Natur und Gesellschaft. Ausgewählt und kommentiert von Heinrich Detering - Friedrich Engels - E-Book

Natur und Gesellschaft. Ausgewählt und kommentiert von Heinrich Detering E-Book

Engels Friedrich

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Beschreibung

Friedrich Engels unternimmt in seinen späten Schriften den Versuch, Karl Marx und Charles Darwin zusammenzubringen. Hellsichtig zeigt er in wissensgeschichtlichen und zeitkritischen Beobachtungen, »dass wir keineswegs die Natur beherrschen, wie ein Eroberer ein fremdes Volk beherrscht – sondern dass wir mit Fleisch und Blut und Hirn ihr angehören und mitten in ihr stehn«. Er warnt vor der Selbstzerstörung einer Menschheit, die diesen Zusammenhang missachtet: »Schmeicheln wir uns indes nicht zu sehr mit unsern menschlichen Siegen über die Natur. Für jeden solchen Sieg rächt sie sich an uns.« Heinrich Deterings Auswahl und Kommentare erschließen einen Grundlagentext für unsere Zeit.

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Seitenzahl: 122

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Friedrich Engels

Natur und Gesellschaft

Ausgewählt und kommentiert von Heinrich Detering

Reclam

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2022 Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

Covergestaltung: Cornelia Feyll, Friedrich Forssman

Gesamtherstellung: Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

Made in Germany 2022

RECLAM ist eine eingetragene Marke der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart

ISBN978-3-15-962051-0

ISBN der Buchausgabe 978-3-15-014270-7

www.reclam.de

Inhalt

Ein fortgesetzter Entwicklungsprozess: Natur und Geschichte

Die Veränderbarkeit der Natur: Von den Griechen bis zu Darwin

Von der Milchstraße zur Menschheit

Vom metaphysischen zum dialektischen Denken der Natur

Darwins epochemachendes Werk

Darwin oder Dühring

Aus den Notizen zur Biologie

Der Mensch als Tier

Arbeit als Werk

Anteil der Arbeit an der Menschwerdung

Wechselwirkung

Einheit von Natur und Geist

Unsere Geozentrik

Erkennen

Zu dieser Ausgabe

Quellen

Literaturhinweise

Nachwort. Zwischen Marx und Darwin: Friedrich Engels’ Naturdenken

Ein fortgesetzter Entwicklungsprozess: Natur und Geschichte

Wenn wir die Natur, oder die Menschengeschichte, oder unsere eigene geistige Tätigkeit der denkenden Betrachtung unterwerfen, so bietet sich uns zunächst dar das Bild einer unendlichen Verschlingung von Zusammenhängen und Wechselwirkungen, in der Nichts bleibt, was, wo und wie es war, sondern Alles sich bewegt, sich verändert, wird und vergeht. Wir sehen zunächst also das Gesamtbild, in dem die Einzelheiten noch mehr oder weniger zurücktreten, wir achten mehr auf die Bewegung, die Übergänge, die Zusammenhänge, als auf das, was sich bewegt, übergeht und zusammenhängt. Diese ursprüngliche, naive, aber der Sache nach richtige Anschauung von der Welt ist die der alten griechischen Philosophie und ist zuerst klar ausgesprochen von Heraklit: Alles ist und ist auch nicht, denn Alles fließt,1 ist in steter Veränderung, in stetem Werden und Vergehen begriffen. Aber diese Anschauung, so richtig sie auch den allgemeinen Charakter des Gesamtbildes der Erscheinungen erfasst, genügt doch nicht, die Einzelheiten zu erklären, aus denen sich dies Gesamtbild zusammensetzt; und solange wir diese nicht kennen, sind wir auch über das Gesamtbild nicht klar. Um diese Einzelheiten zu erkennen, müssen wir sie aus ihrem natürlichen oder geschichtlichen Zusammenhang herausnehmen und sie, jede für sich, nach ihrer Beschaffenheit, ihren besonderen Ursachen und Wirkungen etc. untersuchen. Dies ist zunächst die Aufgabe der Naturwissenschaft und Geschichtsforschung; Untersuchungszweige, die aus sehr guten Gründen bei den Griechen der klassischen Zeit einen nur untergeordneten Rang einnahmen, weil diese vor Allem erst das Material dafür zusammenschleppen mussten. Erst nachdem der natürliche und geschichtliche Stoff bis auf einen gewissen Grad angesammelt ist, kann die kritische Sichtung, die Vergleichung, beziehungsweise die Einteilung in Klassen, Ordnungen und Arten in Angriff genommen werden. Die Anfänge der exakten Naturforschung werden daher erst bei den Griechen der alexandrinischen Periode2 und später, im Mittelalter, von den Arabern, weiterentwickelt; eine wirkliche Naturwissenschaft datiert indes erst von der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts, und von da an hat sie mit stets wachsender Geschwindigkeit Fortschritte gemacht. Die Zerlegung der Natur in ihre einzelnen Teile, die Sonderung der verschiedenen Naturvorgänge und Naturgegenstände in bestimmte Klassen, die Untersuchung des Innern der organischen Körper nach ihren mannigfachen anatomischen Gestaltungen war die Grundbedingung der Riesenschritte, die die letzten vierhundert Jahre uns in der Erkenntnis der Natur gebracht [haben]. Aber sie hat uns ebenfalls die Gewohnheit hinterlassen, die Naturdinge und Naturvorgänge in ihrer Vereinzelung, außerhalb des großen Gesamtzusammenhangs aufzufassen; daher nicht in ihrer Bewegung, sondern in ihrem Stillstand; nicht als wesentlich veränderliche, sondern als feste Bestände; nicht in ihrem Leben, sondern in ihrem Tod. Und indem, wie dies durch Bacon und Locke geschah,3 diese Anschauungsweise aus der Naturwissenschaft sich in die Philosophie übertrug, schuf sie die spezifische Borniertheit der letzten Jahrhunderte, die metaphysische Denkweise.

Für den Metaphysiker sind die Dinge und ihre Gedanken-Abbilder, die Begriffe, vereinzelte, eins nach dem andern und ohne das andere zu betrachtende, feste, starre, ein für alle Mal gegebene Gegenstände der Untersuchung. Er denkt in lauter unvermittelten Gegensätzen; seine Rede ist Ja, ja, Nein, nein, was darüber ist, ist vom Übel.4 Für ihn existiert ein Ding entweder oder es existiert nicht: Ein Ding kann ebenso wenig zugleich es selbst und ein anderes sein. Positiv und negativ schließen einander absolut aus; Ursache und Wirkung stehen ebenso in starrem Gegensatz zueinander. Diese Denkweise erscheint uns auf den ersten Blick deswegen äußerst einleuchtend, weil sie diejenige des sogenannten gesunden Menschenverstandes ist. Allein der gesunde Menschenverstand, ein so respektabler Geselle er auch in dem hausbackenen Gebiet seiner vier Wände ist, erlebt ganz wunderbare Abenteuer, sobald er sich in die weite Welt der Forschung wagt; und die metaphysische Anschauungsweise, auf so weiten, je nach der Natur des Gegenstands ausgedehnten Gebieten sie auch berechtigt und sogar notwendig ist, stößt doch jedes Mal früher oder später auf eine Schranke, jenseits welcher sie einseitig, borniert, abstrakt wird und sich in unlösliche Widersprüche verirrt, weil sie über den einzelnen Dingen deren Zusammenhang, über ihrem Sein ihr Werden und Vergehen, über ihrer Ruhe ihre Bewegung vergisst, weil sie vor lauter Bäumen den Wald nicht sieht. Für alltägliche Fälle wissen wir z. B. und können mit Bestimmtheit sagen, ob ein Tier existiert oder nicht; bei genauerer Untersuchung finden wir aber, dass dies manchmal eine höchst verwickelte Sache ist, wie das die Juristen sehr gut wissen, die sich umsonst abgeplagt haben, eine rationelle Grenze zu entdecken, von der an die Tötung des Kindes im Mutterleibe Mord ist; und ebenso unmöglich ist es, den Moment des Todes festzustellen, indem die Physiologie nachweist, dass der Tod nicht ein einmaliges, augenblickliches Ereignis, sondern ein sehr langwieriger Vorgang ist. Ebenso ist jedes organische Wesen in jedem Augenblick dasselbe und nicht dasselbe; in jedem Augenblick verarbeitet es von Außen zugeführte Stoffe und scheidet andere aus, in jedem Augenblick sterben Zellen seines Körpers ab und bilden sich neue; je nach einer längeren oder kürzeren Zeit ist der Stoff dieses Körpers vollständig erneuert, durch andere Stoffatome ersetzt worden, so dass jedes organisierte Wesen stets dasselbe und doch ein anderes ist. Auch finden wir bei genauerer Betrachtung, dass die beiden Pole eines Gegensatzes, wie positiv und negativ, ebenso untrennbar voneinander wie entgegengesetzt sind, und dass sie trotz aller Gegensätzlichkeit sich gegenseitig durchdringen; ebenso, dass Ursache und Wirkung Vorstellungen sind, die nur in der Anwendung auf den einzelnen Fall als solche Gültigkeit haben, dass sie aber, sowie wir den einzelnen Fall in seinem allgemeinen Zusammenhang mit dem Weltganzen betrachten, zusammengehn, sich auflösen in der Anschauung der universellen Wechselwirkung, wo Ursachen und Wirkungen fortwährend ihre Stelle wechseln, das was jetzt oder hier Wirkung, dort oder dann Ursache wird und umgekehrt.

Alle diese Vorgänge und Denkmethoden passen nicht in den Rahmen des metaphysischen Denkens hinein. Für die Dialektik dagegen, die die Dinge und ihre begrifflichen Abbilder wesentlich in ihrem Zusammenhang, ihrer Verkettung, ihrer Bewegung, ihrem Entstehen und Vergehen auffasst, sind Vorgänge wie die obigen, ebenso viel Bestätigungen ihrer eignen Verfahrungsweise. Die Natur ist die Probe auf die Dialektik, und wir müssen es der modernen Naturwissenschaft nachsagen, dass sie für diese Probe ein äußerst reichliches, sich täglich häufendes Material geliefert und damit bewiesen hat, dass es in der Natur, in letzter Instanz, dialektisch und nicht metaphysisch hergeht,5 dass sie sich nicht im ewigen Einerlei eines stets wiederholten Kreises bewegt, sondern eine wirkliche Geschichte durchmacht. Hier ist vor Allen Darwin zu nennen, der der metaphysischen Naturauffassung den gewaltigsten Stoß versetzt hat durch seinen Nachweis, dass die ganze heutige organische Natur, Pflanzen und Tiere und damit auch der Mensch, das Produkt eines durch Millionen Jahre fortgesetzten Entwicklungsprozesses ist. Da aber die Naturforscher bis jetzt zu zählen sind, die dialektisch zu denken gelernt haben, so erklärt sich aus diesem Konflikt der entdeckten Resultate mit der hergebrachten Denkweise die grenzenlose Verwirrung, die jetzt in der theoretischen Naturwissenschaft herrscht und die Lehrer wie Schüler, Schriftsteller wie Leser zur Verzweiflung bringt.

Eine exakte Darstellung des Weltganzen, seiner Entwicklung und der der Menschheit, sowie des Spiegelbildes dieser Entwicklung in den Köpfen der Menschen, kann also nur auf dialektischem Wege, mit steter Beachtung der allgemeinen Wechselwirkungen des Werdens und Vergehens, der fort- oder rückschreitenden Änderungen zustande kommen. Und in diesem Sinne trat die neuere deutsche Philosophie auch sofort auf. Kant eröffnete seine Laufbahn damit, dass er das stabile Newton’sche Sonnensystem und seine – nachdem der famose erste Anstoß einmal gegeben6 – ewige Dauer auflöste in einen geschichtlichen Vorgang: in die Entstehung der Sonne und aller Planeten aus einer rotierenden Nebelmasse.7 Dabei zog er bereits die Folgerung, dass mit dieser Entstehung ebenfalls der künftige Untergang des Sonnensystems notwendig gegeben sei. Seine Ansicht wurde ein halbes Jahrhundert später durch Laplace mathematisch begründet8 und noch ein halbes Jahrhundert später wies das Spektroskop9 die Existenz solcher glühenden Gasmassen, in verschiednen Stufen der Verdichtung, im Weltraum nach.10

Ihren Abschluss fand diese neuere deutsche Philosophie im Hegel’schen System, worin zum ersten Mal – und das ist sein großes Verdienst – die ganze natürliche, geschichtliche und geistige Welt als ein Prozess, d. h. als in steter Bewegung, Veränderung, Umbildung und Entwicklung begriffen, dargestellt und der Versuch gemacht wurde, den inneren Zusammenhang in dieser Bewegung und Entwicklung nachzuweisen.11 Von diesem Gesichtspunkt aus erschien die Geschichte der Menschheit nicht mehr als ein wüstes Gewirr sinnloser Gewalttätigkeiten, die vor dem Richterstuhl der jetzt gereiften Philosophenvernunft alle gleich verwerflich sind und die man am besten so rasch wie möglich vergisst, sondern als der Entwicklungsprozess der Menschheit selbst, dessen allmählichen Stufengang durch alle Irrwege zu verfolgen, und dessen innere Gesetzmäßigkeit durch alle scheinbaren Zufälligkeiten hindurch nachzuweisen, jetzt die Aufgabe des Denkens wurde.

Dass das Hegel’sche System die Aufgabe nicht löste, die es sich gestellt [hatte], ist hier gleichgültig. Sein epochemachendes Verdienst war, sie gestellt zu haben. Es ist eben eine Aufgabe, die kein Einzelner je wird lösen können. Obwohl Hegel – neben Saint-Simon12 – der universellste Kopf seiner Zeit war, so war er doch beschränkt erstens durch den notwendig begrenzten Umfang seiner eigenen Kenntnisse und zweitens durch die ebenfalls nach Umfang und Tiefe begrenzten Kenntnisse und Anschauungen seiner Epoche. Dazu kam aber noch ein Drittes. Hegel war Idealist, d. h. ihm galten die Gedanken seines Kopfs nicht als die mehr oder weniger abstrakten Abbilder der wirklichen Dinge und Vorgänge, sondern umgekehrt galten ihm die Dinge und ihre Entwicklung nur als die verwirklichten Abbilder der irgendwie schon vor der Welt existierenden »Idee«. Damit war Alles auf den Kopf gestellt und der wirkliche Zusammenhang der Welt vollständig umgekehrt. Und so richtig und genial daher auch manche Einzel-Zusammenhänge von Hegel aufgefasst wurden, so musste doch aus den angegebenen Gründen auch im Detail Vieles geflickt, gekünstelt, konstruiert, kurz, verkehrt ausfallen. Das Hegel’sche System als solches war eine kolossale Fehlgeburt – aber auch die letzte ihrer Art. Es litt nämlich noch an einem inneren unheilbaren Widerspruch: Einerseits hatte es zur wesentlichen Voraussetzung die historische Anschauung, wonach die menschliche Geschichte ein Entwicklungsprozess ist, der seiner Natur nach nicht durch die Entdeckung einer sogenannten absoluten Wahrheit seinen intellektuellen Abschluss finden kann; andrerseits aber behauptet es, der Inbegriff eben dieser absoluten Wahrheit zu sein. Ein allumfassendes, ein für alle Mal abschließendes System der Erkenntnis von Natur und Geschichte steht im Widerspruch mit den Grundgesetzen des dialektischen Denkens; was indes keineswegs ausschließt, sondern im Gegenteil einschließt, dass die systematische Erkenntnis der gesamten äußeren Welt von Geschlecht zu Geschlecht Riesenfortschritte machen kann.

Die Einsicht in die totale Verkehrtheit des bisherigen deutschen Idealismus führte notwendig zum Materialismus, aber wohlgemerkt, nicht zum bloß metaphysischen, ausschließlich mechanischen Materialismus des 18. Jahrhunderts. Gegenüber der naiv-revolutionären, einfachen Verwerfung aller früheren Geschichte, sieht der moderne Materialismus in der Geschichte den Entwicklungsprozess der Menschheit, dessen Bewegungsgesetze zu entdecken seine Aufgabe ist. Gegenüber der sowohl bei den Franzosen des 18. Jahrhunderts13 wie noch bei Hegel herrschenden Vorstellung von der Natur als eines sich in engen Kreisläufen bewegenden, sich stets gleichbleibenden Ganzen mit ewigen Weltkörpern, wie sie Newton, und unveränderlichen Arten von organischen Wesen, wie sie Linné gelehrt hatte,14 fasst er die neueren Fortschritte der Naturwissenschaft zusammen, wonach die Natur ebenfalls ihre Geschichte in der Zeit hat, die Weltkörper wie die Artungen der Organismen, von denen sie unter günstigen Umständen bewohnt werden, entstehn und vergehn, und die Kreisläufe, soweit sie überhaupt zulässig bleiben, unendlich großartigere Dimensionen annehmen. In beiden Fällen ist er wesentlich dialektisch und braucht keine über den andern Wissenschaften stehende Philosophie mehr. Sobald an jede einzelne Wissenschaft die Forderung herantritt, über ihre Stellung im Gesamtzusammenhang der Dinge und der Kenntnis von den Dingen sich klar zu werden, ist jede besondere Wissenschaft vom Gesamtzusammenhang überflüssig. Was von der ganzen bisherigen Philosophie dann noch selbstständig bestehen bleibt, ist die Lehre vom Denken und seinen Gesetzen – die formelle Logik und die Dialektik. Alles andre geht auf in die positive15 Wissenschaft von Natur und Geschichte.

Die Veränderbarkeit der Natur: Von den Griechen bis zu Darwin

Die moderne Naturforschung, die einzige, die es zu einer wissenschaftlichen, systematischen, allseitigen Entwicklung gebracht hat im Gegensatz zu den genialen naturphilosophischen Intuitionen der Alten16 und zu den höchst bedeutenden, aber sporadischen und größtenteils resultatlos dahingegangenen Entdeckungen der Araber17 – die moderne Naturforschung datiert wie die ganze neuere Geschichte von jener gewaltigen Epoche, die wir Deutsche, nach dem uns damals zugestoßenen Nationalunglück, die Reformation, die Franzosen die Renaissance und die Italiener das Cinquecento nennen, und die keiner dieser Namen erschöpfend ausdrückt. Es ist die Epoche, die mit der letzten Hälfte des fünfzehnten Jahrhunderts anhebt. Das Königtum, sich stützend auf die Städtebürger, brach die Macht des Feudaladels und begründete die großen, wesentlich auf Nationalität basierten Monarchien, in denen die modernen europäischen Nationen und die moderne bürgerliche Gesellschaft zur Entwicklung kamen; und während noch Bürger und Adel sich in den Haaren lagen, wies der deutsche Bauernkrieg18 prophetisch hin auf zukünftige Klassenkämpfe, indem er nicht nur die empörten Bauern auf die Bühne führte – das war nichts Neues mehr –, sondern hinter ihnen die Anfänge des jetzigen Proletariats, die rote Fahne in der Hand und die Forderung der Gütergemeinschaft auf den Lippen. In den aus dem Fall von Byzanz geretteten Manuskripten,19 in den aus den Ruinen Roms ausgegrabnen antiken Statuen ging dem erstaunten Westen eine neue Welt auf, das griechische Altertum; vor seinen lichten Gestalten verschwanden die Gespenster des Mittelalters; Italien erhob sich zu einer ungeahnten Blüte der Kunst, die wie ein Widerschein des klassischen Altertums erschien und die nie wieder erreicht worden [ist]. In Italien, Frankreich, Deutschland entstand eine neue, die erste moderne Literatur; England und Spanien erlebten bald darauf ihre klassische Literaturepoche. Die Schranken des alten Orbis terrarum20