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Es ist erstaunlich, dass die Namen von Japans Schwertschmieden über eine Zeitspanne von über tausend Jahren erhalten geblieben sind. Das zeugt vom hohen Stellenwert des nihonto, des japanischen Schwerts, in Japans Gesellschaft. Die besten Schmiede konnten bereits zu Lebzeiten während aller Epochen zu Ruhm und Ehre kommen, denn Japans Aristokratie und Kriegerkaste sah seit der Heian-Zeit (794-1185) in den Werken der herausragenden Schmiede nicht nur funktionale Waffen, sondern auch ästhetische Objekte. Die nachfolgenden Geschichten vereinen fiktive und historische Figuren. Es ist die Intention, von einer repräsentativen Auswahl japanischer Schwertschmiede mehr zu überliefern als nur den Namen und ein paar Lebensdaten. Gleichzeitig ist es auch ein Versuch, die traditionelle Herstellung eines japanischen Schwertes nachvollziebar zu machen und in den Kontext des jeweiligen Schmiedes und seiner Zeitepoche zu stellen. Daniel Bürgins fesselnde Geschichten erzählen vom Leben so berühmter Schwertschmiede wie Osafune Kanemitsu, Saburo Kunimune, Rai Kuniyuki, Awataguchi Kuniyoshi, Unju, Tatara Nagayuki und Japans berühmtesten Schwertschmied aller Zeiten, Masamune Goro Nyudo.
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Seitenzahl: 267
Veröffentlichungsjahr: 2020
FÜR 青山順吉 – AOYAMA JUNKICHI
der mir grosszügigerweise ermöglichte,
die hier beschriebenen Klingen
zu studieren und zu fotografieren
Alle Schwertschmiede in diesem Buch sind historisch verbürgt, und die Geschichten sind fiktiv, auch wenn einige Erzählungen überlieferte Legenden und historische Tatsachen aufgreifen. Die Verzeichnisse am Ende des Buches geben Aufschluss darüber, welche Personen existierten und welche überlieferten Legenden und Fakten verarbeitet wurden.
Vorbemerkung
Vereinfachte Darstellung einer japanischen Klinge
Prolog: Heian-Zeit, Genryaku 1 (1184) – Ein unbekannter Schmied der Ko-Senjuin-Schule
Edo-Zeit, Bunkyū 1 (1861) – Fujiwara Kiyondo
藤原清人
Nanbokuchō-Zeit, Kenmu 3 (1350) – Osafune Kanemitsu
長船兼光
Kamakura-Zeit, Kenchō 5 (1253) – Saburo Kunimune
三郎国宗
Edo-Zeit, Kan’ei 3 (1626) – Fujiwara Kunisuke
藤原国助
Nanbokuchō-Zeit, Engen 1 (1336) –Rai Kunimitsu
来国光
Kamakura-Zeit, Enno 1 (1239) – Rai Kuniyuki
来国行
Kamakura-Zeit, Hōji 1 (1247) –
Awataguchi Kuniyoshi
粟田口国吉
Nanbokuchō-Zeit, Jōji 7 (1368) – Unjū
雲重
Kamakura-Zeit, Shōchu, 2 (1325) – Shintōgo Kunihiro
新藤五国広
Heian-Zeit – Juei 3 (1184) – Masatsune
正恒
Edo-Zeit, Jōkyō 2 (1686) – Tatara Nagayuki
多
々
良長幸
Kamakura-Zeit, Hōji 1 (1247) – Sadazane
貞眞
Muromachi-Zeit, 22. Juni 1582, Sengoku jidai – »Zeit der streitenden Reiche« – Ein namenloser
kaji
Muromachi-Zeit, Kyōroku 2 (1529), 8. Monat, Sengoku jidai – Osafune Katsumitsu
長船勝光
Meiji-Zeit, Meiji 10 (1877) – Hidetsugu
秀 次
Zu den Schwertschmieden – in der Reihenfolge der Kurzgeschichten
Weitere historische Figuren (in alphabetischer in Reihenfolge)
Japanische Epochen
Glossar der verwendeten japanischen Wörter
Quellen
Die nachfolgenden Geschichten vereinen fiktive und historische Figuren. Alle Schwertschmiede in diesem Buch sind historisch belegt. Es gibt viel Literatur zum japanischen Schwert als Kunst- und Sammelobjekt. Es ist erstaunlich, dass die Namen von Japans Schwertschmieden über eine Zeitspanne von über tausend Jahren erhalten geblieben sind. Das zeugt seit dem zehnten Jahrhundert vom hohen Stellenwert des nihontō, des japanischen Schwerts, in Japans Gesellschaft. Die besten Schmiede konnten bereits zu ihren Lebzeiten während aller Epochen zu Ruhm und Ehre kommen, denn Japans Aristokratie und Kriegerkaste sah seit der Heian-Zeit (794-1185) in den Werken der herausragenden Schmiede nicht nur funktionale Waffen, sondern auch ästhetische Objekte.
Es ist die Absicht, mit diesem Buch von einer kleinen Auswahl japanischer Schwertschmiede etwas mehr zu überliefern als nur den Namen und ein paar Jahresdaten. Gleichzeitig ist es ein (wenn auch oberflächlicher) Versuch, die traditionelle Herstellung eines japanischen Schwertes nachvollziebar zu machen und in den Kontext des jeweiligen Schmiedes und seiner Zeitepoche zu stellen.
Alle Namen werden gemäss der japanischen Regel wiedergegeben, wo der Nachname dem Vornamen vorangestellt wird.
Beim Lesen der japanischen Wörter kann man, abgesehen von den nachfolgenden Ausnahmen, mehrheitlich der deutschen Aussprache folgen.
Ein Vokal mit einem Querstrich, z. B. ō, wird lang betont (ou). So wird Kyōtō nach japanischer Aussprache als »Kyoutou« ausgesprochen. Das gleiche gilt für ū (uu).
Ein j wird zu einem weichen »dsch«. So wird der Name Unjū beispielsweise »Undschuu« ausgesprochen. Ein ch wird etwas härter mit einem »tsch« wiedergegeben. Das Härtemuster chōji wird »tschoudschii« ausgesprochen.
Ein Schmied hämmerte unter freiem Himmel auf ein Stück Stahl ein. Der Schweiss glitzerte in den Haarstoppeln, und das Lärmen der semi, der Zikaden, klang im Takt seiner Schläge. Der Mann war ein tachi kaji, ein Schwertschmied, und gehörte zum Senjuin-Tempel, einem Untertempel des grossen Tōdaiji in Nara, der vormaligen Kaiserstadt in der Provinz Yamato, dem Herzland des alten Japans.
Die grossen buddhistischen Tempel in Nara und Kyōtō waren im Laufe des vorherigen Jahrhunderts unter dem Schutz der zurückgetretenen Kaiser mächtig geworden und verfügten über eine grosse Anzahl von sōhei, bewaffneter buddhistischer Mönche. Der Tōdaiji, wie andere grosse Tempel, mischte sich in die Politik des Landes ein und versuchte dessen Geschicke zu beeinflussen. Entsprechend war der Bedarf an Schwertern gross. Der Senjuin-Tempel unterhielt deshalb seine eigenen Schmiede.
Der kaji legte eine Pause ein und rieb sich mit einem Lappen den Schweiss von Schädel und Gesicht. Von Kindsbeinen an arbeitete er für den Senjuin und war stolz darauf, für die Mönche zu schmieden. Sein Handwerk war ein traditionsreiches Metier. Die Klingen der Senjuin-Schule waren im ganzen Land bekannt und geachtet.
Bereits sein Vater hatte für den Senjuin geschmiedet. Sein Onkel hatte ihn – nach dem Tod des Vaters – unter die Fittiche genommen und ausgebildet. Der Schmied betrachtete seine schwieligen Hände. Wieviele tachi, grosse Schwerter, hatte er in seinem Leben bereits aus einem Klumpen Stahl geformt, gehärtet und zu eleganter Vollendung gebracht? Er konnte sich nicht erinnern. In anderen Provinzen und Schulen signierten die kaji ihre Klingen. Sein Klan arbeitete ausschliesslich für die sōhei vom Senjuin, und ihre Schwerter blieben aus Bescheidenheit gegenüber dem ehrenwerten Tempel bis auf wenige Ausnahmen namenlos. Auch das entsprach einer Tradition. Es störte ihn nicht. Als Schmied war er unwichtig. Nur die Qualität und Schönheit seiner tachi zählte.
Der Charakter seiner Schwerter offenbarte eine glitzernde, kalte Schönheit, und sie wurden nicht nur für ihre Schärfe, sondern auch für ihre elegante Form und die perfekte Verarbeitung des Stahls geschätzt.
Hier in der Provinz Yamato war der Geburtsort des gekrümmten und gehärteten nihontō, des japanischen Schwertes.
Der Schmied war dankbar für seine Fähigkeiten und dafür, dass er ein notwendiger Teil des Weltgefüges war. Er hoffte, in der Zukunft seine Erfahrungen dem Sohn weitergeben zu können.
In diesem Moment fiel die frühe Morgensonne mit einem blendenden Stich unerwartet auf das Gesicht des kaji, so dass er aus seinen Gedanken aufgeschreckt wurde und blinzelnd in die Sonne schaute.
Eine Farbe noch heller als der glühende Stahl, dachte er.
Er griff nach der fertig geschmiedeten Klinge und begann sie sorgfältig mit einer Mischung aus Lehm, Asche und pulverisiertem Sandstein zu bestreichen. Es gab noch andere Zutaten, aber die genaue Zusammensetzung war sein Geheimnis. Er hatte vor, das katana noch an diesem Tag zu härten. Sorgfältig trug er mit dem Spachtel vertikal zur Schneide eine dünne Lage seiner Mischung auf. Kiyondo legte sie so an, dass nach dem Abschrecken der erhitzten Klinge eine kleeblattförmige hamon, Härtelinie, entstehen sollte. Seine Gedanken waren abgelenkt.
Das war nicht gut. Er sollte sich konzentrieren. Er hielt inne. Lieber mit der Arbeit noch warten, dachte er und den lästigen Gedanken etwas länger nachhängen, als einen Fehler zu machen. Im Moment konnte er seine Gedanken ohnehin nicht verdrängen.
Wie schnell die Zeit verstrichen war. Es waren bereits sieben Jahre her, seit er seine Schmiede im Kanda-Distrikt von Edo bezogen hatte. Kaei 7 war ein Unglücksjahr gewesen. In Kanda hatte er einen Neuanfang als eigener Meister gesucht, obwohl seine Lehrzeit bei Kiyomaro nur eineinhalb Jahre gedauert hatte. Viel zu kurz.
Bis zum Kanda Miyōjin-Schrein war es nur ein fünfzehnminütiger Spaziergang. Einmal in der Woche besuchte er den zinnoberroten Schrein, um zu beten. Er war einer der drei Hauptschreine von Edo und für den Schutz des Haupttors des Tokugawa-Schlosses verantwortlich. Ausserdem brachten die Gottheiten des Schreins Glück im Geschäftsleben. Aus diesem Grund fanden sich im Kanda Miyōjin täglich viele Besucher ein. Kiyondo war am Morgen ebenfalls dort gewesen. Sie machten vor dem grossen tōrii des Shintō-Schreins halt, verbeugten sich kurz und schlenderten dann zum Hauptgebäude, um sich den kami, den Gottheiten, zu zeigen.
Beim Tempel angelangt, rüttelte Kiyondo heftig am dicken Seil, damit die zwei Schellen über seinem Kopf laut rasselten. Dann verneigte er sich zweimal, klatschte zweimal in die Hände, verbeugte sich ein weiteres Mal und verharrte in einem kurzen Gebet. Danach verbeugte er sich nochmals. Jede Woche war es der gleiche Ablauf. Er dankte für einen guten Geschäftsgang und betete, dass es der Seele seines unglücklichen Lehrmeisters gut gehen möge. Waren es bereits sieben Jahre, seit sich Kiyomaro mit dem Schwert das Leben genommen hatte? Kiyondo rechnete nach – von Kaei 7 (1854) bis Bunkyū 1 (1861) – tatsächlich. Die Zeit verfloss wirklich schnell, dachte er nochmals und schüttelte ungläubig den Kopf.
Im Grossen und Ganzen konnte sich Kiyondo nicht beklagen. Das Schicksal hatte ihn recht gut behandelt. Vor allem in den letzten drei, vier Jahren. Schon von klein auf hatte er oft Glück gehabt. Es begann damit, dass ihn Saitō Kōichirō in jungen Jahren in dessen Familie von Schmieden adoptiert hatte. Zum Stolz seines Adoptivvaters zeigte Kiyondo im Umgang mit Hammer und Stahl von früh an Talent. Wenige Jahre später hatte er Saitō Kōichirō bereits überflügelt. Sie schmiedeten vor allem Werkzeuge für die Bauern, und seit Kiyondo erwachsen war, erhielt sein Adoptivvater mehr und mehr Aufträge. Im Geheimen hegte der junge Mann grössere Ambitionen. Er wollte Schwerter schmieden.
Vor neun Jahren war er dann aus der Provinz Uzen1 nach Edo gezogen. Dank einer Empfehlung und zu seiner grossen Freude hatte ihn der berühmte Kiyomaro in seiner Schwertschmiede im Distrikt Yotsuya als Schüler aufgenommen. Kiyondo verstand es, mit dem oft betrunkenen exzentrischen Lehrmeister umzugehen. Ausserdem war er geschickt und lernte Kiyomaros Techniken schnell. Dieser war, ohne Zweifel, der beste Schmied in Edo, wenn nicht im ganzen Land. Wenn er nicht betrunken war.
In kurzer Zeit hatte sich Kiyondo zu einem der besten Schüler gemausert. Er schmunzelte, wenn er daran dachte. Er mochte zwar adoptiert sein, doch das Schmieden war ihm in die Wiege gelegt worden. Kiyomaro hatte ihn oft als Stümper bezeichnet und seine Arbeiten vernichtend kritisiert. Je betrunkener er war, umso ausfälliger wurde er. Kiyondo sah jedoch den Respekt in den vom Sake geröteten Augen seines Lehrmeisters leuchten. Je härter er ihn kritisierte, je stärker leuchtete diese respektvolle Glut.
Kiyondos erstes Lehrjahr war noch nicht einmal abgeschlossen, als sich die Welt auf einen Schlag veränderte. Nicht nur für ihn. Für ganz Japan. Vier kurofune, schwarze Kriegsschiffe aus Amerika, waren in die Bucht von Edo eingedrungen und bedrohten das Tokugawa-Shōgunat. Zwei davon waren mit Dampf betrieben gewesen. Arrogant forderten die Barbaren Handelsbeziehungen oder sie würden die Stadt mit ihren Kanonen in Schutt und Asche legen. Inzwischen wusste Kiyondo, dass ihre Ankunft Spannungen unter den verschiedenen Fürstenhäusern freigelegt hatte, die vor dem unerwarteten Auftauchen der kurofune bereits im Verborgenen geschwelt hatten. Das Japan, in das er geboren wurde, begann aus dem Gleichgewicht zu fallen.
Weniger als ein Jahr nach der Ankunft der amerikanischen Kriegsschiffe hatte sein Lehrmeister Selbstmord begangen. Kiyondo glaubte bis heute nicht, dass die kurofune mit dem Tod seines Lehrmeisters in Verbindung standen, obwohl in Yotsuya darüber spekuliert wurde. Kiyomaro war als bushi, Krieger, geboren. Der Sohn eines Samurai. Die Möglichkeit, dass seine Klingen in einem sich anbahnenden Krieg gebraucht würden, hätte seinen heissblütigen Lehrmeister eigentlich begeistern müssen. Vermutlich waren Kiyomaros Schulden der Grund für seinen Selbstmord gewesen.
Ein Krieg war immer noch nicht ausgebrochen. Noch nicht. Am heutigen Augusttag des Jahres Bunkyū 1 wurde ein Bürgerkrieg zwischen dem bakufu, dem Tokugawa-Shōgunat, und den kaisertreuen daimyōs, Fürsten, aus dem Süden immer wahrscheinlicher. Das bakufu hatte zwar ein Handelsabkommen mit den Amerikanern unterzeichnet und somit die Bedrohung vorerst abgewehrt, doch nun drohte ein Bürgerkrieg. Kiyondo befürwortete den Fortschritt, war aber klug genug, dies für sich zu behalten. Viele Hitzköpfe waren mit dem Abkommen nicht einverstanden. Sonnōjōi! – Verehrt den Kaiser, vertreibt die Barbaren! Er kannte die Parole. Sie wollten die Ausländer mit Gewalt wieder loswerden und gleichzeitig dem zweieinhalb Jahrhundert andauernden und geschwächten Tokugawa-Shōgunat die Macht entreissen, um sie endlich wieder dem Kaiser zu übergeben. Kiyondo schüttelte den Kopf. Politik interessierte ihn nicht, und die Politik interessierte sich noch weniger für ihn. Er war nur wie ein Reiskorn auf dem Feld, als Einzelner unbeachtet und trotzdem allen Unwettern ausgeliefert. Der kaji betrachtete das beinahe vollendete katana in seiner Hand. Er hatte ein gutes Gefühl. Wie sehr sich das Land auch veränderte, ihm ging es heute besser als vor sieben Jahren.
Seinem Gebet am Schrein hatte er einen Dank hinzugefügt. Dafür, dass er damals die schwere Verpflichtung, die durch Kiyomaros Tod für ihn entstanden war, angenommen hatte. Er war überzeugt, dass er heute nur deswegen erfolgreich katana schmieden konnte, weil er diese übernommen hatte.
Nach Kiyomaros Tod hatten alle Schüler die Schmiede im Stich gelassen. Er hatte es nicht gekonnt und war geblieben. Seine Kollegen hatten auf ihn eingeredet. »Kiyomaro war ein Genie gewesen, sicher«, argumentierten sie damals. »Nicht umsonst hatte man ihn den ›Masamune von Yotsuya‹ genannt, ihn mit Japans berühmtesten Schwertschmied aller Zeiten verglichen. Aber er war auch ein Trinker und hatte Schulden. Für einen Auftrag zum Schmieden von dreissig katana hat er im Voraus eine Anzahlung erhalten. Wie Du weisst, hat er die Schwerter nicht geschmiedet, aber das Geld versoffen. Es wäre die lebendige Hölle«, versuchten sie Kiyondo zu überzeugen, »solche Verpflichtungen zu übernehmen. Mach Dich wie wir alle aus dem Staub. Du arbeitest ja erst knapp zwei Jahre für den Meister. Du wärst ein Idiot, wenn Du bleiben würdest.«
Kiyondo hatte ihnen sorgfältig zugehört. Eigentlich hatten sie recht, aber … Je mehr sie auf ihn einredeten, desto sturer wurde er.
Er war geblieben. Im Stillen hatte er später seinen Entscheid manchmal verflucht. Doch er hatte darauf geachtet, dass nie ein Wort des Zweifels oder des Zorns über seine Lippen kam. Kiyomaro hatte ihn in kürzester Zeit alles gelehrt, und er hatte es dankbar aufgenommen. Hatte der Meister bereits an seinen Selbstmord gedacht, als er ihn als Schüler aufnahm? Hatte er ihm deshalb seine Techniken so rückhaltlos weitergegeben? Was auch immer der Grund gewesen sein mochte – dank Kiyomaro durfte er sich heute einen angesehenen katana kaji nennen. Er wollte einer der Besten seiner Zeit werden. Sogar den Lehrmeister wollte er übertreffen, wenn er nur genügend Jahre vor sich hätte, um seine Kunst weiterzuführen. Wäre er damals davongelaufen, hätten die Schulden seinen Meister entehrt. – Wie hätte er je ein respektierter katana kaji werden können, wenn er sein Handwerk von einem entehrten Meister gelernt hätte?
Nachdem alle anderen Schüler Kiyomaros verschwunden waren, hatte Kiyondo alle Gläubiger aufgesucht und die Schulden auf sich übertragen lassen. Jedes Mal, nachdem er sich vor einem Gläubiger niedergeworfen hatte, fühlte er dessen erstaunten Blick, während er tief gebeugt vor ihm kniete und versprach, die Schuld zu übernehmen. Jeder Blick war ein zusätzliches Gewicht auf seiner Schulter. Gleichzeitig fühlte er mit jedem Besuch, wie seine Entschlossenheit wuchs.
Kiyondo konnte sich noch deutlich an den Tag erinnern, als er zum letzten Mal in Kiyomaros Schmiede gestanden und sich an die Arbeitsstätte des Meisters gesetzt hatte. Er war soeben vom Besuch beim letzten Gläubiger wieder in die Werkstatt gekommen. Es gab kein Zurück mehr. Kiyomaros Schulden waren übernommen. Ihm war, als sässe er auf glühender Kohle. Kiyomaros Geist schien immer noch hier zu weilen, zwischen seinen Werkzeugen, dem Stahl und den halbfertigen Klingen. Obwohl Kiyondo nicht abergläubisch war, bekam er plötzlich Angst, dass die schlechten Eigenschaften des Lehrmeisters in ihn einziehen könnten, wenn er hier noch lange verweilen würde. Hastig stand er auf und stellte sich vor den kleinen Shintō-Schrein in der Werkstatt. Er bat den Meister um Verzeihung, dass er dessen Arbeitsstätte auflösen würde.
Dank der Vermittlung eines Freundes hatte Kiyondo bald eine neue Werkstätte im Kanda-Distrikt gefunden. Unter dem Schutz des mächtigen Kanda Miyōjin-Schreins würde er die nötige Ausdauer und Fähigkeit finden, die Schulden abzuzahlen, um die Ehre seines Meisters aufrecht zu halten und für sich ebenfalls eine ehrenvolle Zukunft aufzubauen.
Als er sich in seiner neuen Schmiede eingerichtet hatte, besuchte Kiyondo zum ersten Mal den Kanda Miyōjin. Später war es zur Gewohnheit geworden, einmal in der Woche hinzugehen, um für einen guten Geschäftsgang und Kiyomaros Seele zu beten. Wie heute Morgen.
In all den Jahren hatte er den Besuch noch nie versäumt. Nicht einmal, als ihm im Winter von Kaei 9 (1855) vor Schmerz fast die Lunge geplatzt war und er sich auf allen Vieren zum Schrein geschleppt hatte. Nur geschmiedet hatte er in dieser Woche nicht.
Kiyondo wusste, dass viele, die ihn kannten, damals den Kopf über ihn geschüttelt hatten. Baka! Idiot! hatten sie ihn genannt, wenn sie glaubten, dass er es nicht hörte. Es war ihm gleichgültig gewesen. Er hatte einen Plan gehabt. Er würde die in Auftrag gegebenen dreissig katana schmieden und mit dem verbleibenden Erlös alle Schulden begleichen. Es war ein guter Entschluss gewesen, denn Kiyondo konnte sich vollständig auf seine Fähigkeiten und die gelernten Techniken verlassen.
Kaum eingerichtet, begann er so schnell wie möglich mit dem Schmieden der dreissig katana anstelle von Kiyomaro. Jeden Morgen vor der Arbeit betete er in der Schmiede kurz vor dem kleinen Schrein, der auf einem Gestell an der Wand unter der Decke aufgebaut war. Er musste seine Arbeit mit einem klaren Geist ausführen. Sonst würde es ihm misslingen. Kiyondo spürte in seinem Körper das Gewicht der Verantwortung. Er konnte es genau lokalisieren. Es lag tief im Bauch. Es war ein gutes Gewicht. Es gab Stabilität und half ihm, sich ganz auf seine Arbeit zu konzentrieren. Misslang eine Klinge noch ganz am Schluss beim Härten, und die hamon kam nach dem Vorgang nicht überall deutlich zum Vorschein, musste er sie wieder einschmelzen. Es gehörte zur Arbeit. Von Zeit zu Zeit war er mit einem seiner fertig geschmiedeten katana nicht zufrieden, und auch dieses schmolz er wieder ein.
Einen Monat, nachdem er seine Arbeit begonnen hatte, war die erste Klinge fertig. Kiyondo lachte glücklich. Er fühlte die Schweisstropfen auf seinem Gesicht, fand aber keine Zeit, sie ab zuwischen. Er nahm das fertige katana und setzte sich vor der Schmiede in die helle Nachmittagssonne. Sein Herz klopfte ihm im Hals. Kiyondo atmete tief durch, bevor er den Meissel auf der nakago, der Schwertangel, ansetzte und zu gravieren begann. 師に代わって造刀. Zufrieden las Kiyondo die eingekerbten Worte: Shi ni kawatte katana o tsukuru. Dieses Schwert anstelle des Meisters gemacht.
Nachdem die dreissigste Klinge vollendet war, begann Kiyondo endlich, seine geschmiedeten katana mit dem eigenen Namen zu signieren.
Er betrachtete die mit Lehmgemisch bestrichene Klinge. Es hatte mehr als zwei Jahre gedauert, bis er alle dreissig katana für den Meister signiert hatte. Und es hatte noch etwas länger gedauert, bis Kiyondo allen Gläubigern die gesamten Schulden zurückbezahlen konnte.
Falls heute bei der Härtung nicht im letzten Moment noch etwas schief ging, würde er das katana in seiner Hand, wie schon viele zuvor, mit seinem Namen unterzeichnen. Auf der Vorderseite – Fujiwara Kiyondo saku – Geschaffen von Fujiwara Kiyondo und auf der Rückseite – kichi jitsu hachi-gatsu, Bunkyū ga-nen – an einem glücklichen Tag im August des Jahres Bunkyū Eins (1861). Der Stahl zitterte jetzt vor Aufregung in seiner Hand. Es war ein gutes Gefühl. Kiyondo war sich sicher, dass das Härten erfolgreich sein würde. Schliesslich hatte er sein ganzes Wissen, das er sich von seinem Lehrmeister und durch das Schmieden der nachfolgenden Klingen angeeignet hatte, in diesen Stahl verarbeitet.
Dieses katana sollte eines seiner Besten werden. Es musste eines der Besten werden, denn die Klinge war vom daimyō, dem Fürsten, des Shōnai-Lehens der Provinz Dewa2 in Auftrag gegeben worden. Kiyondo hatte das Privileg, dass er nun bereits seit drei Jahren für den Sakai-Klan arbeiten durfte. Nicht einmal seine vertraute Schmiede in Kanda hatte er aufgeben müssen, um nach Dewa, seiner alten Heimat, zu ziehen.
Kiyondos Gedanken wanderten zu Kiyomaro. Er war ihm dankbar. Seit die Schulden des unglückseligen Mannes zurückbezahlt waren, meinte es das Schicksal bisher nur gut mit Kiyondo.
Was, wenn bald ein Bürgerkrieg ausbrechen würde? Die politische Lage im Land war seit dem erneuten Auftauchen der kurofune angespannt. Er musterte das katana. Es war kraftvoll wie eines jener alten Meisterstücke aus der Nanbokuchō-Zeit. Die Klinge war entsprechend gross, mit einer stolzen, langen kissaki, Spitze.
Das Licht war inzwischen weicher geworden. Kiyondos Kopf fühlte sich frei. Selbstsicher griff er zum Spachtel und setzte seine Arbeit fort. Mit grosser Genauigkeit legte er Linien der zubereiteten Masse vertikal zur Schneidefläche auf. Nach dem Härten sollte die hamon lebendig und harmonisch leuchten, wie sein Leben. Wenn er die Temperaturen beim Härten richtig hinbekam, würde der Übergang der Härtelinie zum weicheren Stahlkörper leicht verwischt sein wie Sand, der vom Wind über eine Türschwelle geweht worden und dort liegen geblieben war.
Falls zeitlich alles aufging, würde Kiyondo noch heute Abend, die Dunkelheit nutzend, das katana härten, damit er an den glühenden Kohlen die richtige Temperatur besser erkennen konnte.
Oder auch erst am nächsten Tag.
Kiyondo würde fühlen, wann der richtige Zeitpunkt gekommen war.
1 Heutiges Yamagata
2 Heutige Provinz Yamagata
Kanemitsu schlenderte zu Tsunekanas Haus. Er mochte diese Gaststätte und die späte Essenszeit. Nicht dass er eine Auswahl hätte. Um diese Zeit würde er nur wenig Gäste vorfinden, falls überhaupt jemand dort war. Der Herbsttag war mild. Sicher konnte er draussen vor dem einfachen Strohhaus essen. Kanemitsu mochte nicht nur die Gaststätte, sondern auch Kiyo, die Tochter des Besitzers, die ihm das Mittagessen servierte. Sie behandelte ihn nicht wie einen alten Mann. Er strich sich zwei, drei lose Strähnen, die sich aus dem grauen Haarknoten gelöst hatten, über dem Ohr fest. Unbestreitbar, er war alt. Nach seiner Rechnung stand er im zweiundsiebzigsten Lebensjahr. Er fühlte sich nicht alt. Aber auch nicht jung. Wenn es das Schicksal gut mit ihm meinte, würde er noch ein paar Jahre lang weiterschmieden können.
Kiyos rundes Gesicht erschien unter dem noren, dem kurzen geteilten Vorhang, der im Türahmen hing. Sie begrüsste Kanemitsu und schenkte ihm ein Lächeln. Andere behandelten ihn mit einer gewissen Scheu, wenn nicht sogar Furcht. Schliesslich war er nicht nur alt, sondern Kanemitsu, der berühmte Sohn vom berühmten Kagemitsu. Ihm gefiel, dass sie ihn so offen anlächelte.
»One-san, ältere Schwester, kann ich draussen essen? Das Wetter ist mild, es tut meinen alten Knochen gut.« Kanemitsu wartete nicht auf ihre Antwort und liess sich auf einer der drei abgewetzten Strohmatten vor dem kleinen Haus nieder. Den Rücken zur Wand gedreht, blickte er auf den Yoshii-Fluss hinunter, der in einiger Entfernung dahinfloss. Wie er gehofft hatte, war er tatsächlich der einzige Gast. Gut so.
Kiyo war im Innern der Gaststätte verschwunden. Er hörte Geräusche aus der Küche. Töpfe klapperten, und das regelmässige Aufschlagen eines Messers auf einem Holzbrett war zu hören. Vermutlich wurde Gemüse geschnitten. Ein Feuer knisterte. Trotz seines Alters erfreute sich Kanemitsu eines ausgezeichneten Gehörs. Und guter Augen. Die Augen waren wichtig. So lange, wie er noch die richtige Temperatur an der Farbe der Kohle erkennen konnte, so lange würde er noch schmieden. Kanemitsu betrachtete seine Hände. Sie waren knotig, und manchmal wurden sie steif, wenn er das Eisen zu lange umgriffen hielt. Aber sie waren noch gut genug, um den Hammer präzise zu führen. Er ballte die Faust, und die Adern traten hervor. Trotz seines Alters hatte er vor einigen Jahren seinen Stil geändert. Kanemitsu kicherte vor sich hin. Das hatte zu reden gegeben! Das Getuschel unter den anderen Schmieden des Dorfes Osafune ebbte wie das Rauschen der Meereswellen bis zu seinen Ohren. Er, der Gründer der Osafune Kanemitsu-Schule, hatte mit seinem eigenen bisherigen Stil gebrochen.
»Goyukkuri dōzo – Lass Dir Zeit.« Kiyo sprach beiläufig, als gehörte er zur Familie, und schob ihm einen irdenen Topf und eine Holzschale mit Deckel unter die Nase. Gegrillte Makrele auf braunem Reis. Dazu gabs gegrillte nasu, Auberginen, und gekochten daikon, Meerrettich. Er zog nasu dem Rettich vor. Nasu schmecken im Sommer am besten, dachte Kanemitsu mit leichtem Bedauern, denn der Herbst war bereits angebrochen. Als er den Deckel der Holzschale abhob, kam ihm der würzige Duft von miso-Suppe entgegen. Darin schwammen Tofu und kombu, breite, getrocknete Algen, die in der heissen Suppe wieder zu neuem Leben erweckt wurden und ein kräftiges Grün angenommen hatten. Er grunzte anerkennend und nickte leicht mit dem Kopf. Kiyo legte es als ein Dankeschön aus. »Immer so höflich, der Kanemitsu-sensei«, stellte sie fest und betonte lachend das Wort sensei, Meister. Er grinste und blickte ihr nach, bis sie unter dem im Wind wiegenden noren hindurch im Haus verschwunden war. Das Essen sah gut aus. Wie immer. Und immer dasselbe. Fast immer.
Manchmal war die Makrele eine Seebrasse oder ein Tintenfisch. Oder etwas Anderes. Je nach Jahreszeit.
Und manchmal waren die nasu Bambussprossen oder süsse Kartoffeln. Je nach Jahreszeit.
Was konnte er mehr verlangen? Kanemitsu griff nach den Essstäbchen. Das war inzwischen schwieriger, als mit dem Hammer zu schmieden. Was solls!, dachte er. Kanemitsu fühlte sich immer noch kräftig. Die neue Klinge, die er nach dem Essen beginnen wollte, sollte noch grösser und majestätischer werden als die vorherige. Er wollte es den anderen Schmieden nicht eingestehen. In ihm wuchs mit zunehmendem Alter eine bestimmte Arroganz, die ihn dazu antrieb, immer mächtigere, längere und eindrucksvollere Schwerter zu schmieden. Er wollte zeigen, dass er immer noch die Kraft und das Können besass, bessere Klingen zu schaffen als manch Jüngerer. Seine Schwerter besassen lange und breite kissaki, Spitzen. Kanemitsus bōshi, die Härtelinie innerhalb der Spitze, war selbst sicher und anmutig zugleich, denn das schmale Band des gehärteten Stahls glitzerte wie der Sternenstaub, der in klaren Nächten am Himmel zu sehen war. Seine hamon waren voll von hataraki, Aktivitäten im Stahl, die während des Härtungsprozesses entstehen und leuchtende Muster hinterlassen. Utsuri, dunkle Reflektionen, erschienen nach dem Abschrecken im Wasser auf der Klinge oberhalb der Härtelinie. Die vielen Jahrzehnte Arbeit hatten ihm ein subtiles Verständnis für den Stahl beschert, was es ihm ermöglichte, hataraki bewusst zu kreieren. Obwohl es nicht immer gelang. Doch wenn er erfolgreich war, machten die musterbildenden Aktivitäten im Metall seine Klingen schöner als die der anderen Schmiede – und besser.
Kanemitsu bewegte sich auf das Ende eines langen Lebens zu. Gerade deshalb faltete er seine Erfahrung in den Stahl. Er wollte seine ganze verbleibende Energie in seine neuen tachi hineinschmieden, bis der letzte Tropfen Vitalität in ihm auf das Eisen übertragen und er wegsterben würde. Je weniger von ihm blieb, umso perfekter wurden seine tachi. Beim Bearbeiten des vom Feuer weich gewordenen Stahls faltete er ihn so, dass ein Betrachter in der fertigen Klinge runde Strukturen ähnlich den Maserungen einer Holzplanke sehen würde, abwechselnd mit runden, knotigen Formen, welche an einen abgesägten Ast erinnern. Die Ästhetik seiner tachi war ursächlich verknüpft mit einer heraus ragenden Schärfe. Schärfer als die aller anderen Schmiede. Und Schmiede – die kami wussten es – gab es viele in Osafune.
Kanemitsu kicherte in seinen Reistopf hinein. Ihm wäre es recht, wenn er noch einige Jahre weitermachen könnte. Doch wer wusste das schon. Obwohl er sich noch kräftig fühlte, war er ein alter Mann und hatte bereits viele Jüngere sterben sehen.
Sollten die anderen Schmiede doch reden. Einige tuschelten, dass er sich mit Geistern verbündet hatte. Das war lächerlich. Wie konnte jemand, der aus grobem Eisenerz feinste und schärfste Schwerter für die bushi schmiedete, nur so abergläubisch sein. Die wollten sich einfach nicht eingestehen, dass er trotz seines hohen Alters besser war.
Kanemitsu kaute vorsichtig auf der Makrele herum. Die Haut war knusprig. Wären nur nicht die Gräten, die ihm je länger je mehr zu schaffen machten. Und wären die Zähne doch noch so gut wie seine Klingen. Er beugte sich über den Eintopf. Gebratene Makrelen hatte er bereits damals in der Provinz Sōshū geschätzt. Als der grosse Masamune3 ihn als Schüler zu sich geholt hatte. Wie lange war das her? Er musste etwa halb so alt gewesen sein wie heute. Kanemitsu hatte nie einen Schmied wie Masamune getroffen. Dessen Klingen waren einzig. Ihre Schönheit und Qualität würde auch noch in hunderten von Jahren ihre Gültigkeit besitzen. Da war er sicher. Andere Schüler hatten den grossen Meister zu kopieren versucht. Er hatte das nicht gewollt. Kanemitsu wollte nur sich selbst finden. Als er nach Bizen zurückkam, hatte er begonnen, zu experimentieren. Er liess Elemente aus Masamunes Sōshū-Schule in den traditionellen Stil seiner Heimat, der Provinz Bizen, einfliessen. Er hatte Neues mit einem eigenen Ausdruck geschaffen. Sein Stil war ganz natürlich entstanden, ohne dass er viel überlegt hatte. Als hätten Hand und Hammer gewusst, was sie tun mussten. Bereits damals hatten die anderen Osafune-Schmiede über seine Stiländerung gesprochen. Daraufhin hatte er seine eigene Schule gegründet.
Heute wunderten sie sich wieder über ihn. Sie sollten sich nicht wundern. Sie sollten staunen! Er verzehrte die letzten Bissen Makrele und Reis. Die Suppe hatte er für den Schluss zurückbehalten.
Leider war er erst wenige Jahre vor der zweiten mongolischen Invasion des Kublai Khan zur Welt gekommen. Gerne hätte er damals für die Kriegsherren geschmiedet, damit sie mit seinen tachi die Eindringlinge aus dem Land und zurück ins Meer geworfen hätten. Er seufzte. Er war nicht notwendig gewesen. Japans kamikaze, die göttlichen Winde, hatten mitgeholfen, dass die Mongolen wieder ins offene Meer gedrängt wurden und viele ihrer Schiffe versanken. Kanemitsus lange kissaki zeugten noch immer von den Einflüssen, welche die Kämpfe mit den einfallenden Mongolen auf die Schmiede gehabt hatten. Dann war Frieden eingekehrt. Für wie lange?
Seit sich der kaiserliche Hof wegen der Intrige der Ashikaga-Shōgune in einen nördlichen und südlichen Hof geteilt hatte, litt das Land erneut unter Unruhen. Die Fürsten des Ashikaga-Shōguns und deren hochgestellte Krieger statteten Kanemitsu seit Jahren regelmässig Besuche ab und wählten sich die besten Klingen bei ihm aus oder gaben sie in Bestellung. Die bushi durften sich nicht nur an der Schönheit seiner tachi erfreuen. Sie vertrauten ihnen auch ihr Leben an. Kanemitsu kratzte sich am Ohr. Dann schlug er zu. Der Moskito war dem harten Schlag nicht entkommen.
Er gestand es sich ein. Die Ashikaga hatten seinen Stil mit beeinflusst. Diese neuen Kriegsherren hatten moderne Ansprüche und Geschmack. Anders als zu jener Zeit, wo er noch jung war. Seine tachi sollten direkt und ehrlich sein. Stolz und voll männlicher Energie, dem Charakter der bushi entsprechend. Kanemitsu war überzeugt, dass die Ashikaga früher oder später die Macht übernehmen und die Minamoto verdrängen würden.
Er streckte sich nach der Holzschale und schlürfte die salzige Flüssigkeit. Mit den Stäbchen pickte er genüsslich die Algen und den Tofu, eins nach dem anderen, aus der Suppe. Den Tofu zerdrückte er bedächtlich mit der Zunge am Gaumen. Er mochte das. Als alles verzehrt war, legte er den Deckel auf die leere Suppenschale zurück und schob sie beiseite. Die Sonne wärmte sein Gesicht. Kanemitsu schloss entspannt die Augen und lehnte sich zurück. Es dauerte nur kurze Zeit, und er streckte sich der Länge nach auf der Matte aus. Müdigkeit schlich sich in alle Glieder. Er lauschte den Geräuschen aus dem Haus. Kiyos vorsichtige Schritte wurden von einem leisen Klappern abgelöst, als sie den Tisch abräumte. Sie hantierte so nahe neben ihm, dass er sie riechen konnte. Eine Ausdünstung nach miso, fermentierten Sojabohnen. Süsslich und würzig. Ganz anders als der Geschmack von Eisen und Kohle. Er mochte den Geruch. Kanemitsu stellte sich schlafend und hörte, wie die junge Frau mit dem klappernden Tablett im Haus verschwand. Er lauschte weiter. Suzumushi, Glöckchen-Zikaden, machten ihre Musik und hatten die schneidend lauten semi, Zikaden, abgelöst. Tatsächlich, es war Herbst geworden. Den Yoshii-Fluss konnte er nicht hören. Er war zu weit weg. Doch das Hämmern aus verschiedenen Schmieden erreichte seine Ohren. Würde er den Yoshii rauschen hören, wenn die Schmiede alle schlagartig ihre Hämmer niederlegen würden? Wohl kaum. Er floss an dieser Stelle zu gemächlich. In Gedanken folgte Kanemitsu dem Fluss mit seinem eisenhaltigen Sand, der sich nach ungefähr einem ri4 wie ein Fächer auffaltete und ins Meer strömte. Er dachte kurz darüber nach, wie er seine nächste Klinge gestalten würde. Dann lauschte er wieder den Hammerschlägen der Schmiede. Seine Ohren unterschieden die Klänge. Sie waren ihm so vertraut wie sein eigener Atem. Die tieferen Schläge vom Falten des tamahagane, des Erzes, mischten sich mit höheren Tönen, die durch das vorsichtige Richten der Krümmung der Klinge entstanden. Das Hämmern um ihn herum verwob sich allmählich immer mehr, und Kanemitsu fiel in einen leichten Schlaf.
Er schreckte auf. Etwas stimmte nicht. Jetzt war er hellwach und nahm die Geräusche wieder klar und deutlich wahr. Die hellen Töne eines kleinen Hammers, der auf einen Meissel schlug, hatten ihn geweckt. Ganz in der Nähe. Offensichtlich kerbte jemand ein mei, eine Unterschrift, in die nakago eines neu gefertigten tachis. Kanemitsu horchte intensiv auf die Schläge. Jetzt setzte der Meissel zu einem neuen Zeichen an. Ein, zwei, drei, vier, fünf Kerben. Ganz in der Nähe.
Toshikanes Schmiede!