Muttersprache - Maddalena Fingerle - E-Book

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Maddalena Fingerle

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Beschreibung

Von Bozen nach Berlin: Ein junger Mann auf der Suche nach einer unversehrten Sprache und der Schönheit der Wörter. Paolo Prescher ist besessen von Wörtern. Wörter haben für ihn Geruch, Farbe oder Klang. Paolo hasst dreckige Wörter, sie rauben ihm die Luft. Dreckig sind Wörter, die nicht sagen, was sie sagen sollen. Seine Mutter macht ihm die Wörter dreckig, auch seinem Vater, der Aphasiker ist. Paolo leidet unter der Heuchelei der Mutter und der Boshaftigkeit der Schwester. Er hasst seine Geburtsstadt Bozen mit ihrer behaupteten Zweisprachigkeit und ihren Oberflächlichkeiten. Auf der Suche nach einer unversehrten anderen Sprache flüchtet er nach Berlin und trifft dort auf Mira. Sie schafft es, seine Worte zu reinigen. Bis seine Obsession ihn wieder einholt. Die herausragende Entdeckung der italienischen Literaturszene.

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Für Chris

INHALT

BOZEN

BERLIN

BOZEN

ANMERKUNGEN

Auf den geschlossenen Lidern begannen wie auf einemroten Bildschirm alle Buchstaben des Alphabets zu tanzen,und in seinen Ohren ertönten italienische Wörter,klangvoll, rein, geschliffen wie Marmor.

Luigi Malerba: Die Entdeckung des Alphabets

Schönheit, unsterbliche, warum suchst du Reinigungin den Wogen,die lang nicht so rein sind wie du.Die Wasser werden rein durch deine Unreinheiten,sie werden schön durch deine Makel.Oh, sanfte Freuden und Abenteuer sind mein Los,lass zu, dass ich dich reinwasche und abtrocknemit unzähligen Tränen und glühend heißen Seufzern.

Giovan Battista Marino: L’Adone

In diesem Buch wurden einige Fakten und historische Geschehnisse aus narrativen Gründen abgeändert.

[Im Original verwendete deutsche Wörter sind in der Übersetzung grau markiert.]

BOZEN

Paolo Prescher ist von Wörtern besessen – Giuliana Prescher heult – Biagio Prescher ist stumm – Luisa Prescher ist verlogen – Jan Einstatt und die Zweisprachigkeit – im Klassischen Lyzeum liest man keine Klassiker – die Beerdigung

Seit ich auf der Welt bin, heult meine Mutter. Sie heult, weil mein erstes Wort Wort war. Sie heult, weil ich Wort sage und nicht Mama. Sie heult, weil Papa nicht einmal redet, wenn ich Wort sage, und nicht Mama. Meine Mutter heult, heult, heult. Sie heult, weil ich zu ihr sage, dass Wort nicht mehr Wort bedeutet, weil sie mir das Wort dreckig gemacht hat. Sie heult, weil ich zu ihr sage, dass ich die dreckigen Wörter hasse, weil sie dreckig sind, und dass sie mir die Wörter dreckig gemacht hat. Sie heult, weil ich zu ihr sage, dass ich die Wörter im Kopf habe und dass sie dreckig sind wie das Wort Wort. Sie ist dumm, sie kriegt nichts mit und sie heult, was sonst.

Papa allerdings ist ein hoffnungsloser Fall. Es gibt Leute, die nennen es Aphasie, und es gibt Leute, die nennen es Mutismus. Psychiater und Psychologen streiten sich deswegen. Einer schreit Aphasie, der andere schreit Mutismus. Keiner gewinnt. Das alles ist ein großer, ein riesengroßer Streit. Zwischen meiner Mutter und meiner Großmutter, zwischen der Person vom Zeitungskiosk des Viertels und dem Fleischhauer, zwischen der Nachbarin und dem Gärtner, und keiner gewinnt. Papa steht dazwischen und nicht einmal er gewinnt. Ständig sagt meine Mutter: Dein Vater ist aphasisch. Ich habe Angst vor dem Wort aphasisch, weil ich davon keine Luft mehr kriege und auch Asthma, weil wenn er aphasisch ist, dann bin ich eben asthmatisch.

Papa war nicht immer so stumm, als ich klein war, hatte er selektiven Mutismus, das sind Wörter, von denen mir die Luft nicht ganz wegbleibt, und ich hatte gehofft, mit einem selektiven Asthma durchzukommen. Aber dann hat er endgültig aufgehört zu reden, und so hat er jetzt echten Mutismus und ich echtes Asthma. Etwas Ventolin und viel Aerosol, und schon geht es mir besser, für Papa aber ist es nicht so einfach. Ich reiche ihm das Ventolin unter dem Tisch durch, damit meine Mutter nichts merkt. Er zwinkert mir zu und inhaliert das Ventolin, aber er wird davon nicht gesund, weil er immer noch nichts sagt. Deshalb probiere ich es auch mit Aerosol, das mich allerdings total langweilt, weil es nie aufhört, und deshalb mache ich es ständig auf, und meine Mutter schimpft, man muss die Flüssigkeit aufbrauchen und man darf es auf keinen Fall aufmachen, weil es sonst nicht mehr wirkt, aber das sagt sie auch immer vom frisch gepressten Orangensaft, dass man ihn sofort trinken muss, sonst verflüchtigt sich seine Wirkung, aber von mir aus stimmt das alles überhaupt nicht und ich rechtfertige mich: Ich wollte ja nur nachsehen, und kaum schaut sie weg, lass ich Papa probieren, er inhaliert kräftig und trotzdem sagt er immer noch nichts, und sobald meine Mutter abgelenkt ist, gieße ich die Flüssigkeit in die Töpfe der Zimmerpflanzen und denke: Wenn die Asthma haben, dann werden sie jetzt gesund werden. Aber die Zimmerpflanzen in unserer Wohnung haben kein Asthma, sie leiden an Aphasie, weil auch sie nicht reden. Meine Mutter sagt, dass man mit den Pflanzen reden soll, und ich versuche es, auch wenn ich nicht weiß, was sagen, deshalb sage ich irgendein Gedicht auf, dabei fühle ich mich wie ein Dummkopf, aber nein, ich werde es nicht mehr tun, sollen sie doch ihre Aphasie behalten. Aber ich versuche es mit Papa. Gern hatte ich stets dieses spitze Horn / das denkt sich das Rhinozeros / wenn keiner hinten ist und keiner vorn… Papa? Er lächelt, aber er sagt immer noch nichts. Die Zimmerpflanzen in unserer Wohnung sind nutzlos, sie können nicht lächeln.

Ich erinnere mich nur ungenau an die Zeit, als Papa noch geredet hat, aber ich weiß, dass auch er die Wörter im Kopf hatte, früher. Ich weiß nicht, warum ich es weiß, aber ich weiß es. Dann aber muss er sie verloren haben oder er hat nur so getan, weil es ihm zu viel wurde, mit meiner Mutter zu reden. Ja, ich glaube, er hat nur so getan, als ob, und ich zwinkere ihm zu, so als wollte ich sagen: Dein Geheimnis bleibt unter uns. Ich schwöre, ich werde es niemandem verraten, Papa.

Unsere Wohnung ist vollgeräumt mit Dingen und deren Bezeichnung steht auf aufgeklebten Zetteln. Das ist seine ganz eigene Pesterkrankung der Sprache, sagt Großmutter, und sie betrachtet Papas Aufkleber. Liest er eigentlich noch viel?, fragt Großmutter, und ich bin erleichtert, dass sie seine Aufkleber nicht anfasst. Nein, aber er schreibt viel, sage ich im Kopf. Wenn er weiß, wie man die Wörter schreibt, dann hat er eben nur so getan, als ob er sie verloren hätte, sonst wäre er nicht imstande, sie zu schreiben, denke ich. Ich würde gerne mit jemandem darüber reden, aber ich kann meine Schwester nicht fragen, weil es ihr egal ist, und ich kann meine Mutter nicht fragen, weil sie dermaßen mit sich selbst beschäftigt ist, dass sie nie etwas kapiert.

Auf die Schreibmaschine hat Papa Schreibmaschine geschrieben und auf das Bücherregal hat er Bücherregal geschrieben, auf den Stift hat er Stift geschrieben, auf das Fenster hat er Fenster geschrieben, auf die Tür hat er Tür geschrieben und auf den Brieföffner hat er Brieföffner geschrieben. Unsere Wohnung unterscheidet sich von den Wohnungen anderer Leute, bei uns hier sind die Dinge mit den Bezeichnungen verbunden, und wenn ich Tisch sage, sehe ich den großen schwarzen Tisch im Wohnzimmer, und wenn man ihn berührt, dann sind die Fingerabdrücke zu sehen. Wenn die Leute Tisch sagen, dann rieche ich Holz, Staub und Holzleim. Und wenn meine Mutter den Tisch abwischt, riecht er nach rosarotem Alkohol. Aber es ist kein angenehmer Geruch, weil er mir das Wort Tisch dreckig macht. In meinen Augen sind alle Tische schwarz und sie riechen nach Tinte. Auch die Chimären sind schwarz, ich weiß nicht, warum, aber sie sind kohlschwarz. Kann sein, dass der Grund die Zeichentusche ist oder vielleicht Calimero, die Comicfigur. In unserer Wohnung klebt ein Aufkleber auch auf dem Stuhl, von dem ich Juckreiz kriege, er ist total unbequem und auf ihn setze ich mich nie. Er stinkt und er macht mir das Wort Stuhl dreckig, das jetzt dieser Stuhl hier ist. Er ist ockergelb, eine total hässliche Farbe, eine Farbe für farbenblinde Autisten. Kann sein, dass es mir nur so vorkommt, weil einer meiner Cousins, der Autist war, aber nicht farbenblind, dauernd ockergelbe Hosen anhatte und meine Mutter immer sagte, dass man farbenblind, aber nicht autistisch sein muss, um solche Hosen auszusuchen, und für mich sind Hosen Stuhl und Stuhl ist ockergelb und stinkt nach Stroh. Ich habe keinen Kontakt mehr zu meinem Cousin, der farbenblinder Autist ist, weil meine Mutter immer mit allen Streit hat und weil sie heult und die Leute stresst, und so ist es ja ganz klar, dass keiner mehr zu uns nach Hause kommen will. Ich finde es schade, dass ich von meinem Cousin, der farbenblinder Autist ist, nichts mehr höre, und ich frage mich, was aus ihm geworden ist.

Im Wohnzimmer haben wir einen grünen Sessel der Marke Frau mit einem Aufkleber und meine Mutter gibt ständig an mit der Marke vor ihren erloschenen Freundinnen, mit denen sie den Fünfuhrtee nippt. Wenn sie Frau sagt, kriegt sie einen starren Blick, wie ein toter Fisch, und ganz stolz schürzt sie die Lippen, da muss man echt lachen über sie. Der grüne Sessel der Marke Frau macht mir das Wort Sessel dreckig, der nach den klebrigen Schenkeln stinkt. Klar, das kommt von Tante Rosis klebrigen Schenkeln. Tante Rosi ist eine alte Tante von mir, aber sie ist nicht wirklich meine Tante, vielleicht sind wir nicht einmal verwandt, alle nennen wir sie Tante Rosi. Ich finde sie echt ätzend und ich habe Angst vor ihr. Es ekelt mich auch ein wenig vor ihr. Und sie geht mir auf die Nerven. In der Küche, die nach Fett und Fleisch stinkt, zwickt sie mir mit ihrem fetten, öligen Mittelfinger und dem Zeigefinger fest in die Wangen. Dann versinkt sie im Ledersessel. Die Schenkel von Tante Rosi sind total fett und voller Dellen, sie kleben am Sessel und machen ein schreckliches Geräusch, wenn sie sich langsam lösen vom grünen Leder des Sessels der Marke Frau.

Hinter der Wohnungstür, gut sichtbar, steht Fußboden. So denken alle Leute, die bei uns zur Tür hereinkommen: Was ist das für ein Irrenhaus. Der Fußboden ist aus Holz und riecht nach Wachs und auch das Wort Fußboden ist aus Holz und riecht nach Wachs; es ist hell, das Wort Fußboden, auch wenn es dreckig ist. Die Leute denken immer, dass die hellen Dinge sauber sind und die dunklen Dinge dreckig, aber das stimmt überhaupt nicht. Nie verstehen die Leute, was ich meine, wenn ich sauber sage oder dreckig. Sommersprossen zum Beispiel find ich ätzend. Sie stinken nach Milch. Und auch die roten Haare, weil sie verbrannt riechen. Wie die Wörter Sommersprossen und rot. Aber es gibt ein Mädchen, das ich immer an der Bushaltestelle sehe, das Hallo sagt. Es hat saubere rote Haare und saubere Sommersprossen. Klar, Sommersprossen und rote Haare find ich ätzend, aber nicht bei dem Mädchen: Es kommt eben jedes Mal darauf an, um wen es geht. Keiner kapiert, was ich unter sauber und dreckig verstehe, und nie schaff ich es, das zu erklären, ich kriege so eine Wut davon, also rede ich definitiv nicht mehr darüber.

Im Zimmer meiner Eltern steht das Bett mit einem Aufkleber. Das Wort Bett riecht wie die nach drei Tagen verdreckten Leintücher. Sie stinken nicht, aber sie sind auch nicht sauber. Das Wort Leintuch riecht nicht frisch und das Wort Bett auch nicht, und eigentlich wäre es mir egal, doch auch mein Bett riecht nicht frisch, obwohl meine Mutter jeden Tag die Leintücher wechselt. Als ich klein war, wollte sie es nicht tun, sie sagte, das sind doch nur deine Launen, aber dann muss sie es kapiert haben, dass es mir ernst war damit. Ernst, ernst, ernst, bitterernst, aber inzwischen ist es viel zu spät, weil das Bett sowieso und in jedem Fall dreckig ist und das Wort Bett dreckig ist, und es macht mir eben auch das Bett dreckig. Einmal, es ist schon länger her, hat mich Papa an der Hand genommen und wir sind losgezogen: Er hat eine Menge Aufkleber dabei, und ich bin total aufgeregt, weil ich es nicht erwarten kann, sie aufzukleben. Er geht mit mir ins Kino und kaum ist es dunkel geworden, klebt er das Wort Sessel an den Kinosessel, der wird grün und stinkt nach Leder und klebrigen Oberschenkeln. Auf den Fußboden kleben wir zusammen den Aufkleber mit der Aufschrift Fußboden und er wird zu unserem Fußboden zu Hause, aus Holz, und er riecht nach Wachs, aber ich fühle mich nicht wie zu Hause, weder hier noch dort, und nicht einmal Papa, denke ich, aber immerhin sind wir für uns und keiner nervt uns. Der Film ist total schön, aber meine Mutter regt sich auf, als ich ihr vom Sessel erzähle und vom Fußboden, aber dieses Mal regt sie sich über Papa auf, und nicht über mich, weil er darf die Aufkleber nur zu Hause aufkleben. Was werden sonst die Leute denken? Meine Mutter achtet immer nur darauf, keinen schlechten Eindruck zu hinterlassen, alles wird für sie immer zu einem schlechten Eindruck. Auch dieses Mal sagt sie, dass wir sie blamieren, aber das kommt mir echt lächerlich vor, weil es gar keine Blamage ist, Aufkleber auf den Fußboden zu kleben. Papa ist eingeschnappt und ich verstehe sofort, dass wir nie mehr zusammen ins Kino gehen und Etiketten aufkleben werden, und daher bin auch ich eingeschnappt.

Was den Rest angeht, ist unsere Wohnung ziemlich normal, auch wenn sie sehr, sehr, sehr ordentlich aufgeräumt ist. Papa sortiert alle Dinge, wenn möglich, ordentlich nach Farben: von den Hemden bis zu den Büchern. Warum, Papa, nach Farben?, frage ich ihn. Er antwortet mir nicht, und er lächelt mir zu, das bedeutet wohl, ich kann es dir nicht erklären, aber er klopft mir auf die Schulter, das bedeutet wohl: Ich mag dich trotzdem. Vielleicht spreche ich nicht sauber genug und deshalb antwortet Papa mir nicht. Ich finde das schade und ich lächle, so als wollte ich sagen, ich werde saubere Wörter suchen, und dann werde ich dich wieder danach fragen.

Meine Mutter ordnet alles alphabetisch und das stört Papa, weil er nichts mehr findet, vielleicht macht sie es absichtlich und vielleicht fühlt sich Papa verletzt durch die alphabetische Ordnung, vielleicht erinnert sie ihn an die Wörter, die er nicht mehr sagen kann. Ich möchte nicht, dass Papa traurig ist, deshalb beschließe ich, ebenfalls stumm zu werden. Ich bleibe still und ich zähle eins und zwei und drei und vier und ich höre auf zu zählen, dabei kneife ich die Augen ganz fest zusammen: Ich werde stumm bleiben, die Wörter werden nie mehr aus mir herauskommen, nie mehr. Aber ich kriege einen Schrecken und mir wird mulmig, daher hör ich sofort auf damit, und sofort, sofort, sofort spreche ich wieder, ganz schnell, weil ich habe gar nicht den Mut, stumm zu werden. Wenn ich mutiger wäre und stumm werden könnte, dann könnte ich vielleicht wieder mit Papa Kontakt aufnehmen.

Aber ich bin nicht mutig und so rede, rede, rede ich und wiederhole ein Wort tausend Mal, weil meine Mutter sagt, wenn du es tausend Mal wiederholst, dann verliert ein Wort seinen Sinn oder es verwandelt sich in sein Gegenteil. So versuche ich es: Erdbeere, Erdbeere, Erdbeere, Erdbeere, Erdbeere, Erdbeere, Erdbeere, Erdbeere, Erdbeere. Von Erdbeere krieg ich ein Jucken auf der Zunge und ich wiederhole es total oft und laut, und dann noch lauter. Aber es ist nicht wahr, dass das Wort an Bedeutung verliert. Das Wort hat die immer gleiche Farbe, den immer gleichen Geruch, den immer gleichen Klang. Erdbeere, noch einmal, und du fängst dir eine Ohrfeige ein. Paolo, brüllt meine Mutter. Papa aber ist vergnügt, man erkennt es daran, wie er mich ansieht.

Papa ist Aphasiker, weil meine Mutter auch ihm die Wörter dreckig gemacht hat. Papa ist Aphasiker, weil meine Mutter ihn um halb vier Uhr in der Nacht weckt, um ihm dumme Fragen zu stellen. Aber schnell wird es ihr zu blöd, mit ihm zu reden, weil er eben gar nicht antwortet, und sie versucht es mit Luisa, meiner Schwester. Na, hast du einen Verlobten? Vertrau der Maria nicht. Also sag mal, gehst du ins Bett mit dem Michele? Bist du dir sicher, dass dir die Maria diesen Michele nicht wegschnappen wird? Ach, die Männer sind Schwächlinge, mein Kind! Aber wird er dich heiraten? Und, liebst du ihn? Warum lernst du nicht kochen? Glaub mir, ein Mann heiratet dich nicht, wenn du nicht kochen lernst. Und kau nicht an deinen Nägeln, sonst wird dir keiner einen Ring an diesen Finger stecken. Isst du auch genug? Glaub mir, du bist noch dünner als sonst. Bist du nervös? Stimmt etwas nicht? Ist es wegen dem Michele, siehst du, ich hab es dir ja gesagt, dass du der Maria nicht trauen kannst und den Männern auch nicht. Mach dir keine Sorgen, wir finden eine Lösung. Zusammen findet man für alles eine Lösung, mein Kind! Aber du musst mit mir reden. Mit mir reden. Du musst mir versprechen, dass du mehr isst und kochen lernst, und hör auf mit diesen Fingernägeln!

Meine Schwester spielt die Freundin meiner Mutter und antwortet ihr auf jede Frage. Mit mir versucht es meine Mutter gar nicht mehr, weil ich zu ihr sage, dass ich die Wörter im Kopf habe und sie mir die Wörter dreckig macht, und es endet immer damit, dass meine Mutter zu heulen anfängt und sagt, dass ich etwas ganz Besonderes bin. Mit etwas ganz Besonderes meint sie dumm oder eben ein wenig eigenartig, doch es stimmt überhaupt nicht, dass ich etwas ganz Besonderes bin. Ich bin nicht dumm und ich bin nicht eigenartig. Ich bin auch nicht unsympathisch, wie meine Schwester sagt, obwohl ich es hasse, wenn die Leute der Michele sagen statt Michele. Das ist eine Sache, die mir auf die Nerven geht. Die ich echt hasse. Nur die Schwachköpfe und die Idioten sagen der Michele statt Michele. Meine Mutter allerdings ist dämlich und dumm und sie sagt der Michele, die Maria, und sie macht mir die Namen Michele und Maria dreckig.

Meine Schwester stoppt irgendwann die lästige Fragerei meiner Mutter. Für die Schule muss sie ein Bild malen, einen Pfirsich, einen Apfel und eine Birne, doch sie schafft es nicht allein und sie lässt es sich von meiner Mutter zeigen. Als die Lehrerin sie fragt, ob sie es selber gemalt hat, antwortet sie mit Nein, weil sie die Ehrliche spielt, die dumme Gans, sie sagt, dass es ihre Mama gezeichnet hat, und so hat sie immerhin kapiert, dass ihre Mama, die auch meine Mutter ist, wirklich gut Früchte zeichnen kann. Warum besuchst du nicht einen Kurs?, fragt Luisa meine Mutter und so fängt die einen Kurs an und beginnt zu zeichnen, und als ihr Luisa ein Buch schenkt über die Malerei der Antike, sagt meine Mutter, als sie eine Taube bewundert, die in Pompeij zu sehen ist, es sei Picasso. Es bringt echt nichts, die Malerei der Antike zu studieren, sagt meine Mutter. Nun füllt die Malerei die Nächte meiner Mutter, und statt der dummen Fragen gibt es jetzt die Pinselstriche ihrer rosaroten Phase, die mir Angst machen. Mir gefallen Ölbilder gar nicht, aber ich lese die Handbücher zu Maltechniken gerne, die ich aus dem Bücherregal klaue und in meinem Zimmer verstecke. Es sind Bücher, die ich den Index der Verbotenen Bücher der Giuliana Prescher, der Sprachvergeuderin, nenne, die eben genau diese blöde Kuh von einer Mutter ist, die mir verbietet, die Bücher zu lesen, die ich lesen will. Zwei Dinge gibt es aber, die mir an Ölbildern gefallen. Die Lasierung und die Beschichtung, weil sie beide etwas Magisches haben und das ändert alles. Mit der Lasierung deckt man das Bild zu mit Schleiern und noch einmal Schleiern und Schleiern von Spinnennetzen, und nur wenn du ganz genau hinschaust, siehst du sie. Sonst nicht. Die Beschichtung balsamiert alles ein hinter einer Schicht, die sagt: Fertig, das Bild ist fertig gemalt.

So versuche auch ich zu malen, mit meiner Mutter und meiner Großmutter, die mir beide Ratschläge geben, die eine auf der einen Seite, die andere auf der anderen Seite. Meiner Mutter, die sagt, dass man für die Malerei Inspiration braucht, traue ich kein bisschen. Mir ist meine Großmutter lieber, die, wie meine Tante sagt, theoretisch gesehen über das spekulative Wesen und die empirische Ausstattung einer waschechten Boznerin verfügt. Sie flaniert auf der Uferpromenade, spielt Karten, kauft Kleider und trinkt ihren Aperitif auf der Piazza. Mir gefällt meine Großmutter, weil sie als Einzige den Mut hat, meiner Mutter zu sagen, sie solle den Mund halten. Und weil sie sagt, dass ich ein Genie bin, sie hat das immer schon gesagt und mir gefällt es, wenn sie es sagt. Ich glaube nicht, dass sie recht hat, aber ja, es gefällt mir eben, wenn sie es sagt, weil meine Mutter den Kopf schüttelt und weil es meine Schwester nervt und mir warm ums Herz wird.

Das Allerschönste an meiner Großmutter ist, dass ihre Haarfarbe Titanium-Weiß ist. Weiß sieht auch allein gut aus, das Weiß ist wie ich, es ekelt sich vor Dreck, das Weiß. Nur sie ist wirklich schön, weil ihre Haare eine echte Farbe haben und nicht so sind wie die Haare meiner Mutter oder meiner Schwester. Meine Großmutter ist sehr weiß, sie redet weiß, das macht den Unterschied. Was die Maltechnik angeht, ist meine Großmutter besser als meine Mutter. Ehrlich gesagt, interessiert es mich gar nicht, die Technik zu lernen, aber ich will meine Großmutter nicht enttäuschen und deshalb sag ich ihr das nicht. Sie bringen mir die Imprimitur bei, und auch wenn mir das Wort gefällt, bin ich schon genervt von der Debatte rund um das Vinavil und die Hasenknochen. Meine Mutter sagt, Klebstoff geht auch wunderbar, denn der Effekt ist praktisch derselbe. Denkst du nicht an die armen Tiere? Bist du jetzt Tierschützerin geworden, fragt meine Großmutter, aber ich bin erschöpft und habe eine Idee, über die ich lachen muss. Ich will die Luft malen. Natürlich mache ich das, um meine Mutter auf den Arm zu nehmen, die wirklich glaubt, die Luft malen zu können. Meine Großmutter aber versteht mich nicht, sie ist eingeschnappt, sie lässt mich allein im kleinen Zimmer zurück und sagt, dass ich sie enttäuscht habe, es sei unmöglich, die Luft zu malen. Mir aber kommen fast die Tränen, weil ich nur meine Mutter auf den Arm nehmen wollte, aber es versteht mich ja nicht einmal Großmutter, die schreit, zuerst muss man Heizkörper malen, Äpfel, Birnen. Die Luft will er malen, schreit sie. Ich lass sie ziehen, um Heizkörper, Äpfel und Birnen zu malen, und ich überzeuge diese dumme Gans von meiner Mutter, mir zu helfen, die Luft zu malen. Aber jetzt habe ich keine Lust mehr darauf. An der Malerei stört mich, dass alles so ewig lange dauert. Spann die Leinwand ein und warte, trage die Grundierung auf und warte, mach irgendetwas anderes und warte. Du wartest und wartest und wartest. Die Luft ist am Ende eine ganz feine Grundierung, auf die ich dann wirklich versuche, einen Heizkörper zu malen. Aber meine Großmutter hilft mir nicht mehr, weil sie immer noch enttäuscht ist. Auch meine Mutter ist enttäuscht und sie regt sich auf, weil wenn ich Heizkörper male, dann soll mir doch Großmutter helfen. Am Ende kommt eine Sauerei heraus, ich warte und es ist immer noch eine Sauerei. In Öl zu malen ist genau deshalb so toll, sagt meine Mutter in einem Tonfall, für den ich ihr am liebsten eine geknallt hätte. Du kannst drübermalen, und deshalb klaut mir meine Mutter die Leinwand und benutzt sie, um ein hässliches, dreckiges, ekelhaftes Bild zu malen, das mich ankotzt und das mich verletzt. Die Bilder meiner Mutter verletzen mich alle, weil sie die Farben der Wörter haben, die sie mir dreckig macht. Es gibt ein Bild aus der rosaroten Phase. Eine Frau, halb ausgestreckt. Die Proportionen des Arms sind falsch und plump. Die Wörter fett, Arm, ausgestreckt, Frau, sie alle haben diese Farben dort, in meinen Augen. Es gibt ein Bild aus der blauen Phase, das mir die Wörter Flasche, trinken, Wasser, Feuer und offener Kamin dreckig macht. Diese Sache mit den Phasen der Farben habe ich mir ausgedacht, zugegeben, aber sie trifft ziemlich genau zu. Was zählt, ist zu verstehen, dass Blau keine kalte Farbe ist und Rosa keine warme Farbe. Auf den Bildern meiner Mutter ist Blau die wärmste Farbe, die es geben kann, aber das macht sie nicht besser. Genauso ist es bei den düsteren und den grellen Farben. Es ist nicht gesagt, dass die düsteren trist sind und die grellen fröhlich. Ganz im Gegenteil. Je greller Farben sind, desto mehr schaden sie. Das sieht man sehr gut an der verformten Flasche auf dem Bild ohne Datum und ohne Titel. Die Farbe der Flasche schmilzt auf den Wörtern. Ich hasse das Wort Flasche und ich hasse die Flasche und ich hasse die Wörter und ich hasse es, wenn die Dinge sich auflösen.

Auch meine Mutter und ihre dämliche Malerei hasse ich. Das Bild allerdings, das mich am meisten beunruhigt, ist das Porträt meiner Schwester. Um es zu malen, hat meine Mutter sie auf eine Wiese gezerrt, und dort sollte sie in einer lächerlichen Haltung aushalten, eine halbe Ewigkeit. Ganz verdreht, wie eine Frau, erwachsen, sinnlich, ein Miststück. Meine Mutter schwört auf die Maltechnik des schrittweisen Übermalens, die Pinselstriche sind entschlossen, gespickt mit Bosheiten und Farben. Mir kommt vor, dass sie das Bild ruiniert, weil sie viel zu oft drübermalt. Eine der vielen Sachen, die meiner Mutter fehlen, ist die Gabe zu verstehen, wann sie aufhören soll, wann sie das Bild nicht mehr anrühren und es in Ruhe lassen soll. Meine Mutter setzt sogar das Bild unter Druck. Ein Beweis dafür ist das Auge, das sie im allerletzten Moment dazumalt. Es ist weder Teil der blauen noch der rosa Phase. Das Grün auf der linken Seite von Luisas Gesicht dominiert, das Grün des Hintergrunds, das Grün der Wade. Es ist genau das Grün, das meine Schwester immer trägt, sie ist grün, überall ist sie grün, meine Schwester. Es ist nicht das Grün des Mr. Green, es ist ein dreckiges Grün, beschmutzt ist es, schuld an dem ganzen Mist sind meine Mutter und meine Schwester. Schuld sind die Farben, die immer anders aussehen, wenn man sie aus der Tube drückt, auch wenn die Tube immer dieselbe ist, so wie der Mund, auch wenn er derselbe ist, das Wort kommt doch anders heraus. Aber eines weiß ich ganz genau. Wenn es sich um die Tuben und den Mund meiner Mutter handelt, dann werden die Farben und die Wörter dreckig und sie werden dreckig herauskommen.

Wenn ich ein Wort auswählen müsste, als Aufkleber für meine Schwester, dann wäre es das dreckige Wort Grün. Und dann ist da noch dieser goldene Ohrring, ich habe sie nie ohne gesehen. Das Gold und das Grün sind jetzt einerlei, und meine Schwester ist goldfarben und grün, und es sind beides dreckige Wörter. Meine Mutter beendet die Lasur des Bildes, und ich schau mir meine Schwester an, dort hinten, es ist wirklich sie, in ihrer ganzen Bosheit, mit ihrem anbiedernden Blick. Das Bild heißt: Luisa Prescher, eigentlich: Capire Husserl. Sie haben mir auch die Farbe Grün dreckig gemacht, die für mich jetzt Husserl verstehen heißt. Meine geheime Lektüre, die ich nicht verstehe, und es tut mir leid, dass ich sie nicht verstehe.

Ich versuche das Wort im Kopf sauber zu machen mit den Wörtern aus den sauberen Büchern. Grünbrackigwindigsprudelnd, grünbrackigwindigsprudelnd, grünbrackigwindigsprudelnd, grünbrackigwindigsprudelnd. Es klappt eine Weile, aber nur kurz, leider.

Das Porträt meiner Schwester ist fertig, doch danach malt meine Mutter natürlich nicht mich, sondern sich selber. Ein Selbstbildnis. Meine Mutter hat eine mit hellen Pinselstrichen gepuderte Nase und gerötete Augen, rund um den Hals herum ein total dreckiges Weiß, das Rot der Augen nimmt sie ganz oben in den Haaren wieder auf. Die Farben dieses Bildes machen mir so viele Wörter dreckig, dass ich sie nicht einmal aufsagen kann. Das Bild, das noch unfertiger als alle anderen ist, die sie malt, ist eine Leinwand ohne Rahmen. Phase in Hellrosa. Eine Skizze: eine Frau, in groben Linien. Rauer Pinselstrich für das Haar, der Blick verloren ins Leere gerichtet. Die Nase klein, schmal. Der Mund kaum angedeutet. Und doch machen Mund und Nase den stärksten Eindruck. Die Frau wirkt traurig, es ist eine Tristesse, die bedrückt und beunruhigt, vielleicht steckt auch ein wenig Ironie darin, es gibt Momente, da verstehe ich diese Art von Ironie, und es gibt Momente, da verstehe ich sie gar nicht, plötzlich wirkt es fast so, als ob sie lächeln würde, ich will damit sagen, wenn ich etwas echt nicht verstehe, dann ist es wohl Ironie. Wenn es einen Gott gibt und wenn er ein Gesicht hat, dann ist es sicher dieses Gesicht hier. Keine Frage, so macht mir meine Mutter auch das Wort Gott dreckig. Und das Wort Gesicht. Und das Wort wenn.

Mein Onkel sagt, die Bilder meiner Mutter seien wunderschön, er sagt ständig, sie seien beeindruckend, suggestiv, aber er ist einfach nur dumm oder verlogen oder beides, weil es sind nur Bilder mit lauter Farbflecken und er ist farbenblind, das heißt, dass er gar nichts sieht auf diesen Bildern. Deshalb sage auch ich beeindruckend, suggestiv, wenn ich irgendetwas nicht verstehe, aber keiner merkt, dass ich den Onkel aufziehe. Wenn ich irgendjemanden aufziehe, kapieren die Leute das fast nie. Manchmal sind die Leute echt dumm. Auch meine Mutter ist dumm, weil sie behauptet, eine Künstlerin zu sein, eine Kreative. Wer behauptet, ein Künstler zu sein, ist lächerlich, wenn er kein Künstler ist. Aber auch wenn er ein Künstler wäre, wäre es lächerlich, das zu behaupten. Im Gegenteil. Wenn er wirklich ein Künstler wäre, würde er es nicht sagen, also wirklich, nein, er würde es nicht sagen, wenn er es wirklich wäre. Da gibt es einen Freund meiner Mutter, der sich immer selber zum Abendessen einlädt, und in meinen Augen ist er in meine Mutter verliebt, weil er sie immer lange ansieht und lacht, wenn sie Witze macht, und ihre Witze bringen nur sie selber zum Lachen und alle, die in sie verliebt sind.

Dieser Freund meiner Mutter behauptet, ein Schriftsteller zu sein, und er gibt total damit an, weil er unzählige Projekte hat, und ich muss lachen beim Wort Projekt, deshalb frage ich ihn: Was für ein Projekt? Doch er hat nicht mal Zeit zu antworten, da klingelt schon sein Telefon und er muss sofort drangehen, weil es der Verleger ist, und ich ertrage den Ton nicht, mit dem er das sagt, es ist der Verlag, der andere Verlag, die Geliebte seines Verlegers, die auch seine Geliebte ist, es ist die Pressereferentin des anderen Verlags und Geliebte des Ehemanns der Geliebten des Verlegers, es ist sein Freund, selber auch Schriftsteller, doch nicht so erfolgreich wie er, weil erfolgreich wie er ist nur er, auch wenn er den letzten Roman nur geschrieben hat, weil sie es von ihm verlangt haben, und ehrlich gesagt, ich muss lachen darüber, weil er letzter Roman sagt statt neuer Roman, und ich hoffe, dass das wirklich stimmt. Er hat eine steile Karriere hinter sich, bedeutungsvolle Schritte, einen Quantensprung, die Ideen fliegen ihm einfach nur so zu, er beschränkt sich darauf, sie niederzuschreiben. Und mir geht er unendlich auf die Nerven. Ich glaube, sie verstehen sich deswegen so gut, er und meine Mutter: weil sie beide Kreative sind. Zurück am Tisch, entschuldigt er sich, aber er sagt, es sei ein sehr wichtiges Telefongespräch gewesen und dass er es einfach nicht mehr aushält, diese ganze Arbeit, er hat tausend Verpflichtungen und tausend Sorgen, und er hat nicht einmal Zeit durchzuatmen, deshalb sagt meine Mutter, dass er ja nicht länger bleiben muss, wenn es ihm nicht ausgeht, und er sagt: Aber nein, nein, nein, so sei das nicht gemeint gewesen. Ich glaube, sie verstehen sich deswegen so gut, er und meine Mutter: weil sie beide Heuchler sind. Der Freund meiner Mutter sagt, er schreibt eben ganz exakt nur genau den Scheiß, der ihm passt, weil er ein freier Mensch ist, der Buchmarkt geht ihm am Arsch vorbei. Er sagt auch, dass Schreiben wie eine Befreiung ist, dass er nachts schreibt, dass ihm dann die Eingebung kommt. Er sagt, dass es die Große Italienische Literatur nicht mehr gibt, heutzutage. Ich habe angefangen, seine Bücher zu lesen, doch ich habe sie sofort wieder zugemacht. Sogar die Große Italienische Literatur, die habe ich zum Teil gelesen, und zwar im Geheimen, sonst regt sich meine Mutter wieder auf, weil sie sagt, man muss warten, bis man sie in der Schule durchnimmt, gewisse Sachen. Er arbeitet jetzt am besten Roman, den er je geschrieben haben wird, sagt der Freund meiner Mutter, merkst du es jetzt, es war eben nicht der letzte Roman? Die Leute werden ihn nicht verstehen, sagt der Freund meiner Mutter, aber das hat keine Bedeutung, wenn er tot sein wird, wird sich alles ändern: Ihr werdet schon sehen, wie sich alles ändern wird. Er bringt Figuren zur Welt und kotzt Gefühle aus, er kaut auf Ideen herum und leitet Kurse in kreativem Schreiben. Seine Schüler sind alle lauter Genies, wenn sie ihm schmeicheln, und sie sind alle lauter Arschlöcher, wenn sie eine Kritik formulieren, und wenn er ein Buch empfiehlt, dann rennen alle seine Schüler, die Genies genauso wie die Arschlöcher, in die Buchhandlung und der Buchhändler ist sein Freund, und vielleicht ist das der Grund, warum er seinen Schülern diese Bücher empfiehlt.

Der Freund meiner Mutter schaut mich an: Du solltest auch anfangen zu schreiben. Ich werde dir ein hübsches Schreibheft schenken, junger Kerl, sagt er zu mir. Nein danke, das kann ich echt nicht gebrauchen, sage ich zu ihm. Aber warum kannst du es nicht gebrauchen, fragt er mich. Weil ich nicht schreiben will, sage ich zu ihm. Warum willst du nicht schreiben, fragt er mich. Weil ich nicht diesen Ehrgeiz habe, mein Herr, sage ich zu ihm. Nenn mich nicht mein Herr, sagt er zu mir. Nennen Sie mich nicht junger Kerl, sage ich zu ihm. Du bist sympathisch, sagt er zu mir. Das weiß ich, sage ich zu ihm. Echt?, fragt er mich. Echt, sage ich zu ihm. Wenn ich es dir schenke, nimmst du es an?, fragt er mich. Nein, mein Herr, antworte ich ihm.

Ich glaube, dass sie sich deshalb so blendend verstehen, meine Mutter und er: weil sie beide die gleichen Idioten sind. Der Freund meiner Mutter ist eine Berühmtheit, ein wichtiger Mann, der in die angesagten Restaurants geht, der im Fernsehen auftritt, der die Frauen liebt, er ist ein Siegertyp, einer, der es geschafft hat, der ganz oben angekommen ist, sagt meine Mutter. Angekommen, wie weit oben?, frage ich. Ganz weit oben, antwortet meine Mutter. Wie weit ganz oben?, frage ich meine Mutter. Sehr, sehr weit oben, antwortet meine Mutter. So weit oben wie der Großvater? Paoloooo!, schreit meine Mutter, sie jagt mich ins Bett und entschuldigt sich bei ihrem Freund.

Meine Mutter und Luisa schotten sich ab und reden nur dummes Zeug. Ich fühle mich nicht ausgeschlossen, weil in Wahrheit habe ich gar keine Lust, mich am Gespräch zu beteiligen, aber es ist doch sehr unhöflich von ihnen.