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Christian Biesenbach

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Beschreibung

Robert Bauer hat alles, was er immer wollte. Und sein größter Wunsch ist, dass das so bleibt. Als jedoch eines Morgens ein ins schleudern geratener Pickup pfeilschnell auf ihn und sein Motorrad zuschießt, ändert das alles. Nichts hält ihn mehr, unbändige Kräfte reißen ihn aus dem Sattel und er weiß, das ist sein Ende. Kurz darauf erwacht er in einer Welt voller Nebel, in der nichts echt zu sein scheint. Die Einsamkeit ist sein einziger Begleiter. Bald davon überzeugt, aus gutem Grund in seiner persönlichen Hölle gelandet zu sein, durchstreift er die Gegend. Langsam dem Wahnsinn verfallend, ahnt er nicht, dass in den undurchdringlichen Nebelschwaden etwas Böses lauert, das nur noch auf den richtigen Augenblick wartet, ihn für seine im Leben begangenen Sünden büßen zu lassen.

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Veröffentlichungsjahr: 2019

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Inhaltsverzeichnis

PROLOG

I

II

III

IV

V

VI

VII

VIII

IX

X

XI

XII

XIII

XIV

XV

XVI

XVII

XVIII

XIX

XX

Epilog

ÜBER DEN AUTOR

NEBELSUCHER

Christian Biesenbach

NEBELSUCHER

Autor: Christian Biesenbach

Covergestaltung: VercoDesign, Unna

Erstveröffentlichung: Juni 2017

Copyright © 2019 Christian Biesenbach

Kontakt:

Christian Biesenbach

Am Tannenbusch 4

53557 Bad Hönningen

E-Mail: [email protected]

Twitter: @ChrisBiesenbach

Blog: http://ch-thriller.blogspot.com

Facebook: https://www.facebook.com/ChBiesenbach/

Klar sieht, wer von Ferne sieht – und nebelhaft, wer Anteil nimmt.Laotse

Leben, Nebel

lebeN, nebeL

PROLOG

Tagebuch

Letzter Eintrag

Ich bleibe keine Sekunde länger hier. Das kann nicht so bleiben. Bin ich wahnsinnig? Ich muss raus hier. Raus! Habe ich nicht alles versucht? Ich habe dieses Schicksal nicht verdient.

Etwas in meinem Inneren sagt: „Das kann nicht das Ende sein.“ Ich will nicht, dass es das Ende ist. Deshalb kehre ich nicht zurück. Ich werde einen Weg finden. Fort von hier. Einfach weg. Alles ist ein Albtraum. Das ist nicht der Tod. Die Frau im Nebel hat es mir erzählt ... Die Frau. Sie ist die einzige, der ich trauen kann. Die anderen, die Schatten und Monster, die Schemen in der Dunkelheit, die immer näher gekrochen kommen, die haben nur ein Ziel. Sie kommen jede Nacht näher heran. Wenn man genau aufpasst, kann man sie zähnefletschend und mit den Kiefern mahlend in der Dunkelheit hören, knurrend und geifernd. Ich bin längst sicher: Bald werden sie da sein, um mich zu fressen. Sie kommen, um mich zu verschlingen! Jeden Hinweis auf mich und mein Dasein vom Antlitz dieser menschenleeren Erde tilgen, das ist der einfache Plan.

Aber so einfach werde ich es ihnen nicht machen! Ich werde nicht bleiben, um auf das böse Ende zu warten...

Ich … ich werde es finden …

I

Begrüßung

Hallo. Mein Name ist Robert Bauer. Stellen Sie sich doch bitte einmal vor, Sie säßen auf einem Stuhl in einem ansonsten leeren Raum. Die Wände sind karg und weiß - oder grau, ganz wie Sie wollen. Es gibt nichts. Nichts, das ihr Interesse wecken könnte. Und so sitzen Sie dort und beschäftigen Sie sich mit einer einzigen Frage.

Wie sieht meine persönliche Hölle aus?

Wie wäre ihre Antwort? Was kommt Ihnen beim Grübeln über das ewigwährende Fegefeuer in den Sinn? Oder wissen Sie es vielleicht sogar?

Hätten Sie mich vor einiger Zeit danach gefragt, ich hätte mir mit dem Zeigefinger an den Kopf getippt und Sie für unzurechnungsfähig erklärt. Ganz einfach, weil ich es mir kaum hätte vorstellen können. Und wenn es Ihnen ähnlich geht, ist das gar nicht schlimm. Auch ich habe mir diese Frage zuvor nie gestellt. Weshalb auch? Wenn man es rational betrachtet, ist es eine dumme Frage. Eine Frage, die impliziert, dass man an Gott, den Teufel, Himmel und Hölle und den ganzen übernatürlichen Quatsch mit dem Leben nach dem Tod glaubt. Als überzeugter Ungläubiger habe ich in meinem Leben nie eine Sekunde damit verschwendet. Für mich war immer klar: Wenn man stirbt, ist es vorbei. Das war meine Überzeugung. Es ist ein ewiges Mantra, das immer wieder klar macht, dass ein Leben nach dem Leben rein logisch ausgeschlossen ist. Ich finde, man kann gut damit leben. Man kann diese schwerwiegende Frage sodann zu den Akten heften und sich einfach auf anderes konzentrieren. Und wenn es dann an der Zeit ist, den Löffel abzugeben, dann tut man es halt, um für immer vom Antlitz der Welt zu verschwinden. Ein Name auf einem Grabstein und ein paar Erinnerungen werden bleiben, ein wenig die Zeit überdauern und das war’s.

Wenn ich in dieser Sekunde daran denke, wünschte ich, ich würde Ihnen nachfolgend nicht erzählen, was mich davon abgebracht hat, diese herrlich einfache Denke beizubehalten. Denn ich mag sie, weil sie keinen Spielraum für Fantastereien und dergleichen lässt. Leider ist sie schlichtweg falsch. Das Ende ist nicht das Ende. Es ist nur das Vorspiel für Schlimmeres. Schlimmer, als sie es sich jemals ausmalen könnten…

»Der Mann ist verrückt«, höre ich schon einige rufen und auch das mag in gewisser Weise stimmen. Nach allem, was mir widerfahren ist, bin ich nicht sicher, ob in meinem Oberstübchen tatsächlich noch jede Tasse richtig im Schrank steht. Darum jedoch geht es nicht … Es geht um … Es … Ich merke, ich schweife ab. Also zurück zum eigentlichen Thema.

Ich bat Sie gerade eben darum, sich vorzustellen, wie Ihre eigene Hölle aussieht. Haben Sie mittlerweile ein Bild davon? Ja? Gut. Und wenn nicht, ist das nicht schlimm. Denn ich werde Ihnen jetzt erzählen, wie meine persönliche Hölle aussieht. Nicht etwa, weil ich mir das so vorstelle, sondern, weil ich weiß, dass sie so ist, wie ich sie schildern werde. Woher ich das weiß? Woher ich … Woher?! Verzeihen Sie mir, dass ich lachen muss. Bitter und mit zusammengepressten Lippen, aber doch lache ich. Hören Sie gut hin. »Hahaha!«

Die Antwort auf diese Frage ist so simpel, dass ich sie Ihnen entgegenspucken möchte.

»Ich war dort!«, lautet sie. Ich war tot … und vielleicht bin ich das teilweise noch immer. Ehrlich gesagt, weiß ich es nicht genau. Weshalb ich hoffe, dass die folgende Erzählung auch mir dabei helfen wird, festzustellen, ob ich vollends den Verstand verloren habe. Wollen Sie also so freundlich sein, mich zu begleiten? Ja? Ich würde mich freuen, wenn wir es gemeinsam herausfinden.

Robert Bauer

II

Ein Leben vor dem Tod

»Vergiss nicht, Sandra nach der Arbeit an der Schule abzuholen. Sie hat heute Nachmittagsunterricht«, warf sie ihm zwischen Tür und Angel an den Kopf, ehe sie schon verschwunden war, um in ihren Mantel zu schlüpfen. Das bedeutete stets, dass sie in spätestens zwei Minuten das Haus würde verlassen haben.

»Aber ich wollte heute mit dem Motorrad zur Arbeit«, antwortete Robert, während er sich den Rest des Kaffees in die Tasse goss und sich vom Küchentisch erhob. Obwohl ihm nach rund siebzehn Ehejahren klar war, dass es vollkommen zwecklos war, etwas gegen die „Anweisungen“ der Hausherrin, seiner geliebten Frau Theresa, zu sagen, war es wohl ein törichter Instinkt, es doch immer wieder zu tun. Meistens bereute er es gleich, denn die zwangläufig folgenden Diskussionen führte seine bessere Hälfte prinzipiell mit unfairen Mitteln. Vielleicht war es Roberts Glück an diesem Morgen, einem sonnigen Montag im April, dass sie spät dran war und keine Zeit für einen Streit erübrigen konnte. Daher fiel ihre Reaktion knapp aus. In ihren schwarzen Mantel gehüllt und die schwarzen Business-Heels an den Füßen schob sie sich in die Küche, machte ein schmollendes Gesicht, was entzückend von ihren blonden Haaren eingerahmt wurde, und sagte in einer gehetzten, imitierten Kinderstimme: »Oooh. Kann der arme kleine Robby heute halt nicht mit seinem Dreirädchen fahren. Oooh. Dann muss er das wohl an einem anderen Tag machen.« Danach verschwand das Schmollen und wurde durch einen ernsten Blick ersetzt, dem eine klare Ansage folgte. »Sandra hat nach der Schule einen Zahnarzttermin. Ich fahre heute Nachmittag mit Danny in diese Theateraufführung, die von der Grundschule für die Zweitklässler organisiert wurde. Also musst du sie abholen, sonst kommt sie nicht rechtzeitig dorthin. Und du weißt ja, wie der Doktor ist. Und du weißt auch, dass ich es nicht erlaube, dass du sie auf dieser teuflischen Höllenmaschine kutschierst.«

Ehe er etwas darauf erwidern oder protestieren konnte, kam sie herangerauscht, drückte ihm einen flüchtigen Schmatzer auf die Lippen. »Und vergiss nicht, du hast heute diesen Termin, wegen dieser Sache mit der Arbeit. Was war es noch? Irgend so ein Medikamentendingens. Egal, du weißt, was ich meine.« Sie flötete ein: »Tschüss. Ich liebe dich« hinterher und war aus der Haustür, ehe er seine Lippen auseinanderbekommen hatte, um irgendwas zu sagen.

»Aber es ist doch der erste richtige Frühlingstag. Das erste Mal, dass ich die Maschine wieder fahren kann, ohne mir Frostbeulen zu holen. Und dieses Medikamentendingens ist eine ernste Sache. In den letzten Wochen wurde wohl einiges an Mist mit den Medikamenten im Heim getrieben. Größere Mengen Pentobarbitol sind scheinbar verschwunden«, sagte Robert kurz darauf zu niemandem, denn er war alleine in der Küche zurückgeblieben. Zunächst jedenfalls. Denn ein paar Sekunden später, Theresas BMW X1 rollte bereits mit ihr am Steuer und Sohn Daniel an Bord rückwärts die Kiesauffahrt hinunter, kam Sandra hereingeeilt. Sie umrundete den Tisch mit der Anmut einer Klassetänzerin im Alter von gerade sechzehn Jahren, öffnete den Kühlschrank und fischte einen Joghurt heraus. In ihren Gesichtszügen erkannte man deutlich Theresas Schönheit. Eigentlich hatte sie beinahe alle guten Gene ihrer Mutter, nur die braunen Haare sprachen eindeutig für Robert. Und die Tatsache, dass sie nie um einen flotten Spruch verlegen war, so deplatziert er auch sein mochte. Ob das eine gute oder schlechte Eigenschaft war, darüber ließ sich trefflich streiten.

»Du brauchst mich nach der Schule nicht abholen, Papa«, sagte sie beispielsweise jetzt ganz keck und löffelte dabei den Joghurtbecher in rekordverdächtigem Tempo aus. »Ich weiß, Mama macht Stress wegen des Zahnarzttermins, aber ich komme echt von da genauso schnell mit dem Bus hin. Ehrlich. Also hol das Motorrad ruhig aus der Garage und genieß den Tag. Musst halt nur vor ihr wieder hier sein. Dann kannst du ihr auch direkt erklären, dass ich nach dem Zahnarzt noch zu Lucie bin. Wir wollen für die Matheprüfung übermorgen büffeln.« Während sie das sagte, schaute sie ihn nicht einmal an und wäre bereits wieder aus dem Raum verschwunden, hätte Robert ihr nicht dezent den Weg versperrt, sodass sie nicht darum herum kam. Er warf ihr einen väterlich kritischen Blick zu, nippte anschließend abwartend an seiner Kaffeetasse und schien mit der Vorahnung, die ihn überkommen hatte, Recht zu behalten.

»Papa! Ich muss los. Sonst komme ich zu spät zur ersten Stunde«, protestierte sie und konnte nicht verhindern, im Gesicht rot anzulaufen.

»Hast du heute nicht erst zur zweiten Stunde Unterricht?«, fragte er und nahm einen weiteren Schluck. »Andernfalls wärest du doch sicher gerade mit deiner Mutter gefahren. So, wie du es dienstags, mittwochs und freitags machst?«

»Ja … Nein … Ist doch egal. Kann ich jetzt mal durch?«

»Um was geht es wirklich, Sandra? Du magst das Schauspielern deutlich besser draufhaben als deine Mutter, aber das ist noch immer nicht annähernd genug, um mir was vorzumachen. Also?«

Robert machte einen Schritt zur Seite, um ihr die Möglichkeit zur sofortigen Flucht zu geben. Es hätte ihn nicht gewundert, wenn vor dem inneren Auge seiner Tochter in großen roten Buchstaben „ACHTUNG! ACHTUNG! VATER-TOCHTER-GESPRÄCH IM ANFLUG! ALARM!“ gestanden hätte. Noch weniger hätte ihn gewundert, wenn sie diese Warnung beherzigt hätte. Jedoch blieb sie stehen und seufzte endlich kapitulierend.

»Da ist so ein Typ … aus der Parallelklasse … «

So ein Typ? Die Worte ließen gleich alle väterlichen Alarmglocken läuten. Was für ein Typ denn? Rob spürte, wie der Wunsch nach dem Motorrad rasend schnell kleiner wurde. Natürlich würde er sie nach der Schule mit dem Auto abholen und höchstpersönlich zum Zahnarzt fahren. Und von dort aus zu Lucie oder wo auch immer sie noch hin wollte.

»Er ist echt cool«, versicherte sie schnell, »und wir wollten uns heute nach der Schule treffen ... Bitte, Papa ... Er ist in Ordnung. Ich brauche keinen Babysitter mehr, echt nicht.«

Er sah sie unverwandt an und sie schien seine Gedanken teilweise zu erraten.

»Ich verspreche dir, ich gehe zum Zahnarzt. Mama wird nichts davon mitbekommen. Und … ich stelle ihn euch vielleicht bald vor. Weiß ja nicht, wie es so laufen wird, aber ich habe ein gutes Gefühl. Okay?« Sie zog das „Okay“ länger als notwendig gewesen wäre und schaute ihn dabei mit diesem Blick an, den sie schon als Dreijährige draufgehabt hatte, wenn sie etwas unbedingt hatte haben wollen. Er hielt einen undurchsichtig bis strengen Blick noch einige Sekunden aufrecht, bevor er seufzte und sich eingestand, dass diesem speziellen Blick wohl kein Vater lange widerstehen konnte. Also senkte er den Kopf und nickte dann.

»Okay«, antwortete er und zog das Wort dabei ebenso lang, wie sie es getan hatte.

»Danke!« Ihre Umarmung kam unerwartet und sorgte beinahe dafür, dass Robert die Tasse fallen ließ. »Aber bitte sag es nicht Mama. Ich glaube, sie würde ausrasten oder so.«

»Ich sage nichts«, bestätigte er, schließlich war er kein Einfaltspinsel, der sich damit selbst verraten würde, dass er gegen ihre Anordnungen das Motorrad genommen hatte. Erst danach löste Sandra die Umarmung mit einem abermaligen »Danke!« und flitzte anschließend aus dem Raum, um ihre Schulsachen zusammenzusuchen. Fünf Minuten später, Rob hatte gerade den verwaisten Frühstückstisch abgeräumt, hörte er sie im Flur »Tschüss« rufen und das Haus verlassen.

»Tschüss«, antwortete er, aber das hatte sie sicher nicht mehr gehört.

Er beendete das Abräumen des Tisches mit dem Verstauen des Brotes im Brotschrank und schüttelte dabei einen Gedanken ab, der sich im Wesentlichen darum drehte, dass dieser Typ ein rowdyhafter Schläger nahe an der Volljährigkeit oder bereits darüber hinaus sein mochte. Seine Fantasie zeigte einen verwegenen Jungen, der lässig zwei Zigaretten auf einmal qualmte und dabei eines dieser fürchterlichen Tattoos am Hals offenbarte.

»Das ist doch albern«, wehrte er sich gegen die Hirngespinste. »Sandra ist kein kleines Kind mehr.« Und so war es ja auch. Die Zeiten, in denen er seine schützende Hand über sie hatte halten können, waren vorüber. Natürlich hätte er es trotzdem versuchen können, aber es war normal, dass derartiges Verhalten nur zu Problemen geführt hätte. Irgendwann war die Zeit des Beschützens vorbei, damit sich die eigenen Kinder selbst in der Welt ausprobieren und diese richtig entdecken konnten. Das war der Lauf der Dinge. Und bei Sandra war diese Zeit eben gekommen.

Theresa hatte Sandra auf die Welt gebracht, da waren Sie und Robert beide gerade 25 geworden. Erst drei Jahre danach waren sie offiziell vor den Traualtar getreten und hatten bis dahin (zum großen Argwohn ihrer Eltern) in wilder Ehe gelebt, wie man so schön sagte. Inoffiziell war der Augenblick, an dem sie erfahren hatten, dass Sandra unterwegs war jedoch ihr persönlicher geheimer Hochzeitstermin gewesen. Doch davon wussten nur sie beide.

Es waren turbulente Zeiten mit einigen Hindernissen und Widerständen gewesen. Aber sie schafften das. Theresa und Robert waren immer ein gutes Gespann gewesen und Sandra hatte sie noch mehr zusammengeschweißt. Irgendwie schafften es beide, beruflich voranzukommen, ohne dabei ihre Tochter zu vernachlässigen. Sie waren gar so erfolgreich darin, dass bald schon ein Haus gekauft werden konnte, das sie nach den eigenen Vorstellungen umbauten. Außerdem kamen mit der Zeit zwei Autos und ein Motorrad hinzu. Wenn man es ehrlich und unvoreingenommen betrachtete, ging es ihnen nie richtig schlecht. Vor allem Theresa hatte trotz Babypause bei der Bank eine ziemlich steile Karriere hingelegt. Und selbst Robert, als beinahe gewöhnlicher Sozialpädagoge, hatte es immerhin zu einem sicheren und durchschnittlich bezahlten Job in einem Alten- und Pflegeheim gebracht. Die zwei teilten sich seit jeher die Verantwortung der Kindererziehung und vergrößerten die kleine Familie neun Jahre nachdem Sandra das Licht der Welt erblickt hatte noch einmal. Daniel war ein ebenso großes Goldstück wie seine Schwester gewesen. Robert liebte sie beide vom ersten Moment an über alle Maßen …

Plötzlich überkam Robert ein seltsamer Gedanke. Ob mein Leben bis zu diesem Moment wohl so glücklich verlaufen wäre, hätte es die zwei nicht gegeben? fragte er sich ernsthaft und fand es dennoch komisch, dass er sich das überhaupt fragte. Klar hatten sie Einschränkungen mit sich gebracht. Wilder Sex in allen Räumen des Hauses war tabu gewesen und spontane Urlaube zu zweit, selbst wenn es nur am Wochenende war, gab es spätestens nach Daniels Geburt lediglich noch sehr spärlich und auch nur, wenn er oder Theresa ihre Eltern dazu überredeten, die Kinder für diese Zeit zu nehmen. Robert war das allerdings nicht so wichtig gewesen. Entscheidend war, dass sie glücklich waren und er glaubte, dass Theresa der gleichen Meinung war. Sie liebten sich wirklich nach über zwanzig Jahren noch und gingen durch dick und dünn miteinander. Zwar war Theresa mit der Zeit etwas einnehmend und beherrschend geworden, aber das nahm Rob ihr nicht übel. Vermutlich lag es an ihrem Beruf. Wenn es ihnen in der Vergangenheit zu viel geworden war, ließen sie beide gelegentlich ordentlich Dampf gegeneinander oder gemeinsam gegen jemand anderen ab, vorzugsweise Theresas Eltern, weil die sich immer noch einzumischen pflegten, als seien die beiden gerade achtzehn geworden. Danach waren sie jedenfalls stets wieder auf einer Wellenlänge. Es war wie ein reinigendes Gewitter, das eine bedrückende Sommerschwüle hinfort spülte und es hatte bislang immer funktioniert.

Ein Lächeln trat unvermittelt in sein Gesicht. Denn er war außerdem davon überzeugt, dass ihre Bettaktivitäten trotz langjähriger Beziehung noch immer beachtlich waren. Und obwohl er keine Vergleichszahlen hatte, war er ziemlich sicher, dass sie sich in einer Statistik dazu ziemlich weit oben wiederfänden.

Der heranschießende Gedanke an die vergangene Nacht machte sein Grinsen noch ein wenig breiter. Leidenschaft war gar kein Ausdruck dafür gewesen, dachte er und wischte die Erinnerung mit einem Kopfschütteln weg. Wieso dachte er ausgerechnet heute Morgen an all diese Dinge?

Er schaute auf die Uhr und war erstaunt, wie die Zeit verflog. Viertel vor acht. Jetzt war es also auch für ihn höchste Zeit, sich für die Arbeit zu kleiden. Und da er mit dem Einverständnis seiner Tochter nun fest ins Auge gefasst hatte, das Motorrad zu nehmen, blieb ihm noch ein bisschen weniger Zeit.

Obwohl Robert sein Motorradzeug nicht auf Anhieb fand, schaffte er es, sich innerhalb der nächsten fünfzehn Minuten fertig zu machen, das Haus zu verlassen und die wunderbare schwarze Ducati Diavel aus ihrem Winterschlaf in der Garagenecke zu wecken. Schon das fordernde Röhren des Motors im Leerlauf bescherte ihm einige Glücksgefühle. Dieser Sound bedeutete Freiheit, Abenteuerlust, Geschwindigkeit. Er schob das Motorrad die Kiesauffahrt hinunter, über den Gehweg und auf die Straße. Dort wurde er unvermittelt von der neuen Nachbarin aufgehalten. Soviel er wusste, war ihr Name Tanja Kohl. Sie war wohl ende Dreißig, schlank, brünett, groß gewachsen und hatte ein ebenmäßiges Gesicht, das aber ständig den Eindruck bei ihm erweckte, dass sie irgendetwas zu verbergen schien. Sie war neben den Bauers eingezogen, lebte allein und arbeitete in diesem neuen Forschungskomplex, den sie zwischen Neesheiden und Fledhausen mitten im grünen Feld aus dem Boden gestampft hatten. EZ-Experimentals. Ein riesiges Areal.

»Morgen, Herr Bauer«, grüßte ihn Tanja gut gelaunt, die gerade von einer Joggingrunde zurück zu kommen schien. Ihre Proportionen waren sehr weiblich und das versteckte sie in ihrem Sportoutfit auch nicht.

»Ja. Guten Morgen, Frau Kohl. Ein schönes Wetterchen, was?«

»Kann man wohl sagen. Genau richtig für eine Runde Frühsport. Eine schöne Maschine haben Sie da. Eine Diavel?«

»Richtig. Sie interessieren sich für Motorräder?«

Sie lachte: »Nein, nein. Es steht dort an der Seite. Die Wahrheit ist: Ich habe eine Mordsangst vor diesen Feuerstühlen und würde mich nie auf einen setzen. Aber ich finde sie äußerst faszinierend.«

»Oh das sind Motorräder auf jeden Fall. Und das Fahrgefühl ist mit dem Autofahren gar nicht zu vergleichen. Aber … Es tut mir leid, wir reden besser ein anderes Mal weiter. Ich fürchte, ich komme andernfalls zu spät zur Arbeit.«

»Sie arbeiten im Sankt Johannes Altenheim nicht wahr? Entschuldigen Sie, dass ich das frage, aber hatte mein Arbeitgeber Sie und Ihre Einrichtung nicht um die Teilnahme an einer Studie zu Demenzerkrankungen gebeten?«

Irgendwie hatte Robert geahnt, dass das Gespräch auf dieses Thema kommen würde. Das gefiel ihm gar nicht und so reagierte er schmallippig. »So ist es. Und wir haben uns dagegen entschieden. Mit geltenden Menschenrechten ist das nicht vereinbar, was ihr Chef da plant.«

»Aber, aber, so schlimm ist es ja nun auch nicht. Wir wollen ja keine Versuche mit Ihren Demenzkranken anstellen. Es geht vorwiegend um die Analyse gewisser Hirnareale.«

»Dazu hat wohl jeder seine eigene Meinung. Insgesamt habe ich in dieser Sache aber keine Entscheidungsbefugnisse … Ich muss jetzt leider wirklich los. Bis die Tage.«

»Ja, machen Sie es gut, Herr Bauer. Und winken Sie mal kräftig für mich, wenn sie an EZ-E vorbeifahren. Ich habe heute meinen freien Tag und werde die Kollegen nicht sehen.«

Er stutzte kurz, weil er sich nicht erklären konnte, woher sie wusste, wie er zur Arbeit zu fahren pflegte, aber da es nur eine größere Straße nach Sankt Johannes gab, war es wohl klar, dass er an ihrem Arbeitsplatz vorbeimusste.

»Na dann wünsche ich Ihnen einen schönen Urlaubstag.« Damit setzte er sich in Bewegung und (ohne sich noch einmal nach ihr umzuschauen) schob das Motorrad bis zur nahen Abbiegung in die Hauptstraße. Erst dort setzte er den Helm auf, klappte das Visier herunter, aber erst nach einem ausgiebigen Blick in Richtung der noch tiefstehenden Sonne, die durch einige morgendliche Nebelschwaden funkelte, und sattelte auf.

Er ließ die Maschine im Leerlauf zweimal hochdrehen und bemerkte, dass ihr der Winter keinen Abbruch getan hatte. Sie war so zuverlässig und wild, wie im vergangenen Herbst. Dann ging es los. Auf dem leicht nassen Untergrund drehte das Hinterrad den Wimpernschlag eines Augenblicks durch, fand dann den nötigen Gripp und beschleunigte das Motorrad und Robert in Windeseile über die vorgeschriebene Höchstgeschwindigkeit.

III

Wer nicht selbst einmal auf einem motorisierten Zweirad gesessen und süchtig nach dem Gefühl geworden ist, kann wohl kaum nachvollziehen, wie genial es ist, nach vier langen Monaten wieder den Widerstand des Fahrwindes zu spüren und die Kräfte, die auf einen wirken, wenn man schwungvoll in eine Kurve fährt. Oder das Kribbeln im Bauch, bei der rasanten Fahrt einen Hügel hinauf oder hinunter. Es ist wie ein Rauschzustand. Als sei man ein Vogel, der zum ersten Mal die Flügel ausbreitet, um zu fliegen. Wie der Ritt auf einer rasanten neuen Achterbahn. Wie Schmetterlinge im Bauch, die einen Wirbelsturm verursachen. Man wird ganz und gar hineingezogen in dieses Gefühl und möchte vor Glück und Aufregung am liebsten laut Lachen oder die Freude herausschreien.

Robert tat das an diesem Morgen erstmals, als er mit über einhundert Sachen den Hügel außerhalb seines netten kleinen Heimatortes herunter heizte. Sein Arbeitsplatz lag in einem noch kleineren Ort, der sich zehn Kilometer entfernt befand. Um dorthin zu gelangen, musste man auf dem kürzesten Weg zwei weitere Dörfer passieren. Dazwischen lagen jeweils einige Kilometer kurvig auf und ab führende Landstraße. Es war das optimale Terrain für einen passionierten Motorradfreak wie Rob. In einem Anflug von Übermut überholte er einen zu langsamen PKW kurz vor dem ersten Ortseinangsschild. Hiernach drosselte er das Tempo leidlich und fuhr mit sechzig Sachen über die einigermaßen gerade Hauptstraße, um am Ortsausgang gleich wieder auf einhundert Kilometer pro Stunde zu beschleunigen. Es war leichtsinnig und er wusste das, aber das Gefühl der Befreiung war größer als jede Vernunft an diesem Morgen. Es wäre ihm lieb und recht gewesen, wenn der Weg zu Arbeit ewig gedauert hätte. Wenn er nur an die außerordentliche Heimversammlung bezüglich der Medikamentensache dachte, wurde ihm übel. Vor seiner Frau hätte er das nie zugegeben, aber er hatte ein schlechtes Gefühl, was diese Sache betraf.

Zu den plötzlichen Negativgedanken kam, dass auf dem geraden Straßenabschnitt, den er gerade befuhr, eine Tempo-70-Zone eingerichtet worden war, da in einigen hundert Metern die neu errichtete Abzweigung zum Gelände von EZ-Experimentals wartete. Robert sah den riesigen Klotz aus Glas, Stahl und schwarzem Marmor schon aus weiter Ferne. Es sah aus, als hätte ein Riese einen Legostein in die Landschaft fallen lassen. Das Gebäude zog sich bis zum waldbedeckten Hügel hinter den Feldern hinauf, wo es anscheinend endete oder unterirdisch verschwand. Robert wusste es nicht. Das gesamte Areal war durch hohe Zäune mit Stacheldrahtkronen gesichert. Außerdem hatte er Überwachungskameras gesehen. Kurz hinter der Abzweigung warteten ein Schlagbaum, ein Kartenlesegerät, ein Kontrollhäuschen und noch mehr Umzäunung, die niemand ohne Erlaubnis passieren durfte.

Sie mussten in dem in der Morgensonne blitzenden und glitzernden Neubau also ganz besonders schützenswerte und diskret zu behandelnde Forschung betreiben.

---ENDE DER LESEPROBE---