Nebel am Montmartre - Patrick Pécherot - E-Book

Nebel am Montmartre E-Book

Patrick Pécherot

0,0

Beschreibung

Nestor ist ein anarchistischer Privatdetektiv von zartem Gemüt. Zusammen mit seinem Freund Leboeuf, einem massigen Lumpensammler und Jahrmarktringer, versucht er, im Paris der Zwanzigerjahre für etwas Gerechtigkeit zu sorgen. Nebel am Montmartre ist eine Hommage an Léo Malet. Folgerichtig treiben sich auch bei Pécherot skandalumwitterte Grafen, verführerische Dienstmädchen und gewissenlose Großindustrielle zwischen Trödelmärkten, Cabarets und Gewerkschaftsräumen herum. Es entspinnt sich eine verwickelte Geschichte, in der jeder jeden zu erpressen scheint und der Detektiv den Mörder mit einer Ausgabe der Révolution surréaliste entlarvt. André Breton höchst selbst nimmt gar an einer nächtlichen Schießerei auf dem Friedhof teil und dient dem jungen Detektiv bald als BriefkastenAdresse : "'Was für eine Geschichte!', seufzte Breton. 'Als Poet sind Sie zwar ein Stümper, alter Knabe, aber langweilig wird einem in Ihrer Gesellschaft nicht.'"

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 233

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Nestor ist ein anarchistischer Privatdetektiv von zartem Gemüt. Zusammen mit seinem Freund Lebœuf, einem massigen Lumpensammler und Jahrmarktringer, versucht er, im Paris der Zwanzigerjahre für etwas Gerechtigkeit zu sorgen. Nebel am Montmartre ist eine Hommage an Léo Malet. Folgerichtig treiben sich auch bei Pécherot skandalumwitterte Grafen, verführerische Dienstmädchen und gewissenlose Großindustrielle zwischen Trödelmärkten, Cabarets und Gewerkschaftsräumen herum. Es entspinnt sich eine verwickelte Geschichte, in der jeder jeden zu erpressen scheint und der Detektiv den Mörder mit einer Ausgabe der Révolution surréaliste entlarvt. André Breton höchstselbst nimmt gar an einer nächtlichen Schießerei auf dem Friedhof teil und dient dem jungen Detektiv bald als Briefkasten-Adresse: »›Was für eine Geschichte!‹, seufzte Breton. ›Als Poet sind Sie zwar ein Stümper, alter Knabe, aber langweilig wird einem in Ihrer Gesellschaft nicht.‹«

Patrick Pécherot, 1953 in Courbevoie geboren, Journalist. 2002 erhielt er den »Grand Prix de Littérature Policière« für Nebel am Montmartre, den ersten Band einer Trilogie über das »populäre« Paris zwischen den Weltkriegen. Außer Krimis schreibt er Jugendbücher und Comics mit dem Co-Autor Jeff Pourquié.

Die zwei weiteren Bände der Trilogie, Belleville-Barcelona (2003) und Boulevard der Irren (2005), werden demnächst bei Nautilus erscheinen.

www.pecherot.com

PATRICK PÉCHEROT

NEBEL AMMONTMARTRE

KRIMINALROMAN

AUS DEM FRANZÖSISCHEN ÜBERSETZT UND MITEINEM NACHWORT VERSEHEN VON KATJA MEINTEL

Die Arbeit der Übersetzerin am vorliegenden Textwurde vom Deutschen Übersetzerfonds gefördert.Ihr besonderer Dank geht an Brigitte Große.

Die Übersetzung wurde gefördert von der Kulturabteilung der Französischen Botschaft in Berlin.

Dieses Werk wurde mit Unterstützung desfranzösischen Kulturministeriums,Centre National du Livre, publiziert.Ouvrage publié avec le concours du Ministère françaischargé de la Culture – Centre National du Livre.

Die Originalausgabe des vorliegenden Bucheserschien unter dem Titel »Les brouillards de la Butte«bei Éditions Gallimard, Paris 2001.

Edition Nautilus Verlag Lutz SchulenburgSchützenstraße 49a · D - 22761 Hamburgwww.edition-nautilus.deAlle Rechte vorbehalten · © Edition Nautilus 2009Deutsche Erstausgabe Februar 2010Umschlaggestaltung: Maja Bechert, Hamburgwww.majabechert.deAutorenporträt Seite 2: Elise GrynbaumPrint ISBN 978-3-89401-720-0E-Book EPUB ISBN 978-3-86438-115-7E-Book PDF ISBN 978-3-86438-029-7

Nebel am Montmartre ist inspiriert durch Leben und Werk Léo Malets. Jede Ähnlichkeit mit lebenden oder gelebt habenden Personen ist also alles andere als zufällig. Diese bescheidene Hommage an den Schöpfer einer der großen Mythen des Krimis wäre ohne gewisse dubiose Bekanntschaften nicht möglich gewesen. Ihnen sei gedankt und im Besonderen:

Roland Dorgelès: Bouquet de Bohème, Albin MichelMaurice Hallé: Par la grand-route et les chemins creux, Le Vent du Ch’minAuguste Le Breton: Le Pègriots, Robert LaffontLouis Lecoin: Le Cours d’une vieLéo Malet: La Vache enragée, Hoebecke (Stoff für viele Leben, Edition Nautilus)Pierre André Boutang: Océaniques spécial Léo Malet, La Sept Gaëtan Picon: Le Surréalisme, Skira (Der Surrealismus 1919–1939, Skira)Bernard Thomas: La Belle Époque de la bande à Bonnot, Fayard Und natürlich Nestor Burma selbst, lang und breit und quer gelesen bei Éditions Robert Laffont und von Tardi gezeichnet bei Éditions Casterman (auf deutsch beim Elster Verlag und beim Rowohlt Verlag sowie bei der Edition Moderne)

Der Ball der Unschuldigen war in vollem GangDie Lampions fingen allmählich Feuer in den KastanienANDRÉ BRETON, Sonnenblume

Der Typ, der mir gegenübersaß, starrte mich an, ohne mich zu sehen. Ein diskretes Lächeln lag auf seinen Lippen und verlieh ihm einen Ausdruck amüsierter Verblüffung. Vielleicht war ihm gerade ein unflätiger Gedanke gekommen. Oder er hatte das Unschickliche seiner Situation erkannt. Wer weiß schon, was einem in so einem Augenblick durch den Kopf geht? Er schien jedenfalls von liebenswürdigem Naturell zu sein. Ich an seiner Stelle … Aber an seiner Stelle wollte ich lieber nicht sein, denn der Mann, der mich so durchdringend ansah, war tot, und zwar richtig.

»Scheiße!«

Lebœuf sprach nicht oft, aber eben hatte er zusammengefasst, was wir alle vier dachten.

Cottet hob seine Lampe. Im tanzenden Lichtschein sah der Tote aus, als wollte er uns veräppeln. Konnte er auch. Passiert schließlich nicht alle Tage, dass vier Ganoven über eine Leiche stolpern, während sie einen Panzerschrank knacken.

Draußen wurde der Wind stärker. Heulend pfiff er unter der Tür durch. Ich sprang zurück.

»Der hat sich bewegt!«

»Hä? Wer?«

Na, der Tote, der hatte sich bewegt. Und kippte jetzt plötzlich vornüber. Mit einem Krachen wie von trockenem Holz schlug er auf dem Boden auf. Entsetzt starrten wir ihn an, als sich aus seinem erstarrten Körper ein langgezogenes Seufzen erhob. Es begann in den oberen Tonlagen, um dann machtvoll wie ein Fagott in die Tiefe zu gurgeln.

Wir blickten uns fassungslos an.

»Is nich wahr.«

»Doch.«

»Furzt der?«

Cottet stieß ein nervöses Lachen aus, das uns einen nach dem anderen ansteckte. Und je mehr wir lachten, desto lauter ließ der Tote seine Winde wehen. Wirklich ein fideler Kadaver.

Raymond brachte uns wieder zur Besinnung.

»Gut, genug is … He Jungs, es reicht!«

Das Blut floss wieder durch unsere Adern. Warmes Blut von richtig lebendigen Menschen. Es tat gut, sein Rauschen zu spüren. Allmählich verebbte unsere Heiterkeit, wir standen atemlos da, mit Tränen in den Augen.

Ein Taschentuch auf die Nase gepresst, drehte Raymond den Toten mit der Fußspitze um. Dann trat er beiseite, um nach frischer Luft zu schnappen.

»Gott, was stinkt das.«

Cottet gluckste wieder auf.

»Das nenn ich stinken, meine Fresse! Is ja nich möglich, das is echt der Furzekönig!«

»Ich weiß nicht, wer das ist, aber den hat einer kaltgemacht.«

Dass er sich selbst hier eingeschlossen haben könnte, hatte zwar keiner von uns gedacht, aber Raymonds Bemerkung brachte uns auf den Boden der Tatsachen zurück. Wir hatten die sterblichen Überreste eines Ermordeten am Hals.

Schweigen breitete sich aus. Tiefes Schweigen. Unterbrochen allein vom Wind, der schneeige Böen heranwehte. Über dem Montmartre würde bald der Morgen anbrechen, und durch den Leichengestank hindurch roch es schon schwer nach den Scherereien, die sich am Horizont zusammenbrauten.

Sie hatten nicht lange auf sich warten lassen. Als würde ich sie magisch anziehen.

Nach Paris war ich aus meinem heimatlichen Südfrankreich heraufgezogen, fest entschlossen, den Alltagstrott bei der Abfahrt am Bahnsteig zurückzulassen. Doch kaum angelangt, hatte ich schon die Armut wie einen Blutegel am Hals.

Am Montmartre blühte die Boheme und verströmte einen Duft von Freiheit. Und welkte ebenso rasch dahin. Ein winselnder Magen, ein Schuhwerk, das keiner Pfütze widerstand, die unbezahlte Hotelmiete und die Schuldentafel im Bistro waren das Los der Künstler meines Schlages. Jener Hungerkünstler also, die rund um das »Chat Noir« ihr Glück suchten, wie es im Lied so schön heißt. Trotzdem war ich davon überzeugt, ein Versemacher erster Güte zu sein. Mit achtzehn zweifelt man an nichts und niemandem. Und schon gar nicht an seinem Talent. Mit dem meinigen glänzte ich in der »Wütenden Kuh«, dem Cabaret »La Vache enragée« von Maurice Hallé.

Colomer hatte mich dort reingebracht. Fabelhafter Kerl, dieser Colomer. Ich hatte ihn in Montpellier kennengelernt, auf einer Versammlung, wo er unter der schwarzen Fahne die frohe Botschaft verkündete. Meine Begeisterung hatte ihn amüsiert.

»Schau ruhig mal beim Libertaire vorbei, Kleiner. Für dich ist da immer ein Platz frei.«

Die Art Sprüche eben, die man in der Euphorie des Augenblicks so von sich gibt, ohne ihnen Bedeutung beizumessen, die aber das Zeug haben, das Hirn eines Halbwüchsigen zu erobern. Ein Jahr lang grübelte ich darüber nach und träumte von Brüderlichkeit und großem Abenteuer.

Und dann, eines Tages, hielt ich es nicht mehr aus und zog los. Bonjour Paris!

Postwendend stand ich beim Libertaire auf der Matte. Colomer bot mir ein Bett an. Am nächsten Tag machte er mich mit Hallé bekannt, einer Art Bauernpoeten, der auf den Spuren von Gaston Couté wandelte. Zu jeder Tages- und vor allem Nachtzeit lief er in einem blauen Arbeitskittel herum, mit Schlapphut überm Ohr und Künstlerschleife um den Hals.

Da er keine allzu hohen Ansprüche stellte, durfte ich mich in seinem Cabaret an der Place Constantin-Pecqueur produzieren. Dort brüllte ich von einem Podest meine Verse durch die Rauchschwaden, um mit meiner Fistelstimme den Lärm im Saal zu übertönen.

Die übrige Zeit verbrachte ich mit kleineren Gelegenheitsarbeiten: Zeitungsverkäufer, Aufreißer vor Nachtklubs, Laufbursche und sogar Totenwäscher in der Leichenhalle.

Letztendlich räumte ich meine Schlafstatt bei Colomer und bezog eine möblierte Unterkunft in Château-Rouge. Eine schlecht beheizte Bude mit Wanzen in der Matratze und Trennwänden so dick wie das Zigarettenpapier von Job. Wenigstens konnte ich von den Konzerten in den Nachbarzimmern profitieren: Variationen für Sprungfedern und Seufzer. Ein abendfüllendes Programm.

Seit Kurzem hatte ich mich mit einer Bande Illegalisten, wie man sie damals nannte, angefreundet. Da Besitz bekanntlich Diebstahl ist, konnte man auch gleich zum Räuber werden. Wir stahlen ja nicht, wir holten uns nur etwas zurück – ein kleiner, aber feiner Unterschied! Seit Bonnot und den tragischen Banditen war diese Mode zwar abgeflaut, hatte aber immer noch ihre Anhänger.

Kurzum, ich hatte mich mit Raymond, Cottet und Lebœuf eingelassen, einem Trio von Schmalspurganoven. Ich war die Nummer vier im Bunde der Blutsbrüder. Na ja, Waffen waren tabu. Kein Blut bei der Arbeit war unsere eiserne Regel! Und unsere Lebensversicherung, schließlich war das Schafott noch im Dienst, und auf keinen Fall wollten wir im Morgengrauen der Witwenmacherin in die Arme sinken.

Trotzdem, als ich so vor der furzenden Leiche stand, sah ich deutlich, wie sich im bleichen Licht der Dämmerung über unseren Köpfen der Schatten der Guillotine erhob.

Der Wind hatte sich gelegt. Die ersten Sonnenstrahlen drangen ins Zimmer, aber unser Albtraum gehörte nicht zu denen, die sich beim Aufwachen in Luft auflösen. Der Bursche lag immer noch auf dem Parkett, steifer als ein Besen.

Erfolglos hatte Raymond ihn abgesucht und seine Kleider durchwühlt … Nichts, keine Spur, kein Hinweis. Reinweg gar nichts! Ein Toter ohne Stammbaum. Seine ausgetretenen Schuhe und sein fadenscheiniger Anzug verrieten den Habenichts. Sein Hemd war offensichtlich das Einzige, was am Monatsersten gewaschen wurde, um dann bis zum Dreißigsten durchgetragen zu werden. Diese erbärmliche Leiche passte einfach nicht in einen Luxussafe.

Es hatte uns jedenfalls eine Heidenarbeit gekostet, das Ding von der Avenue Junot herzuschleppen. Bei einem Bruch gibt es zwei Techniken: Entweder wird vor Ort operiert oder abtransportiert. Letzteres ist zwar schwieriger, erlaubt es aber, die Beute gleich heimzuschaffen. Was ganz praktisch ist, wenn man nur wenig Zeit hat. Um den Fichet-Tresor abzuschleppen, hatte Lebœuf sich selbst übertroffen. Man muss dazusagen: Im zivilen Leben war er Kirmesringer. Von Neuneu bis Nation ließ er im engen Trikot vor den Jahrmarktbuden die Muskeln spielen.

Während ein Knilch mit Megafon schmetternd die Werbetrommel rührte, stemmte Lebœuf Hanteln, so schwer wie Eisenbahnschienen. Die Kandidaten für den Kampf rannten ihnen nicht gerade die Bude ein, wenn sich aber ein Wichtigtuer bereitfand, gab Lebœuf immer acht, ihn nicht zu ramponieren. Er hatte ein sanftes Gemüt.

»Mit wem wollen Sie kämpfen, und wie? Greco-Ringen, Pankration oder die neue, furchtbare Disziplin direkt aus Amerika: das Catchen! Sie haben die Wahl, Monsieur, oder überlassen Sie Madame die Entscheidung! Der Erste, der seinen Gegner in den Staub schickt, wird zum Sieger erklärt. Achtung, beide Schulterblätter müssen den Boden berühren. In aller Fairness! Unser Ringrichter Lord Springfield, Boxkampfspezialist aus London, wird über den vorschriftsmäßigen Ablauf des Kampfes wachen. Kommen Sie, treten Sie ein, meine Herrschaften, und Sie bekommen eine tolle Show und grandiosen Sport zu sehen! Treten Sie ein, meine Damen, und bewundern Sie die prächtigen Athleten, die der antiken Olympiaden würdig sind. Treten Sie näher, treten Sie ein, Militärangehörige zum halben Preis!«

Als sich die Gelegenheit bot, hatte Lebœuf ohne große Worte von gusseisernen Gewichten auf Panzerschränke umgesattelt.

Krebsrot, mit gespannten Muskeln, hervortretenden Augen und geschwollenen Halsschlagadern dick wie Gartenschläuche, stemmte er Kästen, für deren Aufstellung es mindestens vier starke Kerls gebraucht hatte. Wenn er ihn weit genug vom Boden hochgehoben hatte, rollten wir eine Sackkarre darunter, und ab ging die Post! Für unsere Umzugsaktionen machten wir immer ebenerdige Räumlichkeiten ausfindig, denn mit so einer Fracht kam ein Treppauf-Treppab definitiv nicht in Frage. Raymond hatte einen Satz Rampen gezimmert, mit denen wir es die Stufen der Außentreppen hinunterschafften und unsere Bürde hinten auf den wartenden Lastwagen verladen konnten. Bei Lebœuf daheim weideten wir unsere Trophäen aus. Seine Bude diente als Lager. Da die Jahrmärkte weiterzogen, er sich aber weigerte, Paris zu verlassen, war er Lumpensammler geworden. Er las allen möglichen Kram auf, aber ein plombierter Speiseschrank, bestückt mit nicht mehr allzu frischem Fleisch, war eine echte Premiere.

Wütend brach Cottet das Schweigen.

»Und das in so einer stinkbürgerlichen Villa, mit Stuck und Gold überall. Scheiße, man kann sich auf nichts und niemanden mehr verlassen!«

Ich für meinen Teil wollte das Ganze schnellstmöglich hinter mich bringen und riskierte eine Frage: »Und wie werden wir die Leiche jetzt los?«

Raymond dachte nach: »Wartet mal! Wenn der Geselle hier zum Abkratzen in die feinen Viertel gegangen ist, dann sicher aus gutem Grund. Und ich wüsste zu gern, welchem.«

Lebœuf hatte sich nicht gerührt. Cottet sah Raymond an. »Du hast doch einen Hintergedanken.«

»So eine Leiche, die kann richtig Kohle bringen. Würde mich wundern, wenn der Tresorbesitzer die Polizei ruft, solange der Typ hier ist. Das lässt uns Zeit, um uns ein bisschen umzuhören.«

Mich fragte keiner, aber ich fand, es roch brenzlig. »Vielleicht war es ja gar nicht der Besitzer, der ihn umgelegt hat.«

»Ja sicher, der Mörder hat ihn als Weihnachtsgeschenk vorbeigebracht«, witzelte Cottet.

»Vielleicht war es ja das Dienstmädchen«, warf ich ein, um mich nicht so schnell geschlagen zu geben.

»Wir hatten den Coup genau für dann geplant, wenn sie ins Kino geht. Blöd nur, dass sie vor der Abendvorstellung noch einen Typen abgemurkst hat.«

Cottet hatte beschlossen, keine Pointe auszulassen. Raymond lächelte.

»Schau mal, Kleiner, der Besitzer kommt in drei Tagen zurück. Wenn er die Polypen einweiht, hast du Recht gehabt. Aber ich kann mir, ehrlich gesagt, nicht vorstellen, dass er den Einbruch meldet.«

Sie waren offensichtlich drauf und dran, in einen Riesenschlamassel reinzuschlittern. Trotzdem, ich hatte nicht den Mut, sie allein absaufen zu lassen. Vielleicht braucht es zum Desertieren manchmal mehr Mumm als dafür, sich ins Gefecht zu stürzen.

»Na schön, aber was machen wir jetzt?«

Raymond prüfte die Leiche mit der Schuhspitze.

»In seiner luftdichten Kiste wird er nicht so stinken. Räumen wir ihn da vorerst mal wieder rein und gehen ein bisschen auf Erkundigungstour.«

Lebœuf brauchte keine Anweisungen. Mit dem gleichen Zartgefühl wie beim Gewichtheben packte er den Leichnam. Aber der Typ wollte nicht mehr zurück in seine Kiste. Lebœuf stopfte wie wahnsinnig. Man hörte Knochen krachen. Mir wurde immer mulmiger. Solche Sachen sind nur im »Grand Guignol« lustig.

Schließlich gab der Tote nach. Und wie um zu zeigen, dass er wirklich eine umgängliche Leiche war, ließ er, als die Tresortür zufiel, noch einen fahren. Aber mir war das Lachen endgültig vergangen.

Nach getaner Arbeit gingen wir raus, Straßenluft schnuppern. Sie hatte mir noch nie so gut getan. Dick in Morgennebel eingemummelt, verschwand Paris unter dem Schnee. Alles roch sauber und frisch wie am Waschtag. An den Flanken des Montmartre stiegen weiße Schwaden auf und verloren sich im wolkenverhangenen Himmel. Ich verabschiedete mich von den Jungs und kramte meine Pfeife aus der Hosentasche.

Die Pfeife hatte ich mir aus Prahlerei zugelegt. Ein modisches Accessoire, das man sich zwischen die Lippen klemmte, um als Künstler durchzugehen. Dachte ich jedenfalls. Nach dem ersten Mal war mir sterbenselend geworden, aber ich bin ein Dickkopf. Zu guter Letzt habe ich mich stärker dran gewöhnt, als mir lieb war. Darum hatte Cottet mir den Spitznamen Pipette verpasst, Pfeifenkopf. Für einen Dichter nun wirklich nicht das Wahre.

In der Rue des Martyrs begegnete ich dem Milchmann mit seiner Karre. Sein ausgemergelter Klepper schlingerte auf allen vier Hufen daher. Jeden Tag etwas langsamer, jeden Tag etwas trauriger und in sein Schicksal ergeben, das ihn alsbald in Richtung Schlachthof führen würde. Solche Geschichten machten mich fertig. Das Leben ist zum Kotzen.

Ich kam rechtzeitig zum Anheuern beim Félix-Potin-Laden am Boulevard de Rochechouart an. Da man in der »Wütenden Kuh« mehr schlecht als recht über die Runden kam, bot ich meine Arbeitskraft als Flaschenwäscher feil. Die einen spülen sie runter, die anderen aus. Und manchmal waren es dieselben, nach den Schnapsnasen meiner Kollegen zu urteilen.

Ich weiß nicht, ob es an den Ausdünstungen des schlechten Weins lag, aber während ich die Literflaschen säuberte, ging mir der Tote nicht aus dem Kopf. Am meisten setzte mir sein Lächeln zu. Wenn man ihn nicht mit einem mörderischen Witz zur Strecke gebracht hatte, wollte mir nicht in den Schädel, was er so lustig hätte finden sollen. Außer die Grimasse war sein normaler Gesichtsausdruck. Auch das ließ mich nicht mehr los: Ich hatte das Gefühl, einem Typen wie ihm schon mal begegnet zu sein. Ein ausgebufftes Kerlchen, immer hinter einer heißen Geschichte her, ein rasender Zwei-Groschen-Reporter mit Wind in den Taschen und Löchern in den Sohlen. Ein kleiner Schnüffler und Schreiberling bei dem Käseblatt, für das ich manchmal ein paar Zeilen schrieb. Jetzt war ich mir sicher: Ich hatte ihn bei Meunier gesehen.

Der dicke Meunier hatte eine von diesen Zeitungen gegründet, von denen es vor Ort zwei oder drei gab. Ein Skandalblatt. Ob wahr oder falsch, Hauptsache, es wurde was in Umlauf gebracht. Dazu reichte es, Augen und Ohren aufzusperren. Hier eine Beobachtung, dort eine Information, und zu guter Letzt erwischte man eine alte Gräfin am Arm ihres Gigolos, einen Financier, der verdächtig schnell reich geworden war, oder eine Schauspielerin mit dunkler Vergangenheit. Dem fügte man, um die Spalten zu füllen, ausreichend Details und Andeutungen hinzu, und brauchte dann nur noch abzuwarten. Für gewöhnlich kam das Geld noch vor der Veröffentlichung, und der Artikel landete im Papierkorb. Wenn das Opfer nicht schnell genug schaltete, blieb ihm nichts anderes übrig, als die Kioske abzuklappern und den gesamten Zeitungsbestand aufzukaufen. Die Unbelehrbaren begründeten die pikante Reputation der Gazette. Meunier hatte sie Le Cri de Paris getauft. Ich war nicht besonders stolz auf meine Mitarbeit, aber von irgendwas muss der Mensch ja leben. Mein Job bestand darin, ein paar schlagkräftige Zeilen aus dem zu machen, was Meuniers Bluthunde anschleppten, die in der Mehrzahl unfähig waren, irgendetwas aufs Papier zu bringen. Dabei verdiente man sich zwar keine goldene Nase, aber bei einem bösartigen Klienten saß als Prämie immer noch ein blaues Auge drin.

Der abgemurkste Kerl dagegen hatte vielseitige Talente gehabt – Schlitzohr, Schlüssellochgucker und Schreiberling. In die Redaktion schneite er meist nur kurz herein, um seine vor Gehässigkeit triefenden Schmähschriften abzuliefern. Rouleau! Genau, Rouleau hieß er, und seine Blitzbesuche boten ihm stets einen Vorwand für irgendein blödes Wortspiel. »Achtung, hier kommt Rouleau, die Dampfwalze!« »Vorsicht, brandheiß und topaktuell, Rouleau läuft auf vollen Touren!« Derlei Sprüche würde er jetzt jedenfalls nicht mehr klopfen.

Am Ende meines Arbeitstages hatte ich mehr Pullen geputzt, als ein ganzes Regiment Saufbolde hätte leeren können. Während ich mit einem eisigen Wasserstrahl Hals und Boden der Flaschen abspritzte, lief in meinem Kopf eine kleine Kinovorstellung: Rouleau war bei dem Grafen wohl hinter einer Geschichte her gewesen, die ein böses Ende genommen hatte, und war dabei, ehe er sich’s versah, selbst hopsgegangen. Auch blaues Blut kann in Wallung geraten. Raymond hatte Recht, so eine Leiche war bares Geld wert.

Ich holte meinen Lohn. An der Kasse zählte ein Schnauzbart mit Kneifer und schwarzen Fingernägeln die Scheine ab. Er hielt es nicht für nötig, lange zu zählen. Schweigend steckte ich den Lohn meiner vom kalten Wasser ramponierten Hände ein und verzog mich.

Der Cri de Paris lag in der letzten Etage eines windschiefen Gebäudes. Meunier hatte dort aus zwei kleinen Zimmerchen einen Arbeitsplatz geschaffen und ihn hochtrabend »Redaktionssaal« getauft. Ein paar Schreibtische, auf denen sich Mappen voller Tratschgeschichten und bösartiger Gerüchte stapelten, überall Papier, Nachschlagewerke, Stadtpläne von Paris und diverse Verzeichnisse der oberen Zehntausend.

Für sich selbst hatte der Hausherr ein angrenzendes Büro mit separatem Eingang reserviert. Dort empfing er seine Opfer, um sie mit einer ganzen Batterie abgefeimter Methoden zu umgarnen. Dabei war er kein schlechter Kerl. Ich hatte mehrmals Gelegenheit, mich davon zu überzeugen, wenn er mir mit ein paar Geldscheinen aushalf. Vielleicht erinnerte ich ihn an den Jungspund, der er selbst einmal gewesen war, bevor aus ihm ein fetter Hai wurde.

Meunier trieben weder Bosheit noch Geldgier. Seine Arbeit brachte ihm häufiger Ärger als fette Gewinne. Ich glaube, er machte es aus Überdruss. Die menschliche Komödie war ihm lästig, und das hier war die einzige Möglichkeit, die er gefunden hatte, um darin eine Rolle zu spielen, die seiner Langeweile angemessen war. Innerlich so verfault wie seine Zahnstummel, schleppte er seine Masse mit der Gleichgültigkeit eines schmuddeligen Dandys mit sich herum. Ich habe mich oft gefragt, ob das ganze Fett, das er sich angefressen hatte, ihm nicht ein zusätzliches Vergnügen verschaffte, indem es bei seinen unfreiwilligen Besuchern Unbehagen hervorrief.

Als ich eintrat, sah er von einem Stapel Dokumente auf und zündete seinen Zigarrenstummel wieder an. Der Geruch der falschen Havanna vermischte sich mit dem der Bernod-Briketts des Mirus-Ofens. Meunier streckte sich zufrieden in seinem Sessel aus:

»Mach’s kurz, ich hab nicht viel Zeit für dich.«

»Ich suche Rouleau.«

»Trifft sich gut, ich auch.«

Er bekräftigte seinen Satz mit einem Hustenanfall, der ihn krebsrot anlaufen ließ und die Speckschichten zum Zittern brachte. Als er sich wieder gefangen hatte, zog er sein Sacktuch heraus und steckte laut trompetend seinen Zinken hinein. Mit Kennerblick begutachtete er das Resultat, bevor er sich tief betrübt seiner Zigarre zuwandte.

»Miststück!«

Er steckte sie wieder in den Mund. Zwischen seinen Lippen sah der Stummel aus wie ein ekelhafter Schnuller. Meunier fing an, schmatzend daran zu saugen. Zufrieden darüber, dass sie noch zog, lächelte er.

»Aaahh! Also gut, was willst du von Rouleau?«

»Tja, ich dachte, er könnte mir vielleicht ein paar heiße Tipps geben.«

»Heiße Tipps? Rouleau? Der Tag ist noch nicht gekommen, an dem Rouleau gratis mit Tipps rausrücken würde … Tut mir leid, da kann ich dir nicht helfen, Kleiner. Seine tollen Tipps, die hätte er mir schon vor Tagen liefern sollen. Wahrscheinlich bloß heiße Luft, und da hat er sich dann erst gar nicht hergetraut.«

Ich ließ nicht locker. »War er denn an einer bestimmten Sache dran?«

»Der ist immer an irgendeiner Sache dran, behauptet er jedenfalls. In zwei von drei Fällen, weil er mir einen Vorschuss aus den Rippen leiern will. Ich kenn den Vogel.«

»Früher oder später zieht er bestimmt einen dicken Fisch an Land. Der hat was auf dem Kasten.«

Meunier rotzte ein austerngroßes Schleimgebilde in den Papierkorb.

»Ja, fragt sich nur, was! Und bei dir, Poet, gerade Flaute? Na, dann geh eben bei Rouleau vorbei, Rue de la Charbonnière 31. Bei der Gelegenheit kannst du ihm gleich ausrichten, wenn er mir innerhalb von achtundvierzig Stunden nichts geliefert hat, kann er sich einen anderen Trottel suchen.«

Er öffnete seine Schublade, griff mit einer Hand, so rundlich wie die eines Säuglings und noch dazu beringt, hinein und förderte Eintrittskarten zutage.

»Ich hab grad meine Spendierminute, du hast Glück! Morgen Abend, im ›Élysée-Montmartre‹, Thil gegen Latouche. Hier, nimm, das bringt dich auf andere Gedanken. Und jetzt zieh Leine! Ich hab schon genug Zeit verplempert.«

Ich steckte die Eintrittskarten ein, bedankte mich und ging hinaus, während er mir hinterherbrüllte: »Hau ab! Ich hab auch noch was anderes zu tun!«

Zwischen La Goutte d’Or und La Chapelle schossen die Bordelle wie Pilze aus dem Boden. Weit weg vom »Chabanais« oder dem »One Two Two«, wo sich die Pariser Prominenz traf, fiel die Rue Charbonnière in die allerletzte Kategorie.

Die Freier kamen von den Stadttoren und den Kasernen, auf der Suche nach einem traurigen Vergnügen, das den Armen vorgeworfen wurde wie Hunden ein elender Knochen. Die Buden ohne fließend Wasser waren pausenlos besetzt, eine Art Strafkolonie für Huren, die es am nötigen Respekt hatten fehlen lassen. Für die, die richtig Pech hatten, war hier Endstation. Lebenslange Zwangsarbeit, schlimmer als Zuchthaus.

Rouleau hauste in einem verwitterten Gebäude zwischen einem Stundenhotel und einem Kohlenhändler. Ich sprang über ein schmieriges Rinnsal, das sich zwischen den losen Pflastersteinen dahinschlängelte, und nahm die Treppe in Angriff. Ein Zinkschild verhieß fließendes Wasser auf allen Stockwerken. Das war nicht einmal gelogen. Es floss sogar über die Treppenabsätze.

Im dritten Stock wies eine vergilbte Visitenkarte auf Rouleaus möbliertes Zimmer hin. Ich klopfte sicherheitshalber an. Sein Geist kam trotzdem nicht, um mir aufzumachen. Nur das Geschrei eines Säuglings aus dem Stockwerk darunter antwortete mir. Ich wartete ein paar Sekunden, dann drehte ich den Türknauf. Die Tür hätte abgeschlossen sein sollen, und nach dem herausgerissenen Schloss zu urteilen, war sie das auch gewesen.

Das Baby weinte immer noch. Ich wäre besser runtergegangen, um es in den Schlaf zu wiegen, aber ich bin nun mal ein neugieriger Bursche. Ich tastete nach dem Schalter. Er schien verkehrt herum montiert zu sein, denn statt Licht spendete er völlige Dunkelheit. Eine absolute Finsternis, so tief wie das bodenlose Loch, in das ich fiel. Ein grässlicher Schmerz durchbohrte meinen Schädel. Dann hörte ich das Baby nicht mehr. Ich hörte gar nichts mehr. Ich hatte eben meinen ersten K.o. eingesteckt.

Als ich wieder aufwachte, drehte sich die Decke so schnell wie das Teufelsrad auf der Foire du Trône. Mein Schwerpunkt war verrutscht. Jeder Versuch, mich aufzurappeln, zog mich zurück Richtung Boden. Nach einer halben Ewigkeit schaffte ich es, bis zur Spüle zu kriechen. Ich drehte am Wasserhahn. Trotz des Heidenlärms in den Leitungen, der in meinen Hirnwindungen widerhallte, kam bloß ein dünnes Rinnsal durch. Von wegen fließend Wasser auf allen Stockwerken … Ich hielt meinen schmerzenden Schädel darunter, dann entschloss ich mich, dem heftigen Seegang zu trotzen und die Örtlichkeiten zu inspizieren. Ein Zyklon war über sie hinweggefegt. Ein richtiges Ruinenfeld, und darüber schwebten die Federn aus den zerschnittenen Kissen. Nicht einmal vor einem gerahmten Kalenderblatt des Angelusgebets von Millet hatte der Besucher Halt gemacht.

Armer Rouleau. Dieses Mal hatte er eine mordsmäßige Geschichte aufgetan. Die ihn dann mordsmäßig ins Jenseits befördert hatte.

Ich ging die Treppe hinunter, so vorsichtig, wie es mein komatöser Zustand eben zuließ. Aus der Hausmeisterloge roch es nach Kohlsuppe. Ich machte einen Bogen um die Concierge und ging hinaus.

Die Rue de la Charbo tanzte – die Gaslaternen, die dreckigen Mauern und die Passanten, die es zu den Öllampen der Dirnenhäuser zog. Taumelnd ging ich den Boulevard Barbès hinauf. Die Autos stotterten durch den kalten Abend. Die Hochbahn sauste rüttelnd über die eisernen Brückenbögen. Genau da hatte Fantômas einen ganzen Waggon verschwinden lassen. Fantômas! Als ob ich jetzt nichts Besseres zu tun hätte!

Taumelnd und ramponiert, wie ich war, sah ich aus wie ein Schnapsbruder auf Sauftour. Um die Ähnlichkeit auf die Spitze zu treiben, betrat ich die erstbeste Brasserie und flitzte zum Lokus. Bei meinem Versuch, dem Pinguin mit dem Tablett auszuweichen, stieß ich gegen eine unbekannte Schulter. Deren Besitzer wollte gerade ein Glas an die Lippen setzen, dessen Inhalt sich nun allerdings über sein Jackett ergoss.

»He! Passen Sie doch auf, alter Knabe!«

Der Fremde, der mich da »alter Knabe« nannte, hatte selbst noch nicht das dazu passende Alter. Jung, elegant und umschwärmt, musterte er mich hochmütig unter seiner Löwenmähne.

»Alles in Ordnung?«

»Lass ihn, André, er ist betrunken.«

»Nein, ich glaube nicht.«

Ich sah zwar, dass man sich für mich interessierte, war aber nicht in der Lage, auch nur den geringsten Laut von mir zu geben.

»Man möchte meinen, ein Mondsüchtiger.«

Der Typ mit der Mähne bot mir einen Sitzplatz an. Seine Freunde rückten zusammen. In der Mitte der Bank thronte André, der Löwe. Wie beim Letzten Abendmahl. Die Jünger beobachteten mich. Dann begannen alle gleichzeitig zu schnattern.

»Sein Blick, seht doch, sein Blick!«

»Der blinde Seher, verloren auf Weichen und Wegen …«

»Was siehst du, magnetisches Medium?«

»Da, er wird gleich zu uns sprechen.«

André gebot ihnen Schweigen und senkte seinen Blick in meinen. Ohne genau zu wissen wieso, stieß ich wie benebelt hervor:

»Der Tote … im Tresor …«

Meine Nachbarn raunten: »Ein Leichnam?«

»Haben Sie schon einmal einen Leichnam geohrfeigt?«

»Köstlich …«

»Scht! Fahren Sie fort, mein Freund.«

Der Spiegel hinter dem Tresen warf mein Bild zurück. Verflixt noch mal, was erzählte ich diesem Haufen von Unbekannten eigentlich? Ich schüttelte mich. Der Schmerz in meinem Schädel flammte wieder auf. Die Geräusche wurden schrill. Ich legte meine Hände an die Schläfen.