My Dark Desire - L. J. Shen - E-Book

My Dark Desire E-Book

L.J. Shen

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Beschreibung

Ein gebrochener Prince Charming trifft auf eine in Ungnade gefallene Cinderella in dieser unwiderstehlichen Billionaire Romance  Sie ist sein süßester Wunsch ... und sein dunkelstes Geheimnis! Farrow Der Plan war simpel. Schleich dich rein. Schnapp dir den Anhänger. Hau ab.  Problem Nummer eins? Amerikas eingefleischtester Junggeselle hat mich erwischt.  Problem Nummer zwei? Er hat beschlossen, mich zu behalten. Als sein Dienstmädchen.  Zach Sun strahlt eine ungeheure Kälte aus, trotzdem spüre ich in seiner Gegenwart flammende Hitze auf der Haut. Er ist ein reservierter, berechnender, grausamer Mann, der die Schwächen anderer schamlos ausbeutet.  Dabei ahnt er nicht, dass er in mir seinen Meister gefunden hat.  Er mag dem amerikanischen Geldadel angehören.  Aber ich Aschenputtel werde mich zur Königin emporschwingen.  Zach Sie ist mein kleines Spielzeug.  Mutig, schlau und durchtrieben. Betörend wie erlesene Kunst. Ich sammle schöne Objekte, und Farrow Ballantine ist meine jüngste Neuanschaffung. Langfristige Pläne habe ich mit ihr nicht. Als Heiratskandidatin kommt sie nicht infrage.  Sie ist zu widerspenstig. Völlig unkontrollierbar. Und außerdem mein Dienstmädchen.  Normalerweise würden ihre endlos langen Beine und leuchtend blauen Augen nicht das Geringste bei mir auslösen.  Aber in Kombination mit ihrem vorlauten Mundwerk stellt sie eine Versuchung dar, der ich nicht widerstehen kann. Dieses eine Mal werde ich ihr nachgeben. Schließlich spielen die meisten Raubtiere mit ihrer Beute. Und ich habe vor, meine mit Haut und Haar zu verschlingen.  Damit nichts für die Männer nach mir übrig bleibt.  Willkommen zurück in der Dark Prince Road – wo das Wetter kalt ist, aber die Männer noch kälter sind. Der heiß ersehnte zweite Teil der Dark-Prince-Road-Reihe. Auch einzeln als Standalone lesbar! Dieses Buch beinhaltet Themen, die bei manchen Menschen ungewollte Reaktionen auslösen können. Bitte achtet daher auf die Liste mit sensiblen Inhalten, die wir im Buch zur Verfügung stellen.

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Seitenzahl: 775

Veröffentlichungsjahr: 2025

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L. J. Shen / Parker S. Huntington

My Dark Desire

Roman

Aus dem amerikanischen Englisch von Patricia Woitynek

Verlagsgruppe Droemer Knaur GmbH & Co. KG.

Über dieses Buch

Ein gebrochener Prince Charming trifft auf eine in Ungnade gefallene Cinderella in dieser unwiederstehlichen Billionaire Romance 

Sie ist sein süßester Wunsch ... und sein dunkelstes Geheimnis!

Die Aufgabe war einfach. In das am stärksten bewachte Herrenhaus von Potomac einbrechen. Meinen Anhänger holen. Unauffällig verschwinden. 

Problem Nummer eins? Amerikas unerreichbarster Junggeselle hat mich dabei erwischt.

Problem Nummer zwei? Er hat entschieden, mich zu behalten. Als Dienstmädchen! 

Zachary Suns Winter könnte der kälteste sein, den ich je gefühlt habe, aber er lässt meine Haut brennen. Reserviert, berechnend und grausam, labt er sich an den Schwächen anderer. Doch noch ahnt er nicht, dass er gerade seine Meisterin getroffen hat.

Er mag vielleicht amerikanischer Adel sein. Aber dieses Dienstmädchen wird zur Königin aufsteigen.

Willkommen zurück in der Dark Prince Road - wo das Wetter kalt ist, aber die Männer noch kälter sind.

Der heiß ersehnte zweite Teil der Dark-Prince-Road-Reihe. Auch einzeln als Standalone lesbar!

Dieses Buch beinhaltet Themen, die bei manchen Menschen ungewollte Reaktionen auslösen können. Bitte achtet daher auf die Liste mit sensiblen Inhalten, die wir im Buch zur Verfügung stellen.

 

 

Weitere Informationen finden Sie unter: www.droemer-knaur.de

Inhaltsübersicht

CONTENT NOTES - HINWEIS

ANMERKUNG DER AUTORINNEN

ZITAT

PLAYLIST

PROLOG

KAPITEL 1

KAPITEL 2

KAPITEL 3

KAPITEL 4

KAPITEL 5

KAPITEL 6

KAPITEL 7

KAPITEL 8

KAPITEL 9

KAPITEL 10

KAPITEL 11

KAPITEL 12

KAPITEL 13

KAPITEL 14

KAPITEL 15

KAPITEL 16

KAPITEL 17

KAPITEL 18

KAPITEL 19

KAPITEL 20

KAPITEL 21

KAPITEL 22

KAPITEL 23

KAPITEL 24

KAPITEL 25

KAPITEL 26

KAPITEL 27

KAPITEL 28

KAPITEL 29

KAPITEL 30

KAPITEL 31

KAPITEL 32

KAPITEL 33

KAPITEL 34

KAPITEL 35

KAPITEL 36

KAPITEL 37

KAPITEL 38

KAPITEL 39

KAPITEL 40

KAPITEL 41

KAPITEL 42

KAPITEL 43

KAPITEL 44

KAPITEL 45

KAPITEL 46

KAPITEL 47

KAPITEL 48

KAPITEL 49

KAPITEL 50

KAPITEL 51

KAPITEL 52

KAPITEL 53

KAPITEL 54

KAPITEL 55

KAPITEL 56

KAPITEL 57

KAPITEL 58

KAPITEL 59

KAPITEL 60

KAPITEL 61

KAPITEL 62

KAPITEL 63

KAPITEL 64

KAPITEL 65

KAPITEL 66

KAPITEL 67

KAPITEL 68

KAPITEL 69

KAPITEL 70

KAPITEL 71

KAPITEL 72

KAPITEL 73

KAPITEL 74

KAPITEL 75

KAPITEL 76

KAPITEL 77

KAPITEL 78

KAPITEL 79

KAPITEL 80

KAPITEL 81

KAPITEL 82

KAPITEL 83

KAPITEL 84

KAPITEL 85

KAPITEL 86

KAPITEL 87

KAPITEL 88

KAPITEL 89

KAPITEL 90

KAPITEL 91

KAPITEL 92

KAPITEL 93

EPILOG

CONTENT NOTES

Bei manchen Menschen lösen bestimmte Themen ungewollte Reaktionen aus. Deshalb findest du am Ende des Buches eine Liste mit sensiblen Inhalten.

ANMERKUNG DER AUTORINNEN

Bevor ihr beginnt, möchten wir euch dafür danken, dass ihr euch auf Zachs und Farrows Geschichte einlasst. Es ist ein Running Gag zwischen uns, dass die beiden die Pendants zu uns sind: Sie verkörpern ein Aufeinanderprallen von Kulturen, das irgendwie funktioniert. Keine von uns hat bisher je ein Buch wie dieses geschrieben. Es ist ein Privileg, dass wir überhaupt die Gelegenheit dazu hatten.

 

Ich (Parker) hätte nie gedacht, dass ich einmal die Möglichkeit bekommen würde, meine Kultur mit der Welt zu teilen, erst recht nicht über eine Liebesgeschichte. Ich bin halb vietnamesischer, halb chinesischer Herkunft und wuchs in meiner verrückten, wundervollen, eng zusammengeschweißten Familie sowohl im Orange County als auch in D. C. auf. Ein Großteil der Handlung von My Dark Desire basiert auf meinen persönlichen, mitunter unglaublich schrägen und gleichzeitig süchtig machenden Erfahrungen. Es hat mir viel Freude bereitet, euch diese Einblicke in mein Leben zu geben. Und Leigh, du bist eine Heilige, weil du bereit warst, dieses Buch mit mir zu schreiben und dir endlose Geschichten aus meiner Kindheit anzuhören.

 

Da wir gerade dabei sind … Ich (Leigh) habe jede Sekunde dieses Gemeinschaftsprojekts mit meiner besten Freundin genossen. Es ist dekadent, strotzt nur so vor köstlichen Wortgefechten und spiegelt meine und Parkers Beziehung wider. (Ein Prozent unserer Unterhaltungen dreht sich um die Arbeit. Der Rest verteilt sich auf die Themen Essen und Familie.) Parker und ich führen eine Job-Ehe, und da die Scheidungsrate bei Paaren mit asiatischen Wurzeln in Amerika lediglich 12,4 Prozent beträgt, stehen die Chancen gut, dass wir für immer zusammenbleiben werden.

Etliches von dem, was wir an Zach und Fae lieben, entspringt den alltäglichen Gesprächen, die wir miteinander führen. Ich komme jetzt zum Schluss, damit ihr in die Geschichte eintauchen könnt. Viel Spaß!

 

xoxo

Parker und Leigh

 

PS: Die Tante ist übrigens echt. Genau wie der Vorfall rund um den gestohlenen Wagen. Ich konnte es selbst nicht glauben, bis Parker mir die Quittungen gezeigt hat. ICH BRAUCHE AUCH EINE CELESTE IN MEINEM LEBEN. Leigh

»Auch Wunder brauchen ein bisschen Zeit.« – Die gute Fee aus Cinderella

PLAYLIST

LMM – Hwasa

LIPSTICK – Koven Wei & Aleebi

INVITATION – JUNNY ft. Gaeko

A$$A$$IN – Beauty School Dropout

Punchdrunk – Vaines

LEFT RIGHT REMIXX – XG ft. CIARA & Jackson Wang

People Watching – Conan Gray

Braindead – Sion

i hope you see this – thuy

Pretty When U Cry – ieuan

this is how I learn to say no – EMELINE

Back To Me – The Rose

I Love You 3000II – Stephanie Poetri & Jackson Wang

Free Them – ONE OK ROCK ft. Teddy Swims

Seven – Jung Kook ft. Latto

Yesterday – Jay Park

A Little Bit Yours – JP Sax ft. Eric Chou

Leaves – jaesun & Zeru

Tomboy – Destiny Rogers

TWIT – Hwa Sa

Over 85 – Hojean

Still Life – BIGBANG

cut my hair – MICO

When You Loved Me – Eric Chou & Shan Yi Chun

Cinderella’s Dead – EMELINE

WINTER WITHOUT YOU – XG

Sinking – James Lee & Shan Yi Chun

All in – LAY, Victor Ma & Shan Yi Chun

PROLOG

Zach

Mein Vater sagte immer, dass die Menschen das Papier und ihre Erinnerungen die Tinte darauf seien.

Wie hätte ich ahnen können, welch düstere Wendung meine eigene Geschichte nehmen würde?

Dad war ein spendabler Mann, nie mangelte es mir an Geld oder Liebe. Ihm verdankte ich alles – meine Identität, meine moralischen Grundsätze und sogar meine perfekten Zähne.

Aber das kostbarste Geschenk, das er mir je gemacht hat, war sein Leben.

***
Zach, zwölf Jahre alt

In der Regel kündigen sich Schicksalsschläge nicht an, dementsprechend verlief der schlimmste Tag meines Lebens zunächst vollkommen harmlos.

Mein Vater und ich saßen im Fond seines Bentley Flying Spur, während Henry, unser Chauffeur, sich durch den dichten Verkehr schlängelte, indem er ständig rasant die Spur wechselte. Ein endloses Hupkonzert gellte in meinen Ohren. Schon seit wir vom Auktionshaus losgefahren waren, schüttete es wie aus Kübeln. Im Radio lief Bookends von Simon & Garfunkel, und das in einer solchen Lautstärke, dass ich meine eigenen Gedanken nicht verstehen konnte.

Ich spürte Dads Blick auf meinem Hinterkopf, als ich meinen Atem gegen das Fenster blies und ein Schwert auf die beschlagene Scheibe malte.

Er seufzte. »Du solltest dir wirklich ein Hobby zulegen.«

»Hobbys sind unnütz. Darum nennt man sie so.« Ich zeichnete eine geschlossene Faust um den Griff und Blut, das von der Spitze tropfte. »Außerdem habe ich welche.«

Henry schnaubte und blinkte nach links.

»Du hast Talente«, korrigierte Dad. »Nur weil du Dinge gut beherrschst, bedeutet das nicht automatisch, dass sie dir Spaß machen. Und den ganzen Sommer untätig herumzusitzen und auf die Heimkehr deines besten Freundes zu warten, ist kein Hobby.«

Dieser Blödmann Romeo Costa. Das erste Mal hatte er sich während der Grundschule ohne mich nach Italien in den Urlaub verkrümelt. Und jetzt verbrachte er auf Druck seines Vaters die Ferien in irgendeinem öden Sommercamp. Aus Europa war er als totaler Vollhonk zurückgekehrt. Darum stellte ich mich auch dieses Mal darauf ein, dass ihm mehr als nur eine Gehirnzelle abhandengekommen sein würde.

Ich drehte mich um und sah meinen Vater blinzelnd an. »Warum müssen sie mir unbedingt Spaß machen?«

Seine Mundwinkel hoben sich zu einem sanften Lächeln. Er war ein Hüne. Vielleicht kam er mir auch nur so vor, weil ich selbst noch nicht ausgewachsen war. Trotzdem schien er mit seinem Körper und seiner Präsenz die ganze Rückbank auszufüllen. Mit seinem pechschwarzen Haar und den Lachfältchen in den Augenwinkeln. Und der gezackten Narbe auf seiner Stirn, die er sich zugezogen hatte, als er einmal meine Pfadfindergruppe beaufsichtigt und ein Adler mich zu attackieren versucht hatte. Dad hatte mich gerade noch rechtzeitig zur Seite geschubst, dabei war er gestolpert und mit dem Kopf frontal gegen einen Liegestuhl gekracht.

Er klopfte mit dem Knöchel seines Zeigefingers gegen meine Schläfe. »Wenn dir die Reise keine Freude bereitet, wie willst du dann das Ziel genießen?«

»Ist das eigentliche Lebensziel nicht der Tod?« Ich musterte ihn, um nicht mitansehen zu müssen, wie das Kondenswasser am Fenster mein Kunstwerk hinwegschwemmte.

Er lachte. »Du bist klüger, als gut für dich ist.«

»Das ist kein Nein«, murmelte ich. Am liebsten hätte ich mir die Ohren zugehalten, um den Lärm der Hupen und des prasselnden Regens auszublenden.

»Das Ziel ist es, zu lieben und eine Familie zu gründen. Ein Heim zu schaffen.«

Ich schnippte einen winzigen Zweig von einem meiner Sneakers. »Davon hast du jede Menge.«

»Ja, aber nur eins betrachte ich als mein Zuhause. Und zwar das, das ich mit dir und deiner Mutter teile.«

Stirnrunzelnd sah ich ihn an. »Was haben wir denn je getan, um dich so glücklich zu machen?«

»Es genügt, dass es euch gibt, Dummerchen.«

Ich fläzte mich in meinen Sitz und trommelte gelangweilt mit den Fingern auf mein Knie. »Wenn das so ist, warum kaufst du dann ständig irgendwelchen Kram, damit du dich gut fühlst?«

»Kunst ist kein Kram.« Er legte seine Hand auf meine, um meine Finger zu stoppen. »Sie spiegelt die Seele ihres Schöpfers wider. Und nichts ist so kostbar wie unsere Seele, Zach. Darum beschütze deine auf jede dir mögliche Weise.«

Ich rutschte näher an ihn heran und linste zu dem roten Samtbeutel, der zwischen uns lag. »Darf ich es mir ansehen?«

»Erst an deinem Geburtstag.«

»Das ist für mich?«

»Ja, aber du wirst es nicht mit dir herumtragen. Es ist sehr scharf.«

»Umso besser.« Voller Vorfreude rieb ich mir die Hände und wandte meine Aufmerksamkeit dem handgeschnitzten chinesischen Holzkästchen zu, das Dad auf seinem Schoß hielt. »Was ist damit?«

Wir hatten gerade antike Schätze abgeholt, die er in einem Bietergefecht auf einer Auktion ersteigert hatte. Vielmehr hatte er sie abgeholt. Ich war im Wagen sitzen geblieben und hatte einen Rubik’s Cube gelöst, ohne wirklich hinzusehen, während Dad die Formalitäten abwickelte. Kunst hatte mich nie interessiert, obwohl mein Vater seit zwölf Jahren seine eigenen Kenntnisse auf dem Gebiet an mich weitergab, in der vergeblichen Hoffnung, mich mit seiner Obsession anzustecken. Ich könnte aus dem Stegreif ein Referat über die Vorzüge der Gongbi- gegenüber der Tuschetechnik halten, aber selbst unter Zwang würde mich niemand dazu bringen, wegen irgendwelcher Pinselstriche auf Papier aus dem Häuschen zu geraten. Insgeheim wünschte ich mir manchmal, mein Vater wäre wie Romeos. Der ließ seinen Sohn mit Waffen und Handgranaten hantieren. Rom wusste sogar, wie man einen Panzer bediente. Das war viel cooler.

»Das ist Moms Geburtstagsgeschenk.« Dad hob den massiven Deckel hoch und drehte das mit Satin ausgekleidete Kästchen in meine Richtung. Darin befand sich ein runder Schmuckanhänger aus Jade, in den ein Löwe eingemeißelt war. Der Rand wurde von einer roten Kordel eingefasst, mit mehreren aufgereihten Perlen und einem überdimensionalen chinesischen Knoten samt Doppelquaste an ihrem Ende. Mein Vater hatte dafür »läppische« zwei Millionen hingeblättert. Und wozu? Meine Mutter würde dieses Ding niemals tragen. Manchmal trafen Erwachsene echt dämliche Entscheidungen. Dad nannte sie spontane Eingebungen und behauptete, sie wären Teil der menschlichen Natur. Womöglich hatte ich nicht viel von einem menschlichen Wesen, weil ich mich nie wirklich für etwas begeistern konnte. Ich tat niemals etwas Unüberlegtes, und ich begehrte nichts. Noch nicht mal Süßigkeiten.

Ich ließ mich wieder in meinen Sitz zurückfallen. »Das sieht aus wie der verschimmelte Käse in der Brotzeitbox in Olivers Spind.«

Mein anderer bester Kumpel legte auf Hygiene ungefähr so viel Wert wie ein Wildschwein. Allerdings wäre das besagtem Keiler gegenüber nicht ganz fair, weil dieser nicht die Möglichkeit hatte, jeden Tag zu duschen.

»Shǎ háizi.« Dummer Junge. Dad gab mir schmunzelnd einen sachten Klaps auf den Hinterkopf. »Irgendwann wirst du schöne Dinge zu schätzen lernen.«

Der Regen fiel immer heftiger, trommelte gegen die Fenster, als verlangte er Einlass. Rote und gelbe Lichter spiegelten sich in dem von Tropfen überzogenen Glas. Das Hupkonzert wurde lauter.

Fast da.

»Bist du sicher, dass Mom der Anhänger gefallen wird?« Ich wischte mir mit dem Ärmel meines Shirts unter der Nase entlang. »Er sieht aus wie der, den Celeste Ayi ihr vor ein paar Jahren geschenkt hat.« Wie ich meine Tante kannte, hatte sie ihn vor ihrer Rückreise aus Shanghai in einem Souvenirladen am Flughafen erstanden.

»Sie wird ihn lieben.« Dad zeichnete mit dem Finger die Konturen des Schmuckstücks nach, ohne es zu berühren. »Es ist bedauerlich, dass ich im Januar geschäftlich nach Xi’an musste. Als ich hörte, dass der andere Anhänger bei derselben Auktion in D.C. versteigert werden sollte, hatte ihn bereits jemand reserviert.«

»Es gibt noch einen zweiten?« Ich war nicht wirklich bei der Sache, weil ich gerade einen Oktopus auf die Scheibe malte, hinter der wie in Zeitlupe der sturmumtoste Potomac vorbeizog. Noch ein paar Kilometer, und wir würden in die Dark Prince Road einbiegen. »Mindert das nicht den Wert?«

»Normalerweise wäre das so. Aber in diesem Fall handelt es sich um ein Set, das während der Song-Dynastie für ein Liebespaar angefertigt wurde, welches am Ende ein tragisches Schicksal ereilte.«

Ich horchte auf. Endlich kamen wir zum interessanten Teil. »Was ist mit den beiden passiert? Wurden sie enthauptet?« Ich machte die Kopf-ab-Geste.

»Zach!«

»Ach ja, stimmt.« Ich schnippte mit den Fingern. »Damals war der Tod durch tausend Schnitte die gängige Hinrichtungsmethode.«

Dad massierte sich die Schläfen und bedachte mich mit einem dünnen Lächeln. »Bist du jetzt fertig?«

»Nein. Denkst du, die Delinquenten starben sofort, wenn ihnen ohne Betäubung die Nase abgetrennt wurde, oder sind sie langsam verblutet?«

Der Stau löste sich auf, der Wagen beschleunigte. Endlich.

»Zachary Sun, wie ist es bloß möglich, dass du mein Sohn –«

Eine Hupe gellte und übertönte seine Stimme, den Regen, jedes andere Geräusch. Mein Vater verstummte und riss die Augen auf. Henry drehte wie wild das Steuer herum, wollte einer Kollision ausweichen. Dad schleuderte das Kästchen weg, dann warf er sich auf mich und presste mich flach auf den Sitz, die Arme fest um meinen Oberkörper geschlungen. Blendend helles Scheinwerferlicht erleuchtete kurz sein Gesicht.

Der Bentley landete erst auf der Seite und blieb schließlich auf dem Dach liegen. Mein Vater kauerte noch immer auf mir. Alles geschah so schnell. Ich vernahm ein lautes, durchdringendes Klingeln in meinen Ohren, gleich darauf spürte ich nur noch Schmerz. Überall und nirgendwo. Ich fühlte mich wie betäubt, während ich gleichzeitig unerträgliche Qualen litt. Hastig blinzelte ich, als würde mir das dabei helfen, etwas zu hören oder zu sehen.

»Du bist nicht verletzt, Zachary. Dir ist nichts passiert.« Ich las die Worte von seinen Lippen. Sein Gesicht war nur wenige Zentimeter von meinem entfernt, und er zitterte wie Espenlaub. Er blickte zwischen uns nach unten, dann schloss er mit einem rasselnden Atemzug die Augen. »Wo cao.«

Schockiert starrte ich ihn an. Mein Dad fluchte sonst niemals.

Eine warme, dunkle, metallisch riechende Flüssigkeit tropfte auf mein rechtes Bein.

Blut.

Dads Blut.

Da bemerkte ich den Pfahl, der sich durch die Tür und Dads Körper gebohrt hatte. Die Spitze ragte mir entgegen, war so nah, dass sie meinen Bauch berührte. Ich zog ihn ein, während ich gleichzeitig darum kämpfte, zu atmen.

Erneut blinzelte ich mehrmals, in der Hoffnung, dass das alles bloß ein Albtraum war. Mein Blick wurde scharf, und ich sah, dass Dads Gesicht mit Glasscherben gespickt war und Blut von seiner Stirn über seine Schläfen zu seinem Kinn rann. Es sickerte in meine Kleidung, meine Haut, mein Haar. Ich wollte ihn von mir runterschieben, verspürte den Drang, zu schreien.

Wieder bewegte sich sein Mund, aber das Klingeln in meinen Ohren war zu laut, als dass ich die Worte verstehen konnte.

Ich kann dich nicht hören, formte ich stumm mit den Lippen. Sag es noch mal.

Ich versuchte, meine Position zu verändern, um die Hand auf seine Kopfwunde zu pressen und die Blutung zu stoppen, aber er war zu schwer, und ich musste weiterhin meinen Bauch einziehen, um nicht aufgespießt zu werden.

Der rote Beutel.

Die Spitze des Pfahls ritzte meine Haut, als ich meine Hand so weit wie möglich ausstreckte. Schließlich bekam ich ihn zu fassen und schüttelte das Messer heraus. Ich schloss die Finger um den Griff und begann, an meinem Sicherheitsgurt herumzusäbeln, schaffte es jedoch nicht, ihn zu durchtrennen. Ich konnte mich noch immer nicht rühren.

Vergeblich rief ich den Namen unseres Chauffeurs.

Ich schaute über meine Schulter und stellte fest, dass Henry mit dem Kopf auf einem Airbag lag, aus dem alle Luft entwichen war, wodurch konstant die Hupe betätigt wurde. Sofort wusste ich, dass er tot war. Er sah aus wie eine leblose Puppe mit stumpfen schwarzen Pupillen.

Wieder versuchte mein Dad, etwas zu sagen, während er mich mit seinem Blick anflehte, ihm zuzuhören. Ich bemühte mich wirklich, doch außer dem permanenten Hupen konnte ich nichts wahrnehmen.

Eine Träne tropfte von Dads Wange und landete auf meiner. Mir entfuhr ein Zischen, als hätte sie mich verbrannt. Mein Vater weinte nie. Die Bewegungen seiner Lippen wurden langsamer, während er weiterhin meinen Körper mit seinem bedeckte. Um mich vor dem zu beschützen, was gerade passierte oder bereits passiert war. Wir saßen in einem Käfig aus verbogenem Stahl fest. Und ich konnte mich unter meinem Vater nicht herauswinden, egal wie sehr ich mich anstrengte.

Meine eine Hand weiterhin um den Messergriff geschlossen, ballte ich die andere zur Faust und stemmte sie gegen Dads Brust. Sie zitterte unter seinem Gewicht. Seine Augen waren noch immer geöffnet, aber ich wusste, dass er gestorben war und seine Seele seinen Körper bereits verlassen hatte. Da begriff ich, was er damit gemeint hatte, als er sagte, dass nichts so kostbar war wie unsere Seele.

Langsam nahm ein Sinnesorgan nach dem anderen seinen Dienst wieder auf.

Als Erstes kehrte meine Fähigkeit zu hören zurück.

»Ist noch jemand dort drinnen?«

»Ja, ein Kind.«

»Lebt es?«

»Verdammt, das bezweifle ich. Dieser Laster hat sie mit ungebremster Geschwindigkeit frontal erwischt. Sie hatten keine Chance.«

Dann kehrte der Tastsinn zurück.

Dad war kalt, viel zu kalt. Ich wusste, was das bedeutete. Ein Stück Fleisch löste sich aus seinem Gesicht und fiel auf meine Brust. Wenn es heiß war, merkte ich es zumindest nicht. Am ganzen Leib schlotternd, meinen Bauch noch immer eingezogen, kämpfte ich mit zusammengekniffenen Augen gegen meinen Würgereiz an.

Geh von mir runter. Ich will nicht spüren, dass du tot bist. Ich will überhaupt nichts empfinden.

Schließlich funktionierte auch mein Sprachzentrum wieder.

»Ich lebe«, krächzte ich, während ich hörte, wie die Leute draußen keuchend und ächzend und Befehle bellend das Auto umzudrehen versuchten. »Ich lebe.«

Obwohl ich mich nicht so fühlte.

»Halte durch, mein Freund!«, rief eine Stimme. »Wir holen dich da raus. Es dauert aber ein bisschen, okay?«

»Ja.«

Dabei war rein gar nichts okay.

Doch ich sagte nichts und lauschte stattdessen dem Wortwechsel der Männer.

»Warte mal. Ist das nicht …?«

»Doch. Es ist Bo Sun. Der Bo Sun.« Stille. »Heilige Scheiße.«

»Ist er …?«

»Die Rettungskräfte müssen zuerst seine Leiche bergen, damit sie an das Kind rankommen. Er ist durch das geschmolzene Metall hindurch auf den Pfahl gespießt.«

»Großer Gott, der arme Junge.«

KAPITEL1

Farrow

Angeblich hat ihr Friseur weniger Follower auf Instagram als sie.« Auf dem Rücksitz des Mercedes GLE ließ Tabby ihre Kaugummiblase platzen. »Und ihr folgen wie viele? Viertausend? Warum vertraut sie ihre Haare nicht gleich dem Metzger von Balducci an und fertig?«

»Ihre Stirnfransen sind schon seit den späten Neunzigern out. Niemand traut sich, ihr zu sagen, dass dieser Look bei Locken total bescheuert aussieht.« Reggie gickelte. »Und dazu ihre missglückten orangefarbenen Balayage-Strähnchen.«

Darf ich vorstellen, verehrte Damen und Herren: meine Stiefschwestern Tabitha und Regina Ballantine. Zusammen produzierten sie genügend Gift, um die gesamte Einwohnerschaft einer dicht bevölkerten Insel auszurotten.

»Na, na, Mädchen«, rügte meine Stiefmutter Vera, die am Steuer saß, ihre Töchter. »Das ist aber nicht sehr freundlich.« Ihr boshaftes Kichern strafte die tadelnden Worte Lügen. »Sylvia ist eine nette Person. Ein bisschen schlicht zwar, aber dafür kann sie nichts. Habt ihr schon mal ihre Mutter gesehen?«

»Ja, leider.« Tabby schnaubte.

Ich biss mir auf die Zunge und unterdrückte den Impuls, sie darauf hinzuweisen, dass Sylvia Hall gerade als Anwältin zugelassen worden war, nachdem sie ihr Jurastudium an der Georgetown University mit Auszeichnung abgeschlossen hatte. Ihr Kopf hatte der Welt mehr zu bieten als einen überteuerten Haarschnitt.

Aber es wäre nicht ratsam, mich einzumischen. Zum einen, weil die drei mich hassten wie die Pest und alles, was aus meinem Mund kam, gegen mich verwenden würden. Zum anderen befand ich mich gerade buchstäblich in einer ungünstigen Position. Genauer gesagt kauerte ich im Kofferraum des Wagens und atmete so flach wie möglich, um meine Anwesenheit nicht zu verraten.

Der SUV rollte an den gepflegten Rasenflächen Potomacs vorbei. Draußen schwängerte der Duft von blühenden Blumen die Luft, aber das Einzige, was ich riechen konnte, waren Tabbys Reitstiefel. Eine Mischung aus Pferdemist, Heu und dem Geruch des Stalljungen, den sie diese Woche vernascht hatte.

»Sind wir bald da?« Reggie schmatzte und klappte irgendetwas zu. »Ich muss zugeben, ein bisschen aufgeregt bin ich schon. Ich war noch nie in Zachary Suns Haus.«

»Mach ein Foto. Weil es das erste und zugleich letzte Mal sein wird«, frotzelte Tabby. »Ich verstehe sowieso nicht, warum du uns zwingst, dort hinzugehen, Mom. Jeder weiß, dass Constance Sun eine Niere dafür opfern würde, bestimmen zu dürfen, wen ihr Sohn heiratet.«

»Zachary hat seinen eigenen Willen. Sollte er sich für eine von euch beiden entscheiden, wird ihn niemand davon abbringen.«

Wenn es etwas gab, das ich an Vera Ballantine bewunderte, dann war es ihr grenzenloser Optimismus. Tabby und Reggie waren eine fatale Kombination aus hohem Anspruchsdenken und niedrigem IQ und in etwa so begehrenswert wie eine chronische Auszehrungserkrankung.

»Abgesehen davon …« Vera schaltete auf einen Klassiksender um, dabei konnte sie Yo-Yo Ma nicht von Yo Gabba Gabbaunterscheiden. »… werden vermögende, einflussreiche Männer auf der Party sein. Zum Beispiel dieser Herzog … Oliver. Wie war gleich noch mal sein Nachname?«

»Von Bismarck.« Tabby machte ein Würgegeräusch. »Der Kerl ist ein ausgewiesener Playboy. Er bräuchte vermutlich nur in meine Richtung zu atmen, damit ich mir eine Geschlechtskrankheit von ihm einfinge.«

Reggie schnaubte verächtlich. »Dein geheucheltes Desinteresse ist wirklich zu süß.«

»Was den Kerl angeht, bin ich raus, Schwesterherz.«

»Nur zu deiner Information: Er hat mich mal auf sein Anwesen an der Amalfiküste eingeladen.«

»Dich und jede andere Frau mit einem Puls.« Tabby schnalzte mit der Zunge. »Respekt. Wenn ich du wäre, würde ich sofort damit anfangen, die Hochzeitseinladungen zu entwerfen.«

Ich schloss meine Arme fester um meine angezogenen Knie und ging im Kopf die Ergebnisse meiner monatelangen Nachforschungen durch. Mein Plan war ein todsicher. Ich würde mich ins Haus schleichen, mir mein Eigentum zurückholen und unbemerkt wieder verschwinden, verhüllt vom Dunkel der Nacht und einem Designerkleid, das ich Reggie stibitzt hatte. Das war nicht meine erste Geheimaktion und würde bestimmt auch nicht meine letzte sein. Ich war eine Überlebenskünstlerin seit dem Moment, als meine treulose biologische Mutter mich kurz nach meiner Geburt in einem Pappkarton vor Dads Haustür abgeliefert und ihm folgende Notiz hinterlassen hatte:

Sie gehört dir. Wärst du mal besser ans Telefon gegangen, Arschloch. Eine Abtreibung ist kostengünstiger als ein Kind.

Tammy

Mein Vater war damals nach einer stürmischen Romanze bereits mit Vera verheiratet gewesen. Laut Tabby hatte sie ihn dazu gedrängt, »dieses Ding« loszuwerden.

Wie kannst du dir überhaupt sicher sein, dass sie von dir ist?, hatte sie sich während meiner Kindheit regelmäßig echauffiert, wohl wissend, dass ich sie hörte. Aber ein DNA-Test war überflüssig. Mutter Natur bürgte für mich.

Ich hatte nicht nur Dads gletscherblaue Augen und die goldblonden Haare geerbt, die unsere Gesichter in dichten Locken umrahmten, sondern auch seinen schlanken, langgliedrigen Körperbau und sogar das Muttermal unter dem rechten Auge.

»Zu schade, dass Romeo Costa inzwischen vergeben ist«, meinte Vera seufzend.

»Als hätten wir je eine Chance bei ihm gehabt.«

Reggie gähnte. »Wir wollten nie eine. Er soll ein Soziopath sein.«

»Echt? Ich habe gehört, dass er dem Johns Hopkins Hospital eine neue Geburtsstation spendiert hat, kaum dass seine Frau schwanger war.«

»Wahrscheinlich, weil sie den Eingang sowieso breiter machen müssten, damit sie am Tag der Entbindung noch durchpasst. Meine Kosmetikerin hat mir erzählt, dass Dallas Costa sich bei dem Dinner im Weißen Haus gestern Abend den halben Boden einer dreistöckigen Torte einverleibt hat. Das Ding ist umgekippt und auf irgendeinem Ölbaron gelandet.«

Die beiden Biester brachen in Gelächter aus.

»Riecht außer mir noch jemand Bleichmittel?«, fragte Reggie. »Ich habe in letzter Zeit ständig Farrows Gestank in der Nase. Du musst sie rauswerfen, Mom, bevor sie noch das ganze Haus verpestet.«

»Und was dann?« Vera stellte die Klimaanlage auf die höchste Stufe. »Wir sind auf den finanziellen Beitrag, den sie leistet, angewiesen, um die vielen Löcher zu stopfen, die euer Vater hinterlassen hat. Die Leute tratschen schon. Ich habe den Leasingvertrag für dieses Auto unterschrieben, ohne auch nur in Erwägung zu ziehen, stattdessen den AMG zu nehmen.« Sie verstummte kurz. »Ich schätze, wir könnten sie im Poolhaus einquartieren …«

»Kommt nicht infrage! Dort richte ich mir gerade ein Ankleidezimmer ein.« Tabby klang empört.

Nicht zu glauben, dass ich ernsthaft vorhatte, mich während der nächsten Stunde unter Hunderte Menschen zu mischen, die genauso ichbesessen und oberflächlich waren wie meine Stiefschwestern. Aber mir blieb keine andere Wahl. Der Gastgeber hatte etwas, das mir gehörte.

Der Jade-Anhänger hätte niemals auf Zachary Suns weitläufigen, schlossähnlichen Herrensitz gelangen dürfen. Natürlich hatte Vera dabei ihre Finger im Spiel gehabt. Nach dem Tod meines Vaters ließ sie seine Besitztümer versteigern, um die Zeit zu überbrücken, bis sie über das Geld von der Versicherung verfügen konnte. Anscheinend hatte Zach Sun seinen unmittelbaren Konkurrenten mit einem dreifach höheren Gebot ausgestochen. Und jetzt war dieser verwöhnte Milliardär im Besitz des einzigen Andenkens, das mir an meinen Vater geblieben war.

Nicht mehr lange.

Vera setzte den Blinker und bog ab. »Da wären wir. Meine Güte, seht euch diese Wagenkolonne an.«

Na endlich.

Während wir warteten, beendete sie eine hitzige Diskussion ihrer Töchter, indem sie sagte: »Also wirklich. Das viele Sicherheitspersonal am Tor erscheint mir doch etwas überzogen.«

Ich drängte mich an die Rückbank und breitete ein schwarzes Tuch über mich, das ich selbst genäht hatte. Das handgewebte Material verschmolz perfekt mit der Innenverkleidung des leeren Kofferraums, so dass bestimmt niemand genauer hinsehen würde.

»Aufmachen.« Ein Wachmann klopfte an die Rückscheibe. Die Heckklappe fuhr quälend langsam nach oben, dann tastete der helle Strahl einer Taschenlampe den Kofferraum ab, bevor die Klappe wieder zuging. »In Ordnung. Der Nächste.«

Vera zog die Handbremse so energisch an, dass sie ein Kreischen von sich gab. Alle drei Stiefmonster stiegen aus, jemand vom Parkservice setzte sich hinters Lenkrad und fuhr los.

Sobald es still war, kletterte ich vom Kofferraum bis zum Fahrersitz vor und öffnete vorsichtig die Tür. Wie ich vermutet hatte, hatte er den Wagen am äußersten Ende des Anwesens abgestellt. Das in Flutlicht getauchte Hauptgebäude ragte in einiger Entfernung drohend und einen unheilvollen Schatten auf den akkurat gestutzten Rasen werfend vor mir auf, forderte mich geradezu heraus, Hausfriedensbruch zu begehen.

Auf Zehenspitzen schlich ich über einen von Pollerleuchten erhellten Weg darauf zu. Als ein Parkdienstmitarbeiter in einem Lotus Evija an mir vorbeifuhr, ging ich hinter einer Reihe von Luxuslimousinen in Deckung. Reggie würde mich umbringen, wenn sie ihr Kleid sehen könnte. Der Satin war von Schweiß durchtränkt und klebte mir an der Haut, und der Schlitz hatte durch meine kauernde Haltung im Kofferraum mehrere Zentimeter hinzugewonnen.

Übrigens hatte ich im Zuge meiner Recherchen noch etwas herausgefunden: Diese Party markierte den offiziellen Auftakt für Zachary Suns Jagd nach einer Braut. Ich hatte keinen Zweifel daran, dass die hier heute anwesenden potenziellen Kandidatinnen beabsichtigten, à la Die Tribute von Panem gegeneinander anzutreten, bis es nur noch eine Überlebende gäbe. Wenn man den Gerüchten Glauben schenken durfte, würde Zachary Sun sich noch vor Mitternacht auf eine Frau festlegen und fortan nur noch sie umwerben, um seine der Faxen ihres Sohnes überdrüssige und nach Enkelkindern schmachtende Mutter zu besänftigen.

Jede Einzelne war auf ihre eigene Weise bezaubernd. Egal ob groß oder klein, schlank oder kurvig. Alle glänzten in Seidenroben und mit geschliffenen Umgangsformen. Es waren die Töchter singapurischer Milliardäre, ehemaliger salvadorianischer Oligarchen, koreanischer Magnaten und von Hollywoodproduzenten. Aber eins hatten sie alle gemein: Sie wollten die nächste Mrs Sun werden.

Mit gesenktem Kopf und jede Aufmerksamkeit vermeidend, mäanderte ich durch die Ansammlung von Ballkleidern und Smokings vor dem Gebäude. Die Fähigkeit, mich unsichtbar zu machen, hatte ich bereits vor dem Kindergarten perfektioniert. Hauptsächlich, weil sie mich vor dem Missbrauch bewahrte, der mir seitens Veras und ihrer Brut zuteilwurde, wann immer sie einen schlechten Tag hatten.

Die durch eine helle Fassade aus französischem Kalkstein und majestätischen Säulen bestechende Residenz thronte in ihrer ganzen altehrwürdigen Pracht inmitten einer Parkanlage, die den Gärten von Versailles nachempfunden war. Ich schluckte den Kloß in meiner Kehle herunter und ließ mich mit den Massen ins Foyer treiben. Zwei breit geschwungene Treppen flankierten den Eingangsbereich. Mein Blick wanderte die eine hinauf, die mich zu Zachary Suns Arbeitszimmer führen würde. Mit Bluetooth-Headsets ausgestattete Sicherheitsleute in dunklen Anzügen blockierten den Zugang, die Hände vor dem Körper verschränkt.

In einer Ecke des Raums lachten meine Stiefschwestern zu laut über etwas, das ein paar Männer in Designeroutfits sagten, derweil Vera, die mit spitzen Fingern ein Horsd′œuvre hielt, ihrem Botox-unterspritzten Gesicht irgendeine Mimik abzuringen versuchte. In Würde zu altern, war nicht ihr Ding und hätte auch nicht zu ihrer biestigen Persönlichkeit gepasst.

Ich musste darauf achten, inkognito zu bleiben, aber da mich außer den dreien niemand hier kannte, war ich relativ unbesorgt.

Mein Vater war zu bodenständig gewesen, um mit diesen Leuten zu verkehren. Und ich hatte stets jedes Event gemieden, das der besseren Gesellschaft Potomacs zur Anbahnung von Ehen diente. Zu heiraten war in meinen Augen komplette Zeitverschwendung. Weil man sein Leben lang nur ein einziges Individuum lieben sollte: sich selbst. Und vielleicht einen Hund.

Ich wartete, bis jemand vom Personal sich anschickte, die Treppe hinaufzueilen, und schloss mich dem Mann verstohlen an, wobei ich stumm die Lippen bewegte, um ein Gespräch vorzugaukeln, damit die Security keinen Verdacht schöpfte. Das lebhafte Stimmengewirr im Foyer begleitete uns auf unserem Weg. Oben bogen wir um eine Ecke, und ich steuerte schnurstracks auf die Bibliothek zu, die Zachary Suns Büro beherbergte. Den Grundriss des Hauses hatte ich mir bis ins letzte Detail eingeprägt. Danke, Zillow.

Zach hatte das Anwesen vor einigen Jahren einer Schweizer Aristokratenfamilie abgekauft und praktisch alles so belassen, wie es war. Die einzige nennenswerte Veränderung bestand darin, dass er die Tiefgarage in eine Hightech-Kunstgalerie umgewandelt hatte. Zuerst hatte ich angenommen, dass mir nichts anderes übrig bleiben würde, als irgendwie dort einzubrechen. Bis ich dann zufällig auf die letzte Ausgabe des Wired-Magazinsgestoßen war, die einen ausführlichen Artikel über Zachs jüngste feindliche Übernahme enthielt. Und da war er: mein Anhänger. Verschlossen hinter Glas und verewigt auf einer glänzenden Doppelseite der Zeitschrift, wirkte er geradezu unscheinbar, weil Zachary Suns seelenloser Blick alle Aufmerksamkeit auf sich zog.

Lo siento, Wichser. Bald wirst du um ein Kunstwerk ärmer sein.

Ich schlich den Flur entlang, vorbei an Gemälden, deren Wert vermutlich das gesamte hinterlassene Erbe meines Vaters überstieg. Besonders, da Vera und ihre Töchter seine Firma im Eiltempo gegen die Wand fuhren. Keine Ahnung, was er sich dabei gedacht hatte, die Anteile an seinem Reinigungsunternehmen unter seinen vier Hinterbliebenen aufzuteilen – von denen drei ihr Leben lang noch keinen Finger krumm gemacht hatten.

Die Bibliothekstür tauchte vor mir auf. Meine Fingerknöchel traten weiß unter der Haut hervor, als ich die Hand um den Knauf legte. Da ich davon ausging, dass er sich nicht würde drehen lassen, hatte ich die letzten zwei Monate unermüdlich geübt, mithilfe des Miniwerkzeugsets, das sich in meinem BH verbarg, die verschiedensten Schlösser zu knacken. Aber die Tür ließ sich problemlos und ohne ein Geräusch öffnen.

Eine kühle Brise strich über meine Haut und verursachte mir ein Frösteln. Ich schlüpfte ins Zimmer, schloss die Tür hinter mir und lehnte mich dagegen, bis mein Puls sich wieder normalisiert hatte. Dies war nicht das erste Mal, dass ich etwas tat, das mich ins Gefängnis bringen konnte. Aber ich hatte nie zuvor einen der mächtigsten Männer der Welt bestohlen.

Obwohl Zachs Büro der extravaganteste Raum war, den ich je betreten hatte, nahm ich mir nicht die Zeit, ihn zu bewundern. Weil der Anhänger förmlich Lichtsignale in meine Richtung aussendete. Er befand sich noch in demselben Schaukasten wie auf dem Foto im Wired-Magazin – gleich neben einem identischen Exemplar. Ein Partnerset.

Tja, das trifft sich gut. Einer ist für ihn, der andere für mich.

Es bestand nicht die Gefahr, dass ich die Anhänger verwechseln könnte, weil der meines Vaters einen unverkennbaren kleinen Makel aufwies. Als Kind hatte ich den Quasten einen »Haarschnitt« verpasst, sodass sie jetzt etwa zwei Zentimeter kürzer waren, als sie sein sollten.

Ich hastete am Schreibtisch vorbei, ohne mich um die Papiere zu kümmern, die durch den von mir erzeugten Luftzug auf den Teppich segelten. Dann presste ich die Fingerkuppen auf das dicke Glas. Endlich.

»Entschuldige, dass es so lange gedauert hat«, flüsterte ich und spürte, wie mir Tränen in die Augen stiegen. »Er hat dich in einen goldenen Käfig gesperrt. Aber keine Sorge. Ich werde dich befreien.«

Seit dem Tod meines Vaters hatte ich sein liebstes Stück in meiner Nachttischschublade verwahrt, um Trost darin zu finden, wenn ich mitten in der Nacht aufwachte und er mir schrecklich fehlte. Bevor Vera den Anhänger verkaufte, hatte dem kunstvollen chinesischen Knoten noch immer eine Spur von Dads Duft angehaftet. Bestimmt war er inzwischen von Zachs sterilem Geruch überlagert.

Ich hole ihn mir zurück, Dad. Das verspreche ich.

Ich hob den ramponierten Saum meines hellblauen Kleids hoch und schnappte mir den Glasschneider, den ich am Bund meiner Unterhose befestigt hatte. Das Blut dröhnte wie Donner in meinen Ohren, als ich mit einem Klicken das Stahlrädchen ausfuhr und anfing, rings um das kleine Schloss einen Kreis in das Glas zu ritzen.

Plötzlich hörte ich eine Stimme. Sie war laut genug, um meine hämmernden Herzschläge zu übertönen.

»Darf ich fragen, was Sie da machen?«

Fuck.

KAPITEL2

Farrow

Die Stimme war so kalt wie das Herz des Mannes, dem sie gehörte. Ich drehte mich um und setzte ein dümmliches Lächeln à la Reggie auf, das besagte: Ich hab nur Stroh im Kopf und keinerlei Interessen außer der neuesten Chanel-Kollektion. »O mein Gott, Sie sind es wirklich! Ich wünsche mir schon ewig, Sie endlich kennenzulernen, Mr Sun.«

Ich war mir nicht zu schade dafür, einen Kerl zu bauchpinseln, wenn er mich dann in Ruhe ließ. Männer waren in der Regel einfach gestrickt und für Komplimente mehr als empfänglich. Bedauerlicherweise taute Zachary kein bisschen auf, ihn umgab noch immer die Aura eines Eisbergs.

»Ich habe Ihnen eine Frage gestellt.« Er kam einen Schritt näher, seine Augen zwei mit schwarzer Leere angefüllte Krater, die mich in sich hineinzusaugen drohten. »Jetzt wäre ein idealer Zeitpunkt, um sie zu beantworten.«

Was die Sache nicht besser machte, war, dass sein Erscheinungsbild mich ablenkte. Seine hochgewachsene Gestalt, der markante Kiefer, an dem man eine Klinge hätte schleifen können, sein seitlich gescheiteltes und mit Gel nach hinten gekämmtes Haar, das dunkler war als die Schwingen eines Raben. Er trug einen Frack und war der Inbegriff von Eleganz, Attraktivität und Macht. Zach Sun strotzte vor Charisma, gleichzeitig wirkte er unnahbar und kalt. Wie ein unwirtlicher, lebensfeindlicher Planet. Wir waren uns schon häufig begegnet – ohne dass Zach das bewusst war –, aber ich konnte mich noch immer nicht an ihm sattsehen.

Er hob die rechte Augenbraue. »Hat es Ihnen die Sprache verschlagen?«

Kein Wunder, nachdem ich gerade auf frischer Tat ertappt wurde.

»Ich war auf der Suche nach Ihrer Kunstgalerie und habe mich verlaufen.« Ich senkte das Kinn und schaute ihn unschuldig an. »Bitte verzeihen Sie, aber ich konnte meine Neugier einfach nicht zähmen. Den Gerüchten zufolge soll sie unübertroffen sein.«

»Sie befindet sich im Kellergeschoss.« Zach drehte den Dimmer der Deckenbeleuchtung auf die hellste Einstellung und tauchte den Raum in gleißendes Licht. »Und wenn Ihnen bekannt ist, dass sie existiert, wissen Sie auch, dass der Zutritt strengstens verboten ist. Im Übrigen mögen Sie Kunst nicht.« Er sagte das mit solcher Überzeugung, dass mir vor Schreck kurz der Atem stockte. Hatte er meine Scharade etwa durchschaut?

Zach schloss die Tür hinter sich und lehnte sich mit verschränkten Armen dagegen, um mir den Fluchtweg abzuschneiden. »Versuchen wir es noch einmal. Warum sind Sie hier?«

Ein letztes Mal betrachtete ich den Anhänger, dann riss ich meinen Blick davon los und schlenderte auf Zach zu, wobei ich lasziv die Hüften schwingen ließ. In Ermangelung eines Degens würde ich eben meine weiblichen Reize als Waffe benutzen. »Ich hasse Partys.«

Genau wie dich. Und die Tatsache, dass du einfach in mein Leben spaziert bist und dir etwas angeeignet hast, das mir gehört, so als wäre ich vollkommen bedeutungslos.

Ich begrub die Worte unter meinem Stolz, dann holte ich zum entscheidenden Schlag aus, indem ich das Dekolleté meines Kleids zurechtrückte. Er zuckte nicht mal mit der Wimper. Autsch. Dann weiter zu Plan B.

Ich fächelte mir Luft zu und warf meine Haare über die Schulter. »Ich musste zu Atem kommen, und meine Füße haben mich wie von selbst hierhergeführt.«

»Nun, dann möchte ich Sie höflich auffordern, sie dafür zu gebrauchen, mein Grundstück zu verlassen. Es sei denn, Sie würden die Nacht gern in einer Gefängniszelle verbringen.«

Es überraschte mich nicht, dass er kein netter Zeitgenosse war, aber solch arschiges Verhalten hatte ich dann doch nicht erwartet. Andererseits war ich in sein Haus eingedrungen, um ihn zu beklauen. Ich flanierte durch den Raum und ignorierte Zachs Worte, die wie ein Damoklesschwert über mir schwebten. Meine Fingerspitzen strichen über Buchrücken, Gemälde und gepolsterte Sitzmöbel.

Zach stellte sein Whiskeyglas auf einen Seitentisch und verfolgte mit Argusaugen jede meiner Bewegungen. »Sind Sie taub?«

Taub? Nein. Fest entschlossen? Absolut. Anscheinend war Zach es nicht gewohnt, dass Frauen nicht sofort parierten, wenn er ihnen einen Befehl erteilte.

Mein Blick erfasste den aus Khaya-Mahagoni gefertigten Go-Spieltisch, der zwischen zwei Sofas stand. Yunzi-Steine und zwei Maulbeerholz-Schalen komplettierten das Set. Zach musste ein Vermögen für dieses Schmuckstück berappt haben. Die auf dem Brett verteilten Steine wiesen darauf hin, dass die Partie nach einer längeren Spieldauer unterbrochen worden war. Oder, was wahrscheinlicher schien, jemand das Handtuch geworfen hatte. Aus einem Impuls heraus nahm ich einen schwarzen Stein aus dem zugehörigen Behältnis und platzierte ihn auf einem Schnittpunkt.

Stirnrunzelnd beobachtete Zach mich von der anderen Seite des Zimmers aus. »Das ist nicht Schach.« Seine tiefe Stimme klang spöttisch. Und ein bisschen panisch. Es behagte ihm nicht, wenn andere seine Sachen anfassten. Typisch Einzelkind.

»Nein, offensichtlich nicht.« Es juckte mich in den Fingern, einen weiteren Stein zu setzen. Ich hatte seit einer Ewigkeit nicht mehr gespielt. »Beim Schach benutzt man hübsche, griffige Figuren. Diese runden Dinger eignen sich eher für Dame.«

Eins seiner Augenlider zuckte. Er hatte so viel Geld und nicht einen Funken Humor. Wie schade.

Die Positionen der Steine verrieten mir alles, was ich über die beiden Spieler wissen musste. Schwarz agierte vorsichtig, großmütig und defensiv, Weiß dagegen rücksichtslos, aggressiv und zielgerichtet. Zach ist Weiß, schlussfolgerte ich.

Ich verbarg meine Neugier, was die Identität seines Gegners betraf. »Ich nehme an, Schwarz war am Zug.«

»Warum denken Sie das?«

Weil ich zählen kann.

Ich entschied mich für eine etwas rüdere Antwort. »Weil Weiß so dumm war, auf die Kō-Drohung von Schwarz zu reagieren, und dadurch seine eigene Kette zerstört hat. Vermutlich hat der Spieler seinen Kontrahenten anschließend um eine Unterbrechung gebeten, um seine Wunden zu lecken und sich wieder zu sammeln.« Ich schüttelte den Kopf. »Er hatte wohl nicht das Rückgrat, seine Niederlage einzugestehen.«

Stille.

Ich zupfte einen verirrten Grashalm von meinem Kleid und realisierte, dass mir Zachary Sun am sympathischsten war, wenn er den Mund hielt. Seine Miene blieb ausdruckslos und unergründlich. Er sah mich nicht an, sondern taxierte den Go-Tisch. Der Mann wirkte dermaßen selbstbeherrscht, dass ich mich fragte, ob er überhaupt zu menschlichen Regungen fähig war. Das machte ihn unberechenbar und zu einem nicht zu unterschätzenden Gegner.

»Herrje.« Ich schürzte die Lippen und legte den Kopf ein wenig schief. »Sie sind Weiß, nicht wahr? Keine Sorge. Ihr Geheimnis ist bei mir sicher.«

Das leichte Beben seiner Nasenflügel war das einzige Anzeichen, dass er überhaupt atmete. »Ich habe mich nicht aus der Affäre gezogen.«

Verstohlen linste ich zur Tür. Ob er es merken würde, wenn ich einen Fluchtversuch unternähme? »Ich bin froh, das zu hören. Denn das wäre extrem unsportlich.«

Als Nächstes zog ich die bis zum Boden reichenden Fenster in Betracht. Was wäre schon dabei, wenn ich mir die Knöchel brechen würde?

»Nein.« Zach kam langsam auf mich zu. Sein Duft – nach Zitrusfrüchten und dunklen Hölzern – drang in meine Nase und warnte mich, dass Gefahr im Verzug war. »Ich habe nicht gekniffen«, beharrte er. Jetzt war er so nah, dass unsere Schultern sich fast berührten. Wir blickten beide auf das Brett. Er zeigte auf eine der Ecken. »Schauen Sie hin.«

Ich tat es. Auf seine weichen, glatten, gebräunten Hände mit den langen, tadellos gepflegten Fingern, die noch nie harte Arbeit verrichtet hatten. Sein Handgelenk zierte eine De Bethune. Alles an ihm war perfekt, glamourös – und seelenlos.

»Ich rieche eine Herausforderung«, provozierte ich ihn, als mir klar wurde, dass dieses sogenannte Genie noch immer nicht ahnte, was ich vorgehabt hatte. Heilige Scheiße. Ich hatte versucht, ihn zu bestehlen, und würde ungeschoren davonkommen. Meine Gefühle schwankten zwischen Erleichterung und Enttäuschung, weil es mir nicht gelungen war, den Anhänger an mich zu bringen. Jedenfalls noch nicht.

»Das Einzige, was ich rieche, ist Bockmist.« Zach pflanzte sich auf den Platz gegenüber von Schwarz, stemmte die Ellbogen auf die Knie und verflocht mit gefurchter Stirn die Finger. »Hinsetzen«, befahl er, als wäre ich ein Kind.

»Warum?«

»Weil ich den Boden mit Ihnen aufwischen werde. Und das geht schneller, wenn Sie nicht aufrecht stehen.«

Ich starrte ihn an, empört und eingeschüchtert zugleich. »Sie bilden sich wirklich ein, dass niemand Ihnen das Wasser reichen kann, oder?«

»Das ist keine Einbildung, sondern eine Tatsache.« Er meinte es ernst. Mir tat die Frau, für die er sich entscheiden würde, schon jetzt leid. Ich konnte ihr nur die Daumen drücken, dass sein Schwanz so groß war wie sein Ego.

»Ich denke –«

»Sie glauben«, korrigierte er. »Die meisten Menschen besitzen gar nicht die Fähigkeit, eigene, tiefschürfende Gedanken zu entwickeln. Selbst Dissertationen spiegeln nichts anderes wider als die recycelten Theorien klügerer Köpfe. Jetzt setzen Sie sich hin, sonst rufe ich den Sicherheitsdienst.«

Ich blinzelte. »Zwingen Sie mich etwa, mit Ihnen zu spielen?«

»Ja.«

»Lassen Sie mich raten. Sie waren als Kind auf Spielplätzen nicht gerade beliebt, stimmt’s?«

»Ich war nie auf einem.« Er schob seine Ärmel hoch und hob den Deckel von dem Gefäß mit den weißen Steinen. »Allerdings haben meine Eltern anlässlich meines fünften Geburtstags für ein Wochenende ganz Disneyland gemietet und meine gesamte Vorschulklasse mit dem Flugzeug dorthin verfrachtet. Es kamen keine Beschwerden. Hinsetzen.«

Ich leistete der Anweisung Folge. Diese Partie würde mir Zeit verschaffen, um mir meinen nächsten Schritt zu überlegen. »Ja, so sind sie, die Reichen. Auch nicht anders als unsereiner.«

Er fragte mich noch nicht mal nach meinem Namen. Die Aussicht, bei diesem altmodischen strategischen Brettspiel den Kürzeren zu ziehen, ließ ihn alle Vorsicht über Bord werfen.

Zachary Sun war es nicht gewohnt, zu verlieren. Welch jämmerliches Dasein. Wie konnte man sich über einen Sieg freuen, wenn man nicht wusste, wie eine Niederlage schmeckte?

Ich musterte seine entspannten Schultern. »Müssen Sie nicht zurück zu Ihrer Party?« Er hatte bisher nicht einmal zur Tür geblickt.

Zach ignorierte die Frage, klemmte einen seiner Steine zwischen Zeige- und Mittelfinger und führte seinen Zug in weniger als einer Sekunde und mit makelloser Go-Etikette aus. Er blockierte meinen Angriff, ohne auch nur darüber nachzudenken. Seinen Blick auf mich gerichtet, ließ er sich gegen die weich gepolsterte Rückenlehne sinken und schlug ein Bein über das andere, wobei seine Hose ein Stück nach oben rutschte und sein Strumpf zum Vorschein kam. Er war schwarz, so wie sein Herz.

»Wo haben Sie gelernt, Go zu spielen?« Es klang wie ein Vorwurf – etwas, woran ich leider gewöhnt war.

»In Korea.« Ich führte das nicht näher aus, sondern beugte mich vor, um meine nächste Attacke zu planen.

Von der anderen Seite der Tür waren Musik, Lachen und das Klirren von Champagnergläsern zu hören. Ich blendete die Geräusche aus und dachte hektisch nach, wie ich von hier verschwinden könnte. Den Anhänger würde ich mir an einem anderen Tag holen.

Zachs linke Braue hob sich kaum merklich. Bestimmt hätte er zu gern erfahren, was eine weiße Amerikanerin nach Korea verschlagen hatte, doch er schwieg. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass er stolz auf sein Desinteresse gegenüber seinen Mitmenschen war. Wahlweise war seine Gleichgültigkeit schlicht Teil seiner überheblichen Attitüde.

Verstohlen linste ich auf sein Gesicht, um festzustellen, ob es meinen Puls noch immer in die Höhe schnellen ließ. Das tat es. »Ich habe während meiner Zeit dort an einigen Go-Wettbewerben teilgenommen, falls Ihnen das ein Trost ist.«

Er fletschte die Zähne. »Warum sollte ich den nötig haben?«

»Weil ich Sie vernichten werde.«

»Ganz schön anmaßend.«

»O bitte, Zach. Es gibt in diesem Raum nur einen Narzissten, und wir wissen beide, dass Sie das sind.«

Die Worte waren mir einfach so herausgerutscht. Vera hatte recht. Mir Benimm beizubringen, war unmöglich.

Zach bewegte einen anderen Stein. Er hatte mich in die Ecke gedrängt – buchstäblich und im übertragenen Sinn. Er war ein fantastischer Spieler, ruhig, pragmatisch und geradlinig. Das erstaunte mich nicht, fuchste mich aber dennoch. Weil ich einen analytischen Verstand besaß. Mein Vater hatte mich früher oft gewarnt, dass jede Dummheit ihren Preis hatte. Vielleicht erklärte das, wie es Zach gelungen war, sein zugegebenermaßen beachtliches Erbe in ein Vermögen zu verwandeln, das dem Bruttoinlandsprodukt von Luxemburg entsprach. Er hatte keine Schwächen, die man ausbeuten konnte, traf keine unklugen Entscheidungen, die ihn teuer zu stehen kamen.

Während ich darauf wartete, dass er seinen Zug machte, ließ ich einen Stein auf meiner Handfläche kreiseln. Das verstieß gegen die Go-Etikette und würde Zach mit Sicherheit ärgern. »Sollten Sie nicht zu Ihren Gästen zurückkehren?«

»Nein.« Er klang entschieden. »Ohne mich haben die mehr Spaß.« Zach setzte seinen Stein, dabei lehnte er sich näher zu mir. Er hatte null Interesse an mir als Frau, obwohl ich nur spärlich bekleidet und völlig seiner Gnade ausgeliefert direkt vor ihm saß. Es juckte ihn nicht. Die armen Grazien im Erdgeschoss hatten nicht den Hauch einer Chance. Zachary Sun stand nicht auf Liebe oder Leidenschaft. Menschen faszinierten ihn nicht, sondern nur Zahlen und Psychospielchen.

Ich räusperte mich. »Sie haben ein wirklich hübsches Haus.« Krampfhaft versuchte ich, die Stille zu füllen, um ihn davon abzuhalten, mir Fragen über mich zu stellen. Gleichzeitig war ich besorgt, dass er meine Stimme erkennen könnte. Bei unseren früheren Begegnungen hatten wir beide Masken getragen.

Mehrere Sekunden vergingen, ehe er flüchtig zu mir sah. »Sonst noch was?«

Jesses.

»Stimmt es, dass Ihre Mutter Sie dazu zwingt, noch vor Ende des Jahres zu heir–«

»Ich ziehe es vor, schweigend zu spielen.«

Ich massierte mir mit den Fingerknöcheln meine Schläfen, hinter denen sich ein immer stärkerer Druck aufbaute. »Und danach lassen Sie mich in Frieden?«

»Vielleicht lasse ich Sie in Frieden ziehen. Ein besseres Angebot kann ich Ihnen nicht machen.«

»Bei dem Deal springt nicht viel für mich raus.«

»Das sehe ich anders. Es sei denn, Sie haben eine Vorliebe für Gefängniskost.«

»Ich bin nicht pingelig.«

»Das sind die Insassinnen, die Ihnen in den Duschen auflauern werden, auch nicht.«

»Wollen Sie damit andeuten –«

»Es entspricht nicht meiner Art, Dinge anzudeuten. Ich spreche sie offen aus. Und jetzt fordere ich Sie dazu auf, Ihren Zug zu machen. Und zwar, ohne zu quatschen.«

Ich gehorchte.

Die nächsten zwei Stunden verloren wir uns in dem Spiel. Ungefähr alle zwanzig Minuten klopfte jemand an die Tür und versuchte, Zach zurück auf die Party zu locken. Er winkte jedes Mal lässig ab, eine wortlose Aufforderung, zu verschwinden. Zach konzentrierte sich komplett auf die Go-Partie, deshalb bemühte ich mich, sie so lange hinauszuzögern wie möglich. Ich wollte nicht erneut einem Verhör unterzogen werden. Aber er hatte wirklich verdammt viel Talent für dieses Spiel. Hätte er mir erzählt, dass er an Profiturnieren teilnahm, könnte ich ihm das unbesehen glauben.

Die dritte Stunde brach an. Schweiß rann an meinen Schläfen herab, und meine Fußsohlen kribbelten vor Verlangen, aus der Tür zu sprinten. Zachs grimmige Mimik bekam etwas Verkniffenes, als unsere Pattsituation offensichtlich wurde. Wir steckten in einer Sackgasse. Das lebhafte Geplauder im Erdgeschoss verebbte, die Musik wurde leiser, woraus ich schloss, dass die meisten Gäste inzwischen gegangen waren. Und der Gastgeber hatte die gesamte Party hier verbracht. Mit mir.

Überwiegend stumm wie ein Fisch.

Schließlich brach ich das Schweigen. »Meinen nächsten Zug muss ich mir gut überlegen.« Ich schob die Unterlippe vor und rieb mir über die Wange. Ich hasste es, zu verlieren. Außerdem wusste ich noch nicht mal, was passieren würde, nachdem ich die Höhle des Löwen verlassen hätte. Ich hatte mein Auto heute Nachmittag zwei Straßenblocks von Zachs Anwesen entfernt abgestellt, um ein Fluchtfahrzeug zu haben, sobald ich mir den kostbaren Anhänger geschnappt hätte. Anscheinend war ich zu übermütig geworden.

Zach löste den Blick nicht von dem Go-Brett. »Sie haben keine Chance.«

»Reden Sie sich das ruhig weiter ein.« Ich stand auf, streckte meine Arme und täuschte ein Gähnen vor.

Er erhob sich nun ebenfalls, seine Miene noch immer finster.

Ich verschloss das Gefäß, in dem sich meine restlichen Spielsteine befanden. »Jedenfalls danke für –«

»Wann bringen wir die Partie zu Ende?« Zach holte sein Handy heraus und öffnete seinen Terminkalender. Nicht zu fassen, es kam ihm nicht mal in den Sinn, dass ich ablehnen könnte. Er scrollte durch die Einträge, um einen für ihn geeigneten Zeitpunkt zu finden. »Morgen passt es mir nicht, und am Tag darauf muss ich zu einem Meeting nach London. Ich werde allerdings nicht über Nacht bleiben.«

Eigentlich hätte ich nicht überrascht sein dürfen. Zach wollte herausgefordert werden, er brauchte das, weil sein Umfeld ihn langweilte. Pech für ihn, dass ich eher mit verbundenen Augen und gefesselten Händen nach Hause fahren würde, als noch eine Sekunde länger in seiner Gegenwart zu verbringen.

Ich kratzte mich unterm Kinn. »Leider bin ich momentan ziemlich beschäftigt.«

»Damit, uneingeladen auf Partys aufzukreuzen?«

Ich strich mit meiner schweißfeuchten Hand mein Kleid glatt. »Sie sind unverschämt.«

»Aber es stimmt. Wer sind Sie?« Sein Blick bohrte sich in meine Schläfe wie ein Pistolenlauf, der nur darauf wartete, einen Schuss abzugeben. Ich fragte mich, was seine Augen gesehen haben mochten, um diese seelenlose Kälte in ihnen hervorzurufen.

»Ein Gast. Genauer gesagt, die Begleitung von jemandem.«

»Wie heißt die Person?«

Würde ihm ein Zacken aus der Krone brechen, wenn er das Thema auf sich beruhen ließe?

Ich zauberte den Namen eines Mannes aus dem Hut, von dem ich annahm, dass er hier gewesen war. »Pierre Toureau.« Er war ein Klient von mir, noch dazu ein sehr vermögender, der mit Restaurants und Einkaufszentren ein Vermögen gescheffelt hatte. Ich würde darauf wetten, dass Zach ihn und seine hübsche Tochter Anamika, die gerade ihr Examen machte, eingeladen hatte.

Eine Ader schwoll an seinem Hals an. »Tatsächlich?«

»Ja.«

»Interessant. Und seine Frau ist darüber im Bilde?«

Scheiße. »Ich bin seine Nichte.«

»Die, die in Frankreich lebt?«

»J-ja.«

»Wo genau?«

Jesses. Reichte es nicht, dass er heiß war? Musste er dazu auch noch pfiffig sein? Andererseits war auch das keine große Überraschung. Trotzdem war es ein verstörendes Gefühl, mit tödlicher Treffsicherheit von ihm ins Visier genommen zu werden.

»Nun ja, äh …«

Zach schüttelte den Kopf, als wäre ich ein hoffnungsloser Fall. »Sie sind keine von uns«, resümierte er, die Hände in den Hosentaschen, sein Kiefer härter als der Granitboden unter unseren Füßen.

Mist, verdammter. Hol ihn der Teufel.

»Woher wollen Sie das wissen?«

»Zum einen tragen Sie ein Nachthemd.«

Fuck. Es war das einzige elegante Outfit in Reggies Kleiderschrank gewesen, das nicht mit Federn, Leder oder anderen Teilen von toten Tieren besetzt war. Ich hätte ahnen müssen, dass die Sache einen Haken hatte.

»Ich habe keinen Schimmer, wovon Sie reden.« Mit trotzig vorgerecktem Kinn wich ich einen Schritt zurück und tastete mit meinen Fingern verstohlen die Umgebung nach irgendeiner Waffe ab. Wie lange würde man mich wohl einbuchten, wenn ich ihm mit einem seiner sterbenslangweiligen Finanzratgeber – die er unmöglich alle gelesen haben konnte – eine verpassen würde? »Es ist okay, wenn Ihnen mein Kleid nicht gefällt, trotzdem müssen Sie es nicht herabwürdigen. Ich reibe Ihnen ja auch nicht unter die Nase, dass Sie in Ihrem Frack aussehen wie ein Pinguin.«

Er kam mit stoischer, unerbittlicher Miene auf mich zu. »Geben Sie Ihr Täuschungsmanöver auf, kleiner Oktopus. Sie tragen durchlöcherte Sneakers.«

Kleiner Oktopus? Hatte er sie noch alle?

»Die sind bequem. Und man kann schließlich nie vorhersagen, wann man schnell das Weite suchen muss.« Ich trat noch einen Schritt zurück.

»Jetzt wäre ein guter Zeitpunkt.« Er rückte so nah an mich heran, dass er mich einschüchterte, ohne mich zu berühren. »Und da Sie so leichte Beute sind, werde ich Ihnen sogar einen Vorsprung geben.«

Er unterschätzte mich. Normalerweise genoss ich es, meine Mitmenschen eines Besseren zu belehren, aber Zach Sun ließ mich an meinen eigenen Fähigkeiten zweifeln. Sowohl an den körperlichen als auch an den intellektuellen.

Ich reckte den Hals, um ihm in die Augen zu sehen. Mit meinen ein Meter dreiundsiebzig reichte ich größentechnisch an viele Männer heran, aber in Zachs Gegenwart fühlte ich mich geradezu winzig. Und so verwundbar wie das zarte Herz eines Teenagers. Er war schlank, hochgewachsen und muskulös, mit den Proportionen eines in Stein gemeißelten römischen Gottes und dem dazugehörigen Gesicht. Seine dichten Brauen waren elegant geschwungen, seine unergründlichen Augen so dunkel, dass ich nicht erkennen konnte, wo die Pupillen aufhörten und die Iris anfing. Dazu seine vollen, wie von Meisterhand gezeichneten Lippen, für die jede Frau töten würde. In Kombination mit seinem markanten Kiefer und den hohen Wangenknochen sah er aus wie eine Mischung aus Mensch und Dämon. Ein Kunstsammler, der selbst ein Kunstwerk war.

»Hören Sie zu …« Mein Rücken stieß gegen die Tür, und ich griff instinktiv nach dem Knauf, der sich in mein Kreuz bohrte. Der Anhänger hinter Zach schien mir förmlich zuzuzwinkern. Fuck. Ich musste einen zweiten Versuch unternehmen. Zachs Angebot, unsere Partie zu einem späteren Zeitpunkt fortzusetzen, war wie ein mit Stacheldraht und Giftefeu umwickeltes Geschenk. Trotzdem wusste ich es zu schätzen. Dumm nur, dass ich keinem von uns beiden genug vertraute, um es auszupacken. Ich hielt meine freie Hand in die Höhe. »Ich kann die Sache erklären.«

Ein letzter Schritt, und er pferchte mich mit seinem Körper ein, war jetzt so nah, dass sich die feinen Härchen auf meinen Armen aufstellten, obwohl er mich erneut nicht berührte. »Das bezweifle ich aus ganzem Herzen.«

»Ausgeschlossen. Sie haben kein Herz.« Keine Ahnung, warum ich ihn provozierte, aber ich hätte nicht damit aufhören können, selbst wenn ich es gewollt hätte. Ich war zu sehr in Fahrt und von kribbelnder Energie erfüllt. Es widersprach jeder Logik, aber mein Stolz verlangte mit aller Macht, dass ich Zachary Suns Fassade eine Schramme zufügte.

Sein Gesicht bliebt emotionslos. »Das mag sein, aber mein Verstand gleicht dieses Manko aus. Und er rät mir dazu, Sie dafür zu bestrafen, dass Sie –«

Anstatt mir anzuhören, wie er mich zu disziplinieren gedachte, drehte ich mich zur Tür herum, riss sie auf und türmte. Zach war mir in Sekundenschnelle auf den Fersen. Seine Schuhe klackerten über den Marmorboden, als er mir mit langen Schritten nachsetzte. Ich spurtete zur Treppe, schwang mich auf das Geländer und rutschte, so flugs ich konnte, nach unten.

Zach schnippte mit den Fingern. »Ergreift sie!«

Sofort tauchten zwei Personen auf und liefen mir hinterher. Zach war am dichtesten an mir dran, aber mit meinem Tempo konnte er nicht mithalten. Ich sollte mich für die Olympischen Spiele bewerben, Baby, hätte ich ihm am liebsten zugerufen. In einem anderen Leben wären Zach und ich vielleicht sogar Freunde. Wir würden Ideen austauschen, Go spielen und uns bei Kopfrechenaufgaben duellieren. Ich würde gewinnen. Jedenfalls meistens. Um ihn auf Zack zu halten.

Am Fuß der Treppe angekommen, glitt ich vom Geländer, dann wirbelte ich einmal um die eigene Achse und zwinkerte Zach zu, bevor ich zum Ausgang eilte. Nur noch ein paar Reinigungskräfte und eine Eventplanerin hielten sich im Foyer auf. Sie quiekten erschrocken, als ich ohne Vorwarnung erschien. Jemand ließ einen Wischmopp fallen, und Seifenlauge spritzte auf ein Gemälde, bei dem es sich um einen echten Baselitz handeln musste. Hoppla.

Ohne meine Schritte zu verlangsamen, stürmte ich aus der Haustür, was einen Mitarbeiter des Parkdienstes aufscheuchte, der sich gerade eine Zigarettenpause gönnte. Trotz der kalten Luft kühlte sich meine erhitzte Haut nicht ab. Ich wurde noch schneller, bis meine Oberschenkel vor Anstrengung brannten. Andras würde ein Menschenopfer darbringen, wenn ich bei jedem Training zu solcher Höchstform auflief.

Meine keuchenden Atemzüge übertönten das Zirpen der Grillen. Schweiß rann meinen Rücken hinab, und mit jedem Schritt riss der Schlitz meines Kleids ein Stück weiter auf. Obwohl ich eine Höllenangst hatte, fühlte ich mich gleichzeitig lebendiger als seit einer ganzen Weile.

Ich schnappte mir einen Wasserschlauch, der vergessen im Gras lag, richtete ihn auf Zachs Mitarbeiter, die noch immer hinter mir her waren, und spritzte sie von oben bis unten nass. Ein ersticktes Lachen stieg in meiner Kehle auf. Was machst du da, Fae? Mich amüsieren. Ich hatte fast vergessen, wie das geht.

Ich ließ den Schlauch fallen und rannte weiter. Bis auf Zach hatte ich meine Häscher erfolgreich abgeschüttelt.

»Ich würde das nicht tun, wenn ich du wäre.« Er klang erstaunlich gefasst, schien weder aus der Puste noch perplex angesichts meiner plötzlichen Unerschrockenheit zu sein. »Du kannst weglaufen, aber du kannst dich nicht verstecken. Ich bekomme immer, was ich will. Und ich verlange Antworten.«

Meine Sneakers sanken in den weichen Untergrund ein und ruinierten Zachs sorgsam getrimmten Rasen. Die Gartensprinkler gingen an, was sicherlich kein Zufall war. Von allen Seiten prasselte Wasser auf mich ein und durchnässte Reggies Negligé, bis der Satin wie eine zweite Haut an mir klebte. Trotzdem drosselte ich meine Geschwindigkeit nicht.

Ein dunkles Lachen drang an mein Ohr. »Du hast wirklich hohen Unterhaltungswert, Okti.«

»Warum nennst du mich so?«, brüllte ich in die Nacht. Ich wollte ihn nicht merken lassen, wie sehr er mich auf die Palme brachte, aber ich konnte nicht anders. Es gab wohl auf der ganzen Welt keinen Spitznamen, der weniger schmeichelhaft gewesen wäre. Selbst in zehn Jahren könnte ich mich daran nicht gewöhnen.

»Weil du ein Oktopus bist«, erklärte er im Plauderton, so als würden wir uns nicht gerade eine rasante Verfolgungsjagd liefern. »Du bist giftig, außergewöhnlich intelligent und musst alles betatschen. Außerdem schleudern weibliche Exemplare Muscheln auf Männchen, von denen sie sich belästigt fühlen.«

»Wenn dir bewusst ist, dass du mich belästigst, warum hörst du dann nicht damit auf?«

»Wie würde dir Freitag passen?« Er schaffte es, durch sein Handy zu scrollen, während er gleichzeitig sein Tempo anzog. Ein äußerst seltsamer Mann. »Ich hätte zwischen elf Uhr abends und ein Uhr morgens noch ein offenes Zeitfenster.«

Mitten in der Nacht? Um Go zu spielen?