Nächster Halt: Mord. Ein Weihnachtskrimi. Cosy Crime trifft auf Krimi-Klassiker: Giftmord im weihnachtlichen Luxuszug mit Flair der Zwanziger Jahre. Raffinierter All-Age-Krimi voller Weihnachtsstimmung - Alexandra Fischer-Hunold - E-Book

Nächster Halt: Mord. Ein Weihnachtskrimi. Cosy Crime trifft auf Krimi-Klassiker: Giftmord im weihnachtlichen Luxuszug mit Flair der Zwanziger Jahre. Raffinierter All-Age-Krimi voller Weihnachtsstimmung E-Book

Alexandra Fischer-Hunold

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Beschreibung

Schnee, Glamour und ein Mord: Eine tödliche Weihnachtsreise Millie kann ihr Glück kaum fassen: Sie darf ihre Schwester Rachel zur Jungfernfahrt eines nostalgischen Luxuszuges begleiten. Und das an Weihnachten, der schönsten Zeit des Jahres! Auf der 3-tägigen Reise soll die junge Journalistin für ihre Zeitung eine Reportage über die Leute schreiben, die sich eine solche Luxusreise leisten können. Während der Fahrt durch die traumhaft schöne Winterlandschaft mehren sich jedoch die mysteriösen Zwischenfälle. Als jemand tot aufgefunden wird, wird den Schwestern klar: Mit ihnen im Zug könnte ein Mörder unterwegs sein, dem niemand entkommen kann.  »Nächster Halt Mord – Ein Weihnachtskrimi« ist ein amüsanter, wunderbar gemütlicher und extrem spannender Krimi von Alexandra Fischer-Hunold. Perfekt für Fans von atmosphärischen Kriminalgeschichten wie aus der Feder der Queen of Crime Agatha Christie! - Cosy-Crime: Moderne Protagonist*innen treffen auf ein Zwanziger-Jahre-Setting im Zug - Whodunit: Weihnachtskrimi zum Mitraten mit vielen potentiellen Verdächtigen - Mord im Orient-Express trifft auf Gegenwart – zarte Lovestory inklusive - Eingeschneit mit einem Mörder: All-Age-Krimi von der Autorin von »Ein Mörder auf der Gästeliste«   Amüsant und spannend: Ermittlungen im Stil von Agatha Christies Orient-Express   Die Jungfernfahrt des Golden Highlander durch eine atemberaubende Landschaft wollen sich viele Berühmtheiten nicht entgehen lassen. Neben den Schwestern Rachel und Millie reist eine Gruppe rund um die Starköchin Madelyn Clarkson mit sowie die Kochinfluencerin Gigi Doe. Und eine mysteriöse Person, die sich unter das Zugpersonal gemischt hat. Wer könnte hinter den Anschlägen stecken und wer die wertvolle Kette entwendet haben? Zum Glück stellen sich die Schwestern als clevere Ermittlerinnen heraus!

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Seitenzahl: 410

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Über das Buch

Es ist zwei Tage vor Weihnachten, als der nostalgische Luxuszug seine Reise von London nach Schottland antritt. Hier reist man ganz exklusiv, grandiose Aussichten und Weihnachtsessen inklusive – und die 16-jährige Millie kann ihr Glück kaum fassen. Doch hinter der vornehmen Fassade der Ersten Klasse offenbaren sich schnell allerhand Abgründe. Unter den illustren Gästen kommt es zu Streit, Verleumdung und einem Diebstahl. Und dann ist plötzlich jemand tot. Während ein Schneesturm ein Fortkommen unmöglich macht, beschleicht alle das beklemmende Gefühl, nun mit einem Mörder eingeschlossen zu sein.

Ein weihnachtlicher Cosy Crime für Agatha-Christie-Fans

Inhalt

Personenregister

Erster Prolog

Zweiter Prolog

Dritter Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Epilog

Personenregister

Millie McEwan, 16 Jahre, Schülerin. Mit Krimis hat sie so gar nichts am Hut und schlittert rein zufällig in einen echten Mordfall.

Rachel McEwan, 21 Jahre, Millies ältere Schwester. Redakteurin bei dem Reisemagazin Get acquainted with …

Josh Adams, Chefredakteur bei Get acquainted with …, Chef von Rachel und von Sally Rudner.

Benjamin Frost, Vorstandsvorsitzender der Eisenbahngesellschaft, die den Golden Highlander betreibt. Der kostspielige Luxuszug war seine Idee. Seit der Schulzeit gehört er zur Clique um Madelyn Clarkson.

Robert Lory, pingeliger Chef-Steward. Die Fahrt mit dem Golden Highlander ist seine letzte Fahrt. Danach geht er in den wohlverdienten Ruhestand.

James, Lern-Steward an Bord des Golden Highlander, mit einer großen Schwäche für Kaugummi und Sherlock Holmes.

Gigi Doe, erfolgreiche Influencerin mit ziemlich abgedrehter Backshow.

Rose Smith, ältere Dame, die sich mit der Reise einen Lebenstraum erfüllt.

Tracey Pitts, rechte Hand der Star-Köchin Madelyn Clarkson. Auch wenn sie seit der Schule zu der Clique um Madelyn gehört, kam sie erst später dazu. Nicht viele Menschen mögen sie.

Eva Williams, Staatssekretärin. Auch sie gehört seit der Schule zu Madelyns Freundeskreis.

Sally Rudner, Redakteurin bei Get acquainted with …, Rachels direkte Vorgesetzte. Auch sie gehört seit der Schulzeit zu Madelyns engem Freundeskreis.

Madelyn Clarkson, gefeierte Fünf-Sterne-Star-Köchin, Ehefrau von Alistair Hadley und Zentrum der Clique.

Stratford, der kleine weiße Malteser, ist Sallys Ein und Alles.

Cara Frost, Oxford-Professorin, Ehefrau von Benjamin Frost.

Amy, kleine Nichte von Cara und Benjamin Frost.

Alistair Hadley, semi-erfolgreicher Galerist, erst seit Kurzem Ehemann von Madelyn Clarkson.

Charles Masterson, junger Zauberkünstler, der für Unterhaltung im Zug sorgen soll.

Natalie, Barkeeperin im Golden Highlander.

Marissa, Kosmetikerin im Golden Highlander.

Für viele, vielleicht sogar für die meisten, ist das Ankommen das, worum es ihnen bei einer Reise geht. Für mich ist jedoch der Weg das Ziel. Und deshalb fahre ich so unglaublich gerne Zug. Ist es nicht wahnsinnig schön, zu sehen, wie sich die vorbeiziehende Landschaft hinter den Fenstern verändert? Und dann sind da die Menschen, die das Schicksal für eine begrenzte Zeit in den Waggons zusammengewürfelt hat. Für die Dauer einer Zugfahrt kann man entweder man selbst sein oder seinen Mitreisenden eine x-beliebige Rolle vorspielen. Beim Verlassen des Zuges lässt man sie an, weil sie passt wie ein gut sitzender Mantel. Oder man streift sie wieder ab, wenn sie doch zu sehr zwickt. Es ist egal, denn die Menschen, die so eine Reise zufällig zusammenbringt, trifft man meist nie wieder. So wird ein Zug zur Theaterbühne und man weiß nie, welches Stück aufgeführt wird.

Diese Sätze habe ich, Millie McEwan, am Abend des 21. Dezember in mein Tagebuch eingetragen. Circa zehn Stunden bevor der Golden Highlander auf seine Jungfernfahrt gestartet ist. Zu diesem Zeitpunkt habe ich mich wie irre auf die weihnachtliche Fahrt in dem neuesten Luxuszug gefreut. Da kannte ich aber auch den Titel des Stückes noch nicht …

Erster Prolog

Niemand schenkte der Gestalt in dem Hoodie und der dicken Winterjacke Beachtung. Und genau das war ihre Absicht. Unsichtbar sein. Deshalb hatte sie sich in die hinterste Ecke des Starbucks verkrochen, die Kapuze ihres Pullovers tief ins Gesicht und die Schultern hochgezogen. Die Carol Singers konnten noch so schön im Schneetreiben vor St. Paul’s singen und Spenden für arme Kinder sammeln, sie musste weg. Und das so schnell wie möglich. Raus aus London und sich dann irgendwo in Luft auflösen. Wenn es dafür nicht schon zu spät war. Vorsichtig schaute sie sich unter gesenkten Lidern im Café um. Die typische Spätnachmittagmischung an Gästen hatte sich eingefunden. Touristen und Touristinnen, Studierende, Schülerinnen und Schüler, Mütter mit kleinen Kindern. Die einen in ausgelassener Vorweihnachtsstimmung, die anderen im Weihnachtsstress. Auf den ersten Blick wirkte niemand verdächtig. Und trotzdem. Sie war sich sicher, dass sie erkannt worden war. Gestern, als sie bei Hatchard’s am Piccadilly nach Büchern gestöbert hatte und sich auf der Suche nach Weihnachtsgeschenken – ja, auch Leute wie sie kauften etwas für ihre Lieben – von einer Abteilung in die andere hatte treiben lassen … Jeder unbeteiligte Beobachter hätte es für einen Zufall gehalten. Doch der Mann im gut sitzenden schwarzen Mantel, auf dessen Schultern die Schneeflocken langsam schmolzen, hatte sie verfolgt. Seit der Klassiker-Abteilung klebte er an ihren Fersen. Die mit Christbaumkugeln und Tannengrün geschmückten Treppen rauf und runter. Mal tat er so, als würde er sich brennend für Dickens’ Weihnachtsgeschichte interessieren, mal steckte er seine Nase in Prinz Harrys Autobiografie. Aber sie wusste es besser. Er war hinter ihr her. Entkommen war sie ihm nur, weil er im Vorbeigehen mit dem Saum seines Mantels einen große Strohengel von einem der niedrigeren Tische gefegt und sich danach gebückt hatte, um ihn aufzuheben. Diesen Augenblick hatte sie genutzt, war raus auf die Straße und eingetaucht in die Touristenströme, die sich in Richtung Piccadilly Circus schoben.

Nachdenklich drehte sie jetzt den bauchigen Porzellanbecher in den klammen Fingern. Santa Claus lächelte ihr darauf unbeschwert entgegen. Nur noch schwacher Duft erinnerte an den Karamell-Zimt-Latte, den sie sich gegönnt hatte. Sie seufzte und weckte mit einem Fingertipp ihr Notebook aus dem Schlaf. Zum hundertsten Mal ließ sie ihre Augen über die Buchstaben huschen.

Lange hatte sie das Für und Wider gegeneinander abgewogen. … Aber wie hieß es doch so schön? In der Not frisst der Teufel Fliegen … Oder er checkt in den Golden Highlander ein. Es gab Schlimmeres, als bei der Jungfernfahrt des neuesten Luxuszugs dabei zu sein. Die Gestalt schob ihren Stuhl zurück. Ihr Entschluss stand fest. Die nächste Woche musste sie unter dem Radar bleiben. Nur sieben Tage. Danach war sie – hoffentlich – über alle Berge.

Zweiter Prolog

Früher Abend des gleichen Tages in einem

Appartement in London, Islington …

Der edle, großformatige Briefumschlag knackte beim Öffnen, als wollte er seinen Inhalt lieber nicht preisgeben. Doch da war die Karte schon herausgezogen.

Herzlichen Glückwunsch, …, das Los hat sich für Sie entschieden.

Wir freuen uns, Sie als unseren Ehrengast am 22. Dezember im Bahnhof King’s Cross an Gleis eins zur Jungfernfahrt des Golden Highlander begrüßen zu dürfen.

Nachdem Sie in Ihrer exklusiven Suite eingecheckt haben, ertönt um 9 a. m. das Abfahrtssignal und die historische Dampflok entführt Sie in eine Welt jenseits unserer Zeit.

Während Sie der mit allem modernen Komfort ausgestattete Zug im Stil der Zwanzigerjahre durch ein verschneites Winterwunderland trägt, lassen Sie sich im Spa (jeglicher Service an Bord ist inklusive) verwöhnen, genießen unsere ausgezeichnete Küche und freuen sich auf Ausflüge, Special Events und den Roaring-Twenties-Maskenball als Höhepunkt unseres hochkarätigen Programms.

Am 24. Dezember erreichen Sie nach einem letzten Frühstück gegen Mittag Edinburgh, die königliche Endstation Ihrer Reise.

Kleiderordnung tagsüber smart casual; abends formell bis elegant

Der Briefumschlag und die Karte aus handgeschöpftem elfenbeinfarbenem Papier fühlten sich nicht nur gut an. Nein, in Kombination mit der geschwungenen, goldfarbenen Schrift waren sie auch Vorboten der Exklusivität, die die Gäste im Zug erwartete. Ein Traum wurde wahr!

Mit flinken Fingern wurde die Karte zurück in den Umschlag geschoben. Was war noch zu tun? Natürlich. So kurz vor Weihnachten machte das Shoppen in der überfüllten Londoner City zwar keine Freude, aber ein solcher Anlass schrie geradezu nach einem Ausflug in die Innenstadt. Mayfair und Knightsbridge waren gute Adressen für die benötigte Kleidung.

Genauso wie Chelsea.

Smart Casual und am Abend formell bis elegant. Da fiel die Oxford Street wohl eher weg. Leider!

Dritter Prolog

21. Dezember im Londoner Zeitungsviertel.

Kurz nach der Mittagspause.

»Setz dich, Rachel!« Ohne den Blick von seinem Bildschirm zu heben, deutete Chefredakteur Josh Adams auf die Besucherstühle vor seinem Schreibtisch. Auf beiden stapelten sich alte Ausgaben von Get acquainted with …, dem Hochglanz-Reisemagazin, für das Rachel seit ihrem Uni-Abschluss vor einem halben Jahr arbeitete. Bisher hatte sie allerdings nur kleinere Berichte schreiben dürfen, über die Kanalbootstouren von Little Venice zum Camden Market beispielsweise. Was sie völlig in Ordnung fand. Schließlich war sie Anfängerin und hatte viel zu lernen. In Joshs Büro war sie bisher erst ein einziges Mal bestellt worden. Und zwar zu ihrem Vorstellungsgespräch. Danach nie wieder.

Mit zitternden Händen räumte sie den linken der beiden Stühle frei, nahm Platz und bettete die schweren Zeitungen auf ihren Schoß. Warum hatte Josh nach ihr schicken lassen? Hatte sie einen Fehler gemacht? Nicht sauber recherchiert und jemand hatte sich beschwert? Rachel schluckte und warf einen sehnsüchtigen Blick durch das Glasfenster auf Sallys verwaisten Schreibtisch im angrenzenden Großraumbüro. Zu dumm, dass ihre Ressortleiterin im Urlaub war. An Sallys Seite hätte sie sich deutlich sicherer gefühlt.

Mit einem lauten letzten Tippen auf der Tastatur wirbelte Josh zu ihr herum. Er lehnte sich in seinem knarzenden Sessel zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. Sosehr Rachel sich auch bemühte, in seinen braunen Augen zu lesen, blieb sein Blick für sie doch unergründlich.

»Hast du bis Weihnachten irgendwas Spezielles vor?«

»Ich?« Rachel tippte sich überrascht gegen die Brust. »Nein.«

»Dann hast du es jetzt! Du fährst morgen mit dem Golden Highlander nach Edinburgh. Wäre Sally hier, würde ich sie schicken. Aber so habe ich beschlossen, dass die Reportage deine Feuerprobe wird. Ich schubse dich ins kalte Wasser und hoffe, dass du schwimmst.«

»Ich … ähm … äh …«, stammelte Rachel irgendwo zwischen unfassbarer Freude und furchtbarer Versagensangst.

Josh kramte eine Broschüre unter seinen Papierbergen hervor und warf sie ihr zu. »Dieser Zug ist gewissermaßen die schottische Antwort auf den Orient Express. Luxus pur. Zwei Nächte, zweieinhalb Tage. Und du schreibst mir eine Reportage mit dem Titel Menschen im Zug. Alles klar?«

Während Rachels Augen über den Werbetext huschten, führte Josh weiter aus: »Ich will wissen, wer sich so eine kostspielige Reise leistet und warum. Dass sie teuer ist, kann ich dir versichern. Wir bekommen zwei Tickets von der Bahngesellschaft gestellt. Na ja, sie hoffen natürlich auf Werbung. Also, was ich brauche, sind Hintergrundgeschichten. Was mit Herz. Passend zu Weihnachten.«

Diesmal landeten zwei cremefarbene Fahrkarten vor Rachel auf der Schreibtischkante. Das Logo der Bahngesellschaft trat durch eine edle Hochprägung hervor. Genauso wie die Reisedaten. Illustriert wurde das Ganze durch die Zeichnung einer antiken Lok, aus deren Schornstein grauer Dampf aufstieg. Dabei rieselten dicke Schneeflocken auf die königsblauen Waggons herab, die sich in der nächtlichen Winterlandschaft zu verlieren schienen.

»Für zwei Personen!«, betonte Josh. »Du kannst also jemanden mitnehmen.«

Da würde aber eine Luftsprünge machen!

Rachel biss sich auf die Unterlippe. Eben hatte sie noch gedacht, er würde sie wegen eines Fehlers vor die Tür setzen, und jetzt …

»Was ist? Kollidiert die Reise doch mit deinen Weihnachtsplänen?« Joshs linke Augenbraue schob sich prüfend in Richtung Haaransatz. Was das zu sagen hatte, wusste Rachel. Wenn sie diesen Auftrag ablehnte, würde Josh ihr so schnell keinen großen Bericht mehr anvertrauen.

»Unsere Eltern wohnen in Edinburgh«, erwiderte sie deswegen schnell. Denn sie wollte diesen Job haben! Zu einhundert Prozent! »Und selbst wenn …«

Josh ließ sie nicht ausreden. »Dann ab nach Hause. Geh packen! Und Rachel …« Sie hatte sich schon halb aus dem Stuhl erhoben, verharrte aber jetzt in der Luft. »Das ist eine richtig große Chance. Vermassele sie nicht!«

Kapitel1

»Mach hinne, Rachel!«, brüllte ich meiner Schwester zu und ruckelte meinen Rucksack zurecht, während ich den voll bepackten Koffer im Slalom hinter mir herzerrte. Drei Tage vor Weihnachten platzte der Bahnhof King’s Cross aus allen Nähten. Denn zu den Pendlern und den üblichen Touristengruppen schoben sich jetzt auch noch die Weihnachtsurlauber durch den vom Schneematsch glitschig-glatten Eingangs- und Ausgangsbereich.

»Hey, du, hast du einen Wunsch?«, quatschte mich unverhofft der junge Typ an, der spielbereit vor dem Klavier saß, das noch vom letzten Event übrig geblieben sein musste.

»Klar, Coming home for Christmas!«, rief ich ihm zu und stellte mich auf die Zehenspitzen, um nach Rachel Ausschau zu halten.

Mitten im Getümmel warf sie ihre langen braunen Haare über die Schulter. »Ich kann nicht so schnell!«, rief sie, was ich mehr von ihren Lippen ablas, als dass ich ihre Worte über den Lautsprecherdurchsagen, dem Stimmengewirr und den ersten Klavierklängen meines Wunschweihnachtssongs hätte hören können. Zur Erklärung hob sie ihren Koffer ein Stückchen an. Cross-Body hatte sie sich auch noch ihre riesengroße Shoppertasche und entgegengesetzt dazu ihre Laptoptasche umgehängt.

»Wir treffen uns am Gleis!«, signalisierte sie mir. Ich reckte einen hochgestreckten Daumen in die Luft und marschierte weiter. Denn ich konnte gar nicht schnell genug zu Gleis eins kommen. Dorthin, wo der Golden Highlander schon sehr bald seine Türen schließen und unter Dampf seine Jungfernfahrt antreten würde.

Ganz ehrlich, hätte ich geahnt, was uns an Bord des Golden Highlander erwartete, ich hätte auf dem Absatz kehrtgemacht und wäre schneller aus dem Bahnhof verschwunden, als du Schlittschuhfahrt sagen kannst. Was als nostalgische Fahrt in friedliche Weihnachtsferien geplant war, jagt mir nämlich noch heute einen eiskalten Schauer über den Rücken. Und gerade darum schreibe ich hier die Ereignisse genau so auf, wie sie geschehen sind.

Eigentlich wäre das Rachels Job, aber aus unterschiedlichen Gründen ist es besser, wenn ich ihn übernehme. Zum einen hat sie wegen der Sache mit ihrem Fuß viele Dinge nur aus zweiter Hand erfahren und zum anderen würde sie lieber ein Sandwich mit Zahnpasta und Senf essen (ihre Worte), als alles noch mal durchleben zu müssen.

Here we go! Ich, Millie McEwan, sechzehn Jahre und Rachels fünf Jahre jüngere Schwester, bin also deine Chronistin und deshalb musst du dich auf mein Wort verlassen.

Okay, also: Rachel und ich reisen mehrmals im Jahr von London nach Edinburgh und wieder zurück. Allerdings mit der National Rail und nicht im dekadenten Luxuszug. Unsere Eltern leben nämlich in Edinburgh, wo sie eine kleine Schneiderei für schottische Kilts betreiben. Weil Rachel aber in London arbeitet und ich dort zur Schule gehe, teilen wir uns ein winziges Appartement in Notting Hill. Und genau dort, an unserem kleinen Küchentisch hatte sie mir am Abend des einundzwanzigsten Dezembers ein Weihnachtsgeschenk gemacht, das mir den Atem nahm. Die Jungfernfahrt mit dem Golden Highlander! Dem modernsten, elegantesten, nostalgischsten und auch teuersten aller Luxuszüge. Angeblich kann er es sogar mit dem legendären Orient Express aufnehmen. Wenn man den Berichten und der Werbung glauben darf. Wie ein Känguru bin ich durch unsere Küche gehopst, bis die Nachbarn von unten mit dem Besenstil gegen die Decke gewumst haben. Na ja, gut, die hatten ja auch keine Ahnung!

So eine Reise ist für Millionäre gedacht, für richtig reiche Menschen und nicht für die Millies dieser Welt. Für die bleibt normalerweise nur der Traum.

Normalerweise! Und genau deshalb wollte ich jetzt, circa zwölf Stunden später, die Spannung bis zum Äußersten ausreizen und legte die letzten Meter mit gesenktem Blick zurück. Mein Herz wollte mir fast aus der Brust hüpfen, als das Schnauben der wartenden Dampflok mit jedem Schritt lauter an meine Ohren dran. Trotzdem schaute ich nicht auf, sondern drehte mich kurz vor dem Gleis auch noch zur Seite weg. Schließlich lag eine Once-in-a-Lifetime-Reise vor mir und dann auch noch ausgerechnet zu Weihnachten! Der schönsten Zeit des Jahres! Wenn der Schnee von Cornwall bis zu den Hebriden ganz England und Schottland mit einem Hauch Magie bestäubt. Wenn die bunt geschmückten Weihnachtsbäume, Kerzen und Laternen verheißungsvolles Licht ins Dunkel tragen. Wenn die Menschen näher aneinanderrücken. Wenn die Carol Singers …

»Eine Durchsage für Gleis eins. Der Golden Highlander steht dort zur Abfahrt bereit. Die Passagiere werden gebeten, sich unverzüglich einzuchecken!«, riss mich eine scheppernde Durchsage aus meinen Puderzuckerträumen.

»Bin ja schon so gut wie da!«, hörte ich Rachel hinter mir hecheln.

»Puh, dann wollen wir mal!«, keuchte sie, stellte sich neben mich und wischte sich den Schweiß von der Stirn.

»Ist das wirklich wahr?«, wisperte ich aufgeregt. Mein Herz drohte jeden Moment aus meiner Brust zu springen. »Wir steigen gleich in den Golden Highlander?«

»Kommt ganz drauf an, wie lange du noch hier herumstehen willst!«, grinste meine Schwester und zog ihre sommersprossige Nase kraus.

»Keine Sekunde länger!« Es war so weit. Ich kniff die Augen zu, drehte mich in Richtung Gleis eins und krallte meine Finger in den Ärmel von Rachels dicker Winterjacke.

»Nun schau schon hin!« In Rachels Stimme schwang die Vorfreude auf meine Begeisterung mit.

»Oh, mein Gott!« Ein wohliger Schauder lief mir über den Rücken. Da war dieser dunkelrote Teppich vor unseren Füßen. Parallel zu den königsblauen Waggons des Golden Highlander ergoss er sich über den Bahnsteig, bis er sich weiter hinten im Dampf der altmodischen Lok verlor. All das schrie nach Nostalgie, nach einem Märchen aus den Zwanzigerjahren. Nach Frauen mit knieumspielenden Kleidern, langen Perlenketten und Bubi-Köpfen. Und es wisperte leise: »Eigentlich ist das alles viel zu vornehm für dich.« Ich fand es mega.

»Kannst du mich mal kneifen?«, fragte ich und schob meinen Jackenärmel hoch, damit Rachel es leichter hatte.

Doch meine Schwester reagierte nicht.

Eine Gruppe aus Kamerafrau, Tonassistent und Reporterin, die hinter zwei sehr offiziell aussehenden Herren die Stufen eines Waggons hinabstiegen, hatten ihre Aufmerksamkeit erregt.

»Die Kollegen vom Fernsehen sind also auch am Start.« Rachel schluckte schwer.

»Hast du etwas anderes erwartet? Die Jungfernfahrt von so einem Luxuszug ist doch auch ein krasses Event«, gab ich zurück. »Darüber berichten Funk, Fernsehen, das Internet – und du!«

Mit kraus gezogener Nase sah Rachel dabei zu, wie sich das TV-Team von den beiden Herren verabschiedete.

»Und das macht mich ein bisschen nervös!«, gestand sie und fasste sich mit der Hand um den Hals, als wollte sie sich selbst erwürgen.

»Wenn ich das schon wieder höre!« Theatralisch sandte ich einen Hilfe suchenden Blick zur gewölbten Bahnhofsdecke hinauf. »Es ist doch wie früher bei deinen Klausuren. Erst hast du Manschetten und dann kassierst du doch ein dickes Lob! Ich schwöre dir, dass es auch diesmal so sein wird.«

Das sagte ich nicht einfach so, sondern weil es die reine Wahrheit war. Rachel hatte vielleicht noch nicht viel Berufserfahrung, aber sie war eine sehr gute und sehr talentierte Journalistin! Nur bekam sie regelmäßig Angst vor der eigenen Courage.

Die TV-Crew beäugte uns interessiert, als der Mann und die Frauen gut gelaunt an uns vorübereilten.

Die beiden offiziell aussehenden Herren warteten jetzt vor dem Waggon, aus dem sie eben gestiegen waren. Der Mann im tressenbesetzten dunkelblauen Jackett studierte konzentriert sein Klemmbrett. Unter Garantie war er ein Schaffner. Dem hochgewachsenen Mann im schwarzen Mantel, Schal und Lederhandschuhen konnte man schon von hier aus ansehen, dass er irgendwie wichtig sein musste. Fröstelnd schlang er seine Arme um sich, bis etwas seine Aufmerksamkeit erregte. Ich folgte seinem Blick. Etwas abseits des dunkelroten Teppichs stand eine zierliche alte Frau. Ihr schäbiger brauner Mantel sah nicht so aus, als ob er sie wirklich bei den frostigen Temperaturen wärmen könnte. Und auch der Hut auf ihrem Kopf hatte schon viel zu viele Jahre auf dem Buckel. Gerade weil sie so verhärmt aussah, passte sie so gar nicht zu dem Luxuszug, den sie mit großen Augen bestaunte.

Wenn der hochgewachsene Mann das Gleiche dachte wie ich, ließ er es sich nicht anmerken. Ganz im Gegenteil. Mit einem strahlenden Lächeln ging er zu ihr rüber. Gentlemanlike bot er ihr seinen linken Arm als Stütze an, während er mit der rechten Hand ihren verbeulten Koffer anhob. Dankbar hakte sich die alte Dame bei ihm unter.

»Hast du unsere Tickets?« Hektisch ließ Rachel ihre Umhängetasche auf den Boden plumpsen. Sie ging auf die Knie und wühlte darin herum.

»Du hast sie vorhin ins Reißverschlussfach gesteckt«, erinnerte ich sie.

»Stimmt!«, murmelte Rachel und zerrte den bockigen Reißverschluss auf. Erleichtert pustete sie sich die freche braune Haarsträhne aus den Augen. »Puh, ich dachte schon …«

»Ich glaube, du brauchst dringend einen Tee!«

»Einen riesengroßen Pott. Stark und schwarz!« Rachel rappelte sich wieder auf die Füße hoch. »Komm, lass uns einchecken!«

Als ich mich nach der alten Dame umsah, verschwand ihr schäbiger brauner Mantel gerade im Zug.

Kapitel2

»Benjamin Frost, Vorstandsvorsitzender der Eisenbahngesellschaft!« Der hochgewachsene Herr zog den schwarzen Lederhandschuh von seiner rechten Hand und streckte sie uns entgegen. Er strahlte so stolz wie ein Honigkuchenpferd. Aus der Broschüre, die Rachel aus der Redaktion mitgebracht hatte, wusste ich, dass der Luxuszug seine persönliche Idee gewesen war. In das Design waren viele seiner Vorstellungen eingeflossen. Er hatte den Vorstand davon überzeugt, dass es sich lohnen würde, Millionen Pfund in das ehrgeizige Projekt zu stecken. »Ich heiße Sie aufs Herzlichste an Bord des Golden Highlander willkommen! Sie müssen Rachel McEwan und Sie ihre Schwester Millie sein.«

Rachel und ich nickten und schüttelten nacheinander seine Hand. Der Mann hatte seine Hausaufgaben gemacht.

»Wir freuen uns sehr, hier sein zu dürfen!«, versicherte Rachel ihm ganz professionell. Dass ihr das Herz bis zum Hals schlug, merkte man ihr nicht eine Sekunde an.

»Und wie!«, betonte ich.

»Ich bin schon sehr gespannt auf Ihre Reportage, Ms McEwan. Darf ich Ihnen unseren Chef-Steward, Mr Robert Lory, vorstellen?« Er deutete auf den Herrn neben sich, der majestätisch seinen Kopf neigte. »Mein Team und ich sind für die Dauer Ihrer Reise für Ihr Wohlbefinden und die Erfüllung Ihrer Wünsche zuständig. Bitte zögern Sie nicht, uns anzusprechen!«

In seinem Großvaterlächeln lag das Versprechen, für jedes Problem eine Lösung parat zu haben.

»Heißt das, ich könnte mitten in der Nacht Zimteis mit Lebkuchen und Schlagsahne bestellen?« So einen Luxus konnte ich mir noch nicht mal im Traum vorstellen.

»Millie!« Rachels Kopf wirbelte zu mir herum.

»Ich frage doch nur«, verteidigte ich mich schulterzuckend. »Ich habe ja nicht gesagt, dass ich das wirklich vorhabe.«

»Eine unserer leichtesten Übungen, Ms McEwan«, lachte Mr Frost. »Was immer Ihr Herz begehrt. Egal zu welcher Uhrzeit.«

»Gut zu wissen!«, grinste ich breit. Wow, einmal Prinzessin sein!

Geschäftig ließ Mr Lory auf der Suche nach unseren Namen seine Augen über das Klemmbrett in seiner Hand wandern.

Bei genauerem Hinsehen entpuppte sich dieses als sehr modernes Tablet, das sich in einer Holzhülle versteckte. Neugierig stellte ich mich auf die Zehenspitzen und versuchte durch die Mattglasscheiben ins schwach beleuchtete Innere des Waggons neben uns zu linsen. Verschwommenes Rot. Verschwommenes Grün. Mehr war nicht zu erkennen. Wo ich mich gerade schon so reckte, drehte ich mich auch noch schnell in die Richtung um, aus der wir eben das Gleis betreten hatten. Kurz leuchtete in der Menge ein roter Haarschopf auf und prompt setzte mein Herz einen Schlag aus. Scott? Ich will auf den Idioten nicht mehr Platz verschwenden als unbedingt nötig. Daher hier nur die Kurzversion: Scott und ich sind in einem Jahrgang und vor ein paar Wochen hatte ich mich in ihn verliebt. In die Art, wie er mich mit seinen ozeanblauen Augen anguckte und sich dabei lächelnd durch seine roten Locken fuhr. Davon wurden meine Knie so weich wie Wackelpudding. Ich stand voll drauf, dass er ruhig und ernst, aber dann auch wieder mega witzig sein konnte. Stundenlang haben wir an der Themse gesessen, Kaffee getrunken und geredet: über Bücher, den Brexit, Umweltschutz und wie es nach der Schule weitergeht. Wir haben auch getanzt. Oh, ja! Abends um zehn vor der Tate Modern, zu der Musik eines Straßenmusikanten. Alles war so perfekt! Bis zu dem Satz, mit dem Scott alles kaputt gemacht hat: »Mensch, Millie, du bist der beste Kumpel, den ich mir vorstellen kann!«, hat er gesagt. »Mit dir kann ich einfach über alles quatschen.« Dann hat er mir freundschaftlich auf die Schulter geklopft und mit diesem Wahnsinnsblick ergänzt: »Sag mal, du kennst doch Blair? Meinst du, ich hätte bei ihr Chancen? Könntest du da mal vortasten?«

Patsch! Wow!

Heute Abend stieg bei ihm eine Weihnachtsparty. Meine beste Freundin Susan hatte mich eigentlich dazu überredet, hinzugehen. Obwohl Blair auch da sein würde. Susan hatte gemeint, die Pflastermethode sei in solchen Fällen die beste. Einmal kurz und schmerzhaft und gut ist. Da kam mir unsere Reise mit dem Golden Highlander doppelt recht. Sie war die perfekte Ausrede, damit ich mir das Drama doch nicht angucken musste. Also hatte ich Scott noch gestern Abend per WhatsApp abgesagt und ganz nebenbei erwähnt, dass ich heute früh um neun mit dem Golden Highlander nach Edinburgh fahren würde. Und jetzt? War er gekommen, um … Was, Millie? Dich charmant anzulächeln und dir zu sagen, dass er nicht mehr in Blair verliebt ist? Dass er erkannt hat, dass du seine große Liebe bist? Never ever!

Flieg, Schmetterling! Ich nehme dich nicht mit auf meine Traumreise!

»Da haben wir Sie ja.« Mit einem Fingertipp hakte Mr Lory uns auf seiner Liste als eingecheckt ab. »Waggon Nummer drei.« Mit ausgestrecktem Daumen deutete er hinter sich. »Sie haben die Waverley Suite. Darf ich Ihnen mit dem Gepäck helfen lassen?«

Ohne unsere Antwort abzuwarten, schnippte Mr Lory mit den Fingern und rief ein knappes: »James?«

Nichts.

»James!« Mr Lory räusperte sich betont laut und endlich schlenderte ein junger Typ in dunkelblauer Uniform die Stufen zu unserem Waggon herunter. Ohne jede Eile rollte er ein Heftchen zusammen und schob es sich in die Gesäßtasche.

»Yepp!«, schmatzte er.

Ich musste unwillkürlich grinsen.

»James, bitte! Wir sind hier nicht auf dem Pausenhof!« Mr Lory zog seine angegrauten Augenbrauen zusammen wie Gewitterwolken. Das schien wohl so eine Art Alarmsignal zu sein. Denn plötzlich ging ein Ruck durch James. Schuldbewusst straffte er die Schultern und klemmte eine goldene Haarlocke hinter sein niedlich kleines Ohr. Gleichzeitig parkte er den Kaugummi in seiner linken Wangentasche. So hatte unsere Mutter im letzten Sommer ausgesehen, als sie von einer fiesen Zahnentzündung gequält wurde. »Entschuldigung. Ich meinte natürlich: Was kann ich für Sie tun, Mr Lory?« Die Hände auf dem Rücken verschränkt verbeugte er sich vor uns.

Auf dem Gesicht des Chef-Stewards breitete sich Zufriedenheit aus. »Trag das Gepäck von den Mses McEwan in die Waverley Suite.«

»Selbstverständlich, Mr Lory! Stets zu Diensten, Mr Lory!«, leierte James gut gelaunt, schnappte sich Rachels Koffer und schaute dann mich fragend an.

»Kein Problem, das schaffe ich allein«, versicherte ich ihm.

»Selbst ist die Frau!«, grinste er und kniff ein Auge zu. Großmäulig, aber nicht unsympathisch!

»Und dann kommst du bitte ohne Umwege wieder zurück«, stöhnte Mr Lory.

»Selbstverständlich, Mr Lory! Stets zu Diensten, Mr Lory!«, trällerte James leise vor sich hin.

»Schluss jetzt!«

»Selbstverständlich, Mr Lory! Stets zu Diensten, Mr Lory!«

Der Chef-Steward gab alles, um sich das Grinsen zu verkneifen.

Das kreisrunde putzige Hütchen, das James mit einem Gummiband unter seinem Kinn befestigt hatte und das die glitzernde Aufschrift Golden Highlander trug, wackelte gefährlich, während er uns schwungvoll vorausstiefelte.

Gerade wollten Rachel und ich hinter ihm in den Waggon klettern, als sich eilige Schritte näherten.

»Da bin ich!«, rief eine Stimme, die mir irgendwie bekannt vorkam. Was seltsam war. Wen kannte ich schon, der sich den Golden Highlander leisten konnte?

Plötzlich ließ ein süßliches Parfum meine Nase jucken.

»Ihr wart doch hier fertig, oder?« Eine junge Frau mit einer sehr schicken und wahrscheinlich auch wahnsinnig kostspieligen Handtasche über der Schulter trat zu Mr Lory, schaute uns aber an. Sie war so stark geschminkt, dass ich ihr Alter beim besten Willen nicht schätzen konnte.

»Oh, bitte passen Sie doch mit meinen Koffern auf!«, bat sie den Gepäckträger. Der nuschelte eine Entschuldigung und hob eilig ihren Schminkkoffer auf, um ihn ganz vorsichtig wieder auf den Gepäckstapel auf seinem Wagen zu legen. Wenn ich von dem makellosen Gemälde ausging, das sie aus ihrem Gesicht erschaffen hatte, dann war da sehr viel Spachtelmasse drin.

»Die sind von Louis«, informierte sie uns entschuldigend.

Louis Vuitton! Ich wusste, dass so ein Koffer mehr kostete als die Miete für unser Appartement.

Woher kannte ich diese junge Frau nur? Die langen schwarzen Haare mit der weißen Strähne, die unter ihrer (hoffentlich) Fake-Fellmütze hervorflossen wie ein Wasserfall. Der knallrote Mund. Dieses Lächeln, das ihr niedliche Grübchen auf die Wangen zauberte. Blöd nur, dass ihr halbes Gesicht hinter der riesigen Sonnenbrille versteckt blieb. Aber mir würde schon noch einfallen, wer sie war.

Zwei Schritte und drei Sekunden später hatte ich das Hier und Jetzt verlassen und war um circa hundert Jahre in der Zeit zurückgereist: in die Zwanzigerjahre des letzten Jahrhunderts, die Roaring Twenties. Bilder von Champagner-Partys und wilden Charleston-Tänzen zuckten vor meinem inneren Auge auf. Ich legte den Kopf zurück und schnupperte. So duftete also die Welt der Reichen und Schönen. Nach frischem Holz, Lack und verheißungsvollen Möglichkeiten. Vor mir lag der schmale Gang des Schlafwagens. Er war mit einem Teppich im Tartan-Muster ausgelegt – rot, dunkelgrün und beige – und erinnerte mich stark an den Tartan der ehemaligen schottischen Fürstenfamilie Stuart. Tja, so etwas lernt man, wenn die Eltern mit schottischen Kilts ihr Geld verdienen.

Ich wusste gar nicht, wohin ich zuerst schauen sollte. Zum Tannengrün mit den roten Weihnachtskugeln, das die Fenster zum Bahnsteig hin so schön weihnachtlich schmückte? Oder verdiente das edel lackierte dunkle Holz der Wandvertäfelung und Abteiltüren mit ihren geometrischen Intarsien eher meine Aufmerksamkeit? Und dann diese funkelnden Kristalllampen! In regelmäßigen Abständen warfen sie ihren glanzvollen Schein in unzähligen Lichtquadraten auf den Teppich. Dieser ganze Überfluss ließ mich an Fitzgeralds krassen Roman Der große Gatsby denken.

Ein Klacken riss mich aus meinen Überlegungen. Ungefähr auf der Mitte des Ganges hatte James eine Abteiltür aufgeschlossen. Jetzt trat er mit einer Verbeugung zur Seite, um Rachel den Vortritt zu lassen. Ich stürmte los. Wenn der Gang schon so mega war, wie krass mochte dann erst unsere Suite aussehen?

Ich hörte James noch was von wegen »Das Frühstück wird im Speisewagen serviert« sagen, dann flog ich schon an ihm vorbei und rein in unser Abteil. Mir blieb das Herz stehen. So wow-schön war noch nicht mal meine Traumvorstellung gewesen. Ich hätte vor Freude in die Luft springen können. Nur wie um alles in der Welt sollte ich mich die nächsten drei Tage in dieser Luxussuite der Extraklasse bewegen, ohne ständig Angst haben zu müssen, Tee auf das Polster des hellen Zweier-Sofas oder den dazugehörigen Sesseln zu verschütten? Versehentlich eine Kerbe in die Holzvertäfelung zu hauen oder Schokoladenflecken auf der Seidenbettwäsche des französischen Doppelbettes zu hinterlassen? Ich wollte gar nicht wissen, wie viele Nullen die Summe hatte, die Mr Frosts Bahngesellschaft für diese Innenausstattung auf den Tisch hatte legen müssen. Alles jenseits vom Ikea-Billy-Regal überstieg meine Vorstellungskraft und das hier was so was von jenseits … Der Hammer!

Dieses großzügige Abteil mit dem cremefarbenen Teppich, den vier breiten, mit grauen Edel-Rollos versehenen Fenstern, der kleinen Kommode und dem Tisch mit den zwei nostalgischen Stühlen hatte nichts, aber auch absolut gar nichts mit dem zu tun, was ich von der National Rail oder sonst wo gewohnt war.

»Ziemlich abgefahren!«, nickte James, dem mein staunender Blick auffiel. »Ich komm mir immer noch wie im Traum vor. Aber das Unvorstellbare ist doch, dass es echt Leute gibt, für die so was völlig normal ist.« Ich folgte seinen Augen, die unser Gepäck abscannten. Dann hob er die Schultern, als wollte er seufzen: Zu denen gehört ihr ganz offensichtlich nicht. Mit dem Finger unter seinem Hutbändchen sagte er dann laut und vernehmlich: »Eines Tages wird es das auch für mich sein. Ich habe vor, unglaublich reich zu werden. Und zwar mit meiner eigenen Hotelkette. Wie die Hiltons. Nach meinem Fünf-Jahres-Plan sollte ich, bevor ich an der dreißig kratze, mein Ziel erreicht haben.« Im Plauderton setzte er hinzu: »Ihr seid also auch aus beruflichen Gründen hier, richtig?«

»Ich bin Journalistin und schreibe an einer Reportage für Get acquainted with …«, antwortete Rachel, während sie ihre Laptoptasche mit schmerzverzerrtem Gesicht von ihrer Schulter nahm. »Wir sind Gäste von Mr Frost.«

»Ah, cool! Und du bist demnach die Starfotografin?«, wandte er sich an mich. Doch bevor ich auch nur den Mund aufmachen konnte, schlug er sich mit der Hand gegen die Stirn. »Ach. Ehe ich es vergesse … Handys, Tablets, Fotoapparate, alles, womit Bild oder Ton aufgezeichnet werden können, geht gesammelt an mich.« Er streckte uns die flachen Hände entgegen. »Am Ende der Reise kommt alles retour, wenn ich es nicht vorher auf Ebay verscherbelt habe. Scherz!«

»Nicht Ihr Ernst!« Der entsetzte Ausruf war weder von Rachel noch von mir gekommen, sondern aus dem Gang.

»Ich bin Influencerin. Wissen Sie eigentlich, was das heißt? Ich brauche mein Handy für meinen Job!«

Jetzt war bei mir der Groschen gefallen.

»Gigi Doe! Das da draußen ist Gigi Doe!«

»Gigi wer?« Es hätte Rachel nicht weniger interessieren können.

Dafür leuchteten James’ Augen begeistert auf. »Echt jetzt? Wie cool ist das denn? Ich liebe ihre Backshow.«

»Ich auch!«, stimmte ich ihm begeistert zu.

»Hast du die mit Ed Sheeran gesehen?« James geriet ganz aus dem Häuschen. »Als Ed diese widerlichen Pizzabrötchen gemacht hat.«

»Oh, die waren echt fies!«

»Was war da drin? Ähm … ah, ja, ich hab’s gleich. Genau: Wurst, Schokocreme, Schimmelkäse und Senf. Gigis Gesicht war zum Piepen, als sie das Zeug probiert hat. Ich hab schon gedacht, sie spuckt ihm das im Schwall vor die Füße!«

»Das ist ja alles wahnsinnig interessant!«, wandte Rachel sich kopfschüttelnd an James. »Aber könnten wir mal kurz über meinen Rechner sprechen? Den brauche ich nämlich für meine Arbeit. Deshalb macht Mr Frost für mich bestimmt eine Ausnahme.«

»Und ich bin für heute Abend zum Chatten verabredet. Wie soll das ohne Handy gehen?« Was zwischen Scott und Blair auf der Party lief, wollte die Masochistin in mir natürlich wissen. Obwohl Susan mir angedroht hatte, dass sie nicht ans Handy gehen würde. Schließlich sollte ich die Reise genießen und sie mir nicht von einem mit Blindheit geschlagenen Vollpfosten versauen lassen. Ihre Worte!

James zog die Augenbraue hoch. »Lass deinen Typen ruhig mal ein wenig zappeln. Sehnsucht ist der Schlüssel zu einer glücklichen Beziehung.« Das Kerlchen war ganz schön frech. Und dass das eine Falle war, sah ich ihm an der Nasespitze an. Trotzdem tat ich ihm den Gefallen und antwortete: »Ich habe keinen Freund. Ich will mit meiner besten Freundin chatten. Wenn du es genau wissen willst.«

»Freut mich zu hören!«, grinste James, pulte seinen Kaugummi aus der Backe und schob mit dem Zeigefinger sein Hütchen schief. Dann wandte er sich Rachel zu.

»Hey, sorry, echt jetzt. Aber es gibt keine Ausnahmen. Das hat der Boss ziemlich klargemacht. Natürlich könnten Sie mit ihm sprechen, aber da werden Sie mit ziemlicher Sicherheit auf Granit beißen. Vorschlag: Was ist denn aus der guten alten Notizblock-Stift-Kombi geworden, hmm?«

Eine lockere Frage und Rachels Gesicht hellte sich auf.

»Na, bitte! Geht doch! Back to the roots. Früher war eh alles besser!«

»Nur interessehalber: Warum müssen wir das alles abgeben, James?«, wollte ich dann aber doch wissen.

»Ganz einfach, Schönheit. Damit die Illusion der Zwanzigerjahre nicht zerstört wird. Der Golden Highlander ist technisch auf dem neuesten Stand«, erklärte uns James. Für meine Ohren klang das ziemlich auswendig gelernt. »Höchstmöglicher Komfort. Höchste Sicherheitsstufe. Aber das soll es dann auch gewesen sein. Wir verkaufen hier den Traum von der guten alten Zeit. Und den wollen wir doch nicht platzen lassen! Okay?« Tatendurstig rieb er sich die Hände. »Wenn das alles war, mache ich mich schnell wieder auf die Socken. Sonst reißt Mr Lory mir am Ende noch den Kopf ab. Ich komme später zurück, um eure leeren Koffer in den Gepäckwagen zu bringen. Man sieht sich.«

Kapitel3

»Ach, ich bin so froh, dass wir diese Reise zusammen machen!« Als letztes Kleidungsstück nahm Rachel eine Bluse aus ihrem Koffer und hängte sie in den Schrank. »Das wird alles ganz großartig werden, Millie. Ein einmaliges Erlebnis, von dem wir noch unseren Enkelkindern erzählen werden!«

»Was redest du denn da? Ich bin dir dankbar, dass du mich mitgenommen hast!« Mit ausgebreiteten Armen raste ich auf meine Schwester zu und drückte sie so fest an mich, dass es fast schon wehtat.

»Das stand doch wohl außer Frage«, hechelte sie lachend. Und außerdem …«, fuhr sie fort, nachdem ich meinen Würgegriff gelockert hatte, »hätte ich etwa Paul einpacken sollen?« Mit einem Kopfschütteln beantwortete sie sich ihre Frage selbst. »Ich liebe diesen Nerd wirklich sehr. Aber er ist und bleibt eine Laborratte. Ohne seine Tiegelchen und Phiolen ist er nicht glücklich. Das wäre artfremde Haltung und insofern Verschwendung gewesen. Puh! Ich weiß ja nicht, wie es dir geht, aber ich habe einen mordsmäßigen Hunger! Ich verschwinde nur noch mal schnell ins Bad, dann können wir los.«

»Ich warte auf dich!«, versprach ich, schlenderte zu unserem Bett hinüber und ließ mich mit weit ausgebreiteten Armen wie ein Schneeengel auf die weiche Matratze fallen. Himmlisch! Und weil ich es immer noch nicht glauben konnte, dass ich, Millie McEwan, wirklich und wahrhaftig Passagierin des Golden Highlanderwar, kniff ich mich herzhaft in den Unterarm. Au! Jetzt hatte ich Gewissheit. Ich war hellwach und lag tatsächlich in dieser sagenhaften Suite, die nobel genug für eine Königin gewesen wäre.

Während ich mir mit der Hand über die gerötete Stelle an meinem Unterarm rieb, lauschte ich auf die Geräusche des Zuges. Immer wieder waren auf dem Gang Schritte zu hören. Fröhliches Geschnatter und ausgelassenes Gelächter wie auf einer Klassenfahrt.

»Bin ich froh, dass ich das nicht selbst bezahlen muss. Sonst stünde morgen in der Sun: Staatssekretärin veruntreut Steuergelder für Luxusreise oder wahlweise: Stopfen wir unsere Staatsdiener wie die Martinsgänse?«

»Wie viel Kohle Madelyn mit ihrer Kocherei verdienen muss! Hätte ich das geahnt, hätte ich mir das Studium gespart.«

»Entschuldigung, könnte wohl jemand dieses Wollknäuel aus meinem Abteil entfernen? Mein Prada-Mantel ist keine Hundedecke!«

»Oh, je. Er ist so schrecklich neugierig. Alles muss er inspizieren. Stratford, komm her! Jetzt!«

Stratford?

Eine zuschlagende Tür vergrub das Geschnatter, bis sich wenig später eine männliche Stimme auf dem Gang näherte. »Der Zug ist echt beeindruckend. Meine Güte! Ich hoffe aber trotzdem, dass wir während dieser Reise auch mal Zeit nur für uns finden, Madelyn, Liebling. … Ah, hier. Da sind wir ja schon. Nummer vier. Die Abington Suite … Du weißt ja, dass ich mir unser erstes gemeinsames Weihnachtsfest als verheiratetes Paar ganz anders vorgestellt hatte. Nur wir beide. Ganz allein.«

»Ach, Alistair, Darling, du bist so süß romantisch! Mit ein Grund, warum ich dich sooo sehr liebe!«, antwortete ihm eine schwärmerische Frauenstimme. Aber erst nach einer kurzen Pause, die mich schmerzhaft vermuten ließ, dass sie einem sehr leidenschaftlichen Kuss geschuldet war. »Vielleicht haben wir ja noch etwas Zeit bis zum Frühstück!«

»Wenn dieser James nicht zu lange mit unseren Koffern herumtrödelt«, grummelte Alistair und ich beschloss, dass ich genug gehört hatte. Ich rollte mich vom Bett und betrachtete mein Spiegelbild in der Fensterscheibe.

Weil Josh Rachel gewissermaßen um fünf vor Zwölf mit der Reportage beauftragt hatte, war uns keine Zeit geblieben, um uns mit passenderen Klamotten einzudecken als denen, die unsere Kleiderschränke hergaben. Für teure Sachen fehlte uns sowieso das Geld und Fast-Fashion kam aus Umweltschutzgründen auch nicht infrage. Deshalb war es ein Segen, dass Rachel mit der Nähmaschine umgehen konnte wie keine Zweite. Achtzig Prozent meiner Sachen hatte sie genäht. Zehn hatte ich gehäkelt oder gestrickt. Zehn stammten von Style and Frenzy, einem Second-Hand-Shop in Camden. Konnten wir trotzdem mit den mega teuren Marken-Outfits der meisten anderen Reisenden in diesem Zug mithalten? Ich fand meinen Knöchel umspielenden Plisseerock in blassem Weinrot ebenso schick und außerdem war er liebevolle Handarbeit, wie auch die mega lange Fake-Perlenkette und das schwarze Cloche-Häkelhütchen auf meinem kurzen blonden Bob. Nur den cremefarbenen Pullover hatte ich in Camden erstanden. Der war Marke und spottbillig gewesen. Ich fühlte mich wunderschön und voll Twenties.

Rachel und ich waren schon auf dem Weg in den Speisewagen, als ein Ruck durch den Zug ging und uns beide gegen die Wand stolpern ließ. Fast gleichzeitig schepperte eine Durchsage über den Bahnsteig: »Der Golden Highlander ist jetzt zur Abfahrt bereit. Wir wünschen ihm und seinen Gästen eine unvergessliche Jungfernfahrt! Bitte treten Sie von den Türen zurück!« Wie zur Bekräftigung stieß die Lok einen langen, schrillen Pfiff aus und setzte sich in Bewegung. Das Sch-tatata der Räder wurde immer rhythmischer und schneller. Der Zug rollte aus dem Bahnhof und hinein in den wirbelnden Schnee, der in dicken Flocken vom Himmel fiel. Ich schloss kurz die Augen, um mir diesen Moment in mein Gedächtnis einzuprägen. Wie ein Foto, das man in ein kleines Schatzkästchen legt, um es immer dann wieder hervorzuholen, wenn man sich an etwas Schönes erinnern will.

Der verführerische Duft von gebratenem Speck, Baked Beans und frisch aufgebrühtem Kaffee gemischt mit etwas sehr Süßlichem stieg mir in die Nase, als James uns vorbei an den Zweier- und Vierertischen über den schmalen Mittelgang zu unseren Plätzen im Speisewagen führte. Schritt für Schritt war der süßliche Duft intensiver geworden. Hier am Tisch überdeckte er alles andere.

»Darf ich die Damen einander vorstellen?« Mit der Serviette in der Hand machte er eine Bewegung, die die zwei Frauen, die bereits an unserem Tisch saßen, und uns mit einschloss. Die beiden waren keine Unbekannten. Die eine war die alte Dame, die wir auf dem Bahnsteig gesehen hatten. »Mrs Rose Smith«, stellte James sie vor. Als sie uns freundlich zulächelte, konnte ich gut die tiefen Falten in ihrem Gesicht erkennen, die das Leben dort hineingegraben hatte. Sie waren ein Mix aus Lach- und Sorgenfalten. Ich fand sie wunderschön. Roses abgetragener Mantel hatte gut versteckt, wie gebrechlich sie schon war. Und von dem Platz neben ihr lächelte uns Gigi Doe entgegen. Jetzt wusste ich auch, woher der süße Geruch kam. Es war ihr Parfum.

»Hey, wie cool, wir kennen uns doch schon!«, sagte sie und strich sich mit ihren langen roten Kunstfingernägeln durchs Haar. Ohne ihre große Sonnenbrille erkannte ich sie sofort.

»Und das hier sind die McEwan-Schwestern«, sagte James, als er, ganz Gentleman, einen mit dunkelgrünem Samt bezogenen Stuhl nach dem anderen für uns vom Tisch abrückte. »Rachel ist Journalistin und Millie … ich schätze …« Kurz warf er mir einen prüfenden Blick zu. »Schülerin und Hobbymodel.«

»Was? Nein. Quatsch! Ich bin doch kein Model«, winkte ich ab. Unwohl rutschte ich auf die Stuhlkante vor. Obwohl mir sein Kompliment schon runterging wie Öl.

»Was darf ich euch denn bringen?«, erkundigte sich James und wartete geduldig, bis Rachel und ich die Speisekarte studiert und ihm unsere Wünsche mitgeteilt hatten. Dann ging er.

»Für welche Zeitung schreibst du denn, Rachel?«, erkundigte sich Gigi und nahm ihr Besteck auf. Noch bevor meine Schwester antworten konnte, wandte sie sich der alten Dame zu. »Spannend, oder, Rose?«

»Ja, sehr!«, pflichtete die ihr bei. Ihre blauen Augen leuchteten aufmerksam. »Wenn wir nicht aufpassen, schreibt sie noch über uns.«

»Jaaa.« Rachel nickte zögerlich. »Das könnte schon sein. Mein Chefredakteur von Get acquainted with … hat mich in der Tat losgeschickt, um eine Reportage über die Menschen zu schreiben, die ich hier im Zug treffe.«

»Na, Mrs Smith, wie sieht es aus? Würden Sie gerne den Anfang machen?« Auch wenn Rachel mich jetzt völlig überrumpelt ansah, würde sie mir später dankbar sein. Seien wir doch mal ehrlich. Mit welchen Leuten hatten wir denn in diesem teuren Luxuszug zu rechnen? Mit reichen, luxusverwöhnten und möglicherweise sehr arroganten Exemplaren. Mit Menschen, die sich jeden Tag an so einen prächtig gedeckten Tisch mit strahlend weißer Decke, blank poliertem Silberbesteck, funkelnden Kristallgläsern und hauchdünnem Porzellan setzten. Dass Mrs Smith mit keinem silbernen Löffel im Mund geboren worden war, verrieten ihre Kleidung und die übervorsichtige Art, mit der sie das Besteck hielt. Als hätte sie Sorge, es zu zerbrechen. Dazu kam noch das gütige Lächeln, hinter dem sich garantiert keine zickigen Allüren verbargen.

»Nenn mich ruhig Rose, Herzchen«, bot mir die alte Dame prompt sehr höflich an. »Ach, ich weiß nicht, ob ich so interessant bin, dass die Leute über mich lesen wollen«, sagte sie bescheiden und nahm ihr Strickkörbchen vom Tisch herunter, weil James mit unserem Frühstück kam. Bei den zierlichen Porzellanengelchen und den Tannenzweigen, die jedes Gedeck so hübsch umrahmten, war Platz Mangelware.

»Latte Macchiato und pochiertes Ei auf kross gebackenem Toast mit gebratenem Speck, Avocadostreifen und Sauce Hollandaise für dich«, zählte James auf und stellte den Teller vor mir ab.

»Und dann habe ich hier noch …« So stolz, als hätte er das Frühstück für uns höchstpersönlich zubereitet, verkündete er Rachel: »… ein Kännchen Darjeeling, Rührei auf Toast und eine gebackene Tomate. Ich wünsche allseits guten Appetit!«

»Du bist in diesem Zug und schon alleine das macht dich interessant«, erklärte ich Rose, weil meine Schwester sich lieber hinter ihrem Rührei versteckte.

Seufzend legte Rachel ihr Messer ab, um Tee in ihre Tasse zu füllen. Dabei raunte sie mir zu: »Das ist kein Sprint, sondern ein Langstreckenlauf. Ein ungestörtes Frühstück hättest du mir wenigstens noch gönnen können.«

»Der frühe Vogel fängt den Wurm!«, erwiderte ich und schob mir eine Ladung Brot mit Avocado in den Mund. Ich lüge nicht, es war eine Geschmacksexplosion!

»Okay, Rose, warum der Golden Highlander?« Rachel drehte sich zu ihrer Stuhllehne um und wühlte in ihrer großen Umhängetasche. Als sie Block und Stift gefunden hatte, blätterte sie die Seiten um und ließ ihren Kugelschreiber klicken.

»Es war Archies Idee. … Archie ist mein verstorbener Mann. Heute ist es auf den Tag drei Wochen her, dass er von uns gegangen ist.« Rose weinte nicht, obwohl sich ihre Augen mit Tränen füllten. »Wir kannten uns seit dem Kindergarten. Als wir geheiratet haben, hatten wir kein Geld für eine schöne Hochzeitsreise. Kinder hat uns der liebe Gott auch keine geschenkt. Wir mussten also nur für uns sorgen. Und da hat Archie irgendwann beschlossen …: ›Rose!‹, hat er gesagt. ›Wir machen keine halben Sachen. Wir sparen. Und irgendwann lassen wir uns richtig verwöhnen. Wenn du willst, fahren wir im Orient Express bis nach Istanbul.‹« Die Erinnerung zauberte ihr ein mädchenhaftes Lächeln aufs Gesicht. Mein Gott, das war aber auch so was von romantisch! »Wir hatten einen kleinen Kiosk, der nicht viel abwarf. Wir mussten also lange sparen«, fuhr Rose fort. »Und als wir dann vom Golden Highlander hörten, da wussten wir, das ist unsere Reise. Mit dreiundachtzig verlässt man die Insel nicht mehr so gerne.« Sie holte tief Luft und hob ihre mageren Schultern beinahe bis zu den Ohren an. »Nun kann Archie mich nicht mehr begleiten. Aber ich habe nicht eine Sekunde darüber nachgedacht, die Tickets zurückzugeben. Nein, Archie hätte das nicht gewollt.«

»Oh, Rose!« Schniefend hielt sich Gigi die Serviette vor den Mund. »Das ist das Schönste, was ich jemals gehört habe. Echt jetzt! Oh, mein Gott! Das ist wahre Liebe bis über den Tod hinaus!«

Wenn ich nicht aufpasste, fing ich auch gleich an zu heulen.

»Wein doch nicht.« Tröstend legte Rose ihre Hand auf Gigis Arm. »Archie und ich hatten unsere gemeinsame Zeit und heute …« Sie tippte sich mit dem Finger gegen die linke Brust. »Trage ich ihn in meinem Herzen mit mir. Er ist für immer bei mir und freut sich, weil ich so eine nette Reisebegleitung habe.« Sie lächelte uns dankbar zu. Dann hob sie den Blick zur gewölbten Decke des Waggons. »Nicht wahr, Archie? Du siehst uns jetzt vom Himmel aus zu und findest es ziemlich gut, was du da zu sehen bekommst.«

Beinah lautlos glitt Rachels Kugelschreiber über das Papier, während Gigi und ich uns stumm unserem Frühstück zuwandten. Rose hatte ihren Strickkorb auf den Schoß genommen. Wie sie ihre Hände darauflegte und verträumt aus dem Fenster in die Schneelandschaft schaute, fielen mir die knotigen Gelenke auf. Sie litt an Arthritis oder machte Rheuma diese Veränderungen? Aber Roses Strickkorb erinnerte mich vor allem an mein Weihnachtsgeschenk für Mum, das in unserer Suite auf mich wartete. Weil wir in der Schule viele Klausuren vor den Ferien geschrieben hatten, hinkte ich mit dem Schal noch hinterher und musste mich jetzt echt ranhalten.

Gerade strich ich nachdenklich Sauce Hollandaise auf mein Brot, als es im Rücken von Rose und Gigi laut wurde. Der Tisch hinter ihnen war mir schon beim Betreten des Speisewagens aufgefallen. Und zwar wegen seiner Größe. An ihm fanden sagenhafte acht Personen Platz! Weswegen er auch nicht wie unser Tisch quer im Raum stand, sondern parallel zu den Fenstern. Im Moment schienen allerdings nur drei der eleganten Polsterstühle besetzt zu sein.

In das abebbende Gelächter hörte ich eine Stimme fragen:

»Oder erinnert ihr euch noch daran, wie Eva im Chemieunterricht nie den Mund aufbekam, weil sie glühend in unseren Chemielehrer verliebt gewesen ist?«

Leider konnte ich das Gesicht der Frau, die die peinliche Frage gestellt hatte, nicht sehen. Denn sie saß am Kopfende des Tisches und drehte mir den Rücken und ihren hellblonden Pferdeschwanz zu.

»War ja klar, dass du wieder mit so was anfangen musstest, Tracey!«

Die Frau mit dem Pferdschwanz, Tracey, wandte sich in die Richtung, aus der die verärgerte Bemerkung gekommen war. Sie hatte ein ausgesprochen hübsches Profil.

»Ist doch nur Spaß, Eva!«, versuchte Tracey Land gutzumachen. »Mag jemand etwas von meiner Schokolade?«