Muttertags-Paket - Sonja Liebsch - E-Book

Muttertags-Paket E-Book

Sonja Liebsch

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Beschreibung

Große Gefühle zum Muttertag: Die schwangere Tanja erlebt die Herausforderungen einer Fernbeziehung, zwei Mütter erneuern ihre Freundschaft im digitalen Zeitalter. Anwältin Lizzy muss zwischen mehreren Verehrern wählen - dafür räumt ein anderes Frauenduo mit sämtlichen Männerbekanntschaften ein für allemal auf. Dieses Paket enthält: Muttertier an Rabenmutter (Sonja Liebsch/Nives Mestrovic) Fünf sind keiner zu viel (Regine C. Henschel) Das Prachtstück (Brigitte Riebe) Mops und Mama (Silke Porath)

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Impressum

Personen und Handlung sind frei erfunden.

Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen

sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

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www.gmeiner-digital.de

Gmeiner Digital

Ein Imprint der Gmeiner-Verlag GmbH

© 2015 – Gmeiner-Verlag GmbH

Im Ehnried 5, 88605 Meßkirch

Telefon 0 75 75/20 95-0

[email protected]

Alle Rechte vorbehalten

Herstellung/E-Book: Mirjam Hecht

Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart

unter Verwendung eines Fotos von: © Wolfgang Herget/Fotolia.com (Fünf sind keiner zu viel); unter Verwendung des Fotos »snygo:home« von Andreas Dittberner ©/aboutpixel.de und drniels ©/sxc.hu (Muttertier an Rabenmutter); unter Verwendung eines Fotos von: © chriskuddl/zweisam – Fotolia.com und © Africa Studio – Fotolia.com und © NinaMalyna – Fotolia.com

Matthias Schatz: © artjazz – Fotolia.com (Das Prachtstück)

Zusammenführung: Simone Hölsch

ISBN 978-3-7349-9304-6

Regine C. Henschel * Sonja Liebsch/Nives Mestrovic * Brigitte Riebe * Silke Porath

Muttertags-Paket

Inhalt

Regine C. Henschel

Fünf sind keiner zu viel

Sonja Liebsch/Nives Mestrovic

Muttertier an Rabenmutter

Brigitte Riebe

Das Prachtstück

Silke Porath

Mops und Mama

Regine C. Henschel: Fünf sind keiner zu viel

Zitat

Love changes everything, love makes you fly …

Rod Stewart

Vorspann

Wenn du fliegen willst, dann fliege – steht auf dem Zettel in meinem Glückskeks. Erst habe ich gelacht, dann habe ich ihn zusammengefaltet und in die Seitentasche meines schwarzen Blazers gesteckt. Man weiß nie, ob es nicht doch eine Art Orakelspruch oder ein Zeichen sein könnte. Auf dem südlichen Breitengrad von Kuba liegt diese Insel, auf der ich gerade das erste Mal in meinem Leben ein Stück von einem gekochten Huhn mit schwarzen Füßen (ich schwöre, die Füße sind blauschwarz!) gegessen habe. Die Fotos der Insel im Internet zeigen Palmen und einen bezaubernd weißen Sandstrand. Heute bleibt es bei den schönen Fotos, denn wir haben auf unserer Reise die einzigen zehn kalten Tage seit Beginn der meteorologischen Wetteraufzeichnungen erwischt. Ich bin dankbar für meine alte Jeans für alle Fälle, die ich noch schnell oben in den vollgestopften Koffer geworfen habe, denn die Sommerkleidchen mit den Spaghettiträgern und die Baumwollchinos bleiben im Moment definitiv im Koffer. Gestern war ich noch in München. Und vorgestern noch zu Hause in Berlin in meiner Kanzlei und meine Welt war wohlgeordnet und geplant. Und dann kam Max mit diesem Riesenangebot und brauchte mich, um es umzusetzen. Ausgerechnet mich?

Jetzt stehe ich hier mit schief aufgesetzter Baseballcap auf meinem plattgedrückten Pferdeschwanz und beobachte einen gut gebauten Mann, der bis zum Bauchnabel im Meer steht und mit seinen ebenso attraktiven Mitarbeitern versucht, einen knallgelben Schwimmponton zu verankern. Zugegeben, der kühle Wind ist lästig, dafür sind die Aussichten im Meer umso besser.

Morgen soll von hier aus ein Probeflug unseres wahnwitzigen Projektes beginnen. Bei der Vorbesichtigung sind wir und unsere chinesischen Partner so aufgeregt wie das Huhn mit den schwarzen Füßen, beziehungsweise die quicklebendige Familie vom Huhn. Ach ja, die Insel hier liegt übrigens nicht vor Kuba, sondern im Chinesischen Meer, das mir, unter uns gesagt, entweder durch die Nähe von Max oder an sich ausnehmend gut gefällt. Aber vielleicht liegt das auch daran, dass ich außer der rauen Nordsee nicht allzu viele Vergleichsmöglichkeiten habe, denn ich fahre selten in den Urlaub. Mein Job lässt das nicht zu. Das stimmt vielleicht nicht ganz, würde meine Freundin Carla jetzt einwenden. Vielmehr nehme ich den Urlaub nicht so wichtig wie andere Dinge in meinem Leben, denn sonst hätte Urlaub bei mir Priorität. Egal, was Carla meint. Ich reise sehr viel, aber eben mehr im Auftrag des Jobs und nicht, um mich im Liegestuhl zu bräunen. So.

Morgen findet also ein Probeflug unseres Ballons statt. Ob es für das Hüllenmaterial zu heiß ist? Wohl weniger bei dem Wind … Wie wird das feinmotorige Gerät auf den fliegenden Sand reagieren? Funktioniert die Steuerung oder dümpelt der Ballon orientierungslos in den Morgenhimmel davon? Fragen über Fragen. Max sieht die Probleme eher gelassen. Er hat mit seinen Technikern die Kisten ausgepackt und fast keine Reparaturen waren notwendig. Im aufblasbaren Hangar zwischen den Palmen am Strand steht unser Ballon mit dem neuen Antrieb. Von dem Flug morgen hängt mehr ab, als Max sich eingestehen möchte. Wir brauchen einen Erfolg. Wir starten unser gemeinsames Abenteuer. Für mich das größte Abenteuer meines Lebens. Und ich wäre das ganz sicher nicht eingegangen, wenn Max nicht diese unverschämt braunen Augen hätte. Oder doch? Diese Augen werden mich garantiert nie näher ansehen, wenn ich weiterhin so ausnehmend unattraktiv gekleidet bin mit meinen alten, ausgebeulten Jeans, dem ausgeliehenen Männerhemd von Tom und schiefer Cap – und überlege, wie spät es jetzt zu Hause in Berlin ist. Ob Britta alleine im Büro klar kommt? Ach, gestern war ich noch in meinem sicheren Umfeld …

Adam und der Bio-Apfel

»Zwei frische Feldgurken – nur ein Euro«, ruft der Markthändler hinter uns und wedelt mit den gigantischen Salatgurken aus Bioanbau.

»Schale Himbeeren nur ein Euro«, schallt es von der anderen Seite herausfordernd.

»Wir sind wieder einmal zu spät dran. Sie räumen schon ein«, ruft meine Freundin Desiree. Wie jeden Mittwoch, denke ich, doch es stört mich nicht. Wir treffen uns mittwochs immer zum Mittagessen und nicht immer kann ich meine Klienten pünktlich zur Tür begleiten, um mit Desiree unseren Lieblingsimbiss zu zelebrieren. Außerdem brauche ich nicht viel auf dem Markt einzukaufen. Notfalls könnte ich die drei Teile sogar im Supermarkt um die Ecke kurz vor 20.00 Uhr zusammenraffen. Aber das würde ich Desiree natürlich nicht sagen.

Heute kaufe ich Äpfel in außergewöhnlicher Form. Eine neue Apfelsorte interessiert mich immer. Sie hat weiße Noppen und sieht aus wie eine Untertasse aus dem All. Wie so ein Apfel wohl schmeckt? Passend zum Marktschluss des heutigen Tages erhalte ich drei Stück für einen Euro. Die wandern in die grüne Plastiktüte und kommen nachher mit in mein Büro. Das ist kein großer und schon gar kein wichtiger Kauf. Darauf kommt es auch nicht an, denn der Mittwochmittag ist so etwas wie ein Ritual. Und wenn ich mich so umsehe, dann stehen wir mit dieser Auffassung nicht alleine da. Viele Gesichter erkenne ich jedes Mal in der Menge wieder. Der braungebrannte Mann am Kaffeestand trinkt hier immer seinen Espresso und wartet auf seine Frau, die am Fischstand frisches Nordseeglück kauft. Oder die blonde Frau in der hellen Lammlederjacke mit den Armflicken, die ist auch fast immer hier. In wechselnder männlicher Begleitung.

Endlich haben wir uns zu unserem Imbissstand durchgekämpft und genießen das scharf gewürzte Fleischspießchen mit gerösteten Zwiebeln und dazu heiße Pommes mit Megaklecks Majo – gefühlte eine Million Kalorien.

»Na, wie war deine Woche?«

»Wie immer«, nuschele ich in die Pommes und beobachte den Mann mit dem Busch Zyperngras, der neben uns am Tisch steht und jedes Wort mithören möchte.

»Wieder ein paar ausweglose Fälle?«, fragt Desiree, ohne ihn zu beachten.

»Ja, …« Über den Beruf zu sprechen, macht mir über ein leckeres Fleischspießchen gebeugt keinen großen Spaß. Nicht mehr. Irgendwie ist der im Laufe der Jahre abhanden gekommen und die Euphorie ist schon lange raus. Aber von irgendetwas muss der Kühlschrank ja gefüllt werden, und da mir bislang auch keine Idee für etwas Neues gekommen ist, mache ich eben weiter. Schließlich hat man sich ja auch etwas aufgebaut im Laufe der Jahre. So etwas wie einen Kundenstamm. Inzwischen kann ich von den Empfehlungen meiner Mandanten ganz gut leben. Und ihre Fälle sind manchmal wirklich kniffelig und fordern mich heraus. Mitten in Berlin in Charlottenburg liegt mein Büro und am Wochenende arbeite ich in unserem alten Familiensitz im Elternhaus bei meiner Mutter. Ein Haus am See bei Berlin könnte ich mir von meinem Verdienst trotz aller guten Empfehlungen nie leisten. Das kann kaum eine Rechtsanwältin, die meine Fälle hat. Doch eine bewährte WG mit Mama ist für das Leben in einer solchen Immobilie äußerst hilfreich. Sie wohnt in der Beletage und ich wohne – positiv ausgedrückt – ebenerdig mit Blick auf den Garten und einer großen Steinterrasse mit Seezugang. Es ist mein Elternhaus, aus dem ich folgerichtig nie richtig ausgezogen bin. Nur einmal kurz zum Studium in England und für die Zeit, in der ich mit Mike zusammen war. Aber das ist lange her. Man nennt das wohl Nesthocker. Nach meinen Erfahrungen jedoch würde ich mich mehr als Weltenflüchter bezeichnen. Wie gesagt, so ein ruhiges überschaubares Domizil wäre ohne eine WG mit Mama eben nicht drin. Alles könnte wunderbar sein, aber …

»Hallo, Kind, da bist du ja«, ruft es aus der beschäftigten Menschenmenge.

Wenn man vom T… spricht. Ja, denke ich, soweit man mit Ende dreißig noch Kind sein kann, dann bin ich das hier.

Ma schwebt neben mir ein mit einer Entourage ihrer Freunde. Diesmal sind es Potpourri, ihr perfekt gekleideter Schneider und eine Freundin mit breitkrempigem Sommerhut im Frühling. Mama liebt große Auftritte, leider auch an einem Mittwoch auf einem gewöhnlichen Bauernmarkt zwischen Rohmilchkäseständen und Zimteinlegesohlen vom Biobauernhof.

»Kind, was isst du denn da? Das ist doch gar nichts …«

»Für meinen Teint und meine Figur«, ergänze ich. »Ich weiß, schön dich zu sehen, was machst du denn hier?«, und ich will sie in den Arm nehmen.

Klang ich zu wenig begeistert oder warum ziehen sich ihre Mundwinkel nach unten? Das Missfallen gilt dem Mann mit dem Zyperngras, der nicht schnell genug zur Seite springt, damit Mama mich umarmen und an sich drücken kann. Mit lautem Weh und Ach, versteht sich. So, als käme ich von einer langjährigen Wüstenexpedition hungrig und erschöpft zurück. Dabei haben wir uns erst heute Morgen beim Frühstück gesehen. Aber das weiß hier auf dem Markt keiner.

»Ich wusste doch, dass ich dich hier finden werde.« Und sie schiebt mit einem freundlichen Kopfnicken, das meiner Freundin gilt, meinen Pappteller mit den Pommes und dem letzten fertig aufgehäuften Gabelbissen gerösteter Zwiebeln in Tomatensoße zur Seite.

»Du weißt doch …« Kunstpause. Was weiß ich?

»Nächste Woche wird das neue österreichische Restaurant eröffnet und da sind wir Ehrengäste neben Vielsmeyer. Und da muss Potpourri noch etwas Schönes für mich schneidern. Und für dich übrigens auch. Der junge Friedmann wird kommen, und ich möchte doch, dass du eine gute Figur machst.« Und sie zieht noch einmal die Stirn kraus, während sie auf unsere Pappteller schaut. Doch Desiree hat schon alles aufgegessen und putzt sich zufrieden den Mund an einer Papierserviette ab. Interessiert schaut sie nach den französischen Apfeltartes am Nachbarstand.

Könnte Mama endlich ihre Kuppelversuche lassen? Könnte sie endlich aufhören, irgendwelche Männer mit Namen Friedmann für mich auszusuchen? Das kann ich auch alleine. Wenn ich will. Und im Moment will ich nicht! Drei Ausrufezeichen. Meine Erfahrungen habe ich gemacht, und die waren nicht gerade so ausgefallen, dass ich bei meinen Männergeschichten unbedingt auf eine Fortsetzung fiebere.

Was ich suche, das gibt es nicht und wenn doch, dann ist es schon vergeben. So wie der Typ mit dem Arm voll roter Rosen, dem wir den halben Markt hinterher wie Undercover-Agentinnen unauffällig gefolgt sind, um in Höhe der Fässer mit den italienischen Oliven festzustellen, dass er die Rosen für seine attraktive Frau getragen hat. Die schmeckte mit spitzem Mündchen die feinen Antipasti ab und steckte ihm mit perfekt manikürten Fingerchen eine grüne Olive in den Mund, was er mit verliebtem Blick goutierte. So, das war es dann wohl. Desiree und ich konnten abtreten. Und jetzt will Mama uns die wohlverdiente Enttäuschungsmahlzeit an unserer liebsten Berliner Imbissbude auch noch zunichte machen!

»Ich? Wieso ich?«, schrecke ich aus meinen Gedanken an den Rosenmann auf. Zeit gewinnen durch Vortäuschen von Überbeschäftigung. »Ich kann nächste Woche nicht.«

»Doch, du kannst am Donnerstag. Ich habe in deinem Büro angerufen und die Termine geprüft. Donnerstagabend hast du frei für Vielsmeyer und mich. Ganz sicher. Und Potpourri schneidert dir was Schönes.«

»Mal sehen«, sage ich. Was soviel bedeuten soll, wie: wenn ich überhaupt mitkomme, dann suche ich was aus meinem Kleiderschrank raus oder gehe in meine Lieblingsboutique um die Ecke. Stevie findet schon was für mich in ihren Regalen, um mein Hüftgold zu verdecken.

Passend zum Thema taucht Desiree mit drei bezaubernden Apfeltartes wieder auf und stellt die Teller vor uns auf den Tisch. Gewissenhaft verteilt sie die bunten Plastikgäbelchen, als wäre es ihr bestes Silber, doch Mama hat schon einen weiteren Bekannten gesehen und eilt mit Schneider Potpourri und Freundin Sommerhut in ihr Lieblingsbistro gegenüber dem Markt. Zum Brunch vermutlich. Sie winkt mir noch einmal verschwörerisch zu und droht mit dem Finger der kleinen Apfeltarte, dann verschwindet sie unter der rotweißen Markise des Edelbäckers.

»Uff, ist das anstrengend«, sage ich.

»Finde ich nicht, du hättest es schlimmer treffen können«, sagt Desiree und probiert einen großen Bissen von der Apfeltarte. »Mmmmh, köstlich und zuckersüüüß.« Wie kann sie mir nur so in den Rücken fallen?

»Es hat doch niemand hier auf euer Gespräch geachtet und sie meint es doch nur gut.«

Ja, das höre ich öfter.

»Wir können doch einfach zum Österreicher zur Eröffnung gehen, das ist doch phantastisch! Essen und trinken kostenlos und dafür brauchen wir nur gut auszusehen und pünktlich zu sein. Das ist ein klares, einfaches Geschäft. Da bin ich dabei.«

»Du kommst mit?«

»Na klar, da lasse ich dich doch nicht alleine hingehen. Wir finden schon was Tolles für dich in deinem Kleiderschrank. Ohne diesen überkandidelten Potpourri bemühen zu müssen.« Das klingt doch gleich viel besser und eher nach meiner Freundin. Plötzlich legt sich eine Hand auf meine rechte Schulter.

»Na, hallo, wie geht es euch?«, flötet Jens Schuster. Seines Zeichens Journalist für die Berliner Klatschblätter und mein heimlicher Schmusi für gewisse Stunden. Kein unbedingt intelligenter Mann, aber die sind sowieso Mangelware.

»Gut geht es uns«, antwortet Desiree, während ich die Apfelstücke auf meiner Tarte zähle. Der fehlt mir jetzt gerade noch, denke ich. Heute nicht.

»Wie sieht es mit einem Stück Kuchen aus?« und schon schiebe ich ihm Mas Teller mit dem unberührten süßen Teilchen über den Stehtisch.

»Gerne, das lasse ich mir nicht zweimal sagen«, und Jens greift sich das Tartestück und beißt herzhaft rein. Das hat mir an ihm immer gefallen, seine unbekümmerte Art. Desiree grinst und schaut schon nach dem Espressowagen.

»Jetzt noch etwas Koffein und der Tag ist gerettet. Dann können wir einkaufen gehen.« Ich wundere mich immer, wie sie so schlank bleibt, bei dem Kalorienkonsum pro Tag und kein Sport. Vielleicht isst sie abends nichts? Oder gar nichts, wenn ich nicht in der Nähe bin?

»Was gibt es Neues?«, fragt Schuster beiläufig und spuckt dabei Krümel auf die Papiertischdecke.

»Alles wie immer«, sage ich.

»Und was wollte deine Mutter heute schon von dir?« Schuster hat seine Augen überall und kann nerven.

»Ach, eine Einladung zur Eröffnung eines neuen Österreichers. Sie muss mich unbedingt mitschleppen.«

»Ein In-Österreicher mit Restaurant?« fragt Schuster.

»So etwas in der Art«, glaube ich.

»Wann denn?«

»Nächste Woche, und Vielsmeyer kommt auch.«

»Der Regisseur Vielsmeyer?« Schuster nickt anerkennend und schielt auf mein halbes angebissenes Tarte­stückchen.

»Isst du das noch?«

»Nein«, maule ich. Natürlich esse ich das noch, aber nicht, wenn ich mich unterhalte und Schuster mich und das Tartestückchen beobachtet. Er ist einfach unmöglich. Kurzerhand steckt er sich mein Kuchenstück auch noch unter die Nase und fragt mit vollem Mund: »Wo? Hier bei uns im Viertel?«

»Ja, in Charlottenburg. Sie wird es mir schon noch genauer sagen.«

»Gehst du hin?«

»Ja«, sage ich, »mit Desiree« – damit gar nicht erst Zweifel an meiner Begleitung aufkommen. Sie nickt und räumt ungeduldig den Stehtisch auf. »Die Sonne wandert auf die andere Seite, wollen wir zum Kaffeestand und dann losziehen?«

Schuster strahlt mich an. »Toll«, sagt er und putzt sich die fettigen Hände an seiner Jeans ab. Meint er jetzt die Apfeltarte oder den Espressowagen?

Ich höre schon von weitem das Hupkonzert, das mich erwartet. Die Autos in meiner Straße quälen sich wieder einmal hinter dem Müllwagen her, und ich kann froh sein, dass ich mit dem Fahrrad in die Stadt fahre. Mit dem Auto würde ich über eine Stunde im Stau stehen, dann vergeblich um den Block kurven und nachher in Tränen aufgelöst versuchen, irgendwo vor einer Ausfahrt oder auf dem Bürgersteig einen illegalen Parkplatz zu finden. Das kenne ich schon. Und trotz Anwohnerparkplakette würde mir nur das Halteverbot bleiben und die zu erwartende 50-Euro-Strafe. Nein, ein Fahrrad, das ist hier in Berlin in der Innenstadt das Beste. Meine Kanzlei liegt direkt am Kudamm. Ich könnte mir diesen Standort nie leisten, wenn Mama mich nicht sponsern würde. Aber auch sie hat etwas davon. Gleich um die Ecke hat ihr Star-Friseur sein Geschäft und von hier aus hatte sie es nie weit zu ihren Auftritten in der Oper. Oft hat sie vorher bei mir in der Kanzlei noch ein Gläschen Schampus gegen das Lampenfieber getrunken, und ich habe sie dann zur Oper gebracht und mit Küsschen und Händedrücken Glück gewünscht. Das ist lange her. Jetzt ist es nur noch meine Kanzlei in einer guten Gegend mit einem gekühlten Schampus im Kühlschrank, was letztendlich tatsächlich besser ist, als eine Kanzlei in einer tristen Vorstadt. Ich arbeite als Notarin und Anwältin. Leichte und weniger schwere Fälle wie Beglaubigungen und Firmengründungen erledige ich morgens, wenn ich noch ziemlich müde bin. Die Sahneschnittchen hebe ich mir für den Nachmittag auf: Heiratsverträge sind meine Spezialität. Insbesondere Zugewinngemeinschaften und ihre Auswirkungen sowie die notariellen Absicherungen meist sehr junger Ehefrauen gegenüber ihren meist sehr viel älteren Ehemännern. Da weiß ich aus eigener Familientradition Bescheid. Das Thema wurde mir sozusagen in die Wiege gelegt. Mama war hier ein gutes Vorbild. Auch sie hat sich gegenüber Papa rechtzeitig abgesichert, was auch nötig war, denn er war mehr in der Welt unterwegs, als bei uns zuhause. ›Sicher ist nun mal sicher‹ ist ein bewährtes Familiencredo. Und so wurde ich Anwältin. Natürlich fehlt mir ein bisschen das Abenteuer. Klar sind alle Tage ähnlich strukturiert und ich weiß, wann ich ungefähr abends nach Hause komme. Ich habe meine Woche durchgeplant wie andere Leute auch. Spätnachmittags nehme ich Aktenmappen mit nach Hause und an den Wochenenden gehe ich samstags für zwei, drei Stunden ins Büro. Da stört mich keiner, und ich kann besonders viel wegdenken. Danach gehe ich mit meiner Freundin Desiree oder Carla Wochenendeinkäufe organisieren. Es hat sich so ergeben und irgendwie fehlt mir im Moment auch nichts. Wenn ich darüber nachdenke, wie andere Frauen einen Spagat absolvieren zwischen Arbeit und Privatleben, finde ich das bewunderns- und anerkennenswert. Erst mehr als acht Stunden im Büro sitzen und dann noch einmal zehn Stunden Privatleben und Familie managen und den Ehemann bei Laune halten. Und dabei auch noch gut aussehen. Ich vergebe einen ›Oscar für besondere Leistungen‹ an die Frauen, die das können. Und der Oscar geht an meine neue Nachbarin, die in drei Wochen eine Wohnung komplett neu eingerichtet, zur Einweihungsfeier ein riesiges euro-asiatisches Buffet vorbereitet, den ganzen Abend perfekt frisiert im hautengen Schlauchkleid in High Heels die Gastgeberin gegeben und die nachts auch noch frische Brioche gebacken hat, während ich dumpf an der Hausbar saß, Chardonnay trank und in der Schale mit den Erdnüssen fischte. Für mich wäre das einfach zu viel. Vielleicht liegt es auch daran, dass ich nie den richtigen Mann kennengelernt habe, der mit mir dieses Infernum managen oder zumindest in mir entfachen würde. Aber wenn Mama weiterhin so mit ihren Verkuppelungsversuchen weitermacht, wird sie früher oder später bei mir vielleicht doch noch einen Erfolg verbuchen können.

Klar fehlt es mir manchmal, in den Arm genommen zu werden oder ein bisschen auf dem Sofa zu kuscheln, aber dafür habe ich ja Schuster. Er ist sozusagen mein ›Mann für besondere Fälle‹ oder ›besondere Stunden‹. Auf mehr möchte ich mich mit ihm nicht einlassen. Ich möchte mir gar nicht vorstellen, wie seine Wohnung in echt aussieht. Einmal habe ich unfreiwillig ein Foto gesehen, weil wir abends noch ein bisschen mit Skype gespielt haben. Im Hintergrund konnte ich ein chaotisch vollgeräumtes Bücherregal mit Fußballpokalen sehen und eine Leine, auf der seine künstlerisch groß aufgezogenen Fotos zum Trocknen hingen. Aber das Allerschlimmste war die Wäschespinne mit seinen T-Shirts und Unterhosen links in der Wohnung neben dem Flatscreen und der Musikanlage. Nein, ich muss nicht in seiner Wohnung sein, um mit weiblicher Hingabe und Duftkerzen etwas aus diesem männlichen Chaos zu machen. Seine durchaus vorhandene Kreativität genieße ich bei mir zu Hause. Es passt auch so alles ganz gut zusammen.

Ich schließe mein Fahrrad an einer Laterne fest, während das Hupkonzert hinter dem Müllauto langsam an mir vorbeizieht wie eine Hochzeitsgesellschaft. Nur nicht so feierlich. Heute wartet die Beglaubigung eines Testaments auf mich und später, so gegen fünf, ein Gespräch in einer Scheidungssache.

»Es wartet schon jemand auf dich«, sagt meine Sekretärin, als ich ins Büro komme.

»Es scheint ein neuer Klient zu sein, ich habe ihn noch nie gesehen.«

»Wartet er schon lange?«

»Nein, erst eine halbe Stunde. Er trinkt einen Kaffee nach dem anderen und liest in einem Flugmagazin.«

»In einem Flugmagazin?«

»Ja, er war auf dem Gelände für die diesjährige ILA, der Internationalen Luftfahrtausstellung, um dort etwas vorzubereiten.«

»Und, was möchte er?«

»Es geht um ein Patent, eine Anmeldung für das Ausland. Er hat es gleich mitgebracht.«

»Da bin ich mal gespannt.«

»Das kannst du auch sein«, sagt sie.

»Wie meinst du das?«

»Das ist mal ein sehr interessanter Klient, nicht wie die anderen immer. Irgendwie anders eben.«

Wie anders er ist, das sehe ich sofort. Er trägt eine Pilotenjacke und abgewetzte Jeans aus den siebziger Jahren. Zufrieden sitzt er in aller Seelenruhe auf meinem Platz am Schreibtisch und blättert in seinem Magazin. Als ich eintrete, erhebt er sich sofort und entschuldigt sich:

»Sorry, dass ich auf Ihrem Platz sitze, aber da drüben auf der anderen Seite war das Licht so schlecht.« Ein kurzsichtiger Pilot, das ist doch mal eine interessante Ausrede, denke ich. Der wollte doch bestimmt nur sehen, welche Fotos ich in den Rahmen auf meinem Schreibtisch stehen habe. Unbekümmert nimmt er sein Magazin, kommt auf mich zu und reicht mir die Hand.

»Max, ich heiße Max Tepperwein.«

›Bond, James Bond‹, denke ich. Fast derselbe Tonfall, nur nicht so arrogant wie der Filmbeau. Aber immerhin hat meine Sekretärin Britta Recht, dieser Klient ist wirklich anders als die anderen.

»Worum geht es?«

»Ich habe ein Patent und möchte es gerne international anmelden. Ich bin Luftfahrer und nehme jedes Jahr an der Luftfahrtausstellung in Berlin teil. Die Vorbereitungen für die neue Messe laufen und da habe ich gesehen, dass die Konkurrenz nicht schläft. Das Patent ist in Deutschland gültig, aber es muss auch in Amerika angemeldet werden.«

»Gut, aber warum kommen sie damit ausgerechnet zu mir?« Ich bin sonst nur für Papierschlachten zuständig und nicht fürs Fliegen, ergänze ich insgeheim.

»Sie sind mir empfohlen worden«, erklärt er, »Sie haben mal einem Freund geholfen.«

»Einem Freund?«

»Ja, er ist Lufthansa-Pilot und war mit einer sehr geldgierigen Frau verheiratet. Ihr Ehevertrag hat ihn vor dem kompletten Ruin bewahrt. Federn hat er trotzdem gelassen. Jörn.«

»An den Fall erinnere ich mich genau.« Ich nicke. Jörn mit den braunen Locken und der unwiderstehlichen Stimme.

»Dann wollen wir mal. Worum geht es denn in Ihrem Patent?«

Wie ein durchgeknallter Daniel Düsentrieb sieht er nicht gerade aus, trotzdem erwarte ich etwas Kurioses. Ich werde nicht enttäuscht.

»Ich habe ein Fluggerät erfunden, eine Art Ballon. Er kann besonders lange in der Luft bleiben, und ich möchte damit die Welt umrunden.«

Klar, geht es nicht noch ein bisschen größer? Die Welt ist nicht genug – und wieder spukt mir James Bond durch den Kopf.

»Und wie haben Sie sich das vorgestellt?«

»Das geht so«, sagt er und rollt einige Skizzen aus. »Es ist ganz einfach. Ich habe alles in den Patenten beschrieben, und es ist auch schon ins Englische übersetzt worden. Es geht mir nur um die Auslandsanmeldung und darum, ob man es verstehen kann.«

»Ich bin keine Ingenieurin, ich weiß nicht, ob ich den technischen Details folgen kann.« Und das ist die Wahrheit. Um ehrlich zu sein, bin ich nicht einmal Patentanwältin.

»Gerade drum sind Sie die Richtige. Eine Patentschrift muss klar sein, auch ein Nicht-Profi muss sie halbwegs verstehen können.«

Das mit dem Nicht-Profi schmeckt mir dann doch nicht. Aber gut, erst mal anschauen. Auf den ersten Blick sehen die Skizzen wirklich verständlich aus.

»Warum wollen Sie das hier in Berlin anmelden? Sie kommen doch aus München.« Ich deute auf seine Adresse oben rechts im Briefkopf.

»Ja, das stimmt, aber wir haben hier bei Berlin ein Flugfeld. Das nutzen wir für Erprobungsflüge. Ich bin oft hier, und Sie sind mir ja, wie schon erwähnt, empfohlen worden.« Er grinst. Was soll das denn jetzt bedeuten?

»Was wollen Sie mit dem Patent machen? Wofür ist es gut? Was macht das Gerät so besonders? Es gibt doch schon so viele Fluggeräte«, gebe ich zurück.

»Mit diesen kann man länger fliegen, als mit allen anderen, und wir wollen damit um die Welt fliegen und einen neuen Weltrekord aufstellen.«

Die Welt ist nicht genug – wieder geht mir Jamie durch den Kopf. Gerührt und nicht geschüttelt.

»Einen Weltrekord! Und dafür suchen wir einen Sponsor, privat oder eine Firma.«

»International?«

»Genau, deshalb müssen wir vorher das Patent festzurren.«

»Ich brauche jetzt erst einmal einen Kaffee. Möchten Sie auch noch einen?«

»Sehr gerne, vielen Dank. Ich kann Ihnen dann gleich alles erklären. Mein Flug zurück nach München geht erst um …«

Die nächste Stunde verbringen wir über die Papiere gebeugt, und ich verfolge mit angespannter Aufmerksamkeit, was dieser Mann alles technisch zusammengestellt hat. Begeistert schildert er die ersten Versuche, die so erfolgversprechend waren. Und dass er mit seinen Studenten bereits einen Windkanaltest aufgebaut hat, der nächste Woche startet. Wenn auch diese Ergebnisse so ausfallen wie berechnet, dann steht dem Unternehmen nichts mehr im Weg.

»Außer die notwendigen Finanzen. Aber das müssten wir hinbekommen. Deshalb war ich auf der ILA, um ein paar Kontakte wieder aufzuwärmen. Vielleicht ist jemand daran interessiert, dies für sich zu nutzen.«

Ich nicke, aber wirklich überzeugt bin ich nicht.

»Es ist ein langer Weg von einer Zeichnung zum Bau«, sage ich in Gedanken.

»Ja, aber die ersten Prototypen haben wir bereits gebaut. Insgesamt sind es schon über 30.« Und seine braunen Augen strahlen mich an. Er hat seine Pilotenjacke lässig über den Stuhl geworfen und im Eifer seiner Ausführungen die Hemdsärmel hochgekrempelt. An seinem linken Handgelenk blitzt eine dicke Fliegeruhr mit geschätzten hundert Funktionen. Und ich ertappe mich dabei, dass ich überprüfe, ob er vielleicht einen Ehering trägt. Aber ich kann keinen ausmachen. Komischerweise beruhigt mich das.

»Kommen Sie uns doch mal besuchen in München«, sagt er. »Das wäre sowieso das Beste. Dann sehen Sie den Ballon in der Halle und haben ein viel besseres Verständnis davon, wie wir uns das alles vorstellen.«

»Nun, das ist schon ein größerer Aufwand. Und nur wegen der Patentanmeldung …«

»Na, ich könnte Ihnen auch gleich das Institut zeigen – und vielleicht am Nachmittag einen Bummel durch München. Kennen Sie unsere schöne Stadt?«

»Leider nicht wirklich. Ich war erst einmal da.« Soll ich ihm erzählen, dass ich nahezu nie verreise, weil ich keine Zeit habe, sondern nur arbeite oder im Büro sitze?

»Das müssen Sie ändern. Ich möchte Ihnen unser Team vorstellen. Sicherlich werden die Jungs Ihnen gefallen.«

»Nun …, ich weiß nicht.«

»Airberlin fliegt direkt nach München. Ich fliege mindestens zweimal im Monat von München nach Berlin und wieder zurück. Es ist wirklich ein Klacks. Nicht zu vergleichen mit dem, was wir noch vorhaben.« Und er zwinkert mir zu.

»Ich muss es mir überlegen. Ich habe ja auch noch andere Termine. Wann wäre denn der Windkanalversuch?«, höre ich mich sagen. Was tue ich da? Ich weiß nicht einmal, wie ein Windkanal aussieht und stelle ihn mir vor wie eine Bobrinne an einem Alpenhang.

»Nächsten Donnerstagmorgen. Wenn Sie am Mittwochabend anreisen, sind Sie am nächsten Morgen voll dabei.«

»Ich überlege es mir«, sage ich.

»Ich zähle auf Sie. Nun muss ich aber schnell zum Flughafen, sonst verpasse ich das Flugzeug.« Er greift sich seine Jacke und nestelt was aus seiner Seitentasche. Es ist ein abgewetztes ledernes Etui. Er sieht meinen Blick, deutet ihn aber falsch.

»Das Etui ist von meinem Vater, ich hänge sehr daran«, und er gibt mir verlegen seine Karte.

»Es ist wunderschön«, sage ich, und merke, dass meine rechte Gehirnhälfte gerade komplett aussetzt.

»Ich habe über etwas anderes nachgedacht, deshalb …« Er nickt. »Überlegen Sie es sich in Ruhe. Viele Fluglinien haben das Ziel München. Ich hole Sie auch vom Flughafen ab, damit Sie uns nicht suchen müssen.«

Uns? Ich hoffe, dass er sein Team meint und nicht sich und seine holländisch blonde Sekretärin für gewisse Aufgaben. Er gibt mir die Hand und drückt sie eine Sekunde zu lang.

»Mein Freund hat Recht gehabt. Sie sind die Richtige für diese Aufgabe. Ich freue mich auf die Zusammenarbeit«, und ehe ich noch zu weitläufigen Nachfragen ansetzen kann, eilt er zur Tür, öffnet sie und stürmt mit einem Kopfnicken an Britta vorbei zum Treppenausgang. Er dreht sich noch einmal um, winkt uns zu und weg ist er.

»Was war denn das?«, fragt Britta amüsiert.

»Das möchte ich auch gerne wissen. Könntest du mal die Flugverbindungen nach München checken? Nur prophylaktisch. Für den nächsten Mittwochnachmittag. Und noch nicht buchen, erst reservieren. Ich muss noch mal nachdenken.«

Britta lächelt und startet den PC. »Klar, mache ich. Business oder Economy?«

»Economy«, sage ich. »Ich brauche mal einen freien Tag für mich. Ohne Business.«

Abends sitze ich am Kamin auf meinem Lieblingssessel und lese in einem Buch über die hundert größten Erfindungen der Menschheit, das ich in der alten Bibliothek von Pa gefunden habe. Ich muss schließlich im Bilde sein, wenn ich mit Max über seine Technik rede. Ich weiß zwar noch nicht, wie mir das Wissen über die Funktion einer Glühbirne weiterhilft, zumal wir gerade die Beleuchtung in der Kanzlei auf Halogen und LED umstellen, aber man weiß nie. Plötzlich klingelt mein Handy. Mein Herz macht einen seltsamen Ruck. Es ist aber nur eine SMS von Schuster. Was habe ich denn sonst erwartet?

»Wann und wo? :-)«, schreibt er mir. Sehr witzig. Wie wäre es mit einem netten Gruß zum Abend? Er will nur wissen, wann die Eröffnung des Nobelösterreichers stattfindet. Ich simse genauso unhöflich zurück: »Ohne dich am Donnerstagabend, Querstraße zum Markt.« Mehr simse ich nicht, Strafe muss sein. Doch für Schuster ist das schon genug. Zufrieden setzt er sich an seinen PC, googelt den Straßenplan von Berlin und am nächsten Morgen steht er mitten in den Renovierungsarbeiten des Restaurants und spricht mit dem Chef des Hauses. Für Schuster sind Markttage und Begegnungen mit Mama und mir immer sehr lukrativ.

Der schöne Rudolf und andere Saubermänner

»Was steht heute an?«, fragt Ma und sieht erwartungsvoll von ihrer Berliner Morgenzeitung auf.

»Nichts Besonderes, nehme ich mal an«, kommt es zwischen Toastbrot und Himbeermarmelade aus meiner Richtung.

»Da irrst du dich, Mausespeck!«

Super, wenn sie mich Mausespeck nennt, dann hat das nie etwas Gutes zu bedeuten.

»Heute ist die große Eröffnung im Opernpalais, der neue Dirigent stellt sich vor – und du bist mit dabei.«

»Ich? Wieso ich?«

»Weil ich den schönen Rudolf auch mit eingeladen habe, und er ganz sehnsüchtig darauf wartet, dich wiederzusehen.«

Der schöne Rudolf, na prima. Ein tatsächlich ausnehmend gut aussehender und nobler Mann. Hanseat durch und durch, und er würde es nie wagen, mir auch nur einen Schritt näher zu kommen, als zuvor mit meiner Mutter abgesprochen. Er wäre der perfekte Mann für mich, meint Mama. Seine Kanzlei ist in etwa dreimal so groß wie meine, und auch sonst würden wir uns weit über das Fachliche hinaus ergänzen. Ich finde ihn wunderbar antiquiert. Kein Mann hat mir jemals so viele rote Rosen geschenkt wie er. Sie kommen wöchentlich. Der eine Strauß ist noch nicht verwelkt, da kommt schon der nächste ins Büro. Wir stellen sie auf den Empfangstresen. Sie unterscheiden sich nur an der Blütengröße, was saisonal bedingt ist. Rot sind sie alle. Rudolf wäre perfekt für mich. Mit seinen grauen Schläfen und den dunkelblauen Blazern mit akkurat aufgereihten Goldknöpfen ist er nie zu übersehen. Bei jeder Veranstaltung, an der wir teilnehmen recken die Frauen die Hälse nach ihm. Trotzdem. Irgendwie wird das nichts zwischen uns beiden. Vielleicht, weil Rudolf schon etwas älter ist? Er liebt jüngere Frauen, sagt er und war schon dreimal verheiratet. Vermutlich, wenn seine Frauen ihm zu alt wurden, hat er sich wieder getrennt.

»Für mich wäre er zu alt«, sagt meine Mutter. »Aber du weißt ja, ich brauche jüngere Männer, um meine Kreativität zu erhalten.«

Ja, Mama, ich weiß. Deine Aquarellmalerei wäre längst nicht mehr so farbenfroh, wenn du jeden Tag Wäsche waschen, Geschirrspüler ausräumen, Geranien pflegen und einkaufen gehen müsstest. Du hast großes Glück, als Dame geboren worden zu sein. Und als Operndiva hattest du auch deine entsprechenden Erfolge. Du bist eine lustige Witwe durch und durch. Ich bin zwar nicht die graue Maus in unserer Familie, aber mithalten kann ich mit dir nicht. Meine musikalische Laufbahn beschränkte sich auf die dritte Stimme im Schulchor. Dann war Schluss. Und heute folgt also ein musikalischer Abend mit Rudolf. Andererseits ist Rudolf Patentanwalt. Vielleicht kann er mir genau die Anmeldung durchführen, die ich ausnahmsweise mal angenommen habe?

»Was wird denn gespielt?«, frage ich und gieße mir möglichst lässig Kaffee nach. Vielleicht habe ich die Gelegenheit, heute Mittag schnell in meinem Opernführer die Inhaltsangabe nachzulesen? Sonst verstehe ich von dem Geschehen auf der Bühne wieder gar nichts.

»La Traviata. Und ich bin sicher, es gefällt dir. Wir haben Logenplätze.«

»Was sonst. Hattest du jemals andere?«

»Kind, sei nicht so ironisch. Davon wird man alt. Genieße den Abend und mach dich hübsch. Und komm nicht wieder zu spät aus deiner Kanzlei. Ich möchte vorher mit dir und Rudolf noch ein Schampönchen im Blauen Salon trinken.«

Ich lege das Buttermesser beiseite und wische die Mohnkrümel von der Tischdecke.

»Kannst du mich nicht einmal fragen, ob ich überhaupt mit will?«

»Doch, aber du würdest absagen. Außerdem arbeitest du zuviel. Einer muss dich ja von Zeit zu Zeit hinter deinen Akten hervorziehen. Sonst verstaubst du mir da noch.«

»Ganz sicher nicht.« Ich stehe auf. »So, nun muss ich aber los. Bis heute Abend, Ma,« sage ich und drücke ihr einen Kuss auf die Stirn.

»Bis heute Abend. Ich freue mich drauf!«

»Ich auch«, und schon bin ich zur Tür raus. Natürlich könnte man sich wundern, warum ich mit 39 noch bei Mama wohne. Oder wieder. Aber nachdem meine langjährige Beziehung mit Mike abrupt endete, weil sich mein ER plötzlich für Miss Amsterdam entschieden hatte und inzwischen drei kleine Neu-Holländer durch die Grachten schaukelt, ist mir nicht nach Männern. Von ein paar Affären, die mir nicht das Herz kosten oder brechen, mal abgesehen. Ich habe nicht einen Mann, sondern vier. Schuster, den Mann für alle Sehnsuchtsanfälle. Den hanseatischen Rudolf fürs öffentliche Parkett und um Mama zu beruhigen. Peter, meinen Barmann und Autoreparateur, der meine Stimmung oder meinen Oldtimer wieder aufpoliert. Und Potpourri, den Schneider von Mamas Abendroben und spezialisiert auf das Kaschieren meines Hüftgoldes. Dieses Arrangement lässt mich ruhig schlafen und bringt mich nicht durcheinander. Dazu ein strukturierter Job und ab und zu gut vorgeplante Feste unter Freunden in unserer alten Villa am See, das ist durchaus auszuhalten. Es gibt schlimmere Tage und schlimmere Leben.

Männerträume in der Mittagspause

Ich stehe also in dieser Kassenschlange bei Kaisers und warte darauf, dass ich meinen grünen Salat in der Plastikschüssel, ein Bund Biomöhren und eine Dose Energy Drink aufs Band packen darf. Ich bin in Gedanken und träume vor mich hin. Endlich lege ich alles ab und betrachte die verführerischen Süßwaren in Kassennähe. Quengelware für die Kleinkinder, aber auch für große Kinder durchaus verlockend. Wie wäre es mit einem Mars King Size? Mir läuft das Wasser im Mund zusammen. Ein Twix wäre auch wünschenswerter als ein Bund Biomöhren. Als ich nach dem Bounty Dreierriegel greifen will, spricht mich plötzlich eine Stimme von hinten aus der Kassenschlange an.

»Sind die echt?«

»Wer? Ach, die Fingernägel, ja die sind echt.« Diese Frage kenne ich schon, die ist nicht neu. Bei meinen roten Krallen höre ich die öfter. Erschreckt ziehe ich die Hand zurück. Ade Bounty.

»Wie machen Sie das?«

»Was?«

»Dass die so lang werden. Meine brechen immer ab.«

Und treuherzig zeigt mir ein fremder Mann hinter mir in der Kassenschlange seine Hand. Eine breite Männerhand. Ich nicke. Da ist nageltechnisch wirklich nicht viel zu machen. Aber warum auch? Wozu will der lange Fingernägel haben? Ist er Edward mit den Scherenhänden?

»Gutes Erbe von Mama«, sage ich stattdessen zu Edward. Und ärgere mich im gleichen Moment über den Satz. Immerhin etwas Gutes, wenn man bedenkt, dass sie ansonsten eine Nervensäge sein kann.

»Und wie pflegen Sie die?«

»Mit Niveacreme«, sage ich. Was leider sehr unglamourös klingt, aber stimmt. Dieser Mann ist eindeutig an irgendetwas interessiert. Ein Fingernagelfetischist? Ich sehe ihn mir näher an. Ich scanne ihn, sagt Desiree dazu. Leinenblazer, Jeans, Sneakers, ein rundliches und freundliches Gesicht mit Brille und kein Ehering an der Hand. Immerhin. Erstmal nicht durchs grobe erste Sieb potentieller Kandidaten gefallen.

»Sie sind Künstlerin«, sagt er wieder.

»Künstlerin. Sieht man das?« Ich und Künstlerin? Wie komme ich bloß aus dieser Nummer wieder raus? Diva Mama vertritt in unserer Familie den musischen Part, nicht unbedingt ich als Juristin für ausweglose Papierberge.

»Und Sie? Sie sind auch Künstler?«

»Lebenskünstler«, sagt er und räumt seine Supermarktbeute aufs Band. Eine große Ingwerwurzel fällt mir ins Auge. Das ist wohl ein Gourmet, und ich schäme mich etwas über meinen unbiologischen, nicht Co2-neutralen Plastikschüsselsalat mit eingeklebter Gabel im Deckel.

»Und was machen Sie so?«

»Ich habe alles im Leben erreicht«, sagt er, »was ein Mann erreichen kann. Ein Haus gebaut, einen Sohn gezeugt …«

»Einen Baum gepflanzt …«, falle ich ihm ins Wort.

»Auch das«, sagt er und räumt weiter seine ausgewählten Lebensmittel aufs Band. Er scheint ein exquisites Abendessen vorzubereiten.

»Aber es gibt etwas, was Sie noch nicht gemacht haben«, trällere ich in voller Lautstärke. »Sie sind noch nie um die Welt geflogen.«

»Warum sollte ich?«, fragt er ratlos. »Was soll ich da?«

Ich denke an dieses wahnwitzige Projekt, das Max vorhat und wundere mich über mich selber, dass mir das an einer Supermarktkasse einfällt. Abenteuer und Leidenschaft bei Kaisers. Gourmet Edward sieht mich sprachlos an, was ich verstehen kann. Er hält mich wahrscheinlich für eine durchgeknallte Performance-Künstlerin.

»Warten sie auf jemanden?«, fragt er vorsichtig. Bei so einer wie mir weiß man anscheinend nicht, ob man plötzlich Teil einer Supermarkt-Performance wird.

»Ja, auf meine Freundin, die steht da hinten.« Und Desiree lässt es sich nicht nehmen, im richtigen Moment mit einer Flasche Weißwein zu uns herüberzuwinken. Klasse, jetzt halten uns alle hier für zwei verzweifelte Nachmittagstrinkerinnen. Andererseits, nicht ganz falsch, diese Annahme.

»Dann können wir uns leider gar nicht weiter unterhalten«, sagt er, nimmt seinen prall gefüllten Einkaufsbeutel und geht. Super, das habe ich wieder toll gemacht. 1 A! Liz: 10 Points. Verstört stelle ich mich vor den Supermarkt, frische Luft schnappen und meine Pleite ausdünsten. In Italien wäre ein solches Gespräch in einem Geschäft beim Einkaufen völlig normal und man würde nichts voneinander erwarten. Man erzählt einem Fremden im Bus seine ganze Lebensgeschichte und die seiner Töchter, steigt am Bahnhof Termini aus und das war es dann. Aber in Deutschland hat es ein teutonischer Mann tatsächlich mal gewagt, mich anzusprechen, und ich habe es wieder vermasselt und nicht mal ein weiteres Gespräch oder gar eine Telefonnummer daraus herleiten können. Ich bin völlig aus der Übung.

»Na, das sah ja nach einem netten Gespräch aus«, empfängt mich Desiree, in der Hand ihre Flasche Weißwein und einen Beutel Salatzwiebeln.

»Na, nicht ganz«, erwidere ich, und während wir zu ihrer Galerie gehen, trinke ich den Energy Drink, den ich bitter nötig habe. Es wird Zeit für eine Sitzung unter Freundinnen vor der nächsten amtlichen Beglaubigung und dem Opernabend mit dem aparten Rudolf.

Wir schließen die kleine Galerie in einer Seitenstraße auf und schieben gemeinsam das schwere Rollgitter zur Seite. Desiree hat geniale Arbeitszeiten. Halbtags von 12 bis 19.00 Uhr. Oft versitzen wir meine ganze Mittagspause in ihrer Galerie. Vor 14.00 Uhr kommen meist sowieso keine Interessenten zu ihr und den Anrufbeantworter mit möglichen Kundenanrufen kann sie auch abhören, wenn ich wieder in meine Kanzlei abwandere.

Wir nehmen uns aus der Spüle zwei Weingläser, die von vorgestern Abend und der Vernissage noch dastehen und waschen sie kurz aus.

»Die anderen Gläser mache ich nachher. Unsere Pause ist jetzt wichtiger.«

Pause, wovon?, möchte ich sie am liebsten fragen, aber manchmal muss man ja schon belohnt werden, weil man überhaupt zur Arbeit erschienen ist. Eine morgendliche Verleihung des Tag-der-Arbeit-Ordens zeichnet Desiree dann aus. Vermutlich hat es so etwas sogar in der ehemaligen Sowjetzone gegeben. Sich jeden Morgen zur gleichen Zeit aus dem warmen Bett zu schälen, sich gesellschaftsfähig herzurichten, indem man sich wäscht, kämmt, sauber anzieht, einparfümiert, und pünktlich oder nahezu pünktlich zum Job zu fahren und diesen dann neun Stunden lang klaglos durchzustehen, das finde ich, ist belohnenswert. Ganz klar.

»Denkst du wieder über deinen Orden nach?«, fragt Desiree. »Ich sehe dir das immer an. Wenn du so begeistert guckst, dann denkst du über die Arbeit nach«, und sie entkorkt mit Schwung die Weißweinflasche.

»Ja, ich denke darüber nach und auch, warum manche Dinge so kommen wie sie kommen.«

»Was ist los? Wieder ein Besuch von Rudolf? Küss ihn doch endlich, dann weißt du, ob er dir gefällt.«

»Ich küsse Rudolf nicht.«

»Warum nicht? Es gibt genug Frauen in Berlin, die sich genau das wünschen.«

»Ich nicht.«

»Schade. Er sieht gut aus, hat Manieren, einen guten Job …, einfach ein Traummann.«

»Dann nimm du ihn doch!«, maule ich und halte ihr mein Glas hin.

»Mich will er nicht. Ich bin ihm zu alt. Außerdem sind Freunde von Freundinnen tabu.«

Ich horche auf. »Gefällt er dir etwa?«

»Nun ja, wenn du mich so fragst. Natürlich gefällt er mir. Welche Frau findet ihn nicht attraktiv?«

»Das stimmt. Er ist wirklich ein Klasse-Mann.«

»Aber?«

»Ich liebe ihn nicht.«

»Dann wird das nichts. Da hast du Recht. Liebe muss sein. Ohne geht das gar nicht gut. Prost! Darauf stoßen wir jetzt erst einmal an.«

»Es ist wegen Ma und ihrer unmöglichen Verkupplungsversuche. Ich komme mir vor wie im Mittelalter, als die Familie den Mann für eine Frau ausgesucht hat. Das kann ich auch alleine! Alt genug, mir einen Partner zu suchen, bin ich ja wohl.«

»Wenn ich mich richtig erinnere, hast du Rudolf aufgetan. Und zwar bei einer Oldtimershow, als wir dein neues Auto ausgesucht haben. War er es nicht, der uns am Bentley-Stand auf eine Spritztour mit seinem Wagen eingeladen hat?«

Mhhh, leider hat sie Recht. Rudolf habe ich mir selber zuzuschreiben.

»Ja, aber Mama hat daraus gleich eine Staatsaktion gemacht. Mit Picknick in unserem Garten und Barbecue am Abend. Das war ihre Idee.«

»Auf die er und du gerne eingegangen seid.«

»Ich wollte ihn doch kennenlernen. Auf welcher Seite stehst du eigentlich?«

»Auf deiner. Ich möchte dich nur daran erinnern, dass du nicht alles auf deine Mutter schieben kannst. Für manche Dinge bist du einfach selbst verantwortlich. Auch wenn ihr zwei eine tolle WG habt, um die ich euch wirklich beneide.«

»Du beneidest mich darum, dass ich bei Mama wohne?«

»Nein, darum, dass ihr euch noch so gut versteht. Meine Eltern sind ja schon lange tot. Da fehlt schon etwas. Das merkst du erst später.«

Toll, diese Mittagspause baut mich total auf, und ich nehme noch einen großen Schluck aus meinem Weinglas.

»Wie sollte er denn sein, der Mann, den du dir vorstellst?«

»Es ist leichter herauszufinden, wie er nicht sein soll«, antworte ich und schaukle bedenklich mit ihrem Galeriestuhl.

»Lernen wir die falschen Männer kennen?«, fragt sie.

»Mmmmh, woher kommen unsere Vorstellungen von ihnen? Sind es unsere Erwartungen oder Wünsche oder Erfahrungen? Haben wir als Jugendliche zu viele Western oder James Bond Filme gesehen? Müssen sie für uns entweder Held oder Macho sein, Gentleman oder Familienvater? Was denn nun?«

»Wenn wir jung sind, dann interessieren sie uns nicht. Dann kommt die Zeit der Pubertät und wir denken, wir müssten unbedingt einen kennen lernen oder ›abbekommen‹. Bis wir erkennen, nach einigen Erfahrungen und Tiefschlägen, dass Frau sie nicht braucht, um glücklich zu sein.«

Ich nicke. Die Erfahrungen hat jede Frau gemacht.

»Tja und dann haben wir wieder die Art von Frauenästhetik, die nur Frauen um sich herum schaffen können. Wie unsere Sonntage unter Freundinnen in weiten Sweat Shirts und gemütlichen Socken, zwischen Kühlschrank und Sofa hin- und herpendeln, erzählen, lesen, etwas nachdenken. Und irgendwo brennt immer eine Kerze, und es ist gemütlich.«

»Während Männer an einem heißen Julitag bei geschlossenen Rollläden vor der Glotze sitzen und Formel 1 gucken können.« Wir lachen. Männer und Frauen sind doch immer wieder beliebte Studienobjekte.

»Müssen wir uns einen Traummann backen?«

»Wir sind doch intelligent, sehen ganz passabel aus, verdienen unser eigenes Geld und sind auch sonst vorzeigbar. Warum haben wir dann kein Glück?«

»Tja, warum sitzen wir nicht einfach mal in einem Pferdeschlitten und fahren durch das winterliche St. Moritz zum White Turf mit einem netten Mann an unserer Seite? Das Schlittenglöckchen klingelt, die Skier warten auf ihren Einsatz, es schneit dicke Flocken, die Sonne glitzert auf dem frischen Schnee, ach, das muss schön sein!«

»Wo lebst du denn? Das ist total kitschig!«, sage ich.

»Wieso? Das gibt es nicht nur in Heimatfilmen, sondern auch heute noch. Leider sitzen meistens sehr, sehr alte Männer in diesen Schlitten.«

»Und mit sehr, sehr jungen operierten Frauen«, grummele ich missmutig hinterher.

»So kommen wir mit dir nicht weiter, also wie soll er sein?«

»Gepflegt, aufmerksam, …«

»Und mit einem geregelten Einkommen! Das ist Pflicht«, unterbricht sie mich.

»Das ist Pflicht«, nicke ich.

»Und sonst so?«

Ich denke an Max. Was fasziniert mich bloß an ihm so, dass ich bei diesem Gespräch an ihn denke?

»Er soll eine Idee haben, ein Ziel, für das er sich einsetzt. Für das er lebt und brennt. Er muss aktiv sein, und ruhig mal anders sein als die anderen.«

Desiree sieht mich nachdenklich an.

»Wen hast du denn kennengelernt? Seit wann stehst du auf Abenteurer?«

»Tue ich doch gar nicht.« Warum treffen Freundinnen immer ins Schwarze? Kann man das nicht wie eine Option bei facebook einfach ausklicken? Freundin darf nicht ins Ziel treffen. Klick. Aus.

»Ich? Wieso ich?« Erstmal Zeit gewinnen.

»Du, wer denn sonst?«, kontert Desiree mit unserer Standardantwort aus der Schulzeit auf die dümmste Zeitgewinnfrage der Welt.

»Ein Mandant. Es ist kompliziert zu erklären.«

»Aha, dann fang mal an. Wir haben noch 37 Minuten.«

»Es gibt nichts zu erzählen«, sage ich und fasse kurz unsere erste Begegnung zusammen und schließe ab: »Die Frage ist jetzt, ob ich nächsten Mittwoch nach München fliege oder nicht.«

»Das ist doch völlig klar. Natürlich fliegst du hin. Du schaust dir doch nur alles an. Rein beruflich, natürlich. Daran ist nichts auszusetzen. Im Gegenteil. Du lernst ihn besser kennen und seine Heimatstadt auch. Was soll daran falsch sein?«

»Ich bin unsicher.«

»Du? So ein Quatsch! Du hast bloß Angst davor, dass er dir besser gefallen könnte als gedacht.«

»Oder gar nicht.«

»Wenn nicht, dann ist das auch eine Erkenntnis. Dann bleibt es beim reinen Mandanten-Dasein, was auch eine Lösung ist. Ansonsten wird es schwierig, aber das ist bei dir ja nicht das erste Mal.«

»Was meinst du?«

»Ich denke da an Schuster.«

»Ach, der.«

»Ja, der. Ich glaube, über diese Beziehung musst du auch mal gelegentlich nachdenken und was klarstellen …«

»Nicht jetzt«, sage ich.

»Na gut, dann erzähle ich dir später, was ich über ihn gehört habe.«

»Okay, das interessiert mich im Moment wirklich nicht.«

Sie schüttelt den Kopf.

»Also, flieg hin. Meinetwegen nimm mich mit, dann halte ich vor dem Treffen noch dein Händchen.«

Wir lachen laut los. Eine groteske Vorstellung, aber durchaus amüsant. Die Galerietür geht auf und ein junges Pärchen kommt rein.

»Guten Tag, wir waren vorgestern Abend auf der Vernissage. Uns gefällt die Komposition in Gelb so gut. Ist die noch da?«

»So, dann muss ich wohl«, sagt Desiree leise zu mir. »Bleib ruhig noch ein wenig sitzen.« Und während sie die beiden höflich begrüßt und durch die Galerie führt, beobachte ich sie. So, so, Desiree findet also meinen Rudolf gut. Mmmmm. Darüber muss ich nachdenken. Vielleicht sollte ich ihn mir heute Abend doch noch mal genauer anschauen?

»Du, Desiree, ich gehe los, ich sollte mir noch etwas vor meinem nächsten Termin durchlesen.«

»Alles klar«, ruft sie zurück. »Halte mich auf dem Laufenden«, und wirft mir eine Kusshand zu. Ich flitze aus der Galerietür. Mir bleiben noch genau 11 Minuten um nachzulesen, worum es in dieser Oper heute Abend eigentlich geht.

Der Rosenkavalier

Während ich mein Auto in der Einfahrt vor unserem Haus parke, kommt mir Potpourri entgegen. Er trägt einen Berg Stoffballen über dem rechten Arm und balanciert unter dem linken eine große Schneiderpuppe. Ich laufe ihm entgegen und erreiche ihn gerade noch rechtzeitig, bevor ihm die weißen Stoffballen auf unseren sandigen Kiesweg fallen.

»Was machst du denn schon hier?«, fragt er mich.

»Na, das ist ja auch eine Begrüßung. Heute bin ich mal früher dran, denn wir haben nachher noch etwas vor«, erkläre ich.

»Ich weiß«, sagt er verschmitzt und schließt einhändig seinen Kofferraum auf.

»Und du, hast du wieder Mamas Roben angepasst?«

»Ja, ähem, genau. Sie braucht ja immer was Neues«, und schon verstaut er die Stoffballen geschickt zwischen Kästen mit Knöpfen und Bergen von weißem Tüll.

»Danke«, sagt er und nimmt mir die Schneiderpuppe ohne Kopf ab. »Die brauch ich später noch, ich fang dann gleich mal an. Habe ja diesmal wenig Zeit, das Kleid fertig zu bekommen.«

»Ja, bei Mama ist es irgendwie immer eilig.«

»Ähh, tja, du sagst es.« Und schon drückt er mir zwei Küsschen rechts und links auf die Wange und setzt sich hinter das Steuer seines Vans.

»Ciao, meine Liebe, du siehst wieder umwerfend aus. Hast du abgenommen?«

Ich abgenommen? Ohne eine Antwort abzuwarten schließt er die Tür und fährt rückwärts in die Buchsbaumhecke. Knicks. Vorwärtsgang – und schon ist Potpourri verschwunden. Ich gehe zu dem hundertjährigen Buchsbaum und richte seine Zweige. Noch mal gut gegangen, alter Knabe, murmle ich. Hat dich nur ein paar Äste gekostet.

»Mit wem sprichst du denn?«, sagt eine bekannte Stimme hinter mir. Ich drehe mich um und sehe in Rudolfs blaue Augen. Natürlich hat er wieder einen formvollendeten Rosenstrauß dabei. Diesmal allerdings kürzer gebunden und die Rosen sind seltsamerweise weiß. Sollte er es endlich aufgeben? Ausgerechnet dann, wenn Desiree mir empfohlen hat, ihn mir mal näher anzusehen. Auch gut, das erspart mir einige Komplikationen.

»Ich? Ich habe da nur was festgestellt«, antworte ich verlegen.

»Der Buchsbaum hat es überstanden? Potpourri fährt ihn jedes Mal an, es ist ein Wunder, dass er nicht schon ganz gelb ist.«

»Wir könnten doch mal einen Findling neben den Baum stellen, dann gurkt Potpourri dagegen. Ich meine, er fährt dagegen.«

Rudolf schmunzelt. Wahrscheinlich hat mich meine Ausdrucksweise in seiner Wahrnehmung gleich um zehn Jahre jünger gemacht und umso attraktiver für ihn.

»Gute Idee.« Er legt den Strauß auf die Motorhaube meines Autos und rollt doch tatsächlich vom Steingarten einen großen Findling herüber. Wie eine Schneekugel, nur eben aus Stein.

»Passt perfekt«, lache ich. »Genau unter den Ast rollen. So.« Toll, der Mann bewegt ganze Steingärten für mich!

»Und wenn Potpourri nächste Woche wieder rückwärts fährt ist zumindest der arme Baum sicher.«

»Was macht ihr denn da?«

Mamas Stimme schallt vom Wintergartenbalkon zu uns herunter. Sie lehnt sich bedenklich weit über die Brüstung und in ihrem nicht zu übersehenden Dekollete baumelt Omas Medaillon. Das ist ihr Glücksbringer für besondere Gelegenheiten. Es scheint ein großer Abend zu werden.

»Ist was passiert? Sucht ihr was?«, ruft sie.

»Nicht direkt«, antworte ich und gucke auf Rudolfs lehmige, manikürte Hände. Ich habe ihn noch nie angeschmutzt gesehen. Er ist immer so perfekt. Angelehmt gefällt er mir irgendwie besser. Menschlicher und nicht so steif. Aber was soll’s, ist ja jetzt sowieso egal. Heute gibt es nur noch weiße Rosen.

»Gehen wir rein? Ich muss mich noch umziehen.«

»Gerne, ich nehme dann mal so lange noch die Blumen.« Wie peinlich, die hatte ich glatt auf der Motorhaube vergessen.

Clarence, unser Hausmann für alle Fälle, öffnet die Haustür und verneigt sich. Auch er in vollem Ornat in englischer Butlerweste und Kneifer im Auge. Donnerwetter, habe ich wieder einmal einen Geburtstag verpasst?

»Clari?«, flöte ich ihm leise ins Ohr. »Liegt hier was in der Luft?«

Er nickt unmerklich. »Ja, aber was, kann ich dir nicht verraten, Liz.« Clari ist schon bei uns, seit meine Schwester und ich noch im Kinderwagen gelegen haben. Damals war er schon alt. Heute müsste er geschätzte 150 Jahre sein, was natürlich nicht stimmt. Er ist einfach noch bei uns, weil er nirgendwo anders hin kann und wir ihn in die Familie integriert haben. Ohne ihn geht es nicht, und für ihn geht es nicht ohne uns. Zwar ist er nicht mehr so flink wie in jungen Jahren (wenn er jemals flink war), aber seine Empfangsdienste und förmlichen Anmeldungen lässt er sich nicht nehmen. Einerseits ist es auch gut so. Als ich in meiner wilden Pubertät meist erst im Morgengrauen nach Hause kam und Mama noch eines ihrer großen Feste feierte, ließ er mich wortlos rein, ohne zu verraten, wann ich nach Hause gekommen war. Dafür habe ich nie verraten, dass hinter dem rechten roten Samtvorhang neben der alten Ritterrüstung eine Flasche bester Whisky versteckt ist – für besondere Gelegenheiten oder lang dauernde Empfänge. Ich habe die Flasche mal beim Versteckspiel mit meiner Schwester entdeckt. Sie steht noch immer da. Also nicht dieselbe, sondern immer wieder eine neue, was ich an den wechselnden Jahreszahlen auf dem Etikett erkennen kann.

Auch dieses Mal plaudert Clari nichts aus. Da ist nichts zu machen.

»Möchten sie sich kurz frisch machen?«, höre ich ihn den lehmigen Rudolf fragen. Die beiden verschwinden im Seitentrakt. Sehr gut, die bin ich erstmal los. Ich nehme zwei Treppenstufen auf einmal und haste in mein Zimmer. Beziehungsweise in meine beiden Zimmer, denn seit meine Schwester ausgezogen ist, habe ich auch ihr Domizil übernommen. Wir haben eine Verbindungstür zwischen den Zimmern, was immer sehr lustig war, weil wir abends heimlich zusammen in einem Bett lagen und uns Geschichten erzählt haben. Ich denke oft an sie und wüsste gerne, wo sie ist. Von einem Abenteuerurlaub in Australien ist sie nie zurückgekehrt, seit vielen Jahren ist sie vermisst. Vielleicht hängt Mama deshalb so an mir. Und wahrscheinlich traue ich mich auch deshalb nach der Trennung von Mike nur noch bis zu meiner Kanzlei und wieder zurück. Es gibt Nächte, da träume ich von ihr und sie liegt sonnengebräunt am australischen Strand neben einem Surfer und schaut auf die Wellen. In meinen Alpträumen liegt sie in einer Felsspalte und kann nur noch an ihrem zerfledderten Reisepass identifiziert werden. Es ist ein Horror nicht zu wissen, wo sie ist. Aber ich hoffe jeden Tag, dass sie eines Tages wieder zu uns findet. Sie weiß ja, wo wir sind. Auch deshalb würden wir nie von hier weggehen.

In ihrem Zimmer habe ich mir einen begehbaren Schrank eingerichtet. So einen, von dem die Girls in ›Sex and the city‹ immer träumen. Rechts habe ich mit Clari ein beleuchtetes Schuhregal zusammengenagelt und dahinter schiebt man eine Wand zur Seite und sieht fein säuberlich gestapelt meine Pullis, Hosen und Handtaschen. Da das Regal für die Hüte seit Jahren leer ist (und leer bleiben wird, ich schwöre!), habe ich stattdessen die Blumenvasen dort untergebracht. Nicht ganz passend, aber beleuchtet sehr dekorativ. Und genau daneben hängen dicht an dicht meine Kanzleianzüge und ungefähr dreißig verschiedene Kleider, die Potpourri im Laufe seines Schneiderlebens für mich zusammengeschneidert hat. Ganz kleine in hellrosa als ich noch mit Schleife im Haar durch den Garten geflitzt bin. Und lange schwarze mit Schlitz an der Seite für die erwachseneren Jahre. Manche sind noch ungetragen, weil sie aus einer Laune meiner Mama heraus entstanden sind und mir inzwischen vermutlich viel zu klein geworden sind. Ich sitze eben zuviel am Schreibtisch und mache zu wenig Sport.

»Kind, du brauchst mal wieder was zum Anziehen«, höre ich hinter mir.

»Alles prima, es reicht noch bis ins nächste Jahrzehnt.«

»Nein, ich meine ein ordentliches Kleid. Und heb’ doch nicht immer diese grauen Anzüge aus der Kanzlei auf. Du könntest doch auch mal was in Creme tragen?« Ich kriege ein Kratzen im Hals.

»Creme? Mama, wer trägt denn heutzutage so eine Farbe? Niemand. Ich habe mir stattdessen einen Anzug in …«, ich zögere, ihn aus der Papiertüte zu ziehen, obwohl er mir in meiner Mittagspause an der Schaufensterpupe noch sehr gut gefallen hat, »in Orange gekauft?«

»Was hast du?«

»Ja, das ist eine Farbe, die wirkt immer. Das muss mal sein.«

»Du hattest noch nie etwas in Orange.«

»Nun, dann wurde es eben Zeit.« Und ich suche einen Bügel, um das neue Teil entsprechend zu präsentieren.

»Wo hast du das denn her? Trägt nicht die Berliner Müllabfuhr Orange?« Mama, das ist der unpassendste Kommentar zu meinem neuen Teil!

»Von COS. Das trägt man so. Color Blocking. Das passt zu Desirees Vernissagen und auch mal ins Büro. Und den Gürtel trägt man über der Anzugjacke. So!« Und ich binde mir in Ermangelung eines greifbaren Gürtels den hellblauen Frotteegürtel von meinem Bademantel über den Nadelstreifenblazer und drehe mich vor dem Spiegel. Clari steht in der Tür und hüstelt.

»Meine Damen, der Champagner ist gekühlt.«

»Wir kommen«, ruft es ihm sachlich entgegen. Er hat uns schon in verfänglicheren Positionen überrascht, das ist seine Spezialität. Lautlos anschleichen und dann hüsteln. Aber nach fast vierzig Jahren kann er mich mit diesem Trick nicht mehr aus der Ruhe bringen.

»Was ziehst du heute Abend an?«, fragt Ma mich noch im Weggehen.

»Den neuen Anzug?« Es war als Witz gemeint.

»Wie wäre es mit einem Abendkleid? Es ist ein besonderer Abend.«

Das ist es, denke ich. Und nicht nur, weil der neue Dirigent auftaucht. Will Mama etwa wieder versuchen, mich an den Mann zu bringen? Hoffentlich hat der Dirigent keine graue Mähne wie der Bobtail der Nachbarn und ist nicht so klein wie unser Schulchorleiter, der immer auf einer Kiste stehend den Chor befehligte. Für mich ist es auch ein besonderer Abend, es gibt was zu feiern. Heute habe ich tatsächlich beschlossen, nach München zu fliegen, und habe Britta noch schnell vorm Weggehen gebeten, für mich die Flüge zu buchen. Soviel Mut hat der orangefarbene Anzug ausgestrahlt und gipfelt heute Abend in einem rückenfreien Abendkleid. Dank Potpourri sehe ich nicht aus wie eine Bockwurst, weil er vor den entsprechenden Problemzonen einen Wasserfallkragen geschneidert hat. Nur der Rücken ist schön schlank (bei wem eigentlich nicht?) und den betont der Ausschnitt. Tja, ein guter Schneider ist das halbe Leben, sagt Mama immer. Als ich mich im Spiegel ansehe, kann ich dem zustimmen. Bin mal gespannt, ob Rudolfs sonst so kühle blaue Augen auch glühen können.

»Und kein Tüll, habe ich ihm noch gesagt. Das ist nur etwas für eine Ballerina«, höre ich Ma noch sagen, als ich in den Salon komme.

»Da bin ich«, sage ich, völlig überflüssigerweise, denn das sieht ja sowieso jeder Anwesende. Clari gießt mir sofort ein Schlückchen Champagner ein, und wir prosten uns zu.

»Auf einen gelungenen Abend«, sagt Rudolf und sieht bewundernd an meinem Wasserfallkragenensemble herunter. Irgendwo darunter ist meine Figur begraben, aber das soll auch so sein. Als ich mich kunstvoll umdrehe, um meine Champagnerflöte abzustellen, spüre ich seine Blicke in meinem nackten Rücken. Ja, ich wette, jetzt glühen selbst seine blauen Augen, und ich höre wie Clari leise hüstelt. In diesem Fall unser geheimes Zeichen für 100 Prozent Aufmerksamkeit und einen gelungenen Auftritt.

Der Opernabend wäre nicht weiter erwähnenswert, wenn nicht tatsächlich noch in der Pause der Dirigent auf uns zuschwebt und sich mit Mama und Rudolf unterhält. Er hält Rudolf versehentlich für ihren Begleiter und so steht es auch in der Fotounterschrift, die morgen früh in der Berliner Zeitung im Bericht zur Premierenfeier abgedruckt sein wird. Ich folge dem Gespräch nur beiläufig und nehme mir die Zeit, meine SMS zu checken.

Flug gebucht :-) , wo willst du übernachten? LG Britta

Eine gute Frage. Natürlich im Hotel. Welches das richtige ist, das werde ich morgen Max einfach telefonisch fragen. Ich habe da sowieso noch ein paar Nachfragen über sein Patent. Einige Fachausdrücke, die wir überprüft haben, findet Britta nicht im Übersetzungslexikon und auch leo.org ist dieses Mal keine Hilfe. Da muss er uns schon selber sagen, was schwenkbarer Heckantrieb übersetzt heißt.

Den zweiten Teil der Opern-Aufführung bekomme ich nicht wirklich mit, weil ich mir die ersten Sätze für mein Telefonat mit Max ausdenke.

Variante 1: Hallo, Max, wie geht es Ihnen?

– Völlig blöd und infantil.

Variante 2: Guten Tag, Herr Tepperwein, ich habe da noch ein paar Nachfragen.

– Zu professionell unterkühlt, das geht auch nicht.

Variante 3: Das war ein sehr nettes Gespräch vergangene Woche, vielleicht können wir daran in München anknüpfen?