Nicht die Liebe macht blind, sondern die Sehnsucht danach - Anne Schelzig - E-Book

Nicht die Liebe macht blind, sondern die Sehnsucht danach E-Book

Anne Schelzig

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Beschreibung

Als Tochter lesbischer Mütter selbst lesbisch – muss das sein? Mit dieser Frage schlägt sich nicht nur Laura herum. Auch ihre Mütter hoffen insgeheim auf eine spätpubertäre Phase. Doch nach dem tragischen Ende ihrer ersten Beziehung hat Laura sowieso ganz andere Probleme, die ausgerechnet ein Umzug nach Berlin lösen soll. Mittels jahrelang antrainierter Scheinkompetenz sichert sie sich kurz vorher nicht nur ein begehrtes WG-Zimmer im Szenekiez, sondern auch die lang ersehnte Stelle im Kindergarten. Als bekennende Zweck-Pessimistin hält sie alles Perfekte für Heuchelei und glaubt, auf Rück- und Zwischenfälle bestens vorbereitet zu sein. Doch damit, dass die Dinge auch mal glatt laufen können, hat sie nicht gerechnet, und so stolpert sie mit schöner Regelmäßigkeit vor allem über die Steine, die sie sich selbst in den Weg gelegt hat. Als sie sich auch noch in Torben verliebt, der ihr das Leben bieten könnte, das sie sich immer gewünscht hat, gerät ihr Selbstbild endgültig aus den Fugen.

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Seitenzahl: 569

Veröffentlichungsjahr: 2022

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© Querverlag GmbH, Berlin 2022

Erste Auflage März 2022

Lektorat: Katja Schurter

Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Umschlag und grafische Realisierung von Sergio Vitale.

ISBN 978-3-89656-678-2

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Querverlag GmbH

Akazienstraße 25, 10823 Berlin

www.querverlag.de

Haslach im Kinzigtal, November

Heute wieder meinen Traum gehabt. Hätte damit eher an ihrem Geburtstag gerechnet. Ich sehe ihr Gesicht vor mir, sehe, wie sie vom Zug erfasst wird, wie sie mir hinterherblickt, ihren abgerissenen Kopf, obwohl das gar nicht sein kann. Sie hat mich ja erst angesehen, und sich dann umgedreht. Hätte sie sich nicht umgedreht, wäre sie ja gar nicht erst vor den Zug gelaufen. Und trotzdem dieser Blick.

Dann bei Frau Richter gewesen. Habe mich schon wieder gefragt, ob es irgendwie sein kann, dass ich diese Steffi-Träume absichtlich vor den Tagen bekomme, an denen ich zu ihr gehe. Ich sollte versuchen, mich an einen perfekten Tag mit Steffi zu erinnern.

Natürlich – und das war wohl von Anfang an der Sinn der Übung – gab es keinen perfekten Tag. Nur solche, die fast perfekt waren.

Die perfekt hätten sein können, wenn ich genügend Arsch in der Hose gehabt hätte. Wie der Tag, an dem wir im Strandbad rumknutschten. Es war nicht perfekt, aber um Längen besser als meine Knutschversuche, die ich bisher mit Typen unternommen hatte.

„Na, übt ihr schon mal?“, riefen zwei Typen von der Bank schräg gegenüber. Sie grinsten dämlich. „Sollen wir euch helfen?“, nervten sie weiter, als wir nicht antworteten.

„Ja, von mir aus, macht doch.“ Ich wollte frech und trotzdem lässig klingen – und ging natürlich keine Minute lang davon aus, dass sie tatsächlich zu uns rüberkommen würden. So was habe ich allen Ernstes mal gesagt. Ich könnte kotzen.

Steffi neben mir erstarrte. Ihre Scham, ihre Abscheu übertrugen sich innerhalb von Sekundenbruchteilen auf mich.

Ich versuchte trotzdem, Steffi noch mal zu küssen, aber sie wollte nicht mehr und ich habe mich tierisch aufgeregt. Dass sie eine Spaßbremse ist und mich nicht wirklich liebt, wenn sie sich von so ein paar Honks aus der Fassung bringen lässt. Ich war so dumm damals. Aber Unwissenheit schützt vor Strafe nicht. Hat schon meine Oma immer gesagt. Alles Perfekte ist für mich Heuchelei.

Frau Richter meinte, ich hätte ein „negativistisches Weltbild“. Dafür könne ich nichts, das sei wohl eine Folge der kontinuierlichen negativen Erfahrungen, die ich gemacht habe, und die durch meine Eltern leider nur unzureichend aufgefangen wurden, da sie mit den negativen Erfahrungen beschäftigt waren, die sie selbst machen mussten. Ich sagte, mehr, damit ich es gesagt hatte, dass meine Eltern aber ihr Möglichstes getan hätten, um mir eine Stütze zu sein.

„Manchmal ist das Möglichste eben nicht genug. Sie können ja beides akzeptieren – dass Ihre Eltern Sie lieben und sich um Sie gekümmert haben, dass ihnen das aber nicht immer gelungen ist“, sagte sie, als wäre ich so ein vernachlässigtes geschlagenes Heimkind, das seine Eltern trotz allem mit Zähnen und Klauen verteidigt. Dabei hatte ich doch nur nicht den Eindruck erwecken wollen, ich würde meine Eltern hassen und sie bei jeder Gelegenheit in die Pfanne hauen wollen.

Außerdem, hä? Ich soll akzeptieren, dass es nichts gibt, was perfekt ist, aber auch nicht immer alles so negativ sehen. Was denn jetzt?

Alles, was ich mit Steffi Schönes erlebt habe, ist mit irgendeiner Kacke verknüpft. Schon allein, wie ich sie kennengelernt habe. Auf einem Ausbildungskurs zur Jugendleiterin bei der evangelischen Kirche. Bei einem Bezirksjugendreferenten, der den guten alten Zeiten hinterhertrauerte, als die Betreuer noch bei den Jugendlichen im Zelt schliefen, weil das nun mal „zum Erwachsenwerden“ dazugehöre, dass Erwachsene und Kinder gewisse Zeiten gemeinsam verbrachten. Er heulte rum, dass das nun alles nicht mehr erlaubt sei, weil einige hysterische Eltern sich beschwert hätten, dass da auf einer von hundert Freizeiten mal irgendetwas passiert sei, was die mutmaßlichen Opfer im Nachhinein als „übergriffig“ interpretiert hätten.

Ich war natürlich gleich mal bedient.

Steffi sah mich an. „Jedes Opfer ist eines zu viel“, sagte sie, ohne sich vorher gemeldet zu haben. „Außerdem ist doch die Frage, von wem dieser Wunsch nach gemeinsamen Aktivitäten ausgeht. Meiner Erfahrung nach sind es meistens Erwachsene, die Kindern diesen Wunsch unterstellen. Ich fand es als Kind total gut, meine Nächte im Zelt nur mit anderen Kindern verbringen zu können.“

„Kinder wissen halt manchmal nicht, was sie eigentlich brauchen.“

„Ihh. Ihr Ernst? Außerdem, voll diskriminierend, zu behaupten, Kinder würden ihre eigenen Bedürfnisse nicht spüren.“

„Diskriminierend, ach je. Hab ich mir da etwa wieder eine von diesen Progressiven eingefangen.“ Er machte einen auf dicke Hose, aber ich merkte, wie verunsichert er war.

„Doch wohl nur, weil Erwachsene ihnen abgewöhnt haben, ihre Bedürfnisse ernst zu nehmen“, sprach Steffi über ihn hinweg.

Plötzlich bekam ich richtig Lust, mich auch mit diesem Vollpfosten zu streiten. „Wenn man es wirklich korrekt benennen will, sind es doch vor allem weibliche Kinder, denen ihre Wahrnehmung absozialisiert wird“, sagte ich. Zumindest stand das in einer von Ronnis Bettlektüren, wo sich das Lesezeichen innerhalb der letzten fünf Jahre allerdings nur um siebzehn Seiten weiterbewegt hatte. Ich wusste das, weil ich gelegentlich durch dieses Buch blätterte, seit ich entdeckt hatte, dass darin das Wort „Orgasmus“ vorkam (den Frauen unter patriarchalen Bedingungen so gut wie nie erreichten, weil sie sozialisationsbedingt nie gelernt hatten, eigenständiges Begehren zu entwickeln, sondern ihre sexuelle Empfindungsfähigkeit darauf konditioniert wurde, nur auf Reize zu reagieren, die von außen an sie herangetragen wurden – alles Weitere war mir dann zu kompliziert).

„Oh, eine Feministin haben wir auch noch.“ Er sah nach Lachern heischend in die Runde. „Bist du nicht die mit den beiden Elterinnen“, fragte er, als keine kamen.

Hier lachten tatsächlich ein paar Teilnehmer, aber ich glaube eher, um ihre Fremdscham zu überspielen und um zu verhindern, dass er so lange weiter peinliche Witze machte, bis endlich einer lachte.

Wir waren jedenfalls gleich vom ersten Tag an unten durch. Spoiler Alert, wir sind nach einem halben Jahr aus dem Kurs geflogen, weil wir das christliche Gedankengut nicht überzeugend genug vermittelten. Ich muss zugeben, damit hatte er sogar recht. Sowohl Steffi als auch ich waren schon Atheistinnen gewesen, als wir uns für diesen Kurs angemeldet hatten, und nach drei Wochenenden wussten wir, wieso. Eigentlich hätten wir uns längst selber abmelden können, aber da waren wir schon zusammen und hätten uns ja nicht mehr sehen können … Ja, auch mit zwei lesbischen Müttern kann so was kompliziert sein, und für Steffi sowieso.

Ihre Familie waren Bauern, die von der Milchwirtschaft, Kartoffel- und Gemüseanbau und, seit die Großmutter sich im Wald hinter dem Haus erhängt hatte und ihre Wohnung von Grund auf saniert worden war, auch von Feriengästen lebten. Offiziell war die Oma dement gewesen, hatte während eines Sommergewitters die Orientierung verloren, sich völlig durchnässt an einen Baum gekauert und war im Laufe der Nacht erfroren. Die familieninterne Version war, dass sie Steffis unnormales Verhalten, ihren lächerlichen Aufzug und überhaupt ihre abartigen Neigungen nicht mehr ertragen hatte, vor allem, da Steffi ihre Perversionen auch noch so öffentlich zur Schau trug. Steffi wusste, dass das nicht stimmte, ihre Oma war nämlich die Einzige, die sie von Anfang an so akzeptiert hatte, wie sie war, deswegen war der Großteil ihres Erbes auch an Steffi gegangen und nicht an Steffis Vater, oder wenigstens an ihren Bruder. Der drehte nach dem Tod ihrer Oma völlig durch. Seinen Freunden gegenüber nannte er sie nur noch „die fette Steffi Manzer – halb Mann, halb Panzer“, und regte sich darüber auf, dass sie überhaupt den Namen „seiner Familie“ benutzen durfte. Was er sonst noch sagte oder machte, erfuhr ich nicht.

Ich habe mich oft gefragt, ob gewisse Probleme in unserer Beziehung vielleicht gar nicht erst aufgetaucht wären, wenn ich sie meinen Eltern vorgestellt und auf Irinas dummes Gelaber einfach geschissen hätte. Aber selbst wenn, Steffis Eltern hätten ihr doch nie erlaubt, dass sie mich besuchen kommt, geschweige denn bei mir übernachtet. Da ließ ich es mir lieber gefallen, dass Steffi behauptete, ich würde unsere Beziehung nur geheim halten, weil ich mich interessanter fühlen wollte.

Nein. Es ging darum, dass ich wollte, dass wir beide gleiche Ausgangsbedingungen hatten. Irgendwie spürte ich schon ganz am Anfang, dass es ein Ungleichgewicht in unsere Beziehung bringen würde, wenn sie immer nur bei mir wäre und wir uns beide vor ihren Eltern geheim halten müssten. Am Ende hatte ich ja recht behalten, wenn auch aus anderen Gründen als gedacht.

„Ich lass mir da schon was einfallen, mach du dir mal keinen Kopf“, hatte sie immer wieder gesagt.

Sie hätte ihren Eltern erzählt, dass sie weiterhin zu diesem Kurs ging, und hätte am Ende das Zertifikat gefälscht oder so. Dafür, dass sie solche Arschloch-Eltern hatte, war sie erstaunlich naiv. Sie glaubte allen Ernstes, sich in den Sommerferien zwei Wochen lang bei mir verstecken zu können, während sie offiziell als Betreuerin an der Sommerfreizeit teilnahm, die wir als eine Art Prüfung gebraucht hätten, um dieses Zertifikat zu bekommen.

Irina fand schon heraus, dass ich sie angelogen hatte, als ich nach dem zweiten Kurswochenende behauptete, Herr Schödl (unser Kursleiter) habe überzogen und ich hätte einen späteren Zug nehmen müssen, weil ich mit Steffi noch einen Döner essen wollte (unser Ersatz für das, was für normale Menschen das erste Date war). Sie rief bei den Eltern von Emma an, die auch bei uns im Kurs war, unter dem Vorwand, sie wolle wissen, ob es schon eine Liste gebe, wer was zum Erntedankfest im Oktober mitbringe. Im Laufe des Gesprächs bemerkte sie ganz nebenbei, dass zwei ganze Tage am Wochenende ja schon ziemlich lang seien und man nur hoffen könne, dass Herr Schödl nicht noch auf den Gedanken komme zu überziehen. Schließlich mussten die Kinder ja auch noch Hausaufgaben machen.

„Die Emma ist gerade zur Tür rein und ist auch sonst immer pünktlich nach Hause gekommen“, meinte die Mutter, und ich war (wie immer) enttarnt.

„Wir sind wirklich enttäuscht. Wir würden dir doch alles erlauben, wenn du einfach normal fragen würdest wie andere Kinder in deinem Alter“, behauptete Irina. „Wieso hast du uns nicht einfach gefragt, ob du noch mit ein paar anderen aus deinem Kurs einen Döner essen darfst? Ich verstehe nicht, wieso du uns unterstellst, wir würden dir so etwas nicht erlauben.“ Sie hielt das gefüllte Salatbesteck über meinen Teller. „Ich nehme an, du möchtest nur noch kalt essen?“ Ich wollte gar nichts mehr essen, aber was sollte ich denn sonst sagen außer „ja, bitte“?

„Meine Eltern sind nicht wie deine Helikoptermamas, die ständig überall anrufen und alles überprüfen. Meinen Eltern ist es total egal, was ich mache, solange die Fassade stimmt.“ Steffi hatte sich zu diesem Kurs nur angemeldet, weil sie mal ein Wochenende im Monat für sich haben wollte. Ich war aus demselben Grund dort, auch wenn ich das gegenüber anderen nie so gesagt hätte.

Steffi war in der zehnten Klasse der Realschule und hatte die Noten, um danach Abitur zu machen, und das, obwohl sie von ihren Eltern an Nachmittagen und Wochenenden auf dem Hof und auf dem Markt als unbezahlte Arbeitskraft ausgebeutet wurde (meine Worte, nicht ihre), aber es war eigentlich schon seit zehn Jahren klar, dass sie eine Ausbildung zur Pferdewirtin machen und dann bei Mosers auf dem Pferdehof nebenan arbeiten würde. Sie interessierte sich wirklich für Pferde, nicht nur so Wendy-mäßig, aber sie wollte inzwischen lieber Tiermedizin studieren, und das war halt nicht drin, weil unnötig und teuer. Sie hatte schon durchgerechnet, dass sie fast kein Bafög bekommen würde und sie entweder den Rest komplett selber erjobben müsste, was sie sich nicht zutraute, oder ihre Eltern dazu bringen, für die Differenz aufzukommen, notfalls per Gerichtsurteil, und das konnte sie komplett vergessen. Außerdem musste sie erst mal aufs Gymnasium, und dass ihre Eltern sie noch drei weitere Jahre durchfütterten, vor allem nach dem Tod ihrer Oma und dem Erb-Debakel, konnte sie sich ebenfalls abschminken, denn das ererbte Geld war gemäß § 1642 BGB leider, leider bis zu Steffis achtzehntem Geburtstag fest angelegt.

Zumindest das mit dem Gymnasium klappte dann doch, denn Steffi trat in den Hungerstreik.

„Hauptsache Aufmerksamkeit, oder. Mit mir nicht“, erklärte ihr Vater.

„Muss das denn jetzt sein, dass du uns noch mehr Kummer bereitest? War das mit der Oma nicht schon genug?“, sagte ihre Mutter.

„Bei den Reserven dauert das doch mindestens drei Monate, bevor man überhaupt ansatzweise sieht, dass sie abgenommen hat“, sagte ihr Bruder, der mit seinen Kumpels vor dem Stall herumlungerte, während Steffi den Kühen Heu gab.

Nach zwei Wochen gaben ihre Eltern nach. Steffi erzählte mir später, sie habe natürlich abends heimlich gegessen, sie habe nur Angst gehabt, dass es auffallen würde, weil sie nicht schnell genug abnahm. Dass der Hungerstreik nur gefakt war, fand ich irgendwie noch cooler, als wenn sie ihn tatsächlich voll durchgezogen hätte. Orientierung auf das Ziel und Orientierung auf die Selbstachtung. Steffi hatte das irgendwie instinktiv drauf.

Wir wechselten zusammen auf das Sozial- und Gesundheitswissenschaftliche Gymnasium in Lahr. Ihr Bruder tönte herum, dass er dort Kumpels hätte, die ihr ihren Hirnfurz mit dem Abitur schon austreiben würden. Es stellte sich heraus, dass sie doch nicht so gut mit ihm befreundet und im Gegensatz zu ihm viel zu bequem waren, um ein Mädchen, auch wenn sie seltsam war, einfach aus Jux und Dollerei zu ärgern. Als ihr Bruder erfuhr, dass seine angebliche Gang sich seinem Auftrag widersetzte, wurde er natürlich noch wütender, aber davon bekam ich nichts mit.

Sie trennten dort nicht nach Fachrichtungen, sondern nach „Fahrschülern“ von außerhalb und „Einheimischen“ aus Lahr, deswegen hatten wir das Glück, in derselben Klasse zu sein und nur einige Stunden in der Woche getrennte Kurse zu haben. Irina war natürlich entrüstet, dass ihre Tochter mit den ganzen Realschülern das „Abitur für Arme“ machte, und dazu auch noch ein Jahr länger brauchte als die auf dem richtigen Gymnasium.

„Lass sie doch gehen, sie ist doch sowieso ein Jahr jünger als die anderen“, sagte Ronni. Ich hatte nämlich nach einem Halbjahr in der ersten Klasse in das zweite Halbjahr der zweiten Klasse wechseln müssen, was mich vom etwas aufgedrehten Klassenclown zur eingebildeten Strebertussi degradierte. Die nächsten achteinhalb Jahre wurde ich permanent gemobbt. „Vielleicht findet sie dort endlich mal Leute, die sie so akzeptieren, wie sie ist.“

„Na klar. Realschüler.“ Irina wurde lauter. „Und dann auch noch mit dieser Steffi zusammen! Die ist doch überhaupt der einzige Grund für diese Aktion. Du kannst dir doch nicht wegen einer Freundin deine berufliche Zukunft versauen!“ Noch ein Satz bis zum Tobsuchtsanfall. „Bist du dieser Frau so hörig, dass du ihr blind hinterherrennst, ohne einen Gedanken an dein weiteres Leben zu verschwenden?“

Ich bin mir ziemlich sicher, dass sie damals noch nicht wusste, dass Steffi und ich zusammen waren. Sie unterstellte anderen Menschen grundsätzlich sexuelle Motive, wenn sie etwas taten, was ihr nicht genehm war. Wenn Ronni sich mit einer alten Freundin treffen wollte, hieß das natürlich, dass sie mit dieser Frau eine Affäre hatte. Wenn ich einen Rock anzog, den sie mir selbst ausgesucht hatte, der ihr aber später an mir doch nicht mehr gefiel (was bedeutete, dass sie ihn selbst anziehen musste), tat ich das, um „meine sexuellen Gelüste auszuleben“. Eines der vielen Dinge, die in Irinas Kindheit schief gelaufen waren, war, dass ihr Vater ein notorischer Fremdficker war, wie sie es nannte, und meine Oma ihr auftrug, sonntags morgens, nachdem er betrunken in seinem Arbeitszimmer eingeschlafen war, seine Manteltaschen auf Spuren zu untersuchen, die Hinweise darauf gaben, wo er die letzte Nacht verbracht hatte. Davon erzählte sie oft und gerne, sobald sie jemand wegen ihre pädagogisch eher weniger wertvollen Sprüche kritisierte.

Ich hatte ja schon vor Steffi meine Vermutungen gehabt, was das Lesbischsein angeht, aber beschlossen, sie erst einmal für mich zu behalten, denn woher wollte ich wissen, ob ich wirklich lesbisch war oder nur glaubte, lesbisch zu sein, weil ich mit zwei Lesben aufgewachsen war? Die Leute aus meiner Klasse hatten mich deshalb seit dem ersten Schultag auf dem Gymnasium fertig gemacht.

„Was kommt dabei raus, wenn zwei Lesben es miteinander machen?“

„Eine Kampflesbe.“

Das war überhaupt nicht lustig und total dumm, aber trotzdem verletzend. Noch dazu regte ich mich auf, weil ich mich darüber aufregte, dass mich die dummen Sprüche so aufregten.

Aber sie hatten es ja auch nur von ihren Eltern übernommen. Dass Kinder, die bei Homos aufwuchsen, selbst Homos wurden, gehörte sozusagen zur Allgemeinbildung.

„Guck an, jetzt vermehrt es sich auch noch“, sagte Herr Moser auf Melanies Geburtstagsparty zu seinem Kumpel. Melanie war eine von zwei Freundinnen, mit denen ich in meiner Grundschulzeit noch befreundet war, nachdem ich die Klasse wechseln musste. Herr Moser war ihr Vater.

„Na ja, es kann sich ja nicht vermehren. Dafür braucht es uns ja immer noch, auch wenn es das gerne verdrängt.“

„Vielleicht hat die Kleine ja Nachholbedarf, wo sie doch ihr ganzes Leben ohne Männer auskommen musste.“

Der Kumpel lachte. „Ich hab ja mal gehört, dass Töchter von Alleinerziehenden schon früher anfangen, diese Pheromone auszuschütten, um Männer anzulocken, weil sie ja zu Hause keinen haben“, erklärte er.

„Jaja, die Natur hat das schon sehr geschickt eingerichtet, um gelegentliche Ausreißer wieder auszugleichen.“

Ich stand vielleicht drei Meter entfernt vor dem Kuchenbuffet, das im Garten vor dem Haus aufgebaut worden war, tat aber so, als hätte ich es nicht gehört. Die beiden Typen merkten genau, dass ich nur so tat, und grinsten sich eins.

„Wenn ich mir die Kinder hier so angucke, hätten manche Heteropaare auch mal über eine Samenspende nachdenken sollen“, rief ich über die Wiese.

Nein, natürlich nicht. Ich war neun und wollte einfach nur heulen. Ich konzentrierte mich so sehr darauf, dass meine Tränen nicht durch meine Augen nach draußen gelangten, dass es sich anfühlte, als sei mein ganzer Körper nach innen, von meiner Haut weggerutscht, so dass, wenn ich nach draußen guckte, eine Lücke zwischen mir und meinem Schädel war und sich um meine Augenhöhlen herum schwarze Ränder bildeten. Ich ging mit meinem vollgepackten Teller zu den anderen Kindern, konnte aber nichts essen und mit keinem mehr ein Wort reden. Niemandem fiel es auf.

Das nächste Mal auf eine Geburtstagsparty ging ich erst wieder in der elften Klasse mit Stefanie zusammen. Gleich zwei Wochen nach Schuljahresbeginn luden uns die drei Mädchen, die Ambitionen hatten, zu den beliebtesten Mädchen der Klasse aufzusteigen, und die alle drei innerhalb einer Woche Geburtstag hatten, zu ihrer Party ein. Ich befürchtete, zur Attraktion ihrer persönlichen Freakshow zu werden, und hatte mir die Abfahrtszeiten der Züge eingeprägt, falls wir schon früher nach Hause fahren mussten (geplant war, dort zu übernachten, und ich würde mir nicht die Blöße geben, meine Eltern anzurufen und zuzugeben, dass ich es auch auf der neuen Schule sozialtechnisch wieder verkackt hatte).

„Auf in die Höhle des Löwen“, sagte ich, als wir aus dem Zug stiegen. Die Organisatorinnen hatten einen ihrer Kumpels überredet, uns vom Bahnhof abzuholen. Er wartete bereits auf dem Parkplatz. „Mal gucken, wo der uns in Wirklichkeit hinfährt.“

„Geh doch nicht immer gleich vom Schlechtesten aus“, sagte Steffi. „Es gibt auch Menschen, die sind nett zu anderen, auch wenn die Sachen anders machen als sie. Die wollen uns wahrscheinlich einfach nur kennenlernen. Wir sind ja auch was Besonderes.“ Sie gab mir einen Kuss auf den Mund. Mit einem Mal war mir wieder klar, dass das, was andere Leute über Steffi, über mich, über uns sagten, nichts als Gelaber war. Sie hatten einfach keine Ahnung. Selbst Ronni nicht, und vor allem nicht Irina.

„Seid ihr extra aufs SG gewechselt, damit ihr zusammen sein könnt?“, fragte Andi, als wir zwischen acht anderen Gästen in ihrem Gartenpavillon saßen. Einige andere lehnten von außen an der Wand, streckten den Kopf herein und gaben sich alle Mühe, an die Aschenbecher zu kommen, die in der Mitte des Pavillons auf dem Tisch standen.

Steffi rauchte, und ich war kurz davor, selber anzufangen, weil ich in den Pausen oder in Situationen wie diesen nicht alleine sein wollte, mir aber so vorkam, als würde ich einem armen Raucher den Platz wegnehmen. Ich versuchte das auszugleichen, indem ich einen der Aschenbecher in der Hand hielt und bei Bedarf herumreichte.

„Ihr seid so süß zusammen“, sagte Kristina, die die Party mit organisiert hatte. „Wenn mein Freund extra wegen mir die Schule wechseln würde, ich würde durchdrehen. Also, vor Freude.“

„Sicher?“, fragte Marvin, der beste Kumpel von Kristinas Freund.

Der saß neben ihm und boxte ihn in die Schulter. „Also ich würde ja noch eher für Kristina die Schule wechseln als für dich, du Pfosten.“ Es folgte großes Gegröle und Geschubse und ich musste aufpassen, dass mir der Aschenbecher nicht aus der Hand fiel.

Ja, super, Willi, Thema komplett verfehlt, dachte ich. Selbst wenn ich stockhetero wäre, schon alleine wegen diesem dümmlichen Gequatsche und Macho-Gehabe könnte ich nie was mit Männern anfangen. In der Beziehung hatte meine lesbische Sozialisation mich wohl doch geprägt. Als ich zehn war, verbrachten wir das erste Mal in meinem Leben die Sommerferien in einer gemischten Ferienanlage auf Teneriffa, und das erste, was mir auffiel, war die Lautstärke, in der Männer innerhalb einer Gruppe kommunizierten – wenn man diese Mischung aus Brüll- und Grunzlauten, die etwa achtzig Prozent der Geräusche ausmachte, die sie von sich gaben, als Kommunikation bezeichnen wollte.

„Ja, und dann extra noch vom Gymnasium. Voll krass, oder?“

„Hä, das machen doch voll viele“, meinte Willi.

„Ja klar, wenn sie es nicht packen notenmäßig. Aber das war bei Laura ja wohl eher nicht der Grund, oder?“

„Als ob. Ich meine, weißt du, was sie für Noten hatte?“

„Warum interessiert dich das denn so brennend?“

„Irgendeinen Grund wird es wohl gehabt haben, oder?“

Schon wieder voll an der Frage vorbei. Warum machten manche Menschen eigentlich überhaupt den Mund auf?

„Ich bin gewechselt, weil am Gymnasium leider nur Arschlöcher sind.“

„Na ja, ziemlich viele“, meinte Steffi.

„Warum musst du eigentlich alles, was ich sage, immer irgendwie verbessern?“

„Weil das, was du sagst, eben so nicht stimmt. Jetzt schon wieder. Ich verbessere nicht immer alles, was du sagst. Und es sind am Gymnasium auch nicht nur Arschlöcher.“

„Mann. Das war ein Stilmittel.“

„Ein was?“ Marvin beugte sich durch das Fenster des Pavillons über meine Schulter, weil ich den Aschenbecher nicht schnell genug hinausgereicht hatte.

„Eine Übertreibung. Das ist ein Stilmittel, das Dinge anschaulicher macht. Natürlich nicht alle Dinge. Nur manche.“

„Ach so, die Dinger.“ Er drückte seine Kippe aus und zog seinen Kopf wieder aus dem Fenster.

„Aber selbst wenn sie wissen, dass das ein Stilmittel sein könnte, wissen doch normale Leute nicht, dass du es auch so meinst.“

„Ja doch, eigentlich schon, dachte ich.“

„Also ich weiß so was nicht. Und ich glaube nicht, dass ich da die Einzige bin. Also eigentlich wollte ich auch nur sagen, dass es auch am Gymnasium Menschen gibt, die nett sind.“

„Ach, nur nicht zu mir oder was, und das ist natürlich meine Schuld?“

„Das habe ich doch überhaupt nicht gesagt. Das machst du auch total oft. Manchmal unterstellst du …“

„Manchmal? Ich dachte, oft?“

Niemand lachte.

„… unterstellst du Leuten Dinge, die sie überhaupt nicht gesagt haben, und dann bist du sauer wegen was, das überhaupt nicht passiert ist.“

„Ich rege mich oft über eingebildete Dinge auf. Alles klar. Danke fürs Gespräch.“

Steffi sah mich schweigend von oben bis unten an und wandte sich dann kopfschüttelnd ab.

Die anderen schwiegen peinlich berührt, wie man das halt so macht, wenn man gezwungenermaßen einen Streit mitbekommt, der einen nichts angeht. Alle sahen zu Boden und hätten gerne ein neues Gespräch angefangen.

Es war Willi, der sich schließlich ein Herz fasste. „Wer von euch ist eigentlich der Mann und wer die Frau?“, fragte er, ohne jegliche Ironie in der Stimme.

„Merkt man das nicht?“, nuschelte Marvin in seine Bierdose.

„Na, keine von uns beiden.“ Als sei gar nichts gewesen, legte Steffi mir den Arm um die Schultern. „Das ist doch der Sinn der Sache.“

„Haha. Als ob so was jemals Sinn macht“, nölte Willi. „Ja oder, ist doch so“, erklärte er, als ihm niemand zustimmen wollte.

„Oh je, jetzt lasst es halt mal“, sagte Andi. „Wenn ihr hier rumpöbeln wollt, könnt ihr gleich wieder gehen. Alle beide.“

„Ja klar, uns kackst du an, aber bei den beiden Frauen sagst du nichts.“

„Und außerdem, es ist doch nun mal eine Sackgasse, evolutionsbilolo-, also, evolutionär gesehen.“

„Ja und? Es muss ja wohl nicht alles Sinn ergeben. Erst recht nicht für dich.“

„Gott wird sich schon was dabei gedacht haben“, sagte Andi.

„Jetzt nichts gegen dich oder Gott, aber wieso muss sich bei allem irgendjemand etwas denken?“, fragte Steffi. „Es kann doch auch mal irgendwas einfach so sein, wie es ist.“

„Alles klar, Stefan.“ Willi drückte seine Kippe aus und blies ihr den Rauch ins Gesicht.

Ich wollte irgendwas sagen, aber meine Gedanken rasten so schnell, dass ich gar nicht wusste, was ich selber dachte. Mir fiel einfach nichts ein. Willi hatte schon längst seinen Kopf aus dem Pavillon zurückgezogen und ging zurück zum Haus.

Das war jetzt natürlich mies gewesen vom Willi. Man diskutierte, einerseits hatte Andi gesagt, dass …, aber andererseits war Willi doch Kristinas Freund, und sie hatte doch die Party auch mitorganisiert, deswegen konnte man doch nicht einfach …

„Nein. Ich hab denen gesagt, wenn sie rumstressen, fliegen sie raus. Ende der Diskussion.“ Andi quetschte sich an den anderen vorbei aus dem Pavillon.

„… künstlich aufregen …“, hörten wir Willi kurz darauf.

„Innerhalb von zwei Minuten steht hier mein Vater.“

„Diskriminierung … umgedrehter Sexismus …“, verteidigte sich Willi.

„Du benimmst dich daneben, ich sage dir, du sollst dich verpissen. Nix Sexismus.“

Kristina verließ ebenfalls den Pavillon, redete leise auf ihn ein. Er ging dann, aber das war es für uns mit der friedlichen Zeit in der Schule.

„Stefan“ wurde Steffis unfreiwilliger Spitzname. Natürlich nannten nicht alle sie so. Aber trotzdem. Wir hatten uns gerade daran gewöhnt, uns keine dummen Sprüche mehr anhören zu müssen, da ging es wieder von vorne los. Später, wenn sie nicht dabei war, nannten sie sie auch „das Neutrum“, nur um zu gucken, wie ich darauf reagierte. Ich tat so, als hörte ich sie nicht.

Ich bin mir sicher, ich hätte es verhindern können, wenn ich auf dieser Party schnell genug einfach richtig ausgerastet wäre. So wie später Steffi gegenüber.

Alles zwanzig Mal hinterfragen und fremden Leuten permanent negative Absichten unterstellen, das mache ich ja auch nicht, weil es mir solchen Spaß macht. Es ist echt anstrengend, weil man, wenn man seine eigenen negativen Gedanken laut sagt, als Antwort auch noch die negativen Gedanken von anderen mitbekommt. Irina würde jetzt sagen, dass sie mir das ja schon immer gesagt hat, und mir irgendeinen Kalenderspruch à la „Wer Wind sät, wird Sturm ernten“ unter die Nase reiben. Aber so meine ich das nicht. Ich glaube wirklich, dass ich Irinas unbearbeitetes Trauma mit ihrem Vater mitbekommen habe. Alle Leute sind scheiße, und wenn sie nett sind, tun sie nur so und verarschen einen dann doch. Irina war ja in die Fremdgeh-Aktionen ihres Vaters voll mit eingebunden, aber sie hat immer gedacht, solange sie noch nicht erwachsen ist, wird er bei meiner Oma bleiben, weil er doch seine eigene Tochter nicht im Stich lassen würde. Als sie zehn war, hat er eine andere Frau kennengelernt (fünfzehn Jahre jünger als er), mit der er dann noch ein anderes Kind gezeugt hat. Bei dieser Familie ist er den Rest seines Lebens geblieben.

Toll. Jetzt, wo es zu spät ist, mache ich Therapie. Offiziell geht es um meinen überdurchschnittlich hohen Alkoholkonsum. Meine Therapeutin sagt selbst, eine Therapie bringt aber eigentlich gar nichts, wenn meine Sucht mir den Blick auf meine eigentlichen Probleme verstellt. Jedenfalls behandelt sie mich nicht wie einen Alki, denn Alkohol ist nur das Symptom, aber nicht die Krankheit.

Darauf einen Korn.

Nein Scherz, eine halbe Stunde packe ich noch.

Ich soll an meinen negativen Grundannahmen arbeiten.

Das ist doch das Gleiche, was Steffi meinte mit nicht immer das Schlimmste erwarten.

Das Seltsame ist, ich hätte die besten Voraussetzungen für ein gender-non-konformes Leben gehabt, mit lesbischen Müttern und einem schwulen Vater in Berlin-Schöneberg, der sogar einmal mit uns in die Kirche ging, obwohl er selbst nie an Gott geglaubt hat. Als ich den Leuten an meiner neuen Schule das erste Mal von meiner Familienkonstellation erzählte, bekam Steffi ganz feuchte Augen und konnte ihren Blick gar nicht mehr von mir abwenden. Es war so offensichtlich, dass es nicht mein Anblick war, der ihr Tränen in die Augen trieb, sondern das Bild, das sie von mir und meiner Familie hatte. Nach einer Weile stellten sich die meisten unter meiner Familie so etwas wie die Regenbogen-Version von Gilmore Girls vor, woran Steffi sicher auch einen gewissen Anteil hatte.

Ich hatte nicht nur eine unglaublich coole Mutter, sondern sogar zwei, und noch dazu einen reichen Vater im Hintergrund, weil die Detlevs und Uwes ja in der Regel gut verdienten, als Modedesigner oder Theaterregisseure. Mein Detlev hieß Maik. Man spekulierte unter Zuhilfenahme gewisser Handbewegungen, ob dieser Name total prollig oder schon wieder tuntig war. Noch an Fastnacht auf dem Schneeball wurde darüber debattiert. Und er war Landschaftsgärtner. Ja, das war jetzt aber schon schwul. Definitiv. Gärtner, hallo?

Dass das hieß, dass wir nicht in Geld schwammen, verstanden die meisten dann auch wieder nicht. Also versuchte ich, den Leuten aus meiner Klasse zu erklären, dass es meinen Eltern wichtiger war, Zeit mit mir zu verbringen, als viel Geld zu haben. (Als ich mit Steffi zusammenkam, nahm dieses Bedürfnis allerdings rapide ab.) Jedenfalls arbeiteten sie beide in Teilzeit, weshalb ich eben nicht an zwei Klassenfahrten im Jahr teilnehmen konnte, sondern nur an einer. Trotzdem unterstellten manche mir „Sozialschmarotzertum“. Als ich ihnen erklärte, dass wir gar keine Unterstützung vom Amt bekamen, weil meine Mütter trotz Teilzeit „zu viel“ verdienten und dass auch das Jugendamt keinen Unterhalt zahlte, wenn das Kind mit Hilfe einer Samenspende gezeugt worden war, erklärten sie mir wiederum, meine Mütter seien doch selber schuld, wenn sie das auch noch zugaben.

„Außerdem, dein Vater ist doch bekannt, da können deine … äh … Mütter, den doch auf Unterhalt verklagen, oder? Ich sehe meinen Vater auch nur ein- oder zweimal im Jahr, und trotzdem muss er zahlen.“

„Sie haben sich aber vor meiner Geburt mit meinem Vater darauf geeinigt, das nicht zu tun.“

„Na und, vor Gericht würdet ihr aber Recht bekommen.“

Das wusste ich selber. Ich wusste aber auch, dass man ein bisschen googeln musste, um an diese Information zu kommen, was bedeutete, dass manche Leute offensichtlich Zeit darauf verwandten, sich um die finanziellen Angelegenheiten meiner Familie Gedanken zu machen. „Aber das wäre doch voll arschig. Sie haben sich nun mal darauf geeinigt, dass Maik keine Pflichten mir gegenüber hat, aber dafür eben auch keine Rechte.“

„Das ist doch wohl nicht so schlimm, wenn du ihn so zwei Mal im Monat siehst oder so. Mit meinem Vater geht das auch“, sagte Carina.

„Aber vielleicht will ich das nicht. Und er auch nicht“, schob ich hinterher, bevor wieder die Frage kam, ob ich denn etwa „auch“ was gegen Männer hätte, so wie offensichtlich meine Mütter, denn auch wenn ich sagte, dass ich keinen Kontakt zu meinem Vater wollte, musste es ja eigentlich an ihnen liegen, dass dieses Gefühl in mir entstanden war. Es gab ja schon genügend normale Mütter, die ihre Ex-Männer so lange schlechtmachten, bis die armen Kinder Angst vor ihren Vätern hatten, obwohl sie sie nicht einmal kannten. Auf lesbische Mütter musste das ja gleich doppelt zutreffen, wo ihnen der Männerhass ja quasi angeboren war.

„Meine Mütter waren logischerweise nie mit Maik zusammen. Warum sollten sie ihn dann vor mir schlechtmachen wollen?“

„Ja, eben. Sie waren nie mit ihm zusammen, deshalb haben sie ja auch kein Problem, ihn runterzumachen.“

Gerade eben war die Annahme noch gewesen, die Mütter würden alle aus Eifersucht und verletzten Gefühlen über ihre Ex-Typen herziehen. Aber klar, immer so, wie man es gerade brauchte.

Außerdem waren es Ronni und Irina gewesen, die immer meinten, Männer anschleppen zu müssen. Einerseits sagten sie mir, ich hätte zwei Eltern, wie alle anderen Kinder auch, nur eben zwei Mütter anstatt eine Mutter und einen Vater. Andererseits nahm Ronni oft einen ihrer Kollegen mit, wenn wir wandern gingen, einmal fuhren wir sogar mit ihm in den Urlaub. Er hieß Thomas und war von seiner Frau getrennt, mit der er eine Tochter hatte. Ich mochte ihn, aber ich hatte oft das Gefühl, dass er nur nett zu mir war, um sich mit Ronni gut zu stellen. Mit seiner eigenen Tochter konnte er nicht auf Ausflüge gehen, weil seine Ex ihm das nicht erlaubte. Sobald er da war, fühlte ich mich so fehl am Platz, obwohl ja angeblich Thomas nur mitgekommen war, „damit ich auch mal wusste, wie das ist, einen Vater zu haben“. Weil Thomas aber gar nicht mein richtiger Vater war, hatte ich das Gefühl, dass ich das nicht richtig lernen konnte und deshalb etwas ganz Wichtiges verpasste. Hätten meine Eltern dieses Fass nicht aufgemacht, hätte ich das gar nicht erst mitbekommen.

Das eine Mal, als ich zwischen Maik und meinen Müttern an Weihnachten in der Kirche gesessen hatte – diese Aktion war Ronnis Beitrag zur queeren* Sichtbarkeit im ländlichen Raum –, hatten zwar die Älteren aufgeregt miteinander getuschelt und ließen sich nur durch intensives Armtätscheln ihrer Nebensitzerinnen beruhigen. Die Jüngeren lächelten uns aufmunternd zu, als erwarteten sie, dass wir jeden Moment zum Altar stürmen und eine ungeplante Musical-Nummer aufführen würden.

„An Weihnachten kommt dann eben doch die ganze Familie zusammen, gell?“, sagte Frau Schneider, als wir uns nach dem Gottesdienst mit unseren Weihnachtslichtern auf den Heimweg machten.

„Also mein Partner fehlt ja leider“, antwortete Maik. „Er war auch unter Androhung ewiger Höllenqualen nicht in eine Kirche zu kriegen. Ich mache da meiner Tochter zuliebe auch mal eine Ausnahme. Zumindest an Weihnachten.“ Er legte mir den Arm um die Schulter. Ich hatte bisher immer gedacht, er wisse halt nicht, wie er mit Frauen umgehen sollte. Wusste er jetzt anscheinend auch nicht. Seine Hand klammerte sich verzweifelt an meinen Oberarm. Aber anscheinend konnte er seine Beklemmungen schon mal überwinden, wenn es darum ging, öffentlichkeitswirksam Sprüche zu klopfen. Dass das in diesem Fall mir die Höllenqualen verursachte, war ihm egal.

„Das stimmt so aber auch wieder nicht. Das Jörgi ist bloß nicht dabei, weil die beiden Tucken sich mal wieder gestritten haben wie anscheinend jedes Jahr vor Weihnachten. Übrigens ist es das erste Weihnachten, das er mit uns verbringt, und auch das erste Mal, dass er mich seine Tochter nennt.“

Nimm das, „Papa“.

Frau Schneider warf Ronni und Irina einen entsetzten Blick zu. Ihr Mann verkniff sich ein Grinsen.

Für einige lange Sekunden herrschte absolutes Schweigen.

„Sag mal! Was sind das denn für hirnverbrannte Sprüche?“, fragte Irina. Ich hörte genau, wie sehr sie sich zwingen musste, laut zu werden. Sie wäre am liebsten im Erdboden versunken. Nicht nur, weil ihr peinlich war, was ich gesagt hatte, sondern weil ich sie zwang, sich vor allen Leuten aufzuregen. Am liebsten wäre ihr gewesen, sich bei mir unterzuhaken, um mich unauffällig wegzuziehen und so zu tun, als hätte ich überhaupt nichts gesagt. Zumindest so lange, bis wir in der Wohnung waren.

„Wir hatten uns doch sowieso schon ganz am Anfang darauf geeinigt, dass ich mit ihr keinen Kontakt haben muss. Ich weiß nicht, wieso ihr euch das alle paar Jahre anders überlegt“, sagte Maik, kurz bevor er wieder nach Hause fuhr.

Dezember

Es ist wieder Feldsalat-Saison, das heißt, ich darf jetzt jeden Tag arbeiten und verdiene auch entsprechend. Ich mag Feldsalat putzen. Und die Chefin sagt auch, dass ich das gut kann. Ich soll jetzt samstags am Hofladen im Verkauf helfen. Sie sieht es als Belohnung, aber ich habe darauf überhaupt keine Lust. Andererseits, mehr Stunden, mehr Kohle.

Irina sagt, wenn ich tatsächlich vorhabe, im Kundenkontakt zu arbeiten, soll ich mir aber neue Kleider besorgen. Sie hat keine Lust, sich wegen mir fremdzuschämen. Sie hat damals wegen der Steffi-Sache schon genug durchgemacht. Als ob nur ich daran schuld bin, oder. Sie hat mir neue Kleider besorgt. So peinlich. Aber ich habe keine Energie für so eine Scheiße, also ziehe ich sie halt an. Eine Karotten-Stoffhose mit Gummibund oben. Und so einen seltsamen weiten Strickpullover mit einem viel zu großen V-Ausschnitt. Wolle und Haut. Das passt ja wohl überhaupt nicht. Aber egal, unter der taillierten hellblauen Winterjacke mit Fellkragen sieht den ja keiner.

Ich mag einfach nicht mehr. Irgendwann traue ich mich auch mal ins H&M. Also in die Männerabteilung. Warum bin ich da eigentlich nie mit Steffi zusammen hingegangen? Ich dachte halt immer, sie lacht mich aus, weil sie meint, ich will sie nachmachen. Wenn ich wirklich so wäre wie Steffi, würde ich mich doch richtig dagegen wehren, solche Klamotten anzuziehen, wie Irina sie hier ständig anschleppt.

Heute war meine letzte Stunde vor Weihnachten. Frau Richter sagt, ich soll ausziehen. Genau genommen nervt sie mich damit schon seit Monaten. Aber wie, warum, wohin? Mein bisheriges Umfeld erachtet sie zwar als „hinreichend gut“. Aber dass es Leute gebe, die noch größere Probleme hätten als ich, müsse ja nicht heißen, dass ich mich nicht auch mit meinen Problemen beschäftigen dürfe.

Mein größtes Problem kann sowieso keiner lösen. Steffi ist weg. Ich bin schuld. Wie soll sich das jemals ändern?

Sie meint, es könne sein, dass allein mein Wohnort mich schon „triggert“. Ich hasse dieses Wort. Für die meisten Leute heißt „das triggert mich“ doch nichts anderes als „das regt mich auf“.

Sie meint nicht nur wegen Steffi, sondern auch wegen dieser Geschichte mit Thomas, die auch wieder so lächerlich ist, dass es mir peinlich ist, mich damit zu beschäftigen, weil eben eigentlich gar nichts war und ich mich trotzdem so darüber aufrege. Und ich weiß nicht, wieso.

Doch, natürlich weiß ich es. Wegen der Reaktion meiner Eltern. Ich solle doch mal drüber nachdenken, ob meine „Flucht“ zu Steffi damit zu tun haben könnte, dass der erste Annäherungsversuch des Gegengeschlechts so „schief gelaufen ist“. Und das von zwei Lesben. Und vor allem war Thomas überhaupt nicht das erste männliche Wesen, das sich mir genähert hat, auch wenn er sich das vielleicht so zusammenfantasiert hat.

Ich hatte vorher nämlich schon mal ein „richtiges Date“ mit einem Jungen. Ich habe mich ihm genähert, möchte ich klarstellen. Auch wenn das in diesem Zusammenhang nicht gerade für mich spricht. Vorher hatte ich mich anderthalb Stunden lang in der Badewanne verrenkt, um beim Rasieren ja sämtliche Haare zu erwischen. Das Resultat war, dass ich an einigen Stellen die oberen drei Hautschichten mit abgeschabt hatte, während an anderen noch ganze Fellareale stehen geblieben waren. Eigentlich wäre das Date schon genug gewesen, um Bescheid zu wissen (schweißige Hände, Stinkefüße, Mundgeruch und zum Schluss ein schleimiger Zungenkuss). Trotzdem haderte ich noch einige Wochen lang mit mir – hatte ich einfach noch nicht den Richtigen getroffen? War ich dazu erzogen worden, Männer unattraktiv zu finden? Hatte ich einfach nur keinen Bock, mich zu enthaaren? Schließlich entschied ich, dass es aus evolutionsbiologischer Sicht ja wohl äußerst kontraproduktiv war, sich vor dem Sexualakt irgendwelchen Ritualen zu unterziehen, die das Verlangen danach, diesen tatsächlich auszuführen, auf null reduzierten.

Also, ich wusste schon vor der dummen Aktion mit Thomas, nein, von Thomas, dass Männer nicht mein Ding sind. Ich hatte es meinen Eltern nur nicht erzählt, weil ich instinktiv gespürt haben muss, dass sie damit ein Problem haben würden. Außerdem hatte ich die „Gegenprobe“ nicht gemacht. Die erste Frau, in die ich mich verliebte, war nun mal Steffi. Wenn ich sie vor dieser Aktion kennengelernt hätte, wären solche bescheuerten Diskussionen gar nicht aufgekommen, oder ich hätte sie einfach ignorieren können. Ich ärgerte mich maßlos, dass ich ihnen damals nicht gleich von meinem ersten Date mit dem schleimigen Stinkesocken-Typ erzählt hatte.

Thomas war einer von Ronnis Kollegen und Wanderfreunden. Also einer von den Typen, die Ronni und Irina hier regelmäßig anschleppten, weil sie es extrem wichtig fanden, dass ich auch männliche Bezugspersonen hatte. „Nebenberuflich“ (also schwarz) war er Gitarrenlehrer. Als ich elf war, fasste Ronni sich ein Herz und gestand ihm, dass sie schon immer mal Gitarre lernen wollte. Sie hatte früher Klavier und Geige gespielt, war aber im Gegensatz zum Rest ihrer Familie komplett unmusikalisch, jedenfalls im Vergleich zu ihrer Schwester, die mit sechs Jahren das erste Mal bei Jugend musiziert gewonnen hatte. Sie wollte ja auch nicht besonders gut werden, nur fürs Lagerfeuer sollte es reichen. Thomas erklärte sich bereit, Ronni ein paar Stunden zu einem Sonderpreis zu geben. Aus den paar Stunden wurden insgesamt fast vier Jahre.

Obwohl er uns regelmäßig besuchte, hielt er die Gitarrenstunden lieber bei sich im Studio ab. Aber als Ronni sich das Bein brach, als sie die Kiste mit den Weihnachtssachen in den Keller trug, kam er einige Male zu uns nach Hause. Nach einer ihrer Stunden hoppelte Ronni durch die Küche, um Kaffee und Kuchen zu machen (warum musste man das tun, wenn man ein gebrochenes Bein hatte und an Krücken lief?), und während sie in der Küche war, ging ich ins Wohnzimmer, um Thomas so lange Gesellschaft zu leisten. Es hatte mich niemand darum gebeten, ich fand es nur unhöflich, dass Thomas allein im Wohnzimmer sitzen musste, wo er doch extra mit der sperrigen Gitarre den Weg zu uns nach Hause auf sich genommen hatte. Er saß auf dem Sofa und klimperte vor sich hin. Bisher war ich nur mit ihm zusammen gewesen, wenn Ronni und Irina auch mit dabei waren. Sie machten ihre Erwachsenen-Dinge (reden, wandern, reden), und ich lief hinterher und beantwortete brav Fragen nach Schule, Freunden und so weiter.

Jetzt saß ich da und wusste überhaupt nicht, was ich sagen oder machen sollte. Ich fand es nervig, dass er nur schweigend dasaß und klimperte. Er hätte das Ding ja auch weglegen und mich irgendwas zu Schule, Freunden oder sonst was fragen können. Also saß ich auch einfach da und schwieg. Ich überlegte, ob ich mit dem Kopf im Takt nicken sollte oder so, aber es war mir dann doch zu peinlich. Ich beobachtete einfach nur, wie sich seine Finger übers Griffbrett bewegten.

Plötzlich spielte er theatralisch einen lauten Akkord und würgte ihn gleich darauf ab. „Willst du auch mal?“ Er streckte mir die Gitarre entgegen.

Nein. Aber das zu sagen, wäre ja noch unhöflicher gewesen, als bei Ronni in der Küche zu bleiben.

Aber wäre es wirklich so unhöflich gewesen, Ronni zu helfen, anstatt hier herumzusitzen und sich dann womöglich noch von Ronni bedienen zu lassen? Ich war kurz davor, mich zu entschuldigen und in die Küche zu gehen.

Ich weiß nicht, warum ich es nicht tat.

Ich ahmte seine Sitzhaltung nach, legte planlos die Finger aufs Griffbrett und zupfte unsicher an den Saiten herum.

„Das klingt ja schon toll!“

„Als ob.“

„Warte mal.“ Er setzte sich neben mich und griff mit der linken Hand ein paar Akkorde, während er meine rechte Hand rhythmisch über die Saiten führte. Er roch nach Aftershave und Schweiß. Männer rochen anscheinend nicht nur anders, sondern auch intensiver.

„Du machst das echt richtig gut!“

Wenn Thomas gegangen war, roch das Wohnzimmer noch tagelang nach ihm. Ähnlich war es im Bad, nur nicht ganz so lange, weil im Bad öfter gelüftet wurde. Sollte eigentlich Aftershave den Körpergeruch überdecken oder verstärken? Vom Geruch des Aftershaves bekam ich einen warmen Kopf. Es stach mir in den Augen. Unter dem Griff seiner Hand wurde meine Hand schweißig. Ich zog sie weg.

„Hoppla.“ Er tat so, als sei ich abgerutscht, und setzte sie wieder auf die Saiten. Ich wurde plötzlich aggressiv, aber nicht so, dass ich ihn weggeschubst hätte, sondern eher so unterschwellig genervt, wie als Irina mich als Kind geföhnt, gekämmt und dabei an den Haaren gezogen hatte. Es hatte immer ewig gedauert, weil Irina immer noch eine feuchte Strähne und noch eine feuchte Strähne fand, so lange, bis wirklich jedes einzelne Haar trocken war.

„Du musst doch wenigstens ordentlich aussehen.“ (Wenn ich sonst schon nichts konnte? Wenn ich schon nicht hübsch war?)

Ich wollte einfach nur weg.

Wieso zwangen sie mich immer, Dinge zu tun, auf die ich keine Lust hatte?

Wieso musste ich ständig mit Leuten abhängen, mit denen ich überhaupt nichts zu tun hatte? Mir gingen die ganzen Stefans und Andis und Thomasse eh nur auf den Keks, aber Ronni und Irina taten immer so, als machten sie das nur mir zuliebe. Ronni stand jetzt bestimmt auch in der Küche und kam sich total pädagogisch wertvoll vor, weil sie es mir ermöglichte, Zeit mit einer männlichen Bezugsperson zu verbringen.

Dabei wäre ich genauso gut ohne Männer ausgekommen – eigentlich wäre es mir ohne sogar lieber gewesen, denn der sonntägliche „Herrenbesuch“, wie Frau Duffner von gegenüber es nannte, sorgte für noch mehr Gerede als die Tatsache, dass ich mit zwei Müttern aufwuchs. Rina und Ronni kriegten davon natürlich nichts mit, weil sie nicht jeden Tag mit zehn anderen Kindern zur Schule laufen und sich anhören mussten, was die Eltern dieser Kinder beim Abendessen für Theorien aufstellten.

Aber sie mussten doch merken, dass die Stefans und Andis, mit denen sie sich mir zuliebe umgaben, sich ihnen gegenüber irgendwie anders benahmen als in der Gegenwart anderer Frauen. Entweder meinten sie, mit mir spielen zu müssen, weil ich ja „keinen Vater hatte“ (Stefan dachte, ich spiele bestimmt gerne Fußball, weil man ja als Mädchen, das bei Lesben aufwuchs, selber dykey sein musste), oder sie nahmen mich mit auf „Familienausflüge“ mit ihren eigenen Familien, damit Ronni und Irina sich mal erholen konnten (und weil das, was Ronni und Rina mit mir machten, ja keine richtigen Familienausflüge waren – natürlich nicht, wenn ständig irgendwelche mitleidigen Fremden mitlatschen mussten!).

Was sollte das? Als ob Ronni nicht zu ihm gehen konnte, um ihre blöden Gitarrenstunden zu nehmen, gebrochenes Bein hin oder her. Und wie lange sie brauchte, um einen Kaffee zu machen, war ja auch auffällig. Das konnte nicht nur daran liegen, dass sie mit einer Hand die Krücke halten musste. Was war, wenn Ronni diese Stunden nur genommen hatte, um eine Ausrede zu haben, Thomas hierherzuholen?

Das hätte auch bedeutet, dass sie sich absichtlich das Bein gebrochen hätte, anders hätte Thomas ja keinen Grund gehabt, herzukommen. Aber irgendwas war hier komisch. Andererseits war ich ja von mir aus ins Wohnzimmer gekommen.

„Also ich glaube, mit ein paar Stunden könntest du auch ziemlich bald richtig gut spielen. Frag doch mal deine Muttis, ob sie dir erlauben, ein bisschen Unterricht zu nehmen.“

Ich hatte da noch nie drüber nachgedacht. (Und außerdem sagte Thomas schon wieder „Muttis“, nur weil Irina aus dem Osten war und Thomas meinte, dass sie deswegen zu Hause alle sächsisch sprachen, oder was er dafür hielt. Haha.)

Es war zwar peinlich, aber irgendwie auch ganz schön zu sehen, wie Ronni bei Grillabenden auf ihrer Gitarre rumzupfte und die anderen Frauen mitsangen, aber da ging es weniger darum, dass es schön klang. Es war eher so: Ronni versuchte ein Lied zu spielen, irgendwer erkannte es schließlich, sang ein paar Zeilen mit und dann saßen alle anderen um Ronni herum und versuchten, sich an den restlichen Text zu erinnern, was so gut wie nie gelang, so dass stattdessen irgendwann alle über das Festival, den Urlaub oder was auch immer redeten, wo sie besagtes Lied zuletzt gehört hatten.

„Ja, ich frag mal. Wenn du meinst, dass es bei mir wirklich was bringt. Ich weiß echt nicht, ob wir noch mehr Geld für Gitarrenstunden rauswerfen können, wenn wir doch eigentlich sowieso alle komplett unmusikalisch sind.“

„Aber ums Geld solltest du dir doch keine Gedanken machen müssen.“ So hatte ich das überhaupt nicht gemeint. Als seien Ronni und Irina schuld, dass sie es zuließen, dass ich mir wegen solcher Erwachsenen-Dinge den Kopf zerbrach. Weil man, solange man unter achtzehn war, ja komplett abgeschirmt werden musste von allem, damit man keinen psychischen Schaden davontrug. Dabei waren die Probleme, die andere Kinder mir machten, tausendmal schlimmer als das, was die Erwachsenen für meine Probleme hielten.

„Wir sind doch Freunde. Da müsst ihr mir doch nicht jede einzelne Stunde bezahlen.“

„Ja, aber ich weiß ja nicht mal, ob ich überhaupt selber Gitarrenstunden will. Ich hab nur gesagt, dass ich mal frage, weil das halt höflich ist oder so.“

Den letzten Satz hatte ich eigentlich für mich behalten wollen. Aber irgendwas stimmte doch hier nicht. Ich merkte, dass Thomas’ Haare feucht waren, obwohl es gar nicht warm war. Thomas’ Schweiß schien einen Feuchtigkeitsfilm auf meiner eigenen Haut zu hinterlassen. Wo war denn jetzt Ronni abgeblieben? So lange konnte es doch wirklich nicht dauern, in der Drückerkanne zwei Tassen Kaffee zu machen. Ich wollte aufstehen. Aber Thomas sah jetzt schon irgendwie pikiert aus. Wenn ich ihn jetzt einfach alleine hier sitzen ließ, wäre er bestimmt richtig sauer und würde, um sich zu rächen, Ronni stecken, dass sie eigentlich gar nicht Gitarre spielen konnte.

Also blieb ich einfach sitzen und wartete darauf, dass Thomas mich anpflaumte oder einen blöden Witz machte.

„Fühlst du dich eigentlich manchmal einsam?“, fragte er stattdessen. Ich konnte quasi hören, wie die Worte in der Stille des Raumes nachhallten. Ich wusste überhaupt nicht, wie ich darauf reagieren sollte. Was hatte das mit dem zu tun, worüber wir gerade geredet hatten?

„Du bist ja so still auf einmal.“ Thomas rieb mir über den Rücken. Ich spürte die Wärme seiner Hand durch den Stoff meines T-Shirts und bekam Gänsehaut, obwohl mir heiß war.

Was zur Hölle sollte ich denn jetzt sagen?

Ich kam mir total dumm vor.

Unter dem Geruch von Schweiß und Aftershave war noch irgendein anderer Geruch. Leicht stechend, wie nach Spucke, die langsam trocknete.

Ich bemerkte, dass ich mit meinen Händen die Gitarrensaiten vollschwitzte.

„Komm, wir spielen noch ein bisschen.“ Er musste das Zucken in meinen Händen gesehen haben. Er nahm meine linke Hand und legte sie um das Griffbrett. In die rechte Hand drückte er mir ein Plektrum und legte seine Hand auf meinen Handrücken.

Sein Atem traf meine Wange und machte so ein komisches fiependes Geräusch. Ohne zu überlegen, drehte ich meinen Kopf zu ihm hin, um nachzugucken, ob er einen Popel in der Nase hatte, denn ich fand solche Dinge leider in den unpassendsten Momenten unglaublich spannend. Kein Popel. Nur Haare. Und Hautschuppen (oder doch eingetrocknete Popel?) an der Nasenspitze. Trotzdem könnte ich ihn darauf hinweisen, dass er mal seine Nase putzen sollte. Dann hätte er einen Grund, seine Hände wegzunehmen.

Plötzlich schob er seinen Kopf an mich heran und drückte seine Lippen auf meinen Mund. Ich zuckte zurück – der komische Geruch musste wirklich von seiner Spucke kommen. Er legte seine Hand auf meinen Hinterkopf.

„Äh?“ Ich war verwundert und angeekelt zugleich. Das musste er doch auch hören. Aber nein. Er nutzte die Gelegenheit (dass ich meinen Mund geöffnet hatte) und schob seine Zunge in meinen Mund. Sie war warm und glitschig, aber auch irgendwie rau. Seine Bartstoppeln kratzten. Er hatte Spucke an seinen Mundrändern, die an meinen Wangen kleben blieb. Vor meinem inneren Auge sah ich seine Zunge voller Pickel und weißem Belag, den man eigentlich morgens nach dem Aufstehen abschabte. Die ganze Zeit gelangte sein Atem in meinen Mund, so dass ich seine ausgeatmete Luft einatmete. Ich wollte den Mund schließen, hatte aber Angst, dabei seine Zunge noch mehr zu berühren. Er drückte mich gegen das Sofa, so dass meine eine Hand zwischen meinem Rücken und der Lehne eingeklemmt war. Als ich sie bewegte, fuhr mir ein stechender Schmerz in die Schulter.

Bevor ich meine Scheißhand frei bekommen konnte, fasste er mir mit seiner anderen Hand ans Kinn, sein Daumen drückte sich in meinen Mundwinkel und rieb seine Spucke noch tiefer in meine Haut hinein. Mit der anderen Hand fuhr er über meine Brust, meinen Bauch (die ganzen Schwabbel, so peinlich) und kratzte dann zwischen meinen Beinen an meiner Jeans herum. Ich bekam kaum Luft, konnte meinen Kopf nicht bewegen und sah dadurch auch nichts. Ich griff mit meiner freien Hand nach seiner, griff ins Leere, seine Gesichtshaut verzog sich gegen meine, grinste er etwa? Er hörte auf, gegen den Jeansstoff zu kratzen, und griff nach dem Knopf meiner Hose. Im Gegensatz zu meiner fand seine Hand ihr Ziel sofort. Endlich bekam ich sie zu fassen und wollte sie von meinen Beinen wegschieben. Er tat so, als hätte ich nach seiner Hand gegriffen, weil ich mit ihm Händchen halten wollte oder so, und umschloss sie mit seiner und strich auch noch mit seinem Daumen über meinen Handrücken. Endlich bekam ich meine Hand frei und kratzte ihn, damit er meine andere Hand los ließ. Es machte ihm überhaupt nichts aus, ich musste gefühlt fünf Minuten wie bescheuert mit dem Kopf schütteln und ihn kratzen, bis er seine Scheiß­fresse endlich aus meinem Gesicht nahm und mich losließ.

„Oh! Wieso weinst du denn jetzt?“, frage er. „Das ist doch nichts Schlimmes.“

„Weiß ich doch. Ich weine ja auch gar nicht. Mir ist bloß warm.“ Ich wollte nur noch raus hier. Sonst würde ich ausrasten und ihm eine reinhauen. Und damit wäre ja der ursprüngliche Zweck meines Wohnzimmeraufenthalts ad absurdum geführt.

Weiter zu denken, schaffte ich nicht.

„Ach so“, sagte Thomas. Er lachte. „Ich dachte schon.“

„Hä? Was denn?“

„Na ja … Ach nichts.“

„Aha.“ Ich hasste das, wenn Erwachsene anfingen, irgendwas zu erzählen und dann mittendrin beschlossen, dass ich dafür doch noch zu jung war oder was auch immer.

Mit dem Ärmel meines Pullovers wischte ich meine Mundwinkel trocken. Ich roch an der feuchten Stelle am Stoff. Aber meine Nase war so voll von Thomas’ Aftershave- und Schweißgeruch, dass ich den stechenden Geruch von vorhin gar nicht mehr wahrnahm. Ich würde den Pullover trotzdem vorsichtshalber in die Wäsche tun. Hoffentlich fiel das nicht auf, weil ich ihn erst heute Morgen frisch angezogen hatte. Bei einem Pullover konnte ich ja schlecht sagen, dass mir da ein Unfall passiert sei, ganz davon abgesehen, dass ein Spuckefleck ganz anders aussah als ein Blutfleck.

Ich griff nach der Klinke, öffnete die Tür und stieß mit Ronni zusammen, die in einer Hand die Krücke, in der anderen die Kaffeekanne trug. Sie wäre fast gefallen, und die Kanne hinterher. Mir mussten die Ohren zugefallen sein, sonst hätte ich sicher schon vorher gehört, wie sie den Flur langging. Thomas fing seelenruhig an, Gitarre zu spielen.

„Ich geh mal noch die restlichen Sachen aus der Küche holen.“ Ich drängte mich fast an ihr vorbei.

„Das fällt dir aber früh ein“, meinte Ronni. „Teller, Besteck und Kekse.“

„Soll ich dir nicht lieber erst die Kaffeekanne abnehmen?“

„Nein danke, das krieg ich jetzt auch noch hin.“

Dass Irina mich so anschnauzte, war ich ja gewöhnt. Aber Ronni? Ich hätte doch in die Küche gehen sollen. Ich hatte es genau gewusst.

Jetzt kam Thomas natürlich auch noch angesprungen.

„Oh, vielen Dank, das ist echt lieb“, sagte sie, als er ihr die Kanne abnahm und sie auf den Tisch stellte.

Ich verdrückte mich in die Küche. Was sollte ich mitbringen? Teller, Kekse.

„Löffel fehlen auch noch“, sagte Ronni, als ich ihr beides in die Hand drückte.

Ich ging noch mal zurück in die Küche. „Ich müsste mal kurz für kleine Jungs.“ Thomas kam ebenfalls in den Flur. Er machte die Wohnzimmertür hinter sich zu. „Alles okay?“, flüsterte er und tätschelte mir schon wieder über den Rücken. Er sprach extra langsam, als wolle er mich nicht noch weiter aufregen.

„Ja, klar“, sagte ich.

„Wirklich?“ Er beugte sich bis auf fünf Zentimeter zu mir herab und starrte mir ins Gesicht. „Du siehst aber irgendwie unglücklich aus.“ Er streckte die Hand aus, als wolle er mir unters Kinn fassen. Ich drehte den Kopf zur Seite.

„Ja, alles okay“, sagte ich.

„Aber irgendwie glaube ich dir das nicht.“

Wir standen vor dem Bad, ich hätte gerne Zähne geputzt und mir das Gesicht gewaschen und ärgerte mich, dass er sich vordrängelte und dass das Bad wieder stundenlang nach ihm stinken würde. „Nein wirklich, es ist alles okay“ Ich verzog meinen Mund zu einem künstlichen Grinsen, dass mir die Mundwinkel wehtaten.

„Ach“, er atmete übertrieben laut aus. „Und ich dachte schon, da steht jetzt was zwischen uns.“

„Also die Laura hat sich ja echt nicht ganz blöd angestellt gerade“, sagte er, als wir am Wohnzimmertisch saßen und Kaffee tranken. Die Bitterkeit überdeckte den ekelhaften Geschmack in meinem Mund. „Sie sollte echt mal ein paar Stunden nehmen.“

„Ich will aber keine Stunden nehmen“, sagte ich. „Das habe ich dir vorhin schon gesagt.“

„Aber da hörte es sich so an, als würdest du dir Sorgen machen wegen dem Geld.“

„Nein. Das war nur aus Höflichkeit, weil ich dir nicht sagen wollte, dass ich keinen Bock auf Gitarre-Spielen habe. Das habe ich dir aber auch schon vorhin erklärt. Ich weiß nicht, wieso du jetzt schon wieder damit anfängst. Außerdem bin ich schon in der Theater-AG. Das reicht mir vollkommen.“

„Am Geld soll es doch nicht scheitern“, sagte Thomas mit einem künstlich bittenden Blick zu Ronni, als hätte ich gerade mit mir selbst gesprochen.

„Ich finde das mit der Theater-AG ja gar nicht so gut. Du weißt, warum.“

Immer dieses Getue mit „du weißt ja, warum“, weil Ronni und Irina darauf bauten, dass es mir peinlich wäre, wenn sie das jetzt vor allen Leuten aussprächen. Das konnte sie diesmal vergessen. Warum sollte mir jetzt noch irgendwas peinlich sein? Und vor allem nicht so was.

„Sie meint, nur weil ich gelogen habe, dass wir zweimal in der Woche Probe haben statt einmal, sollte ich jetzt überhaupt nicht mehr in die Theater-AG gehen. Weil das ja auch total logisch ist.“

Thomas grinste besserwisserisch vor sich hin. Klar, er hatte natürlich voll den Plan, warum ich nachmittags manchmal für zwei Stunden von der Bildfläche verschwinden musste.

Fühlst du dich manchmal einsam?

Oh Mann. Es fiel mir wie Schuppen von den Augen. Er dachte natürlich, ich würde nach der Schule heimlich mit Jungs rumknutschen. Weil ich das heimlich machen musste, weil ich ja mit zwei Lesben aufwuchs. Alter, war der dumm.

„Ich hab mich einmal die Woche mit meinen Freundinnen getroffen“ (huschte da nicht schon wieder ein anzügliches Grinsen über Thomas’ Gesicht? Noch einmal und er hatte einen Teller Kekse im Gesicht!, noch dazu, wo es gar nicht stimmte – ich hatte eigentlich gar keine Freundinnen, nur Kundinnen, ich hatte das alles alleine durchgezogen), „und wir haben Klamotten geklaut. Beim Boschert, nicht bei C&A. Da lohnt es sich ja gar nicht, so billig, wie das Zeug da ist.“

Ronni verschluckte sich fast. Sie stellte ihre Tasse auf dem Tisch ab.

„Bist du da neuerdings stolz drauf oder was?“

„Nö, aber wenigstens hab ich nicht das gemacht, was er denkt, was ich mit meinen Freundinnen mache.“

„Laura! Was soll das denn jetzt? Willst du noch Kaffee?“ Ronni hielt die Kaffeekanne über Thomas’ Tasse.

„Nein danke, ich hab noch.“

Ihhh. Hatte er mir wirklich vor zehn Minuten die Zunge in den Mund gesteckt?

„Und dann haben wir die Klamotten weitervertickt. Wir waren so gut, sogar die Zwölftklässler haben bei uns eingekauft.“

Das hatte ich Ronni und Rina bisher verschwiegen.

„Ach, das denkt sie sich doch jetzt nur aus, weil sie uns schocken will.“ Ronni tat sich noch zwei Kekse auf den Teller und lachte.

„Äh, hallo? Warum sollte ich mir irgendwas ausdenken? Macht ihr das persönlich öfter, oder wie kommst du auf die Idee?“

„Was ist denn mit dir los heute? Willst du mal kurz an die frische Luft?“, war alles, was Ronni dazu einfiel.

Schon wieder so ein schmieriges, besserwisserisches Grinsen von Thomas.

„Seh ich aus wie ein Hund, der Gassi gehen muss? Du bist ja schlimmer als Irina!“

„Also, wenn das wirklich stimmt, würde ich das aber nicht groß rumerzählen“, mischte Thomas sich ein. „Nicht, dass das noch strafrechtliche Konsequenzen hat. Und wenn es nicht stimmt und du deinen Freundinnen damit Hehlerei unterstellst, auch solche Äußerungen sind durchaus justiziabel.“

Shit. Stimmte das? Aber ich hatte das doch stundenlang gegoogelt. Unter vierzehn war man noch nicht strafmündig, und außer dass die Eltern einen von der Wache abholen mussten, passierte meistens nichts. Trotzdem hatte ich Herzklopfen und einen trockenen Mund.

„Also, auch wenn es stimmt, ist es nicht strafbar. Ich war damals nämlich noch unter vierzehn.“ So ein Idiot, echt.

„Aha. Da kennst du dich ja bestens aus.“

„So was weiß man halt.“ Weil man sich halt vorher informierte. „Durchaus justiziabel“ am Arsch.

„So, tut man das? Na du musst es ja wissen. Aber wenn es nicht stimmt, und du stellst hier einfach irgendwelche Falschbehauptungen über deine Freundinnen auf, dann wäre das schon strafbar. Jetzt bist du ja über vierzehn.“

„Aber es stimmt doch. Ich hab ja gerade gesagt, warum sollte ich irgendwas erfinden. Also, was genau ist dein Problem?“