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Clara hat alles verloren: Ihre Beziehung zu Lukas, den Mann, den sie geliebt hat, und das Vertrauen, das sie in ihn gesetzt hatte. Nachdem sie herausgefunden hat, dass Lukas sie betrogen hat, stürzt ihre Welt in sich zusammen. Inmitten des Schmerzes und der Enttäuschung beginnt Clara, sich selbst wiederzufinden. Als Lukas um eine zweite Chance kämpft, muss Clara entscheiden, ob sie bereit ist, ihm zu vergeben und einen Neuanfang zu wagen.
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Seitenzahl: 184
Veröffentlichungsjahr: 2024
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Titel: Nach dem Regen
Autor: Katrin Seifert
Biografie:
Katrin Seifert wurde 1983 in Hamburg geboren und wuchs in einer Familie auf, die ihre Leidenschaft für Bücher und Geschichten teilte. Schon als Kind verschlang sie Romane, schrieb eigene Gedichte und Geschichten und träumte davon, eines Tages selbst Autorin zu werden. Nach dem Abitur zog es sie nach Berlin, wo sie Literaturwissenschaften und Kreatives Schreiben studierte. Während ihres Studiums sammelte sie erste Erfahrungen als freie Lektorin und Texterin, doch die Leidenschaft für das eigene Schreiben ließ sie nie los.
2012 veröffentlichte Katrin Seifert ihren ersten Roman, der schnell die Herzen der Leser eroberte. Ihre Geschichten zeichnen sich durch tiefgründige Charaktere, emotionale Tiefe und eine Mischung aus Romantik und Dramatik aus. Sie versteht es, die inneren Konflikte ihrer Protagonisten einfühlsam darzustellen und gleichzeitig die Schönheit des Lebens und der Liebe zu zeigen, auch in den schwierigsten Momenten.
Neben ihrer schriftstellerischen Tätigkeit ist Katrin Seifert eine leidenschaftliche Reisende und liebt es, ihre Erfahrungen und Eindrücke in ihre Bücher einfließen zu lassen. Sie lebt heute in einem kleinen, ruhigen Vorort von Hamburg, wo sie sich mit ihrem Ehemann und zwei Katzen ein gemütliches Zuhause teilt. Ihre Werke sind in Deutschland und darüber hinaus sehr erfolgreich und haben eine treue Leserschaft gewonnen. In ihren Romanen geht es immer wieder um die Themen Verlust, Neuanfang und die Kraft der Liebe – und vor allem darum, dass nach jedem Sturm die Sonne wieder scheinen kann.
Kapitel 1: Ein Neuanfang
Hamburg begrüßte Clara Wagner mit einem Himmel, der aussah wie flüssiges Zinn. Wolken türmten sich übereinander, schwer und grau, und ein kälterer Wind zog vom Hafen durch die Straßen. Clara zog ihren Mantel enger um sich, während sie aus dem Bahnhof trat und sich der Trubel der Großstadt um sie legte. Menschen mit ernsten Gesichtern eilten an ihr vorbei, Züge ratterten in der Ferne, und ein Schiffshorn ließ die Luft vibrieren. Es war überwältigend und faszinierend zugleich.
Clara hielt kurz inne, atmete die salzige Luft ein und blickte auf ihre zerknitterte Karte. Sie war endlich hier. Hamburg. Die Stadt, die sie seit Jahren besuchen wollte, die Stadt, die ihr neues Zuhause werden sollte. Der Gedanke erfüllte sie mit einer Mischung aus Aufregung und Unbehagen. Ein Neuanfang – das klang so einfach, aber sie wusste, dass es das nicht sein würde.
Die letzten Monate waren eine Zerreißprobe gewesen: die zerbrochene Beziehung zu ihrem langjährigen Freund Markus, die ständigen Streitereien mit ihrer Familie und die innere Unruhe, die sie nicht mehr losgelassen hatte. Hamburg war ihre Flucht, ihre Rettung. Ein neues Kapitel.
Clara zog ihren alten Lederkoffer hinter sich, während sie sich durch die engen Gassen in Richtung ihrer neuen Wohnung kämpfte. Sie hatten ein kleines Zimmer in St. Georg gefunden, in einem renovierten Altbau mit hohen Decken und knarzenden Holzböden. Es war nichts Besonderes, aber es war ihr eigener Raum – eine kleine Freiheit, die sie sich hart erarbeitet hatte.
Als sie endlich die Haustür erreichte und die Teile der Treppe hinaufstieg, fühlte sie sich erschöpft, aber auch zufrieden. Die Wohnung war spärlich möbliert: ein Bett, ein Tisch, ein Regal voller Bücher, die sie mitgebracht hatte. Sie stellte ihren Koffer ab und ließ sich auf das Bett fallen. Der Regen trommelte gegen die Scheiben, und für einen Moment fühlte sie sich so klein wie der Tropfen, der langsam die Fensterscheibe hinunterlief.
„Willkommen in deinem Leben“, murmelte sie leise zu sich selbst, und obwohl ihre Stimme fest klang, spürte sie die Einsamkeit in der Stille des neuen Raumes.
Am Abend zog es Clara nach draußen. Die Stadt schien bei Nacht noch lebendiger zu sein. Die Lichter der Straßenlaternen spiegeln sich im nassen Asphalt, und die Luft roch nach Regen und Kaffee. Sie hatte keinen Plan, wohin sie gehen wollte, aber genau das gefiel ihr. Sie ließen sich treiben, vorbei an Restaurants, die mit goldenem Licht lockten, an Bars, aus denen gedämpftes Gelächter drang, und an kleine Buchläden, die noch geöffnet hatten.
Schließlich fand sie sich am Elbufer wieder. Das Wasser war dunkel und aufgewühlt, die Wellen schlugen gegen die Kaimauer, als sie sich aus der Enge des Flusses befreien wollten. Clara lehnte sich gegen das Geländer und ließ den Blick über das Panorama schweifen: die Docks, die Kräne, die Schiffe, die wie Schatten auf dem Wasser glitzerten. Die Szenerie hatte etwas Rohes, etwas Ehrliches.
In diesem Moment hörte sie es zum ersten Mal – die Musik. Eine Geige, deren Klang so klar und schmerzlich schön durch die Nacht zog, dass sie unwillkürlich den Atem anhielt. Sie drehte sich um und sah ihn.
Der Musiker steht im Schatten einer alten Lagerhalle. Seine Gestalt war kaum zu erkennen, aber die Bewegung des Bogens, die Eleganz seiner Haltung, das war nicht zu übersehen. Er war jung, vielleicht Ende zwanzig, mit dunklen, unordentlichen Haaren, die ihm ins Gesicht fielen. Seine Augen waren geschlossen, und sein Gesicht wirkte, als gehörte es zu einem anderen Ort, einer anderen Zeit.
Clara konnte den Blick nicht abwenden. Es war, als würde die Musik direkt in ihre Seele sprechen, als würde sie Dinge aus ihr hervorholen, die sie lange vergraben hatte. Sehnsucht, Schmerz, Hoffnung – alles war in diesem einen Stück vereint.
Als er endete, herrscht für einen Moment absolute Stille. Dann fielen ein paar Münzen klirrend in seinen Geigenkasten, und die wenigen Passanten, die stehen geblieben waren, setzten ihren Weg fort. Clara blieb stehen. Sie wollten etwas sagen, wussten aber nicht, was. Schließlich überwand sie sich und trat näher.
„Das war wunderschön“, sagte sie leise.
Der Musiker öffnet die Augen und sah sie an. Seine Augen waren grau wie der Himmel an diesem Nachmittag, und sie wirkten müde, schnell feindselig. „Danke“, sagte er knapp, ohne sie wirklich anzusehen.
Clara spürte, dass er nicht reden wollte, aber irgendetwas war an ihm faszinierte sie. „Spielen Sie hier oft?“ fragte sie, obwohl sie sich sofort albern vorkam.
„Manchmal.“ Seine Stimme war rau, schnell abweisend, und er begann, seine Geige einzupacken.
Clara wollte mehr fragen, wollte mehr wissen, aber sie spürte, dass sie ihn nicht bedrängen sollte. Stattdessen beobachtete sie, wie er seine Sachen mitnahm und in der Dunkelheit verschwand, ohne sich noch einmal umzusehen.
Sie blieben allein zurück, das Geräusch der Wellen im Hintergrund. Irgendetwas an dieser Begegnung ließ sie nicht los. Wer war dieser Mann, und warum klang seine Musik so, als hätte sie ein gebrochenes Herz?
In der Ferne heulten die Möwen, und der Regen begann wieder zu fallen. Clara zog ihren Mantel enger um sich und machte sich auf den Weg zurück zu ihrer Wohnung. Ihre Gedanken waren bei der Musik – und bei dem Mann, der sie gespielt hatte.
Ein Neuanfang, dachte sie. Vielleicht war es komplizierter, als sie gedacht hatte.
Kapitel 2: Zwischen den Zeilen
Am nächsten Morgen erwachte Clara früh, das fahle Licht eines wolkenverhangenen Himmels fiel durch die dünnen Vorhänge ihres Zimmers. Sie fühlten sich unausgeschlafen, ihre Gedanken waren in der Nacht immer wieder zu dem Geigenspieler zurückgewandert. Seine Musik hatte etwas in ihr berührt, das sie nicht recht greifen konnte. Eine Melancholie, die gleichzeitig vertraut und fremd war.
Clara schüttelte die Gedanken ab und zwang sich, sich auf den Tag zu konzentrieren. Es war ihr erster Arbeitstag bei der Hamburger Morgenpost , und sie konnte es sich nicht leisten, unvorbereitet zu wirken. Mit zitternden Händen greifen sie nach einer Tasse Kaffee und gehen noch einmal ihre Unterlagen durch.
Ihre Ankunft in der Redaktion war hektisch und wenig herzlich. Kollegen, die mit ernsten Gesichtern über ihre Schreibtische gebeugt waren, begrüßten sie knapp, und der Chefredakteur, ein stämmiger Mann mit grauem Haar und einem ständig gestressten Gesichtsausdruck, hatte nur ein paar Minuten Zeit für sie.
„Frau Wagner, gut, dass Sie da sind. Wir brauchen frische Stimmen, besonders in der Kultursparte. Ihre erste Aufgabe: Schreiben Sie eine Reportage über die Straßenkünstler der Stadt. Und denken Sie daran, wir wollen Emotionen. Geschichten, die unsere Leser packen.“
Clara nickte eifrig, obwohl sie sich überrumpelt fühlte. Sie hatten gehofft, erst einmal Zeit zu bekommen, um sich einzuarbeiten. Doch offensichtlich war das hier nicht die Kunst von Job, bei dem man sanft an die Hand genommen wurde.
Am Nachmittag zog sie mit einem Notizbuch und ihrer Kamera los, um die Straßenkünstler Hamburgs zu finden. Doch trotz der lebendigen Stadt fand sie nicht das, danach suchte sie. Viele Musiker spielen dieselben Lieder, immer mit einem Auge auf die Münzen im Hut. Einige wirkten so müde und routiniert, dass Clara sich kaum vorstellen konnte, dass ihre Leser das interessieren würden.
Ihre Gedanken kehren zu dem Geigenspieler der letzten Nacht zurück. Sein Spiel hatte eine Tiefe, die sie nicht vergessen konnte. Er musste Teil ihrer Reportage sein. Doch wie sollte sie ihn finden? Sie wussten nur, dass er irgendwo in der Nähe des Hafens gespielt hatte.
Am Abend, als der Himmel langsam dunkler wurde, zog es sie erneut ans Elbufer. Es war ein unbewusster Drang, schnell so, als würde sie etwas dorthin rufen. Der Wind war scharf und trug den Geruch von Salz und Algen mit sich, die Lichter der Kräne spiegelten sich im Wasser.
Und dann hörte sie ihn wieder.
Die Melodie war anders als am Abend zuvor, doch sie war ebenso fesselnd. Clara folgte dem Klang, bis sie ihn wiederfand – er stand unter einer Straßenlaterne, der Lichtkegel umrahmte ihn wie eine Bühne. Die Geige ruhte sanft auf seiner Schulter, der Bogen glitt über die Saiten, als wäre er eine Verlängerung seiner Arme.
Clara blieb in einiger Entfernung stehen, ihre Augen fixierten ihn, während ihr Herz schneller schlug. Er war so ganz anders als die anderen Straßenmusiker. Keine Schilder, kein Bitten um Geld, nur die Musik, die direkt aus ihm zu kommen schien.
Als die letzten Töne verklangen, sammelte sie ihren Mut und trat näher.
„Sie schon wieder“, sagte er, ohne sie direkt anzusehen. Seine Stimme klang genauso wie am Abend zuvor – rau, schnell mürrisch.
„Ja“, antwortete Clara, unsicher, ob sie bleiben oder sich entschuldigen und gehen sollte. Doch sie zwang sich, stehen zu bleiben. „Ich schreibe für eine Zeitung. Wir machen eine Reportage über Straßenkünstler. Ich würde gerne über Sie schreiben.“
Er hob eine Augenbraue und musterte sie skeptisch. „Straßenkünstler? Ist das alles, was ich für Sie bin?“
Seine Worte trafen Clara unerwartet hart. „Nein, das meine ich nicht so.“ Ihre Musik… sie ist anders. Sie berührte Menschen. Das ist eine Geschichte, die ich erzählen möchte.“
Für einen Moment schwieg er, und Clara hatte das Gefühl, dass er jeden ihrer Sätze abwog, nach unausgesprochenen Motiven suchte. Schließlich sagte er: „Ich spiele nicht für die Zeitung. Ich spiele für mich.“
Clara war enttäuscht, aber sie verstand, dass er Grenzen gesetzt hatte. „Ich respektiere das. Aber… darf ich zumindest Ihren Namen wissen?“
Er zögerte. „Lukas. Lukas Faber.“
„Clara Wagner“, stellte sie sich vor und streckte ihm die Hand entgegen. Doch er schüttelte sie nicht, sondern packte stattdessen seine Geige ein und wandte sich zum Gehen.
„Vielleicht sehen wir uns ja wieder, Frau Wagner“, sagte er, ohne sich umzudrehen.
Clara blieb allein zurück, der Wind fuhr durch ihr Haar, und eine unerklärliche Sehnsucht breitete sich in ihrer Brust aus. Etwas an Lukas faszinierte sie, und sie wusste, dass sie ihn nicht so leicht vergessen würde.
Später in ihrer Wohnung saß sie vor ihrem Laptop und starrte auf den blinkenden Cursor. Sie hatte Interviews mit anderen Straßenkünstlern geführt, hatte Notizen über ihre Geschichten gemacht. Doch nichts davon fühlte sich lebendig an, nichts konnte das einfangen, was sie in Lukas‘ Musik gehört hatte.
Sie dachten an seine Augen – diese müden, grauen Augen, die mehr zu sagen schienen, als er mit Worten preisgab. Wer war Krieg? Was verbarg sich hinter seiner abweisenden Fassade?
Clara begann zu schreiben. Nicht über die Straßenkünstler im Allgemeinen, sondern über Lukas. Über die Melancholie in seiner Musik, die Kunst, wie er zu spielen schien, als würde er mit jedem Ton eine Geschichte erzählen. Sie schrieb, bis die Nacht vorüber war, und als sie endlich aufhörte, fühlte sie sich erschöpft, aber auch erleichtert.
Lukas war mehr als ein Straßenkünstler. Und Clara wusste, dass sie ihn wiedersehen musste, wenn sie verstehen wollte, wer er wirklich war – und warum seine Musik sie so tief berührt hatte.
Kapitel 3: Der erste Funke
Der nächste Tag begann, wie der letzte endete – mit Gedanken an Lukas. Clara konnte sich nicht konzentrieren, weder auf die Gespräche mit ihren Kollegen noch auf die neuen Aufgaben, die auf ihrem Schreibtisch landeten. Sein Gesicht, seine Musik, sein verschlossener Ausdruck – all das war wie ein Lied, das sich in ihrem Kopf wiederholte.
Am Nachmittag entschied sie sich, dass sie keine Antworten in den grauen Wänden der Redaktion finden würde. Sie nahm ihre Kamera, ihren Notizblock und ihren Mantel und machte sich erneut auf den Weg zum Hafen.
Die Straßen waren lebendig wie immer, doch Clara fühlte sich wie in einer anderen Welt. Die Möwen kreischten, und die schweren Geräusche der Kräne und Lastwagen schienen wie ein Hintergrundrauschen. Sie ging den Weg entlang, an dem sie Lukas am Abend zuvor getroffen hatte. Doch der Platz war leer, nur der schwache Geruch von Salz und Diesel lag in der Luft.
Clara war enttäuscht, aber sie ließ sich nicht entmutigen. Sie fragten ein paar Straßenhändler, ob sie einen Geiger gesehen hätten, einen jungen Mann mit dunklen Haaren. Einige schüttelten den Kopf, andere gaben vage Hinweise, dass er manchmal hier, manchmal dort spielte.
Nach Stunden des Suchens fühlte sie sich müde und frustriert. Sie setzten sich auf eine Bank, die direkt am Wasser stand, und ließen ihren Blick über die Wellen schweifen. War es, dass sie so sehr an Lukas fesselte? Es war nicht nur die Musik – es war die Kunst, wie er sie spielte, als würde er mit jeder Note gegen einen unsichtbaren Gegner kämpfen.
Sie wollte ihn verstehen. Vielleicht wollte sie auch etwas in ihm finden, das sie in sich selbst suchte – ein Stück Hoffnung, ein Weg, mit der eigenen Unruhe umzugehen.
Die Sonne war bereits untergegangen, und Clara dachte daran, aufzugeben und nach Hause zu gehen, als sie wieder Musik hörte. Es war kein Geige, sondern ein Klavier, das aus einer offenen Bar erklang. Der Klang zog sie an, und sie folgte ihm, bis sie vor einem kleinen Lokal mit dem Namen Alte Speicher stand.
Drinnen war es warm und gemütlich, mit niedrigen Decken und einer Mischung aus Touristen und Einheimischen, die an Holztischen saßen. Am Ende des Raumes steht ein kleines Klavier, und daneben – zu ihrem Erstaunen – Lukas.
Er spielte nicht, sondern saß mit einer Gruppe von Menschen zusammen, ein Bierglas vor sich, sein Geigenkoffer an die Wand gelehnt. Er wirkte anders als in der Dunkelheit der Straßen – lockerer, schnell so, als könnte er sich hier ein wenig entspannen. Doch in seinem Blick lag immer noch etwas Zurückhaltendes, eine unsichtbare Barriere.
Clara zögerte. Sollte sie ihn ansprechen? Würde er es als Gefühl empfinden? Doch bevor sie eine Entscheidung treffen konnte, hob er den Kopf und sah sie direkt an. Für einen Moment schien er überrascht, dann zog ein schwaches Lächeln über sein Gesicht.
„Sind Sie mir gefolgt?“ fragte er, als sie sich näherte. Seine Stimme klingt leicht amüsiert, aber auch misstrauisch.
„Zufall“, antwortete Clara, auch wenn sie wusste, dass es nicht ganz die Wahrheit war. Sie zeigte auf dem Klavier. „Ich habe die Musik gehört.“
Lukas nickte und deutete auf den freien Platz neben sich. Clara setzte sich, und für einen Moment wussten beide nicht, was sie sagen sollten.
„Das ist nicht Ihr übliches Revier, oder?“ fragte sie schließlich, um die Stille zu brechen.
„Ich spiele hier manchmal, wenn ich genug von der Straße habe“, antwortete er und ckte mit den Schultern. „Die Leute sind nett, und der Wirt lässt mich gratis trinken.“
Clara lachte leise. „Das klingt fair.“
Sie sprechen eine Weile über die Bar, über die Stadt, über die Musik. Clara spürte, wie Lukas langsam auftaute, auch wenn er immer noch vorsichtig wirkte. Es war, als hätte er gelernt, die Welt mit Abstand zu betrachten, um sich selbst zu schützen.
Abschließend fragte sie: „Warum spielen Sie auf der Straße?“ Sie sind gut genug, um in Konzertsälen zu spielen.“
Lukas‘ Gesicht verfinsterte sich. Er sah sie lange an, bevor er antwortete. „Vielleicht, weil ich nicht in Konzertsäle gehöre. Die Straße ist ehrlicher. Keine falschen Erwartungen, keine Masken.“
Clara spürte, dass hinter diesen Worten eine tiefere Wahrheit lag, eine Geschichte, die er nicht bereit war, zu erzählen. Sie wollten nachhaken, entschieden sich aber dagegen.
Später an diesem Abend, als die Gäste langsam gingen und die Bar sich leerte, holte Lukas seine Geige hervor. Clara beobachtete, wie er die Saiten stimmte, den Bogen prüfte. Es war, als würde er in diesen Momenten völlig in sich selbst versinken, die Welt um sich herum vergessen.
Dann begann er zu spielen.
Die Melodie war leise und voller Sehnsucht, ein Lied, das von Verlust und Hoffnung sprach, ohne ein einziges Wort zu benötigen. Clara war überrascht, wie ihr die Tränen in die Augen stiegen, und sie wischte sie hastig weg, bevor es jemand bemerken konnte.
Als Lukas geendet hatte, sah er sie an, und diesmal war sein Blick weicher, offener. „Musik ist alles, was ich habe“, sagte er leise, schnell zu sich selbst.
Clara spürte, dass sie endlich einen kleinen Einblick in seine Welt bekommen hatte, doch sie wusste auch, dass sie erst an der Oberfläche gekratzt hatte.
„Sie sollten mehr Menschen Ihre Musik hören lassen“, sagte sie schließlich. „Es wäre eine Verschwendung, wenn Sie das nicht tun würden.“
Lukas zuckerte die Schultern. „Vielleicht. Vielleicht auch nicht.“
Er stand auf, packte seine Geige zusammen und verabschiedete sich. „Danke, dass Sie dazugehört haben, Clara Wagner.“
Sie sahen ihn nach, wie er in der Nacht verschwand, und empfanden, dass sie ihn wiedersehen würde. Und tief in ihrem Inneren wusste sie, dass es nicht nur die Musik war, die sie zu ihm zog. Es war der Funke, der in ihm verbrannte – und den sie in sich selbst wiederfinden wollte.
Kapitel 4: Die Mauern brechen
In den folgenden Tagen kehrte Clara immer wieder zum Hafen und in die kleinen Bars der Umgebung zurück. Es war nicht allein wegen ihrer Reportage – es war Lukas, der sie anzog wie eine Flamme eine Motte. Jede Begegnung mit ihm hinterließ mehr Fragen als, doch gerade das machte ihn für sie so faszinierend.
Ihre Reportage wächst nur langsam. Clara sprach mit anderen Straßenkünstlern, sammelte Geschichten, doch in ihrem Herzen wusste sie, dass Lukas der Schlüssel war. Seine Musik, sein Schweigen, die Schwere, die ihn umgab – er war mehr als ein Musiker. Er war ein Rätsel, das sie unbedingt lösen wollte.
Es war ein regnerischer Donnerstagabend, als sie ihn wiederfand. Diesmal spielte er nicht am Hafen oder in einer Bar, sondern in einem stillen Park, unter einem alten Baum, dessen Äste sich über ihn wie ein schützendes Dach spannten.
Clara blieb stehen und beobachtete ihn aus der Ferne. Der Regen trommelte leise auf den Blättern, und Lukas spielte, als wäre er allein auf der Welt. Seine Melodie war dunkel und voller Schmerz, als würde sie etwas Tief in ihm hervorholen, das er normalerweise verborgen hielt.
Nach einer Weile wagte sie sich näher. Sie setzten sich auf eine Bank, nur wenige Meter von ihm entfernt, und wartete, bis er endete.
„Sie tauchen wirklich überall auf, nicht wahr?“ fragte Lukas, ohne sie anzusehen. Seine Stimme klang nicht unfreundlich, eher resigniert.
„Vielleicht bin ich einfach gut im Finden von besonderen Orten“, antwortete Clara und lächelte leicht.
Lukas legte seine Geige in den Kasten und schloss den Deckel, bevor er sie annahm. „Was willst du wirklich, Clara?“ Sie sagen, Sie schreiben eine Reportage, aber ich habe das Gefühl, dass es nicht nur darum geht.“
Seine Worte trafen sie wie ein Schlag, weil sie wahr waren. Clara wusste, dass es mehr war. Ihre Suche nach ihm war keine professionelle Pflicht mehr, sondern eine persönliche Obsession geworden.
„Ich weiß es nicht“, gab sie ehrlich zu. „Vielleicht… vielleicht werde ich einfach verstehen, warum Ihre Musik so anders ist. Warum sie so viel sagt, ohne Worte.“
Lukas lehnte sich gegen den Baum und verschränkte die Arme vor der Brust. „Musik ist der einzige Weg, wie ich… wie ich fühlen kann, ohne damit kaputtzugehen.“
Clara wollte nachfragen, aber sie spürte, dass sie ihn nicht drängen konnte. Stattdessen schwieg sie, und für einen Moment standen sie einfach da, während der Regen allmählich nachließ.
„Wenn Sie etwas wissen wollen, dann stellen Sie die richtigen Fragen“, sagte Lukas plötzlich. Seine Stimme klang jetzt weicher, schnell herausfordernd.
Clara überlegte. „Warum spielen Sie nur auf der Straße? Warum nicht auf einer Bühne, vor einem größeren Publikum?“
Lukas zögerte, bevor er antwortete. „Weil die Straße ehrlich ist. Auf der Bühne erwarten die Leute Perfektion. Sie wollen Unterhaltung, aber keine Wahrheit. Die Straße… sie verzeitet dir deinen Fehler. Sie verlangten nichts außer dem, was du wirklich bist.“
Clara nickte langsam. „Aber was hat Sie dorthin gebracht?“ Sie haben Talent, das sieht jeder. Was hat Sie von der Bühne weggeholt?“
Für einen Moment sah es so aus, als würde Lukas sich verschließen, aber dann holte er tief Luft. „Ich war auf der Bühne. Früher. Ich habe alles gegeben – meine Zeit, meine Energie, meine Seele. Aber es war nie genug. Nicht für sie.“
„Für wen?“ fragte Clara vorsichtig.
Sein Blick wurde härter, unter er schüttelte den Kopf. „Für niemanden. Vergessen Sie es.“
Clara spürte, dass sie einen wunden Punkt getroffen hatte. Sie wollte ihn nicht drängen, aber sie konnte nicht leugnen, dass sie wissen wollte, was hinter seiner Fassade lag.
Die nächste Stunde verbrachten sie schweigend, gemeinsam unter dem Baum. Der Regen hatte gehört, und eine milde Kälte lag in der Luft. Clara spürte, dass Lukas nicht fortging, weil er ihre Nähe irgendwie zuließ, auch wenn er es nicht zeigen wollte.
„Ich habe das Gefühl, dass Sie sich in Ihrer eigenen Welt verstecken“, sagte sie schließlich leise.
Lukas lachte bitter. „Vielleicht. Aber diese Welt ist alles, was ich habe.“
Clara stand auf und sah ihn direkt an. „Das stimmt nicht. Deine Musik hat so viel Kraft, Lukas. Sie erreicht Menschen, mich eingeschlossen. Warum glauben Sie, dass Sie alleine damit kämpfen müssen?“