Nicht zu alt für diesen Scheiß - Hillary Yablon - E-Book

Nicht zu alt für diesen Scheiß E-Book

Hillary Yablon

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Beschreibung

Wenn das Leben dir einen untreuen Ehemann schenkt, dann mach einen Neustart in Manhattan draus!

Was tut man, wenn man seinen langjährigen Ehemann mit der unsympathischen Nachbarin in mehr als eindeutiger Situation erwischt? Sylvia weiß die Antwort: Man nimmt die Krise als Chance und bricht zusammen mit der besten Freundin nach New York auf. Ein Neustart ist eindeutig überfällig! Und wenn man als gestandene Frau mit erwachsener Tochter nicht alt genug ist, endlich einmal an sich selbst zu denken, wann dann bitte? Tapfer meistert sie jede noch so große oder kleine Schwierigkeit und schafft es sogar, einen Traumjob als Hochzeitsplanerin an Land zu ziehen. Doch Ehemann und Tochter möchten sie nicht so einfach ziehen lassen. Außerdem gibt es da noch die mehr als heikle Frage: Schafft Sylvia in New York auch den Neuanfang in Sachen Liebe?

Umwerfend witzig & klug – diese perfekte Wohlfühllektüre gehört in jede Handtasche!

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 505

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Was tut man, wenn man seinen langjährigen Ehemann mit der unsympathischen Nachbarin in mehr als eindeutiger Situation erwischt? Sylvia weiß die Antwort: Man nimmt die Krise als Chance und bricht zusammen mit der besten Freundin nach New York auf. Ein Neustart ist eindeutig überfällig! Und wenn man als gestandene Frau mit erwachsener Tochter nicht alt genug ist, endlich einmal an sich selbst zu denken, wann dann bitte? Tapfer meistert sie jede noch so große oder kleine Schwierigkeit und schafft es sogar, einen Traumjob als Hochzeitsplanerin an Land zu ziehen. Doch Ehemann und Tochter möchten sie nicht so einfach ziehen lassen. Außerdem gibt es da noch die mehr als heikle Frage: Schafft Sylvia in New York auch den Neuanfang in Sachen Liebe?

Autorin

Hillary Yablon lebt mit ihrem Ehemann und ihren beiden kleinen Söhnen in Los Angeles. Sie hat einen Abschluss in Literatur von der Johns Hopkins University. Ihr Debüt Nicht zu alt für diesen Scheiß bekam den Allegra-Johnson-Preis von der UCLA.

Hillary Yablon

Nicht zu alt für diesen Scheiß

Roman

Deutsch von Petra Lingsminat

Die Originalausgabe erschien 2024 unter dem Titel »Sylvia’s Second Act« bei Pamela Dorman Books/Viking.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Der Verlag behält sich die Verwertung des urheberrechtlich geschützten Inhalts dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

Copyright der Originalausgabe © 2024 by Hillary R. Georgaris

Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2024 by Blanvalet in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München

Redaktion: Beate de Salve

Umschlaggestaltung: © Sabine Kwauka

Umschlagmotiv: © Shutterstock.com (Filip Bjorkman; art_of_sun; AriSys; gomolach; vittaya pinpan; Marish); Sabine Kwauka

BSt · Herstellung: DiMo

Satz: satz-bau Leingärtner, Nabburg

ISBN 978-3-641-29762-6V001

www.blanvalet.de

1. KAPITEL

Ich geb’s zu, ich habe Tagträume. Natürlich habe ich die. Wer hätte die nicht?

Wenn ich eine Liste meiner Tagträume anlegen würde, fielen mir folgende ein:

Ich als Läuferin. Da ich letzten Monat dreiundsechzig geworden bin, wäre das für meinen Körper wohl ein ziemlicher Schock, aber wäre das nicht herrlich, nach dem Aufwachen eine dieser süßen Laufshorts anzuziehen, in denen ich die jungen Mädchen heutzutage immer sehe? Tatsächlich habe ich mit dem Gedanken gespielt, damit anzufangen, nachdem meine Tochter Isabel dem Crosslauf-Team ihrer Highschool beigetreten war. Ich habe mir vorgestellt, dass wir gemeinsam joggen könnten, Mutter und Tochter, aber irgendwie war immer zu viel los. Izzy hatte Tausende Aktivitäten, und so saß ich, genau wie die anderen Hausfrauen Connecticuts, ständig im Wagen, um meine Tochter herumzukutschieren.

In meinen Tagträumen habe ich mir immer ausgemalt, Connecticut zu verlassen, und wenn es nur für eine Nacht wäre. Den Zug nach Manhattan zu nehmen und einen der »heißen neuen Läden« auszuprobieren, von denen die Leute dauernd redeten. In einer Bar ein Glas Wein zu trinken und dann …

Also gut, wenn ich ehrlich bin, habe ich fast jeden Tag davon geträumt, nachdem Izzy ausgezogen war, um aufs College zu gehen. Und jetzt träume ich davon, dorthin zurückzukehren und dieser schrecklichen Seniorenwohnanlage in Florida, in die mein Mann Louis unbedingt ziehen wollte, den Rücken zu kehren. Das Boca Beach Gables, abgekürzt BBG. Ich möchte da nicht falsch verstanden werden, es ist schon nett hier. Alles sehr hübsch, sehr edel, sehr pink. Aber ich hasse die Sonne. Ich hasse die Luftfeuchtigkeit. Und ich hasse es, wie sich die Tage leer und langweilig vor mir ausdehnen. Ich habe mich nie einsamer gefühlt.

Ich male mir aus, wie es wohl gewesen wäre, wenn ich, statt meinen Mann gleich nach dem College zu heiraten, im Ausland Karriere gemacht hätte, an irgendeinem aufregenden Ort. London zum Beispiel.

Und dann male ich mir aus, wie ich einen Baseballschläger nehme und ihn in Blanche Tellers Botoxgesicht schwinge. Möglicherweise weil Blanche in diesem Augenblick unbekleidet auf meinem Mann sitzt. Ihr Gesicht ist mir zugewandt. Weil ich ein glühender Fan von Sex and the City bin (ich habe mir die komplette Serie sechsmal angesehen), weiß ich, dass Blanche die Reverse-Cowgirl-Stellung eingenommen hat, die umgedrehte Reiterstellung.

Kurz stelle ich mir vor, wie ich in dieser Stellung auf Marcus sitze, unserem Indoorcycling-Fitnesscoach. Das ist das einzig Gute, was ich über das BBG sagen kann – das Personal ist ausgezeichnet. Marcus ist fantastisch. Ich tue so, als wüsste ich nicht, wie ich den Fahrradsitz einstellen muss, damit er mir hilft. Gerade kann ich seine Hände an meinem verlängerten Rücken spüren …

Mist. Ich habe mich wohl in meinem Tagtraum verloren, jedenfalls höre ich erst nicht, wie Louis und Blanche zu mir durchzudringen versuchen.

»… Sylvia!«, ruft Louis, »Herrgott, Sylvia! Sag doch was.«

Aber ich bin wie erstarrt. Ich kann die Lippen nicht bewegen. Und so schaue ich stattdessen nach links und begegne im Spiegel der Kommode meinem Abbild. Ich finde, ehrlich gesagt, dass ich ziemlich gut aussehe. Sosehr ich sie auch hasse, die Sonne Floridas hat meiner hellen Haut Farbe verliehen. Außerdem war ich gerade erst bei meiner Friseurin. Sie hat mich zu mehr Blond überredet und mir Strähnchen in mein schulterlanges Haar gemacht. Ich trage die Kombination aus Leinenhose und Baumwollbluse, die hier unten zu meiner Uniform geworden ist. Ich rede mir ein, dass das praktisch und zeitlos ist, aber tief im Innersten komme ich mir langweilig und altbacken vor. Ich liebe Kleider. Aber in Florida shoppen zu gehen, gibt mir irgendwie das Gefühl, alt zu sein. Als wäre ich ein Stück näher an Jogginghosen und weiße Sneakers herangerückt.

Ich fahre mir durch die Haare und runzle die Stirn. Wo war ich noch mal? Ach so. Ich stehe im Schlafzimmer meiner Wohnung mit Meerblick und starre auf Blanche Tellers nackten Körper. Sie sitzt nun neben meinem Ehemann im Bett, nicht mehr auf ihm. Louis hat die Laken um sich gewickelt. Typisch, er war schon immer ein Egoist.

»O Gott, Sylvia. Es ist nicht das, was du denkst«, sagt Blanche und zittert dabei ein wenig.

»Da bin ich aber froh. Ich dachte schon, du hättest Sex mit meinem Ehemann. Aber vielleicht habt ihr ja nur Bridge gespielt. Bloß ohne Kleider. Und ohne Karten.«

Blanche blinzelt. Ich kann den Blick nicht von ihren riesigen Möpsen abwenden. Sie stehen keck in die Höhe, und nach dem, was sie uns letzten Monat beim Ladys-Weinabend erzählt hat, sind sie vom besten Schönheitschirurgen Südfloridas frisch überarbeitet worden.

»Wie lange willst du noch nackt hier herumsitzen?«, frage ich sie.

»Es ist nur … Es tut mir so leid, Sylvia. Aber wärst du so nett?« Blanche verstummt, und ich folge ihrem Blick nach unten. Ich stehe auf ihrem BH. Automatisch bücke ich mich und hebe ihn auf. Er sieht aus wie ein kleines Zelt. Ich werfe ihn zu ihr hinüber.

»Danke«, sagt Blanche und zieht sich den BH an. Natürlich ist er durchsichtig. Unter der schwarzen Spitze sehen ihre Brustwarzen noch größer aus.

»Du lässt dir da unten alle Haare wegmachen?« Ich habe schon unter normalen Umständen keine Kontrolle über das, was aus meinem Mund kommt, und in Stresssituationen ist es noch schlimmer. Außerdem steht Blanche gerade auf, und ich kann sie von vorn sehen. »Ich frage nur, weil ich die Folge von Sex and the City gesehen habe, in der Carrie nicht weiß, was sie von Männern halten soll, die eine komplett rasierte Muschi wollen.«

Louis wirkt ziemlich empört. »Sylvia!«

»Was? Darf ich nicht Muschi sagen? Du schläfst doch mit einer Frau, von der du weißt, dass ich sie nicht leiden kann.«

»Du kannst mich nicht leiden?« Blanche sieht überrascht aus. »Ich dachte, wir wären Freundinnen.«

Am liebsten hätte ich ihr eine verpasst, funkle sie stattdessen aber nur wütend an. »Raus.«

»Du hast recht, tut mir leid. Ich, ähm … ich weiß nur nicht, wo meine Kleider sind.«

Natürlich weiß sie das nicht. Automatisch knie ich mich hin und fange an, unter dem Bett nach ihren Sachen zu suchen.

Louis hockt sich neben mich. »Sylvia«, er schluckt, »es tut mir so leid. Du brauchst das nicht zu tun.«

»Hilf mir nur, ihre verdammten Kleider zu suchen.« Meine Stimme klingt gedämpft, während ich mich auf dem Bauch weiter unter das Bett quetsche.

Louis seufzt und steht auf. Von meiner Position aus kann ich seine und Blanches Füße durch den Raum tappen sehen.

»Louis«, flüstert Blanche. Ich höre nicht, was sie sonst sagt, aber ich sehe, wie Louis’ Füße den Raum verlassen.

Unter dem Bett ist es dunkel. Der Teppich ist stahlgrau – das wäre kaum meine erste Wahl gewesen –, und ich kann fast nichts sehen. Ich habe die Arme ausgebreitet und streiche damit langsam über den Boden. Schließlich bekomme ich etwas zu fassen. Es ist aus Spitze und obszön klein.

»Ich glaube, ich habe deine Unterhose gefunden«, rufe ich, während ich unter dem Bett hervorgleite.

Bevor ich aufstehe, sehe ich mich um. Die Luft ist rein. Verstohlen drehe ich Blanches Tanga um, um nachzusehen, welche Größe in der Taille eingedruckt ist. XXS.

Das Miststück!

Ich rappele mich auf die Füße und gebe Blanche ihr Höschen. »So, und jetzt raus.«

Blanche zieht es an und nickt. »Ich brauche nur noch mein Kleid. Oder du leihst mir ein Kleid von dir, wenn du mich loswerden möchtest …«

»Wir wissen beide, dass dir meine Kleider nicht passen.«

»Sei doch nicht albern. Wir haben praktisch dieselbe Größe.«

»Ich bin fünfzehn Zentimeter größer und dreißig Pfund schwerer als du.« Meine Stimme ist ausdruckslos.

»Du hast eine fantastische Figur.« Blanche winkt ab, als wären wir Freundinnen beim Lunch, die sich gegenseitig Komplimente machen. »Ich würde einiges darum geben, so groß und athletisch zu sein wie du.« Sie lügt. Sie liebt es, klein und feminin zu sein. Beim Anblick ihres flachen Bauches wird mir übel vor Neid. Das fehlte gerade noch: mit anzusehen, wie sie in meinen Sachen versinkt. Und ich würde eher sterben, als sie in einem von Louis’ großen T-Shirts hinausspazieren zu lassen, als wären wir hier im Studentenwohnheim.

Ich schlucke. »Suchen wir einfach dein Kleid. Was meinst du, wo es sein könnte?«

»Am Deckenventilator«, sagt Louis, der gerade aus dem Wohnzimmer kommt. Er trägt immer noch nichts außer seinen Boxershorts und wirkt außer Atem. »Ich habe versucht, das Kleid mit der Fliegenklatsche herunterzuziehen, aber es hat sich dort oben gründlich verheddert.«

Ich blinzele. »Entschuldigung, hast du eben Deckenventilator gesagt?«

Louis nickt, und ich blinzle noch mal. Wie habe ich das auf dem Weg ins Schlafzimmer nur übersehen können? Außerdem … echt jetzt? Wie leidenschaftlich ist diese Sex-Session denn gewesen? Louis hat Rückenprobleme. Wann ist er zum Erotikakrobaten geworden?

Ich muss die beiden immer noch angestarrt haben, da Louis sich räuspert.

»Ich werde wohl den Gebäudedienst rufen müssen, damit er es runterholt«, sagt er schließlich.

Mit einem Mal fühle ich mich furchtbar gedemütigt. »Louis, ich kann eine Menge verkraften. Aber ich würde mich lieber anzünden lassen, als Derek vom Gebäudedienst zu rufen, damit er Blanches Kleid aus unserem Deckenventilator klaubt. Verdammt, gib mir einfach einen Kleiderbügel.«

Blanche reißt die Augen auf, doch Louis’ Miene ist ausdruckslos. Bisher hat er mich erst einmal so erlebt, und zwar, als ich in den Wehen gelegen habe. Schnell holt er einen Bügel aus dem Schrank und reicht ihn mir.

Ich kratze die letzten Reste an Würde zusammen, die mir noch geblieben sind, straffe die Schultern und gehe ins Wohnzimmer.

Und da, direkt über der Couch, hängt Blanches Sommerkleid auf dem einen Einrichtungsgegenstand, den ich für unsere bereits voll ausgestattete Wohnung gekauft habe: dem Big Ass Fan. Der heißt wirklich so. Die Ventilatoren sind sehr schick. Riesig, handgefertigt, Holzdekor. Unserer verleiht der Wohnung normalerweise ein gewisses Bali-Flair, jetzt allerdings eher eine Bordellnote..

Blanche und Louis – beide immer noch in Unterwäsche, verdammt! – sehen mit großen Augen zu, wie ich vorsichtig auf die Armlehne des Sofas klettere, um an das Kleid zu kommen.

»Pass auf, Sylvie«, sagt Louis.

»Nenn mich nicht so. Lass dir bloß nicht einfallen, mich je wieder so zu nennen, du Scheißkerl«, stoße ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor, während ich versuche, den Bügel genau im richtigen Winkel nach oben zu führen, um das Kleid herunterzuholen.

Ich verfehle mein Ziel.

Um mich zu beruhigen, hole ich tief Luft und stoße den Bügel noch einmal nach oben. Diesmal bekomme ich das Kleid zu fassen und wickle es langsam von den Flügeln des Ventilators.

Louis ist beeindruckt. »Du hast es geschafft! Wow!«

Kurzzeitig bin ich selbst ziemlich beeindruckt von mir, bis ich …

… von der Couch falle.

Blanche und Louis eilen herbei.

»Alles okay«, versichere ich und reibe mir das Bein. »Nichts gebrochen.«

»Ich hole Eis für dich«, sagt Blanche schnell und rafft das Kleid an sich.

Ich schließe kurz die Augen. Als ich ein Klick-klack, Klick-klack, Klick-klack höre, öffne ich sie wieder und sehe, wie Blanche auf hochhackigen Sandalen durch meine Wohnung hastet. Ich lehne den Kopf an die Couch und fange an zu lachen.

»Was gibt’s da zu lachen?«, fragt Louis.

Ich deute auf Blanche, die gerade Eis in ein Handtuch wickelt und sich in unsere Richtung wendet.

»Schau sie dir an«, keuche ich. »Sie sieht aus wie eine alternde Stiefmutter in einem schlechten Porno.«

Louis blickt auf, als Blanche in Stilettos, BH und Höschen angestöckelt kommt.

Ich kriege mich gar nicht mehr ein.

Blanche sieht zu Louis.

»Hat sie sich den Kopf angeschlagen?«, fragt sie, doch daraufhin muss ich nur noch mehr lachen.

Blanche wirkt ehrlich besorgt, als sie sich vor mich hinkniet und mir das Eis überreicht. Dabei drückt sie ihren Megabusen gegen mich. O Gott, diese Möpse! Ich kann ihnen nicht entkommen.

Und so kapituliere ich. Ich umfasse ihre Brüste.

»Oh!« Schockiert zuckt sie vor mir zurück.

Aber ich lasse nicht los, sondern drücke ihre Brüste, als ob ich die Ware in der Obstabteilung prüfen würde.

»Wow«, murmele ich. »Viel natürlicher, als ich dachte.«

Das bringt Blanche so aus der Fassung, dass sie aufspringt und sich so schnell wie möglich ihr Kleid überstreift. Dann nimmt sie ihre Tasche und läuft aus der Wohnung.

Als die Tür ins Schloss fällt, sehe ich Louis an.

»Wenn ich gewusst hätte, dass sie homophob ist, hätte ich sie schon früher angegrapscht«, sage ich mit todernster Miene.

Louis wirkt einfach nur erstaunt. »Alles in Ordnung mit dir?«

»Nein, Louis, natürlich nicht. Ich habe soeben die Geliebte meines Mannes sexuell belästigt.«

»Sie ist nicht meine Geliebte, Sylvia. Es war nur das eine Mal. Lass dir erklären …«

»Zieh dich erst mal an.«

Louis blickt auf seine Boxershorts und verschwindet dann rasch im Schlafzimmer. Ich massiere mir kurz das schmerzende Bein, bis Louis in langen Hosen zurückkehrt.

Während er sich hastig ein Hemd überzieht, lehne ich den Kopf an die Couch und betrachte ihn. Er ist ein attraktiver Mann. Eins achtundachtzig. Das tägliche Golfen und die Stunden auf dem Tennisplatz halten ihn schlank und fit. Seine Haare sind schon vor zwanzig Jahren grau geworden, aber er hat immer noch jede Menge davon. Ich kann nachvollziehen, warum andere Frauen mit ihm ins Bett wollen.

Als er endlich angezogen ist, sieht er mich an und atmet hörbar aus.

»Sylvia, es tut mir leid«, entschuldigt er sich. »Es tut mir schrecklich leid.«

»Liebst du sie?«

»Natürlich nicht. Es war wirklich nur ein Ausrutscher.«

Warum sagen Männer derart dämlichen Quatsch? Die ganze Situation ist so erbärmlich, dass es fast schon komisch wirkt. Ich fange an zu lachen, bis mir aufgeht, dass vielleicht ich diejenige bin, die hier erbärmlich ist. Louis und ich haben seit … Ewigkeiten nicht mehr miteinander geschlafen, ich weiß nicht mehr, wann zuletzt. Waren wir seit unserem Umzug hierher miteinander im Bett? Ich zermartere mir den Kopf und versuche mich zu erinnern, während ich im Hintergrund immer wieder Louis’ Stimme höre …

»… und als ich dann herausfand, dass wir alles verloren haben …«

Vielleicht in der ersten Woche? Das ist doch anzunehmen. Warum weiß ich das nicht mehr?

»… und ich glaube, ich stehe noch unter Schock, Sylvia. Aber mach dir keine Sorgen. Wir haben bis Ende Mai unsere Beiträge hier unten bezahlt. Ich lass mir was einfallen. Die Anwälte haben gesagt …«

»Was?« Ich sehe Louis an. Mir wird klar, dass er von etwas Wichtigem spricht.

»Ich habe gesagt, die Anwälte glauben, sie könnten einen Teil unseres Ersparten retten. Möglicherweise dauert es nur eine Weile.«

»Welche Anwälte? Wovon redest du?« Ich reibe mir die Stirn.

»Das habe ich dir doch gerade gesagt. Meine Altersvorsorge wurde von der Investmentfirma, die ich letztes Jahr mit der Anlage beauftragt habe, schlecht verwaltet.«

»Was soll das heißen? Ich dachte, wir hätten uns für eine sichere Anlageform entschieden?«

»Haben wir auch«, sagt er und läuft rot an. »Aber ich bin ein Risiko eingegangen. Ich habe es dir nicht gesagt, weil ich wusste, dass es dich beunruhigen würde. Aber die Rendite war einfach jenseits von Gut und Böse. Und sie hatten einen tadellosen Ruf, und … Scheiße, ich habe es vermasselt.« Er senkt den Blick.

»Louis«, sage ich ganz langsam. »Ist unser ganzes Geld weg?«

»Ja.« Seine Miene ist düster und schwer. »Ich habe es erst letzte Woche herausgefunden. Ich wollte möglichst schnell in Erfahrung bringen, wie schlimm es um uns steht, und da ist mir eingefallen, dass Blanche vor ihrem Ruhestand eine große Nummer bei JP Morgan war. Also habe ich die Sache mit ihr besprochen, und sie hat die Verbindung zu einem Anwalt hergestellt. Ich war wohl ziemlich fertig, und dann hat eins zum anderen geführt …« Seine Stimme verklingt.

»Also, damit ich das richtig verstehe: Wir haben alles verloren, doch zum Glück hat dir Blanche eine Schulter zum Ausweinen geboten und dir einen Anwalt besorgt. Und dann bist du versehentlich mit ihr ins Bett gefallen? Der Ausrutscher?«

Er nickt. »Mach dir keine Gedanken, ich bringe alles wieder in Ordnung.«

Ich sehe ihn lange an. Ich weiß, dass ich traurig sein sollte, vermutlich auch ein wenig verängstigt. Doch alles, was ich empfinde, ist eine wahnsinnige Erleichterung. Ich weiß genau, was ich jetzt tun werde.

»Louis«, sage ich. »Ich verlasse dich.«

2. KAPITEL

Nachdem ich die Wohnung verlassen hatte, bin ich schnurstracks zu Evie gegangen. Sie hat einen Blick in mein Gesicht geworfen und darauf bestanden, dass wir sofort mit dem Trinken anfangen.

Evie ist meine einzige echte Freundin im BBG. Wir haben uns in meiner zweiten Woche hier kennengelernt und hatten sofort einen Draht zueinander. Das ist zwar erst ein Jahr her, aber es fühlt sich so an, als würden wir uns schon ewig kennen.

Wir haben am gleichen Tag Geburtstag. Sie ist gerade siebzig geworden. Anscheinend ist sie schon öfter siebzig geworden, aber ich tue so, als wüsste ich das nicht. Was kümmert es mich? Sie geht zwar am Stock – sie hat Arthrose in den Knien –, aber man sollte nicht so dumm sein, sie zu unterschätzen. Als ihr Ehemann Henry noch lebte, nannte er sie den General, was mich vermuten lässt, dass sie eine gute Ehe hatten.

»Wie haben sie sich angefühlt?«, fragt Evie, während sie einen großen Schluck von ihrem Cosmo nimmt. Wir sitzen im Moonlight’s, der schicksten Bar hier. »Waren sie hart? Ein bisschen hart? Hast du sie gedrückt oder nur so darübergestrichen, als würdest du eine Katze streicheln?«

Natürlich redet sie von Blanches Möpsen.

Ich lasse mir meine Antwort so sorgfältig durch den Kopf gehen, als ginge es darum, den Sinn des Lebens zu beschreiben.

»Ich habe sie ordentlich gedrückt«, sage ich schließlich. »Und danach habe ich irgendwie nicht mehr losgelassen.«

Evie wirft den Kopf in den Nacken und lacht. Ein Grüppchen von Leuten, das in der Nähe steht, dreht sich zu uns um. Es ist fünf Uhr nachmittags, und die Happy Hour ist in vollem Gang. Wir hatten Glück, diese Nische zu bekommen. Andererseits sitzen wir schon seit halb drei an unserem Tisch, und zu diesem Zeitpunkt war die Bar bis auf ein paar passionierte Alkoholiker am Tresen praktisch verwaist.

Ich leere meinen Drink – vielleicht mein dritter? – und stoße die Luft aus.

Evie mustert mich aufmerksam und wird dann ernst. Sie fährt sich durch ihre fransigen blonden Haare. Die Leute verwechseln sie öfter mit Jane Fonda, und ich weiß, dass sie das entzückt. Tatsächlich hat sie einen gewissen Glamour, den man nur schwer beschreiben kann. Sogar ihr Gehstock ist eher stylisches Accessoire als geriatrisches Hilfsmittel.

»Sylvia, tut mir leid, dass das passiert ist. Was willst du denn jetzt tun?«

Bevor ich antworten kann, kommt ein neuer Kellner an den Tisch. Er ist jung, Ende zwanzig, und auf die Art attraktiv, wie es alle Menschen in den Zwanzigern sind. Zumindest in meinen Augen.

»Hallo, die Damen. Ihre Kellnerin Cassie hat eben Feierabend gemacht. Es ist mir eine Freude, Ihren Tisch zu übernehmen. Noch eine Runde?«

Evie nickt. »Und ob! Deswegen haben wir ja ein Uber genommen.«

»Sie haben ein Uber gebucht? Das ist ja erstaunlich!«

»Was ist daran erstaunlich? Dass zwei alte Ladys mit dem Smartphone umgehen können?« Evie kneift die Augen zusammen.

»Nein«, stammelt der Kellner. »Ich meine, es ist einfach großartig, wie hip Sie beide sind, und …«

Der Mann tut mir leid, aber Evie grinst nur. »Ich nehm Sie doch bloß ein bisschen auf den Arm, Herzchen.«

Nun reißt der Kellner die Augen auf. Er steht da und weiß nicht recht, wie er reagieren soll. Evie hat diese Wirkung auf Menschen.

»Bringen Sie uns unsere Drinks«, sagt sie und tätschelt ihm den Arm.

Er nickt etwas benommen und macht sich auf den Weg.

Ich lache, dankbar für diesen heiteren Moment. »Was würde ich nur ohne dich anfangen, Evie?«

»Mich interessiert mehr, was du jetzt anfängst, nachdem du herausgefunden hast, dass dein Ehemann ein fremdgehender Arsch ist, der euer gesamtes Geld verloren hat.«

Ich atme tief durch und sehe zur Decke. Die Wahrheit ist, dass die ganze Erleichterung, die ich empfunden habe, inzwischen schierer Panik gewichen ist. Dennoch versuche ich, ruhig zu bleiben.

»Vielleicht ist es nicht ganz so schlimm«, sage ich schließlich. »Ich weiß nicht, wie es mit meiner Ehe weitergeht, aber was die Finanzen betrifft … Louis hat gemeint, er würde alles in Ordnung bringen. Und es ist ja nicht so, als ob wir vollkommen pleite wären. Im Friseursalon heute wurde meine Kreditkarte akzeptiert, und ich konnte auch problemlos einkaufen und tanken. Es hört sich nur schlimm an, aber das wird alles in Ordnung kommen.«

Evie schüttelt den Kopf. »Stell dich den Tatsachen. Die Lage ist schlimm, und das war sie vorher auch schon. Du hast in einem Leben festgesteckt, das du hasst.«

»Das ist nicht … ganz wahr.« Doch noch während ich das sage, weiß ich, dass Evie recht hat. Mein Leben ist ein einziger Schlamassel. Mein Ehemann macht mich ganz krank, und wir haben kein Geld. Irgendwann werden unsere Kreditkarten auslaufen, und ich habe keine Ahnung, wie lang das noch dauern wird. Mir steigen Tränen in die Augen.

»Ach, Sylvia«, sagt Evie, als ich anfange zu weinen.

»Ich begreife nicht, wie ich so dumm sein konnte«, schluchze ich. »Die Investitionen waren immer Louis’ Sache, aber ich habe die Rechnungen bezahlt und unser Budget im Blick behalten. Als wir hierhergezogen sind, hat er alles auf online umgestellt, und es schien einfacher, die ganze Sache ihm zu überlassen. Er ist schließlich Steuerberater!« Die Tränen fließen nun heiß und schnell. »Ich bin so ein Klischee. Ich gehöre zu den dämlichen Frauen, die man in einer Kurzserie sieht und für die man keinerlei Mitleid übrig hat, weil man insgeheim findet, dass sie sich alles selbst zuzuschreiben haben.«

»Das ist nicht wahr.« Beim Sprechen reibt Evie mir den Arm.

Ich lege den Kopf in die Hände und weine. Wieder drehen sich die Leute zu uns um. Inzwischen habe ich Schluckauf. Ich habe beim Weinen schon immer hässlich ausgesehen. Natürlich ist das auch der Moment, in dem der attraktive junge Kellner mit unseren Drinks kommt. Schweigend lädt er sie auf unserem Tisch ab.

Evie reicht mir meinen Cosmo. »Sylvia, einen Silberstreifen am Horizont gibt es aber doch: Es ist der Tritt in den Hintern, den du gebraucht hast, um dein Leben zu ändern.«

»Tritt in den Hintern?«, wiederhole ich und stöhne, dann schütte ich den Drink in mich hinein. »Eher eine Kugel in den Kopf.« Schließlich bekomme ich meinen Atem wieder unter Kontrolle und wische mir mit einem Taschentuch über die Augen.

Evie nimmt meine Hand. Es überrascht mich, wie fest ihr Griff ist. »Eine Kugel im Kopf wäre Krebs oder ALS oder die Nachricht, dass dein Kind eine Überdosis irgendeiner Designerdroge genommen hat, von der du noch nie gehört hast.«

Ich starre meine Freundin an. Ich weiß, dass sie von ihrem Sohn spricht, und sie redet nie über ihren Sohn.

Ich schlucke. »Evie, ich …«

»Was ich damit sagen will, Sylvia«, unterbricht sie mich, »du stehst an einem Scheideweg. Du hast jetzt zwei Möglichkeiten: Entweder ertrinkst du in Selbstmitleid, oder du nutzt diese Gelegenheit und bringst dein Leben auf die Reihe. Ich würde sonst was dafür geben, wieder dreiundsechzig zu sein. Du hast noch so viel Zeit vor dir, und ich werde nicht zulassen, dass du sie verschwendest.«

So habe ich sie noch nie erlebt. Es macht mir Angst.

»Evie, dir bleibt doch auch noch Zeit. Du bist so jugendlich. Du buchst dir sogar ein Uber!«

Doch Evie hat den Blick auf den Tisch gesenkt. Sie legt die Cocktailserviette dreimal zusammen und zieht dabei die Falte fest nach. Dann starrt sie auf ihre Hände. Ich habe sie nie spielen hören, aber anscheinend war sie mal eine brillante Pianistin. Ihre Finger sind immer noch lang und anmutig, doch die Haut ist dünn und faltig, zerfurcht vom Lauf der Zeit.

»Du kannst fürs Erste auf meinem Sofa schlafen, immerhin war das ein ziemlicher Schock. Aber dann wirst du so stark sein, wie du es tatsächlich bist, und dir dein Leben zurückerobern. Vielleicht wirst du die Welt bereisen. Paris, Argentinien und Neuseeland besuchen.«

Ich nehme noch einen Schluck von meinem Drink. »Ich wollte immer schon reisen«, gestehe ich. »Louis hatte nie Lust dazu. Er hat Angst vorm Fliegen. Und er hasst Hotels. Wie kann man nur Hotels hassen, bei all den frischen Handtüchern und den Shampoofläschchen? Bevor wir hierhergezogen sind, wollten wir eigentlich an die Amalfiküste reisen. Aber Louis hatte einen Albtraum, in dem das Flugzeug abgestürzt ist, und deshalb hat er die Reise gecancelt. Stattdessen sind wir nach New Jersey ans Meer gefahren.«

Ich schiebe mir das Haar aus dem Gesicht und denke daran, wie wütend ich an dem Tag gewesen bin. Ich hatte drei Monate lang Italienisch gelernt. Meine Tochter Isabel hatte mir dabei geholfen, eine App auf mein Smartphone herunterzuladen, und ich war inzwischen ziemlich gut.

Wieder steigt heißer Zorn in mir auf. Wieder füllen sich meine Augen mit Tränen. Ich trinke mein Glas aus. Wie aufs Stichwort bringt uns der Kellner die nächste Runde.

»Geht auf mich«, sagt er und lächelt mir zu. »Ich hasse es, eine schöne Frau weinen zu sehen.« Er geht, und Evie nickt ihm beifällig nach.

Ich blinzle die Tränen zurück. Es gefällt mir, wenn man mich als schön bezeichnet. Selbst wenn es jemand tut, der jünger ist als meine Tochter und auf ein gutes Trinkgeld hofft. Ich greife nach meinem Drink.

»Moment«, sagt Evie. Dann hebt sie ihr Glas, um einen Toast auszusprechen. »Auf die Weltreise. Du bist eine freie Frau, gesund, und du hast einen Reisepass.«

Ich nicke. Das stimmt. Ich habe mir für Italien einen neuen Reisepass ausstellen lassen. Er ist ganz frisch und wirkt sehr offiziell. Ich bewahre ihn bei meinem Schmuck auf, weil ich ihn zu besonderen Gelegenheiten gern betrachte.

Ich nehme einen großen Schluck von meinem Drink und verliere mich in einem Tagtraum, wobei ich großzügig den Umstand ignoriere, dass ich kein Geld habe. In meinem Traum sitze ich in einem Jumbojet. Ich trage eines dieser lässig-eleganten Reiseoutfits, die ich in der Vogue gesehen habe – einen leichten Kaschmirpullover, eine Hose von Donna Karan, Ballerinas. Aus meiner Goyard-Tasche schaut oben die New York Times heraus. Ich habe mir eben Feuchtigkeitsspray ins Gesicht gesprüht, weil jeder weiß, dass die Luft im Passagierraum die Haut austrocknet. Die Stewardess bringt mir Champagner, und ich sage: »Danke, Darling.«

»Sylvia.« Evies Stimme bricht in meinen Traum, und ich merke, dass ich aus einem mittlerweile leeren Glas trinke. Wow, das ist aber schnell leer geworden. Mir ist ein bisschen schwindelig.

»Alles okay?« Evie wirkt besorgt, doch ich nicke nur. Mir geht es besser als okay. Ich reise um die Welt. Ich fühle mich großartig. Ich fühle mich erstklassig. Ich fühle mich frei.

Ich übergebe mich.

Zumindest hat es etwas Jugendliches, in einer Bar zu kotzen.

Am nächsten Morgen liege ich auf Evies Sofa und starre an die Decke. Gott sei Dank hat sie keinen Ventilator.

Vorsichtig setze ich mich auf. Ich weiß nicht, was mehr wehtut, mein hämmernder Kopf oder mein pochender Rücken. Oder mein Ego. Ich verziehe das Gesicht und verfluche den Umstand, dass meine Erinnerungen an den gestrigen Abend – trotz meines alarmierenden Alkoholpegels – peinlich vollständig sind.

Es war, als hätte noch keiner gesehen, wie sich jemand in einer Bar übergibt. Na ja, vielleicht hat noch keiner gesehen, wie es jemand in meinem Alter tut.

»Sylvia«, ruft Evie.

Ihr Stock klopft leise auf den Boden, als sie das Wohnzimmer betritt. Über ihrem Pyjama trägt sie einen Kimono, und dafür, dass sie den ganzen Abend getrunken hat, sieht sie viel zu gut aus. Allerdings wurden wir schon vor sechs Uhr aus der Bar geworfen, also hatte sie wohl genug Zeit, um sich gründlich auszuschlafen.

»Evie«, entgegne ich stöhnend. »Warum um alles in der Welt hast du keinen Kater?«

»Ich stamme von angelsächsischen Protestanten ab, ich kann was vertragen.«

Ich zwinge mich dazu, mich vollständig aufzurichten, und streiche mit der Hand über den Seidenpyjama, den Evie mir geliehen hat. Evie setzt sich in den Sessel neben dem Sofa und stellt den Fernseher an. Es ist erst halb sechs, aber sie hat Apple-TV, daher findet sie schnell eine Folge Sex and the City für uns. Der Vorspann muntert mich immer auf. Ich fange an, im Rhythmus mit dem Kopf zu nicken, aber bei der Bewegung wird mir übel. Die Morgensonne fängt gerade an, sich einen Weg durch die Vorhänge zu bahnen.

»Was macht dein Kopf?«, fragt Evie und reicht mir ein Glas Wasser und zwei Aspirin.

»Tut weh, genau wie mein Magen. Und ich kann diese Wellen der Demütigung einfach nicht stoppen.« Ich lasse die Tabletten ins Glas fallen und sehe zu, wie das Wasser zu schäumen beginnt.

»Du hattest guten Grund, deinen Kummer in Alkohol zu ertränken. Das fand der Rausschmeißer auch.«

Ich zucke zusammen. Himmel. Wer hätte gedacht, dass es im Boca überhaupt Rausschmeißer gibt? Doch sobald ich mich übergeben hatte, kam einer zu uns und trug mich hinaus, damit der Kellner und die Putztruppe sauber machen konnten.

»Er war sehr nett«, räume ich ein.

Sie pausiert die Folge von SATC und nickt mir zu. »Er hat dich hinausbefördert, als wärst du eine Prinzessin. Ich kann nicht fassen, dass er tatsächlich wusste, wer Blanche ist.«

»In der Tat«, sage ich und denke daran, wie ich dem Rausschmeißer in meiner beschämten, besoffenen Benommenheit alles erzählt habe.

Während Evie uns ein Uber bestellte, setzte er sich freundlich zu mir auf das Pflaster und erzählte mir, dass er schon öfter beobachtet habe, wie Blanche in der Bar auf Männerfang ging.

Evie schüttelt den Kopf. »Der arme Ehemann. Ich überlege immer wieder, ob sie ihn wohl schon betrogen hat, bevor er Alzheimer bekam.«

»Du und Henry habt sie doch kennengelernt, gleich nachdem sie hergezogen waren. Wirkten sie damals glücklich?«

»Schwer zu sagen. Edward war ein ziemlicher Wichtigtuer, und Blanche war eben Blanche. Botox und Möpse.«

Evie und ich sitzen einen Augenblick still da. Auf einmal empfinde ich Mitleid mit Blanche und schäme mich. Es muss schrecklich sein, den eigenen Ehemann so leiden zu sehen. Hätte ich mich reifer verhalten sollen? Statt Blanche aus der Wohnung zu werfen, hätte ich sie beiseitenehmen und ihr in mitfühlendem, aber entschiedenem Ton sagen sollen: »Blanche, auch wenn es dein Benehmen nicht entschuldigt, weiß ich doch, dass dich die Krankheit deines eigenen Mannes schwer mitnimmt und du deswegen mit meinem im Bett gelandet bist.«

Was hätte Jesus getan?

Allerdings bin ich jüdisch.

Andererseits war Jesus das wohl auch.

»Sylvia, Blanche mag es in letzter Zeit nicht leicht gehabt haben«, sagt Evie, und es scheint, als habe sie meine Gedanken gelesen. »Aber nur weil ihr Mann krank ist, gibt ihr das noch lange keinen Freifahrtschein. Und nichts ändert etwas an dem Umstand, dass Louis fremdgegangen ist. Du musst das abhaken und nach vorne schauen.«

Ich seufze. Ich weiß, dass sie recht hat. »Können wir zuerst unsere Folge zu Ende sehen?«

Evie drückt die Play-Taste der Fernbedienung, und SATC geht weiter. Wir beugen uns vor und entfliehen unserem eigenen Leben, während Carrie, Samantha, Miranda und Charlotte beim Brunch über Oralsex diskutieren.

3. KAPITEL

Nachdem ich mich von Evie verabschiedet habe, hocke ich nun in meiner Wohnung neben dem Bett auf dem Boden – ich kann mich nicht dazu überwinden, mich aufs Bett zu setzen – und starre meinen Reisepass in der Schmuckschatulle an. Ich halte ihn mir an die Nase. Wie ich den Geruch liebe, so neu und frisch.

Schließlich stecke ich die Schmuckschatulle und den Pass in eine kleine Reisetasche und schließe den Reißverschluss. Mein großer Koffer steht offen neben mir auf dem Fußboden; ich bin fast fertig mit Packen. Kurz entschlossen sehe ich meine Zeitschriften durch, die ich in einer Kiste neben dem Bett aufbewahre. Vogue, Town & Country, Elle, W und eine Auswahl europäischer Modemagazine stapeln sich darin. Ich liebe es, mich in den Hochglanzseiten zu verlieren. Manchmal benutze ich beim Lesen eine Lupe, Louis hat sich immer darüber lustig gemacht …

Ich gehe meinen Stapel durch, lege fünf meiner Lieblingsexemplare in den Koffer und packe weiter. Es gibt nicht mehr viel zu tun. Vor dem Umzug habe ich den Großteil meiner Winterklamotten aussortiert. Schließlich wussten wir, dass die Wohnung um einiges kleiner sein würde als unser altes Haus, und wer braucht in Florida schon Schals, Handschuhe und Wintermäntel? Isabel und Bunny – Izzys Schwiegermutter – haben sich die Sachen ausgesucht, die sie haben wollten, und den Rest habe ich einem Heim für obdachlose Frauen gespendet.

Hm. Wie kalt es jetzt wohl im Norden ist? Ich blicke ins Leere, und fast kann ich die zartorangenen Blätter im Herbstwind wirbeln sehen. Unwillkürlich sehne ich mich nach einem meiner gemütlichen Cardigans und ertappe mich dabei, wie ich auf meinem Smartphone das Wetter in Connecticut abrufe.

In dem Moment bekomme ich eine SMS. Sie ist von Louis.

Ist es okay, wenn ich früher komme?

Ich verziehe das Gesicht. Ich hatte ihn gebeten, die Wohnung zwischen ein und vier Uhr nicht zu betreten. Ich hatte mir überlegt, dass ihm das nicht schwerfallen dürfte, da er um die Zeit sein wöchentliches Tennismatch hat und danach mit den Jungs ein Bier trinken geht.

Ich tippe ein: Wann früher?

Er antwortet sofort: Jetzt?

Ich verspüre einen Anflug von Ärger und antworte nicht gleich.

Schon pingt eine weitere SMS.

Ich stehe vor der Tür.

Ich beiße die Zähne zusammen und stehe auf. Energisch gehe ich zur Eingangstür und öffne sie. Louis hat ein Dutzend Tulpen in der Hand.

»Hi.«

Ich verschränke die Arme vor der Brust. »Was ist mit deinem Match?«

»Das habe ich abgesagt. Stattdessen bin ich eine ganze Weile spazieren gegangen und habe darüber nachgedacht, wie sehr ich dich liebe.« Er hält mir den Strauß hin. »Deine Lieblingsblumen.«

Ich starre die herrlichen Tulpen an. Sie sehen teuer aus. »Ich dachte, wir wären pleite.«

»Ich habe sie in einem Beerdigungsinstitut geklaut.«

Trotz allem muss ich lachen. Louis ist schon immer komisch gewesen.

Er sieht mir in die Augen. »Es tut mir so leid, Sylvia. Fürchterlich leid.«

»Du kannst mir nicht einfach Blumen bringen und glauben, damit wäre alles wieder okay.«

»Was kann ich sonst tun? Einen Juwelier ausrauben? Einen Pralinenladen überfallen?«

»Ach, Louis. Das ist nichts, was sich mit Blumen, Ohrringen oder Trüffeln in Ordnung bringen ließe.«

Louis tritt von einem Fuß auf den anderen. Mir wird bewusst, dass er immer noch auf dem Gang steht, und mache Platz, damit er in die Wohnung kann. Nachdem ich die Tür geschlossen habe, stehen wir uns einen Moment im Flur gegenüber. Schließlich nehme ich die Blumen.

»Also, die sollte man nicht verkommen lassen.« Ich gehe in die Küche, um sie ins Wasser zu stellen. Louis folgt mir.

»Hast du wirklich gepackt?«

Ich nicke.

Er stößt den Atem aus. »Du ziehst vorläufig zu Evie?«

Ich nicke noch einmal.

Louis sieht mich an. »Dann habe ich die Blumen praktisch für mich selbst besorgt?«

Ich zucke mit den Achseln. »Ich könnte sie ja mit zu Evie nehmen.«

»Wie sehr hasst sie mich denn jetzt?«

»Wenn es dich beruhigt, ich glaube nicht, dass sie dich je sonderlich gemocht hat.«

»Ich weiß.« Er lächelt traurig. »Aber warum? Mich mögen doch alle.«

Das stimmt. Louis ist einer dieser Menschen.

»Ich glaube, sie wusste, dass es zwischen uns nicht mehr ganz stimmt.«

Louis schüttelt den Kopf und legt die Hand aufs Herz.

»Das ist nicht wahr, Sylvia«, beteuert er. »Ich liebe dich. Ich liebe dich seit dreiundvierzig Jahren, jeden Tag.«

»Wir sind doch erst seit einundvierzig Jahren verheiratet.«

»Ja, aber davor waren wir schon zwei Jahre zusammen«, erinnert er mich und blickt mich triumphierend an.

Ich hebe eine Augenbraue. In seiner Stimme liegt eine Leidenschaft, wie ich sie schon lange nicht mehr gehört habe.

»Was kann ich tun, um die Sache geradezubiegen? Denn ich werde nicht aufgeben. Du bedeutest mir alles. Ich weiß, dass ich Mist gebaut habe. Ich dachte, ich hätte das Geld clever angelegt. Ich wollte dich überraschen, aber dann endete es in einer Katastrophe, und ich bekam es mit der Angst zu tun. Ich hätte dir die Wahrheit sagen sollen. Stattdessen habe ich versucht, es hinzubekommen, ohne dass du etwas davon erfährst, und das hat eine noch schlimmere Entscheidung nach sich gezogen. Der Tag mit Blanche war ein einmaliger Ausrutscher. Vorübergehende Unzurechnungsfähigkeit.«

Ich stehe immer noch in der Küche und stütze mich ein wenig auf der Arbeitsfläche ab. Louis hat alles gesagt, was ich mir je hätte wünschen können. Er klingt leidenschaftlich und ehrlich. Mir schwirrt der Kopf.

Louis kommt näher und nimmt sanft meine Hand. »Ich bin kein Idiot, Sylvia. Ich weiß, dass du hier nicht glücklich bist. Ich habe den Umzug erzwungen. Ich dachte ehrlich, dass es toll werden würde. Dass du es wunderbar finden würdest.«

»Aber ich habe dir doch rundheraus gesagt, dass ich nicht umziehen will.«

»Ich dachte einfach, dass es dir schon gefallen würde, wenn du es erst einmal ausprobiert hättest.«

»Und warum hast du unsere Italienreise gecancelt?«

»Was?«

»Du wusstest, wie sehr ich mich auf die Reise gefreut hatte. Du wusstest, wie lange ich sie geplant hatte. Aber du hast sie einfach abgesagt, als hätte das alles keine Bedeutung.«

Louis wirkt verwirrt. »Warum bringst du das jetzt ins Spiel?«

»Weil diese Italienreise für alles steht, was passiert ist. Es ist, als wäre ich nur ein Anhängsel, und du tust, was immer du willst. Du hast unser Geld hinter meinem Rücken angelegt und alles verloren. Du hast mich betrogen. Klar, jetzt sagst du genau das, was du sagen solltest. Aber wie soll ich davon auch nur irgendetwas glauben?«

Louis’ Kinn zuckt ein wenig. Er öffnet den Mund und schließt ihn wieder. Etwas in mir schreckt zurück.

Ist er …

Ist er etwa sauer auf mich?

Misstrauisch kneife ich die Augen zusammen. Ich kenne diesen Mann einfach zu gut.

Louis beißt sich auf die Wange und richtet den Blick auf einen Punkt hinter meiner Schulter. Das tut er immer dann, wenn er versucht, nicht die Beherrschung zu verlieren.

Ich entziehe ihm meine Hand.

Die plötzliche Bewegung überrascht ihn, und er räuspert sich.

»Schau her, Sylvia«, sagt er dann ganz langsam. »Ich habe dich schon verstanden. Du hast das Gefühl, dass ich mich nicht genug um dich gekümmert habe, und dafür entschuldige ich mich. Aber in Zukunft wird es besser.«

»Ich will die Scheidung.« Die Worte sind raus, bevor ich noch weiter darüber nachdenken kann. Doch sobald ich sie ausgesprochen habe, weiß ich, dass es die Wahrheit ist.

»Sei nicht albern«, fährt Louis mich an. »Wir können uns nicht scheiden lassen, das können wir uns momentan nicht leisten.«

»Dann warten wir eben, bis wir es uns leisten können. Jetzt ziehe ich erst einmal aus.«

»Und was willst du tun? Mein Gott, Sylvia. Das hier ist keine Folge von Sex and the City, wo du shoppen gehst, dich umstylen lässt und ein ganz neues Leben anfängst. Du bist keine junge Frau mehr. Du hast kein Geld. Du kannst nichts. Was hast du denn vor? Auf Evies Sofa hausen, bis sie tot umfällt?«

Ich schlage Louis ins Gesicht.

Verblüfft sieht er mich an. Seine Wange ist knallrot, und er starrt mich an, als wäre ich eine Außerirdische.

»Was ist denn mit dir los?«

»Was mit mir los ist? Du bist es doch, der …«

»Hallo? Huhu! Louis? Die Tür war offen.«

Ich spanne alle Muskeln auf einmal an. Das kann jetzt nicht sein. Das kann einfach nicht sein.

Und doch ist es so.

Selbst Louis wirkt entsetzt, als Blanche die Küche betritt und abrupt stehen bleibt. Sie sieht mich und erstarrt. Dann wendet sie sich an Louis.

»In deiner SMS hast du geschrieben, ich soll kommen. Dass sie gepackt hätte.«

Louis knirscht mit den Zähnen. »Ich habe geschrieben, dass du nicht kommen sollst und dass sie hier gerade packt.«

Blanche wirkt ehrlich verwirrt, als sie ihr Smartphone aus der Tasche nimmt und aufs Display schaut. Angestrengt kneift sie die Augen zusammen.

»Blanche, hast du die Nachricht etwa ohne deine Brille gelesen?« Louis’ Stimme klingt angespannt.

Ich drehe mich um und sehe Blanche an. Die errötet und steckt ihr Handy ein.

Schließlich ergreife ich das Wort. »Louis, warum schickst du ihr überhaupt Nachrichten?«

Doch sobald ich die Frage gestellt habe, kenne ich auch schon die Antwort.

Ich schlucke. »Das war gar keine einmalige Sache.«

Louis blickt zu Boden.

Ich schüttelte den Kopf. Ich bin so blöd.

Bevor ich etwas sagen kann, klingelt unser Festnetzanschluss. Wir alle zucken zusammen. Es klingelt noch einmal. Wie ferngesteuert nimmt er ab.

»Hallo?« Eine Pause tritt ein, und er atmet aus. »Isabel, nein, alles in Ordnung.« Noch eine Pause. »Ich weiß nicht, warum Mom nicht an ihr Handy geht. Wahrscheinlich hat sie zu tun.«

Louis sieht mich flehend an. Er will nicht, dass ich Isabel erzähle, was los ist, das ist mir bewusst. Ich strecke die Hand nach dem Hörer aus.

Blanche schleicht sich zwischenzeitlich aus der Wohnung.

Ich gebe Louis mit einer Geste zu verstehen, dass er mir das Telefon geben soll, doch stattdessen spricht er hastig in den Hörer.

»Um ehrlich zu sein, sind Mom und ich gerade sehr beschäftigt. Können wir dich später zurückrufen?«

Unglaublich. Ich gehe ins Schlafzimmer, wo ich einmal tief durchatme und dann den Hörer neben dem Bett abhebe.

»Hi, Izzy.« So. Jetzt nehme ich auch am Gespräch teil.

»Mom? Was ist los? Warum gehst du nicht an dein Handy?«

»Es ist alles in …« Louis’ Stimme ist scharf, doch ich unterbreche ihn.

»Tut mir leid, Süße. Mir geht es im Moment nicht so gut.«

»Warst du beim Arzt?«

»Dabei kann mir kein Arzt helfen. Es ist … also, die Sache ist ein bisschen schwer zu erklären. Aber nichts, weswegen du dir Sorgen machen müsstest.«

Ich höre, wie Louis mit angespannter Stimme versucht, das Thema zu wechseln.

»Wie geht es dir, Liebling? Sind Todd und die Mädchen okay?«

»Ich wurde zur Partnerin ernannt, und die Zwillinge wurden aus der Kinderbetreuung geworfen. Toddy meint, es wäre unsere Schuld. Dass wir zu viel arbeiten und die Mädchen sich deswegen so aufführen.« Ihre Stimme ist ruhig, aber ich höre ein leises, unterschwelliges Zittern heraus.

Louis und ich schweigen einen Moment.

»Izzy, das mit deinem Job ist wunderbar«, sage ich schließlich. »Wir sind so stolz auf dich. Mach dir keine Sorgen wegen der Kinderbetreuung, es gibt jede Menge andere Einrichtungen, in die sie gehen können.«

Durchs Telefon kann ich fast hören, wie Louis ein wenig lächelt.

»Deine Mom hat recht«, pflichtet er mir bei. »Und mir gefällt es, wenn meine Enkelinnen lebhaft und ungestüm sind. Sie haben eben Temperament.«

»Es gibt keine andere Kinderbetreuung«, platzt Izzy heraus. »Das ist die einzige zweisprachige Einrichtung in der Gegend, die sich an der Reggio-Pädagogik orientiert. Ich weiß, ihr habt keine Ahnung, was das heißt, aber es ist wichtig. Die Mädchen müssen dorthin, damit wir sie danach im richtigen Kindergarten unterbringen können. Sonst werden ihnen alle voraus sein.« Izzys Stimme schraubt sich immer höher.

»Atme erst einmal tief durch, Liebling«, sage ich. »Ich glaube schon, dass es da draußen viel Konkurrenz gibt, aber am Ende wird sich schon alles finden. Du könntest doch sogar privat etwas aufziehen, wenn es sein müsste. Engagiere deine eigenen Erzieherinnen. Ich habe darüber gerade erst einen Artikel in der New York Times gelesen.«

»Ich will nicht, dass meine Mädchen zu den merkwürdigen Kindern gehören, die zu Hause unterrichtet werden.«

Louis seufzt. »Vielleicht hat die Kinderbetreuung auch überreagiert. War es wirklich so schlimm?«

»Everly hat einem kleinen Jungen eine Dose Seifenblasen ins Gesicht geworfen, und dann hat Emerson ihn mit dem Kopf gerammt. Ich habe die Kinderärztin angerufen, und die hat mich an eine Kinderpsychologin verwiesen. Dann hat sie gefragt, ob die Mädchen zu Hause Gewalt mit ansehen müssen.« Isabels Stimme bricht, und sie fängt an zu weinen. »Es war demütigend. Als wären wir irgend so ein trashiges Paar aus dem Fernsehen, das sich gegenseitig verprügelt.«

Louis sagt etwas Beruhigendes, doch ich unterbreche ihn. »Vielleicht haben die anderen Kinder es ja auch verdient?«

Isabel schnieft, dann folgt ein kurzes Schweigen.

»Mom, ist mit dir alles in Ordnung?«

»Deiner Mutter geht es gut, Liebling.«

Ich schneide eine Grimasse in Richtung Hörer. Wenn Louis noch einmal an meiner Stelle antwortet, könnte ich ihn wirklich umbringen. Tatsächlich finde ich es ein wenig besorgniserregend, wie schnell mir dieser Gedanke in den Kopf geschossen ist, und plötzlich überkommt mich der starke Drang, mich so weit wie möglich von hier zu entfernen. Es wäre für uns alle das Beste.

»Isabel, Liebes, möchtest du, dass ich zu dir zu Besuch komme? Ich könnte dir mit den Mädchen helfen, während du alles regelst.«

Louis atmet scharf aus. »Sylvia, das ist im Moment keine tolle …«

Doch Isabel unterbricht ihn. Ihre Stimme ist hoch und klingt kindlich, als sie ruft: »Oh, Mom! Würdest du das wirklich tun?«

4. KAPITEL

Als ich in dem Uber sitze, das Evie für mich bestellt hat, schaue ich aus dem Fenster und sehe zu, wie die Palmen im Licht der untergehenden Sonne zu dunklen Silhouetten werden. Seit ich die Wohnung mitsamt meinem Gepäck verlassen habe, sind drei Stunden vergangen. Sobald ich Evie alles erzählt hatte, entschieden sie und ich, dass ich direkt zum Flughafen fahren sollte, bevor ich den Mut verlor. Um der Wahrheit die Ehre zu geben: Wir machen uns wohl beide ein wenig Sorgen, in welche Schwierigkeiten ich geraten könnte, wenn ich noch einen Tag bleiben würde. Louis zu ohrfeigen ist mir ein bisschen zu leichtgefallen. Und obwohl es sich in dem Moment recht gut anfühlen würde, würde ich es doch vorziehen, den Vater meines Kindes nicht umzubringen. Ich glaube nicht, dass mir das Gefängnis gut bekäme.

Mein Handy piept, eine SMS von Louis.

Bitte komm zurück

Es ist, als hätte er meine Gedanken gelesen.

Ich lösche die Nachricht und stecke mein Handy ein. Ich weiß, dass Louis nicht wirklich geglaubt hat, ich würde gehen. Doch wie Evie sagte: Hier geht es nicht um ihn, es geht um mich. Und so hole ich einmal tief Luft, was einen reinigenden Effekt hat. Als mein Uber die Ausfahrt zum Fort Lauderdale Airport nimmt, wiederhole ich im Stillen mein Mantra für diesen Trip:

Was ich nicht tun werde:

Meiner Tochter sagen, dass ihr Vater ein fremdgehender, lügnerischer Mistkerl ist.

Piep!

Noch eine SMS. Ich hole mein Handy heraus und lese:

Das ist doch lächerlich. Hör auf, dich wie ein Kind zu benehmen.

Wütend fange ich an zu tippen, doch dann halte ich inne und reinige mich erneut innerlich, diesmal mit:

Was ich nicht tun werde:

Mich auf einen SMS-Krieg mit Louis einlassen.

Googeln: »Wie wird man am besten eine Leiche los.«

Googeln: »Wie viel Verständnis bringen Geschworene einer Frau Anfang sechzig entgegen?«

Mein Uber-Fahrer hält vor dem Terminal von American Airlines und holt meinen Koffer heraus. Als ich meine Tasche nehme und mich zur Flughafenhalle wende, tritt ein Gepäckträger auf mich zu.

»Darf ich die Koffer für Sie einchecken, Madam?«

»Nein danke«, sage ich. »Ich muss erst noch ein Ticket kaufen.«

Ich rolle mein Gepäck in den Flughafen und stelle mich am Schalter an. Evie hat netterweise angeboten, mir das Ticket zu kaufen, aber ich kann meine Freundin nicht dauernd um etwas bitten. Während ich darauf warte, bedient zu werden, fahre ich mit meinen Mantras fort.

Was ich tun werde:

Ruhig bleiben und daran denken, dass alles, was wir durchmachen, Teil unseres Lebenswegs ist.

Gelassen bleiben und daran denken, dass wir aus unseren Fehlern lernen.

In mir ruhen und daran denken, dass nichts so schlimm ist wie …

Verdammt.

»Was soll das heißen, meine Kreditkarte ist gesperrt?« Ich stehe jetzt am Ticketschalter und starre die Angestellte von American Airlines an. Auf ihrem Namensschild steht Marjorie. Sie hat einen stählernen Blick und im ganzen Gesicht kein einziges Lachfältchen. Selbst ihr brombeerroter Lippenstift sieht irgendwie gemein aus.

»Tut mir leid, Madam«, sagt Marjorie. Aber sie klingt ganz und gar nicht so, als täte es ihr leid. Sie blickt hinter mich auf die wachsende Zahl von Menschen in der Schlange. »Vielleicht sollten Sie zur Seite treten und das mit Ihrer Bank besprechen. Bestimmt lässt sich das klären.«

»Klar ist nur, Marjorie, dass mein Ehemann ein erstklassiges Arschloch ist.« Die Worte sprudeln mir über die Lippen, ehe ich sie unterdrücken kann.

Marjorie hebt eine Augenbraue, als wollte sie andeuten, dass ich mir die Worte sparen kann, aber das ist mir egal. Ich bin so wütend, dass meine Haut pulsiert.

»Er ist ein manipulativer, untreuer Mistkerl. Tut mir leid. Sicher interessieren Sie sich nicht für meine persönlichen Probleme. Warum sollten Sie auch? Wenn Sie mich anschauen, sehen Sie eine weitere Rentnerin aus Südflorida, die nur Kleider trägt, die man in die Reinigung geben muss, und denken: Was für Probleme könnte diese Frau haben, außer dass ihr der Nagellack am Zeh abgeplatzt ist? Nun, Marjorie, mein Problem besteht darin, dass mein Mann recht hat: Ich bin ein Dummkopf, ich kann ihn nicht verlassen. Ich komme ja nicht mal aus dem Staat Florida heraus. Sehen Sie, Louis will nicht, dass ich unsere Tochter besuche. Er hat panische Angst, ich könnte ihr erzählen, dass er unser Erspartes in den Sand gesetzt und mit der Wanderhure des Boca Beach Gables geschlafen hat. Deshalb hat er die Kreditkarte sperren lassen. Aber ich bin selbst schuld daran, schließlich habe ich mein Leben schon vor langer Zeit in seine Hände gegeben. Ich bin alt und tauge zu nichts mehr. Louis gewinnt, ich verliere.«

Sie sieht mich einen langen Augenblick an, während ich tief Luft hole. Mich auf diese Weise einer Fremden zu offenbaren, ist merkwürdig befreiend. Während ich dastehe und mich umzuorientieren versuche, wird mir bewusst, dass Marjorie meine Mastercard genommen hat und auf ihrem Keyboard herumtippt.

Ich bin verwirrt. »Ich dachte, Sie hätten gesagt, dass meine Karte gesperrt ist.«

Sie tippt weiter. »Aber Sie haben Flugmeilen, oder nicht?«

Ich lächele traurig. »Wir haben bloß Silber-Status. Unsere Meilen reichen nicht, um davon einen Flug zu bezahlen, der noch am selben Tag geht.«

Sie tippt auf ein paar weitere Tasten auf ihrem Keyboard. Obwohl sie immer noch nicht lächelt, wirkt sie plötzlich gar nicht mehr so gemein.

»Für mich sieht es so aus, als hätten Sie mehr als genug Meilen.« Mit einem letzten Klicken erwacht der Drucker neben ihrem Computer zum Leben und spuckt einen Boardingpass und einen Gepäckschein aus. Marjorie überreicht mir beides, dann nimmt sie meinen Koffer, kennzeichnet ihn und wuchtet ihn auf das Förderband. »Gate F4. Boarding in einer Stunde. Der Nächste.«

Sie blickt zu dem hinter mir wartenden Fluggast, aber ich bewege mich nicht. Ich kann nicht aufhören, diese wunderbare Frau anzustarren. Ich liebe Marjorie!

»Ich weiß nicht, was ich sagen soll«, beginne ich bescheiden. »Sie haben meinen Glauben an die …«

»Madam?«, sagt Marjorie. »Könnten Sie bitte weitergehen?«

Nun ja, nicht jeder kommt mit Gefühlsausbrüchen zurecht, das kann ich respektieren. So feierlich wie ich kann nicke ich ihr zu und gehe weiter in Richtung Security.

Gott, ich liebe Flughäfen. Ich weiß, die meisten Leute hassen sie. Die langen Schlangen, die Verspätungen … Ja, die ausufernde Sicherheitskontrolle, bei der einem eine Fremde mit Händen in Latexhandschuhen über den Hintern fährt, ist auch nicht gerade mein Fall. Aber ich liebe das Surren der Trolleys, wenn sie durch die Gänge rollen. Ich liebe es, Familien zu sehen, die gemeinsam irgendwohin unterwegs sind, die kleinen Kinder, die ihre Schoko-Trinkpäckchen festhalten. Ich liebe die jungen Paare, die mit ihren Rucksäcken irgendwo vor einem verlassenen Gate auf dem Boden liegen und schlafen.

All diese Dinge nehme ich wahr, während ich praktisch zu meinem Gate schwebe. Unterwegs sehe ich einen Zeitschriftenladen. Ich hätte gern ein Modemagazin, eine Flasche Wasser und vielleicht ein paar Schokomandeln, aber dann fällt mir ein, dass ich jetzt offiziell pleite bin. Ich beiße mir auf die Lippe. Wie viel Geld habe ich eigentlich dabei?

Rasch verlasse ich den Zeitschriftenladen und betrete die Damentoilette. Ich gehe in eine Kabine und verriegele die Tür. Eben noch habe ich mich so gut gefühlt, aber nun zittern mir die Hände, als ich meine Tasche an die Kabinentür hänge und meinen Geldbeutel herausnehme. Langsam zähle ich die Banknoten. Achtundachtzig Dollar. Ich öffne das Münzfach. Ein rascher Blick sagt mir, dass ich noch über siebenundvierzig Cent verfüge. Ich schließe kurz die Augen. Achtundachtzig Dollar und siebenundvierzig Cent.

Ich hole tief Luft. Nein, ich werde nicht auf einer Flughafentoilette eine Panikattacke bekommen. Ich weigere mich. Es wird schon alles gut gehen. Dank Marjorie, meinem neuen Lieblingsmenschen, ist bisher ja auch alles gut gegangen.

Ich blicke auf die Uhr und stelle fest, dass es fast Zeit für das Boarding ist. Also atme ich noch einmal tief durch und rücke meine Bluse zurecht, dann verlasse ich die Kabine und wasche mir am Becken die Hände. Dabei fällt mein Blick noch einmal auf meine Armbanduhr, und ich frage mich, wie viel ich wohl dafür bekäme. Es ist ein wunderschönes Stück. Vintage Cartier. Weißgold mit winzigen Diamanten auf dem Zifferblatt. Ich fasse neuen Mut. Bestimmt ist sie ein paar Hunderter wert. Ich werde das durchstehen. Jawohl.

Als ich zu meinem Gate gehe und mich zum Boarding anstelle, piept mein Handy. Es ist Louis.

Ruf mich an. Sofort.

Gerade als ich dem Handy die Zunge rausstrecke, nimmt die Servicemitarbeiterin meinen Boardingpass entgegen. Unsere Blicke treffen sich, und ich werde flammend rot. Ich gebe mir Mühe, die Zunge lässig wieder in den Mund zu ziehen.

»Sitznummer 14A«, sagt die Mitarbeiterin, ohne mit der Wimper zu zucken. »Angenehmen Flug.«

Während ich die Gangway hinuntergehe, tippe ich auf meinem Smartphone auf Wählen.

Louis geht gleich beim ersten Klingeln dran.

»Sylvia? Wo bist du?«

»Ich steige grade ins Flugzeug«, antworte ich brüsk, während ich den Passagierraum betrete und meinen Platz suche.

»Isabel hat angerufen und gesagt, du hättest ihr eine Nachricht hinterlassen, dass du kurz vor Mitternacht am JFK eintriffst.«

»Das stimmt. Ich habe ihr gesagt, sie soll mir einen Schlüssel hinlegen, ich würde mich dann selbst reinlassen und direkt ins Gästezimmer gehen. Willst du sonst noch etwas wissen?«

»Wie hast du das Ticket bezahlt?«

»Ach ja, du hast die Kreditkarte sperren lassen. Vielen Dank dafür, das war sehr reif von dir. Ich habe Flugmeilen verwendet.«

Er schweigt einen Moment. Ich kann ihn förmlich denken hören.

»Und wie willst du das Taxi zu Isabel bezahlen?«, fragt er schließlich.

»Evie hat mir die Uber-App aufs Smartphone geladen. Sie teilt ihren Account mit mir. Ich zahle es ihr zurück, sobald ich kann. Ich muss jetzt Schluss machen, Louis. Das Flugzeug hebt gleich ab.«

»Warte! Sylvia, was wirst du Izzy erzählen?«

Ich verziehe das Gesicht. Natürlich ist es das, was ihm Sorgen bereitet.

»Ich werde Izzy die Wahrheit sagen.«

»Aber die Wahrheit lässt mich schlecht dastehen.«

»Ja, nun. Wessen Schuld das wohl ist? Tschüss.«

Ich lege auf und schalte das Telefon aus. Dann lehne ich den Kopf an die Kopflehne und schließe die Augen.

Goodbye, Florida.

5. KAPITEL

Mein Blick stellt sich auf die strahlend weiße Zimmerdecke ein. Als ich mich tiefer ins Kissen zu kuscheln versuche, wird mir bewusst, dass ich von etwa zehn Kissen in verschiedenen Formen und Größen umgeben bin, alle in fein abgestimmten Weißtönen. Ich befinde mich in Isabels und Todds Gästezimmer. Ich bin hier gegen zwei Uhr morgens eingetroffen und sofort ins Bett gefallen.

Ein Blick auf die elfenbeinfarbene Uhr auf dem Nachttischchen verrät mir, dass es halb acht ist. Die Sonne spitzt durch die weiße Jalousie und wirft etwas Glanz auf die weißen Wände. Ich muss an das ermüdende Gespräch denken, das ich kürzlich mit meiner Tochter geführt habe, als sie sich zwischen den Farben »Gletscher« und »Iglu« nicht entscheiden konnte. Ich betrachte die Farbe genauer und versuche mich zu erinnern, was sie letztendlich genommen hat, gebe es aber schließlich auf. Wie ich Isabel kenne, hat sie das Unternehmen dazu überredet, eigens für sie einen neuen Weißton zu kreieren.

Obwohl ich mich vor Erschöpfung ganz schwer fühle, recke ich die Arme. Und dann fällt mir ein, dass meine Enkelinnen schon auf sein müssten. Ich lege den Kopf schief und warte darauf, das Getrappel kleiner Füßchen zu hören. Hm, nein, nichts. Das ist ungewöhnlich. Das Gästezimmer befindet sich in der ersten Etage und ganz hinten über der Garage, aber das Haus ist dermaßen hellhörig, dass ich – trotz der enormen Wohnfläche von vierhundertsechzig Quadratmetern – alles mitbekomme, wenn ich hier zu Besuch bin.

Jedenfalls höre ich immer noch nichts, auch nicht, als ich die Ohren spitze. Ich will mich schon aus dem Bett quälen, als ich auf dem anderen Nachttisch eine Karte und eine kleine Karaffe mit Orangensaft entdecke. Bei meiner Ankunft stand das noch nicht da.

Ich lächele in mich hinein. Isabel muss sich wohl hereingeschlichen haben, nachdem ich eingeschlafen war. Noch einmal lächeln muss ich bei dem Gedanken, dass ich eine Tochter habe, die eine Karaffe besitzt. Ich lege auch Wert auf ein schönes Zuhause, aber Isabel hebt das Ganze auf ein ganz neues Level. Früher habe ich mir Sorgen gemacht wegen ihres Perfektionismus, und manchmal tue ich das immer noch. Aber vielleicht ist sie einfach nur hoch motiviert, denke ich, während ich auf die andere Bettseite rutsche und dabei eine Kissenlawine auslöse. Ich nehme die Karte.

Hoffe, du hattest einen guten Flug. Todd und ich nehmen den Tag frei und machen ein verlängertes Wochenende. Wir sind mit den Mädchen unterwegs, damit du etwas Ruhe hast. Bis später dann zum Brunch hier zu Hause.

Wow. Den Freitag freigenommen hat Isabel sich nicht mehr seit … Hat sie sich je einen Freitag freigenommen? Seit Jahren arbeitet sie sieben Tage die Woche in ihrer Kanzlei, genau wie Todd in seiner Computerfirma. Sie waren immer noch nicht in den Flitterwochen, dabei war die Hochzeit vor fünf Jahren. Die Mädchen verbringen die Wochenenden meist bei einem Babysitter oder bei Todds Eltern, die zwanzig Minuten entfernt leben. Etwas muss ernsthaft im Argen liegen. Ich denke daran, wie bekümmert Isabel gestern am Telefon geklungen hat. Sie hat tatsächlich geweint!

Ich beiße mir auf die Lippe und will anfangen, mir Sorgen um sie zu machen, stelle aber fest, dass ich im Moment schon zu viele eigene Sorgen habe. Worauf ich mir noch mehr Sorgen mache. Mir tut der Kopf weh.

Hör auf, befehle ich mir. Ich bin hier, um meinen wunderschönen Enkelinnen dabei zu helfen, alle Schwierigkeiten zu überstehen, in denen sie sich gerade befinden mögen. Ich bin hier, um meiner brillanten Tochter dabei zu helfen, sich über ihren beruflichen Aufstieg zu freuen. Ich bin hier, um meinem lieben, reizenden Schwiegersohn bei allem zu helfen, bei dem er Hilfe braucht.

Und ich bin hier, um zu vergessen, dass ich der Geliebten meines Mannes dabei geholfen habe, ihre Unterhose zu finden.

Wieder öffne ich die Augen und sehe auf die Uhr. Halb elf. Ich fühle mich wie neugeboren, als ich das Geschirrklappern aus der Küche höre. Und der Duft! Ich kann die frischen Bagels und den dampfenden Kaffee praktisch schon schmecken.