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Und täglich grüßt der Göttergatte! Nicole und Tom, seit zwölf Jahren verheiratet, haben sich auseinandergelebt. Tom, der seine eigene Firma führt, geht in seinem Beruf auf und hat sich zum Workaholic-Macho entwickelt. Nicole verkümmert emotional an seiner Seite. Als sie erfährt, dass Toms Überstunden neuerdings schlank und blond mit rosa Dessous sind, entwickelt sie Mordpläne. Viele Mordpläne. Und sie kann alle verwirklichen, denn – nach jedem ihrer Morde ersteht Tom wieder auf, als wäre nichts gewesen. Es beginnt die aufregendste Zeit ihrer Ehe … Für alle Fans von »Mieses Karma«!
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Seitenzahl: 264
Veröffentlichungsjahr: 2011
Claus Vaske
Nicht totzukriegen
Roman
Fischer e-books
»Männer«, sagt Maryam, »werden irgendwann sowieso überflüssig, die Evolution wird sie hinwegfegen, ihr Y-Chromosom verkümmert, sie gleichen sich uns immer mehr an.«
Na toll, dann erledigen wir das, was heute die Männer tun; wir mähen Rasen, kicken – und ein paar von uns werden’s, teils aus Neigung, teils mangels Alternative, vermutlich auch miteinander treiben. Eine Welt wie eine Frauenfußballmannschaft – das soll ein Trost sein?
Aber Maryam darf so reden, nicht nur, weil sie meine beste Freundin ist. Sie hat es nicht so mit Männern: Sie ist Scheidungsanwältin, und eine feste Beziehung einzugehen, sagt sie, wäre da in höchstem Grade unprofessionell. Ein verheirateter Kollege ist in ihren Augen ungefähr so glaubwürdig wie eine Diätberaterin, die man mittags bei McDonald’s trifft, wie sie heimlich ihr Maxi-Menü mampft.
Mein Stil ist das aber nicht. Liegt vielleicht auch daran, dass ich den Mann gefunden habe, der mich versteht und so akzeptiert, wie ich bin – und er kennt mich auch in meiner ausgeleiertsten Funktionsunterwäsche. Ich bin glücklich verheiratet, eigentlich immer … na ja, meistens …
Mein Sternzeichen ist Wühlmaus, Aszendent Maulwurf. Erst habe ich unterm Küchenfenster ein neues Beet angelegt und Begonien gepflanzt, später dann den Rasenrand zurechtgestutzt und Unkraut gejätet. Jetzt relaxe ich auf der Terrasse, von wo aus ich zufrieden mein Tagwerk überblicken kann. Ich lese und kraule dabei MacLeod den Nacken, der an meiner Seite seiner Lieblingsbeschäftigung nachgeht: die Pitchpine-Dielen der Terrasse vollsabbern.
Mein Leben ist, wie es ist, perfekt, außer dass ich gleich, um von der Sonne nicht zu sehr geblendet zu werden, meine Liege wohl oder übel ein kleines Stück weiter nach rechts schieben muss. Aber dazu müsste ich aufstehen. Stattdessen werfe ich für den Hochleistungsspeichler einen Ball in den Garten, der Labrador schaut zu mir hoch, schaut dem Ball nach, schaut wieder mich an, dann legt er den Kopf zwischen die Pfoten und schließt dösig die Augen. Wir sollten ihn als Einrichtungsgegenstand deklarieren, dann müssen wir wenigstens keine Hundesteuer mehr zahlen. MacLeod ist der faulste Hund der Welt, seine ganze Energie konzentriert er aufs Sabbern. Maryam unterstellt ihm, er sei der einzige Rüde, der beim Sex unten liegen will – weil’s bequemer ist.
Die Strahlen der Sonne brechen seitlich durchs Laubdach, ich müsste jetzt tatsächlich die Liege verrücken, wenn ich weiterlesen will. Doch die Story des Krimis zieht sich: Auf Seite 76 hat Commissario Pallentini zwar schon seine neue Assistentin und eine Zeugin vernascht, aber noch keinen blassen Schimmer, wer der Mörder sein könnte. Ich klappe enttäuscht das Buch zu und überlege, wann Tom wohl heimkommt. Wir könnten einen Tisch im Gartenrestaurant reservieren oder zu einem netten Weinlokal im Rheingau rausfahren. Etwas Schönes unternehmen. Er hat sich mit seinem Kumpel Johannes in der Scheunengarage verabredet, um an den Oldtimern herumzuschrauben. Hoffentlich vergreift er sich nicht wieder am Getriebe, das kann erfahrungsgemäß dauern.
Vor zwei Jahren sind wir in diesen Vorort gezogen, nach Hellersheim, raus aus dem Mief der Stadt, rauf auf den Berg, und mit dem Haus haben wir richtig Glück gehabt: Es ist ruhig, die Nachbarn sind nett oder zumindest auf eine sehr friedliche Weise wahnsinnig. Von Niemeyers nebenan wummern wieder dezent The Grateful Dead herüber (wir haben Stunden bei Youtube suchen müssen, um die komische Musik zu identifizieren), die beiden Senior-Sannyasins sind die Generation null der Hippiebewegung, Veteranen der Flower Power, sie könnten als Beweis dienen, dass Kiffen das Leben verlängert. Tom sagt immer, die sind so alt, in den Sechzigern sind sie nur nach Woodstock gefahren, um ihre Tochter abzuholen. Gelegentlich hüpfen sie sogar noch nackt durch den Garten. Quietschfidel sind die beiden – und dazu sehr freundlich. Aber sobald ihre Cannabispflanzung in unseren Garten ausstreut, verklage ich sie.
Hellersheim ist die perfekte Vorstadtidylle, mit dem Auto kaum mehr als zehn Minuten von der Innenstadt entfernt. Noch perfekter wäre es allerdings, wenn Tom jetzt verdammt nochmal nach Hause käme oder zumindest anriefe. Der Apfel, den ich mir aus der Küche geholt habe, hilft nicht wirklich gegen den Hunger. Es ist tote Hose hier draußen. MacLeod hat das Sabbern eingestellt, irgendwo entfernt haben vorhin noch spielende Kinder krakeelt, aber die kriegen jetzt bestimmt ihr Abendessen, und dann geht’s ins Bett.
A propos Bett: Ich hätte nicht schlecht Lust, später am Abend mal wieder die Familienplanung in Angriff zu nehmen. Aber dafür müsste mein Herr Göttergatte allmählich mal nach Hause kommen! Gleich ist es zu spät, um noch was zu unternehmen, ich habe aber auch keinen Bock, ihm schon wieder hinterherzutelefonieren. Mir graut davor, wieder allein hocken zu bleiben, und das an so einem traumhaften Frühsommerabend. Ich merke, wie der Ärger in mir hochsteigt.
Das Horoskop sagt, Wühlmäuse mit Aszendent Maulwurf fühlen sich heute einsam und verloren.
»Hat er eine andere?«
»Tom? Nie.«
»Das sagen sie alle, Nicole.«
»O – mein – Gott. Für die würde ich töten!« Ich packe Maryam am Arm, sie schaut mich irritiert an. Der Themenwechsel kommt für sie zu plötzlich.
Nein, nichts Kriminelles, wir sind nur auf unserer Donnerstagabendafterworkfreundinnenshoppingtour vor dem Schaufenster von Calzadonna angekommen, der ortsansässigen Apotheke für italienische Lederpreziosen. Schöne Schuhe sind wie Medikamente: Man bezahlt für sie viel Geld, fühlt sich danach aber gleich viel besser. Und das fast ohne Nebenwirkungen. Mein Objekt der Begierde ist ein Paar rehbrauner Stiefeletten. Nicht der Hauch eines Makels verunziert das Oberleder, das so weich, zart und unschuldig wirkt wie ein neugeborenes Bambi. Kann ich widerstehen?
»Könntest du mich loslassen?«, bittet Maryam, »mein Arm stirbt ab.«
»Entschuldige.«
Eine halbe Stunde später sitzen wir im Dante, unserem Lieblingscafé, und besiegeln den Kauf mit heißem Kakao und Prosecco. In der Zwischenzeit sind wir in die Boutique gestürmt, ich habe die Bambis anprobiert und entzückt geseufzt, Maryam hat mir versichert, dass die Schuhe a) toll aussähen, b) bestimmt superbequem seien, ich sie c) bestimmt auch zu festlichen Anlässen tragen könne, sie d) sowieso überhaupt nur mir stünden, e) der Preis absolut angemessen und f) der Kauf insgesamt eine lohnende Investition sei. Etwa in dieser Reihenfolge. Wie immer habe ich schuldbewusst gefragt: »Brauch ich die wirklich?«, wie immer hat Maryam gedroht: »Sonst nehm ich sie!«, wie immer habe ich daraufhin stracks auf der überteuerten Hacke kehrtgemacht, um die Kreditkarte zu zücken – aber mit schlechtem Gewissen. Das übliche Ritual.
»Ist dir schon mal aufgefallen, dass die meisten Standesbeamten ledig sind? Die wissen, warum.« Wir sind wieder beim Thema: meine Ehe, aus der irgendwie die Luft raus ist.
Ich beschwichtige: »Ich kenn Tom. Da ist nichts.«
»Und ich kenn die Männer.«
»Maryam! Er muss nur viel arbeiten.«
»Schatz, wenn ein Mann woanders wildert, dann wittere ich das zehn Meilen gegen den Wind. Und ›abends lange arbeiten‹ stinkt wie ein Rudel vergessener Dixiklos, Mensch!«
Maryams Welt – das sind Seitensprünge, Trennungen, Rosenkriege. Gesegnet mit einem Dekolleté, so drall, dass in dessen ungeahnten Tiefen vermutlich Kohle zu Diamanten gepresst werden könnte, das aber doch so samtweich verführerisch daherkommt wie Cappuccino-Mascarpone, ist sie in ihrem Job eine Killervenus.
Als Tochter eines syrischen Geschäftsmannes hat sie sich früh gegen die Dominanz der Männer wehren müssen, als Tochter einer syrischen Mutter hat sie gelernt, ihre üppigen Reize strategisch einzusetzen. Mit Erfolg. Bewusst raubt sie Männern das Denkvermögen bis zum Totalverlust, um so Frauen den Sprung in die Freiheit finanziell zu versüßen. Sie denkt schlecht von den Männern, sie kann nicht anders: Es ist ihre berufliche Bestimmung, überall Ehebruch und Verrat zu wittern.
»Seine Überstunden sind schlank, blond und tragen rosa Dessous. Wetten?«
»Er steht gar nicht so auf rosa Dessous«, kontere ich.
»Das sagt er?«
Maryam schaut mich an, als hätte ich angekündigt, am Dienstag für vier Wochen zum Strandurlaub nach Nowosibirsk zu fahren: entsetzt, traurig, mit einer Spur Mitleid. Hastig verkündet sie: »Ich muss noch Eyeliner kaufen.«
Bitte? Maryam hat Eyeliner in ihrer Handtasche, mehrere, immer. Es liegt welcher bei ihr im Bad und auf dem Klo, ein paar dürften unter den Betten ihrer diversen abservierten Exlover verschollen sein, genug Eyeliner, um einen fetten Lidstrich rund um den gesamten Erdball zu ziehen. Und das heißt: Sie kneift. Sie flüchtet, um mir nicht irgendwas Peinliches sagen zu müssen.
Ich sollte mir Gedanken machen. Stehen alle Männer auf rosa Dessous? Vermutlich.
»The table is set, the oven is hot. Let’s start it, baby, we won’t ever stop.« Eine Zeile aus einem zu Recht vergessenen Achtziger-Jahre-Song, sie fällt mir ein, da ich grad in der Küche stehe.
Meiner Ehe fehlt der Pfeffer? Bitte schön! Oben liegt das kleine Schwarze auf dem Bett bereit, ich muss nur noch hineinschlüpfen. Drunter gehe ich bereits als Himbeere, mit feinsten Spitzenapplikationen.
Ich schiebe die Mousse au Chocolat in den Kühlschrank, danach ist die Mörbissuppe an der Reihe.
Einmal – war es der dritte oder der vierte Hochzeitstag? – hatte ich den Finger in die Tomatensuppe gesteckt, ihn abgelutscht und dabei Tom glücklich angelächelt – schon fand ich mich rücklings auf dem Esstisch wieder. Während Tom mir die Suppe vom Leib schleckte, verkohlte in der Küche das Hauptgericht. Der Pizzabote musste kommen. Als er klingelte, waren wir gerade beim dritten, nun ja, Gang. Dieser schüchterne Bengel stand plötzlich mitten im Wohnzimmer, ich konnte mir gerade noch eine Decke überwerfen. Meine Güte, war der verlegen!
Die Mörbissuppe köchelt brav im Topf. Der Ofen ist heiß, lass uns starten, Baby. Es ist 18:56, und den Hochzeitstag hat er noch nie vergessen.
19:28. Immer noch nichts. Die Mörbissuppe ist fertig, eigentlich wäre jetzt die Entenbrust dran. Ich sprinte schon mal die Treppe hoch und springe in den scharfen Fummel. Vorm Spiegel checke ich, ob er sitzt: Taille, Brust, der Pfirsichhintern; klassische Sanduhr, würde ich sagen, nur hier und da ein Pölsterchen zu viel, Größe 38 passt mir immer noch. Für Mitte dreißig ganz okay, rede ich mir ein.
»Dich würde ich nicht warten lassen«, murmel ich. O Gott, ich mache mir schon selbst Komplimente.
20:01. Hunger! Her mit dem Löffel. Mörbissuppe schmeckt auch direkt aus dem Topf.
20:33. Mal in den Kühlschrank schauen, was die Mousse au Chocolat so macht (nichts natürlich). Ja, ich kann widerstehen. Noch.
20:47. Stattdessen köpfe ich eine Flasche Wein und vernichte weitgehend die Suppe.
21:12. Scheiß drauf. Auf dem Weg zum Kühlschrank genehmige ich mir einen großen Schluck aus der Pulle.
21:14. Tom ist ein Arsch.
21:17. Könnte ein bisschen fluffiger sein, die Mousse au Chocolat. Trotzdem lecker. Aber nur ein kleines Löffelchen.
21:19. Ein Riesenarsch sogar!
21:21. Mmh! Schweinelecker!
21:34. Maryam anrufen. Ich quatsche ihr auf die Mailbox: »Das war mein letzter Hochzeitstag. Versprochen!« Boah, ist das Kleid eng, gefühlt mindestens fünfter Monat. Ich bin fett, gefräßig und allein, so sieht’s aus. Und die Mousse ist auch fast alle.
Man soll Weingläser nicht so vollgießen, das wirkt peinlich, aber halbleer ist auch langweilig. Als ich mit der zweiten Flasche Wein aus der Küche komme, bin ich durchtränkt von einem sehr hilfreichen Fatalismus. Hoppsala, auf dem Weg zurück ins Wohnzimmer springt mir plötzlich der Kühlschrank vor die Füße, und die Küchentür ist auch enger als sonst. Keine Ahnung, wie spät es ist, die Wanduhr lässt sich so verdammt schwer ablesen.
»Entschuldige, Schatz!«, flötet es hinter mir.
Es gelingt mir, eine halbe Pirouette hinzulegen, huiuiui. Und da steht tatsächlich, tata! – mein Göttergatte! Wann ist der denn nach Hause gekommen? Vom Wein kriegt der aber nix.
Der Blumenstrauß in seiner Hand ist in einem etwa so ramponiertem Zustand wie unsere Ehe: »Herzlichen Glückwunsch zum Hochzeitstag.« Küssen will er mich auch noch, pflichtgemäß, er schmeckt nach Zahnpasta und, das haut mich jetzt echt um, er riecht anders! Präziser: Nach einer anderen.
Ich reiße ihm das peinliche Gestrüpp aus der Hand und schaffe es sogar noch, so was wie Rührung zu heucheln: »Oh, toll. So was gibt’s an der Tankstelle?«
»Geht … geht’s dir gut?«
Ah, er spielt den Besorgten. Bewährte Masche der Männer, wenn man sie bei irgendwas ertappt. »Blendend.« Erstens stimmt es, zweitens würde ich das Gegenteil nie zugeben, drittens muss ich mir unbedingt merken, welchem Wein ich dieses geniale Scheißegal-Gefühl zu verdanken habe, hoch die Tassen!
»Ah. Mousse au Chocolat.« Mit dem Finger wischt dieser arrogante Affe, mit dem ich an einem unglückseligen Tag vor sieben Jahren den Bund fürs Leben eingegangen bin, etwas von den kümmerlichen Überresten des Desserts aus der Schale und probiert sie. »Könnte ein bisschen fluffiger sein.«
Ich ziele noch verdammt gut. Nur knapp verfehlt das Glas Toms Kopf und zerschellt hinter ihm an der Wand. Schade um den schönen Wein.
»Mörbissuppe???«
Oh, ist das laut. Ich muss das Handy vom Ohr nehmen. Von diesem fürchterlichen Fusel werde ich nie wieder einen Tropfen anrühren, das schwöre ich bei den Trümmern meiner Ehe. Ich bin gleich unten geblieben, meinen Kater kuriere ich auf dem Sofa aus, hier habe ich auch die Nacht verbracht. Dass Tom gegangen ist, habe ich nicht mal gehört.
»Möhren-Kürbis-Suppe. Die heißt bei uns so.«
»Sag mir: Warum um Himmels willen sprechen alle Paare irgendwann miteinander wie Kindergartenkinder?«
»Wie? Im Kindergarten sagen sie ›Fick mich, du Sau!‹?«
»…! …! …! Wie bist du denn drauf?«
»Meine Ehe ist hin, ich hab ’nen Schädel, einen Riesenrotweinfleck an der Wand und eine Fahne, vor der sich sogar MacLeod ekelt. Noch Fragen?«
»Vielleicht ist das alles nur ein Missverständnis.«
Ach ja, jetzt plötzlich? Wer ist denn auf die Idee gekommen, dass Tom mich betrügt? Warum kann Maryam nie mit mir einer Meinung sein? Das ist anstrengend, vor allem in meinem angegriffenen Zustand.
»Herzchen. Dieses Missverständnis bläst ihm so die Nüsse frei, dass er bei mir keinen mehr hochkriegt. Und es heißt Yvonne. Ich hab heut Nacht noch sein Handy gecheckt.«
»Ich komm vorbei.«
»Bring was Salziges mit.«
Als es klingelt, rennt MacLeod schwanzwedelnd und so laut bellend zur Tür, dass ich spontan beschließe, nach der Scheidung das Sorgerecht für ihn an Tom abzutreten.
Der Kater ist fließend in eine handfeste Migräne übergegangen. In meinem Kopf scheppert es wie aus maroden Lautsprechern. Ich schleppe mich zur Tür, mache Maryam auf und trotte gleich wieder zurück ins Wohnzimmer, aufs rettende Sofa.
Maryam hockt sich neben mich auf die Sofakante, holt Notizblock und Filzstift aus ihrer Aktentasche. »O mein Gott. Das ist ja furchtbar.« Ihr ist der riesige Rotweinfleck aufgefallen, der die Wand ziert.
Für mich aktuell zweitrangig in Anbetracht der Kernschmelze, die unter meiner Schädeldecke abläuft. »Na und? Kriegt er eben das Haus, soll er sich drum kümmern.«
»Fakt ist: Du kannst dich nicht scheiden lassen!«
»Ich weiß, wir sind das letzte glückliche Paar, das du kennst, bla bla bla. Vergiss es.«
»Nee, nix glücklich, Nicole. Eine Scheidung bringt dich um. Finanziell. Deswegen.«
»Kann nicht schlimmer sein als diese Migräne.«
Maryam zückt den Filzer, sie zieht die Kappe ab und wirft wilde Skizzen aufs Papier. Häuser, eine Bank, noch ein Haus. Und dazwischen ein paar Pfeile.
»Euer Haus gehört der Bank, seine Firma kann er sich arm rechnen, das heißt, Unterhalt kannst du vergessen. Wovon willst du leben?«
»Ich hab ’nen Job.«
»Bei seinem besten Freund in der Agentur.«
»Ey, der wird mich doch nicht feuern, nur weil …!?«
Maryam seufzt: »Er wird.«
Ich seufze: »Er wird.«
Sie hat recht. Johannes ist nicht nur bei zwonullzwo mein Chef, sondern gleichzeitig auch Toms bester Kumpel, sie teilen ihr Faible für alte Autos, seit sie gemeinsam auf Bobbycars gesessen haben. Heute stehen ihre Oldtimer einträchtig nebeneinander in einer Scheune irgendwo im Taunus. Und Johannes ist ein notorischer Weiberheld. Hielte er zu mir, dann bestimmt nur aus einem einzigen Grund: um auch mich mal flachzulegen. Deshalb flehe ich Maryam an: »Hol mich hier raus. Bitte!«
»Gut, wenn du meinst. Für eine Scheidung gibt es aus meiner Sicht drei Optionen.«
Auf einmal sind die Kopfschmerzen wie weggeblasen, ich hänge an Maryams Lippen. »Entweder du gibst alles auf, schränkst dich ein und akzeptierst die Armut. Oder jubelst Tom auf den letzten Drücker noch ein Kind unter. Oder du suchst dir einen steinreichen Lover und lässt dich von dem durchfüttern.«
Toll. Arm, schwanger oder Nutte. Prima Optionen. »Das … das ist doch Horror, Maryam! Vor allem wird man in diesem Land gewarnt: vor Hautkrebs, vor durchfahrenden Güterzügen, vor Taschendieben …! Man wird sogar gewarnt, dass Rauchen tötet und dass man kein T-Shirt bügeln soll, während man’s anhat. Warum warnt einen keiner vorm Heiraten?«
»Ich verstehe dich.« Maryam steckt die Kappe auf den Stift, sie schließt ihr Notizbuch und nimmt die Brille ab, dann verkündet sie leise und voller Anteilnahme: »Die Alternative …«
»Ja??«
»… wäre Mord. Ist auch nicht so teuer.«
Wie zur Hölle führt man ein Beziehungsgespräch? Ich hatte noch nie eins. Also, keins wegen einer Krise. Klar, wir haben uns schon gestritten, ein paarmal sogar angeschrien, aber da war immer so was wie Respekt und Verständnis im Spiel, und hinterher gab’s Versöhnungssex, der ja bekanntermaßen der beste ist.
Wie fängt man an? »Du, wir müssen reden?« »Was hat sie, was ich nicht habe?« Oder: »Könntest du deine Sonnenbrille abnehmen, damit ich dir schon mal eine reinhaue?« Hm. Klingt alles irgendwie nach Lindenstraße, also nach Verzweiflung und Leiden.
Dass ich von dieser Yvonne weiß, werde ich ihm noch verschweigen. Man sollte nicht gleich alle Asse auf den Tisch legen.
Und dann ist alles ganz wunderbar. Als ich höre, dass er vorfährt, springe ich schnell in die Küche und tue so, als müsste ich noch Geschirr wegräumen.
»Hallo Scha-hatz. Schatz? Wo bist du?« Wie mit Autopilot findet er den Weg zu mir, klar, ich gebe mich abweisend und verärgert, aber er nimmt mich einfach liebevoll in den Arm.
»Entschuldige, ich war ein Trottel.«
Noch zicke ich. So einfach werde ich nicht weich, dieses Mal nicht! Er holt einen großen Umschlag hervor, ich rechne, während ich ihn öffne, mit allem Möglichen; was man so denkt, wenn man zu viel Zeit zum Grübeln hatte, vom Abschiedsbrief über irgendwelche komischen Fotos bis hin zu Geschäftlichem. Ich schüttle das Kuvert, bis zwei Eintrittskarten hervorlugen, ziehe sie heraus, schaue drauf.
Das ist nicht wahr!
Zwei Tickets für das Schlusskonzert des Rhenum-Musikfestivals. In Schloss Mariengarten, im Innenhof dieses zauberhaften Barock-Kleinods oberhalb des Rheintals, mit Abschlussball, das Klassik-Highlight des Jahres. Wer spielt? Lang Lang? Welches Orchester? Immer schon wollte ich da hin, nur hat Tom sich bisher hartnäckigst dagegen gesträubt. An alles hat er gedacht, inklusive einer reservierten Suite im benachbarten Romantikhotel, mit Blick auf den Fluss und die Weinberge und einer Extraflasche Champagner for free. Ein Traum. Ich umarme ihn, küsse ihn, stammle mir ein »Danke« ab. So schnell habe ich noch nie meine Würde verloren. Dieser wunderwunderbare Mistkerl. Ich liebe ihn!
»Ich wollte es dir gestern schon geben, aber das … war wohl nicht ganz passend.«
Öhm. Moment. Wie jetzt? Hatte er den Hochzeitstag vergessen oder nicht? Und wenn er so ein Supergeschenk vorbereitet hatte, warum kommt er dann nicht einfach pünktlich? Nein, das ist nicht schlüssig. Er will mich mit dem Geschenk von einem Fehltritt ablenken, so sieht’s doch aus.
»Aber wo warst du gestern?«
Im Jahr 373 vor Christus wurde am Golf von Korinth das antike Helike, zu jener Zeit eine der mächtigsten Städte Griechenlands, von einem Erdbeben zerstört. Erst stürzten die Gebäude zusammen, dann überschwemmte eine riesige Flutwelle die Stadt, finito, das war’s. Es blieben nicht mal genug Trümmerchen übrig, um urlaubenden deutschen Studienräten ein paar Euro für die Besichtigung abzuknöpfen. Überliefert hat die Katastrophe der griechische Geschichtsschreiber Diodorus Siculus. Bei ihm liest man auch erstmals von einem seltsamen Phänomen, von Vorzeichen der Natur, die einem Beben vorausgehen: Fünf Tage zuvor habe ein Zug von Ratten, Schlangen und Käfern die Stadt verlassen.
Auch MacLeod ist so ein Tier, das schwere Beben erahnen kann: Als ich den ersten Teller auf dem Boden zerschmettere, hat er längst mit eingekniffenem Schwanz das Weite gesucht. Die erste Schockwelle rollt heran.
Kein Versöhnungssex.
Während neben mir Tom glückselig wie ein Baby zu schlummern scheint, liege ich Idiot noch wach und zermartre mir das Hirn.
Tu ich ihm unrecht? War es vielleicht nur ein Ausrutscher? Ist so was nicht normal nach sieben Jahren Ehe? Und wenn eine Jüngere ihn anflirtet, welcher Mann kann da schon widerstehen? Liegt es an mir, biete ich ihm nicht mehr genug? Ist Botox eine Lösung? Was machen andere Frauen in meiner Lage: sich einen Therapeuten suchen, Nordic walken, die Tiefkühltruhe nach Feng-Shui-Prinzip neu einräumen?
Kann ich ohne Tom leben? Wenn alles andere stimmt, sollte ich es dann in Kauf nehmen, wenn er sich mal woanders vergnügt? Ist doch nur Sex. Vielleicht muss ich es einfach aushalten. Und irgendwann, ganz spät, als es draußen schon hell wird und die Vögel zwitschern, frage ich mich: Nicole – hast du sie noch alle?
Eine Stunde später als sonst treffe ich in der Agentur ein. Gleitzeit hin, Gleitzeit her – das geht nicht. Aber soll ich ausgerechnet meinem Chef sagen: »Sorry, ich hab zu Hause Probleme mit deinem Kumpel!«?
Also schleiche ich so unauffällig wie möglich in mein Büro, eine Veranstaltung zur Markteinführung eines neuen Mineralwassers steht an, so viel weiß ich, aber ich habe keine Ahnung, wie ich das heute erledigen soll. Die Notizen liegen bereit, ich fahre den PC hoch und nehme die Sonnenbrille ab, die bisher das Desaster meiner Augen verdeckt hat. Müde bin ich, mies drauf, und ich fühle mich wie ein schimmliges Stück Käse, einfach zum Wegwerfen.
Reiß dich zusammen, Nicole. Benimm dich nicht wie eine hilflose Göre. Und finde vor allem raus, wer diese Yvonne ist. Irgendwie.
Kaffee fehlt, vielleicht komme ich damit auf Betriebstemperatur.
Fünf Minuten später bin ich mit einem Espresso doppio, so hammerhart, dass er mich vom ersten Schluck an in einen arbeitswütigen Zombie verwandeln wird, auf dem Weg zurück zu meiner Markteinführung, als Johannes mich abfängt und in sein Büro bittet: »Nicole, können wir kurz sprechen?«
»Klar, was ist?« Irgendwas schiefgelaufen?
»Ich möchte dir unsere neue Junior-Projektleiterin vorstellen.«
Muss das jetzt sein? Sie ist die dritte Junior irgendwas in diesem Geschäftsjahr, ihre Vorgängerin hat es vorgezogen zu gehen, nachdem auch eine dreitägige, in wohl jeglicher Hinsicht sehr intensive Locationbesichtigung, zu der sie den Chef nach Budapest begleitet hatte (in eine Junior Suite, natürlich), nicht in einer Festanstellung gemündet war.
Johannes macht einen Schritt zur Seite, und so kann ich mir das Mäuschen näher anschauen: Aha, Typ aufgepäppeltes Exmodel, schlank, aber mit was auf den Rippen. Mitte zwanzig vielleicht, einen Tick größer als ich, also etwa eins achtzig, mit perfektem Schmollmund, unfassbar langen Beinen und dieser seidig sonnengeküssten Haut auf den Schenkeln, wie man sie sonst nur aufwendig mit Bildbearbeitungsprogrammen hinbekommt. Hatte sie den Rock auch beim Vorstellungsgespräch an? Dann scheint beim Chef libidomäßig noch alles im Lot zu sein. Aber ich will nicht unfair sein, nur weil’s mir grad dreckig geht. So eine kann man gut zum Kunden mitnehmen, wenn Etatverhandlungen ins Stocken geraten, gerade in männlich dominierten Branchen wird dann schon mal weniger kritisch auf die Zahlen geschaut.
»Nicole, das ist Frau Mahlkorn«, stellt Johannes sie vor.
Brav steht sie auf und stöckelt auf mich zu. Meine Güte, den Push-up hätte sie doch gar nicht nötig bei diesen Riesentitten.
»Hallo«, flötet sie kokett, »ich bin die Yvonne.«
Niemand, der mich stört, niemand, der mich sieht. Ich musste dringend allein sein. Das letzte Mal, als ich mich so gedemütigt und verletzt fühlte, trug ich noch Zahnspange.
Ist das nur ein Zufall? Oh, bitte bitte! Yvonnes gibt’s doch wohl mehrere. Wenn das Yvonne ist, also wenn das die Yvonne ist …
Bin ich nur noch das Auslaufmodell? Läuft Ende des Monats mein TÜV ab, ich werde verschrottet, und diese allzeit bereite Bettwanze übernimmt mein Haus, meinen Job, meinen Mann und überhaupt meinen Platz im Leben?
Hat Tom sie in Johannes’ Agentur geparkt, weil sie gut fickt und er dem Mäuschen sonst nichts zutraut? Aber weshalb arbeite ich dann bei zwonullzwo? War ich auch bloß so ein dummer Betthase, der versorgt werden musste, nur zwölf Jahre früher?
Es muss etwas geschehen. Dringend. Und vor allem: Nach einer guten Stunde sollte ich endlich mal das Frauenklo räumen.
»Bist du die Yvonne, die sich von meinem Ehemann durchbürsten lässt?« Nee, das frage ich besser nicht. Dass ich bereits den siebten Becher Kaffee in mich hineinkippe, beruhigt weder meine Nerven noch meine Nieren, und so tigere ich hin und her zwischen Schreibtisch und der Toilette, wo mich ein Blick in den Spiegel jedes Mal an meinen zerrütteten Zustand erinnert.
Aber irgendwann endet auch so ein Arbeitstag. Für die Markteinführung des Mineralwassers habe ich eines der durchgeknalltesten Konzepte meiner Karriere in die Tasten gehämmert – oder hat schon mal jemand Holiday on Ice unter Tage in einem Salzbergwerk aufgeführt? Keine Ahnung, wie wir in zweihundert Meter Tiefe eine Eislauffläche aufbauen sollen, aber dem Kunden wird’s gefallen, und in der Kalkulation wird das Projekt dann sowieso zu einem Ausflug zur nächstgelegenen Eislaufhalle zusammengestrichen werden. So läuft das Geschäft.
Aus Johannes’ Büro dringt Yvonnes überdrehtes Lachen an mein Ohr. Und schon steht sie in meinem Büro, um sich »fürs Erste« zu verabschieden, und ich träume davon, sie in dem Salzstock einzufrieren und endzulagern. Sofort nachdem sie gegangen ist, schnappe ich mir meine Handtasche, ziehe meine Jacke über und stürme aus dem Büro.
Minuten später verfolge ich einen klapprigen grünen Kleinwagen durch den Feierabendverkehr, zu erkennen an einem Sylt-Aufkleber auf der Heckklappe, der angenagter ist als die Insel selbst. Mein Verstand sagt mir, dass das, was ich hier tue, nicht richtig ist: Ich schnüffle, wie billig! Und falls ich das zu sehen bekommen sollte, was ich befürchte, wird es mir garantiert das Herz zerreißen. Aber ich kann nicht anders. Die Reise führt in eine Vorortsiedlung mit einfachen Mehrfamilienhäusern, Yvonne stellt ihren Wagen vor einem Wohnblock mit Einzimmer-Apartments ab. In so einer Gegend habe ich eine Zeitlang auch mal gewohnt, während des Studiums. Ich parke um die Ecke, schlendere möglichst unauffällig in die Wohnanlage gegenüber und postiere mich an einer Hausecke halb verdeckt hinter einem Busch. Mal schauen, welches ihre Wohnung ist. Ich suche die Fenster des Apartmentblocks so lange vergeblich ab, bis im dritten Stock Yvonne ein Fenster öffnet, um durchzulüften.
Aber wo bin ich hier nur gelandet? Ich schaue hoch – und sehe, wie jemand auf dem Balkon drei Stockwerke über mir seinen Aschenbecher auskippt, einfach so, ohne hinzugucken, ich bekomme den ganzen Dreck direkt ins Gesicht, er setzt sich in den Haaren, dem Mund, der Nase, den Ohren fest. Was ist das da oben für eine Umweltsau, die gehört doch wohl mal ordentlich zur Minna gemacht! Geht aber nicht, wenn ich nicht auffallen will.
Ist das ekelhaft! Jetzt hab ich diesen fiesen Kippengeschmack im Mund und rieche wie ein ganzes Raucherabteil. Ich versuche, so gut wie möglich die Asche aus meinen Haaren zu fegen, gleich danach krame ich in meiner Handtasche nach Bonbons.
Eine Handvoll Tic Tacs mit Orangengeschmack später kommt – Tom und mit ihm der Hieb in meine Magengrube. Es ist kein Zufall. Sie ist die Yvonne.
Mein Mann klingelt und schaut sich unsicher um, ehe der Türsummer ertönt. Während er die Treppe hochgeht, taucht in den kleinen Flurfenstern der Halbetagen jedes Mal wieder sein Kopf auf, so sehe ich, dass er in den ersten Stock geht, in den zweiten, in den dritten. Ich muss mich an die Hauswand lehnen, an der ich stehe, die Tränen beginnen zu laufen, es ist ein Schmerz, als hätte ich glühende Kohlen verschluckt.
In ihrer Wohnung schließt Yvonne das Fenster, eilig zieht sie die Vorhänge zu, ich bleibe allein hier unten zurück; und doch ist es so, als müsste ich ihnen bei dem, was sie jetzt tun, zuschauen, ich kenne jede seiner Bewegungen, wie er sie küsst, seine Hand durch ihr Haar fährt, wie er vor ihr niederkniet und ihr langsam den Rock herunterzieht …
Ich muss hier weg, ganz schnell.
Bis zur dritten Kreuzung habe ich es geschafft, immerhin, dann bin ich vor Tränen blind an der Ampel losgefahren, weil hinter mir schon die ganze Zeit alle wild hupten, doch es war wohl schon wieder Rot, keine Ahnung, ein Auto ist von rechts direkt vor mir vorbeigeschossen, die von links haben knapp noch bremsen können. Jetzt stehe ich mitten auf der Kreuzung und blockiere den Feierabendverkehr, es geht weder vor noch zurück, alles steht. Wahrscheinlich werde ich gleich in den Verkehrsnachrichten namentlich erwähnt: Nicole Krafft in einem dunkelblauen VW Golf versperrt auf dem Innenstadtring die Fahrbahn und stinkt wie ein Aschenbecher.
Dieser schwanzgesteuerte Mistkerl! Wir hatten uns ewige Treue geschworen, schon vergessen? Wieso hab ich dummes Huhn nicht früher was gemerkt? Warum bin ich dann auch noch so blöd, den beiden nachzuschnüffeln? Wozu gibt’s Privatdetektive? Oder falsche Freundinnen aus dem Tennisverein, denen es ein Genuss ist, ahnungslosen Ehefrauen wie mir solche Affären brühwarm unter die Nase zu reiben? Das Problem ist, wir sind in keinem Tennisverein.
Wir wollten Kinder!
Wenn man nur noch weinend und schreiend auf das Lenkrad seines Autos einhämmert, ist es Zeit zu handeln.
»Kino 3 bitte.«
»Einmal?«
»Ja, einmal.«
EINSAM.
Jemand hat mir das Wort auf die Stirn gebrannt. So ist es also, allein ins Kino zu gehen. Man fühlt sich beobachtet. Und wenn man denkt, was die anderen denken könnten, nämlich dass man sich schlecht fühlt, ist das deprimierend: Vertrocknete Kulturzicke? Hat wohl keinen abgekriegt? Jetzt kommen sie sogar zum Sterben hierhin?
Erst mal Bier und Popcorn kaufen. Danach geht es mir gleich viel besser. Hey, bin ich mutig? Das ist die neue Leichtigkeit, free and easy, ich bin völlig ungebunden, zum allerersten Mal in meinem Leben. Gutes Gefühl, ich bin stolz auf mich. Vielleicht sollte ich den Film doch zu Ende schauen.
Und der Saal ist bereits dunkel, gutes Timing. Ich setze mich. Das Bier hilft mir über die grausige Werbung hinweg, danach kommt der unvermeidliche Eisverkäufer, endlich. Der hier ist der Typ ewiger Soziologiestudent, wahrscheinlich kann er jeden französischen Problemfilm der letzten fünfzig Jahre auswendig mitsprechen – im Original und mit Untertiteln –, hat aber noch nie eine Frau angefasst. Ideal.
Sind alle anderen versorgt? Ich winke ihn herbei, und als er näher kommt, wirkt er überraschend cool. Gute Silhouette, das sieht man, sie zeichnet sich vor der weißen Leinwand ab, definiert, aber kein Muskelprotz, vermutlich hat er was in der Birne. Smartes Bürschchen, womöglich weiß er doch was mit Frauen anzufangen.
»Ein Magnum, bitte«, sage ich.
»Nur eins?«
»Wieso, möchten Sie auch eins?«
Lächelnd erwidert er: »Wenn Sie’s spendieren.« Also, wer so souverän reagiert, ist solche Anmachen gewohnt.
»Ich fürchte, mein Kleingeld reicht nicht.« Ich wühle in meinem Portemonnaie, picke ein paar Münzen heraus, die mir wie unabsichtlich aus der Hand rutschen. Sie fallen klimpernd auf den Boden und kullern Richtung Vorderreihen. Er taucht ab, ich hinterher. »Das ist hier aber dunkel«, höre ich mich flüstern. Geht doch noch erstaunlich gut, trotz sieben Jahre Ehe. Er streift meine Hand, als er nach einer Münze greifen will. Ist das Absicht? Dafür schiebe ich meinen Hintern gegen seine Flanke, und beim Hochkommen verheddern sich fast unsere Arme. Er ist leicht außer Atem, als er abkassiert, und gibt mir zehn Cent zu viel raus. Ganz schön aufgeregt, das Jüngelchen.
Ziel erreicht. Er wird an mich denken.
Der Film ist sogar ganz amüsant: Ich beschließe, mir die DVD zu holen, sobald sie raus ist. Nach einer guten Viertelstunde rutsche ich vom Sitz, schleiche geduckt durch die Sitzreihe zur Seite, gehe zum Ausgang und verlasse so unauffällig wie möglich das Kino. Ich komme mir unglaublich abgebrüht vor, erst im Taxi steigt die Nervosität in mir hoch.
Ich dirigiere den Fahrer nicht nach Hause, sondern in die Parallelstraße, von dort aus gehe ich zu Fuß heim. Mein Weg führt mich direkt hoch ins Schlafzimmer, auf Toms Seite ziehe ich die Nachttischschublade auf. Meine Hand zittert. Ich habe Angst wie noch nie. Hoffentlich kommt er bald nach Hause, und wir bringen es hinter uns.
»Na Schatz, war’s schön?« Ich begrüße ihn stehend im Schlafzimmer, die Lederjacke habe ich anbehalten und sehe also immerhin aus wie eine coole Killerin, wenn man von der nervös zerkrümelten Kinokarte in der linken Tasche absieht.