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Alyssa ist ausser sich. Sie soll auf einen neuen Einsatz und das auch noch mit einer Person, die sie am liebsten aus ihrem Gedächtnis löschen würde. Ihr Auftrag führt sie nach London, um dort dem britischen Geheimdienst unter die Arme zu greifen. Kay bleibt währenddessen im Internat zurück und versucht seine Freunde so gut es geht zu unterstützen. Dies gestaltet sich allerdings mehr als schwierig, denn Alyssa kann einfach nicht vergessen, was damals in ihrer Vergangenheit geschah. Ausserdem scheint in der Metropole Grossbritanniens nichts los zu sein. Doch ist wirklich alles so wie es scheint?
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Seitenzahl: 295
Veröffentlichungsjahr: 2023
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Für am Andi sini Bandi.
Ihr wüssed wieso.
Inhalt
Prolog
1. Kapitel Kay
2. Kapitel Alyssa
3. Kapitel Alyssa
4. Kapitel Kay
5. Kapitel Alyssa
6. Kapitel Kay
7. Kapitel Alyssa
8. Kapitel Alyssa
9. Kapitel Kay
10. Kapitel Kay
11. Kapitel Alyssa
12. Kapitel Alyssa
13. Kapitel Alyssa
14. Kapitel Kay
15. Kapitel Alyssa
16. Kapitel Kay
17. Kapitel Alyssa
18. Kapitel Alyssa
19. Kapitel Kay
20. Kapitel Alyssa
Epilog
Kays Playlist
Alyssas Playlist
Danksagung
Nameless
Prolog
Sie tat was sie wollte. Schon die gesamte Zeit. Es war unberechenbar und ohne jegliches System. Sie gab einen Laut von sich, der eine Mischung aus einem Knacken und einem elektrischen Zischen war. Währenddessen flackerte sie schon seit Stunden ununterbrochen. Ein. Aus. Ein. Aus.
Die defekte Neonröhre war eine von vier, die den kleinen Raum erhellten. Das kaltweisse Licht schien auf die hellblauen Fliesen, mit denen das gesamte Zimmer getäfelt war und liess den Raum beinahe gespenstisch wirken. Die Fliesenmuster wurden im anliegenden Badezimmer weitergeführt, dass im selben Licht erstrahlte. Die beiden quadratischen Räume waren durch eine Schiebetür aus Milchglas miteinander verbunden, die sich perfekt in die Szene einfügte. Die Einrichtung war karg und ebenso neutral wie der Rest der Räume. Im grösseren der beiden hing lediglich eine schmale Pritsche aus Metall an der Wand. Im anderen waren eine Toilette und ein einzelnes Waschbecken angebracht. Beides wurde in kalkweiss gehalten. Es gab nur zwei Dinge, die die kühle und sterile Atmosphäre störten. Zum einen war es die Neonröhre, durch die unheimliche Schatten an die Wand geworfen wurden. Doch auch diese Kleinigkeit hätte die Stimmung nur leicht beeinträchtigt. Wäre da nicht das Kind gewesen.
Es war ein Mädchen etwa acht, vielleicht neun Jahre alt. Es kauerte in der hinteren linken Ecke, hatte die Beine eng an ihren Körper gezogen und ihre kleinen Arme eng um sie geschlungen. Ein beinahe lautloses Schluchzen, dass den zierlichen Körper erbeben liess, mischte sich zu den Geräuschen der Lampe. Langes dunkles Haar verdeckte ihr Gesicht und gab keinen Hinweis auf die Identität des Kindes. Schwere Schritte ertönten und näherten sich ihrem Gefängnis. Sie konnte den Hall der schweren Stiefel durch die Tür hören, der sie an den langen Gang erinnerte, an dessen Ende sie eingesperrt war. Das ihr mittlerweile bekannte Geräusch der Türentriegelung liess sie heftig zusammenzucken und sie weiter in die Ecke drängen. Nur wenige Augenblicke später wurde die Tür aufgezogen. Sie wusste wer jetzt kommen würde, sie hatte genügend Zeit gehabt, um dies herauszufinden, denn im Gegensatz zu der Lampe war hier definitiv ein System vorhanden. Das Mädchen hob den Kopf nicht, auch nicht als die Männer sich ihr näherten. Heute waren es vier. Der, der als erster den kleinen Raum betrat, war der Anführer. Seine drei Begleiter trugen wie er selbst einen langen Mantel, die aber anders als bei ihm, schwarz waren. Der einzige Mann mit dem roten Mantel schritt zielsicher auf das am Boden zusammengekauerte Kind zu und blieb vor ihm stehen. Dann beugte er sich vor, umfasste mit seiner behandschuhten Hand das Kinn des Mädchens und zwang es so ihn anzusehen. Leise und bedrohlich verkündete er: «Heute ist es so weit Kleine. Sie haben alles getan, was ich wollte, also werde auch ich mein Wort halten.»
1. Kapitel Kay
Kaffee, sofort!
Das war mein erster Gedanke, als mich der schrille Ton meines Weckers aus dem Schlaf riss. Ich drehte mich auf die Seite, zog meine Decke über den Kopf und versuchte zu ignorieren, dass ich aufstehen musste. Sam würde ich auf ewig keine Beachtung mehr zu schenken, denn schliesslich war das Nachttraining seine Idee gewesen. Ich war schon zu Beginn nicht begeistert gewesen, aber als es dann auch noch begonnen hatte in Strömen zu regnen, hatte sich meine Motivation ganz verabschiedet. Mitten in der Nacht durch die Gegend zu rennen, verschiedene Aufgaben zu lösen mit dem Ziel Everly aus den Fängen ihres Entführers (der unser Trainer Dylan war) zu befreien, gehörte nun einmal nicht zu meinen Lieblingsbeschäftigungen. Das einzig Positive das mir zu gestern Abend, oder besser gesagt Nacht einfiel war, dass wir unsere Mission erfolgreich abgeschlossen hatten. Allerdings muss man dazu sagen, dass wir auch ein bisschen Glück hatten, denn Dylan war zum Ende auf dem matschigen Waldboden ausgerutscht und so konnten wir ihn überwältigen und die arme Everly befreien. Ich war mir sicher, dass Aly und Jacob es sonst nicht rechtzeitig geschafft hätten uns zu erreichen und bei Everlys Befreiung zu helfen. Sie hatten sich von einer anderen Seite durchs Unterholz geschlagen und waren dank des Ausrutschers genau zur richtigen Zeit zu uns gestossen. Sam, Kayden und ich waren unserem Trainer und seiner Geisel direkt gefolgt. Wie sieben Sumpfmonster waren wir zurückgekommen und mussten uns zuerst noch einen Vortrag von Dylans Ehefrau Liz anhören, die sich darüber beklagt hatte, dass wir das Leder ihrer Autositze zerstört hätten. Dazu muss ehrlicherweise gesagt werden, dass der schwarze Jeep wirklich nicht mehr ganz so sauber war, wie vor unserem nächtlichen Ausflug. Normalerweise hätte diese Übung höchstens zwei Stunden gedauert, aber durch den Regen, die Dunkelheit und den leichten Nebel konnten wir unsere Übungseinheit erst nach dreieinhalb Stunden beenden. So kam es, dass wir erst gegen zwei Uhr nachts wieder zurück waren. Da Liz ihre Standpauke nicht auf später verschieben konnte und wir alle noch duschen mussten, kam ich erst um viertel vor drei in mein Bett.
Seufzend drehte ich mich nun doch wieder um und schaltete meinen Wecker ab. Vier Stunden Schlaf waren eindeutig zu wenig für mich. Aber wenn ich noch etwas vom Frühstück abbekommen wollte, musste ich jetzt wohl oder übel aufstehen. Nachdem ich mich angezogen hatte, wollte ich direkt nach unten gehen, doch dann fiel mein Blick auf den Spiegel in meinem Badezimmer und ich schaute meinem Ebenbild in die Augen. Ich sah genauso schrecklich aus, wie ich mich fühlte. Mein blondes Haar stand auf alle Seiten ab und ich hatte tiefe Ringe unter meinen Augen. Da ich nicht die Kraft aufbringen konnte mir einen Kamm von der Ablage zu nehmen, entschied ich mich für die einfachere Lösung und zog mir die Kapuze meines grauen Hoodies über den Kopf.
Als ich kurze Zeit später die Mensa betrat, herrschte dort bereits reges Treiben. Ich steuerte geradewegs auf den neuen Kaffeeautomaten zu und hoffte, dass mich niemand ansprach. Meine Hoffnung erfüllte sich nicht. Auf halbem Weg schlug mir jemand seine Hand auf die Schulter und ich unterdrückte ein Stöhnen. Ich drehte mich um und gab mir Mühe nicht allzu genervt zu blicken. Lucas stand vor mir und grinste mich schief an. «Na, wie war’s gestern Nacht?», fragte er mich. Ich warf ihm einen eindeutigen Blick zu und sein Grinsen wurde noch breiter. «Was soll ich dazu sagen?», fragte ich ihn zurück, «Kannst du es dir nicht denken?» «Ich denke es war fantastisch und du möchtest es sofort wiederholen», antwortete er mit gespielt ernstem Blick. «Ja natürlich, ich kann mir nichts Schöneres vorstellen, als mitten in der Nacht bei strömendem Regen durch den Wald zu rennen», antwortete ich sarkastisch. Lucas lachte auf und auch ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen. Dieser Kerl schaffte es jedes Mal sofort gute Laune zu verbreiten, wofür ich ihm heute Morgen besonders dankbar war.
Zusammen liefen wir zum Automaten und holten uns unsere Getränke. Kaffee für mich und eine heisse Schokolade für ihn. Nachdem wir unsere Teller am Buffet gefüllt hatten, schlängelten wir uns durch die Tische an unseren angestammten Platz. Dort sassen bereits Aly, Sam, sowie die Zwillinge Ian und Lee. Wir setzten uns zu ihnen an den Tisch, der sich ziemlich genau in der Mitte der Mensa befand. Seitdem ich hier bin, also seit vier Jahren, sass ich noch nie anderswo. Es hatte sich so ergeben und ich glaube, selbst wenn Alyssa nicht immer die Erste wäre, die am Morgen aufstand und uns Plätze freihielt, würde es niemand wagen sich an diesen, unseren Tisch zu setzen. Wir waren die ersten Bewohner dieses Internats gewesen und obwohl wir bei weitem nicht die Ältesten waren, hatten die meisten ziemlichen Respekt vor uns. Dylan, unser Trainer, hatte unserer Gruppe deshalb auch einmal den Namen Elite erteilt. Er hatte das nur als Scherz gemeint, aber mittlerweile waren wir wirklich als die Elite bekannt. Sogar die Ausbildner fragten nur noch nach der Elite, wenn sie etwas von uns brauchten. Die Ironie bestand darin, dass mindestens zwei von uns wirklich zu der Elite gehörten, denn Alyssa und ich waren beides Kinder aus einflussreichen Familien. Doch während sie sich aus der Öffentlichkeit zurückgezogen hatte und in der Szene als verschollen galt, war ich im Vergleich dazu noch sehr präsent in der Welt der Schönen und Reichen, wie man so schön sagt. Suchen liess ich meinen Blick über die Tische schweifen. Ich drehte mich um und fragte Lucas, der sich mit dem einzigen Mitglied unserer Gruppe, das theoretisch hier sein müsste und noch nicht am Tisch sass, ein Zimmer teilte: «Wo bleibt denn Kayden?» Lucas nahm einen grossen Bissen von seinem Maisbrot und nuschelte etwas mit vollem Mund, was ich beim besten Willen nicht verstand. Ich hob fragend meine Augenbrauen und schaute zu den anderen. Ian oder Lee zuckte bloss mit den Schultern und auch Aly warf mir einen unwissenden Blick zu. Lucas gab ein frustriertes Geräusch von sich und schluckte. Dann wiederholte er um einiges deutlicher: «Er sollte bald kommen. Ich habe ihn geweckt, als er nach einer gefühlten Ewigkeit seinen Wecker nicht ausgemacht hatte. Ich sage euch, ich musste ihn richtig zum Aufstehen zwingen. Er hat erst nachgegeben, als ich ihm gedroht habe, ihm einen Becher Eiswasser über den Kopf zu schütten.» Bei seinen Worten schlich sich ein Grinsen auf mein Gesicht. Es wäre nicht das erste Mal, dass Lucas etwas in diese Richtung durchgezogen hätte. «Ging mir nicht anders», murmelte Sam und rieb sich übers Gesicht. Innerlich liess ich meinen Entschluss fallen, ihn nicht mehr zu beachten, denn er sah ziemlich fertig aus. Ich gab ein zustimmendes Geräusch von mir. Als ich zu Everly und Jacob hinüberschaute, musste ich feststellen, dass auch sie sich augenscheinlich noch im Halbschlaf befanden. Selbst Dylan und Liz wirkten für ihre Verhältnisse müde. Nur Alyssa sass auf ihrem Stuhl mir gegenüber und wirkte wie das blühende Leben. So war es schon immer gewesen. Ich kann mich nicht erinnern, Aly schon einmal auch nur ansatzweise müde gesehen zu haben. Sie war einer dieser Menschen, die Morgen um fünf aufstanden um joggen zu gehen. Sie war stets voller Energie und Tatendrang. Ich kannte nicht viele Menschen, die diese Gabe besassen, doch bei Alyssa fand ich es umso erstaunlicher, denn ich kannte sie wirklich gut. Sie wirkte nicht so hyperaktiv wie die anderen Leute bei denen ich dieses Phänomen der nie endenden Energie festgestellt hatte. Sie konnte unmöglich mehr als vier Stunden geschlafen haben. Schliesslich war ich ihr noch auf dem Weg in mein Zimmer auf dem Gang begegnet und sie sass auch schon vor mir in der Mensa. Trotzdem wirkte sie total ausgeschlafen und wach.
Ich wandte meinen Blick von ihr ab und nahm meine anderen Freunde in Augenschein. Bei Ian und Lee blieb ich hängen. Konzentriert betrachtete ich sie und versuchte wie auch an jedem anderen Morgen auszumachen, wer von ihnen wer war. Bevor ich hierherkam, war ich bereits einigen Zwillingspaaren begegnet, die sich sehr ähnlichgesehen hatten. Aber die beiden waren auf einer eigenen Liga. Liz und ihre Mutter Molly hatten sie auf einer Reise auf den Philippinen aufgegriffen. Lee war bei dem Versuch, die beiden auszurauben, gescheitert. Liz, die damals noch für den britischen Geheimdienst arbeitete, hatte ihn bis zu dem Versteck der Brüder verfolgt. Zu dieser Zeit war die Idee des Internats aufgekommen und da Lee unsere Trainerin mit seiner Flucht ziemlich beeindruckt hatte, nahmen Molly und sie die beiden kurzerhand mit nach Australien.
Ich kann mich noch gut an die erste Zeit hier erinnern. Wir waren ein bunt zusammen gewürfelter Haufen gewesen. Von ehemaligen Strassenkindern über einen früheren Kindersoldaten aus Afghanistan bis hin zu den Kindern von amerikanischen Stars war alles dabei. Von allem ein bisschen. Ich würde lügen, wenn ich sagen würde es wäre einfach gewesen. Nur knapp die Hälfte unserer Gruppe sprach fliessend Englisch. Lee, Ian und Lucas mussten die Sprache sogar von Grund auf lernen. Es hat ziemlich viel Zeit und Nerven gekostet, ihnen alles beizubringen. Aber es hat sich gelohnt, heute sprechen sie alle ohne Akzent.
Ich liess meinen Blick aufmerksam über die Gesichter der Brüder schweifen. Es war zum Verzweifeln. Ich lebte nun schon seit knapp vier Jahren mit ihnen unter einem Dach und selbst jetzt hatte ich keine Ahnung welcher Ian und welcher Lee war. Es genügte nicht, dass sie sich wie aus dem Gesicht geschnitten waren. Nein. Sie sprachen gleich, trugen oft ähnliche Kleidung und sie assen sogar dasselbe. Nicht einmal wenn sie standen, konnte man einen Grössenunterschied erkennen. Ich wusste zwar, dass Lee etwa eineinhalb Zentimeter grösser war als sein Bruder, doch auch diese Kleinigkeit nützte mir nichts. Heute trugen sie wieder einmal ein sehr ähnliches Outfit. Ich war mir sicher, dass sie das mit Absicht taten um uns zu verwirren. Würde Lee behaupten Ian zu sein, würden ihm wahrscheinlich alle glauben. Es ist ja auch nicht so, dass sie das noch nie getan hätten.
Heute war ihre Wahl auf einen hellblauen Kapuzenpullover gefallen. Es war das gleiche Modell, das auch ich trug, lediglich die Farbe war anders. Der, der neben Sam an Tisch sass, hatte sich wie ich seine Kapuze über den Kopf gezogen. Nun lugten nur noch einzelne schwarze Strähnen darunter hervor. Sein Ebenbild sass rechts neben ihm und nahm gerade einen Schluck von seinem Kaffee. Unsere Blicke kreuzten sich und er schien zu erkennen, was ich gerade versuchte, denn er verzog seine Lippen zu einem frechen, beinahe spöttischen Grinsen. Er stellte seine Tasse ab und lehnte sich auf seinem Stuhl zurück, ohne den Blickkontakt mit mir zu unterbrechen. Ich schaute ihm direkt in seine beinahe schwarzen Augen und hätte ich in diesem Moment sagen müssen wer er ist, hätte ich auf Lee getippt. Nicht weil ich mir sicher gewesen wäre, aber diese Art von stummer Provokation passte viel eher zu ihm. Aber wer immer er auch war, er kannte mich gut genug, um zu wissen, dass ich extrem schlecht darin war, ihn und seinen Bruder zu unterscheiden. Zu meiner Verteidigung konnte ich allerdings sagen, dass allgemein sehr viele sehr schlecht darin waren sie auseinanderzuhalten. Einzig Aly schaffte es anscheinend problemlos. «Ian, kannst du mir mal das Wasser rübergeben bitte?», sagte sie in diesem Moment an den Zwilling gewandt, der nicht ein Blickduell mit mir austrug. Als sich der Angesprochene ohne zu zögern, den Krug mit dem gewünschten Inhalt griff und ihn an Alyssa weiterreichte, bestätigte sich meine leise Vermutung. Noch bevor sie sich hätte bedanken können, drehte sich Lee zu ihr um. «Aly, dein Ernst? Du hast gerade wieder alles zerstört. Wir haben uns so viel Mühe gemacht heute Morgen, um Kay zu ärgern.», klagte er ihr sein grosses Leid. Sie schien das jedoch nicht im Geringsten zu beeindrucken. «Also erstens wollte ich einfach etwas trinken und zweitens interessiert es mich nicht wie viel Mühe ihr euch macht, um so unglaublich gleich auszusehen, denn mich könnt ihr sowieso nicht täuschen.», antwortete sie gelassen. Aus den Worten so unglaublich gleich triefte nur so die Ironie, aber sie war noch nicht fertig. «Ach ja und ich denke ihr ärgert damit nicht nur unseren lieben Kay, sondern so ziemlich alle.» Ich konnte über ihre Bemerkung nur lachen. Sie schaffte es immer wieder, die Wahrheit direkt auf den Punkt zu bringen. «Da muss ich Aly recht geben», schaltete sich Sam in die Konversation ein. Zustimmendes Brummen kam von den anderen. Bei diesen Lauten blitzte ein schadenfreudiger Ausdruck in Lees Augen auf und er schien sehr zufrieden mit sich und der Welt. Denselben Schalk konnte ich auch in Ians Blick erkennen, als sich die Brüder abklatschten.
So war es immer bei uns. Die Streiche und Diskussionen zogen sich durch das Frühstück sowie das darauffolgende morgendliche Training. Dafür hatten wir uns wie jeden Morgen aufgeteilt und alle waren zu ihren Kleingruppen gestossen. Das mit den Kleingruppen war eine Idee der Internatsleitung gewesen. Vor circa zweieinhalb Jahren hatten wir ziemlichen Zuwachs bekommen und im Zuge dessen war die Idee mit den Gruppen entstanden. Das System funktionierte so, dass alle Schüler in kleine gemischte Gruppen eingeteilt wurden, die immer von mindestens einem der Elite geleitet wurde. Zudem war auch jeder Gruppe ein Ausbildner zugeteilt, sodass nicht die ganze Verantwortung auf unseren Schultern lastete. Zwar waren unsere Trainer bei den Kleingruppenzeiten normalerweise nicht dabei, dennoch konnten wir sie immer um Rat fragen, falls es nötig war. Trotzdem fühlte ich mich zuständig für meine Gruppe, was vielleicht aber auch daran lag, dass ich schon früh gelernt hatte, Verantwortung zu übernehmen. Anfangs hatte ich eine Kleingruppe mit Marc und Alyssa. Marc war eigentlich mein Mitbewohner, aber im Augenblick sass er noch im Flieger und würde erst heute Nachmittag von einem Einsatz zurückkehren. Ich hatte diese Zeit genossen, aber als immer mehr Bewohner einzogen, mussten wir das Kleingruppensystem schnell vergrössern. Schon nach wenigen Monaten hatte fast jeder von uns ein eigenes Team. Nur Kayden und Lucas hatten noch die gemeinsame Verantwortung für eine Gruppe. Sie waren so zu sagen unsere Joker, falls noch eine weitere Kleingruppe gegründet werden müsste. Ich leitete nun bereits seit etwa zwei Jahren The unbeatable. Wichtig zu erwähnen wäre da noch, dass der Name nicht meine Idee gewesen, sondern das Ergebnis einer Abstimmung war. Bei der Abstimmung selbst hatte ich mich enthalten. Ein Grund war gewesen, dass es mich ehrlich gesagt nicht sonderlich interessiert hatte, wie meine Gruppe heissen sollte. Von mir aus hätte man die Teams auch einfach 1, 2, 3, 4, 5 und 6 oder so nennen können. Andererseits wollte ich aber, dass die Mitglieder meiner Gruppe ihren eigenen Namen wählten. Das war mir besonders wichtig, denn mir war klar, dass sie, falls ich einen Vorschlag machen würde, sofort diesen wählen würden. Was dabei herausgekommen war, entsprach jetzt nicht gerade meinen Traumvorstellungen, war aber dennoch um einiges besser als The crazy chicks. Noch heute fragte ich mich, wieso Marc zugelassen hatte, dass seine Gruppe einen derart lächerlichen Namen gewählt hatte. Es gab noch weitere sehr kuriose Teamnamen, wie beispielsweise Sam’s Gruppe, die sich The Avengers nannten. Im Gegensatz zu den meisten anderen Kleingruppen, war Sam’s Team bei der Namensfindung definitiv von ihrem Leiter beeinflusst worden. Sam ist ein unglaublicher Marvel Fan. Er hatte alle Filme schon unzählige Male gesehen und auch wir waren nicht davor verschont geblieben. In all der Zeit in Internat, hatten wir schon einige Filmnächte veranstaltet und in jeder davon waren mindestens drei Marvelstreifen geschaut worden. Einmal hatte er sich sogar so weit durchgesetzt, dass wir einen reinen Marvel Marathon veranstaltet hatten. Ich liebte diese Veranstaltungen. Nicht nur wegen der Filme, sondern vor allem wegen der Atmosphäre. Es hatte auch als unser Ritual gestartet, doch mittlerweile war es zu einem festen Bestandteil der Jahresplanung geworden. Sam und Kayden hatten ausgehandelt, dass eine solche Filmnacht sicher vier Mal pro Jahr durchgeführt wurde. Sie standen nun im Jahresplan, auf den alle Zugriff hatten. Es war immer ein tolles Ereignis. Schon Tage zuvor wurden die Filmvorschläge in den Chats veröffentlicht und man konnte dann für seine Favoriten abstimmen. Im grossen Saal wurden Sitzsäcke, Matratzen und Decken ausgebreitet und es gab ein riesiges Buffet mit Snacks. Die ganze Aktion wurde von Sam geleitet, der darin ein Herzensprojekt gefunden hatte. Es war ein Anlass, bei dem wir alle zusammen etwas machten und so konnte man nicht nur seinen Filmscore erhöhen, sondern auch noch andere Schüler kennenlernen. Das war auch das Ziel der Kleingruppen. Sie sollten dazu dienen, dass keiner allein zurechtkommen musste. Es wurde bereits vor dem Eintritt ins Internat geschaut, in welche Kleingruppe der neue Schüler am besten passen könnte und wurde dieser dann am ersten Tag direkt zugeteilt.
Ich holte meine elektrische Schlüsselkarte aus meinem schwarzen Rucksack und entriegelte die Tür zum Konferenzsaal meines Teams. Mit einem leisen Klicken wurde mir der Einlass gewährt und ich betrat das mir altbekannte Zimmer. Mit drei Schritten stand ich inmitten einem meiner Lieblingsorte des ganzen Gebäudekomplexes und atmete tief durch. Ich liess die angenehm riechende Luft in meine Lungen strömen. Es war eine Mischung aus dem erfrischenden Putzmittel, welches Molly schon seit Menschengedenken benutzte und dem Aroma von Su’s Duftstäbchen. Su war vor etwa einem Jahr zu meiner Gruppe gestossen und das erste was sie gesagt hatte war, dass dieser Raum schrecklich stinken würde. Dieser Umstand war mir und auch den anderen in den ganzen Jahren zuvor zwar noch nie aufgefallen, doch Su hatte sich nicht aufhalten lassen, ihre Duftstäbchen im ganzen Raum zu verteilen. Ich werde es zwar nie zugeben, aber es ist echt schön, in einen Raum zu treten und sofort den herrlichen Duft von frischen Blüten zu riechen.
Wie immer war ich der erste, der zu unserer Kleingruppenzeit erschien. Die Treffen fanden immer zweimal die Woche statt und ich liebte diese Zeit. Es war ein geschützter Raum, in dem man sich austauschen und beraten konnte.
Ich lief zu meinem gewohnten Platz und stellte meinen Rucksack neben dem dunkelblauen Sessel auf dem Boden. In unserer Base gab es noch weitere Sitzmöglichkeiten, aber dieser Sessel hatte sich in den vergangenen Jahren als der bequemste erwiesen und da ich sowieso immer vor den anderen da war, konnte mir diesen auch niemand streitig machen. Ich holte meinen Laptop aus meiner Tasche und klappte ihn auf. Nachdem ich mich eingeloggt hatte, öffnete ich ein neues Dokument. Es war eine Vorlage für das Protokoll, dass ich immer führte. Ich hatte mir diese Angewohnheit angeeignet, als ich begonnen hatte meine eigene Kleingruppe zu leiten. Es war keine Regel oder Vorschrift, dennoch tat ich es. Die Protokolle halfen mir die Berichte oder möglichen Verbesserungsvorschläge besser festzuhalten. Ich liebte meine Aufgabe als Kleingruppenleiter und mich mit den anderen zu unterhalten und Lösungen für mögliche Probleme zu finden.
Kurz nachdem ich das heutige Datum in dem neuen Dokument eingetragen hatte, klopfte es leise. Ich musste mich nicht umdrehen um zu wissen wer gerade den Raum betrat.
«Hi Liam.», begrüsste ich den schmächtigen Asiaten. «Hi.», antwortete er bloss. Liam war ein Mensch, den man anschaute und direkt ins Herz schloss. Er war eine sehr introvertierte Person, die sich nicht mit vielen Worten ausdrückte. Seine Faszination galt allem was mit Elektronik zusammenhing. Ich kannte nur sehr wenige Menschen, die sich auf einem solch hohen Niveau mit Computern auskannten wie er. An einer normalen Schule wäre er bestimmt einfach der Streber gewesen. Im Augenwinkel nahm ich wahr, wie er sich auf den Weg zum Stuhl ganz hinten in der Ecke des Raumes machte. Ich musste lächeln. Dieser Stuhl war definitiv nicht der bequemste. Doch er war der Einzige, der neben einem Tisch stand und da Liam die ganze Zeit irgendwelche Dinge in seinen Laptop tippte, sass er immer dort. Ich hatte ihm schon vor langem vorgeschlagen, sich einen bequemeren Sessel an den Tisch zu ziehen. Darauf hatte er bloss geantwortet, dass er mit seinem Stuhl sehr zufrieden sei. Ich hegte allerdings die Vermutung, dass er lediglich keine Umstände machen wollte. Möglicherweise hatte er auch Angst vor einer negativen Reaktion der anderen. Eine völlig unbegründete Angst, meiner Meinung nach. Doch ich hatte mittlerweile begriffen, dass es sinnlos war ihn darauf anzusprechen. In China herrschten anscheinend andere Sitten.
Kurz darauf trudelten auch die restlichen Mitglieder der The unbeatable ein. Es war ein bunter Haufen von jungen Leuten und genauso verschieden wie die Menschen waren auch deren Gespräche. Eine Gruppe unterhielt sich über Dylans Trainingseinheiten und beklagte sich über die vorherige Sportstunde, während nur wenige Meter davon eine Diskussion über die beste Geschmackrichtung von Badekugeln geführt wurde.Soweit ich dem Streit folgen konnte, war Mel der Meinung, Erdbeer-Kokosnuss sei das einzig Wahre. Kimberly verteidigte währenddessen ihren Favoriten weisse Schokolade mit Pfefferminze. Ich konnte mich auf keine der verfeindeten Seiten schlagen, da ich mich nicht entscheiden konnte welchen der beiden Geschmäcker ich widerlicher fand. Bevor die Situation eskalieren konnte, beschloss ich ihr ein Ende zu setzen und klatschte zweimal in meine Hände. Augenblicklich herrschte Ruhe und es erstaunte mich immer wieder, welche Aufmerksamkeit sie mir schenkten. «Hey Leute. Es freut mich, dass wir heute wieder einmal alle zusammentreffen und uns austauschen können. Ich würde vorschlagen, dass wir direkt beginnen.»
2. Kapitel Alyssa
«Gibt es noch weitere Anliegen die besprochen werden müssen?», rief ich in die Runde.
«Ja ich hätte noch eine Frage.», meldete sich Brian. Ich unterdrückte ein Seufzen. Wir hatten unsere normale Sitzungszeit schon um eine halbe Stunde überzogen und ich war fertig mit den Nerven. Nach aussen liess ich mir aber nichts anmerken. «Und die wäre?», versuchte ich in einem ruhigen Ton zu erwidern. «Es ist bezüglich der Filmnacht. Ich und auch noch ein paar andere wollen wissen, wann die Vorschläge veröffentlicht werden.» Ich atmete tief durch bevor ich antwortete, damit ich nicht etwas Falsches sagen konnte. Kay hatte mir diese Taktik einmal vorgeschlagen und zu meiner grossen Überraschung half es tatsächlich.
«Erstens sagt man ‘ein paar andere und ich’ und um deine Frage zu beantworten: ich weiss es nicht. Die Filmnacht und das alles ist Sams Ding und am besten fragt ihr ihn.» Brian schaute mich ein wenig verwirrt an. Was vermutlich an meiner Korrektur seinen Sprachkenntnissen gegenüber zu Stande kam. Ich ignorierte es geflissentlich und wandte mich wieder den anderen zu. «Hat sonst noch jemand etwas?» Ich schaute in die Gesichter der Anwesenden und hoffte, dass sich niemand mehr melden würde. Ich wartete einige Sekunden, doch als niemand Anstalten machte die Stimme zu erheben, atmete ich innerlich auf. «Gut, dann schliesse ich die Runde für heute offiziell. Falls doch noch ein unerwartetes Problem auftreten sollte, wisst ihr ja wo ihr mich erreichen könnt.» Einige gaben einen zustimmenden Laut von sich, während andere schon aufgestanden waren und auf die Tür zuliefen. Ich selbst blieb sitzen und wartete darauf alleine zu sein. Nach und nach verliessen alle den Raum und auch ich stand auf. Doch statt dem Ausgang steuerte ich zielsicher auf das Waschbecken zu. Ich drehte den Hahn auf und wartete bis das Wasser eiskalt über meine Finger lief. Ich formte meine Hände zu einer Schale und liess das kühle Nass hineinlaufen. Ich beugte mich noch tiefer meinen Händen entgegen und klatschte sie mir mitten ins Gesicht. Das Wasser landete auf meiner Haut und sandte kleine, schmerzhafte Nadelstiche aus. Doch es war kein negativer Schmerz, im Gegenteil, er weckte mich und ich fühlte mich schon besser als noch wenige Minuten davor.
«Intensive Stunde gehabt was?», ertönte plötzlich eine tiefe Stimme hinter mir. Ich wischte mir mit dem Ärmel meines Pullovers übers Gesicht und drehte mich um. Kay stand an der gegenüberliegenden Wand und lehnte sich gegen den Türrahmen. Er grinste breit und ich tat es ihm gleich. «Kann man so sagen.», erwiderte ich, während ich zu meinem Platz zurücklief. Ich schnappte mir meine Stofftasche und hängte sie über die rechte Schulter. «Alle wollten die Details zu dem neuen technischen System wissen, obwohl die Einführung ja für Morgen angekündigt ist. Ihre Fragen waren alle vollkommen unnötig und selbsterklärend.» Ich schnaubte genervt, während ich meine Schlüsselkarte aus meiner Tasche kramte. «Manchmal denke ich, sie tun das mit Absicht um mich zu ärgern. Und ich weiss, dass du jetzt gleich anfängst zu lachen aber ich meine das komplett ernst. Am Schluss hat mich Brian noch gefragt, wann die Filmvorschläge bekannt gegeben werden. Als ob er nicht gewusst hätte, dass Sam für all das verantwortlich ist.» Ich schloss die Tür zum Gruppenraum ein wenig heftiger als nötig und verriegelte sie mit meiner Karte. Kay war während meines Frustausbruches ganz ruhig stehen geblieben und insgeheim dankte ich ihm, dass er mir zuhörte. Er strahlte immer eine unheimliche Ruhe aus und selbst wenn mir meine Zunge ausrutschte, blieb er standhaft. Ich hörte ihn hinter mir leise lachen und warf ihm über die Schulter einen bösen Blick zu. «Hör auf, das ist nicht lustig.» Doch mein bester Freund dachte scheinbar nicht daran aufzuhören. «Aly, Aly, du machst mein Leben so viel interessanter.», sagte er bloss kopfschüttelnd.
Wir liefen den hellen Gang hinunter in Richtung Hauptgebäude. Ich wollte etwas auf seine Bemerkung erwidern, doch bevor ich dazu kam, hörte ich jemanden unsere Namen rufen. Wir drehten uns beinahe synchron um. Liz kam schnellen Schrittes aus einem der Nebengänge auf uns zu. Ich war ehrlich verwirrt, ich hatte doch nichts vergessen abzugeben oder so. Ich schielte kurz zu Kay hinüber, doch auch er schien nicht zu wissen was sie von uns wollte. Vielleicht wollte sie mit mir noch etwas wegen der Kleingruppe besprechen. Sie war meine Teamleiterin und mitverantwortlich für meine Gruppe The others. Aber warum sollte sie dann auch Kay rufen? Unsere Trainerin verlangsamte ihr Tempo kurz bevor sie uns erreichte. «Mann bin ich froh, euch noch erwischt zu haben. Ich dachte, ihr wärt schon längst auf euren Zimmern.» Sie lächelte schief. Ich dachte sehnsüchtig an den Krimi, der auf meinem Nachtisch lag, bevor ich antwortete. «Dort wäre ich auch lieber. Ich habe gestern Abend begonnen das Buch zu lesen, dass du mir empfohlen hast, aber hatte soeben eine längere Kleingruppenzeit. Unnötige Fragen und so weiter, du kennst es ja.» Liz lachte auf. «Und wie ich das weiss, aber zu meinem eigentlichen Anliegen. Ist es euch möglich um 14:00 Uhr ins grosse Konferenzzimmer zu kommen? Es gibt etwas zu besprechen.» Kay der sich bis dahin nicht verbal an unserem Gespräch beteiligt hatte, schaltete sich nun ein. «Um was für ein Anliegen handelt es sich konkret, wenn man fragen darf?» «Ich weiss auch noch nichts Genaues», gestand Liz, «aber ich vermute, dass ein neuer Auftrag in Sichtweite ist.» Ich nickte und Vorfreude machte sich in mir breit. Endlich geschah wieder einmal etwas Spannendes. Nachdem wir beide zugestimmt hatten um die besagte Zeit zu erscheinen, verabschiedete sich unsere Trainerin schnell mit dem Vorwand, noch weitere Schüler über das Treffen zu informieren. Kay und ich hingegen begaben uns wieder auf den Weg in Richtung Hauptgebäude. Auf dem Weg dorthin, fragte ich mich, wer ausser uns wohl noch zum Treffen kommen würde. Doch Kay verwickelte mich in ein Gespräch und ich beschloss, dass ich mir über diese Frage auch noch später Gedanken machen konnte.
Wir tauschten uns noch weiter über unsere Teamtreffen aus und Kay erzählte mir von einem - meiner Meinung nach – sehr kuriosen Streit über Badekugeln. Ich kannte die beiden Mädchen, die sich besagtes Wortgefecht geliefert hatten, nur flüchtig und nach Kays Erzählungen, hatte ich auch nicht das Bedürfnis etwas daran zu ändern. Ich meine, wie sympathisch können Menschen, die Geschmacksrichtungen wie Erdbeer-Kokosnuss oder Schokolade-Pfefferminze mögen, schon sein?
Nachdem wir uns vor den verschiedenen Wohntrakten getrennt hatten, schlenderte ich durch die Flure der Mädchenzimmer, bis ich zu meinem kam. Ich war eine der wenigen Glücklichen, die ein Einzelzimmer hatten. Da ich halt die erste weibliche Schülerin dieses Internats war, konnte ich mir mein Zimmer selbst aussuchen und ich hatte meine Entscheidung bis heute nicht bereut. Es tönt jetzt vermutlich sehr arrogant, aber mein Zimmer war eines, wenn nicht sogar das Beste des ganzen Mädchentrakts. Abgesehen davon, dass es wie schon gesagt eines der wenigen Einzelzimmer ist, hat es zudem noch einen kleinen Balkon mit Ausblick auf den Innenhof des Internats. Von meinem Balkon konnte ich also sehr viel beobachten, wenn ich wollte. Doch das, was mir die Entscheidung für dieses Zimmer sehr leicht gemacht hatte, war der Umstand, dass ich ein eigenes Bad hatte. Es war kein Luxusbad mit Badewanne und sonstigen Extras, aber ich hatte meine eigene Dusche, eine Toilette und ein Waschbecken. So musste ich nicht wie die anderen die Gruppenwaschräume benutzen oder mir ein Zimmer und Bad mit einer anderen Person teilen. Ich war nicht so unsozial wie es gerade tönte. Es war mehr so, dass ich das teilen einfach nicht gewöhnt war. Ich bin in dem Glauben aufgewachsen, mir alles nehmen zu dürfen, was mein Herz begehrte. Nie musste ich mich jemandem anpassen oder mir Gedanken über die Meinung anderer machen. Erst hier im Alter von zwölf Jahren, wurde ich eines Besseren belehrt. Ich musste darüber lächeln, wie naiv ich doch gewesen war. Ich hatte an die perfekte Welt geglaubt, immer zuerst das Gute im Menschen gesehen. Doch wie schnell sich das Leben, das man lebte und die Einstellung dazu, doch ändern konnte. Ich schüttelte den Kopf über meine eigenen Gedanken. Nein. Darüber wollte ich jetzt nicht nachdenken.
Ich entriegelte meine Tür und schloss sie direkt hinter mir wieder zu. Mit dem Rücken lehnte ich mich dagegen und atmete in die Stille hinein. Der vergangene Morgen zerrte an meinen Kräften und die letzte Nacht war auch nicht ohne gewesen. Ich mochte die nächtlichen Trainingseinheiten, dass konnte ich nicht abstreiten. Dennoch war es auch für mich kein ein Leichtes, nur wenige Stunden zu schlafen und wieder topfit zu sein. Ich liess es die anderen zwar glauben, doch heute merkte ich es besonders stark. Durch den Schlafmangel hatte ich keine Nerven für irgendetwas und für eine intensive Kleingruppenzeit schon gar nicht. Ich raffte mich auf und lief durch mein Zimmer auf mein Bett zu. Auf dem Weg schmiss ich meine Tasche achtlos in eine Ecke. Sie war eins der unzähligen Werbegeschenke, die ich in den letzten Jahren erhalten hatte. Doch sie war eine der wenigen, die es so weit geschafft hatten, dass ich sie tatsächlich auch nutzte. Bei meinem Bett angekommen, setzte ich mich und schleuderte mir meine Turnschuhe von den Füssen. Dann warf ich meinen Körper in die weichen Leinentücher und streckte meine Gliedmassen in alle vier Himmelsrichtungen aus. Ein angenehmer Schmerz fuhr leicht durch meinen Rücken und ich nahm einige Atemzüge, bis das Gefühl verschwand. Ich weiss nicht, wie lange ich so dalag. Irgendwann wurde mir langweilig und ich merkte wie, sich wieder ein unruhiges Kribbeln in meinem Körper ausbreitete. Kurz entschlossen stand ich auf und schnappte mir meine dünne Yogamatte. Sie lag zusammengerollt neben meinem Bett und mit einer Bewegung breitete ich sie auf dem Boden aus. Schnell griff ich noch nach dem Krimi auf dem Nachtisch, meine Finger fanden das Lesezeichen und ich öffnete es auf der letzten Seite die ich gelesen hatte. Nun lag ich auf der Matte, stemmte mein Gewicht mit den Armen hoch und begann Planks zu machen. Immer nach zwei gelesenen Seiten machte ich jeweils eine kurze Pause um umzublättern. Wie auch schon die letzten Nächte war ich gefesselt. Eigentlich war es eine Geschichte mit Mord und Totschlag, wie es sie schon hundertfach gab. Dennoch hatte ich mich dazu durchgerungen sie zu lesen. Liz hatte das Buch während ihrer zweiten Schwangerschaft nicht mehr aus der Hand gelegt und wenn etwas Liz so in Beschlag nehmen konnte, dann musste es gut sein. Sehr gut. Und genau das war es, sehr gut und vor allem sehr spannend. Die Geschichte von Scott und Louise, hatte mich die letzten Nächte wachgehalten und mir fehlten nur noch wenige Kapitel. Ich war normalerweise nicht eine von den Menschen, die den ganzen Tag lasen. Aber dieses Buch hatte mir Liz so lange empfohlen, bis ich es nicht mehr hören konnte und zugesagt hatte, es zu lesen. Mittlerweile war mir klar, weshalb sie darauf bestanden hatte, dass ich dieses Buch las. Ich hegte allerdings die Vermutung, dass es noch einen anderen Grund gab. Die Hauptfigur Louise erinnerte mich je länger, je mehr an mich selbst. Sie war in gutem Hause geboren und hatte durch einen Schicksalsschlag alles verloren. Der wichtige Unterschied in unseren Geschichten was allerdings, dass in meinem Leben nicht plötzlich alle ermordet wurden. Gerade als Louise und ihr Begleiter Scott der Lösung aller Geschehnisse auf die Schliche zu kommen drohten, klopfte es an meine Tür.
Ich horchte auf.