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Die Neuen Gedichte sind eine aus zwei Teilen bestehende Sammlung von Gedichten Rainer Maria Rilkes. Die Sammlung gilt neben den ›Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge‹ als Hauptwerk seiner mittleren Schaffensphase. Sie markiert eine Wende von der gefühlsbetonten Dichtung ekstatischer Subjektivität und Innerlichkeit, wie im ›Stunden-Buch‹, zur objektiveren Sprache der Dinggedichte. Mit dieser neuen poetischen Orientierung, die von der bildenden Kunst vor allem Rodins beeinflusst war, gilt Rilke als einer der bedeutendsten Dichter der literarischen Moderne.
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Seitenzahl: 55
Veröffentlichungsjahr: 2020
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LUNATA
Neue Gedichte
© 1907 by Rainer Maria Rilke
Umschlagbild Jan Brueghel
© Lunata Berlin 2020
Früher Apollo
Mädchenklage
Liebeslied
Ernannt an Sappho
Sappho an Eranna
Sappho an Alkaïos
Grabmal eines jungen Mädchens
Opfer
Östliches Taglied
Abisag
David singt vor Saul
Josuas Landtag
Der Auszug des verlorenen Sohnes
Der Ölbaumgarten
Pietà
Gesang der Frauen an den Dichter
Der Tod des Dichters
Buddha
L'Ange du Méridien
Die Kathedrale
Das Portal
Die Fensterrose
Das Kapitäl
Gott im Mittelalter
Morgue
Der Gefangene
Der Panther
Die Gazelle
Das Einhorn
Sankt Sebastian
Der Stifte
Der Engel
Römische Sarkophage
Der Schwan
Kindheit
Der Dichter
Die Spitze
Ein Frauenschicksal
Die Genesende
Die Erwachsene
Tanagra
Die Erblindende
In einem fremden Park
Abschied
Todeserfahrung
Blaue Hortensie
Vor dem Sommerregen
Im Saal
Letzter Abend
Jugendbildnis meines Vaters
Selbstbildnis aus dem Jahre 1906
Der König
Auferstehung
Der Fahnenträger
Der letzte Graf von Brederode entzieht sich türkischer Gefangenschaft
Die Kurtisane
Die Treppe der Orangerie
Der Marmorkarren
Buddha
Römische Fontäne
Das Karussell
Spanische Tänzerin
Der Turm
Der Platz
Quai du Rosaire
Béguinage
Die Marienprozession
Die Insel
Hetärengräber
Orpheus. Eurydike. Hermes
Alkestis
Geburt der Venus
Die Rosenschale
KARL UND ELISABETH VON DER HEYDT
IN FREUNDSCHAFT
Wie manches Mal durch das noch unbelaubte
Gezweig ein Morgen durchsieht, der schon ganz
im Frühling ist: so ist in seinem Haupte
nichts, was verhindern könnte, daß der Glanz
aller Gedichte uns fast tödlich träfe;
denn noch kein Schatten ist in seinem Schaun,
zu kühl für Lorbeer sind noch seine Schläfe,
und später erst wird aus den Augenbraun
hochstämmig sich der Rosengarten heben,
aus welchem Blätter, einzeln, ausgelöst
hintreiben werden auf des Mundes Beben,
der jetzt noch still ist, niegebraucht und blinkend
und nur mit seinem Lächeln etwas trinkend,
als würde ihm sein Singen eingeflößt.
Diese Neigung, in den Jahren,
da wir alle Kinder waren,
viel allein zu sein, war mild;
andern ging die Zeit im Streite,
und man hatte seine Seite,
seine Nähe, seine Weite,
einen Weg, ein Tier, ein Bild.
Und ich dachte noch, das Leben
hörte niemals auf zu geben,
daß man sich in sich besinnt.
Bin ich in mir nicht im Größten?
Will mich meines nicht mehr trösten
und verstehen wie als Kind?
Plötzlich bin ich wie verstoßen,
und zu einem Übergroßen
wird mir diese Einsamkeit,
wenn, auf meiner Brüste Hügeln
stehend, mein Gefühl nach Flügeln
oder einem Ende schreit.
Wie soll ich meine Seele halten, daß
sie nicht an deine rührt? Wie soll ich sie
hinheben über dich zu andern Dingen?
Ach gerne möcht ich sie bei irgendwas
Verlorenem im Dunkel unterbringen
an einer fremden stillen Stelle, die
nicht weiterschwingt, wenn deine Tiefen schwingen.
Doch alles, was uns anrührt, dich und mich,
nimmt uns zusammen wie ein Bogenstrich,
der aus zwei Saiten eine Stimme zieht.
Auf welches Instrument sind wir gespannt?
Und welcher Spieler hat uns in der Hand?
O süßes Lied.
O du wilde weite Werferin:
Wie ein Speer bei andern Dingen
lag ich bei den Meinen. Dein Erklingen
warf mich weit. Ich weiß nicht, wo ich bin.
Mich kann keiner wiederbringen.
Meine Schwestern denken mich und weben,
und das Haus ist voll vertrauter Schritte.
Ich allein bin fern und fortgegeben,
und ich zittere wie eine Bitte;
denn die schöne Göttin in der Mitte
ihrer Mythen glüht und lebt mein Leben.
Unruh will ich über dich bringen,
schwingen will ich dich, umrankter Stab.
Wie das Sterben will ich dich durchdringen
und dich weitergeben wie das Grab
an das Alles: allen diesen Dingen.
Und was hättest du mir denn zu sagen,
und was gehst du meine Seele an,
wenn sich deine Augen niederschlagen
vor dem nahen Nichtgesagten? Mann,
sieh, uns hat das Sagen dieser Dinge
hingerissen und bis in den Ruhm.
Wenn ich denke: unter euch verginge
dürftig unser süßes Mädchentum,
welches wir, ich Wissende und jene
mit mir Wissenden, vom Gott bewacht,
trugen unberührt, daß Mytilene
wie ein Apfelgarten in der Nacht
duftete vom Wachsen unsrer Brüste—.
Ja, auch dieser Brüste, die du nicht
wähltest wie zu Fruchtgewinden, Freier
mit dem weggesenkten Angesicht.
Geh und laß mich, daß zu meiner Leier
komme, was du abhältst: alles steht.
Dieser Gott ist nicht der Beistand zweier,
aber wenn er durch den einen geht
Wir gedenkens noch. Das ist, als müßte
alles dieses einmal wieder sein.
Wie ein Baum an der Limonenküste
trugst du deine kleinen leichten Brüste
in das Rauschen seines Bluts hinein:
—jenes Gottes.
Und es war der schlanke
Flüchtling, der Verwöhnende der Fraun.
Süß und glühend, warm wie dein Gedanke,
überschattend deine frühe Flanke
und geneigt wie deine Augenbraun.
O wie blüht mein Leib aus jeder Ader
duftender, seitdem ich dich erkenn;
sieh, ich gehe schlanker und gerader,
und du wartest nur—: wer bist du denn?
Sieh: ich fühle, wie ich mich entferne,
wie ich Altes, Blatt um Blatt, verlier.
Nur dein Lächeln steht wie lauter Sterne
über dir und bald auch über mir.
Alles was durch meine Kinderjahre
namenlos noch und wie Wasser glänzt,
will ich nach dir nennen am Altäre,
der entzündet ist von deinem Haare
und mit deinen Brüsten leicht bekränzt.
Ist dieses Bette nicht wie eine Küste,
ein Küstenstreifen nur, darauf wir liegen?
Nichts ist gewiß als deine hohen Brüste,
die mein Gefühl in Schwindeln überstiegen.
Denn diese Nacht, in der so vieles schrie,
in der sich Tiere rufen und zerreißen,
ist sie uns nicht entsetzlich fremd? Und wie:
was draußen langsam anhebt, Tag geheißen,
ist das uns denn verständlicher als sie?
Man müßte so sich ineinanderlegen
wie Blütenblätter um die Staubgefäße:
so sehr ist überall das Ungemäße
und häuft sich an und stürzt sich uns entgegen.
Doch während wir uns aneinanderdrücken,
um nicht zu sehen, wie es ringsum naht,
kann es aus dir, kann es aus mir sich zücken:
denn unsre Seelen leben von Verrat.
Sie lag. Und ihre Kinderarme waren
von Dienern um den Welkenden gebunden,
auf dem sie lag die süßen langen Stunden,
ein wenig bang vor seinen vielen Jahren.
Und manchmal wandte sie in seinem Barte
ihr Angesicht, wenn eine Eule schrie;
und alles, was die Nacht war, kam und scharte
mit Bangen und Verlangen sich um sie.
Die Sterne zitterten wie ihresgleichen,
der Duft ging suchend durch das Schlafgemach,
der Vorhang rührte sich und gab ein Zeichen,
und leise ging ihr Blick dem Zeichen nach.
Aber sie hielt sich an dem dunkeln Alten,
und, von der Nacht der Nächte nicht erreicht,
lag sie auf seinem fürstlichen Erkalten
jungfräulich und wie eine Seele leicht.