Narbensammler - Jessica Keim - E-Book

Narbensammler E-Book

Jessica Keim

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Beschreibung

Laute Musik, zu viel Alkohol und ein heißer Flirt sind die einzigen Erinnerungen, die Alex an die Nacht hat, in der ein Fremder sie aus einer heiklen Lage rettete. Aus dieser zufälligen Begegnung entwickelt sich schnell eine leidenschaftliche Affäre, die ihr schon bald mehr schlaflose Nächte bereitet, als ihr lieb ist. Eine bedrohliche Nachricht macht Alex jedoch klar, dass ihre Gefühle nicht ihr größtes Problem sind. Der Narbensammler, der seit einem Jahr Frauen jagt, hat sie in sein Visier genommen. Sein Vorgehen ist der Polizei und den Medien bekannt. Doch diesmal ändert er sein Spiel. Als eine E-Mail einen beängstigenden Verdacht weckt, erkennt Alex, dass sie den falschen Menschen vertraut.

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EPUB
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Seitenzahl: 444

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Ähnliche


Jessica Keim

Narbensammler

Schnittwunden

© 2023 Jessica Keim

Coverdesign: Bordoberg Media, Dortmund

Model: Steffi P.

Lektorat: Denise K.

Korrektorat: Lenne Agentur, Ralf Weißkamp

ISBN Softcover: 978-3-347-60672-2

ISBN E-Book: 978-3-347-60678-4

Druck und Distribution im Auftrag der Autorin: tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg, Germany

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Für die Inhalte ist die Autorin verantwortlich. Jede Verwertung ist ohne ihre Zustimmung unzulässig. Die Publikation und Verbreitung erfolgen im Auftrag der Autorin, zu erreichen unter: tredition GmbH, Abteilung »Impressumservice«, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg, Deutschland.

Jessica Keim

NARBENSAMMLER

Schnittwunden

Für J und die unzähligen Stunden mit Wein am Telefon. Für S, Fan der ersten Stunde, mit den besten Theorien. Und für B, den schnellsten und gleichzeitig langsamsten Leser, den ich kenne.

Inhalt

Cover

Halbe Titelseite

Urheberrechte

Titelblatt

Der Narbensammler

Alex

Alex

Alex

Alex

Alex

Patrick

Alex

Alex

Alex

Alex

Patrick

Detectiv Benjamin Cole

Alex

Alex

Alex

Alex

Patrick

Patrick

Alex

Patrick

Alex

Patrick

Alex

Alex

Alex

Patrick

Alex

Patrick

Alex

Alex

Alex

Alex

Patrick

Alex

Patrick

Patrick

Alex/Patrick

Alex

Der Narbensammler

Alex

Alex

Patrick

Das Joker’s

Patrick

Patrick

Alex

Jen und Andrew

Alex

Fettie … Nick meine ich …

Alex

Nick, Jen und Patrick

Patrick

Ben

Patrick

Nick

Patrick

Nick

Patrick

Der Narbensammler

Patrick

Nick

Patrick

Patrick

Nick

Patrick

Alex

Happy End?

Team-Monster

Narbensammler

Cover

Urheberrechte

Titelblatt

Der Narbensammler

Team-Monster

Narbensammler

Cover

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Der Narbensammler

Graue Vorhänge dunkeln das Schlafzimmer ab und das warm-weiße Licht der Nachttischlampe erschafft eine beinahe romantische Atmosphäre.

»Deine Wohnung gefällt mir. Man sieht, wie viel Mühe du dir bei der Gestaltung gegeben hast.« Er steht vor dem Bett und lässt seinen Blick durch den Raum schweifen, vorbei an den hochwertigen Möbeln. »Die Einrichtung ist etwas zu gewöhnlich für meinen Geschmack«, spricht er weiter und nimmt sie mit seinen grauen Augen ins Visier.

Die Hoffnungslosigkeit in ihrem Gesicht bringt ihn zum Lächeln, denn das war vor ein paar Stunden noch anders. Als sie frisch geduscht aus dem Badezimmer trat und ihn vor der geschlossenen Wohnungstür stehen sah. Mit ihrem Schlüssel in einer und dem Messer in der anderen Hand. Große Augen starrten ihn an. Ihr Mund öffnete sich, doch im ersten Moment brachte sie keinen Ton heraus. Innerhalb von Sekunden war die Angst zu sehen.

Jetzt hegt sie auf ihrem Bett. Hilflos. Ihm vollkommen ausgeliefert. Dieser Anblick ist ebenso befriedigend wie frustrierend. Es ist doch immer dasselbe. Verzweifelt zerrt sie an dem Klebeband, mit dem ihre Hände gefesselt sind. Sie versucht zu entkommen.

»Es gibt hier keinen Ausweg. Spar dir deine Kraft, du wirst sie brauchen«, erklärt er, höchst amüsiert über diese nutzlosen Bemühungen.

»Was hast du mit mir vor?«, zetert sie ihm entgegen. Ihren Mut nimmt er erfreut zur Kenntnis.

»Wir werden Spaß miteinander haben. Darüber hatten wir uns vor einigen Wochen so nett unterhalten.«

»Ich habe dich noch nie gesehen.«

»Doch, nur erinnerst du dich nicht mehr daran.«

»Bitte, ich habe Geld, nimm dir was du brauchst.«

Ein erbärmlicher Versuch. Diese Flittchen sind alle gleich. Er kniet sich neben sie, streicht mit einer Hand über ihren Bauch und spürt, wie sich ihr Körper unter seiner Berührung verspannt.

»Du liegst nackt und gefesselt vor mir. Das ist keine günstige Verhandlungsposition, weißt du? Ist es nötig, irgendwen über deinen Kurzurlaub zu informieren? Wir wollen nicht gestört werden. Wenn jemand ungebeten auftaucht, gibt es am Ende nur Tote. So weit sollte es nicht kommen.«

»Nein, bitte!« Hastig versucht sie, sich wegzudrehen um seiner Nähe zu entkommen.

Er ist schneller, packt ihre Haare und zieht sie mit einem Ruck an sich ran. »Gibt es jemanden?«, wiederholt er die Frage, bedrohlich ernst.

»Nein. Bitte, ich will nicht sterben!«, antwortet sie mit zitternder Stimme. Tränen laufen ihre Wangen entlang.

»Das passiert nur, wenn es nötig ist. Also hör auf zu heulen. Das bringt dir nichts und die Zeit können wir besser nutzen.« Er holt eine Box Kondome aus seiner Tasche, anschließend nimmt er sein Messer, das auf ihrem Nachttisch bereit liegt. »Jetzt kein Wort mehr«, erklärt er und sticht mit der Spitze leicht in ihre Wade, sie wimmert.

»So ist es brav.« Mit weiteren Stichen arbeitet er sich ihren Körper hinauf. Als er an ihrem Bauch ankommt, fängt sie wieder an zu heulen.

»Bitte, bitte, ich will nicht sterben«, fleht sie ihn an.

»Wer stirbt denn hier? Wir haben nur ein wenig Spaß.«

Er lächelt und schneidet tief in ihre Haut. Genau an der Stelle, an der er war, als diese nervtötende Heulerei angefangen hat.

»Jetzt müssen wir von vorne anfangen. Ich habe doch gesagt nicht reden und hör auf zu jammern. Es tut dir niemand was.«

Er achtet nicht auf ihre Reaktion. Der erste Schnitt fasziniert ihn viel mehr. Genüsslich lässt er seine Finger darüber gleiten, ehe er mit einem Stich in die Wade wieder von vorne anfängt. Drei weitere Schnittwunden hinterlässt er auf ihrer Haut, bevor er nach einem Kondom greift, wodurch er eine regelrechte Panikreaktion auslöst.

Als er fertig ist, spürt er den zitternden Körper unter sich. Sie weint. Er lässt ihr einen Moment, um sich zu fangen. Schwer atmend rollt er von ihr herunter und bleibt neben ihr hegen. Der Wecker auf dem Nachttisch fällt ihm ins Auge. Zehn Minuten.

Wie üblich bedauert er zutiefst, dass es nicht länger gedauert hat. Das erste Mal hat immer einen gewissen Reiz. Wenn diese Flittchen verzweifelt schlagen oder treten, um ihn aufzuhalten. Dann der Moment, in dem die Augen leer werden und ausdruckslos durch ihn durchblicken. Sie begreifen, dass er nicht aufhören wird. Die angespannten Körper unter ihm, die mit jedem Stoß weiter verkrampfen.

Das benutzte Kondom lässt er auf den Boden fallen und beobachtet sie eine Weile. Bis ihm das Geheule auf die Nerven geht. »Ich verstehe euch Flittchen nicht«, beginnt er mit ihr zu reden. »Ihr sucht doch ganze Kerle.«

»Wieso tust du das?« Sie spricht so leise, dass es ihm schwerfällt, alles zu verstehen.

»Ihr verdient es nicht anders. Ihr tötet Babys, macht uns krank, dann wimmert ihr und erwartet Gnade.«

»Ich kenne dich nicht einmal.«

»Doch und du wirst mich nie wieder vergessen, das verspreche ich dir.« Er rollt sich auf die Seite, fixiert ihr tränennasses Gesicht. »Du brauchst keine Angst zu haben. Tu einfach, was ich dir sage. Dann wird es um einiges angenehmer für dich. Jetzt hör mit dieser Heulerei auf.«

»Bitte, tu mir nicht mehr weh, ich will nicht sterben.« Ihre Stimme ist getränkt von Angst.

»Wenn du brav bist, stirbst du nicht«, antwortet er beiläufig und betrachtet fasziniert die Schnittwunden an ihrem Bauch und den Beinen. Als er seine Finger über eine der Wunden gleiten lässt, verkrampft sie erneut.

»Du bist ein gestörter Hurensohn!«, schreit sie ihn plötzlich an. Ein letzter Wutanfall. Das kennt er zu gut.

»Das ist nicht nett!« Er greift nach dem Messer.

»Nein, bitte, es tut mir leid. Bitte nicht, es tut mir so leid.« Ihre Worte überschlagen sich regelrecht.

»Ihr Flittchen seid frustrierend, weißt du das?«

Sie antwortet ihm nicht. Ohne das zu kommentieren, schneidet er in ihre Haut. »Denk an die Regeln. Versteh mich nicht falsch, aber es ist doch immer dasselbe mit euch. Jetzt sorgen wir dafür, dass du bei Kräften bleibst.«

Bevor er den Raum verlässt, nimmt er ihre gefesselten Hände und fixiert sie mit Handschellen an dem Kopfteil ihres Bettes.

Von allen Tieren ist der Mensch das Einzige, das grausam ist. Keines außer ihm fügt anderen Schmerz zum eigenen Vergnügen zu.

Mark Twain

 

Achtzehn Wochen später

Alex

Freitag

»Sind Sie sicher, dass Sie kein Taxi brauchen?« Alex nimmt den besorgten Tonfall ihres Chefs wahr.

»Ich werde abgeholt«, erklärt sie ihm lächelnd und betätigt den Knopf, der den Fahrstuhl kommen lässt. »Vielen Dank für die Einladung.«

»Es hat mich gefreut, dass Sie da waren. Wenn Sie nächste Woche im Büro sind, setzen wir uns wegen Jack zusammen.« Mit einem Mal wirkt der sonst so besonnene ältere Herr mit den grau melierten Schläfen verärgert. Wie schon letzte Woche, als Alex das Gespräch mit ihm suchte. Er versprach aufrichtig, die Sache ernst zu nehmen. Der Kollege wurde noch am selben Tag beurlaubt.

»Für die Unterstützung bin ich Ihnen dankbar. Mitte der Woche bin ich im Büro. Kommen Sie und Ihre Frau gut nach Hause.« Alex steigt in den Fahrstuhl und verlässt die Weihnachtsfeier. Eine halbe Stunde später als geplant.

Während der Aufzug nach unten saust, schreibt sie eine Nachricht: Entschuldige, es hat länger gedauert, ich bin unterwegs. Patricks Antwort ist eine Adresse - etwa zehn Minuten Fußweg - und das Versprechen, dass er dort auf sie wartet.

Draußen bringt ein kalter Windstoß ihre langen braunen Haare durcheinander. Das erinnert Alex an ihren Mantel. Der hängt an der Garderobe. Sie hat jedoch keine Lust, zurückzugehen und gleich im Auto ist es warm.

Am Eingang zum Park stockt sie und überlegt eine Sekunde. Allerdings ist sie spät dran, also biegt sie rechts ab und verlässt die Hauptstraße. Diese Abkürzung ist jedoch verdammt unheimlich. Alex sieht sich um. Abseits der Straßenlaternen liegt die Dunkelheit wie ein Laken über dem sonst belebten Stadtpark. Abgesehen von leichten Schattenspielen der Büsche und Bäume auf dem Weg, die durch das spärliche Licht des Mondes entstehen.

Das Wissen, dass es nicht mehr lange dauert, bis sie endlich im Auto sitzt, beruhigt Alex. Ein wenig.

Um sich nicht weiter den Kopf darüber zu zerbrechen, dass genau mit solchen Szenen unzählige Horrorfilme ihren Anfang nehmen, lenkt Alex sich mit Gedanken an Patrick ab. Sein Vorschlag, sie heute abzuholen. »Ich hole dich ab, Kleine. Du rufst ja doch wieder an, weil du glaubst, es ist lustig zu Fuß zu gehen und dich dann langweilst. Außerdem bist du mir nachts und betrunken am liebsten.« Mit diesen Worten sowie einem Lächeln verabschiedete er sich vor vier Tagen und beendete die Diskussion darüber.

Patrick Seed. Er ist der interessanteste Mann, den Alex seit Jahren kennengelernt hat. Etwas an ihm fasziniert sie. Auch wenn sie gar nicht so genau weiß, was eigentlich. Außerdem sucht er dasselbe wie sie. Spaß und keine Verpflichtungen. Dann denkt sie an ihr Kennenlernen zurück. Vor fünfzehn Wochen. Heute genau.

Das Joker’s. Eine Bar, Alkohol, zu laute Musik. Dort stolperte sie in diesen Mann. Groß, breite Schultern, scharf. Genau ihr Beuteschema. Es folgten ein paar Drinks und Tanzen mit viel Körperkontakt. Der Flirt hatte vielversprechend angefangen. Endete jedoch mit einem Korb für Alex, welchen sie mithilfe von Rum herunterspülte.

Am nächsten Tag fühlte sie sich regelrecht erschlagen. Jeder Versuch, sich an den Rest der Nacht zu erinnern, scheiterte kläglich. Zwar war der Abend mit den Arbeitskollegen feucht-fröhlich gewesen, aber nicht ausreichend für einen Filmriss. Außerdem hatte sie kaum Geld ausgegeben und das Joker’s lag nicht gerade in der Nähe ihrer Wohnung. Wie ist sie nach Hause gekommen?

Dieses Geheimnis wurde auch durch das Telefonat mit einer besorgten Kollegin nicht gelüftet. Offenbar war sie irgendwann einfach verschwunden.

Im Laufe des Vormittags fand sie den Weg aus dem Bett und entdeckte in ihrer Handtasche eine Serviette mit einer Handynummer. ›Heile angekommen?‹, stand daneben. So sehr sie sich bemühte, sie erinnerte sich nicht daran, wie diese Nummer in ihre Tasche gekommen war. Aber die Neugier war geweckt. Daher schrieb sie den Unbekannten an. Ein wenig verlegen. Er antwortete schnell. Nach einigen Nachrichten wusste sie, es war der heiße Typ, der sie hat abblitzen lassen. Alex erfuhr weiter, dass er sie später in ein Taxi gesetzt hatte. Sie bestand darauf, ihm das Geld für die Fahrt wiederzugeben. Er stimmte zu, es abzuholen. So erwartete sie ihn am frühen Abend.

Etwas nervös und in einem typischen ich-verlasse-das-Haus-nur-wenn-es-brennt Outfit, bestehend aus einer Jogginghose und einem Fanshirt ihrer Lieblingsband, öffnete sie die Tür.

»Hallo Fremder«, begrüßte sie ihn.

»Guten Abend, Fremde«, antwortete er, mit einem hinreißenden Lächeln auf den Lippen.

Sie bat ihn rein und musterte den Mann, möglichst unauffällig. Von Alkoholvernebelung konnte keine Rede sein. Nüchtern und bei Tageslicht fand sie ihn sogar noch anziehender. Von dem dezent fruchtig-süßen Duft, den er in ihre Wohnung trug, über die dunkle, gut sitzenden Jeans bis zu den Boots. Alles an ihm wirkte gepflegt. Etwa eins neunzig groß, den kräftigen Körperbau erkannte sie, trotz der schwarzen Lederjacke. Seine durchdringenden grauen Augen hatten Alex gestern schon gefesselt. Glatze und ein Dreitagebart rundeten den Anblick ab.

Er folgte ihr in die Küche. Dort bot sie ihm was zu trinken an. Ein kurzes Grinsen konnte sie sich nicht verkneifen, als sie ein Glas aus einem der Hängeschränke holte. Den Blick, der über ihren Körper wanderte, spürte sie deutlich. Männer sind doch alle gleich. Ob ein kurzer Rock oder eine Jogginghose.

»Wie viel hast du für das Taxi bezahlt?« Alex stand am Ende des Raumes vor dem Fenster.

»Lass mal. Du hattest fünfzig Dollar bei dir und hättest selbst bezahlen können.« Er lehnte mit einer Schulter am Türrahmen, die Arme vor der Brust verschränkt.

Ein Schock fuhr ihr durch die Glieder. »Du hast meine Sachen durchsucht?« Das klang angreifender als geplant.

Seine Reaktion war ein weiteres charmantes Lächeln. »Ich brauchte den Ausweis, wegen der Adresse«, antwortete er und trat einen Schritt auf sie zu, wobei er sich umsah. Sie folgte seinem Blick entlang der grünweiß gestrichenen Wand hinter dem massiven Esstisch. Vorbei an der weißen Einbauküche und den modernen Elektrogeräten. Bis seine stahlgrauen Augen wieder bei ihr ankamen.

»Wenn du nicht vor hast, dein Geld abzuholen, wieso bist du dann hier?« Diesmal war der angreifende Ton Absicht, um ihre Unsicherheit zu überspielen.

Er trat einen weiteren Schritt auf sie zu. »Du bist leichtsinnig«, sagte er gelassen, statt ihr zu antworten.

»Du bist unverschämt und hast meine Frage nicht beantwortet.« Um Abstand halten zu können, wich sie ein Stück zurück. Er ließ sich nicht beirren.

»Wir haben etwas nachzuholen«, erklärte er.

Alex wurde heiß und kalt. Panik stieg in ihr auf, denn er stand zwischen ihr und der Tür. Sie bemühte sich, gleichmäßig zu atmen. Doch mit ihren eins achtundsechzig war sie deutlich kleiner als er. Ihre schlanke Figur wäre diesen breiten Schultern gegenüber eindeutig im Nachteil gewesen. Dann wurde sie auf seine Hand aufmerksam, die in seiner Jackentasche verschwand. Sie hielt die Luft an. Ihr Verstand war damit beschäftigt, herauszufinden, was sich darin verbergen könnte. Da kam eine Karte zum Vorschein. Erst auf den zweiten Blick erkannte sie den Personalausweis. Es war ihrer.

Patrick stand dicht vor ihr. Alex schaute hoch, um sein Gesicht zu sehen und bemerkte seine an Arroganz grenzende Belustigung. Dann zog er sich zurück, warf einen Blick auf den Ausweis und legte ihn auf den Tisch.

»Du hast keine Ahnung, was gestern Nacht passiert ist oder, Alexandra?«

»Alex bitte. Ehrlich gesagt, nicht so richtig.« Sie spürte, wie ihr Gesicht warm wurde, denn die Abfuhr war ihr unangenehm und dass er darüber redete, erst recht.

Er nickte. »Dann kläre ich dich mal auf, Alex. Nachdem unsere, nennen wir es mal Unterhaltung, zu Ende war, habe ich mitbekommen, dass du weiter geflirtet hast. Später konnte ich beobachten, wie ein Mann, der dir eindeutig nicht so gut gefallen hat, wie ich …« Seine Lippen verzogen sich zu einem unverschämten Grinsen. »… zudringlich wurde. Nachdem du ihn zurückgestoßen hast, entschuldigte er sich mit einem Drink. Rum mit Cola ist das Getränk erster Wahl oder?«

Patrick ließ einen Moment vergehen, vermutlich, um ihr Zeit zu geben, sich zu erinnern. Es gelang ihr nicht. Ein bedrückendes Gefühl breitete sich in ihr aus und ließ sie ihre Arme um ihren Körper schlingen. Mehr als ein Nicken brachte sie nicht zustande.

»Dieser Typ stand am Tresen neben mir. Ich bekam mit, wie er etwas in dein Glas gemischt hat und zügig zurück zu dir ging. Die Bar war überfüllt, sodass ich mich nicht schnell genug zu euch durchdrängeln konnte, um zu verhindern, dass du davon trinkst.«

Wieder unterbrach Patrick sich und fixierte ihr Gesicht. Scheinbar erkannte er, wie sie sich fühlte. Er rückte einen der dunkelbraunen Stühle ein Stück vom Tisch ab und deutete ihr damit, sich zu setzen. Nachdem sie Platz genommen hatte, warf er ihr einen verhaltenen Blick zu. Erst auf ihr Nicken hin zog er seine Jacke aus und setzte sich.

»Irgendwann schaffte ich es zu euch. Doch bevor ich eine Chance hatte, ihn festzuhalten, ist er in der Menge verschwunden. Diese Mittel sind zuverlässig. Du wurdest immer benommener«, führte er weiter aus. Alex glaubte, Sorge in seiner Stimme zu hören.

»Dich in diesem Zustand dort zu lassen, wäre an Fahrlässigkeit kaum zu überbieten gewesen. In der Menschenmasse hatte ich keine Möglichkeit jemanden zu finden, der zu dir gehört. Der Türsteher ist ein Freund und hat mir deine Tasche gegeben. Ich habe nur den Ausweis gesucht.« Er warf Alex einen eindringlichen Blick zu. »Um sicherzu gehen, dass du trotzdem heile zu Hause ankommst, rief ich eine befreundete Taxifahrerin an und habe sie bezahlt, damit sie dich bis in deine Wohnung begleitet. Ich war selbst mit meiner Schwester dort, die konnte ich unmöglich alleine lassen. Den Ausweis habe ich am nächsten Morgen in der Hosentasche gefunden. Auf einen Wildfang wie dich aufzupassen war keine leichte Aufgabe. Ich hab ihn versehentlich eingesteckt.«

Alex nickte nur. Im ersten Moment war sie unfähig etwas dazu zu sagen oder ihre Gefühle zu sortieren.

»Du hast eben gefragt, wieso ich hier bin. Ich wollte mich persönlich davon überzeugen, dass es dir gut geht. Deswegen meine Handynummer in deiner Tasche.«

Ein lautes Poltern reißt Alex brutal aus ihren Gedanken. Zurück in die kalte Realität. Hektisch sieht sie sich um. In der Dunkelheit ist nichts zu erkennen. Abgesehen von dem gruseligen Schattenspiel auf dem Boden.

Ich freue mich auf die betrunkene Alex und bin gleich da, Kleine. Geh nicht durch den Park. Schrieb er ihr, als sie sich auf den Weg machte. Wieso sie nicht auf ihn gehört hat, ist ihr selbst nicht klar.

Aufmerksam setzt sie ihren Weg fort. Beschleunigt ihre Schritte, orientiert sich an der hohen Mauer, um nicht von allen Seiten angreifbar zu sein. Sie versucht, die aufsteigende Angst zu unterdrücken. Spürt aber, wie ihr Herz kräftiger schlägt. Der Versuch, Patrick zu erreichen scheitert. Sie sucht in ihrer Handtasche das Pfefferspray, das er ihr vor einigen Wochen gab.

»Das hilft, aber es schadet nicht, vorsichtiger zu sein. Wenn es jemand auf dich abgesehen hat und angreift, musstdu schneller sein und dich laut bemerkbar machen«, erinnert sie sich an seine Worte. Alex hält die Luft an und lauscht. Es ist still, oder? Nein! Sie ist sich sicher, Schritte zu hören. Nur ist sie nicht in der Lage einzuordnen, von wo. Wieder sieht sie sich um. Wieder erkennt sie nichts. Zitternd sucht sie nach Scheinwerfern. In der Hoffnung, Patrick würde irgendwo in Sichtweite stehen. Aber vergebens. Die Schritte kommen näher. Werden bedrohlicher. Ihr Puls rast. Blut rauscht in ihren Ohren. Kampf oder Flucht nennt man diesen Instinkt. Der Körper bereitet sich auf eine Gefahr vor.

»Mach dich laut bemerkbar.« Wirklich hilfreich, wenn nicht eine Menschenseele in … Alex kann nicht zu Ende denken. Bevor sie versteht, was passiert, spürt sie eisige Finger am Handgelenk. Es wird auf dem Rücken fixiert. Grob, aber nicht schmerzhaft. Das Pfefferspray hält sie fest. Dann die Kälte der Mauer an ihrem Gesicht. Eine Hand legt sich vor ihren Mund. Mit einem bedrohlichen Zischen mahnt der Fremde sie zur Ruhe. Instinktiv versucht sie, trotzdem zu schreien. Doch mehr als gedämpfte Laute sind nicht zu hören. Ihr Gewicht gegen den Angreifer zu stemmen ist auch vergebens. Der Mann ist stärker.

»Lass es los!«, knurrt eine heisere Stimme. Ihr Handgelenk hat er fest im Griff.

Sie lässt das Pfefferspray nicht los. Versucht, ein weiteres Mal, von ihm loszukommen. Zwecklos. Sein Körper an ihren gepresst. Sein Atem an ihrem Ohr. Dann Worte, die ihr bewusst machen, sie hat keine Chance.

Als er seine Hand von ihrem Handgelenk löst und an ihren Hals legt, schließt Alex ihre Augen.

Alex

Sorgfältig rückt Alex ihren Rock zurecht und knöpft die obersten Knöpfe ihrer Bluse zu. Ihre Hände zittern leicht. Auch ihr Herzschlag braucht noch ein wenig Zeit, um sich wieder zu beruhigen.

Patrick tritt einen Schritt an sie heran. Behutsam streichen seine Knöchel über ihre Wange.

»Alles in Ordnung?«, erkundigt er sich.

Alex schenkt ihm ihr charmantestes Lächeln. »Das war aufregend«, beruhigt sie ihn, ehe sie ihre Arme um seinen warmen Körper schlingt und sich an ihn schmiegt. Einen Augenblick genießt sie die Nähe, dann löst Patrick sich abrupt von ihr und streift seine Jacke ab.

»Zieh die an, du bist eiskalt«, bemerkt er, legt ihr einen Arm um die Schulter und hält sie auf dem Weg zum Parkplatz an sich gedrückt.

Als Patrick das Auto auf die Hauptstraße lenkt, kuschelt Alex sich tiefer in seine Lederjacke. Sie fühlt sich leicht schwindelig, was wohl die Mischung aus Wein von der Feier und dem nachlassenden Adrenalin ist. Bevor sie den Kopf gegen die gepolsterte Lehne legt, sieht sie, wie er zur Mittelkonsole greift und die Heizung höher dreht.

»Wieso hast du keinen Mantel dabei?«, zieht seine Stimme ihre Aufmerksamkeit auf sich.

»Der ist im Büro. Mein neuer Kollege hat ein Auge auf mich geworfen«, wechselt sie das Thema, denn der ober-lehrerhafte Tonfall nervt sie schon im Ansatz.

Er schüttelt den Kopf, wegen des vergessenen Mantels wie sie vermutet. »Hat er das?«

Die Neugier in seiner Stimme nimmt sie grinsend zur Kenntnis. »Oh ja. Er hat den ganzen Abend geflirtet.«

Eine rote Ampel gibt Patrick Zeit, kurz zu ihr zu sehen. Misstrauisch hebt er eine Augenbraue. »Muss an diesem Rock liegen. Wie ist das weitergegangen?«

»Wie schon? Ich habe ihn charmant zurückgewiesen.«

»Armer Kerl. Was ist das für ein Typ?« Ein triumphierendes Lächeln zeichnet sich auf seinem Gesicht ab.

»Er ist neu und überwiegend im Innendienst. Ich weiß nicht viel über ihn.« Sie zuckt mit den Schultern.

»So ein Schreibtischhengst? Was hat er denn getan?«

»Eher ein Schreibtischpony. Er wollte mich mit Wein in seine Wohnung locken.«

»Er hatte vor, dich und deinen Rock abzuschleppen?«

»Und meine Bluse.«

An einer Kreuzung hält Patrick erneut und sieht zu Alex. Dann greift er rüber und schiebt seine Jacke ein Stück zur Seite, sodass ihre schwarze Bluse zum Vorschein kommt. Unverblümt mustert er ihren Ausschnitt.

»Kann man ihm bei dem Anblick kaum verdenken«, stellt er fest. Alex überlegt, ob das nun ein Kompliment oder Kritik an der Wahl ihres Outfits ist.

Der Wagen setzt sich wieder in Bewegung. Sie dreht die Heizung etwas runter. Inzwischen ist ihr warm. Dann schließt sie ihre Augen und denkt einige Minuten zurück, an den Park. Es war, als hätte sie das Adrenalin ebenso deutlich spüren können wie seinen Körper, dicht an ihrem. Leidenschaftlich küsste er ihren Hals, schob den Rock hoch … Es sind solche Spielchen, die den Reiz dieser Affäre ausmachen. Patrick ist eine aufregende Mischung aus distanzierter Kälte und einfühlsamer Nähe. Er weiß genau, was er will und wagt sich an Grenzen. Offene Gespräche über Fantasien und Vorlieben sorgen dafür, dass er diese nur selten überschreitet. Wobei er meist zuhört und selbst wenig erzählt.

Es kommt vor, wie diese Woche, dass sie sich tagelang nicht sehen. Was Alex nicht stört. Allerdings vermisst sie ihn immer öfter. Sie erwischte sich mehrfach dabei, dass sie auf seine Nachrichten oder Anrufe wartete. Dann redet sie sich ein, dass es der Sex ist, der ihr fehlt. Doch neuerdings sind es die Kleinigkeiten. Sein schamloses Lächeln, wenn er ihr pikante Worte zuflüstert. Seine sanften Berührungen, wenn er seine Hand an ihren Hals legt, wann immer er ihre ungeteilte Aufmerksamkeit will oder wenn er sie sanft auf die Stirn küsst, bevor er geht.

»Hey, du Wilde, wir sind da«, zieht Patrick sie aus ihrer Welt. Eilig schiebt Alex ihre Gedanken so weit wie möglich beiseite und sieht sich um. Er hält in zweiter Reihe.

»Parkst du nicht?«, fragt sie irritiert.

»Ich muss früher arbeiten.« Das heißt Nein. »Aber am Sonntag steht Nachtschicht auf dem Plan, da kann ich morgen etwas brauchen, das mich wach hält.« Er lächelt.

»Ich bin immer gerne der Grund für deine schlaflosen Nächte«, antwortet sie, doch die Enttäuschung dabei zu verbergen fällt ihr schwer.

»Kleine, ich würde sofort mitkommen. Nur dann sind wir noch einige Stunden wach. Das wissen wir beide. Es wäre was anderes, wenn ich …«

»Okay, schon gut«, unterbricht sie ihn, denn sie weiß, wohin dieses Gespräch führt.

Zwar ist es meist Patrick, der entscheidet, wann die beiden sich treffen, doch sie bleiben nie über Nacht zusammen. Denn die Nacht miteinander verbringen, schlafend, ist für sie Beziehungssache, dazu ist sie nicht bereit. Also ist es immer Alex, die entscheidet, wann die gemeinsamen Stunden enden. Da sie sich gewöhnlich bei ihr treffen, ist er gezwungen, meist spät nach Hause zu fahren. Daher sehen sie sich an Tagen, an denen er früh arbeitet, nur ausgesprochen selten.

Sie lehnt sich rüber, schmiegt ihren Kopf an seine Schulter und schließt die Augen. Mit einer Hand schiebt er ihr Kinn hoch, sie fühlt seine Finger in ihren Haaren. Seine Lippen so dicht an ihren, dass sie seinen Atem spürt.

»Schau mich an«, schlängelt sich seine raue Stimme in ihren Kopf. Ein vorsichtiger Ruck an ihrer Mähne und sie öffnet die Augen. »Bist du dir sicher?«

»Es geht nicht«, gibt sie leise zurück. Wobei sie das dringende Bedürfnis überkommt, sich zu ohrfeigen.

Einen Augenblick bleibt er mit seinen Lippen noch dicht an ihren, als wolle er sie küssen. Doch wie üblich passiert das nicht. Was für sie gemeinsames Übernachten ist, ist für ihn das Küssen. Küsse auf den Mund gibt es nur beim Vorspiel und Sex.

»Wie du meinst«, sagt er und atmet tief durch.

»Aber ich freue mich auf morgen.«

Ein ernüchtertes Lächeln, gefolgt von einem Kuss auf die Stirn. »Dann bis morgen.«

In ihrer Wohnung schaut Alex aus dem Wohnzimmerfenster auf die Straße. Patrick wartet immer, bis er Licht im Wohnzimmer sieht. So kann sie noch beobachten, wie sich der Wagen in Bewegung setzt. Der dunkelblaue Lack wirkt in der Nacht fast schwarz. Sie folgt den roten Rückleuchten, bis sie links abbiegen. Frust überkommt sie. Darüber, dass er nicht hier ist und darüber, dass sie das frustriert.

Nach dem Abschminken kuschelt Alex sich in ihr Bett und schaltet die Nachttischleuchte aus. Ihr Blick fällt auf das leere Kissen, auf dem Patrick liegen sollte. Sie legt sich auf den Rücken und beobachtet ihre Gedanken, wie sie aus ihrem Kopf an die hohe Decke ihrer Altbauwohnung springen. Eine ganze Nacht mit ihm? Das überfordert sie. Es ist sechs Jahre her, seit sie zum letzten Mal über Nacht mit einem Mann zusammen war. Vorsichtig streicht Alex ihren Bauch entlang. Die Narbe ist heute nicht mehr so deutlich zu spüren, aber sie ist da. Ein verheilter Schnitt.

Sie dreht sich wieder, knipst das Licht an, öffnet ihre Nachttischschublade und schnappt ein Buch daraus. Am oberen Rand ist der Teil eines Fotos zu sehen, das zieht sie heraus und betrachtet es.

Eine jüngere Alex drückt einem Mann einen Kuss auf den Mundwinkel, während er in die Kamera lächelt. Es ist eine furchtbar schlechte Aufnahme, verwackelt und unscharf. Die Sonne blendet hinter dem glücklichen Pärchen.

Das Bild stellt sie an die Lampe und wischt sich Tränen von der Wange. Dann schließt sie ihre Augen und ist wieder in jener Nacht. Der Streit, den sie mit dem Mann auf dem Foto hatte. Alex denkt daran, dass es ihre Schuld war und wie oft ihr erklärt wurde, dass das nicht stimmt. Polizei, Krankenwagen, Sanitäter und Ärzte.

Dieser Blick in die Vergangenheit ist schmerzhaft. Deswegen dreht sie sich wieder herum und verjagt die düsteren Erinnerungen aus ihrem Kopf. Als sie das leere Kissen betrachtet, malt ihr Verstand ein angenehmeres Bild von Patrick. Sie will vor sich selbst nicht zugeben, wie gerne sie ihn hier hätte. Dass sie sich bei ihm sicher fühlt oder dass sie dabei ist, sich in ihn zu verlieben.

Diesen Gedanken kann sie vor dem Einschlafen nicht mehr beiseiteschieben.

Alex

Samstag

Alex wirft einen Blick auf ihr Smartphone. In etwa zwei Stunden will Patrick bei ihr sein. Genug Zeit, das Bad zu genießen und zu entspannen. Also lehnt sie sich zurück und schließt die Augen. Patrick und sie haben sich in den letzten Tagen nicht oft gesehen. Nach gestern ist die Vorfreude groß.

Das Klingeln an der Tür lenkt sie ab. Werstört? Alex erwartet niemanden. Deshalb sieht sie es nicht ein, aus der Badewanne zu springen. Vibration. Das Handy. Genervt hebt sie den Kopf. Mr. X ist im Display zu lesen. So ist die Nummer gespeichert, die sie nach dem Abend im Joker’s in ihrer Handtasche gefunden hat.

»Hey, mein Hübscher.« Eilig versucht Alex, ein dümmliches Grinsen abzustellen.

»Hey, du Wilde, bist du nicht zu Hause?«

»Hast du geklingelt?«, fragt sie verwirrt, es ist zu früh.

»Ja, ich habe eher Feierabend. Wieso machst du nicht auf, wenn du doch da bist?«

»Weil ich nackt und nass bin.«

»Du bist…« Irritierter hätte er nicht klingen können. »Ich bin in der Badewanne«, klärt sie ihn lachend auf.

»Ach so, alles klar. Ich muss eh noch nach Hause, wollte dich aber kurz sehen. Ich komme nachher wieder.«

»Warte. Ist die Haustür offen?«

»Ja, wie üblich.« Den genervten Tonfall überhört Alex.

»Dann geh rein, an meinen Briefkasten, wenn deine Hand schlank genug ist, kommst du an den Schlüssel.«

In dem Moment, in dem sie das ausspricht, bereut sie es schon. Er beendet das Telefonat kommentarlos. Kurz darauf hört sie die Wohnungstür. Alex dreht sich herum und stützt mit den Armen auf den Rand der Badewanne.

Patrick tritt ein, den Schlüssel hält er vor sein Gesicht. »Du bist leichtsinnig«, rügt er vorwurfsvoll.

»Du bist angezogen«, gibt sie mit einem breiten Grinsen zurück. In der Hoffnung, die Predigt abzuwenden, die ihr ohnehin nur auf die Nerven gehen würde. Mit tadelndem Blick nähert er sich. Den Schlüssel legt er im Vorbeigehen auf ein Regal.

Bei ihr angekommen, streichelt er über ihr feuchtes Haar und kniet sich hin. Sie dreht sich herum und schaut ihn an. Dabei entgeht ihr nicht, dass sein Blick abschweift und ihren Körper unverhohlen mustert.

»Schön, dich zu sehen, erst recht bei diesem Anblick.«

Wieder bei ihrem Gesicht angelangt tritt ein Lächeln auf seine Lippen, welches seine Augen nicht erreicht und schnell von Sorgenfalten abgelöst wird.

»Kommst du rein?«

Einen Moment hält er Blickkontakt, setzt an, was zu sagen. Doch die Worte wagen sich scheinbar nicht heraus. Er atmet tief durch. »Eigentlich habe ich nur angehalten, um zu fragen, ob wir zusammen essen. Ich muss noch duschen, könnte aber nachher etwas mitbringen.«

»Stimmt was nicht?«, fragt sie besorgt und überlegt, ob er wirklich erwartet, dass sie ihm das abkauft.

»Alles bestens. Ich hatte einen harten Tag, weiter nichts.« Er schüttelt abwehrend den Kopf.

»Ich weiß, was da hilft. Na los, komm rein. Sauber bekommen wir dich schon und deine Klamotten brauchst du bei mir eh nicht.«

Er streichelt sanft über ihre Wange und lächelt. Diesmal ehrlich, wodurch seine eben noch angespannten Gesichtszüge weicher werden. Dann beugt er sich zu ihr, legt seine Stirn gegen ihre. Einige Atemzüge lang kommt er ihr ungewohnt verunsichert vor. Als wisse er nicht, ob er sie nun küssen oder aussprechen soll, was ihn so offensichtlich beschäftigt.

Eine Entscheidung, die er Sekunden später nicht mehr treffen muss. Sein Handy klingelt. Er gibt ein genervtes Knurren von sich, löst sich von ihr und sieht nach. Augenblicklich nimmt sein Gesicht härtere Züge an.

»Ich hole mir ein Handtuch und wimmle den Störenfried ab«, erklärt er und steht auf. »Was willst du?«, bellt er gereizt ins Telefon, bevor er den Raum verlässt.

Alex hält die Luft an und lauscht. Das Knarren der Schlafzimmertür ist alles, was sie hört. In diesem Moment fällt ihr das Bild wieder ein. Sie hat Patrick so früh nicht erwartet und das Foto von letzter Nacht liegt noch auf dem Nachttisch. Ihre Narbe kennt er, verdammt gut sogar. Ihm ist bewusst, dass sie Berührungen nur schwer aushält. Damit provoziert er sie zu gerne. Gefragt hat er aber nie.

Mit gespitzten Ohren horcht Alex. Stille, dann Schritte. Nur in seiner Jeans mit einem hellblauen Handtuch über den Schultern kommt Patrick zurück.

»Ich melde mich später.« Die Verabschiedung klingt ebenso genervt wie die Begrüßung. Das Handy verschwindet in seiner Hosentasche. Die Jeans wird er daraufhin schnell los. Alex rückt ein Stück, um Platz zu machen.

»Hattest du einen schönen Tag?«, fragt er, bevor er anfängt, sanft ihren Nacken zu küssen.

»Ich habe eine Wohnung verkauft«, antwortet Alex und legt ihren Kopf zurück an seine Schulter.

»Samstags?«, erkundigt er sich beiläufig und lässt seine Lippen ihren Hals hochgleiten.

»Der Kunde hatte nur heute Zeit«, bringt Alex heiser hervor, dann legt er eine Hand an ihre Wange und dreht ihr Gesicht in seine Richtung. Ohne ein weiteres Wort folgt ein intensiver Kuss, danach sucht er im Wasser nach ihren Händen. Als er sie gefunden hat, legt er sie auf den Rand der Badewanne und fixiert sie mit seinen.

»Lass deine Hände, wo sie sind und nicht reden.«

Eine Stunde später steht Alex vor ihrem Spiegel. Patrick hat sich in der Badewanne umgedreht und beobachtet sie.

»Wenn ich dich und dein Handtuch so sehe, hätte ich euch lieber bei mir.« Er wirft ihr einen eindringlichen Blick zu. »Komm noch einmal her.«

»Ich bin gerade wieder trocken.«

»Wieder trocken?« Patrick lacht herzlich. »Du hattest dein Happy End und lässt mich jetzt schmoren? Das ist nicht besonders charmant.« Mit den Fingerspitzen spritzt er Wasser in ihre Richtung.

Sie verteilt eine Sprühkur in ihrer langen Mähne und streckt ihm die Zunge raus.

»Was ist das für ein Zeug?« Mit geschlossenen Augen atmet er durch die Nase ein. »Riecht nach Alex.«

»Das macht schöne Haare.«

Patrick zieht eine Augenbraue hoch und beäugt diverse Shampooflaschen neben sich. »Der Kram nicht?«

Auffällig unauffällig wirft sie einen Blick auf seinen Kopf. Seit dem ersten Treffen sind seine Haare ein paar Millimeter nachgewachsen. »Dass du davon nichts verstehst, ist klar.«

Seine Hand fährt über die Kopfhaut. »Das ist eindeutig pflegeleichter, würde dir aber nur halb so gut stehen. Jetzt komm schon wieder her.« Mit einer schnellen Bewegung versucht er ihr Handtuch zu fassen, als sie neben ihm nach einem Haargummi greift, ist aber zu langsam.

»Ich lasse dich mit deinem Testosteron mal alleine und gehe mich anziehen. Was essen wir?«

Gespielt beleidigt erhebt Patrick sich, lässt das Wasser ab und stellt die Dusche an. »Such dir aus, worauf du Lust hast. Aber die Haare bleiben offen!«

Sie fletscht das Haargummi zu ihm, was mit seinem selbstgefälligen Nicken kommentiert wird. »So ist brav.«

Seine Worte erreichen Alex, als sie die Badezimmertür schon fast erreicht hat. Sie bleibt stehen und dreht sich zu ihm. »Patrick?«

Kaum ist sein Blick bei ihr angekommen, lässt sie das Handtuch langsam zu Boden gleiten und wirft ihm einen Kussmund zu. »Viel Spaß beim Duschen.«

Alex schnappt ihren Wohnungsschlüssel von dem Regal und huscht gegenüber vom Badezimmer in einen begehbaren Kleiderschrank. Dort zieht sie Unterwäsche, graue Hotpants aus Stoff und ein Top über.

Im Schlafzimmer legt sie den Schlüssel auf den Nachttisch, lässt das Bild in der Schublade verschwinden und setzt sich auf das Bett. Seine Worte hallen in ihrem Kopf wieder. »Ich wollte dich sehen.« Und »Ich hatte einen harten Tag.« Hängt das zusammen?

Patrick spricht nicht über seinen Job. Es ist auch nicht nötig, es zu sagen. Denn Alex erkennt diese Tage. Er ist dann anders. Distanzierter und gleichzeitig besitzergreifender. Der Sex ist weniger rücksichtsvoll, egoistischer, härter. Wie gestern. Darauf folgen meist Abende, an denen er sich nur auf sie und ihre Bedürfnisse konzentriert.

Einen Moment überlegt sie, was für ein Mensch Patrick im Alltag sein könnte. Dominant ja, nur glaubt Alex nicht, dass er ein klassischer Macho ist. Doch das kann sie wohl kaum beurteilen. Dass er Familiensinn hat, ist so ziemlich das Einzige, was sie sicher weiß oder es zumindest annimmt. Alex erinnert sich daran, wie sie mal einen Streit vom Zaun brach.

An der Sonnenblende seines Autos sah sie das Bild einer Frau und zwei Mädchen. Rasend vor Wut verlangte sie von ihm, anzuhalten. Als Patrick verstand, was los war, zeigte er ein Foto auf seinem Handy. Darauf waren neben den Mädchen er selbst, die Frau und ein weiterer Mann zu sehen. Er klärte sie darüber auf, dass es sich um seine Schwester und seine Nichten handelte.

Patricks gedämpfte Stimme lenkt sie von ihren Gedanken ab. Er scheint fertig geduscht zu haben und telefoniert. Alex fragt sich, ob es dieselbe Person ist, die vorhin schon einmal angerufen hat. Sie sieht in Richtung Diele in der Hoffnung, dass der Abend nicht eher endet als erhofft.

Alex

Alex steht vor dem Schlafzimmerfenster und zieht die Vorhänge zu, als Patrick das Schlafzimmer betritt. Auch dieses Telefonat hat nur wenige Minuten gedauert.

Sie dreht sich zu ihm. Er trägt nur seine Jeans und sieht zum Anbeißen aus. Ihr Blick bleibt an seinem Oberkörper haften. Einzelne Wassertropfen zieren die gut definierten Bauchmuskeln. Doch der ernste Gesichtsausdruck verrät: Wer auch immer am Telefon war, hatte schlechte Nachrichten. Er setzt sich auf das Bett.

»Musst du weg?«, will sie wissen und geht zu ihm.

Er schüttelt den Kopf und legt seine Hände auf ihre Taille, als sie bei ihm ankommt. »Keine Sorge Kleine, heute Nacht gehörst du ganz mir.« Er zupft an ihrem Top herum. »Wieso machst du dir die Mühe? Deine Klamotten landen sowieso auf dem Boden.«

»Du weißt ja nicht, was darunter ist.«

»Lass sehen«, fordert er sie auf und lehnt sich erwartungsvoll zurück.

Sie erfüllt ihm seinen Wunsch, streift das Top sowie die Shorts ab.

»Rot?« Mit unverhüllter Erregung im Blick mustert er sie. Trotzdem ist er ungewöhnlich angespannt, als könne er nicht abschütteln, was auch immer ihn bedrückt. Er setzt sich auf und schlingt seine Arme um sie. Leidenschaftlich neckische Bisse ihren Bauch entlang werden zu sanften Küssen, dann stockt er. Einen Moment lehnt er seine Stirn an ihren Oberkörper. Mit ihren Fingern streicht Alex über die rauen Bartstoppeln an seiner Wange. Patrick schließt die Augen, schmiegt sein Gesicht gegen ihre Hand und entspannt sich endlich. Einer der seltenen Augenblicke, in denen er Zärtlichkeit für sich selbst nicht nur zulässt, sondern zu genießen scheint. Als er sie wieder anschaut, liegt ein anderer Ausdruck auf seinem Gesicht. Er schüttelt den Kopf.

»Was machst du nur mit mir?«

Kaum hat er das ausgesprochen, versteinern seine Gesichtszüge wieder und im nächsten Moment landet Alex auf der Matratze. Über sie gebeugt küsst Patrick sie ungestüm. Sie spürt, wie er seine Hüften gegen ihren Oberschenkel drückt.

»Merkst du, was du mit mir machst?«, knurrt er und richtet sich auf. »Liegen bleiben und Augen zu!«

Alex hat ihre Unterwäsche angezogen und sich unter die Bettdecke gekuschelt. Patricks enttäuschtes Gesicht, als er wieder ins Schlafzimmer kommt, bringt sie zum Lächeln.

Er reicht ihr ein Glas Wasser. Bevor er sich zu ihr legt, hebt er die Decke an und wirft einen verstohlenen Blick darunter, dann nimmt er Alex in den Arm.

Sie reicht ihm das Glas, er trinkt einen Schluck und stellt es auf dem Nachttisch ab, neben der Lampe. Da fällt ihr das Bild wieder ein. Ihr wird mulmig und sie stößt einen tiefen Seufzer aus.

»Alles okay?«, fragt Patrick besorgt.

»Du hast das Foto gesehen, oder?«, steigt sie in das Gespräch ein, obwohl sie die Antwort kennt.

»Ja.«

Alex senkt ihren Blick.

»Schau mich an, Kleine.«

Sie zögert. Erst als er ein ›Bitte‹ nachsetzt, dreht sie sich unsicher zu ihm herum.

»Schon besser.« Patrick lächelt und drückt ihr einem Kuss auf die Stirn. »Mir ist klar, dass das nicht für meine Augen bestimmt war, Kleine. Ich bin unangemeldet und zu früh hier aufgetaucht.«

»Es ist nicht so, dass ich was geheim halten will. Nur…« Mitten im Satz bleiben ihre Worte irgendwo in den Synapsen hängen, denn die arbeiten auf Sparflamme.

»Jeder hat Dinge, über die er nicht gerne spricht.«

»Worüber redest du nicht?« Alex ist bewusst, dass sie sich auf dünnes Eis begibt. Sie verschränkt ihre Arme auf seiner Brust und legt den Kopf drauf.

»Das muss du schon selbst herausfinden.« Ein herausforderndes Lächeln umspielt seine Lippen.

Der Gedanke, ihn nach seiner Arbeit zu fragen, ist zwar verführerisch, trotzdem verwirft Alex ihn schnell. Patrick wirkt endlich nicht mehr so angespannt.

»Warst du schon mal richtig verliebt?«, fragt sie stattdessen und hört die Eisschicht unter sich knacken.

»Mit einunddreißig wäre es furchtbar wenn nicht.«

»Bekomme ich ein paar Details?«

»Da gibt es nichts zu erzählen. Abgesehen von Schulverliebtheit gab es eine Frau in meinem Leben. Vor fünf Jahren bin ich, nach einer wirklich harten Nacht, früh am Morgen von der Arbeit gekommen. Deutlich eher als erwartet. Da stand das neue Auto ihrer besten Freundin am Ende der Straße. Das hatte sie seit sieben Wochen. Ich bin davon ausgegangen, dass die beiden einen netten Abend hatten und sie das Auto hat stehen lassen. Also bin ich nichts ahnend rein. Schon im Flur war es laut und deutlich zu hören.«

»Oh nein«, rutscht es Alex raus.

»Doch. Im Schlafzimmer habe ich sie auf ihrem Arbeitskollegen überrascht. Sie hat sofort angefangen zu heulen, erklärte mir, es wäre ein einmaliger Ausrutscher gewesen und wie leid es ihr tun würde.«

»Aber das war es nicht.« Alex klingt heiser.

»Nein.« Patrick stößt ein kurzes, unterkühltes Lachen aus. »Ich habe diesen Typen buchstäblich rausgeworfen und dann beobachtet, wie er mit dem Auto wegfuhr, das vor der Tür stand und sie in den letzten Wochen regelmäßig abholte.«

»Sie hat dich fast zwei Monate lang betrogen?« Alex sieht ihn mit großen Augen an.

»Ja.« Er schüttelt den Kopf. »Ich bin kein Moralapostel und habe mit Sicherheit schon einigen Frauen wehgetan. Aber das war nur ekelhaft.«

»Was hast du gemacht?«

»Ich bin zu meiner Schwester gezogen. Als ich gepackt habe, wollte sie mich aufhalten, verlangte eine Aussprache. Ich war nicht in der Lage ihr zuzuhören.« Wieder schüttelt Patrick den Kopf. »Irgendwann wurde sie sauer und meinte, ich solle mich nicht so aufspielen. Immerhin würde sie auch nicht wissen, was ich so alles treibe.«

»Wie lange wart ihr zusammen?«

»Vier Jahre fest, davor eine ganze Zeit locker.«

»Hatte sie denn recht? Hast du sie betrogen?«, bohrt Alex neugierig nach. Ihr fällt auf, dass die beiden sich zum ersten Mal so offen unterhalten. Das ist viel schöner, als sie zugeben will.

Er streichelt über ihre Haare. »Nicht ein Mal. Ich halte nichts von Untreue. Mit fünfzehn hatte ich mal zwei Freundinnen und war der Held auf dem Schulhof. Das hat weniger gut funktioniert. Möglich, dass ich im Laufe der Jahre hier und da der andere Mann war. Ich treffe mich auch mit mehreren Frauen. Nur ist das nie was Ernstes. Was ist mit dir, du kleines Luder?«

»Nie absichtlich. Bekomme ich mit, dass ein Mann, mit dem ich mich treffe, vergeben ist, beende ich es. Hast du sie mal wieder gesehen?«

»Sechs Wochen später tauchte sie bei Sammy auf und eröffnete mir, sie sei schwanger. Ich sollte zu ihr zurückkommen oder sie würde abtreiben.«

Es dauert einige Sekunden, bis Alex ihre Gesichtszüge wieder im Griff hat. Was Patrick schmunzeln lässt.

»W… war sie? Also hast du … Bist du …«, stottert sie ungeschickt vor sich hin.

»Jetzt guck nicht so, Kleine. Sie war schwanger, aber nicht von mir.«

Alex nickt gedankenverloren. Ihr ist klar, die Eisschicht hat bereits vor einigen Minuten nachgegeben. Eine solche Offenheit hat sie nicht erwartet. Sie dreht sich auf den Rücken und sucht sich einen Punkt an der Decke, auf den sie sich konzentrieren kann.

»Als wir uns kennengelernt haben, war ich vierzehn, und er siebzehn.«

»Du musst nicht darüber reden, wenn du nicht willst, Kleine«, unterbricht Patrick.

»Wir waren mit Freunden Zelten und ich habe mich im Wald am Fuß verletzt. Damit nicht die ganze Gruppe im Schneckentempo zum Zeltplatz zurückmuss, blieb er bei mir. Wir haben uns toll unterhalten. An dem Abend haben wir uns das erste Mal geküsst.«

Patrick nickt und zögert, als wäre er sich nicht sicher, ob Nachbohren erlaubt ist.

»Frag ruhig.«

»Warst du verheiratet?«

»Nein.« Sie schüttelt den Kopf. »Wir waren verlobt.«

»Wie lange wart ihr zusammen?«

»Fast acht Jahre und das Bild?«, nimmt sie ihm die nächste Frage ab und spürt, wie er nickt. »Das war unser siebter Jahrestag. Er hatte mir einen Konzertbesuch geschenkt und …«

»Da habt ihr euch verlobt«, beendet Patrick den Satz und drückt sie an sich. »Das reicht.«

»Mehr willst du nicht wissen?«

»Nicht heute.«

Die Stimmung ist ungewöhnlich locker. Patrick erzählt, dass er nach der Trennung von seiner Ex einige Monate bei seiner Schwester wohnte. Bis er die Wohnung im Haus nebenan gekauft hat. Alex überlegt, was passiert ist. In der letzten Stunde hat sie mehr über ihm erfahren als in den vergangenen vier Monaten.

Nachdem sie sich noch einige Zeit unterhalten haben, ist er langsam eingeschlafen. Alex schaut ihn an und denkt über das nach, was er erzählt hat. Wie schmerzhaft es gewesen sein muss, derart hintergangen zu werden. Ohne es wirklich zu merken, gleitet sie an ihn gekuschelt in einen unruhigen Halbschlaf.

Alex

Ein Ruck lässt Alex hochschrecken. Es dauert einen Augenblick bis sie begreift, dass Patrick sich im Schlaf auf die Seite gedreht hat. Schlafen kann sie nicht mehr. Doch sie will ihn nicht wecken. Jetzt noch nicht. Also steht sie so sachte wie möglich auf und sucht aus einer der Kommoden eine Schachtel Zigaretten. An dem Schalter knipst sie die Nachttischleuchte aus und verlässt leise Schlafzimmer.

Von der Garderobe schnappt sie sich seine Lederjacke, huscht durch das Wohnzimmer, den größte Raum ihrer Wohnung. Quadratisch, mit großen bodentiefen Fenstern und ebenso hochwertig eingerichtet, wie der Rest ihrer vier Wände.

Sie öffnet die Balkontür, tritt raus und setzt sich. Unter dem Tisch holt sie einen Aschenbecher hervor, steckt eine Zigarette an und lehnt sich im Stuhl zurück. Eigentlich hat Alex das Rauchen nach dem Tod ihres Vaters vor vier Jahren aufgegeben. Doch eine Schachtel für Notfälle hat sie immer parat. Eine überfordernde Gefühlswelt gehört dazu.

In ihrem Kopf lässt sie den Tag an sich vorbeiziehen. Patrick wollte sie küssen. Schon gestern Nacht im Auto bekam sie diesen Eindruck. Heute, bevor er in die Badewanne kam, war es noch deutlicher. Das geht gegen alles, was sie von ihm zu wissen glaubt.

Während sie darüber nachdenkt, was das bedeuten könnte, greift sie ein weiteres Mal zur Schachtel. Durch das breite Fenster schaut sie auf die Uhr an der Wohnzimmerwand, er schläft seit eineinhalb Stunden.

Eine Weile beobachtet Alex gedankenlos den Himmel. Dann überlegt sie, wie lange diese Affäre noch gut geht. Liebe macht alles komplizierter. Ihre Gefühle. Je öfter sie versucht, diese in einer Truhe zu verschließen, umso deutlicher melden sie sich zurück. Um sie zu verspotten und sich ganz offen über sie lustig zu machen. So wie diese Küsse, die keine waren. Erkennt Patrick, dass sie sich in ihn verliebt? Spielt er mit ihr?

Ohne Verpflichtungen, Gefühle oder Rechtfertigungen. Seit ihrem zweiten Treffen ist die Beziehung klar definiert. An diesen Abend erinnert Alex sich genau, denn schon damals überraschte es sie, dass er sich nach der ersten Nacht bei ihr meldete.

Die beiden schrieben sich einige Nachrichten. Anfangs zögerte Alex. Aber Patrick war ebenso charmant wie ausdauernd. Also hatten sie sich ein paar Tage später verabredet. Doch er sagte kurzfristig ab. So war Alex frustriert alleine ausgegangen. Gegen zwei Uhr trat sie zu Fuß den Heimweg an. Alkoholisiert wie sie war, tat sie, was Frau in dieser Situation eben tut und rief ihn an. Seine verschlafene Stimme klang irritiert. Im Hintergrund glaubte sie, eine Frauenstimme zu hören. Auf ihre Frage, ob er eine Frau bei sich hätte, antwortete er nicht.

»Bist du betrunken? Was ist los? Wo bist du?«, erkundigte er sich stattdessen.

Wütend fauchte sie durch das Handy, dass er ein Arschloch sei und legte auf. Vierzig Minuten später kam sie zu Hause an. Das Patrick vor ihrer Tür wartete, überraschte sie. Mit mahnendem Blick begleitete er sie ungefragt nach oben. Dort machte er ihr einen Kaffee.

»Was willst du hier?«, blaffte sie ihn an.

»Du hast um halb drei nachts betrunken angerufen. Ich war zufällig wach und wollte nach dir sehen.«

»Darum habe ich nicht gebeten. Geh Spaß haben.«

»Alex, ich hatte nicht vor, dich zu versetzen. Sie ist eine alte Freundin von meiner Schwester und mir, die kurzfristig heute Abend vorbeigekommen ist.«

»Da hast du dir gedacht, sie kann gleich noch einmal kommen, oder zweimal. Ich verstehe schon.«

Er vermied es, sie anzusehen. »Gut, hör zu, es tut mir leid, du solltest das nicht mitbekommen. Das war nicht geplant. Aber ich glaube nicht, dass ich mich vor dir rechtfertigen muss.«

So wütend sie sein Verhalten machte, so genau wusste sie, wie richtig er damit lag.