Myasthenia Gravis - Jens Brockmann - E-Book

Myasthenia Gravis E-Book

Jens Brockmann

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Beschreibung

Schuld an allem ist sowieso Xenia ... Oberschlaumeierin, Pferdebesitzerin, Designliebhaberin. Sie findet, dass ein Pferd unbedingt schön aussehen muss. Und sie hat einen Sattel gekauft. Designerstück, was sonst. Im Grunde nicht schlimm, wenn er denn mal richtig gut passen würde. Fuchswallach Wishing Well - genannt Mausebär - wiehert ihr jeden Tag ausgiebig, dass das so nicht geht. Da nützen auch die 37 Sattelpads mit Strasssteinchen nichts. Irgendwann passiert das Unvermeidliche. Der Stall wird zum Tatort, doch windige Kommissare sind schnell zur Stelle, um die Täter schonungslos dingfest zu machen.

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Seitenzahl: 88

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Inhaltsverzeichnis

PROLOG

OKTOBER 2017

MAI 2018

JULI 2018

JUNI 2019

MAI 2020

WENN MAN SCHMERZEN HAT

OKTOBER 2020

APRIL 2021

JUNI 2021

EPILOG

NACHWORT JENS BROCKMANN

PROLOG

WAS MACHT DIE DENN DA?

„He, du – kannst du bitte Hilfe holen?“ Kaum zu glauben. Wir ringen hier mit dem Tod und sie schaut stur in die andere Richtung, weil sie mal wieder mit dem Andalusier von nebenan flirtet. Als würde sie dieses Drama nichts angehen, das sich direkt neben ihr abspielt. Aber so war sie schon immer. Denkt nur an sich und wie sie das männliche Geschlecht bezirzen kann. Meint wohl, sie wäre etwas Besseres, da sie eine Stute mit allerbesten Genen ist. Das macht sie allerdings nicht hübscher. Ich finde sie sogar komplett unattraktiv. Diese Proportionen … oje! Der Popo viel zu breit für die Körpergröße und ihre Mähne für eine Lady eindeutig zu kurz. Selbst wenn ich noch könnte, wie ich wollte, würde ich niemals freiwillig mit der … also ... na ja … Bei einer solchen Ausstrahlung vergeht einem als Hengst doch alles. Gut also, dass ich längst ein Wallach bin. Ein bildhübscher obendrein.

„Lady, dauert nicht mehr lange, dann sind wir tot. Hättest du die Güte, das endlich wahrzunehmen und Hilfe zu holen? Wiehern, Rabatz machen, mit den Hufen gegen die Stalltüre bollern – irgendwas halt!“ Kein Mucks von links. Sie würdigt mich keines Blickes, während mir die Kräfte schwinden. Ich kann mich kaum noch auf den Beinen halten. Und wäre mein ‚Frauchen‘ Xenia nicht so eine Klugscheißerin, hätte das alles nicht so weit kommen müssen. Im Grunde ist sie ja kein böser Mensch. Okay, ein bisschen oberflächlich vielleicht. Ohne das allerneuste Zubehör mit Glitzer geht bei ihr gar nichts. Das findet sie mega und braucht sie obendrein für ihren Instagram-Kanal. Ihre Follower mögen Designerfummel jeglicher Art sowie attraktive Fuchswallache wie mich. Warum also nicht zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen? Und so gibt sie Monat für Monat ein Vermögen aus für die neusten Kollektionen. Am liebsten bestückt mit Glitzersteinen. Auf die steht sie ganz besonders. Daher bin ich vermutlich das einzige Pferd in ganz Deutschland mit 39 Sattelpads. Die bringen in puncto Komfort oder Nutzen zwar null, sehen laut Xenia aber gut aus. Und darauf kommt es ihr an. Das habe ich sofort kapiert, als sie mich vor vier Jahren kaufte und hier ins Gestüt Am Deich nach Alsterdorf transportierte. Seitdem nennen mich alle nur noch ‚Designermänneken‘. Als ob ich das mit dem Fummel toll finden würde. Gewiss nicht! Ich armes Tier bin dem Ganzen komplett wehrlos ausgeliefert, da Xenia meine Zeichensprache partout nicht verstehen will. Sonst hätte sie längst begriffen, dass ich außer ihren dämlichen Sattelpads diesen neuen Sattel tausendmal blöder finde als den davor. Und der war bereits dermaßen blöd, dass man als Pferd nur noch den Kopf schütteln kann vor Entsetzen. Bei beiden Anschaffungen waren kriminell fiese Dinge am Laufen, die dazu geführt haben, dass wir jetzt kurz vor dem Tod stehen. Alles nur, weil Xenia sich blind und taub stellt – und auch, weil diese Sattelfabrikanten aus dem mediterranen Raum die Blindheit von designorientierten Frauen wie Xenia maßlos ausnützen. Aber auf mich will ja niemand hören. Meine Kumpels hier im Stall können ein Lied davon singen. Wir alle teilen dasselbe Schicksal. Mit dem Unterschied, dass die noch nicht kurz vor mausetot stehen wie ich. Bereits vor Monaten unterhielten wir uns erstmalig darüber, wie wir unseren Besitzerinnen diese Tatsache anschaulich zuwiehern sollen. „Wir gründen einfach eine Pferdegewerkschaft“, lautete Idee Nummer eins. „Und wer macht den Vorsitz? Da braucht es einflussreiche Persönlichkeiten, die unser Anliegen verstehen“, warf ich skeptisch ein. „Vielleicht könnten Janson Berger und Dr. Stampe helfen?“, meinte daraufhin Kollege aus Box 12. „Wer ist das?“, wollte ich sofort neugierig wissen und schöpfte neue Hoffnung. „Kennste nicht? Das ist ein Kommissaren-Duo. Kennen jeden Tatort bis ins kleinste Detail. Was die schon mitangucken mussten, meine Güte. Jedenfalls entlarven die den jeweiligen Täter … zack … immer sofort.“ Musik in meinen Ohren. Doch wie sollten wir an dieses Kommissaren-Gespann herankommen? „Jemand ’ne Idee?“, fragte ich in die Runde. „Soviel ich weiß, waren die doch schon mal hier. Seitdem hab ich sie allerdings nicht mehr gesehen“, meldete sich Neuzugang aus Box 5 zu Wort. Warum weiß der Neuzugang davon und ich nicht?

Alle diese guten Vorsätze und Ideen nützen mir in der aktuell prekären Situation leider auch nichts mehr. Ich glaube … ja, ich bin mir sogar sicher … da kommt jede Hilfe zu spät. Mein Lebenswille aber ist groß. „Aurora, meine Süße. Ich brauche dich!“, wiehere ich deswegen verzweifelt und versuche zum wiederholten Male, die Lady neben mir zu aktivieren. Im Angesicht des Todes bist du nicht mehr Herr deiner Sinne. Und tatsächlich, nun schaut sie mich an. Wird auch Zeit, denn viel Zeit bleibt nicht mehr. Ich spüre das. „Könntest du bitte Hilfe holen, du hübscheste Stute des Stalls?“ Ich sagte doch, die Gäule gehen mit mir durch. Sie beäugt mich sekundenlang, als würde sie abchecken wollen, ob ich noch alle Tassen im Schrank habe. Sehr begriffsstutzig, die junge Dame. Dabei sieht sie doch, was abgeht. Mit letzter Kraft präsentiere ich ihr meinen verunstalteten Rücken, rolle mit den Augen vor Schmerzen und versuche erneut, auf meine Situation aufmerksam zu machen. Ich sehe bestimmt schrecklich aus, was für eine Lady, die vorzugsweise mit männlichen Schönheiten aus Andalusien flirtet, ein schockierender Anblick sein muss. Tja, da kann ich nicht mehr mithalten, zumal ich sowieso ein Fuchs bin. Wie erwähnt, auch noch meiner Männlichkeit beraubt. Das sind in Anbetracht meiner Notsituation absolute Nebensächlichkeiten und ich hoffe einfach mal auf ihr pferdliches Mitgefühl. So hochnäsig wird sie ja wohl nicht sein, seelenruhig dabei zuzuschauen, wie wir hopsgehen. „Was ist los … brauchst du Hilfe?“ Boah, es geht um jede Sekunde und sie blickt rein gar nichts. „Jaaaa, und bitte schnell!“ Dann ist es um mich geschehen. Von akuten Schmerzen gepeinigt wie noch nie, lege ich mich auf den Stallboden. Meine Sinne schwinden und mein Leben zieht im Zeitraffer an mir vorbei. Ich erinnere mich mit Wehmut an meine Jugend im Schwabenland … als mein Wallach-Alltag herrlich unbeschwert war und noch nichts weh tat. Inzwischen habe ich Dauerschmerzen. Wirklich in jeder Sekunde! Ich bin ansonsten echt tough, aber immer ist richtig schlimm. Und wenn Lady sich nicht beeilt mit dem Hilfeholen, braucht sich Xenia bald keine Gedanken mehr darüber zu machen, welchen Designerkram sie als nächstes anschleppt. Weil:

WIE ALLES BEGANN

...

OKTOBER 2017

DU BIST JA EIN SŪSSES PFERDCHEN. SCHAU MAL ADALBERT. IST DER NICHT GOLDIG?

Wer ist diese Frau und was will sie von mir? Sie schaut aus, als wolle sie bei einem Modelwettbewerb mitmachen. Ihr Begleiter trägt einen schicken Zweireiher – dunkelblau –, dazu hellbraune Lederschuhe. Denen hat wohl noch keiner erklärt, dass sie hier auf einem Gestüt zugegen sind. Die letzten Tage regnete es stark. Daher sieht es rings um den Stall aus wie in einer Moorlandschaft. Tja, zu spät! Die schönen Schuhe sind damit dahin. „Den nehmen wir!“, raunt die Frau ihrem Begleiter zu und kichert dabei wie ein Teenager. „Von mir aus. Wenn es dich glücklich macht …“, höre ich ihn sagen. Während er mit dem regional bekannten Pferdehändler ins Büro verschwindet, bleibt sie penetrant an meiner Seite. Sie redet mit mir wie mit einer Barbiepuppe. „Lady, ich bin ein Fuchswallach. Mein Name ist Wishing Well und nicht Babymausi oder ähnlich. Klaro? Also bitte ein wenig Respekt!“ Sie tätschelt mir fortwährend den Hals. Normalerweise mag ich Streicheleinheiten. Das ist mir gerade aber echt zu viel. Und dann kommt der Mann auch schon zurück. Er hält ein mehrseitiges Dokument in der Hand. „Gehört er nun wirklich mir?“, kreischt sie in unangenehm hohen Tönen. „Ja, Liebste, er ist Dein. Nun müssen wir nur noch den Transport von Baden-Württemberg nach Schleswig-Holstein organisieren.“ Lady stößt einen Freudenschrei aus und umarmt mich stürmisch. „Wishing Well, ich bin total in dich verschossen. Und ich verspreche dir, du wirst es gut bei mir haben. Gleich nachher schaue ich nach neuer Ausrüstung sowie einem todschicken taillierten Sattel. Für mein knackiges, schmales Hinterteil kommt nur das Beste in Frage.“ Was meint die Lady? Ich komme da nicht mit. Erstens: Schmal ist die nicht wirklich. Also irgendwie schon, aber eher so lala mittelmäßig für meine Begriffe.

Konfektionsgröße 40 oder 42 schätze ich. „Ähm, Lady … Momentchen, bitte! Als Pferd kenne ich mich mit Sätteln aus. Du anscheinend nicht. Jedenfalls sollten die nicht nur schick aussehen, sondern zu meinem Rücken passen mit einer top pferdegerechten Funktion. Schon mal gehört?

Nennt sich Anatomie des Pferdes. Einfach so irgendeinen Sattel draufschnallen, festzurren und den Popo in die viel zu kleine Sitzfläche pressen, ist ganz und gar nicht pferdegerecht. Mal abgesehen davon, dass du von außen damit aussiehst wie eine Presswurst. Sorry, wenn ich so direkt bin.

Wirkt nicht gerade elegant, wenn die Speckrollen links und rechts des Sattels überquellen und bei jedem Schritt hin- und her schwabbeln. Ich will nicht unhöflich sein, aber mit Ehrlichkeit bin ich noch immer gut durch mein junges Leben gekommen. Und wenn du und ich zukünftig zusammengehören wollen, sind die Fronten damit schon mal geklärt. Danke für dein Verständnis.“ Einen solchen langen Monolog wieherte ich noch nie. Hoffentlich hat sie mich verstanden. Denn so richtig glücklich bin ich über die Tatsache nicht, dass ich bald von hier weggebracht werden soll. Ein schwäbischer Fuchswallach in Norddeutschland. Was soll ich dort? Der Wind dort oben soll heftig sein. Und sowieso sprechen die Leute da ganz anders als im Schwabenland.

Wird bestimmt ein Kulturschock. Wenn sie mir dann noch mit so ’nem komischen Dressursattel ankommt, werde ich