeschichte zu hören, sondern etwas über die Chi zu erfahren!“
Sie betraten ein geräumiges Zelt, in dem es köstlich nach einem Fleischeintopf roch. Erst jetzt merkten sie, dass sie den ganzen Tag nichts gegessen hatten und nahmen dankbar eine Schale mit dem Essen an.
„Sind Sie denn ganz allein?“, fragte Carry neugierig.
„Nein“, entgegnete von Sundheim, „der größte Teil meiner Leute liegt schon in den Zelten und schläft. Wir fangen immer sehr früh an, damit wir nicht der Mittagshitze ausgesetzt sind!“
„Professor, bitte warten Sie noch kurz, bis Sie anfangen. Ich muss mir jetzt was Warmes anziehen, mir wird kalt“, Carry war schon ganz blass geworden und hatte eine rote Nase vor Kälte.
Eiskönigin halt, dachte Charly. Insgeheim bedauerte er, dass sie nun wieder lange Hosen anzog und somit ihre langen Beine bedeckte. „Idiot“, dachte er und vermied einen Kommentar abzugeben.
„Ja, ja, gehen Sie in das Zelt nebenan. Ihre Sachen wurden von Josy schon dorthin gebracht. Keine Angst, die drei Herren haben das Zelt daneben. Sie haben eins für sich allein“, klärte von Sundheim sie auf.
„Oh, das ist aber aufmerksam. Ich dachte schon, ich müsste die Nacht mit diesen beiden Wüstlingen verbringen“, entgegnete Carry lachend.
„Josy ist übrigens meine Assistentin, Sie werden sie morgen früh kennenlernen“, klärte er die Freunde augenzwinkernd auf.
Nachdem Carry sich umgezogen hatte, stopfte sich von Sundheim eine Pfeife und begann zu erzählen. Man hatte das Gefühl, er genoss es, über sein Lieblingsthema zu sprechen:
„Nun meine Herrschaften, Sie wollen etwas über die Chi erfahren. Dann werde ich mal starten. Also die Chi sind eine radikale Religionsgemeinschaft, die es meines Wissens schon einige tausend Jahre gibt. Sie verfolgen die Idee, nur einem Gott zu gehorchen. Alle anderen Götter, an die die Ägypter jemals geglaubt haben, sind demnach für sie nur Botschafter des Teufels. Deshalb ist es für sie auch legitim, alle Grabstätten, die sie kennen und entdecken, zu plündern. Die Sammelstätte ihrer Beute ist gleichzeitig ihr Tempel, in dem sie ihrem Gott huldigen. Bisher hat niemand diesen Tempel entdeckt. Alle Menschen, die den Versuch unternommen haben, sind niemals zurückgekommen. Der Kopf eines Falken soll ihr Zugehörigkeitssymbol sein. Sie glauben, mit diesen geraubten Grabbeilagen auch ihren Gott besänftigen zu können. Ferner munkelt man, dass sie auch vor Menschenopfern nicht zurückschrecken. Besonders angetan sollen sie von weißen Blondinen sein, dafür gibt es aber keine stichhaltigen Beweise. Sie lehnen auch jegliche weltliche Regierungsform ab und man munkelt, dass auch hochrangige Politiker zumindest mit den Chi sympathisieren, wenn nicht gar Mitglieder sind.“
„Dies würde Carrys Frage von heute Mittag beantworten, warum die ägyptische Regierung nicht mehr gegen die Chi unternimmt“, warf Charly ein.
„Selbst als ich noch bei „MR“ war, haben wir schon Nachforschungen angestellt. Kamen aber zu keinem Ergebnis. Irgendwo musste ein Maulwurf stecken, der die Chi mit Informationen versorgte“, ergänzte von Sundheim finster.
„Vielleicht ist dies auch der Grund, weshalb man uns auf Dimitries Fährte geschickt hat. Wir sind nun völlig unverdächtig“, kombinierte Benny laut.
„Mag sein, Neumann tendiert manchmal zu unorthodoxen Methoden. Deshalb ist er auch so beliebt bei seinen Mitarbeitern und so verpönt bei den Politikern. Aber darüber soll Dubois Ihnen was erzählen. Da bin ich zu lange raus.“
Abdul lächelte nur wissend.
Von Sundheim nahm einen tiefen Zug von seiner Pfeife und zeigte den vieren eine Karte. „Sehen Sie hier. Dies sind alles Grabstätten, die wahrscheinlich von den Chi geplündert wurden.“
„Aber das sind ja hunderte“, bemerkte Carry.
„Stimmt, und ich glaube, dass es nicht alle sind.“
„Dann müssen es Werte in Millionenhöhe sein und ihr Versteck ist riesig“, kombinierte Benny.
„Ja“, sagte von Sundheim, „verstehen Sie jetzt, warum die Chi so mächtig sind? Wenn sie wollten, könnten sie jede Regierung dieses Planeten kaufen und beherrschen. Unser Glück ist nur, dass sie nicht nach weltlicher Macht streben. Noch nicht, aber lassen Sie einen aus ihren Reihen kommen, der clever genug ist, die Chi für seine Zwecke zu nutzen. Einer, der die Weltherrschaft will. Wenn das passiert, dann Gnade uns allen Gott. Sagen Sie, Dubois sprach von irgendwelchen Koordinaten, die Dimitrie durchgegeben hat. Haben Sie die hier?“
„Ja natürlich“, entgegnete Carry, ganz froh etwas zu der Sache beisteuern zu können.
„Dann zeigen Sie mal her“, murmelte von Sundheim und verglich die Koordinaten mit den Angaben auf seiner Karte.
„Da, hier ist der Ort, der sich mit den Koordinaten deckt. Dieser liegt genau im Zentrum der ausgeraubten Gräber. Ist schon jemand dort gewesen?“
„Bisher nicht“, sagte Charlie. „Aber ich denke es wird unser nächstes Ziel sein!“
„Dann passen Sie gut auf sich auf. Das sind ganz böse Menschen. Die schrecken in ihrem Wahn vor nichts zurück. Und passen Sie vor allem auf die Lady auf“, er schaute Carry lange an.
„Die Lady, wie Sie sagen, kann schon selbst auf sich aufpassen“, entgegnete Carry. „Ich bin schließlich alt genug!“
„Na denn, ich hoffe das Beste für Sie!“
Charly hatte das Gefühl, von Sundheim hatte ihnen in Zusammenhang mit den Chi nicht alles erzählt. Irgendetwas verschwieg er ihnen.
„Nun, ich bin dafür, jetzt mal das Bett aufzusuchen. Es wird morgen wieder ein schwerer Tag. Wenn ich allein an die Rückfahrt denke“, Benny klang alles andere als begeistert.
Auch Abdul war dem Schlaf schon näher als dem Wachsein und schloss sich an.
„Aber vorher noch eine Gute-Nacht-Zigarette“, sagte Carry, die noch nicht so müde wie die anderen wirkte.
„Schließe mich an“, sagte Charly. „Herr von Sundheim, danke für das genaue Briefing. Und Sie können sicher sein, dass wir auf die kleine Lady aufpassen werden.“
„Na, da geht es mir doch gleich viel besser“, konterte Carry.
Dass sie aber auch immer das letzte Wort haben muss, dachte Charly, Eiskönigin!
Nach der letzten Zigarette, die jeder schweigend genoss, gingen unsere Freunde in die für sie vorgesehenen Zelte. Carry in das eine und Abdul, Benny und Charly in das andere.
„Carry, lass dich nicht stehlen“, rief Benny Carry hinterher.
„Charly, pass auf den Frechdachs auf, sonst macht der heute Nacht noch Dummheiten“, konterte Carry.
„I will do my best“, rief Charly hinüber.
„Also, dass Carry nichts merkt“, flüsterte Benny zu Charly hinüber, als sie sich in ihre Schlafsäcke eingemummelt hatten.
„Was soll sie gemerkt haben?“, fragte Charly ihn.
„Na, wie du sie laufend anschaust. Das sieht doch ein Blinder mit Krückstock, dass du mehr als freundschaftliche Gefühle für sie hegst. Und das geht nicht erst seit gestern so. Das weiß ich doch. Komm, mir kannst du doch nichts vormachen.“
„Ach Benny, lass mich jetzt schlafen. Ich bin müde“, Charly drehte sich auf die rechte Seite.
„Ist schon interessant, dass du es aber nicht abstreitest.“
„Nein, bist du jetzt zufrieden“, zischte Charly, „aber kein Wort zu Carry.“
„Ich werde mich der Sünden fürchten. Ne, ne, da soll die mal selbst draufkommen. Gute Nacht.“
„Nacht Benny, versprochen?“
„Gute Nacht Charly, versprochen!“
„Gut!“
„Sagt mal Jungs, was tuschelt ihr denn immer noch? Ist ja wie in einem Mädchenpensionat.“
„Schlimmer, viel schlimmer“, rief Benny zu Carry hinüber. Danach schliefen alle ein.
Am nächsten Morgen wurde Charly durch ein Duschgeräusch geweckt.
Dusche mitten in der Wüste?, dachte er und ging aus dem Zelt. Tatsächlich, da hinten ist eine Dusche, nichts wie hin. Dann entkleidete er sich bis auf die Shorts, schnappte sich sein Handtuch aus dem Zelt und ging in Richtung Dusche.
Als er um die Ecke zur Dusche ging, kam ihm Carry, nur mit einem Handtuch bekleidet, entgegen. Beide schauten sich etwas verlegen an.
„Guten Morgen Charly.“
„Guten Morgen Carry.“ Ihm war die Situation peinlich. Gleichzeitig genoss er den Anblick, der sich ihm bot. Ihr sportlicher Körper wurde von der Morgensonne voll angeleuchtet und vereinzelte Wassertropfen auf ihrer Haut glitzerten in unterschiedlichen Farben.
„Äh, ich wollte nur duschen“, stotterte Charly.
„Ich habe grade geduscht“, stotterte Carry.
Was für ein hirnrissiger Dialog, dachte Charly. Ist fast so blöd wie: ‚Ich habe eine Melone getragen‘. Gott, bin ich verwirrt. Ist doch nicht der erste Frauenkörper, den ich sehe. Er konnte nur über sich selbst den Kopf schütteln.
„Wir sehen uns gleich beim Frühstück“, hörte er Carry sagen.
„Ja, bis gleich“, hörte er sich selbst sagen und ging unter die Dusche. Den verstohlenen Blick, den Carry ihm zuwarf, bemerkte er nicht …
Eine halbe Stunde später trafen sich alle vier zum Frühstück. Von Sundheim saß auch mit an der Tafel. Hierbei lernten sie auch Josy, von Sundheims Assistentin, kennen. Josy war eine Enddreißigerin mit brünetten Haaren, die sie zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden hatte. Sie und von Sundheim machten keinen Hehl daraus, dass sich ihr Verhältnis nicht nur auf die wissenschaftliche Arbeit erstreckte.
„So, meine Herrschaften, ich möchte nicht ungemütlich sein, aber Sie sollten langsam aufbrechen. So kommen Sie noch vor Einbruch der Dämmerung in Kairo an. Sie können sich glücklich schätzen, dass sie eine Klimaanlage im Auto haben, sonst könnten Sie nur nachts fahren.“
„Ich glaube auch, dass wir uns beeilen sollten, mir ist jetzt schon warm“, ergänzte Benny, der gerade sein drittes Spiegelei verdrückt hatte. Obwohl er von schlaksiger Statur war, konnte er für drei ausgewachsene Männer essen. Charly fragte sich manchmal, wo er das alles hinsteckte.
„Schade!“, meinte Josy. „Ich hätte Ihnen gerne noch unsere Ausgrabungsstätte gezeigt. Na denn, ein anderes Mal!“
„Das machen wir“, antwortete Carry, die schon ihren Rucksack gepackt und im Jeep verstaut hatte.
Hoffentlich kommen sie wieder, dachte von Sundheim mit sorgenvoller Miene.
Als von Sundheim dann etwas abseits stand, ergriff Charly die Gelegenheit und stellte sich neben ihn.
„Herr Professor, Sie haben doch einen Grund für Ihre Warnungen und verschweigen uns etwas. Darf ich den Grund erfahren?“
Von Sundheim schaute ihn lange an.
„Junger Mann, Sie haben völlig recht. Wissen Sie, ich war bereits einmal verheiratet. Meine Frau und ich haben damals für MR gearbeitet. Sie sah fast so aus wie Frau Lund. War auch im gleichen Alter. Wir waren auf der Spur der Chi. Ich war damals stellvertretender Leiter in Kairo und sie leitete die Mission. Eines Tages hatten sie eine heiße Spur und fuhren in die Wüste, um den vermeintlichen Tempel auszuheben. Ich sah sie nie wieder. Danach habe ich bei MR gekündigt und widmete mich wieder den Ausgrabungen. Wissen Sie jetzt, warum ich gestern Abend gesagt habe, dass Sie auf die kleine Lady aufpassen sollen?“
„Jetzt wird mir einiges klar. So wie Sie Carry angeschaut haben, musste mehr hinter der Warnung stecken. Professor, ich werde alles tun, damit Carry nichts passiert. Das verspreche ich Ihnen!“
„Das Versprechen nehme ich Ihnen voll ab, junger Mann. Mir sind Ihre Blicke, die Sie ihr gestern Abend zugeworfen haben, auch nicht entgangen. Da ist doch mehr als Freundschaft, habe ich recht?“
„Könnte sein, ich bin mir selbst nicht im Klaren.“
„Wenn Sie es sind, dann sagen Sie es ihr.“
„Mal schauen, wie sich alles entwickelt. Aber jetzt haben wir eine heikle Mission vor uns. Und darauf müssen wir uns konzentrieren.“
„Charly“, von Sundheim sprach Charly ernst an, „behalten Sie sie gut im Auge und machen Sie nicht den gleichen Fehler wie ich. Ich habe meine Frau damals allein gelassen!“
„Versprochen“, sagte Charly und reichte von Sundheim die Hand. „Wir sehen uns wieder, wenn alles vorbei ist und wir Dimitrie wiedergefunden haben. Eine Frage noch: Darf ich den anderen Ihre Geschichte verraten?“
„Meinetwegen“, antwortete von Sundheim kurz.
„So, meine Herrschaften, dann mal Abmarsch“, wechselte von Sundheim ganz schnell das Thema, da er die drei anderen um die Ecke kommen sah.
„Wir wollten uns nur verabschieden und Charly einsammeln“, meinte Benny und zupfte Charly am Arm. „Los, du Trödeltante, wir warten nicht ewig!“
Nachdem sich alle herzlich verabschiedet hatten, fuhr Abdul los. Charly warf von Sundheim einen letzten Blick zu und nickte leicht mit dem Kopf. Von Sundheim nickte zurück.
„Meinst du, sie werden es schaffen?“, fragte Josy von Sundheim.
„Ich weiß es nicht“, antwortete er, „ich kann es nur hoffen.“
Mit diesen Worten ging er in das Zelt. Er wollte allein sein. „Mein Gott, Margot, sie ist dir so ähnlich.“
Als Abdul eine Strecke gefahren war, fragte er: „Na Charly, was hast du mit dem Prof. besprochen?“
Charly wartete einen Moment und sagte dann: „Ich kenne jetzt den Grund, warum er uns nicht alles erzählt hat.“ Er schaute in die Runde. „Der Professor war schon einmal verheiratet. Bei einem Einsatz gegen die Chi hat er seine Frau verloren. Er selbst war bei dem Einsatz nicht dabei. Sie hat die Mission geleitet und ist nicht wiedergekommen. Deshalb hat er uns auch so eindringlich gewarnt!“
„Aber das hätte er uns auch gleich sagen können“, meinte Benny.
„Sicher, aber vielleicht war es für ihn noch nicht der richtige Zeitpunkt, wer weiß.“
Charly vermied es, in diesem Moment Carry anzuschauen.
Nach einer nicht minder anstrengenden Rückfahrt klingelte das Handy von Abdul, als sie die Außenbezirke von Kairo erreichten. Dubois war dran, er erkundigte sich nach dem Gespräch mit von Sundheim und sagte: „Kommen Sie bitte morgen um neun Uhr zu mir ins Büro. Ich habe etwas mit Ihnen zu besprechen. Es geht um die nächsten Schritte!“
„Gut Chef, ich hole die anderen dann morgen Früh ab und wir sind dann pünktlich bei Ihnen“, antwortete Abdul. „Da ist dann aber normale Straßenkleidung angesagt. Wir gehen nicht auf Safari, oder?“, fuhr er augenzwinkernd fort.
„Das hängt von dem Ausgang des Gespräches ab, das Sie morgen führen werden. Seien Sie auf alles vorbereitet“, gab Dubois als Antwort. „Bis dann!“
Klick, das Gespräch war damit beendet.
„Typisch Chef, immer spannt er einen auf die Folter. Wir sollten unsere Safari-Kleidung anziehen, um auf alles vorbereitet zu sein. Carry, dir würde ich allerdings raten, morgen erst einmal eine lange Hose anzuziehen. Wer weiß, was Dubois mit uns vorhat.“
„Mach ich“, kam als kurze Antwort zurück. Alle drei waren von der langen Rückfahrt gerädert und sehnten sich nach einer heißen Dusche und einem warmen Bett.
Als Charly später auf dem Balkon stand und seine letzte Zigarette für diesen Tag rauchte, hörte er von der Seite wieder Carry rauchen.
„Was glaubst du, was morgen auf uns zukommt?“, fragte er sie über die Brüstung.
„Kann ich dir nicht sagen“, kam als Antwort. „Ich würde jetzt gerne mal mit dem Chef der Guide-Agentur sprechen. Vielleicht weiß der noch irgendetwas. Dann möchte ich gerne zu der Stelle fahren, die die Koordinaten ausgewiesen haben. Ich habe das Gefühl, wir finden dort etwas. Ich werde Dubois jedenfalls morgen den Vorschlag machen!“
„Ja, jetzt ist aber genug für heute, ich gehe ins Bett. Gute Nacht“, sagte Charly mehr zu sich selbst. Er war geschafft.
„Schlaf gut“, entgegnete Carry. Sie stand noch eine Weile auf dem Balkon und dachte über den vergangenen Tag nach. Vor allem die Tatsache, dass von Sundheim seine Frau verloren hatte, beschäftigte sie doch sehr. Es war für sie kaum auszudenken, wenn Charly oder Benny etwas passieren würde. Schließlich hatte sie die beiden ja überredet.
Mit diesen Gedanken ging auch sie ins Bett und fiel in einen traumlosen Schlaf.
Am nächsten Morgen standen alle drei pünktlich in der Hotellounge. Da kam Abdul etwas gehetzt um die Ecke.
„Sorry, aber der kleine Omar hat die ganze Nacht durchgeschrien. Er hat das Temperament seiner Mutter.“
„Na, wenn du dem Temperament gewachsen bist, dann ist doch alles gut“, reagierte Carry grinsend. „Komm, lass uns fahren, wir sind spät dran!“
In der Villa angekommen wartete Dubois schon im Besprechungsraum auf die vier. „Ich habe mir gedacht, hier ist es etwas bequemer und nicht so eng. Aber ich möchte Sie bitten, die Sitzung nicht so lange auszudehnen. Hier darf ich nicht rauchen“, war sein Kommentar.
Die anderen grinsten nur.
Zuerst berichtete Carry über ihr Gespräch mit von Sundheim.
„Hat er Ihnen alles erzählt?“, war Dubois erste Frage.
„Ja, ich denke schon“, meldete sich Charly zu Wort. „Besser gesagt, er hat es mir erzählt und ich durfte es den anderen weitererzählen!“
„Mmh, Sie müssen schon einen gewissen Eindruck auf von Sundheim gemacht haben. Er geht mit seiner Vergangenheit nicht grade hausieren.“
Charly dachte sich seinen Teil. Dass diese Warnung, die von Sundheim ausgesprochen hatte, vor allem Carry betraf, behielt er für sich.
Dubois fuhr fort: „Der Verlust seiner Frau hat uns alle zutiefst getroffen. Die beiden waren das Traumpaar von MR. Sie hatten sich in der Firma kennen und lieben gelernt. Sie passten menschlich und fachlich sehr gut zusammen und waren in allen Bereichen ein super Team. So ein Duo haben wir seitdem nicht mehr gehabt.“
Täuschte sich Charly oder schaute Dubois vor allem Carry und ihn gerade besonders deutlich an? Und wenn, warum tat er das? Schließlich kannten er und Dubois sich erst seit drei Tagen.
„Gut, nachdem ich auf dem Laufenden bin, würde ich gerne die nächsten Schritte mit Ihnen besprechen: Zuallererst statten Sie bitte Mohamed Mahmoud einen Besuch ab. Mahmoud ist der Chef der Guides, von denen Dimitrie einen angeheuert hat. Die Guides sind ein Völkchen für sich und vielleicht kriegen Sie noch etwas Neues raus. Wenn Sie dort gewesen sind, fahren Sie zu der Stelle, wo Dimitries Spur endet. Vielleicht haben wir irgendetwas übersehen. Der kleinste Hinweis kann hilfreich sein!“