My Second Chance - Tanja Voosen - E-Book

My Second Chance E-Book

Tanja Voosen

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Beschreibung

Was würdest du tun, wenn der Junge, in den du unsterblich verliebt bist, in dir nur die beste Freundin sieht? Die 17-jährige Lorn ist zwar beim Basketball ein Star, aber in Liebesdingen total schüchtern. Deswegen hat Theo keine Ahnung von ihren Gefühlen. Sonst hätte er ihr bestimmt auch nie diesen unglaublichen Vorschlag gemacht: Lorn soll beim großen Schulball sein Date sein – aber nur, um ihm all die Mädchen vom Hals zu schaffen, die ständig hinter ihm her sind! Doch dann wird aus dem Zweckbündnis etwas viel Tieferes. Denn sowohl Lorn als auch Theo sehen sich plötzlich mit Problemen konfrontiert, die ihr Leben für immer zu verändern drohen ...

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Seitenzahl: 601

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Das Buch

In diesem Moment, in dem wir beide hier mitten im Park standen, das Eis in unseren Händen langsam schmolz und irgendwo im Hintergrund ein Springbrunnen plätscherte, war es, als würde die Zeit kurz den Atem anhalten. Ohne den Blick von Theo zu nehmen streckte ich den Arm aus und griff mit meiner freien Hand nach seiner …

Lorn und Theo verstehen sich richtig gut. Bis sich Lorn in ihn verliebt. Ist das das Ende ihrer Freundschaft – oder der Anfang von etwas Neuem?

Eine Freundin zum Pferdestehlen und ein Junge, der fast seine zweite Chance verpasst – Tanja Voosen schreibt »unfassbar witzig und herzzerreißend schön!«     (Bianca Iosivoni)

Die Autorin

Tanja Voosen wurde 1989 in Köln geboren und fing gleich nach ihrem Abitur mit dem Schreiben von Kinder- und Jugendbüchern an. In ihrer Freizeit liest und bloggt sie gerne oder lässt sich von witzigen Situationen aus ihrem Alltag zu neuen Geschichten inspirieren. Gemeinsam mit unzähligen Büchern und ihrem dicken Kater lebt sie in der Nähe der Eifel. Zuletzt bei Heyne fliegt erschienen: My First Love.

TANJA VOOSEN

Roman

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Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Copyright © 2019 by Tanja Voosen

Copyright © 2019 dieser Ausgabe

by Wilhelm Heyne Verlag

in der Verlagsgruppe Random House GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Redaktion: Diana Mantel und Martina Vogl

Umschlaggestaltung: t.mutzenbach design, München,

unter Verwendung eines Motivs von

© GettyImages (Miodrag Ignjatovic) und

© Shutterstock (Helen Hotson, roxi06)

Satz: Leingärtner, Nabburg

e-ISBN: 978-3-641-23910-7V001

www.heyne-fliegt.de

Für meine Oma. Weil du mir beigebracht hast,

stark und unverwüstlich wie ein Baum zu sein.

Ich vermisse dich.

Kapitel 1

»Was hast du dir nur dabei gedacht?«

Die Stimme meines Basketball Coachs klang enttäuscht. Für einen Moment wusste ich gar nicht, was ich darauf antworten sollte und machte mich unter seinem strengen Blick ganz klein.

»Ich wollte die andere Spielerin nicht am Trikot packen«, antwortete ich entschuldigend. »Es ist einfach passiert.«

»Der Schiedsrichter hat es als Foul gewertet, Lorn.«

»Es war ein Versehen«, erwiderte ich nun etwas energischer.

Er sah mich direkt an. »Du bist manchmal zu impulsiv.« Seine Miene wurde etwas weicher. »Aber da wir heute gewonnen haben, spare ich mir den Rest meiner Standpauke ausnahmsweise. Merk dir fürs nächste Mal: Du spielst in einem Team, und du solltest die arme Skylar nie wieder außen vor lassen, um an den Ball zu gelangen. Und dabei schon gar nicht die Regeln verletzen – das fällt auf alle zurück. Verstanden?«

Mein schlechtes Gewissen wurde immer größer.

»Das … kommt nie wieder vor, versprochen.«

Coach Maxwell lehnte sich in seinem Stuhl zurück und nickte zufrieden. »Du kannst gehen. Lass die anderen nicht länger warten. Ihr habt da doch diese Tradition, eure Siege gemeinsam feiern zu gehen. Ich wünsche euch viel Spaß.«

Verdutzt runzelte ich die Stirn. Er wusste davon? Unsere privaten Teamtreffen fanden ohne den Coach statt, damit wir uns in Ruhe austauschen und manchmal auch über ihn schimpfen konnten.

»Die anderen sind schon weg«, erwiderte ich. »Aber danke.«

Ich wandte mich ab, aber der Coach räusperte sich.

»Und Lorn?«

»Ja?«

»Pass in Zukunft wirklich besser auf. Ich würde dich aufgrund deines Temperaments ungern auf die Ersatzbank verfrachten.«

Ich schluckte schwer und bemühte mich, cool zu bleiben.

»Verstanden, Coach.«

Mit raschen Schritten stürmte ich durch den Flur der angrenzenden Sporthalle in Richtung unserer Umkleide. Der Coach hatte recht, ich musste besser aufpassen. Er hatte mich nicht das erste Mal beiseitegenommen, um mich auf mein Verhalten hinzuweisen. Ich war so ein verdammter Hitzkopf! Dabei bedeutete mir Basketball alles. Da half nur eine heiße Dusche, um den Kopf frei zu bekommen.

Eine Viertelstunde später war ich mit allem fertig und verließ die Umkleide. Mit dem nächsten Bus fuhr ich von der Highschool aus zur Haltestelle des Wild Card – einem beliebten Treffpunkt unter Schülern und Studenten. Das gute und günstige Essen, die leckeren Smoothies und Cocktails, aber auch die Retro-Spielautomaten und die vielen Billardtische sorgten besonders am Wochenende für ein volles Haus. Ich freute mich schon riesig darauf, mit den Mädels anzustoßen und kurz all meine Sorgen auszublenden.

Bei Skylar sollte ich mich auch dringend entschuldigen …

Im nächsten Moment hatte ich jedoch ganz andere Probleme.

Wer hätte geahnt, dass mein Zuspätkommen mich geradewegs in die Szene eines Mafiafilms hineinbefördern würde? Ich hatte kurz einen Blick auf mein Handy geworfen (drei Nachrichten und ein verpasster Anruf von unserer Teamkapitänin Kim, die fragte, wo ich blieb) und sah wieder auf, um die Straße zu überqueren, da bemerkte ich sie. Zwei schemenhafte Gestalten, die aus einer Seitengasse in den Hinterhof des Wild Card traten. Dort verschmolzen sie augenblicklich mit dem Dunkel der Häuserwand. Zuerst war ich mir unsicher, ob ich sie mir nur eingebildet hatte. Der Hinterhof war spärlich durch einige Laternen ausgeleuchtet, doch im Schein eines vorbeifahrenden Autos wurden ihre Silhouetten deutlicher. Das Wetter war für Anfang Mai in Kalifornien eher ungemütlich und kalt. Aber es war nicht die kühle Abendluft, die mich nun frösteln ließ. Beim Anblick der zwei Unbekannten beschlich mich ein ungutes Gefühl. Sie benahmen sich einfach auffällig. Wie sie unruhig die Köpfe nach allen Seiten drehten, eine Hand etwas hervorzog und es dem Gegenüber zuschob … 

Sollte ich lieber ums Gebäude herum zur Vordertür? Die hatte ich extra gemieden, weil dort um diese Zeit die ganzen Idioten aus der Unterstufe auf dem Parkplatz abhingen und einen auf The Fast & The Furious machten.

So ein Blödsinn! Vermutlich ging meine Fantasie mit mir durch. Ab zum Eingang!

Ich setzte mich in Bewegung und überquerte die Straße. Beim Näherkommen erkannte ich ein Mädchen und einen Jungen. Ihre Gesichter lagen noch immer im Schatten, und ihre Körpersprache wirkte sehr angespannt.

»Ich bin raus aus der Sache! Egal, was du denkst!«

Das Mädchen spie die Worte nur so aus. Ich zuckte bei der Lautstärke zusammen und hielt inne. Es war ein Wunder, dass sie mich noch nicht gehört hatten. Kleine Steinchen vom Asphalt knirschten unter meinen grünen Chucks.

»Du weißt nicht, wovon du da sprichst!«, schrie nun der Junge.

Das war definitiv kein normaler Streit. Das Mädchen trat einige Schritte zurück, um Abstand zu nehmen, aber er packte grob ihren Arm. Sie riss sich los und stolperte zur Seite. Sofort brauste Ärger in mir auf. So eine Situation konnte ich unmöglich einfach ignorieren. Ehe ich richtig darüber nachgedacht hatte, überbrückte ich die letzte Distanz zu den beiden und rief laut: »Hey! Lass sie gefälligst in Ruhe!«

Das Mädchen hatte mir noch den Rücken zugewandt, aber der Junge reagierte sofort und trat in den Lichtstrahl einer der Laternen. Schlagartig wurde mir klar, dass mir der Typ alles andere als fremd war. Er war hochgewachsen, mit dunklem Haar und arroganter Haltung. Andrew Carlyle! Der fehlte mir gerade noch! Vor einigen Monaten hatte er meiner besten Freundin Cassidy übel mitgespielt, weil sie seiner Ex geholfen hatte, ihn zu verlassen. Dabei hatte die arme Sarah gut daran getan, Andrew in die Wüste zu schicken. Er war nämlich echt das Letzte!

»Was?«, schnauzte er.

Andrew starrte mich kurz irritiert an, dann funkelten seine Augen zornig. Ich trat neben das Mädchen und berührte ihren Arm.

»Ist alles okay bei dir?«

Sie fuhr herum. Ihr Gesicht spiegelte alles andere als Erleichterung über meine Unterstützung wider. Sie wirkte mindestens genauso überrumpelt und abweisend wie Andrew. Es war allerdings nicht ihr Verhalten, das mir den Atem stocken ließ, sondern die Tatsache, dass ich sie sofort wiedererkannte.

»Misch dich nicht ein!«, fuhr sie mich an.

Ich öffnete den Mund, bekam aber keinen Ton heraus.

Addison Bell aus der Middle School!

Das war nicht irgendein Mädchen … Früher hatte sie zu meinen engsten Freundinnen gehört. Es war Ewigkeiten her, dass ich sie gesehen hatte. Kurz überlagerte sich das Bild der Addison aus meiner Erinnerung mit der Momentaufnahme aus der Gegenwart. Wie oft hatte ich mich gefragt, was aus ihr geworden war! Und jetzt standen wir einander völlig unerwartet gegenüber.

Was tat sie hier? Mit jemandem wie Andrew Carlyle?

Das Universum hatte echt einen üblen Sinn für Humor.

Aufgrund ihres Temperaments und ihrer Sturheit waren wir oft aneinandergeraten, weil ich diese Eigenschaften mit ihr teilte. Wie es schien, hatte sie davon nichts eingebüßt, denn sie stieß mir nun ungehalten einen Finger gegen die Brust.

»Hast du uns etwa beobachtet und belauscht?«

Ich bekam kaum ein Wort über die Lippen, weil ich noch immer damit beschäftigt war, sie anzustarren. Sie war in den letzten Jahren noch viel hübscher geworden. Ihre vollen schwarzen Haare fielen ihr ein gutes Stück über die Schultern und umrahmten ihr schmales Gesicht mit den großen braunen Augen und wohlgeformten Brauen. Ihre Haut erinnerte mich an Elfenbein. Sie trug ein weit ausgeschnittenes rotes Top, das ihre schlanke Figur perfekt zur Geltung brachte, unter einer eng anliegenden schwarzen Jacke mit floralen Stickereien. Doch je länger ich Addison ansah, desto mehr fiel mir auf, dass sie sich seit damals verändert hatte, und diese Veränderung strahlte sie mit jeder Faser ihres Körpers aus. Sie wirkte wie ein Vulkan, der jeden Moment auszubrechen drohte. Und sie schüchterte mich ein wenig ein.

»Kennst du die etwa?«, fragte Andrew abweisend.

Unsere Blicke trafen sich kurz, und ich bemerkte, wie er hastig etwas hinter seinen Rücken schob.

»Das ist … Lorn«, sagte Addison tonlos. Ihre Miene ließ nicht im Geringsten erkennen, ob sie von der unerwarteten Begegnung genauso durcheinander war wie ich. »Aus unserem Jahrgang.«

Wow. Das war alles? Ich war nur eine Mitschülerin für sie?

Wir waren ehemalige beste Freundinnen! Aber vielleicht bedeutete ihr das nichts mehr, immerhin hatten wir uns seit Jahren nicht mehr gesehen, geschweige denn ein Wort gewechselt. Sie begann, mich zu mustern, als wolle sie sich vergewissern, dass ich auch wirklich Lorn Rivers war. Durch das Ausdauer- und Basketballtraining hatte ich in den letzten Jahren eine Menge Muskeln aufgebaut und war nicht mehr so schlaksig wie früher. Meine sportliche Figur war wirklich das Einzige, was ich an mir mochte. Das langweilige Braun meiner Haare, die in etwa genauso lang waren wie Addisons, war nicht gerade modisch, und ich zog meist wahllos Klamotten aus meinem Schrank. Ich war eben ein Jeans-und-Shirts-Typ.

»Was machst du denn hier?«, murmelte sie bedauernd.

Ihr Stimmungswechsel irritierte mich. »Ich … also, ich treffe mich hier mit Freundinnen«, antwortete ich verunsichert.

»Ach, haben wir jetzt Zeit für ein Kaffeekränzchen!«, fauchte Andrew ungehalten. Er trat langsam näher. »Du erzählst uns lieber ganz schnell, was du gesehen und gehört hast, kapiert?«

Addison senkte den Blick. »Verschwinde besser, Lorn.«

»Was ist hier eigentlich los?«, verlangte ich zu wissen.

»Halt dich da einfach raus«, zischte Addison.

Ich runzelte verärgert die Stirn. »Raushalten? Damit Andrew dich weiter rumschubsen kann oder wie? Ich wollte dir nur helfen!«

Der eine Teil von mir wäre gerne schnurstracks ins Wild Card gelaufen, aber der andere fühlte sich bei dem Gedanken schrecklich, Addison einfach allein mit Andrew zurückzulassen. Ich kannte die Gerüchte über ihn. Er war unberechenbar und jähzornig – das hatte seine Rache-Aktion gegenüber Cassidy allemal bewiesen: Sie mit Farbe zu übergießen und das Wort Schlampe auf ihren Spind zu schmieren bewies das eindeutig. Da konnte ich doch nicht einfach abhauen!

Addison schien meine Gedanken lesen zu können, denn sie fasste mich am Arm und zog mich ein Stück außer Hörweite von Andrew. Nachdem sie die Stimme gesenkt hatte, sah sie mich eindringlich an. »Es ist besser für dich, wenn du jetzt wirklich gehst. Ich komme mit Andrew schon klar. Verzieh dich einfach.«

Ehe ich antworten konnte, stand Andrew schon dicht neben uns. Er starrte mich feindselig an, die Hand noch immer seltsam auffällig hinter dem Rücken verborgen. Keine Ahnung, was er da versteckte.

»Soll ich unser kleines Problem hier regeln?«

Seine kalte Stimme jagte mir einen Schauer über den Rücken.

»Ich mach das schon«, erwiderte Addison patzig.

»Ich kann Leute, die rumschnüffeln, nicht ausstehen.« Andrews Miene verfinsterte sich. »Du weißt doch, was man über solche Leute sagt – am Ende werden sie immer zum Schweigen gebracht.«

Er lächelte bedrohlich, und mir stockte kurz der Atem.

»Sie geht jetzt rein zu ihren Freundinnen.« Addison sah mich entschlossen an. »Lorn hat absolut nichts mitbekommen, richtig?«

Ich nickte mechanisch. Gleichzeitig wirbelten meine Gedanken durcheinander. Wieso fühlten sich Addison und Andrew so auf den Schlips getreten? Was hatten sie zu verbergen? Und wieso dann der öffentliche Treffpunkt?

Einen Moment lang zögerte ich noch. Ich konnte Addison doch unmöglich mit Andrew allein lassen, oder? Neben der plötzlichen Sorge um sie hatte ich gleichzeitig eine irre Wut im Bauch. Was fiel ihr eigentlich ein, mich so herablassend zu behandeln? Und Andrew? Dem hätte ich am liebsten mit einem gekonnten Tritt dahin, wo die Sonne nicht scheint, mal eine nette Übung aus meinem Selbstverteidigungskurs gezeigt!

»Lorn, bitte«, sagte Addison eindringlich.

Vielleicht war es der flehende Blick, den sie plötzlich aufgesetzt hatte, oder die leise Warnung in ihrer Stimme, aber irgendetwas hielt mich in diesem Augenblick davon ab, weiter Paroli zu bieten. »Schön. Ganz wie du willst.«

Mit einem letzten Blick auf meine ehemalige Freundin, die mir einmal sehr viel bedeutet hatte, ging ich zur Hintertür des Wild Card und verschwand im Inneren. Ein schwermütiger Seufzer entwich mir, der im Geräuschpegel unterging. Kaum war ich drinnen, überfielen mich jedoch so viele Eindrücke, dass ich keine Zeit hatte, weiter über Addison und den merkwürdigen Vorfall nachzudenken.

Gott, war es hier überfüllt! So würde ich die Mädels meiner Mannschaft nie finden! Ich ließ den Blick über die abgewetzten Ledersessel und chaotisch bunten Stühle an den runden Holztischen gleiten, dann spähte ich zu den Sitznischen im hinteren Teil hinüber. Eine Kellnerin quetschte sich mit einem Tablett voller Getränke mühsam an mir vorbei. Ich stand total im Weg. Mit einem genuschelten »Sorry«, das sie ganz sicher nicht gehört hatte, machte ich rasch Platz.

Zu blöd, dass wir keinen richtigen Stammtisch hier hatten. Das Wild Card hatten wir lange Zeit gemieden, weil es von außen eher einen heruntergekommenen Eindruck machte. Aber der Used-Look der Einrichtung war einfach cool! Das zusammengewürfelte Mobiliar, die Wände voller Schallplatten und Schwarz-Weiß-Drucken, nackte Glühbirnen, die von der Decke baumelten, und jede Menge Dekopflanzen hatten so ihren Charme, und die Atmosphäre war immer total relaxed.

Irgendwie fand ich die anderen dann doch an einem kleinen Tisch in Thekennähe. Die Gruppe war allerdings auf drei Mädels zusammengeschrumpft.

Unsere Kapitänin Kim Reynolds sah mich kommen und winkte.

»Mensch, Lorn! Du bist so was von zu spät!«, schimpfte sie.

»Wir dachten schon, der Coach habe dich zur Strafe an eine der Bänke in der Umkleide gefesselt und nicht mehr gehen lassen«, kam es von Skylar, die links neben Kim saß. Naomi war auch noch da. Die drei musterten mich mit neugierigen Blicken.

»Ich wurde länger aufgehalten als gedacht«, sagte ich vage.

Automatisch warf ich einen Blick zurück, durch eines der Fenster. Draußen war niemand mehr zu erkennen … 

»Und deine Nachrichten habe ich zu spät gesehen, sorry!«

»Na, dann setz dich mal«, sagte Kim. Ich hängte meine Jacke über die Stuhllehne und ließ mich neben ihr nieder. Meine Tasche legte ich zwischen meinen Beinen auf dem Boden ab. Entschuldigend lächelte ich alle an.

»Tut mir unheimlich leid. Sind die anderen schon weg?«

»Alle bis auf uns«, meinte Skylar.

Wenn ich ehrlich war, gefiel mir eine kleine Runde besser, weil sie irgendwie persönlicher war. Die übliche Startformation bestand aus Kim, Skylar, Naomi, Chelsea und mir. Chelsea war heute bereits beim Spiel ausgefallen, weil sie mit einer Erkältung das Bett hütete.

»Was habe ich denn verpasst?«, fragte ich.

»Och, nichts Besonderes«, sagte Naomi.

»Kim erzählt nur passend zur Date-Hour was von Garet.«

»Was für eine Date-Hour?«, fragte ich entsetzt.

»Ist es dir nicht aufgefallen? Schau dich mal um. Seit zehn Uhr läuft eine Aktion à la Happy Hour mit Rabatten für Pärchen«, klärte mich Kim auf. »Daher der Ansturm.«

Beim Reinkommen war mir gar kein Plakat oder Ähnliches aufgefallen. Bestimmt, weil ich wegen der Addison-Sache so vor den Kopf gestoßen war. Wohin die beiden wohl verschwunden waren? Es sollte mir echt egal sein! Schließlich war ich jetzt bei meinen Freundinnen … Aufmerksam sah ich mich um. Date-Hour? Oje!

Und da hatte ich gedacht, der heutige Sonntag könnte mir vielleicht dabei helfen zu entspannen und weniger über dieses Liebeszeugs nachzudenken, denn das beherrschte seit einigen Wochen komplett mein Leben … und zwar nicht auf die gute Weise! Prüfend glitten meine Augen durch den Raum. Im Ernst? Wie hatte ich diesen Amor-Vibe übersehen können? Gefühlt überall saßen Pärchen, die sich verliebte Blicke zuwarfen oder wild rumknutschten, als wären sie alle Darsteller beim Dreh einer schnulzigen, romantischen Komödie. An der Theke turtelten ein Mann und eine Frau herum. Vor einem der Spielautomaten hielten zwei Mädchen Händchen und lächelten breit. Und auch um uns herum waren überall Pärchen, Pärchen, Pärchen! Selbst nach dem Gespräch mit Coach Maxwell war noch ein winziger Rest Hochgefühl vom erfolgreichen Spiel übriggeblieben und nun? Puff! Schrumpelte auch dieser endgültig in meinem Bauch zu einer winzigen Erbse zusammen.

»Schön, oder?«, seufzte Kim. »Also, wo war ich? Stimmt: Garet! Wie ich ihn vermisse!« Sie strich sich eine ihrer braunen Haarsträhnen hinters Ohr, und ein sehnsüchtiger Ausdruck legte sich auf ihr Gesicht. »Wir sind ja noch nicht so lange zusammen, aber ich könnte stundenlang über ihn reden. Er ist einfach toll!«

»Ja, das wissen wir inzwischen«, feixte Skylar, schmunzelte dabei aber. »Denn du hast auch stundenlang über ihn gesprochen.«

»Gar nicht wahr!«, schmollte Kim.

»Oh doch«, stimmte auch Naomi zu. »Sie hat uns sogar ihre Fotogalerie auf dem Handy gezeigt, die Garet McHotty heißt, Lorn.«

Okay, bei der Bemerkung musste ich nun auch grinsen.

»Garet McHotty?«, wiederholte ich belustigt.

»Willst du sie auch sehen?«, fragte Kim eifrig.

Unsere Kapitänin lebte für solche Momente. Kim liebte nicht nur Klatsch und Tratsch, sie ging auch so richtig in dem ganzen Gerede über ihr Liebesleben auf. Das hatte ich selbst schon oft miterlebt. Dabei hatte sie vor Garet allen Jungs abgeschworen.

»Warum nicht, wenn es dir hilft, ihn weniger zu vermissen«, murmelte ich sarkastisch. Skylar und Naomi begannen zu lachen.

»Schon gut, habe verstanden«, sagte Kim beleidigt.

»Wisst ihr, was ich vermisse?«, meinte Naomi. »Die Philippinen. Seit unserem Umzug nach Newfort vor ein paar Jahren sehe ich meine Verwandtschaft nur noch an den Feiertagen. Superschade.«

»Du hast ja uns!«, mischte ich mich ein. »Und wo wir schon beim Team sind: sorry wegen meines doofen Fouls. Ich weiß gar nicht, was mich gepackt hat. Skylar, ich wollte dich nicht übergehen, um an den Ball zu kommen. Das war blöd von mir.«

»Ach, Schwamm drüber«, meinte Skylar gutmütig.

Kurz keimte in mir die Hoffnung auf, dass ich erfolgreich das Thema gewechselt hatte, vom Liebeskram zu Basketball, aber Kim schien noch nicht fertig zu sein. Sie seufzte theatralisch.

»Chelsea hätte die Fotos sehen wollen!«, meinte Kim mürrisch.

»Klar, Chelsea hätte sie nicht nur angeschaut, sondern dir sicher gleich ein Hochzeitsalbum draus gebastelt«, witzelte Skylar.

Wir zwei tauschten einen Blick, und ich musste breit grinsen. Wir hatten uns beim Aufnahmetraining fürs Basketballteam im Freshman-Year kennengelernt und uns gleich prima verstanden. Denn Skylar teilte absolut meinen Humor.

»Oh, seht mal!« Kim ignorierte uns gekonnt und deutete auf das Pärchen am Nebentisch. Der Typ rückte mit seinem Stuhl lautstark über den Boden, damit er seiner Angebeteten den Arm um die Schulter legen konnte, und das Mädchen kuschelte sich an ihn. Kim seufzte völlig verzückt von der Szene. »Ist das nicht süß?«

»Das ist kitschig«, kommentierte ich.

An dieser Stelle wurden wir von einer Bedienung unterbrochen, die fragte, ob wir noch was trinken wollten. Da die anderen noch halb volle Gläser hatten, bestellte nur ich mir eine Cola. Die warme, leicht stickige Luft des Wild Card hatte mich echt durstig werden lassen. Inzwischen hatte ich ein Summen in den Ohren, weil es so laut war, und ich beugte mich leicht nach vorne, um die anderen besser verstehen zu können.

»Das ist Liebe!«, schwärmte Kim.

Ich verdrehte die Augen. Dieses verdammte Wort. Liebe. Wie der Stein, der eine Lawine ins Rollen brachte. In der nächsten halben Stunde drängte Kim uns ihre Flirtratschläge auf, bis Naomi feierlich erklärte, sie würde sich bis zur nächsten Date-Hour einen süßen Kerl angeln, mit dem sie hier Cocktails schlürfen könnte, und Kim zufrieden nickte. Sogar Skylar öffnete sich der Runde und rückte mit der Information heraus, dass sie und ihre Freundin Charlotte überlegten, vor dem College zusammenzuziehen. Das war für sie eine große Sache und wurde von den anderen eine Weile ausgiebig kommentiert. Kim fand die Idee großartig, Naomi hingegen war noch ein wenig skeptisch.

Niemandem schien aufzufallen, dass ich bisher geschwiegen hatte. Es freute mich, dass die anderen so sorglos über ihre Gefühle und ihre Liebespläne plauderten, denn mir lag ihr Glück natürlich am Herzen. Die Sache war nur die: Um mein eigenes Herz stand es nicht besonders gut. Ich konnte unmöglich erzählen, was wirklich Sache war: Ich, Lorn Rivers, war unglücklich in jemanden verliebt, der meine Gefühle niemals erwidern würde.

Denn er hatte sein Herz schon an jemand anderen verloren.

Nachdenklich biss ich mir auf die Unterlippe. Es war so verflucht ungerecht, dass man sich nicht aussuchen konnte, in wen man sich verliebte. Und dass diese blöden Gefühle einen stets quälten.

Meine beste Freundin Cassidy konnte davon auch ein Lied singen. Sie hatte sich in den Jungen verliebt, der die Nummer eins auf ihrer imaginären Niemals-Daten-Liste gewesen war: Colton Daniels, der reihenweise Herzen gebrochen hatte. Mit Betonung auf hatte. Colton und Cassidy hatten sich ewig unausstehlich gefunden, bis ihnen ihre unerwarteten Gefühle einen Strich durch die Rechnung gemacht hatten. Fast wie vom Schicksal vorherbestimmt. Eigentlich gefiel mir diese Vorstellung. In mir steckte eine hoffnungslose Romantikerin, die ich aktuell jedoch nur noch verfluchte.

»Hey, Lorn.« Skylar stieß mich leicht mit dem Ellbogen an. »Jetzt bist du an der Reihe. Wir haben alle ausgepackt. Na los!«

Ich hatte es bereits geahnt … kein Entkommen möglich.

»Da gibt es nichts zu erzählen«, antwortete ich betreten.

»Nicht mal jemanden, der dir gefällt?«, fragte Naomi.

»Ach, Mädels«, mischte Kim sich ein. »Wenn ihr unglücklich verliebt wärt, dann würdet ihr auch nicht drüber sprechen wollen.«

Augenblicklich versteifte ich mich. Kim war neben Cassidy eine der wenigen Personen, die von meinen unerwiderten Gefühlen für meinen Schwarm wusste. Dabei hatte ich ihr diese wichtige Sache nicht mal freiwillig anvertraut! Kim und ihre beste Freundin Summer waren vor ein paar Wochen rein zufällig auf mein Geheimnis gestoßen. Seither hatte ich ständig Angst, dass eine der beiden die Bombe platzen ließ. Gäbe es Gedächtnisverlustzauber, hätte ich den beiden schon längst einen verpasst!

Ich warf Kim einen tödlichen Blick zu, damit sie bloß nichts mehr sagte. Würde sie seinen Namen verraten, wäre das eine Katastrophe! Unter keinen Umständen durfte jemand von meinen unerwiderten Gefühlen erfahren. Denn solange sie blieben, wo sie waren – nämlich verschlossen in meinem Herzen –, konnten er und ich zumindest Freunde bleiben. Das redete ich mir erfolgreich ein. Eine Freundschaft war besser als gar nichts, richtig?

»Oje, unglücklich verliebt?«, fragte Skylar bedauernd, als ich eisern schwieg. »Willst du drüber sprechen?«

Darüber sprechen? Nein, danke! Ich schwieg weiter.

»Sagst du uns, wer es ist?«, wollte Naomi neugierig wissen.

Mein Puls schlug immer schneller, und ich spürte Panik in mir aufsteigen. Vielleicht war es lächerlich, aber ich konnte mit den Mädels, so gern ich sie hatte, nicht darüber sprechen. Ich hatte mich doch gerade erst damit abgefunden, das ganze Verliebtsein so lange zu ignorieren, bis sich diese Gefühle in Schall und Rauch auflösen würden. Sie in Worte zu fassen ließ sie dagegen noch realer werden. Denk nach, Lorn! Schnell eine Ausrede!

»Das war nur eine Vermutung«, ruderte Kim zurück.

Wir beide tauschten einen kurzen Blick, und ich sah ihr an, dass es ihr furchtbar leidtat, mich in solch eine Lage gebracht zu haben. Wurde aber auch Zeit, dass sie es wiedergutmachte!

»Ach, ihr kennt doch Kim«, sagte ich und setzte ein schiefes Grinsen auf. »Sie macht immer irgendwelche Späßchen!«

»Lorn, wenn dir das unangenehm ist, musst du nichts sagen«, meinte Skylar in sanftem Ton. »Aber wir haben ein offenes Ohr für dich, okay? Schließlich sind wir ein Team.«

»Ich … also …« Mir wurde ganz schwer ums Herz. Ich wollte niemanden anlügen. Während mein Verstand an einer passenden Antwort arbeitete, reagierte mein Körper mit einem Fluchtinstinkt. »Ich muss mal aufs Klo!«, sagte ich abrupt. Schnell sprang ich auf und lief zwischen den Tischen hindurch auf den hinteren Teil des Wild Card zu, wo eine Treppe in den Keller führte. Mist aber auch!

Wieso konnte Kim nicht einfach die Klappe halten!

Unten im Vorraum der Toiletten lehnte ich mich gegen eine Wand und holte tief Luft. Kim hatte nicht schuld, sondern recht!

Ich war unglücklich verliebt.

In Theodor Griffin aus meiner Stufe.

Ausgerechnet in Theo!

Der Junge, der mir bei einem Miss-Friendzone-Wettbewerb den Pokal für den ersten Platz überreicht hätte. Dabei hatte ich mir über zwei Jahre lang nichts sehnlicher gewünscht, als ihn kennenzulernen. Und dann waren wir in den letzten Wochen plötzlich Freunde geworden, weil er der Cousin von Cassidys Freund Colton war. Ich hatte mein Glück kaum fassen können – bis sich herausstellte, dass Theo bereits in jemanden verliebt war.

Seither hatte mein Herz einen leichten Knacks, und irgendwann würde es unter dem täglichen Druck, den ich mir selber bereitete, zerspringen wie ein fallengelassenes Glas.

Genervt trat ich an eines der Waschbecken, öffnete meine zusammengebundenen Haare und fuhr mit einer Hand hindurch. Ich betrachtete mein trauriges Gesicht, seufzte und band mir einen neuen Pferdeschwanz. Wäre mein Leben doch nur so einfach und unkompliziert wie diese Frisur. Aber nein! Es war ein wirrer Knoten aus Gefühlen und Problemen! Ob die anderen gerade über mich und mein seltsames Verhalten sprachen? Ich war ziemlich auffällig abgedüst … aber, ehrlich? Ich hätte lieber eine ganze Woche durchgehend Geschichte, als jemals über meine Gefühle für Theo zu reden – und ich hasste Geschichte.

Es hatte mal eine Zeit gegeben, in der ich geglaubt hatte, dass ein Basketballspiel zu gewinnen das allergrößte Glück sei. Aber jeder, der einmal etwas Bedeutsames gewonnen hat, weiß, dass man in solchen Augenblicken manchmal erkennt: Gewinnen ist eben doch nicht alles. Und dass es Dinge gibt, die man auch durch hartes Training und Durchhaltevermögen nicht gewinnen kann.

Wie das Herz eines Jungen.

Gedankenkarussell, beruhige dich bitte! Das war echt genug Selbstmitleid für einen Abend! Dabei konnte ich mich so glücklich schätzen. Ich hatte eine wundervolle beste Freundin, mein Basketballteam und meine liebe Familie. Das war nicht selbstverständlich. Merkwürdig, dass man von so viel Liebe umgeben sein konnte, und das blöde Herz verspürte dennoch eine Sehnsucht nach mehr, nach etwas … anderem. Verdammter Liebeskummer!

Kapitel 2

Am nächsten Morgen fühlte ich mich etwas gerädert, weil wir gestern noch bis kurz vor zwölf im Wild Card geblieben waren, ehe Skylar und ich den Nachtbus genommen hatten. Keine so gute Idee, wenn man bedachte, dass wir heute alle früh rausmussten. Wegen eines bevorstehenden Schulturniers hatte der Coach nämlich zusätzliches Morgentraining angesetzt. Normalerweise sprang ich beim ersten Weckerklingeln munter aus dem Bett, doch als er jetzt von mir verlangte, wach zu werden, schlug ich mürrisch auf die Schlummertaste und zog mir die Decke über den Kopf. Aber meine Gedanken gönnten mir keine weitere ruhige Minute, denn vor meinem geistigen Auge tauchte plötzlich Addison auf. Unser Wiedersehen spielte sich erneut in meinem Kopf ab. So hatte ich mir das nicht vorgestellt. Ich dachte, wenn wir uns irgendwann über den Weg laufen würden, dann eher zufällig, zum Beispiel in unserem ehemaligen Lieblingscafé an der Strandmeile. Verlegenes Lachen, und ein winziges Gespräch über die guten, alten Zeiten.

Reines Wunschdenken! Andrew und Addison hatten da irgendeine krumme Nummer durchgezogen. Sie war zwar nicht ganz so arschig wie Andrew zu mir gewesen, aber … stopp! Ich wollte mir nicht durch Grübeleien über Addison Bell den Tag versauen lassen!

Der Sommer damals, nach dem Ende der Middle School, sollte etwas Besonderes sein. Cassidy, Addison, ein weiteres Mädchen namens Nora und ich waren zu der Zeit eng befreundet, wollten Pläne für die Highschool schmieden und uns auf die Zukunft freuen, davon träumen, was wir Mädels noch alles gemeinsam erleben würden. Nichts davon war geschehen, und dafür hatte sich alles in diesen Ferien verändert. Nora, die bis dahin mit ihrer ruhigen und fröhlichen Art der positive Pol unserer Gruppe gewesen war, verkündete uns aus heiterem Himmel, dass ihre Familie wegziehen würde. Von einem auf den anderen Tag wurden wir vier auseinandergerissen. Erst verschwand Nora aus meinem Leben und wenig später Addison. Ich wusste, dass Addisons Familie nach dem schweren Autounfall, der kurz vor Beginn des Freshman-Year passiert war, mit vielen Problemen zu kämpfen hatte. Addison startete einige Wochen später ins erste Highschool-Jahr und schottete sich komplett von uns ab. Cassidy und ich hatten etliche Versuche unternommen, zu ihr durchzudringen. Die Sache mit einer Freundschaft war nur die: Man konnte niemanden dazu zwingen, mit einem befreundet zu sein. Das mussten Cassidy und ich irgendwann einsehen. Aus vier Freundinnen wurden zwei.

Gerade deshalb bedeutete Cassidy mir auch so viel. Sie hatte seit Kindertagen alles mit mir durchgestanden und kannte mich besser als jeder andere. Wir beide waren unverwüstlich, nichts konnte uns auseinanderbringen – und genau daran hielt ich fest.

Ich zuckte jäh zusammen, als ich hörte, wie jemand unten durch den Flur trampelte, vermutlich um ins Badezimmer zu gelangen. Moment Mal! Wie spät war es? Ich schälte mich aus dem Bett. Die Zwillinge schliefen hundertpro noch. Das laute Schnarchen im Haus bestätigte das. Meine kleinen Schwestern würden niemals extra früh aufstehen … Bryce hingegen schon. Ich schnappte mir ein paar frische Klamotten und stürmte los. Gerade noch sah ich, wie die Tür zum Badezimmer zufiel. Das durfte doch echt nicht wahr sein!

»Bryce!«, rief ich möglichst leise. »Mach sofort auf.«

»Ich denke nicht dran«, kam die prompte Antwort.

»Du weißt ganz genau, dass du das Bad morgens nicht blockieren sollst! Ich muss früher los, weil ich Training habe! Hallo?«

Wütend drückte ich mir die Nase an der geschlossenen Tür platt.

»Pech für dich«, hörte ich meinen Bruder, dann ging die Dusche an.

»Ich muss zum Training, du Mistkröte!«, grummelte ich.

Wahrscheinlich hörte er mich nicht mal mehr, weil das Wasser lief … wie ich meine Geschwister manchmal hasste! Das passierte, wenn ich meine heiß geliebte Routine mal links liegen ließ.

Das Leben in meiner Familie glich manchmal einem Zoo: Es war laut und chaotisch. Und was zur Hölle erwartete ich schon von einem pubertierenden Sechzehnjährigen, dem es wichtiger war, seine Haare zu stylen, als Rücksicht auf seine Schwester zu nehmen? Das würde ich ihm noch heimzahlen!

Das hatte ich nun davon, wenn ich mal ein paar Minuten länger schlief! Ich schleppte mich zurück in mein Zimmer, um mich dort in Ruhe anzuziehen. Ich schlüpfte in meine Jeans und zog den blauen Pullover über, ehe ich mir die Haare mit den Fingern durchkämmte. Dieser Balanceakt zwischen Sport, Schule und Familie war echt nicht leicht. Meine Eltern hatten mich schon immer bei meinen Hobbys unterstützt. Zuerst eine Weile beim Fußball in der Middle School und jetzt bei meiner echten Leidenschaft, dem Basketball. Meine Position als Point Guard wollte ich für keinen Preis der Welt mehr aufgeben!

Nachdem ich einen Kaffee getrunken und ein großes Müsli gegessen hatte, räumte ich mein Geschirr in die Spülmaschine, griff mir meinen Rucksack und verließ das Haus. Meinen Sportbeutel hatte ich gestern Abend schon in meinen grünen Opel gepackt, um ihn nicht zu vergessen. Ich hatte mir das Auto mühsam durch diverse Nebenjobs zusammengespart und mit der Unterstützung meiner Großeltern nach dem Bestehen meines Führerscheins gekauft. Man sah ihm die drei Vorbesitzer deutlich an, aber es handelte sich um einen verlässlichen Wagen. Während ich einstieg und den Motor startete, dachte ich darüber nach, wann ich Cassidy am besten von der Sache mit Addison erzählte.

Vielleicht in einer der Pausen, wenn ihr Freund Colton sie nicht gerade in Beschlag nahm? Die beiden klebten während der Schulzeit nämlich in jeder freien Minute zusammen. So war das wohl als Paar, da wollte man jeden Moment teilen – meine Eltern waren genauso. Ständig musste ich Babysitter spielen, wenn sie auf Dates gingen. Schon etwas deprimierend, wenn die eigenen Eltern ein aktiveres Dating-Leben hatten als ihre Teenagertochter.

Pünktlich um Viertel vor sieben parkte ich mein Auto auf dem Schülerparkplatz der Newfort High und stieg aus. Ich schulterte meinen Rucksack und griff mir meinen Sportbeutel. Unsere Schule sah im Grunde aus wie jede andere Highschool in Kalifornien: Kleinere Bauten waren mit dem Hauptgebäude verwachsen wie Äste mit einem Baum. Über das Gelände, das aus einigen Grünflächen bestand, erstreckten sich neben Wegen und Sitzmöglichkeiten das Sportfeld und die dazugehörigen Tribünen. Zusätzlich zur Sporthalle besaß die Schule ein eigenes Schwimmbecken und eine große Aula samt Theaterbühne. Um diese Zeit waren nur wenige Schüler und Schülerinnen unterwegs. Einige von ihnen kannte ich, da sie wie ich auch Teil eines Clubs oder einer AG waren, die sich öfter vor dem offiziellen Beginn der ersten Stunde traf. Da tauschte man schon mal morgendliche Begrüßungen oder ein wenig Small Talk aus, wenn man sich sah. Ich winkte einer Gruppe Mädels aus dem Chor zu, die gerade gemeinsam aus einem Mercedes stiegen.

Nachdenklich ging ich zum Hauptgebäude und anschließend durch einen Nebengang in Richtung Sporthalle. Dieses doofe Sondertraining an einem Montagmorgen! Wir hatten sonst feste Tage für unsere Trainingseinheiten und übten natürlich auch vor dem Unterricht, aber Coach Maxwell übertrieb es momentan mit dem Engagement. Manchmal setzte er sogar noch ganz spontan eine Session obendrauf und brachte unsere Pläne dadurch völlig durcheinander. Vielleicht hatte er als Single Mitte vierzig ohne Haustiere auch nichts Besseres zu tun? Zumindest sagte er immer wieder, dass dieser Job sein Ein und Alles war, nachdem er aufgrund einer Knieverletzung selber nicht mehr spielen konnte.

Tja! Go, go, go, Newfort Newts!

An dem Namen könnte man auch mal feilen. Der klang alles andere als einschüchternd, aber Molche gab es in Kalifornien eben wie Sand am Meer, und es reimte sich so schön auf den Stadtnamen.

In der Mädchenumkleide traf ich auf Kim, Skylar und Naomi. Genau wie ich waren die drei immer viel zu früh dran. Was vielleicht daran lag, dass wir uns insgeheim etwas mehr vor dem Coach fürchteten als die anderen. Seine Schimpftiraden waren legendär, denn er liebte seine Regeln, und die erste davon lautete: Man kann nie früh genug da sein. Die anderen Mädels waren gerade dabei, sich umzuziehen – während des Trainings trugen wir meist einfache Sportsachen und nicht unsere Trikots –, und als sie mich sahen, begrüßten sie mich fröhlich. Ich grüßte zurück, suchte mir einen freien Platz auf einer der Bänke und begann, mich ebenfalls umzuziehen. Was Basketball betraf, gab es an der Newfort nur unsere Mädchenmannschaft. Bei den Jungs waren nie genug interessierte Spieler für ein Team zusammengekommen. Rein theoretisch könnten die Jungs auch bei uns mitmachen – es gab zumindest keine Regel, die etwas anderes sagte –, aber bisher hatte nie jemand gefragt. Vielleicht, weil es genug andere Angebote gab. Die Newfort High war nämlich für ihren ausgezeichneten Sportsgeist in allen Aktivitäten bekannt. Regelmäßig kamen lokale TV- oder Radiosender vorbei, um über Schachturniere, Lacrosse-Spiele, Schwimmmeisterschaften, Ringkämpfe oder die Wissenschaftsprojekttage zu berichten.

Wenig später war das gesamte Team zusammen, und wir liefen in der Halle die üblichen Runden zum Aufwärmen. Coach Maxwell schien heute nicht sonderlich gut drauf zu sein, denn er triezte jeden, der auch nur einen Mucks von sich gab, mit einer Strafrunde. Mit seiner hochgewachsenen Statur, dem stark ausgeprägten Kiefer und der kräftigen Nase erinnerte er ein wenig an einen strengen Boot-Camp-Trainer, mit dem absolut nicht gut Kirschen essen war.Doch gerade diese etwas ruppige Art machte ihn auch aus, denn damit wollte er das Beste aus uns herauskitzeln. Er hatte das Herz am rechten Fleck und unterstützte uns, wo er nur konnte. Grinsend lief ich weiter meine Runden. Go, go, go! In der Tat.

Bevor es zur ersten Stunde klingelte, lief ich gut gelaunt durch das erfolgreiche Morgentraining zu meinem Spind im Erdgeschoss. Die Aussicht auf englische Literatur verpasste mir allerdings einen kleinen Dämpfer. Mrs. Olsen schien mit ihren Lehrmethoden im vorletzten Jahrhundert hängen geblieben zu sein. Sie benutzte noch einen dieser altbackenen Stöcke und ließ ihn jedes Mal lauthals gegen die Tafel knallen, um ihre Worte zu unterstreichen. Aktuell lasen wir Herr der Fliegen als Unterrichtslektüre, und die Lehrerin wurde es nie leid, ein und dasselbe Kapitel wieder und wieder zu analysieren. Bald würde ich das Buch in- und auswendig kennen, und wozu das gut sein sollte, konnte bestimmt nicht einmal Mrs. Olsen selbst sagen.

Seufzend band ich mir im Gehen meine Haare, die von der Dusche vorhin noch feucht waren, zu einem lockeren Zopf zusammen, und gab anschließend die Zahlenkombination ins Schloss meines Spinds ein. Ich zog meinen Hefter für Literatur heraus, stopfte meinen Sportbeutel hinein und schlug die Tür wieder zu. Ein Blick auf die Wanduhr im Flur verriet mir, dass ich noch einige Minuten bis zum Unterricht hatte. Ich lief weiter, realisierte aber zu spät, dass ich geradewegs auf Theo zulief, der nur wenige Schritte entfernt mit seinem eigenen Kram herumhantierte. Seinen Rucksack hatte er vor seinem Schulschrank auf den Boden gestellt. Er schien etwas zu suchen. Fieberhaft überlegte ich, was ich sagen konnte, um bloß nicht doof rumzustottern. Das war mir vor Nervosität in Theos Gegenwart echt schon häufig passiert.

Theo hob den Kopf und lächelte mich an. Ich konnte gar nicht anders als stehen zu bleiben. Theodor Griffin und sein entwaffnendes Lächeln. Der Junge, in den ich seit zwei Jahren verliebt war.

Ich erinnerte mich noch genau daran, wie Theo damals im Geschichtskurs aufgetaucht war und ich ihn zum ersten Mal sah. Geschichte war schon immer das Fach gewesen, das ich am wenigsten mochte. Ich stand gerade vorne und musste ein Referat halten. Vor lauter Nervosität war mir kotzübel, und ich glaubte schon, jeden Moment in Ohnmacht fallen zu müssen. Mir fiel es schon immer wahnsinnig schwer, etwas mit Geschichte anzufangen, mir Fakten zu merken und Zusammenhänge zu erklären. Während ich mit mir rang und kaum einen Ton herausbekam, begann Mr. Bardugo, mich ziemlich blöd anzupampen. Ich würde den Unterricht aufhalten und solle endlich loslegen, sonst würde ich eine schlechte Note kassieren und vielleicht sogar durchfallen. Ein echter Sympathieträger, unser Geschichtslehrer. In diesem Moment ging die Tür auf, und Theo kam herein. Alle Augenpaare richteten sich auf ihn. Er entschuldigte sich für sein Zuspätkommen, aber er sei gerade erst in Mr. Bardugos Kurs versetzt worden, weil es Anfang des Schuljahrs ein Missverständnis mit seinem Stundenplan gegeben habe – das passierte bei unserem Sekretariat öfter. Mr. Bardugo wies Theo trotzdem fürs Zuspätkommen zurecht, doch dieser ließ sich durch nichts aus der Ruhe bringen. Er setzte sich auf den freien Platz in der ersten Reihe und sah mich neugierig an. Und irgendetwas in seiner Miene sorgte dafür, dass auch ich ruhig wurde. Meine Panik verkroch sich in die hinterste Ecke meines Bewusstseins, und sämtliche Daten, die ich fürs Referat gelernt hatte, waren plötzlich wieder in meinem Kopf. Als wäre Theos freundliches und offenes Gesicht mit einem Mal mein Anker im Raum. Unsere Blicke trafen sich unerwartet, und er lächelte schief. Mein Herz machte einen Stolperschritt, und ich spürte etwas tief in meinem Inneren, das zuvor nicht da gewesen war. Der Knoten in meiner Zunge löste sich endgültig, und das Referat sprudelte nur so aus mir heraus. Ich wusste nicht, wer überraschter war – Mr. Bardugo oder ich. Es war das erste Mal, dass ich ein B in Geschichte bekam.

Mein Lieblingsfach blieb immer noch Sport, aber Mr. Bardugos Unterricht wurde dank Theo erträglicher. Mein Freshman-Year war zwar bislang ganz gut gewesen – besonders, weil ich Cassidy hatte –, aber Theo ging die ganze Highschool-Sache komplett anders an, so wie ich es niemals gekonnt hätte. Innerhalb kürzester Zeit hatte er die Sympathien von Mitschülern und Lehrern gewonnen. Plötzlich war er überall. Am Tisch der beliebten Kids in der Cafeteria, auf den Fluren, umgeben von haufenweise Freunden und bei jedem Schulevent ganz vorne mit dabei. Jedes Mal, wenn ich auch nur versuchte, mit ihm zu sprechen oder in seine Nähe zu kommen, kam mir jemand zuvor. Irgendwann gab ich mich damit zufrieden, ihn aus der Ferne zu beobachten und ihm in Geschichte verstohlene Blicke zuzuwerfen.

Leider war ich da nicht das einzige Mädchen, das Interesse an ihm zeigte.

Aber was erwartete ich auch?

Er war Theodor Griffin.

Witzig, freundlich und supersüß.

Er hatte ein schmales Gesicht mit ausgeprägter Kieferpartie und markanter Nase. In Kombination mit seinen bernsteinfarbenen Augen und dem wirren, braunen Haar sah er ziemlich gut aus. Sein Markenzeichen war ein abgetragener Lederhut, den er aufgrund des Regelwerks der Newfort High während des Unterrichts jedoch absetzen musste. Vielleicht waren seine Haare auch deshalb immer etwas durcheinander. Sie reichten ihm ein gutes Stück über die Ohren, und eine der vorderen Haarsträhnen rutschte ihm öfter in die Stirn. Wie oft hatte ich mir vorgestellt, sie ihm aus dem Gesicht zu streichen? Gott, ich hatte ein ganzes Tagebuch voll mit Schwärmereien und Tagträumen über Theo. Mein fünfzehnjähriges Ich war absolut vernarrt in ihn gewesen. Meine Gefühle waren noch immer da, hatten sich aber verändert. Mir war inzwischen klar, dass ich niemals eine Chance bei ihm haben würde. Wenn er mich heute anlächelte und dabei jede Menge Grübchen bekam, zog es mir das Herz zusammen, aber da war auch eine gewisse Akzeptanz gegenüber den Dingen, die ich nicht ändern konnte. Die Frage war nur: Wie konnte ich meine Gefühle für ihn endlich vergessen? Ganz bestimmt nicht, wenn er so dicht vor mir stand, dass ich sein Aftershave riechen konnte. Heute trug Theo ein einfaches blaues Shirt, wodurch man einen guten Blick auf seine sehnigen und muskulösen Arme hatte. Die Griffins besaßen eine Ranch außerhalb der Stadt, und ich wusste, dass Theo dort tagtäglich aushalf und mitarbeitete. Heuballen und Futtersäcke stemmen war eine ganz eigene Art von Training. Außerdem spielte Theo noch als Ersatz in der Schulfußballmannschaft mit.

Wieso konnte ich nicht einfach mal entspannen? Dates und das ganze Zeug wurden doch echt überbewertet! Diese dummen Normen der Gesellschaft, die einem sagten, man müsse mit vierzehn seinen ersten Kuss erleben oder im ersten Highschool-Jahr bereits eine Beziehung haben, nicht zu vergessen, wie skandalös es doch war, mit siebzehn noch Jungfrau zu sein. Es gab doch wirklich genug Dinge, über die man sich in meinem Alter den Kopf zerbrach, wieso musste es von außen noch mehr Druck geben? Ich wollte nur eine gute Zeit mit Freunden haben, die Schule hinter mich bringen und mein Leben genießen. Wenn ich mir vor Augen hielt, welch furchtbarer Wirbel um den Maiglöckchenball gemacht wurde, dann wollte ich am liebsten von der nächsten Brücke springen! Es waren noch zwei Wochen bis zu dem angesagten Tanzabend, den unsere Kleinstadt ganz traditionell im Ballsaal des Rathauses feierte. Dabei waren kurz danach Ferien, und auf die sollte man sich ja wohl viel mehr freuen als auf so eine bescheuerte, doofe Tradition! Statt für kommende Prüfungen zu büffeln, um dann den Sommer genießen zu können, suchten alle wie aufgescheuchte Hühner händeringend Dates. Die Millionen Plakate überall waren eine echte Gehirnwäsche. Ich könnte jeden Tag von Neuem einen Gedanken-Wutausbruch hinlegen. Mein Blick fiel auf eines der Plakate, das komplett über Theos Spind klebte. Was für ein Scheiß!

»Kannst du mir helfen? Ich bekomme es einfach nicht ab!«, schimpfte er, als ich mich neben ihn stellte und ihn für ein paar Sekunden heimlich anschmachtete. Contenance, Lorn! Das würde zumindest unsere französische Nachbarin Mrs. Perrin sagen.

Ich atmete tief durch, streckte die Hände aus und riss das Plakat mit einem kräftigen Ruck herunter. Ein paar Papierfetzen blieben an Theos Spindtür hängen. Die knallbunten Plakate hingen überall und posaunten in schnörkeliger Schrift Informationen zum Veranstaltungsort, der Zeit und der Kleiderordnung für den Maiglöckchenball heraus. Im Hintergrund prangten – Bingo! – lauter Maiglöckchen. Es war furchtbar kitschig aufgemacht, und das Exemplar in meinen Händen sah mit den Löchern gleich besser aus. Da konnte man sich vorstellen, dass irgendein Rebell es in seinem Protest so zugerichtet hatte. Liberté totale!

»Danke«, grummelte Theo. Er hob den Rucksack, in dem er eben herumgewühlt hatte, vom Boden auf. »Ich habe schon völlig verzweifelt eine Schere gesucht, aber dann hätte der Direktor bestimmt gedacht, ich wolle Schuleigentum beschädigen.«

Ich hob meinen Arm und spannte die Faust an.

»Gut, dass du Wonder Woman zur Freundin hast!«

Theos Augen funkelten amüsiert. »Und wo ist dein Kostüm? Willst du es vielleicht statt eines Kleides auf dem Tanz tragen?«

Bei der Vorstellung von mir in einem Kleid musste ich lachen.

Er runzelte die Stirn. »Was ist daran so lustig?«

»Nichts«, sagte ich rasch.

»Lachst du mich etwa aus?«, fragte er gespielt empört. »Freunde tun so etwas nicht, Lorn!«

Freunde haben auch keine Gefühle füreinander. Ich schluckte schwer. »Sei froh, dass du meine Gedanken nicht lesen kannst«, murmelte ich leise. »Du willst nicht wissen, was ich denke.«

»Was hast du gesagt?«, hakte er nach.

Ich zwang mich zu einer unbekümmerten Miene und deutete den Flur hinunter. »Dass die Plakate echt überall hängen! Bäh!«

Außerdem, wenn man es genau nahm, war die Bezeichnung Maiglöckchenball nicht mal ganz richtig. Der Monat endete nämlich mitten in der Woche, und die Veranstaltung fiel auf das erste Juni-Wochenende. Der Name war wirklich absolut dämlich!

Theo nickte mürrisch. »Ich verstehe den Hype um solche Tänze nicht«, sagte er nüchtern. »Man kann doch immer ausgehen und tanzen, dafür brauchen wir keinen doofen Maiglöckchenball.«

»Dann wirst du nicht hingehen?«, fragte ich überrascht.

»Wenn es nach mir geht, nicht«, sagte Theo spöttisch.

»Das klingt fast so, als hättest du keine Wahl.«

Theo sah mich kurz an, dann wandte er sich seinem Spind zu.

»Ein paar der Mädchen haben Wetten darauf abgeschlossen, wer es schafft, mich auszutricksen, damit ich sie einlade«, murmelte er. Theo schloss die Tür auf, holte ein Mathebuch heraus, stopfte es in seinen Rucksack und schulterte diesen anschließend. »Wir haben erst Anfang der Woche … die erste Stunde hat nicht mal angefangen, und ich wurde schon fünfmal überfallen, Lorn.«

»Das musst du näher ausführen«, sagte ich belustigt.

Jetzt blickte er wieder zu mir, das Gesicht todernst. Es war absolut niedlich, wie sich diese Falte zwischen seinen Brauen bildete. Ich musste einen schwermütigen Seufzer unterdrücken.

»Auf dem Parkplatz hat sich ein Mädchen auf die Ladefläche des Trucks gesetzt und meinte, sie würde in Sitzstreik gehen, wenn ich sie nicht frage«, erzählte Theo verärgert. »Dann hat eine auf mich gewartet, als ich ins Hauptgebäude gekommen bin, und hat mich zugequasselt, bis mir die Ohren geklingelt haben. Und danach war ich in der Cafeteria und wollte mir einen Saft holen, und das Mädel vor mir hat alle aufgekauft, damit ich mit ihr spreche.«

Er knallte seine Spindtür zu und fuhr sich durchs Haar.

»Wenn das so weitergeht, werde ich irre!«

»Wieso fragst du dann nicht einfach jemanden?«

Theo schnaufte. »Als ob das so einfach wäre.«

»Es gibt bestimmt eine, die du fragen willst.«

Am liebsten hätte ich mir selber eine Ohrfeige verpasst, denn seine Miene sprach in diesem Moment Bände. Natürlich gab es jemanden für ihn. Theo biss sich genervt auf die Unterlippe und schwieg. Eine merkwürdige Stille breitete sich zwischen uns aus.

»Mach eine Durchsage durch die Lautsprecher und verkünde, dass du am Tag des Balls die chinesische Mauer bereist«, schlug ich vor. »Oder iss ein bisschen Knoblauch und geh eine Woche nicht duschen, dann spricht sich rum, dass du total eklig bist.«

Das entlockte ihm ein mattes Lächeln. »Schön wär’s.«

Ich sollte besser gehen, ehe er auf die Idee kam, mich zu fragen, ob ich ein Date hatte und wenn ja, wer es war. Doch als ich mich abwenden wollte, packte er plötzlich meinen linken Arm. »Da vorne kommt Ayla! Lorn, hilf mir. Ich bitte dich!«

»Aber nicht jede hat es auf dich abgesehen«, nuschelte ich.

Bei seiner Berührung wurde mir gleich ganz anders. Dahin war meine Konzentration. Ich schluckte schwer und machte mich los.

Schule war schon lange nicht mehr die einzige Folter hier.

»Hey, Theo!«, flötete Ayla. Dann sah sie mich. »Lorn.«

Aus ihrem Mund klang mein Name fast wie ein Schimpfwort.

Ayla und ich kannten uns nur flüchtig vom Sehen. Sie war wie Kim eine absolute Quasseltante – nur dass Kim gerne über andere sprach, während Ayla jedem, der es nicht hören wollte, von ihren afrikanischen und französischen Wurzeln und irgendwelchen Details aus ihrem Leben erzählte. Mit ihrer dicken Brille machte sie einen nerdigen Eindruck, aber das täuschte, denn wenn sie ihre üppigen schwarzen Locken zurückwarf, sah sie aus wie ein Flirt-Profi. Schüchtern und zurückhaltend waren zwei Adjektive, die man in Gegenwart von Ayla niemals in den Mund nahm.

»Der Unterricht fängt jetzt an. Was willst du?«, fragte ich.

»Von dir? Gar nichts«, sagte sie unfreundlich. »Theoooooo?«

»Er ist nicht taub. Er steht gleich neben uns.«

»Theo braucht niemanden, der für ihn spricht«, sagte Ayla patzig. »Aber schön – dann bleib eben stehen.« Sie drängte mich zur Seite und machte sich an Theo ran. »Ich wollte dich einfach ganz direkt fragen, ob du mit mir zum Maiglöckchenball gehst. Ich weiß, dass du noch keine Verabredung hast, und ich kann dir versichern, ich bin die perfekte Wahl als Date.«

»Warst du nicht schon mit John aus unserer Stufe verabredet?«, warf ich ein. Ich hatte nämlich zufällig mitbekommen, wie er sie letzte Woche vor unserem gemeinsamen Chemie-Kurs auf dem Flur gefragt hatte und sie keine Sekunde gezögert hatte, Ja zu sagen.

Ayla machte eine wegwerfende Handbewegung. »Schnee von gestern. Sagen wir einfach, bei uns hat die Chemie nicht gestimmt.«

»Witzig«, murmelte ich.

Wie sie darauf kam, dass es bei ihr und Theo anders war, würde mich mal brennend interessieren. Aber Ayla hatte recht. Theo konnte wirklich für sich selber sprechen. Ich hätte auch nicht gewollt, dass mir jemand über den Mund fuhr, und so wie er sich vor ihrer Ankunft benommen hatte, wollte er nicht mit ihr zum Tanz – und Absagen sollte man immer persönlich austeilen.

»Nein, danke«, antwortete Theo auch direkt, bemüht höflich.

»Wieso nicht?«, hakte Ayla selbstbewusst nach.

»Ich mag Tanzen nicht sonderlich.«

»Mit mir wirst du Tanzen mögen. Versprochen.«

»Ich besitze überhaupt keinen Smoking.«

»Ich besorge dir einen.«

»Ich möchte wirklich nicht, Ayla.«

»Wir könnten als Freunde gehen.«

Ihre Hartnäckigkeit wäre echt bemerkenswert gewesen, hätte es sich um eine andere Angelegenheit gehandelt, wie beispielsweise um den Kampf um eine bessere Note. Allerdings ging es darum, ein »Nein« zu akzeptieren, und da war ihre Einstellung echt nicht okay. Theo blickte mich Hilfe suchend über ihre Schulter hinweg an. Vielleicht sollte ich mich jetzt doch einmischen?

»Komm schon, Theo«, sagte Ayla mit samtweicher Stimme.

»Ich gehe mit Lorn!«, platzte es aus ihm heraus.

Ich erstarrte wie vom Blitz getroffen. Bitte was?

»Mit … Lorn?«, wiederholte Ayla skeptisch.

Theo nickte heftig. »Ja, genau. Mit Lorn. Dieser Lorn.«

Als gäbe es an unsere Schule noch zehn andere Mädchen, die genauso hießen wie ich. Mir schlug das Herz bis zum Hals.

»Aber ihr beide seid doch gar kein Paar?«

»Ich habe sie gerade eben gefragt«, log Theo energisch. »Wir gehen zusammen, weil wir beide keine schrecklichen Dates haben wollen und gute Freunde sind. Tut mir wirklich leid, Ayla, aber versprochen ist versprochen. Ich ändere meine Meinung nicht.«

»Also gehst du aus Mitleid mit ihr hin?«, fragte Ayla.

Ihre Worte versetzten mir einen Stich. Lorn Rivers war eben kein Mädchen, das man auf Dates einlud. Sie war gut im Sport, aber wenig umgänglich und natürlich nicht mal annähernd hübsch genug, als dass jemand wie Theodor Griffin ihr Beachtung schenkte. Und am schlimmsten war, dass ein Teil von mir ihr auch noch recht gab. In Gegenwart all der Mädchen, die auf Theo standen, fühlte ich mich oftmals klein und unbedeutend. Ich hielt den Atem an und zählte von zehn rückwärts, um nicht völlig auszuticken. Denn die Wahrheit sah so aus: Wenn ich nicht mit meinen Gefühlen umzugehen wusste, dann ließ ich eben Taten sprechen. Und die waren meist unüberlegt, impulsiv und alles andere als fair.

»Du weißt gar nicht, was für ein großartiger Mensch Lorn ist«, sagte Theo und sah Ayla dabei frostig an. »So über andere zu urteilen ist ziemlich gemein. Sie würde locker ein anderes Date finden und tut mir einen Gefallen. Entschuldige uns jetzt.«

Theo griff nach meiner Hand und zog mich mit sich. Den Flur hinunter, um die nächstbeste Ecke, dann blieben wir beide stehen.

»Das ist ja total ausgeartet«, murmelte er.

Mir war ziemlich mulmig zumute, und das lag nicht nur daran, dass er so nah bei mir stand und ich seinen Geruch einatmen konnte. Eine Mischung aus Heu, erdigem Waldboden und Minze. Irgendwie herb und frisch zugleich. Eine eigenartige Kombination, aber sie passte zu Theo. Ich presste mich gegen die Wand in meinem Rücken, um etwas Abstand zu ihm zu gewinnen.

Seine bernsteinfarbenen Augen ruhten auf mir. »Sorry, Lorn«, sagte er sanft. »Ich hoffe, du hattest nicht schon ein Date?«

»Nicht wirklich … «, brachte ich hervor.

»Mir ist spontan nichts Besseres eingefallen«, sagte er. »Und das eben habe ich ernst gemeint. Außerdem wäre die Idee gar nicht sooo schlecht, oder? Dann müssen wir uns beide keine Gedanken mehr machen – und Mädchen wie Ayla bleiben mir vom Hals. Vielleicht wird es sogar ganz witzig, wer weiß?«

Moment – Theo wollte echt, dass ich mit ihm dahin ging?

Als Freunde? Als Fake-Date zu seinem Schutz?

Boden tu dich auf und verschluck mich bitte … 

Ich wusste gar nicht, was ich dazu sagen sollte.

»Ich … « Weitere Worte kamen mir nicht über die Lippen.

»Lass uns später drüber reden, ja? Wir sollten zum Unterricht.«

Theo klopfte mir freundschaftlich auf die Schulter und lächelte. Er schien gar nicht zu merken, wie unangenehm mir sein Vorschlag war. Lag vielleicht daran, dass ich zur Salzsäule erstarrt war und meine Miene unbeweglich wie die eines Pantomimen war, während mein Hirn gerade vor Info-Overflow heiß lief.

»Wir können dann ja Kaffee trinken gehen, okay? Bye!«

Ich brachte nicht mal ein Nicken zustande, und weg war er.

Mit zittrigen Beinen löste ich mich aus meiner Starre.

In was war ich da gerade hineingeraten?

Kapitel 3

In der Mittagspause ging ich allein zur Cafeteria. Cassidy war nach dem Matheunterricht zurückgeblieben, um mit Mr. Hardin ein Gespräch über die Benotung ihres letzten Tests zu führen. Wir hatten ihn heute wiederbekommen, und während ich mich über mein C gefreut hatte, war Cassidy mit ihrem B alles andere als zufrieden. Dabei wollte ich doch unbedingt mit ihr über die Theo-Sache sprechen! Aber ich wusste auch, wie wichtig gute Noten für sie waren, da sie sich auf ein Stipendium bewerben wollte, weil sie nur so aufs College gehen konnte. Also versuchte ich, mich zu beruhigen, indem ich tief durchatmete. Die paar Minuten machten nun auch nichts mehr aus. Entspannen war jedoch gar nicht so leicht, wenn man angerempelt wurde. Eine Schar Mädchen hatte mich, abgelenkt durch ihr eigenes Geschnatter, fast über den Haufen gerannt. Die Anführerin der Clique machte riesige Augen, als sich unsere Blicke trafen. »Du bist Lorn!«

Alle ihre Freundinnen blieben stehen und begannen zu glotzen.

»Kennen wir uns?«, fragte ich verunsichert.

»Gehst du echt mit Theodor Griffin zum Maiglöckchenball?«

»Wie hat er dich gefragt? Seid ihr jetzt zusammen?«

»Es war bestimmt megaromantisch! Erzähl doch mal!«

Jetzt war ich diejenige, der fast die Augen aus dem Kopf fielen. Mit einem Mal hagelte Frage über Frage auf mich ein. Das Grüppchen scharte sich um mich, als bestünde es aus meinen Groupies.

»Bitte was?«, fragte ich entgeistert.

»Oh, wie süß! Sie wird rot«, meinte jemand.

Mir klappte der Mund auf. Unter den erwartungsvollen Blicken der anderen bekam ich plötzlich Herzrasen. Ohne etwas zu sagen drängelte ich mich durch die Mädchengruppe hindurch und lief weiter.

»Warte doch mal!«, rief mir eine von ihnen nach.

Nope! Da dachte ich nicht mal dran!

Was zur Hölle war das denn gewesen?

Zu meinem Leidwesen war das nicht die einzige Begegnung der anderen Art – und ehrlich? Da wären mir Aliens viel lieber gewesen. Ich hatte die Cafeteria gerade mal eine Sekunde betreten, da schienen sämtliche Gespräche zu verstummen und sich unzählige Augenpaare wie Scheinwerfer auf mich zu richten.

»Das ist sie doch, oder?«, hörte ich jemanden tuscheln.

»Theos Date? Wie hieß sie noch gleich? Larissa?«

Ich schluckte schwer und wandte mich hastig der Essensausgabe zu. Was war denn seit heute Morgen passiert? Hatte sich die Sache mit dem Maiglöckchenball so schnell herumgesprochen? Aus dem Augenwinkel sah ich Ayla, die von einem Ecktisch aus wie ein gehässiger Geier zu mir hinüberblickte. War sie das etwa gewesen? Hatte sie Gerüchte über mich und Theo verbreitet? Am liebsten wäre ich zu ihr marschiert und hätte ihr mit meinem Tablett eins übergezogen! Dachte sie, damit könnte sie mich einschüchtern? Pah! Als ob ich mir so was gefallen ließe! Leider war die Schlange hinter mir rasch angewachsen, und da standen zu viele Leute, als dass ich mich an ihnen hätte vorbeiquetschen können. Außerdem dachte ich an die Worte des Coachs vom Vortag. Zu impulsiv, Lorn. Mit einem Brummen ging ich weiter und riss mich zusammen. Der Anblick vom heutigen Mittagsmenü verstärkte das flaue Gefühl in meinem Magen jedoch nur, und mir verging prompt der Appetit.

Ich fühlte mich ein wenig hilflos. Gegen Gerüchte war man im Grunde machtlos, und dieser Gedanke machte mich immer unruhiger, so sehr, dass meine Finger ganz schwitzig wurden. Hastig wischte ich sie nacheinander an meiner Hose ab. Ich bemühte mich, nach außen hin weiter cool zu wirken, aber hinter mir hörte ich, wie eine Jungenstimme meinen Namen flüsterte. Abrupt wandte ich mich um und warf ihm einen messerscharfen Blick zu. Das Mädchen neben ihm zuckte erschrocken zurück und versteckte sich hinter dem Jungen, der offenbar ihr Freund war.

»Habt ihr irgendein Problem?«, fragte ich energisch.

Beide schüttelten eingeschüchtert die Köpfe.

»Gut!«, entfuhr es mir wenig freundlich. Ich schnappte mir ein Trinkpäckchen mit Orangensaft und ein verpacktes Sandwich. An der Kasse bezahlte ich meine Sachen und stellte das Tablett weg. Mit meinem Lunch unterm Arm flüchtete ich aus der Cafeteria. Kaum war ich um die Ecke, lehnte ich mich gegen eine Wand und atmete erst mal tief durch. Du bildest dir das alles ein, redete ich mir gut zu. Niemand spricht über dich. Alles nur Einbildung!

Dass es keine war, bewiesen aber auch die nächsten Minuten. Ich hatte kaum verschnauft, da tauchten schon wieder zwei Mädchen auf und sahen mich neugierig an. Sie waren noch recht jung, vielleicht Freshmen. Eine von ihnen nahm wohl all ihren Mut zusammen und sprach mich nach kurzem Zögern direkt an.

»Du bist Lorn, oder? Lorn Rivers? Bist du echt Theos Date?«

»Wieso kennen plötzlich alle meinen Namen!«

»Sie ist es!«, quiekte ihre Freundin begeistert.

»Wir finden das voll cool«, sagte nun die andere wieder. »Es hieß ja, dass Theo keine Dates hat. Jetzt gibt es Hoffnung!«

Meine Miene verfinsterte sich. »Was?«

»Natürlich wünschen wir dir alles Gute«, fügte sie hastig hinzu.

»Das alles geht euch echt gar nichts an!«, fauchte ich wütend. »Blöde Tratscherei! Habt ihr denn nichts Besseres zu tun?«

Die zwei wurden mit einem Mal ganz bleich. Sie traten einen Schritt zurück, und die eine nahm die andere tröstend in den Arm, als hätte ich sie mit meinen Worten verletzt und sie würde gleich weinen. Mein schlechtes Gewissen meldete sich sofort.

»Sorry, ich wollte nicht … sorry«, murmelte ich.

Dieses Mal lief ich ohne anzuhalten ins nächste Klo. Ich stopfte mein Mittagessen in meine Schultasche und stellte mich an eines der Waschbecken, um mir etwas kaltes Wasser ins Gesicht zu spritzen. Mein Spiegelbild blickte überrumpelt zurück, als ich begann, mir mit ein paar Papiertüchern die Hände abzutrocknen.

Meine Freundschaft zu Theo hatte bisher niemanden auch nur im Geringsten interessiert! Ich verstand langsam gar nichts mehr!

Aus der Kabine hinter mir trat ein älteres Mädchen, das ich schon öfter auf dem Sportplatz gesehen hatte. Sie gehörte zum Leichtathletikteam, wenn ich es recht in Erinnerung hatte.

»Hey, du bist doch Lorn, oder? Vom Basketball?« Sie trat neben mich ans Becken, wusch sich die Hände und überprüfte dann ihr Make-up. »Hab gehört, du hast dir Theo geangelt. Glückwunsch.« Sie fischte einen Lippenstift aus ihrer Rocktasche und trug sorgsam eine neue Schicht auf. Als sie bemerkte, dass ich sie überrumpelt ansah, hielt sie mir den Lippenstift hin. »Willst du auch? Die Farbe heißt Cherry Kiss.« Sie zwinkerte mir verschwörerisch zu, als wäre das irgendein Witz zwischen uns.

»Nein, danke«, presste ich hervor.

»Ohne ist Küssen auch wesentlich leichter. Bis dann!«

Gut gelaunt verließ sie die Toilette. Ich starrte ihr nach.

Glückwunsch? Was sollte das denn heißen? Als hätte ich irgendeine Glanzleistung vollbracht und mir Theo geangelt wie einen dicken Fisch. Nichts davon stimmte so! Außerdem war Theo doch keine Trophäe, die irgendein Mädchen gewinnen konnte!

Ich musste sofort weg hier.