New York Diaries – Zoe - Carrie Price - E-Book

New York Diaries – Zoe E-Book

Carrie Price

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Beschreibung

Die Erfolgsserie geht weiter - der neue Roman von Carrie Price aus der Reihe "New York Diaries": eine junge Frau zwischen ihrem großen Traum und ihrer großen Liebe. Zoe Hunter kommt mit zu viel Gepäck, einer pinken Couch und dem großen Traum, Schauspielerin zu werden, aus Idaho nach New York. Doch die Wohnung, die sie beziehen wollte, wurde anderweitig vermietet, und der Übergangsjob in einem Café ist auch weg. Ihre erste Nacht verbringt sie auf ihrer Couch in einer Seitenstraße und lernt dort den schrägen Matt Booker kennen, der ihr eine Wohnung im Knights Building verschafft. Aber in New York hat niemand auf die talentierte Miss Idaho gewartet. Trost findet sie bei Matt, der Zoe mehr und mehr verzaubert. Doch dann fordert ihr neuer Agent von Zoe eine Entscheidung: Karriere oder Liebe? Chaotisch, sexy und hochromantisch: Das sind die "New York Diaries"!

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Seitenzahl: 398

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Carrie Price

New York Diaries – ZOE

Roman

Knaur e-books

Über dieses Buch

Inhaltsübersicht

WidmungAt the Bottom of EverythingHeroesWake Up in New YorkHome Away From HomeFirst Day of My LifeA Change is Gonna ComeTill We Meet AgainRed CarpetCinderellaPartners in CrimeYou’ve Been Flirting AgainDinner DateIn the Photo BoothSwans and the SwimmingFail For YouConey Island BabyOpportunityTrustRooftopThe Girl RunningAuditionSalad DaysFriday, I’m in LoveLaughing Out LoudThe Day After TomorrowNew York GirlsBroken StringsPhotographBull RideTalk To MeTelling the TruthKeep Your Head UpMy WayGirls’ Night OutYou and MeStar GirlDanksagung
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Für alle Knights-Girls

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At the Bottom of Everything

Mit einem lauten Rums! knallt meine geliebte und mir heilige pinke Couch auf den Gehweg in Brooklyn und setzt damit ein Ausrufezeichen hinter meine Ankunft in New York. Mein Herz hüpft aufgeregt in meiner Brust, während mein Blick über die zahlreichen Koffer und Kisten wandert, die sich neben der Couch türmen und somit den Weg mehr oder weniger komplett zustellen. Die Männer, die aussehen wie Bilderbuchmöbelpacker, blicken zufrieden auf ihre Arbeit und nicken mir dann zu, mehr oder weniger höflich. Es wirkt fast so, als wäre ich jetzt ebenfalls eine New Yorkerin und hätte die Aufnahmeprüfung bestanden, auch wenn kein Empfangskomitee auf mich wartet und ich niemanden in dieser Stadt kenne.

Doch das ist alles nur eine Frage der Zeit, so ist es immer bei einem Neuanfang. Stolz sehe ich mich um und versuche, mir mein neues Viertel so schnell wie möglich vertraut zu machen, als ich bemerke, wie die Jungs zurück zu ihrem Lieferwagen gehen – obwohl alle Dinge bereits ausgeladen sind, bereit, in den vierten Stock getragen zu werden.

»Ähm, Gentlemen …?«

Nur einer von ihnen fühlt sich angesprochen und dreht sich, sichtlich genervt, zu mir um, abwartend, was ich jetzt noch von ihm will.

»Ich wohne im vierten Stock.«

Er nickt müde und wirft einen Blick auf die Uhr, ganz so, als würde ich ihn aufhalten und wüsste nicht, was sein Job sei.

»Das hier ist nur der Gehweg.«

»Sie haben ›bis zur Haustür‹ angekreuzt.«

»Nein. Bis zur Wohnung. Also, in die Wohnung.«

»Tut mir leid, Miss. In der Auftragsbestätigung steht was anderes.«

Wie auf ein Stichwort reicht ihm einer seiner Kollegen ein Klemmbrett, das er mir unter die Nase hält und auf dessen Papier das Kreuz tatsächlich im falschen Kästchen gesetzt wurde. Das kann nicht sein! Ich bin mir sicher, es drei Mal überprüft zu haben.

»Dann zahle ich eben den Aufpreis!«

»Das geht leider nicht, wir müssen in fünfzehn Minuten in Queens sein. Der nächste Auftrag wartet.«

»Aber … nein!«

Schon jetzt klinge ich viel zu hysterisch. Doch ich bekomme nur ein entschuldigendes Achselzucken vom Möbelpacker vor mir, der mir dann auch schon den Rücken zudreht und mich allen Ernstes hier mit diesem Chaos zurücklassen will.

»Warten Sie! Das können Sie nicht machen!«

»Wie gesagt, Miss: Tut mir leid. Vielleicht können Sie ein paar Freunde anrufen, die Ihnen helfen.«

Freunde?? Macht der Typ Witze? Heute ist mein erster Tag in einer mir vollkommen fremden Stadt! Ich kenne niemanden und werde wohl kaum in den nächsten fünf Minuten eine handfeste Freundschaft knüpfen, die mir mehrere Möbelpacker ersetzt.

»Hey!«

Doch mein verzweifelter Versuch, ihn oder die anderen zum Bleiben zu überreden, prallt an der sich schließenden Beifahrertür des Umzugswagens ab. Kaum sehe ich wieder zu meinem Haufen Leben, dämmert mir, dass sich neben meinem Hab und Gut jetzt auch noch ein zweites riesiges Problem auf dem Gehweg auftürmt. Zwei junge Frauen wühlen sich gerade durch einen meiner Koffer.

»Hey!«

Sie sehen mich vollkommen irritiert an, als wäre ich und nicht sie diejenigen, die sich danebenbenehmen. Was ich jetzt ganz sicher nicht brauche, das sind zwei Fremde.

Die prüfend meine Unterwäsche durchsuchen.

Auf offener Straße!

In New York!

»Finger weg von meinen Sachen!«

»Sorry, wir dachten, das wäre eine Art Flohmarkt.«

Ein Flohmarkt? Nein, entschuldige bitte, das ist mein Leben!

Doch statt das auch laut auszusprechen, schlage ich wütend den Koffer wieder zu und spüre ein hektisches Pulsieren in meinem Brustkorb, als wäre es der Beat eines Songs, der eine ganze Menschenmasse zum Tanzen animieren müsste. Es ist aber nur mein Herz, das viel zu schnell schlägt, weil es weiß, dass ich alleine diese Couch – mein Mitbringsel von Zuhause, meine Wohlfühloase – niemals in den vierten Stock gewuchtet kriege. Vielleicht kann mein Vermieter, ein Typ namens Jeffrey, mir helfen. Er ist bisher der einzige Mensch in New York, mit dem ich zumindest schon mal Mailkontakt hatte und ein kurzes Telefonat geführt habe. Hastig suche ich mein Handy, wobei ich meine Koffer keine Sekunde aus den Augen lasse.

»Hallo?«

»Jeffrey? Hi, hier ist Zoe.«

Schweigen. Keine Ahnung, wie viele Zoes er kennt, doch es scheinen eine ganze Menge zu sein, denn die Stille hält an. Vielleicht helfen ihm einige weitere Informationen auf die Sprünge.

»Zoe Hunter. Wir haben wegen der Wohnung telefoniert. Du erinnerst dich?«

»Ah, ja klar! Hi, Zoe.«

Gott sei Dank!

Erleichtert atme ich aus. Ab jetzt wird alles gut.

»Ich habe ein riesiges Problem, Jeffrey.«

Doch der scheint mir nicht richtig zuzuhören, denn er spricht weiter, ohne auf meine panische Gesprächseröffnung einzugehen.

»Gut, dass du dich meldest. Ich wollte dich diese Woche schon anrufen, aber irgendwie kam immer was dazwischen.«

»Okay?«

»Ja, weißt du, die Sache mit der Wohnung …«

Mein Blick wandert die Fassade des Hauses vor mir hoch. Ich zähle die vielen Fenster, betrachte die Gardinen, die im Wind tanzen, lausche der Musik, die aus einer Wohnung dringt – und mein Magen wird dabei zu einem schweren, harten Knoten, der alle anderen Organe mit sich in die Tiefe ziehen will.

»Ich habe sie letzte Woche schon vergeben. Cynthia konnte schneller einziehen als du.«

Cynthia.

Der Name hallt wie ein Echo durch meinen Kopf. Ich muss mich verhört haben.

»Wie bitte?«

»Nun, wir hatten ja noch nichts fix ausgemacht.«

Hatten wir sehr wohl! Die Anzahl der Koffer und Kisten, meine Couch, mein Umzug. Das alles kommt mir verdammt fix vor!

»Auf jeden Fall hat sie die erste Miete schon überwiesen und so …«

»Cynthia?«

»Jap.«

Cynthia – ein gesichtsloses Phantom, das sich meine Wohnung gekrallt hat. Mein Körper setzt zu einer waschechten Panikattacke an, und nur mit viel Mühe kann ich meine Gedanken zusammenhalten und nicht losschreien.

»Aber … was ist mit mir? Wir hatten doch eine Absprache! Heute sollte ich den Vertrag unterschreiben und einziehen. Das hast du mir versprochen!«

»Ich weiß, aber die Zeiten ändern sich.«

»Nein, nein, Jeffrey. Zeiten ändern sich nicht innerhalb einer Woche. Mag sein, dass Madonna in den Achtzigern cooler war als jetzt, aber weißt du, es müssen Jahrzehnte vergehen, bevor dieser Spruch zieht!«

Jeffrey scheint mir sehr geduldig zuzuhören, denn er sagt nichts. Was auch besser so ist, weil ich gerade mächtig wütend bin – um es mit einer Untertreibung zu formulieren.

»Es war erst letzte Woche, dass wir telefoniert haben! Du hast gesagt, es wäre alles fix, und ich solle mir keine Sorgen machen! Das waren deine Worte! Jetzt bin ich hier und will in meine Wohnung!«

»Cynthias …«

»Was?«

»Cynthias Wohnung.«

Jeffrey meint es ernst. Er hat mich ersetzt durch eine vermutlich bildhübsche junge Frau, die ebenso dringend eine günstige Wohnung in dieser Stadt sucht und einfach schneller war als ich. Das ist wohl ein dezenter Vorgeschmack auf den Kampf, der mich in New York ab jetzt täglich erwarten wird. Das habe ich schon geahnt, ich hatte nur gehofft, dass der Gong zur ersten Runde nicht gleich an meinem ersten Tag hier erklingen würde.

»Und was soll ich jetzt machen?«

Obwohl ich die Frage laut ausspreche, stelle ich sie nicht Jeffrey, sondern mir selbst. Dennoch fühlt er sich zu einer Antwort berufen.

»Versuch es doch mal im YWCA.«

Jeffrey ist, so viel steht fest, keine besonders große Hilfe. In den Mails klang er eigentlich sehr nett, als wäre er ein seriöser Makler und nicht ein dauerbekiffter Vollidiot, der mal eben so meine Rolle umbesetzt, noch bevor ich ein Wort meines Textes sagen konnte. Erschöpft von den letzten zehn Minuten lasse ich mich auf die pinke Couch fallen – die übrigens das Stadtbild erheblich verändert – und schließe für einen kurzen Moment die Augen.

Keine zwei Stunden in New York, schon gebe ich den Zweiflern zu Hause recht: Zoe Hunter, das talentierte Mädchen aus dem Theaterclub der Drescher High will ausziehen, um die Welt zu erobern – und scheitert dabei schon bei der Wohnungssuche. Klar, als ich in L.A. eine Nebenrolle in der TV-Serie Sunset Story gespielt habe, da waren alle noch davon überzeugt, dass ich, »Miss Idaho«, wie sie mich gerne genannt haben, die besten Chancen hatte, um ganz groß rauszukommen. Doch würde ich es je auf eine große Kinoleinwand oder an den Broadway schaffen? Daran glauben wohl nur wenige.

Umso mehr möchte ich es ihnen und mir beweisen. Wenn sie mich jetzt auf diesem Sofa sitzen sehen würden … ihr Mitleid wäre mir sicher.

»Verzeihung?«

Eine Männerstimme holt mich aus meinem Selbstmitleid zurück in die Realität.

»Hm?«

Leicht genervt öffne ich die Augen und sehe den jungen Mann, der vor mir aufgetaucht ist, abwartend an. Er mustert mich ebenfalls einen Moment, als würde er versuchen, mein Gesicht einem Namen zuzuordnen. Er scheint aber nicht zum Zielpublikum von Sunset Story zu zählen und damit kein Autogrammjäger zu sein, weswegen ich mir nicht sicher bin, was er von mir will.

»Was verlangen Sie für die Couch?«

Jetzt reicht es aber! Sehe ich wirklich so aus, als müsste ich mein Hab und Gut auf der Straße verscherbeln? Und ja, das ist eine rhetorische Frage!

»Die Couch ist nicht zu verkaufen, verdammt noch mal!«

Überrascht sieht er von mir auf der Couch zu meinen Koffern und Kisten, ganz so, als könne er sich jetzt keinen Reim mehr auf dieses Szenario machen.

»Verzeihung, ich dachte nur …«

Jetzt wandert sein Blick wieder zu mir. Erneut habe ich das seltsame Gefühl, er würde mich kennen – ohne zu wissen, woher. Entschuldigend zuckt er die Achseln.

»Sieht so nach Ausverkauf aus.«

»Ich ziehe gerade um, okay?!«

Die mir nachgesagte Freundlichkeit ist überraschenderweise aus meiner Stimme verschwunden. Eigentlich klinge ich nicht mal mehr wie ich selbst, aber das kann ich jetzt nicht ändern. Ich verbrauche den Rest meiner Energie nämlich gerade sehr effizient dafür, keinen Nervenzusammenbruch zu erleiden. Außerdem kennt mich in New York kein Mensch, da kann ich die Zoe zeigen, die ich will. Und im Moment steht mir der Sinn nach Wütend-müde-sauer-genervt-und-hoffnungslos-überfordert-Zoe! Der junge Mann nickt nachdenklich, versteht aber den Zusammenhang zwischen meiner pinken Couch am Straßenrand und meinem Umzug wohl immer noch nicht.

»Okay. Ich sehe nur keine Möbelpacker, die das Bilderrätsel hier komplettieren könnten.«

Da habe ich ja ein ganz besonderes Exemplar eines Klugscheißers erwischt!

»Witzig. Ausgesprochen witzig.«

»Das war nicht als Gag gemeint. Nur eine banale Feststellung.«

»Die Möbelpacker sind weg.«

»Oh …«

Wieder sieht er auf den ganzen Krempel, der jetzt schon in meiner – Verzeihung! – Cynthias neuer Wohnung stehen sollte.

»Haben die Jungs das hier übersehen? Dann waren das nämlich keine besonders guten Möbelpacker.«

»Würde es Ihnen viel ausmachen, einfach weiterzugehen und mich zu ignorieren?«

»Glauben Sie mir, das würde ich gerne, aber Sie versperren uns allen den Weg.«

Das tue ich tatsächlich. Die meisten Menschen müssen mir, meiner Couch und dem Rest ausweichen, was mir schon einige wütende Blicke eingebracht hat. Nur leider habe ich im Moment keine Ahnung, wie ich alleine das pinke Monstrum, das ohne Zweifel in der letzten Viertelstunde an Umfang zugelegt hat, von der Straße bewegen soll.

»Soll ich Ihnen vielleicht ein gutes Umzugsunternehmen empfehlen?«

Er greift in die Tasche seiner Jeans und zieht seinen Geldbeutel hervor. Jetzt sehe ich mir den Typen doch mal etwas genauer an. Er hat kurze, hellbraune Haare, trägt eine dieser Brillen mit schwarzem Rand, die gerade wieder tierisch modern sind, obwohl so was mein Großvater schon getragen hat, ein graues T-Shirt mit einem bunten Brustmotiv, das wohl zu einem Superhelden oder so gehören soll, dazu Jeans und Turnschuhe. Soweit nichts Besonderes.

»Hier. Die Jungs sind flott und tragen auch wirklich alles in die Wohnung.«

Er nickt in Richtung Kisten und Koffer und reicht mir eine Visitenkarte, die ich nur zögernd annehme.

»Danke.«

Da ist er also: der erste nette New Yorker, der mir heldenhaft zur Seite steht und dabei sogar kurz lächelt.

»Nicht dafür.«

Vermutlich sollte ich etwas sagen, danke, oder die Wahrheit über meine Situation, doch meine Zunge fühlt sich wie gelähmt an. Bisher habe ich in meinem Leben nicht besonders oft um Hilfe gebeten, sondern mir alles selbst erarbeitet und aus den Steinen, die mir in den Weg gelegt wurden, eine Brücke gebaut. Der junge Mann nickt und will schon weiter, als ich mich folgende Worte sagen höre, die meine Realität sehr treffend beschreiben.

»Ich bin nur quasi obdachlos.«

Abrupt bleibt er stehen, sieht mich durch die Gläser seiner Brille an, als wäre ich Teil eines schlechten Sketches.

»Wie bitte?«

»Ich habe keine Wohnung.«

»Ich befürchte, ich verstehe nicht so ganz.«

»Mein Vermieter hat die Wohnung Cynthia gegeben.«

»Cynthia.«

»Sie war schneller. Dabei hat er nur vergessen, mich davon in Kenntnis zu setzen.«

»Ouch!«

»Ich sitze also wohl auf der Straße.«

»Genau genommen sitzen Sie auf der Couch.«

»Ha. Ha.«

»Das tut mir wirklich leid.«

»Ja. Aber tief in Ihrem Inneren denken Sie sich bestimmt auch: naives, dummes Mädchen aus der Kleinstadt.«

Und wie recht er hat – wie konnte ich nur so blöd sein und mich auf die telefonische Zusage eines Typen verlassen, den ich gar nicht kenne? Wieso habe ich nicht darauf bestanden, den Vertrag schon vorher zu unterschreiben? Ich bin doch sonst nicht so verblendet und blauäugig. An meiner Menschenkenntnis müssen wir dringend arbeiten. Der junge Mann vor mir unterbricht meine Gedankengänge.

»Ehrlich gesagt habe ich nur gedacht: Verdammt mutig, ausgerechnet hier alleine mit einer Couch auf der Straße zu sitzen.«

Mit vielem habe ich gerechnet, aber sicher nicht damit. Er lächelt mich aufmunternd an, die blauen Augen hinter den Brillengläsern mustern mich genau, doch ich weiß einfach nicht, was ich sagen soll. Diese Achterbahnfahrt der Ereignisse überfordert mich etwas, und gerade bin ich mir nicht sicher, ob ich mutig oder verrückt bin.

»Wissen Sie was …«

Er zieht den Rucksack von den Schultern und wirft ihn neben mich auf die Couch, dann deutet er mir mit einer Handbewegung an, ich solle aufstehen.

»Was haben Sie vor?«

»Wir bringen Ihr pinkes Baby erst mal von der Straße.«

Neben dem Wohngebäude liegt eine schmale Seitengasse. In diese Richtung nickt er nun. Ich schaue erst ihn an, dann zu dieser Gasse, die nicht so aussieht, als wäre sie der perfekte Ort für meine Couch, meine Sachen oder für mich. Leider habe ich nur keine andere Wahl, denn hier auf dem Gehweg kann ich nicht länger hausen. Also nicke auch ich.

»Packen Sie mal mit an!«

Als Möbelpacker mache ich zwar keine überdurchschnittlich gute Figur, aber ich bin fitter, als man glauben könnte. Er ist auf jeden Fall fit, denn es scheint ihm nicht besonders viel auszumachen, dass er den Löwenanteil der Arbeit erledigen muss. Seine Arme sind durchtrainiert und lassen wie sein recht breiter Rücken auf regelmäßiges Training im Studio schließen. Gemeinsam und mit drei Absetzpausen wuchten wir die Couch tatsächlich in die Seitengasse. Dann macht er sich daran, auch den Rest vom Gehweg zu schaffen. Ich helfe, so gut ich kann, bis mir die Puste ausgeht und ich mich nach einem Sauerstoffzelt sehne.

»Vielen Dank …«

Ich kenne nicht mal seinen Namen, war nicht besonders nett zu ihm – und dennoch hilft dieser Mann mir ganz selbstlos. Wieder lächelt er, als er mir die Hand reicht.

»Matt. Matt Booker.«

Sein Händedruck ist fest, seine Haut rauh und warm, sein Lächeln freundlich. Genau das, was ich gerade brauche.

»Nun, Mr. Booker, gerade sind Sie zu meinem Helden geworden.«

»Das freut mich Miss …?«

»Hunter. Zoe Hunter.«

Ich erwarte nicht, dass er mich kennt, meinen Namen schon mal gehört hat oder auch nur eine Folge Sunset Story gesehen hat, doch hoffe ich vielleicht einen winzigen Moment darauf, dass ich ihm bekannt vorkomme.

»Den Namen werde ich mir merken.«

Keine Ahnung, wieso, aber ich spüre das Lächeln auf meinen Lippen. Booker nimmt den Rucksack wieder an sich und wirft mir ein freches Grinsen zu.

»Sie schulden mir einen Kaffee, Miss Hunter.«

Doch bevor ich etwas sagen, ihn nach seiner Telefonnummer oder Adresse fragen kann, geht er los, ohne sich noch einmal umzudrehen.

[home]

Heroes

Ja, hallo, Zoe Hunter hier. Ich sollte morgen als Kellnerin in Ihrem Café anfangen …«

Während ich am Telefon hänge, habe ich meine Wertsachen, zu denen ich meine Couch zähle, fest im Blick. Irgendwie muss ich meiner neuen Chefin erklären, dass ich wohl morgen erst mal eine Wohnung suchen muss und nicht zur Arbeit kommen kann.

»Sie hätten heute anfangen sollen.«

Die hohe Frauenstimme am anderen Ende klingt nicht besonders begeistert und vor allem sehr sauer. Doch ich bin mir ganz sicher, dass sie sich irren muss.

»Sind Sie sicher? Ich habe mir das morgige Datum aufgeschrieben …«

»Nun, dann haben Sie wohl nicht richtig zugehört.«

Ich kann an den Hintergrundgeräuschen erahnen, dass das Café voll sein muss, was die Gereiztheit in ihrer Stimme erklären würde.

»Oh! Nun … ähm …«

»Hören Sie, Miss Hunter, wir haben hier viel zu tun und keine Zeit für unzuverlässige Mitarbeiter.«

Nein! Nein! Nein!

»Ich bin nicht unzuverlässig!«

An keinem Tag am Set bin ich zu spät gekommen, ich hatte immer all meine Dialoge drauf und konnte mir sogar die Marken am Boden merken, auf denen ich stehen musste, damit die Kamera mich einfangen kann.

»Komisch. Sie waren heute Morgen um acht Uhr nicht da, als wir fest mit Ihnen gerechnet haben.«

»Das ist ein Missverständnis!«

»Machen Sie sich keine Gedanken. Wir haben einen Ersatz gefunden und wünschen Ihnen für Ihren weiteren Lebensweg alles Gute.«

Das darf doch nicht wahr sein! Das ist nur ein lächerlicher Scherz des Universums. Wie kann man mir meine Wohnung und meinen Übergangsjob an ein und demselben Tag wegnehmen? Ich komme nicht mal dazu, etwas zu erwidern, denn die Frau – meine Ex-Chefin, die ich noch nie gesehen habe – hat bereits aufgelegt. Das ist eine Katastrophe. Hat sich New York etwa gegen mich verschworen? Anders kann ich mir diese Aneinanderreihung von Schlaglöchern auf meinem Weg nicht erklären. Wenn man bedenkt, dass ich keine drei Stunden in dieser Stadt und schon ein hoffnungsloser Fall bin, habe ich mir eine Ehrenurkunde oder so was verdient. Keine Ahnung, wie viele Leute täglich in New York ankommen und sich hier ihrem großen Traum stellen. Man sollte eine Statistik der gescheiterten Träume aufstellen, damit Menschen wie ich nicht hierherkommen und dann feststellen müssen, dass die Idee in der Theorie zwar großartig klingt, sich in der Praxis allerdings als dummer Fehler rausstellt.

Die Blicke der Menschen, die trotz ihrer eiligen Schritte kurz in die Gasse, zu mir und meiner Couch sehen, bilden eine Mischung aus »amüsiert« und »mitleidig«. Ich starre wieder auf mein Handy und frage mich, wen ich anrufen könnte, um nicht alleine die Nacht auf der Couch zu verbringen. Doch alle Leute, die mir einfallen, sind viel zu weit weg und haben jetzt sicher etwas anderes zu tun, als ins Auto zu steigen und hierherzubrausen. Schließlich wähle ich endlich eine Nummer, und zwar die von der Visitenkarte, die Matt mir gegeben hat. Es klingelt nur zwei Mal, dann meldet sich eine Männerstimme, die erstaunlich viel gute Laune versprüht.

»New York Stuff Carrier, wie kann ich Ihnen helfen?«

»Ja. Hi. Mein Name ist Zoe Hunter. Ich habe ein kleines Problem …«

Nachdem ich ihm meine aktuelle Situation geschildert habe, bietet er mir einen Container für 120 Dollar die Nacht an, wo ich meine Sachen unterstellen könnte. Das klingt nach einem super Plan, wenn man davon absieht, dass ich dann noch immer keine Wohnung habe.

»Ich kann Ihnen gleich morgen früh ein Team rausschicken. Heute ist leider nichts mehr zu machen.«

»Okay. Danke trotzdem.«

Warum hänge ich so sehr an dieser blöden Couch? Ich sollte mir meine wichtigsten Koffer schnappen und sie und den Rest zurücklassen und einen Neuanfang wagen. Ein Neuanfang ohne pinken Ballast. Natürlich kann ich auch zurück nach L. A. Oder gleich wieder nach Idaho, wo ich niemandem von diesem peinlichen Start in ein neues Lebenskapitel erzähle und einfach behaupte, dass ich mich in New York nicht wohl gefühlt habe. Das habe ich nach genau drei Stunden, vierzehn Minuten und acht Sekunden in dieser Stadt entschieden.

Aber dann würden meine ehemaligen Kollegen aus L. A. denken, was für eine Versagerin diese Zoe Hunter doch ist! Sie halten mich ohnehin für verrückt, das sonnige Kalifornien für die Ostküste einzutauschen. Eine Nebenrolle in einer TV-Soap – und schon steigt ihr der Erfolg zu Kopf. Sie zieht aus, um in New York am Broadway oder bei einem Independent Film, der von Robert De Niro finanziert wird, ihr Glück zu versuchen.

Versagerin.

Das ist kein besonders schöner Titel. Noch dazu ist es einer, den ich nicht annehmen will und werde. Ja, ich habe einen klassischen Fehlstart hingelegt, aber das ist noch lange kein Grund, das Handtuch zu werfen. In meiner Handtasche befindet sich eine kleine Dose Pfefferspray, ich kann sehr laut schreien und habe Grundkenntnisse in Karate und Bühnenkampf, auch wenn ich nicht sicher bin, wie mir ein simuliertes Fechtduell in einer New Yorker Seitengasse helfen soll. Aber ich werde ja wohl in der Lage sein, mich zu verteidigen, wenn mir jemand diese Couch unter dem Hintern wegklauen will.

Ha! Wäre doch gelacht!

 

Doch nur wenige Stunden und einige Versuche, einen günstigen Makler im Internet zu finden, später, wird es dunkel, die Menschen verziehen sich von der Straße in ihre Wohnungen, und mir kommt mein kühner Plan gar nicht mehr so großartig vor. Die erste Nacht in New York auf der Straße. Je später es wird, desto unsicherer werde ich. In eine Ecke meiner Couch sitzend, die Koffer und Kisten dicht bei mir, frage ich mich zum hundertsten Mal, wieso ich nicht einfach in ein Hotel gehe? Bei jedem Geräusch zucke ich erschrocken zusammen und halte die Dose Pfefferspray verkrampft in meiner rechten Hand, bereit loszulegen.

Nur zur Sicherheit. Nicht etwa aus Panik.

Ich habe Hunger, wage es aber nicht, mein Hab und Gut hier alleine zu lassen, also muss die Packung M&M’s aus der Handtasche als Abendessen herhalten.

Und dann stirbt auch noch der Akku meines Handys!

Ich gehöre ja nicht zu den Frauen, die man ständig retten muss, die unsicher die Treppe nach unten stolpern und sich an den Arm eines Mannes klammern müssen, um verletzungsfrei anzukommen. Doch in diesem Moment wünsche ich mir wirklich einen Helden, gerne mit Cape, der aus dem Nichts auftaucht und – Superkräften sei Dank – die Couch und mich aus dieser Seitengasse rettet.

»Hey!«

Erschrocken reiße ich das Pfefferspray nach oben und starre in die Richtung der tiefen Männerstimme, die zu einem dunklen Schatten gehört, der sich vor dem Licht der Laternen auf der Hauptstraße hinter ihm scharf abzeichnet. In den Händen des düsteren Schattens befinden sich irgendwelche Dinger, die wie merkwürdige, auf mich gerichtete Waffen aussehen.

Natürlich! Wie konnte ich annehmen, dass eine Nacht in diesem Viertel New Yorks ohne Zwischenfälle ablaufen würde? Wie oft geschehen Verbrechen, von denen wir nie erfahren, in Großstädten wie diesen? Mein Körper spannt sich an, ich höre das Blut in meinen Ohren rauschen und spüre, wie meine Hände zittern, als der Schatten auf mich zukommt.

Du bist kein Opfer, Zoe!

Sofort drücke ich den Knopf des Peffersprays durch und feuere eine ordentliche Ladung auf den Verbrecher ab, der sich mit sicheren Schritten auf mich zubewegt. Zumindest, bis ihn die ätzend-brennende Pfefferspray-Wolke trifft und er sich schützend die Arme vor das Gesicht hält.

»Verdammt! Scheiße!«

Junge Schauspielerinnen werden gerne unterschätzt, wenn es darum geht, sich gegen die Widrigkeiten des Lebens zu wehren. Diese Erfahrung habe ich schon häufig machen dürfen. Doch ich werde um meine Couch – und um mein Leben – kämpfen! Mit einem Satz verlasse ich meinen Platz auf dem Sofa und gehe in Kampfstellung, die wohl eher an eine Szene aus Catwoman mit Halle Barry als an einen ernst zu nehmenden Angriff erinnert.

»Oh, hey! Wow! Stopp! Ich komme in Frieden und bin unbewaffnet!«

In der dunklen Gasse kann ich zwar nur den Umriss eines Schattens erkennen, der die Arme nach wie vor vor sein Gesicht hält und hustend in die Knie geht. Wieso meine ich, die Stimme zu erkennen, auch wenn sie mir nicht vertraut ist?

»Ich wollte nur nach dir sehen und was zu essen mitbringen!«

Zögernd komme ich näher, das Pfefferspray noch immer im Anschlag.

»Ich will deine Hände sehen!«

Fast klinge ich wie bei einem CSI-Seitengassen-Casting, bei dem ich für die Rolle der Detective Zoe Hunter vorspreche. Sofort streckt mein Opfer – oder der Täter – die Hände aus, und ich kann einen besseren Blick auf seine »Waffen« werfen. Diese sehen aus der Nähe betrachtet verdächtig wie durchschnittliche Hotdogs und weniger wie zwei Smith & Wesson-9-mm-Revolver aus. Der Mann blinzelt mich aus geröteten Augen an – und endlich erkenne ich ihn wieder.

»Matt?«

Mag sein, dass ich selber etwas von dem Spray eingeatmet habe, aber wenn ich mich nicht irre, liegt da ein Lächeln auf seinem sonst schmerzverzerrten Gesicht.

»Du hast dir meinen Namen gemerkt.«

Das habe ich wohl.

»Du bist der einzige Mensch, den ich in New York kenne. Natürlich habe ich ihn mir gemerkt.«

»Ihr Westküstler habt eine merkwürdige Art, eurer Freude beim Wiedersehen Ausdruck zu verleihen.«

Trotz der Schmerzen, die er ohne Zweifel hat, höre ich das Grinsen in seiner Stimme. Schnell stecke ich das Spray weg und reiche ihm meine Hand.

»Das tut mir so leid. Ich dachte, du bist ein …«

Was genau habe ich noch mal gedacht? Wenn das Gehirn von der Überlebenspanik ausgetrickst wird, denkt man wohl gar nicht mehr und schaltet in eine Art Autopilotmodus. Matt wirkt noch etwas wackelig auf den Beinen, als ich ihn zur Couch führe, auf die er sich erleichtert fallen lässt.

»Sehe ich so gefährlich aus?«

»In einer unbeleuchteten Seitengasse, in einer fremden Stadt wärst du ein perfekter Frauenmörder.«

In meiner Handtasche finde ich die kleine Wasserflasche, deren Inhalt ich mir perfekt für die Nacht rationiert hatte und den ich jetzt auf ein Papiertaschentuch kippe, das ich Matt reiche.

»Ich wollte dich nicht erschrecken.«

Er sieht zu mir. Genau genommen sieht er nur grob in meine Richtung, denn sein Augenlicht dürfte im Moment erheblich getrübt sein.

»Ohne deine Brille habe ich dich nicht erkannt.«

»Du hast dir gemerkt, dass ich eigentlich eine Brille trage?«

Verdammt!

»Vielleicht.«

Wieder ist da ein Grinsen auf seinen Lippen, und das, obwohl ich ihn gerade wie eine wild gewordene Catwoman angegriffen habe. Ein schlechtes Gewissen macht sich schnell in meinem Körper breit. Er wollte mir etwas zu essen bringen, mich nicht einfach so alleine lassen – und all das, obwohl er mich nicht mal kennt. Es wird Zeit für eine Entschuldigung.

»Und ich wollte dich ganz sicher nicht erblinden lassen.«

Da er an dem angebotenen Taschentuch vorbeigreift, nehme ich das wohl besser selber in die Hand.

»Lehn dich zurück, ich kümmere mich darum.«

Immerhin war ich mal Krankenschwester. Wenn auch nur für eine Staffel in einer TV-Soap.

Matt scheint mir nicht so recht zu trauen, hat dann aber keine andere Wahl und legt den Kopf auf die Armlehne meiner Couch. Ich knie mich neben die Couch und tupfe möglichst sanft mit dem feuchten Taschentuch über seine geschwollenen Augen. Er ist mir, mehr oder weniger, hilflos ausgeliefert. Ausgerechnet mir, die sicherlich nicht den besten Eindruck bei ihm hinterlassen hat.

»Ich kann mich wirklich nur entschuldigen.«

»Unsinn, ich hätte dich nicht so überfallen dürfen. Aber man hat mir die Benimmregeln für einen spontanen Besuch bei einer fast obdachlosen Neu-New-Yorkerin in der Seitengasse noch nicht ausgehändigt.«

»Wir sollten uns beim zuständigen Amt beschweren.«

Keine Ahnung, was ich hier mache, aber ich tupfe fleißig weiter und hoffe, ihm damit nicht noch mehr Schmerzen zuzufügen. Zwischendurch zuckt Matt immer mal, wenn ich mich etwas zu ungeschickt anstelle. Ich kann nicht sagen, dass es mir Spaß macht. Allerdings kann ich auch nicht sagen, dass es mir keinen Spaß macht.

»Ich hoffe übrigens, du bist keine Vegetarierin.«

Er nickt in Richtung der Hotdogs, die ich zur Sicherheit in einigem Abstand auf einem der Kartons abgestellt habe.

»Nein, keine Sorge.«

»Gut. Man hört ja so einiges über die Essgewohnheiten hübscher Frauen «

»Wir essen nicht nur Salat.«

Obwohl ich mir Mühe gebe, mich auf den Ernährungsteil seines Satzes zu konzentrieren, komme ich nicht umhin, dass ich vor allem über den Teil nachdenke, in dem er mich als »hübsche Frau« beschreibt. Vielleicht werden meine Bewegungen deswegen jetzt um einiges zärtlicher, während ich ihm eine Haarsträhne aus der Stirn streiche und mir seine Augen genauer ansehe. Sein Blick lässt mich übrigens keine Sekunde lang los, auch wenn ich mir nicht sicher bin, dass er überhaupt etwas sehen kann.

Das klare Blau seiner Augen ist durch das Pfefferspray etwas getrübt, aber es strahlt noch immer ziemlich kräftig. Ganz kurz sehen wir uns einfach nur an und lächeln. Ich spüre, wie meine Finger sich selbständig machen und ihm über die Wange streichen. Für den Bruchteil einer Sekunde schließt er die Augen, fast so, als ob er diesen Moment genießen würde.

Was zum Henker machst du hier, Zoe?

Schnell ziehe ich meine Hand zurück und richte mich wieder auf.

»Das dürfte für den Anfang wohl reichen.«

Er sollte in ein Krankenhaus oder einen Arzt aufsuchen, aber ich hoffe inständig, dass er bleibt. Matt nickt mitgenommen, setzt sich ebenfalls auf, lehnt sich an die Couch – und macht keine Anstalten zu gehen.

Zum Glück!

Sein Blick wandert über meine sorgfältig aufgetürmten Koffer und Kisten neben der Couch.

»Du hast es dir also schon mal bequem gemacht.«

Ein bisschen stolz nicke ich und sehe mich in meinem kleinen Fort aus meinen Habseligkeiten um. Dabei bemerke ich, wie erleichtert ich bin, dass er hier ist und offensichtlich vorhat, noch ein wenig zu bleiben.

»Wenn das Leben dir keine Wohnung gibt, bau dir selbst dein Schloss. Oder so ähnlich.«

Wenn ich nervös bin, rede ich übrigens sehr häufig solchen Unsinn. Um ihn nicht zu beunruhigen, nehme ich mit etwas Abstand neben Matt Platz. Das Pfefferspray ist wieder in meiner Handtasche verschwunden.

»Ich hätte also am Eingang um die Erlaubnis einzutreten fragen müssen.«

»Dann wäre das wohl alles nicht passiert.«

»Dein Portier hat gerade Pause gemacht.«

»Schon wieder? Man findet einfach so schwer gutes Personal.«

Zu meiner Überraschung steht Matt plötzlich auf und macht einige unbeholfene Schritte von der Couch weg.

Habe ich heute Nachmittag noch angenommen, dass der Tag an absurden Situationen nicht mehr zu toppen wäre, dann habe ich wohl nicht mit einem Zwischenfall wie diesem hier gerechnet. Eines kann man New York wirklich nicht vorwerfen: Langweilig ist es hier nicht!

Matt zieht die Brille aus der Brusttasche seiner Jacke und setzt sie sich wieder auf die Nase.

»Also frage ich jetzt ganz offiziell. Darf ich denn reinkommen?«

Ich habe keine Wohnung, keinen Plan und nicht genug Geld. Aber zumindest habe ich ein Lächeln auf den Lippen, wenn ich Matt ansehe.

»Du hast Hotdogs dabei, wie kann ich da nein sagen?«

Er macht einen großen Schritt über meinen Schminkkoffer vor seinen Füßen und steht jetzt direkt vor der Couch und mir.

»Auch wenn ich vom Verspeisen der Hotdogs inzwischen abraten würde.«

»Mist.«

»Die Extrazutat Pfefferspray könnte den Genuss trüben.«

Ich muss ihm recht geben. Beim Versuch, ihn in die Flucht zu sprühen, habe ich auch die Hotdogs erwischt. Mein Magen meldet sich mit einem lauten Knurren beleidigt zu Wort. Was auch Matt nicht überhören kann.

»Ich würde sagen, wir haben eine zweite Chance verdient.«

»Wie bitte?«

»Du rennst nicht weg, ja?«

»Mein Schloss unbewacht zurücklassen? Niemals!«

Er nickt zufrieden.

»Bis gleich.«

Und dann verschwindet Matt Booker – nicht ohne recht ungeschickt und halb blind einen Koffer umzuwerfen – wie ein Superheld in die Nacht, und ich frage mich, ob ich das alles eben vielleicht geträumt habe. So als eine Art Wunschdenken, das sich in mein Unterbewusstsein geschlichen hat und sich als Tagtraum eine Daseinsberechtigung erwirkt hat. Oder sind solche Tage in New York einfach nur Normalität? Kurz zweifele ich an meiner geistigen Gesundheit. Vielleicht ist mein Blutzucker in den Keller geschossen, und ich bilde mir das alles wirklich nur ein.

»Erbitte Erlaubnis, eintreten zu dürfen.«

Matts Stimme, diesmal wirklich vertraut, reißt mich nur Minuten später aus meinem Gedankenkarussell, und ich spüre helle Erleichterung, als ich den Schatten zwischen den Koffern ausfindig mache.

»Erlaubnis erteilt.«

Seine Schritte sind noch immer etwas unsicher, aber die Brille hilft ihm ohne Zweifel, alles wieder klarer zu sehen. Mit zwei Hotdogs, die ich diesmal auch als solche erkenne, lässt er sich wieder neben mich auf die Couch fallen und reicht mir eines der für New York so typischen Brötchen mit dem Würstchen, bedacht darauf, genug Abstand zwischen sich und dem Pfefferspray in meiner Handtasche zu halten.

Es gibt Momente im Leben, da muss man binnen weniger Augenblicke entscheiden, wem man vertraut und wem nicht. Ich kenne Matt nicht, weiß praktisch nichts über ihn, und doch beschließe ich, trotz der Anekdote mit Jeffrey, es noch mal auf einen Versuch ankommen zu lassen: Ich vertraue einem Menschen, der ein Fremder ist.

Ein Fremder, dem ich Pfefferspray ins Gesicht gesprüht habe und der trotzdem losgezogen ist, um mir Essen zu besorgen.

Ein Fremder mit Hotdogs.

Endlich nehme ich das Brötchen an und strahle Matt so breit und dankbar an, dass es wohl kein gut gehütetes Geheimnis ist, wie froh ich bin, ihn hierzuhaben.

»Du bist mein Held!«

Obwohl Hotdogs nicht zu meinen Lieblingsgerichten gehören, kann ich mir gerade nichts vorstellen, was besser schmecken soll als diese Speise, in die ich hastig beiße.

»O mein Gott!«

Mit vollem Mund soll man nicht sprechen, aber wen interessieren gerade Manieren, wenn ich zum ersten Mal an diesem Tag was Richtiges zu essen bekomme?

»Das schmeckt ja himmlisch!«

So beeindruckt man sicher keine Männer, aber diese Möglichkeit habe ich zum Glück auch schon vorher ruiniert. Matt reicht mir eine Serviette – und ich nehme an, das nicht ohne Grund.

»Ist auch der beste Hotdog, den du für Geld in dieser Stadt kriegen kannst.«

»Wow, ich bin beeindruckt.«

Endlich wische ich mir die Soße vom Kinn und von der Backe, alles unter dem prüfenden Blick meines Superhelden, der allerdings kein Cape, sondern nach wie vor nur ein T-Shirt trägt.

»Hast du inzwischen schon einen Plan, wie es weitergehen soll?«

Ich bin ihm dankbar, dass er versucht, mich von meinem holprigen Start in diese Stadt abzulenken, und einen Themenwechsel einleitet. Seine Frage ist gut, denn die letzten Stunden habe ich tatsächlich nichts anderes getan, als verschiedene Varianten meiner Zukunft durchzuspielen. In manchen bin ich zurück nach Hause geflohen und habe mich in den Armen meiner Eltern ausgeweint, oder ich bin zurück nach L. A., um eine weitere unbedeutende Nebenrolle in einer schnell produzierten Serie zu erbetteln.

Doch die Version, die mir am besten gefallen hat, ist folgende:

»Ich muss mir wohl eine neue Wohnung suchen.«

Das mit dem Job verschweige ich.

»In New York?«

»In New York.«

»Okay.«

Matt lächelt mit vollem Mund.

»Ich weiß, kein leichtes Unterfangen, aber weißt du, Matt, ich gebe nicht so gerne auf.«

Keine Ahnung, wie überzeugend das wirkt, mit Soße am Kinn, auf einer Couch in der Seitengasse und mit zu viel Gepäck.

»Das gefällt mir. Frauen, die nicht aufgeben.«

Mir auch. Noch besser gefällt mir, dass er noch immer lächelt.

»Vielleicht kann ich mich mal für dich umhören.«

»Wirklich? Das wäre großartig!«

»Ich kann aber nichts versprechen. Die meisten Wohnungen in der Stadt sind schneller weg, als du ›Madison Square Garden‹ sagen kannst.«

»Schon klar.«

»Aber ich kenne da jemanden …«

Er spricht nicht weiter, greift stattdessen nach seinem Handy und tippt erstaunlich schnell mit nur einer Hand eine Nachricht, bevor er mir zunickt.

»Es wäre allerdings leichter, wenn du diese Couch abstößt.«

»Das kann ich leider nicht.«

Matt sieht zu mir, und ich zucke nur hilflos mit den Schultern. Natürlich versteht er es nicht. Ich kann es ja nicht mal selber verstehen, aber es hat eben etwas mit großen Träumen zu tun. Den Träumen von damals, als man ein Teenager war und sich sein Leben in den schillerndsten Farben ausgemalt hat. Diese Couch spielt eine zu große Rolle in meiner Vergangenheit, als dass ich sie jetzt wie ein lahmes Pferd zurücklassen könnte. Außerdem beweist sie in diesem Augenblick gerade wieder, wie wichtig sie ist.

»Darf ich fragen, wieso?«

Die Antwort ist leicht. Sie auszusprechen ein wahrer Kraftakt. Ich schlucke, bevor ich antworte.

»Weil sie mein Zuhause weit weg von zu Hause ist.«

Wieso um alles in der Welt verrate ich ihm das? Wieso konnte ich es in L. A. nicht mal meiner Mitbewohnerin erklären und verrate es jetzt Matt? Er nickt nachdenklich, beißt in aller Ruhe in seinen Hotdog und kaut langsam.

»Wenn das so ist, sollten wir uns darum kümmern, dass ihr bald ein echtes Zuhause hier findet.«

Es ist die Art und Weise, wie er es sagt, die mich davon überzeugt, dass er es auch so meint und ich mir, zumindest für heute Nacht, keine Sorgen mehr machen muss.

»Matt Booker, bist du New Yorks heimlicher Superheld, der gestrandete Frauen rettet?«

Kurz zuckt ein aufgeregtes Leuchten durch seine Augen.

»Das kann ich dir nicht beantworten …«

»… sonst musst du mich umbringen, weil ich deine wahre Identität rausgefunden habe?«

»Ganz richtig.«

»Kannst du mir denn irgendwas über dich erzählen, ohne mich umzubringen, damit ich nicht das Gefühl habe, total unvernünftig zu sein und mit einem Kerl, den ich nicht kenne, meine erste Nacht in New York zu verbringen?«

Das sollte nicht so zweideutig klingen, wie es rüberkam. Matt muss grinsen, richtet seine Brille und dreht sich etwas weiter zu mir, damit ich ihn trotz Dunkelheit besser sehen kann.

»Es gibt nicht besonders viele aufregende Fakten über mich. Mein Name ist Matthew David Booker, ich komme ursprünglich aus Detroit, bin dreiunddreißig Jahre alt und halte mich mit Nebenjobs über Wasser. Wie jeder in dieser Stadt.«

»Wie lange bist du schon hier?«

»Knapp fünf Jahre.«

»Welche Jobs?«

»Verschiedene. Ich gehe zum Beispiel mit Hunden spazieren.«

»Wie bitte?«

»Na, wenn die Besitzer arbeiten und so. Dogsitter.«

»Wow!«

»Ich weiß.«

»Damit beeindruckst du bestimmt eine Menge Frauen.«

Zum ersten Mal höre ich Matts Lachen, rauh und tief und aus vollem Herzen.

»O ja. Hunderte!«

»Was sonst noch?«

»Viele Jobs. Ich helfe an den Wochenenden in einem Club aus.«

»Barkeeper?«

»So weit würde ich nicht gehen, aber ich kann Bierflaschen von Kronkorken befreien.«

»Ich bin begeistert.«

»Wer in New York überleben will, muss vielseitig sein.«

»Danke für den Tipp.«

Wir essen eine kleine Weile stumm unsere Hotdogs. Ich merke so langsam, wie die Reise, der lange Tag und das Chaos ihren Tribut fordern.

»Erzähl mir was über dich.«

Jetzt bin ich also an der Reihe, mich so spannend wie möglich zu beschreiben.

»Ich komme aus Idaho.«

Wieso mir ausgerechnet das zuerst einfällt, weiß ich nicht, aber ich höre, wie sich der Singsang meiner Stimme verändert. Das, was ich in den letzten Jahren mühevoll wegtrainiert habe, ist mit nur einem Satz wieder da. Ich kann es nicht abstreiten, ich bin ein Mädchen aus Idaho und verdammt stolz darauf, wo meine Wurzeln liegen. Allerdings war ich schon seit über einem Jahr nicht mehr zu Hause.

»Idaho?«

»Idaho.«

Matt mustert mich mit geschwollenen Augen, und ich kann fast sehen, wie er sich mich in einer ländlichen Umgebung mit Cowboyhut und Boots vorstellt.

»Wow! Das ist ein ziemlicher Kontrast zu New York.«

Das kann man wohl sagen. Als der Flieger den JFK-Flughafen anvisiert hat, war ich von der schieren Masse an Gebäuden und Wolkenkratzern ziemlich überwältigt. In L. A. gab es zumindest noch Strand, doch hier wird mir bei jedem Blick bewusst, dass ich unendlich weit weg von zu Hause bin. Idahos Weite sucht man hier vergebens.

»Du hast einen langen Weg zurückgelegt, um jetzt mit mir auf dieser Couch zu landen.«

Wenn Matt solche Dinge sagt, klingt es nicht wie ein blöder Anmachspruch, sondern fast niedlich.

»Ich sehe mein Leben eben als Roadtrip.«

»Und was treibt dich nach New York, Zoe Hunter?«

Er hat sich meinen vollen Namen also wirklich gemerkt. Meine Mundwinkel machen sich selbständig und formen ein Lächeln. Nicht nur, weil Matt weiß, wie ich heiße, sondern auch, weil ich endlich verstehe, dass ich tatsächlich in New York bin. Wenn auch nicht so, wie ich es mir ausgemalt habe.

»Mein großer Traum.«

»Der da wäre?«

Spätestens jetzt werde ich ihn vergraulen, weil ich das lebende Klischee erfülle.

»Ich bin Schauspielerin.«

Er wirkt nicht so überrascht, wie ich angenommen hatte. Vielleicht, weil er ständig Schauspielerinnen trifft, die hier ihr Glück versuchen wollen. Weil ich eben nur eine von vielen bin.

»Ist dann Hollywood nicht die bessere Adresse?«

»Ich habe die letzten Jahre in L. A. gearbeitet, aber das war nicht wirklich das, was ich will.«

»Was willst du denn?«

»Ich will ernst genommen werden.«

Verdammt noch mal, Zoe! Reiß dich zusammen!

Du darfst deine ganzen Träume und Wünsche diesem Matt Booker nicht so einfach vor die Füße ausspucken. Zu groß ist die Gefahr, dass er darauf herumtrampelt.

Warum fühlt es sich dann so gut an, endlich mal die Wahrheit zu sagen?

»Das klingt nach einem guten Plan.«

»Ich bin aber nicht naiv.«

Irgendwie verspüre ich das Bedürfnis, diese Tatsache ausdrücklich zu betonen. Bisher habe ich wohl nicht gerade den besten Eindruck mit meiner Planlosaktion und dieser Couch hinterlassen.

»Natürlich weiß ich, dass hier niemand auf mich gewartet hat. Nicht mal meine Wohnung konnte vierundzwanzig Stunden länger auf mich warten. Aber ich will es versuchen.«

Matt nickt, als wüsste er nur zu genau, was ich meine. Wer weiß, vielleicht tut er das sogar. Er sieht mich lange an, bevor er etwas sagt.

»Wenn Träume einfach auf uns warten würden, wäre das nicht langweilig?«

So habe ich das noch nie betrachtet, aber mir gefällt seine Sicht auf die Dinge.

»Und wer will schon ein langweiliges Leben? Dann hätten wir uns nie kennengelernt, und du würdest jetzt deine Couch in Cynthias Wohnung aufstellen.«

Garniert wird dieser Satz mit einem Augenzwinkern, das mein Herz ganz kurz einen Takt überspringen lässt. Ist Matt Booker mein Trostpreis für die verpasste Wohnung? So gerne ich länger darüber nachdenken möchte, meine Augenlider werden minütlich schwerer, deshalb kann ich diesen Kampf gegen den Schlaf nicht mehr gewinnen. Ich mache es mir so gemütlich wie möglich und schließe endlich die Augen. Ein merkwürdiges Gefühl von Sicherheit breitet sich in meiner Brust aus.

»Bist du morgen früh noch da, wenn ich wieder aufwache?«

Meine Stimme klingt schon jetzt schlaftrunken, dabei bin ich noch wach. Oder zumindest fast.

»Versprochen.«

Und dann mache ich den vielleicht größten Fehler meines Lebens, schließe die Augen und vertraue Matt Booker.

[home]

Wake Up in New York

Es ist das Hupen eines Lkws, das mich aus dem Schlaf und einem ziemlich undurchsichtigen Traum reißt. Doch sobald ich die Augen öffne und in das Licht des beginnenden Tages blinzle, löst sich der Traum auf und stellt sich als gnadenlose Realität heraus. Ich habe also nicht geträumt, in einer Seitengasse mit einem recht attraktiven Typen, den ich Stunden zuvor attackiert und verletzt habe, auf meiner Couch zu übernachten – nein, ich habe das ganz offensichtlich erlebt!

»Guten Morgen.«

Matt hat gute Laune, ein Lächeln im Gesicht und einen meiner Kartons in den Händen.

»Was … ähm …«

»Die Möbelpacker sind da.«

Wer hätte gedacht, dass das der magische Spruch ist, um mich ohne Kaffee und laute Gute-Laune-Musik blitzartig wach zu bekommen. Sofort sitze ich aufrecht auf der Couch, spüre die Verspannung in meinem Nacken und ein aufgeregtes Kribbeln in meinem Magen.

»Ich verstehe nicht …«

»Meine Jungs schieben dich vor dem ersten Kundentermin heute ein. Also bewege bitte deinen Hintern von der Couch, damit wir dein Zuhause in den Truck laden können.«

Er nickt hinter sich, wo tatsächlich ein Lkw mit der Aufschrift New York Stuff Carrier steht, aus dem drei gut gelaunte, breit gebaute Männer aussteigen und zielsicher auf uns zukommen.

»Deine Jungs?«

»Ich arbeite für die Firma.«

»Du bist Möbelpacker?«

»Nicht hauptberuflich.«

Mir fällt unser Gespräch von gestern Nacht wieder ein: seine Erzählung über die verschiedenen Jobs. Mein persönlicher Superheld ist also Dogsitter-Barkeeper-Möbelpacker – ohne Cape.

»Ich bin mir bewusst, dass ich mich wiederhole, aber … ich verstehe nicht.«

»Das wirst du nach einem Kaffee und einem Bagel sicher tun.«

So gut sein Plan auch klingen mag, er scheint eine Kleinigkeit übersehen zu haben.

»Ähem, ich habe keine Wohnung.«

»Noch nicht. Deswegen lagern wir dein Zeug erst mal bei uns. Und du triffst heute eine Bekannte von mir. Ihr Name ist Becca Salinger, die kann dir vielleicht weiterhelfen. Sie wohnt nicht weit von hier.«

Noch immer habe ich das Gefühl, in Zeitlupe zu denken und mich zu bewegen, während sich alles um mich herum in Höchstgeschwindigkeit abspielt. Alle meine Koffer und Kisten verschwinden nach und nach im Bauch des Lkws, so lange, bis nur noch die Couch und ich übrig sind. Heißt es nicht, dass solche Wunder nur in Hollywood geschehen? Oder maximal noch in einem Disney-Park? Die Leute, die das sagen, müssen sich irren, denn hier stehe ich inzwischen, sehe zu, wie meine geliebte Couch wegtransportiert wird, und begreife, dass ich so unverschämt viel Glück habe, dass ich eigentlich einen Freudenschrei loslassen müsste. Stattdessen entscheide ich mich dafür, Matt zu umarmen, der neben mir steht und sichtlich überrascht von einem solchen Ausdruck der Begeisterung ist.

»Oh, wow! Danke.«

»Nein! Ich danke! Das ist wirklich unglaublich.«

Ich drücke ihn fest an mich, und fast schüchtern erwidert er den Druck. Zögernd lösen wir uns aus der spontanen Umarmung und sehen uns unsicher an. Keine Ahnung, was die letzte Nacht aus uns gemacht hat, aber ich hoffe, in ihm einen ersten Freund im Big Apple gefunden zu haben.

»Eine Frage habe ich noch …«

»Die da wäre?«

»Wieso machst du das alles für mich?«

Matt weicht meinem Blick kurz aus, als müsse er sich überwinden oder erst die Antwort finden, bevor er wieder zu mir sieht.

»Weil Mut belohnt werden sollte.«

Es kostet mich sehr viel Kraft, ihn nicht schon wieder zu umarmen und so lange festzuhalten, bis er versteht, wie dankbar ich ihm für das eben Gesagte bin. Stattdessen biete ich ihm einen Deal an.

»Du hast was gut bei mir, Matt. Egal, was.«

Schnell greife ich in meine Handtasche, ziehe meine professionell gestaltete Visitenkarte raus und reiche sie ihm.

»Ruf mich an, wenn du irgendwann Hilfe brauchst. Oder ein offenes Ohr. Oder eine Couch zum Übernachten.«

Das ist nicht ganz so selbstlos, wie es auf den ersten Blick scheint, denn ich hoffe sehr, er meldet sich einfach so mal bei mir.

»Vielen Dank. Und jetzt steig ein.«

»Fährst du nicht mit?«

Er kann nicht besonders gut geschlafen haben, denn seine Haare stehen in alle Richtungen, seine Augen sind noch immer deutlich gerötet, und selbst die Ränder seiner Brille können nicht die Existenz der Augenringe verheimlichen. Dennoch lächelt er so, als hätte er acht Stunden Tiefschlaf in einem bequemen Bett hinter sich.

»Das würde ich ja gerne, aber Molly, Rufus und Joey warten auf mich.«

»Familie?«