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Tödliche Intrigen im Pfälzer Wald: Ein ehemaliger Elitesoldat kämpft ums Überleben! In den tiefen Schatten des Pfälzer Waldes verstrickt sich Nico, einst ein Elitesoldat, in ein tödliches Netz aus Intrigen und Gefahr. Seine scheinbare Ruhe wird jäh gestört, als er unfreiwillig Zeuge schockierender Ereignisse wird. Plötzlich erkennt er, dass seine vergessenen Fähigkeiten im Herzen der Zivilisation gefragter sind als je zuvor. Doch während die Linien zwischen Gut und Böse verwischen, stellt sich die drängende Frage: Wird Nico zum erbarmungslosen Jäger oder zum gejagten Opfer? In einem atemlosen Wettlauf gegen die Zeit wird sein Schicksal allein vom Willen bestimmt! Das Schicksal ist besiegelt: Das ultimative Duell zwischen Gut und Böse! Handlung: Eine ehemaliger Elitesoldat gerät im Pfälzer Wald in ein tödliches Netz aus Intrigen und Gefahr. Genre: Thriller, Action, Spannung Themen: Geheimnisse, Rache, Überleben, moralische Ambiguität, Identität Stimmung: Hochspannung, düster, beklemmend, nervenaufreibend Zielgruppe: Thriller-Liebhaber, Action-Fans, Leser, die nach mitreißender Spannung suchen Schreibstil: Mitreißend, packend, bildhaft, rasant Charaktere: Nico (ehemaliger Elitesoldat), antagonistsche Figuren mit verdeckten Absichten Setting: Pfälzer Wald, dichte Wälder, abgelegene Orte, bedrohliche Atmosphäre Actiongeladene Spannung aus dem Sauerland: Gabriel Schwarz lässt mit seinem Debütroman die Leser in nervenzerreißende Abenteuer eintauchen!
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Veröffentlichungsjahr: 2023
REDRUM
Nico – Jäger und Gejagte
2. Auflage
(Deutsche Erstausgabe)
Copyright © 2023 dieser Ausgabe bei
REDRUM BOOKS, Berlin
Verleger: Michael Merhi
Lektorat: Stefanie Maucher
Korrektorat: Susi Swazyena / Nicole Schumann
Umschlaggestaltung und Konzeption:
MIMO GRAPHICS unter Verwendung einer
Illustration von Shutterstock
ISBN: 978-3-75793-387-6
E-Mail: [email protected]
www.redrum.de
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Gabriel Schwarz
Nico
Jäger und Gejagte
Zum Buch:
Nico, ein ehemaliger Elitesoldat, der glaubt, keine Verwendung mehr für seine Fähigkeiten zu haben, wird in der Idylle seiner Wahlheimat, dem Pfälzer Wald, unfreiwillig Zeuge von Ereignissen, die er nicht ignorieren kann. Dass er seine langjährigen Erfahrungen plötzlich sehr gut gebrauchen kann, ausgerechnet im Herzen des zivilisierten Deutschland, hätte er niemals zu träumen gewagt. Aus Weiß wird Schwarz, aus Gut wird Böse. Und über allem schwebt die bange Frage, ob er Jäger oder Gejagter ist. Nicos Antwort darauf ist äußerst simpel: Der Wille entscheidet!
Zum Autor:
Gabriel Schwarz ist gebürtiger Ruhrpottler und lebt mit seiner Familie im selbst auferlegten Exil im beschaulichen Sauerland. Als gelernter Industriekaufmann verdingt er sich in einem mittelständischen Maschinenbauunternehmen.
Dem Lesen war er schon immer verfallen, ganz besonders spannenden Military-Thrillern widmete er sein Augenmerk. Was er auf Dauer langweilig fand, war die Tatsache, dass solche Geschichten fast ausschließlich in Übersee spielten. Seiner Meinung nach könnten spannende Geschichten nicht nur im Land der scheinbar unbegrenzten Möglichkeiten passieren, sondern auch direkt vor der heimischen Haustür. Ein authentisches Leseerlebnis – actionreich und spannend. Das sollte doch möglich sein. Also haute er kurzerhand selbst in die Tasten. Nach einigen Jahren und mindestens ebenso vielen Rückschlägen wurde sein Debütroman schließlich veröffentlicht. Wenn es nach ihm geht, dann ist es auch nicht der letzte.
Inhalt
Prolog
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Thematisches Nachwort des Verlages
VERLAGSPROGRAMM
Gabriel Schwarz
Nico
Jäger und Gejagte
Horror
Sie wusste nicht, wie lange sie schon über den weichen Boden rannte, geschweige denn in welche Richtung. Im Zwielicht unter den dichten Baumkronen sah alles gleich aus und eine Orientierung war unmöglich. Immer wieder versperrten große Büsche oder umgestürzte Bäume ihren Weg, sodass sie ständig und ungewollt die Richtung ändern musste. Ob sie im Kreis oder tatsächlich einen geraden Weg rannte, konnte sie längst nicht mehr sagen. Die Sonne hätte ihr eventuell helfen können, aber dicke Wolken und ein nahezu undurchdringliches Blätterdach ließen dies nicht zu. Das Bellen der Hunde klang jetzt ein wenig lauter. Eben dachte sie noch, sie hätte ihre Verfolger abschütteln können, doch dann erklang dieses entsetzliche Gebell als Zeichen, dass sie ihre Spur doch nicht verloren hatten.
Wieso machten diese Männer Jagd auf sie? Was hatte sie denn getan? Im Wesentlichen wusste sie warum, weigerte sich aber, es zu akzeptieren. Erst die Entführung, dann die Freilassung und dann … die Jagd. Vermutlich bis zum Tod. Obwohl sie Hoffnung hatte, diesem entrinnen zu können. Was für Menschen mussten das sein, die so etwas taten? Wer waren diese drei Männer, mit den Gewehren und den geifernden Hunden? Ihre Gesichter waren hinter Masken verborgen und ihre Kleidung ließ sie vor dem Hintergrund des Waldes nahezu unsichtbar erscheinen.
»Sprichst du Deutsch?«, war sie gefragt worden, als einer der Männer sie aus dem Auto gezerrt hatte. Sie wusste zwar, was er wissen wollte, schüttelte aber nur ängstlich mit dem Kopf.
»Parlez vous français?«
»Oui, un peu«, antwortete sie mit ihrer dünnen und zitternden Stimme.
»Fuyez!«, schrie einer der Männer sie an und schoss in die Luft, um sie dazu zu bringen, wegzulaufen.
Panisch drehte sie sich um und tat wie ihr geheißen. Wurde sie freigelassen? Sollte das ihr Weg in die Freiheit sein? Die Antwort bekam sie schon kurze Zeit später, als in einem Baum neben ihr eine Kugel einschlug. Holzsplitter flogen durch die Gegend und verfingen sich in ihren Haaren. Es folgte ein weiterer Schuss. Blätter und Erde wurden dicht neben ihr vom Boden aufgewirbelt. Dann hörte sie die Hunde bellen und wusste, was gespielt wurde. Blanke Angst überkam sie und ihre Beine überschlugen sich beinahe auf ihrer wilden Flucht.
Weitere Schüsse folgten und schlagartig fühlte sie sich in ihre vom Krieg gebeutelte Heimat zurückversetzt. Aber hier ging es nicht um die verquere Vorstellung eines erbarmungslosen Diktators, der glaubte, sein Volk befrieden zu können, indem er die störenden Elemente beseitigte. Gegenwärtig war die reine Mordlust am Werk, die Lust an der Jagd, der Spaß am Töten. Jetzt wusste sie den Ausdruck in den Augen der Männer richtig zu deuten. Sie war von einer Hölle in die nächste geraten.
Das Gebell der Hunde verstummte und sie musste definitiv eine Pause einlegen. Ihre Beine und ihre Lunge schmerzten. Hände und Gesicht waren von zahlreichen Stürzen zerkratzt und bei ihrer wilden Flucht hatte sie einen Schuh verloren. Angelehnt an einen Baum versuchte sie, kontrolliert zu atmen. Dann hörte sie abermals das Gebell der Hunde, zunächst leise aus weiter Ferne kommend, doch schnell lauter werdend. Keine Pause, keine Gnade. Sie musste weiter. Dieser Wald würde bestimmt irgendwann lichter werden – so ihre Hoffnung. Wenn sie nur weit genug laufen würde, dann musste sie irgendwann auf eine Straße stoßen oder auf ein Haus. Auf irgendetwas oder irgendjemanden, der ihr helfen konnte, diesem Albtraum zu entrinnen.
Eine weitere gefühlte Stunde des Laufens verging. Die Bäume flogen links und rechts an ihr vorbei und sie rannte wie durch einen grünen und braunen Tunnel. Die Sicht wurde bis auf ein paar Meter eingeschränkt, als der Wald dichter wurde. Ihre Kräfte schwanden mit jedem weiteren Schritt und Erschöpfung machte sich in ihrem geschundenen Körper breit. Die Strapazen der letzten Wochen forderten ihren Tribut. Dabei war sie so erleichtert gewesen, als sie die Grenze in dieses Land endlich überschritten hatte. Bald, hatte sie gedacht, würde sie ihre Familie wieder in die Arme schließen können. Es würde alles gut werden.
Mit ihrem Abschluss würde sie garantiert Arbeit bekommen. Ihre Ausbildung war der einzige Grund dafür gewesen, dass sie so lange in ihrer Heimat geblieben war. Ihre Familie war längst fortgegangen und hatte ihr Geld geschickt, um den langen und beschwerlichen Weg über die Türkei, Rumänien, Ungarn und die Slowakei bis nach Polen und schließlich nach Deutschland anzutreten. Der Mann, der sie aus Polen nach Deutschland bringen sollte, hatte dies auch wie vereinbart getan. Doch irgendwo hinter der Grenze hielt er auf einem einsamen Rastplatz an. Ein anderes Auto mit einem anderen Fahrer wartete dort bereits. Die beiden Männer unterhielten sich kurz auf Deutsch – sie verstand kein Wort. Der Pole holte ihre Tasche aus dem Auto und warf sie dem anderen vor die Füße. Dann wechselte ein Umschlag den Besitzer und der Pole stieg in seinen Wagen und fuhr zurück Richtung Grenze. Als das Motorengeräusch verklungen war, wurde sie in völlige Stille gehüllt. Der andere Mann lächelte und deutete ihr mit einer Geste einzusteigen. Ein wenig verunsichert, aber trotzdem froh, es bald geschafft zu haben, folgte sie seiner Einladung. Es gab keinen Grund, Verdacht zu schöpfen. Plötzlich spürte sie, wie der Mann hinter sie trat und ihr ein Tuch auf Mund und Nase drückte. Ein süßlicher Geruch war alles, was sie wahrnahm, bevor die Welt um sie herum verschwand. Einige Stunden später sah sie zum ersten Mal wieder Tageslicht. Wie lange sie betäubt gewesen war und wie lange die Fahrt insgesamt gedauert hatte, konnte sie nicht sagen. Die hintere Tür des kleinen Kastenwagens wurde geöffnet und sie wurde von ebendiesen drei Männern in Empfang genommen.
Nach einigen Minuten wurde der Wald lichter und es keimte ein wenig Hoffnung in ihr auf. Sie lief weiter dem Licht entgegen, nur um feststellen zu müssen, dass es sich um eine große, kreisrunde Lichtung handelte. Hier wuchsen nur hohe Gräser und vereinzelt ein paar Büsche. Baumstümpfe standen wie abgeschliffene Zähne auf der ansonsten baumlosen Fläche. Entgegen ihrer Hoffnung fand sie kein Anzeichen einer menschlichen Anwesenheit. Die Lichtung mochte etwas mehr als einhundert Meter Durchmesser haben und sie entschloss sich, mitten hindurchzulaufen. Sie nahm all ihren Mut und ihre Kraft zusammen und spurtete los. Als sie über die Hälfte der Fläche hinter sich hatte, hörte sie das Gebell der Jagdhunde lauter werden. Ihre Verfolger mussten diesen Ort ebenfalls schon erreicht haben. Sie rannte, stürzte, rappelte sich wieder auf und lief weiter. Noch ein paar Meter bis zu den ersten Bäumen jenseits der Lichtung.
Hinter dem ersten kräftigen Baumstamm versteckte sie sich, holte tief Luft und hielt sich den schmerzenden Brustkorb. Ein kurzer Blick um den Stamm herum sollte reichen, um ihren Vorsprung abschätzen zu können. Es gab nichts zu sehen und für einen kurzen Augenblick schöpfte sie neue Hoffnung. Schnell schlug sie sich erst nach rechts, um anschließend durch eine kleine Schneise abermals hinter den Bäumen zu verschwinden. Indes sie zwei Schritte getan hatte, spürte sie den unmittelbaren, sengend heißen Schmerz in ihrem Rücken und Bauch, welcher nahezu zeitgleich mit einem lauten Schuss auftrat. Abrupt blieb sie stehen, schaute wie betäubt geradeaus und dann an sich herab. Die Kugel war von hinten in ihren Rücken eingetreten, zerfetzte auf ihrem Weg Organe, Knochen und Fleisch und verließ durch die Bauchdecke ihren Körper. Der Schock über das Geschehene konnte den Schmerz nicht verdrängen und sie schlug die Hände auf die Wunde. Der Wald drehte sich um sie herum, während sie in die Knie ging, nach hinten fiel und das Bewusstsein verlor.
Die Wipfel der Bäume bildeten einen ausgefransten Rahmen um das kleine sichtbare Stück des grauen Himmels. Wolken zogen eilig vorüber, als wenn sie diese grausame Tat nicht bezeugen wollten. Schmerz durchflutete ihren Körper, heißer blanker Schmerz in immer heftiger werdenden Wogen. Sie stöhnte, wollte sich der Qual entwinden, aber jede Bewegung machte es schlimmer. Ihr Atem ging stoßweise, flach und keuchend. In einem letzten verzweifelten Versuch, den Schmerz zu lindern und die Blutung zu stillen, presste sie ihre Hände auf die Wunde. Überdies hatte sie die Hoffnung nicht aufgegeben. Bestenfalls konnte sie weiter ins Unterholz kriechen und sich verstecken. Sich mehr oder weniger verbinden und dann weiterlaufen. Der immer unerträglicher werdende Schmerz jedoch sagte etwas anderes. Sie hatte schon Menschen mit geringeren Wunden sterben sehen. Ohne eine helfende Hand drohte ihr nun das gleiche Schicksal. Trotzdem weigerte sich ihr Verstand aufzugeben. Sie war eine Kämpferin. Das hier konnte nicht ihr Ende sein. Das durfte nicht passieren!
Sie vernahm ein leises Rascheln und ein vermummtes Gesicht erschien dicht vor ihrem. Es war einer der Jäger, der mit der schwarzen Strickmütze und dem mit Totenschädeln bedruckten Tuch vor Mund und Nase. Seine gelb getönten Brillengläser bildeten einen starken Kontrast zu der sonst so tristen Umgebung. Sie versuchte, seine Augen zu fixieren, wollte ihn verletzen, ihn strafen oder zumindest von sich wegstoßen. Aber seiner vermummten Fratze und dem triumphierenden Ausdruck in seinen Augen konnte sie nichts entgegensetzen.
»Volltreffer«, sagte eine weiter entfernte Männerstimme, »die macht es nicht mehr lange.«
»Glückwunsch«, antwortete eine andere Stimme, »guter Schuss.«
Die Totenmaske verschwand aus ihrem Blickfeld und gab das Bild des bewölkten Himmels wieder frei.
»Na ja«, sagte eine dritte Stimme, »wir hatten schon mal bessere. Nicht alle machen es einem so leicht wie diese kleine Schlampe hier. Aber wir brauchen keine weitere Patrone für sie zu verschwenden. Die hat es jeden Moment hinter sich.«
Das Letzte, das sie hörte, klang wie leiser werdendes Lachen, als würden sich die Männer von ihr entfernen. Dann verschwamm ihre Perspektive und in einem letzten Aufbäumen ihres Verstandes sah sie die Gesichter ihrer Eltern und Geschwister, den blauen Himmel und die weißen Wolken, welche vom Mittelmeer über Damaskus zogen. Schließlich verblasste die Vision und ihr wurde Gnade erwiesen, indem die Dunkelheit sie das letzte Mal empfing.
Mit dem lauten Geräusch von Metall auf Metall schloss sich die schwere Stahlgittertür hinter ihm. Er drehte den Kopf, nickte dem Torposten ein letztes Mal zu und wandte sich in Richtung Straße. Es herrschte reger Verkehr an diesem Freitag. Die Menschen gingen ihren üblichen, nachmittäglichen Tätigkeiten nach, kamen oder gingen die Wochenendeinkäufe erledigen, Kinder abholen, Feierabend machen.
In einer vorbeifahrenden schwarzen Limousine sah er flüchtig sein Spiegelbild. Ausgewaschene Jeans, T-Shirt, faltige Lederjacke, zerschlissenes Basecap und ein schlichter alter Rucksack mit seiner Handvoll Habseligkeiten locker über der rechten Schulter hängend. Er war nun ein Zivilist – einer von vielen. Und sein unscheinbares Äußeres ließ ihn in der Masse der anderen Zivilisten untergehen, wie ein Tropfen Wasser in einem Teich. Aber das störte ihn nicht. Er hatte diese Eigenschaft die letzten Jahre zu nutzen gelernt und sie gewissermaßen perfektioniert. In einer Welt, in der die Wahrnehmungsgrenze der Menschen an deren Smartphones endete, war er theoretisch unsichtbar. So manches Mal hatte ihm diese Fähigkeit womöglich das Leben gerettet … und nicht nur seines. Mit einer geschmeidigen Bewegung wandte er sich nach links, vergrub die Hände in den Taschen und verließ diesen Ort.
Während er die hohe graue Mauer entlangging, auf dessen anderer Seite sich ein großer Teil seines alten Lebens abgespielt hatte, hallte das Geräusch der schlagenden Tür in seinem Kopf nach. Es hatte einen symbolischen Charakter angenommen. Einen Schlussstrich. Oder der Punkt hinter dem letzten Satz eines langen Kapitels. Die folgenden leeren Seiten würden sich zwangsläufig füllen, ob er wollte oder nicht. Jedoch würden diese Geschichten dann im krassen Gegensatz zu den bisherigen stehen. Sein Leben würde sich ändern. Er hatte keinen Auftrag mehr zu erledigen, niemanden, der ihm sagen würde, was zu tun sei oder wohin er gehen solle. Und niemanden, der auf ihn wartete. Letzteres würde ihn nicht sehr stören, er war schon immer ein Einzelgänger gewesen. Aber nun war er zugleich arbeitslos. Diesen Zustand kannte er noch nicht. Sein ganzes bewusstes Leben war bisher immer von irgendwelchen Pflichten oder Aufgaben erfüllt gewesen. Jetzt hatte er nicht mal ein konkretes Ziel vor Augen. Zwar setzte er immer einen Schritt vor den nächsten, aber das geschah aus reinem Instinkt. Gehen, geradewegs nur gehen. Nicht stehen bleiben und erst recht nicht zurückblicken. Während er seinen Gedanken nachhing und den altbekannten Weg einschlug, passierte er die bekannte Tankstelle unweit der Kaserne. Gelb und rot strahlte ihm das muschelförmige Logo entgegen. Seine erste Assoziation mit diesem Symbol war ein heißes Getränk. Ein Kaffee wäre jetzt genau das Richtige, würde seine trübseligen Gedanken womöglich ein bisschen aufhellen.
Der Tankstellenshop entsprach dem üblichen Standard. Kalte Getränke, Zeitschriften, einige Lebensmittel, reichlich Tabakwaren und Alkohol. Auch drinnen setzte sich die markengebundene Farbgebung des Logos fort. Der Kaffeeautomat stand in der Ecke, in der er schon immer stand. Viele Jahre hatte er sich schon an ihm bedient. Jetzt fütterte er ihn erneut mit einigen Münzen und drückte den Knopf für das kleinste Übel: Kaffee Crema, Large. Der ganze Wirbel um gefühlt Hunderte Kaffeevariationen war seiner Meinung nach völlig überbewertet. Und Schaum hatte in seiner Welt nur Bedeutung beim Duschen oder auf einem Kaltgetränk. Immerhin war er stark und schwarz und allemal besser als der Muckefuck in der Kantine.
Er verschloss den Becher mit einem Deckel, winkte der jungen Bedienung hinter der Kasse kurz zu und verließ den Shop. Voraussichtlich würde er nie wieder hierher zurückkehren. Auch wenn der Kaffee nicht so schlecht war, würde er ihn bestimmt nicht vermissen.
Bis zum Bahnhof waren es zweieinhalb Kilometer, eine knappe halbe Stunde gemütlicher Fußmarsch an der Hauptstraße entlang. Das Wetter war so gut wie es im Frühherbst nur sein konnte und die Sonne spiegelte sich in den zahlreichen Fenstern. Eine leichte Brise wehte die ersten welken Blätter über den Weg. Das Jahr war bisher überdurchschnittlich warm gewesen und der Herbst schickte sich an, diesen Trend fortzusetzen. Kurze Zeit später kam auch schon der Bahnhof in Sicht. Er ging zum Ticketautomaten auf dem Bahnsteig und kaufte eine Fahrkarte bis Landau. Das Letzte, was er von Calw sehen sollte, war dieser Bahnsteig. Mit seinen knapp über 23.000 Einwohnern war diese Stadt alles andere als groß. Dementsprechend war auch der Bahnhof übersichtlich. In den letzten Jahren hatte er oft hier gestanden. Immer wenn es hieß, dass er Urlaub nehmen müsse. Und dann hatte er immer das gleiche Ziel. Jedoch führte ihn sein Weg immer wieder zurück. Er stieg exakt hier aus dem Zug und ging den gleichen Weg zum Tor. Dort öffnet es sich für ihn, er trat ein und hinter ihm schlug es immer erneut mit dem gleichen Geräusch zu. Jetzt war es anders, diesmal würde er nicht zurückkehren. Das schwere stählerne Tor würde sich nicht mehr für ihn öffnen.
Mit diesem seltsamen Gefühl der Perspektivlosigkeit beobachtete er die anderen Menschen auf dem Bahnsteig. Abermals überkam ihn die Erkenntnis, dass er einer von ihnen war – nur mit dem Unterschied, dass sein Blick seine Umgebung erfasste und nicht auf einem kleinen leuchtenden Rechteck haftete. Eingeschlossen in einem kleinen digitalen Universum, die Realität aussperrend. Ein beinahe schon verständliches Verhalten, wenn man sich die Welt mit allen ihren Unzulänglichkeiten betrachtete. Das, was die einschlägigen Medien in ebendiesen Geräten präsentierten, war größtenteils nur die Spitze des Eisberges. Aber wer würde sich auch schon für die vielen kleinen Krisen und Konflikte am anderen Ende der Welt interessieren? Erst wenn die Zahl der Toten oder das Ausmaß des Leids einen gewissen Pegel überschritt, lohnte es sich, darüber zu berichten. Und diejenigen, die davon Kenntnis nahmen, verkrochen sich dann nur noch tiefer in ihr kleines, selbst erwähltes Exil im Universum asozialer Netzwerke, selbst-darstellerischer Bilderbörsen, heuchlerischer Ex-Partnervermittlungen der selbst ernannten Eliten und propagandistischer Werbemedienportale. Unwissenheit könnte ein Segen sein, wenn dieses digitale Paralleluniversum nicht ebenfalls vor Gefahren strotzen würde. Aber diese Gefahren betrafen bekanntlich stets nur andere.
Ein leises Zittern der Gleise kündigte den einfahrenden Zug an. Nächster Halt Pforzheim, dann Karlsruhe, dann Landau. Eine Fahrtzeit von zirka zwei Stunden, wenn alles glattging. Anschließend weiter in den Pfälzer Wald. Zu dem Ort, der für ihn seine Heimat war, und wo andere Menschen Urlaub zu machen pflegten. Vielleicht sollte er es auch aus diesem Blickwinkel betrachten: als Urlaub. Ein längerer Urlaub als gewöhnlich. Vielleicht sollte er auch mal einfach seine Sachen packen und sein Heimatland entdecken. Die großen Städte wie Hamburg, Berlin oder München erkunden. In der Nord- und Ostsee schwimmen gehen oder in den Alpen wandern. Vielleicht würden sich dadurch ganz neue Perspektiven für ihn eröffnen. Bei diesem Gedanken ging es ihm schon besser. Die Idee war wirklich nicht schlecht. Aber erst mal nach Hause fahren, einen Schritt nach dem anderen. Außerdem wurde es Zeit, den alten Rudi mal wieder zu besuchen. Auch wenn gute Freundschaften bekanntlich nicht rosten, sollte man sie trotzdem pflegen. Bei Rudi sollte man sich aber lieber ankündigen, erst recht, wenn man außerdem eine anständige Mahlzeit haben wollen würde. Er zückte sein altes Telefon und wählte seine Nummer, die er auswendig wusste. Beim dritten Klingelton wurde abgenommen.
»Nico hier. Hallo, Rudi. Ich komme nach Hause.«
»Scheiße«, sprach Frank leise zu sich selbst, »warum mache ich den Mist eigentlich?«
Die Antwort darauf kannte er nur zu gut, schließlich hatte er das alles selbst zu verantworten. Trotzdem konnte er nicht aufhören sich darüber zu beschweren, auch wenn ihm dieser Fall keine großen Schwierigkeiten bereiten würde.
Er nahm einen letzten Zug von seiner Zigarette, warf sie auf den Boden neben die Leiche und drückte sie mit dem Absatz seiner Stiefel aus. Die Augen der jungen Frau waren geschlossen und sie sah beinahe so aus, als wenn sie friedlich schlafen würde. Die Hautfarbe war trotz des dunklen Teints überaus blass und die Totenstarre hatte bereits eingesetzt. Ohne Mitleid sah er auf sie herab und begutachtete den leblosen Körper einen Augenblick. Ihre Hände, welche die große Wunde in ihrem Bauch bedeckten, waren voll von getrocknetem Blut. Die Kleidung hatte sich vollgesogen und sah nahezu schwarz aus, ebenso der Boden unter und neben ihr. Insgeheim war er froh, dass der Schütze ein Vollmantelgeschoss verwendet hatte und nicht die üblichen mit Teilmantel. Letztere hätten eine viel größere Schweinerei verursacht. Nur ungern erinnerte er sich an die erste Entsorgung, die er vornehmen musste. Damals – es schien eine Ewigkeit her zu sein – hatte der Schütze so ein tückisches Geschoss verwendet. Die Austrittswunde beim Opfer war so groß gewesen, dass er Mühe hatte, den Leichnam an einem Stück zu beseitigen. Aber er war schnell abgestumpft, was den Anblick von Leichen anging, egal in welchem Zustand sich diese befanden. Und die Gegenleistung war ebenfalls nicht zu verachten.
Das GPS-Gerät, welches ihm den Weg gezeigt hatte, schaltete er aus, steckte es ein und kratzte nachdenklich sein ungepflegtes Doppelkinn. Er versuchte, den Zustand des alten Forstweges zur französischen Grenze nach den Regenfällen der letzten Tage abzuschätzen. Wenn er mit seiner heiklen Fracht stecken bleiben würde, könnte das ernsthafte Probleme nach sich ziehen. Zwar war es trocken und der Himmel war klar, aber hier durfte man nicht zu optimistisch sein. Bevor er die junge Frau an den Füßen packte, um sie zu seinem Auto zu schleifen, schaute er ihr abermals ins Gesicht. Zu schade, dachte er, sie wäre genau mein Fall gewesen. Kurz ertappte er sich bei dem Gedanken, sich eventuell nachträglich ein paar andere Anblicke zu genehmigen. Aber angesichts der Tatsache, sich erst durch diverse Schichten blutiger Kleidung arbeiten zu müssen, verwarf er ihn schnell. Entnervt schnaufte er und ging los, mit der Leiche im Schlepptau.
Bis zu seinem Wagen waren es keine 500 Meter. Trotzdem war er nach dieser kurzen Strecke außer Atem. Der Baumbestand wurde nahezu ausschließlich von Fichten dominiert, deren Astwerk erst knapp zwei Meter über dem Boden begann. Die Höhe reichte für ihn aus, um aufrecht gehen zu können, trotzdem hatte er immer wieder Mühe, seinen massigen Körper zwischen den Bäumen hindurch zu bewegen. Einige Minuten später erreichte er die ausgewaschene Fahrspur und sah seinen Wagen wenige Meter entfernt stehen. Dort angekommen ließ er achtlos ihre Füße fallen und öffnete die Heckklappe des alten Lada Niva. Zwischen allerlei Unrat und Dingen seines alltäglichen Lebens, kramte er einen Leichensack hervor. Bevor er anfing, die Leiche in den Sack zu bugsieren, blieb er still stehen und horchte in den Wald hinein. Bis auf das leise Seufzen des Windes in den Bäumen, war nichts zu hören. Er schaute in beide Richtungen entlang der verwitterten Fahrspur, ohne etwas Verdächtiges zu sehen. Zu seiner rechten Seite standen die Bäume dichter und man konnte nur ein paar Meter weit in den Wald schauen, ehe sich das Zwielicht mit den Stämmen verbündete und eine undurchdringliche Barriere bildete.
Das Geräusch des grob verzahnten Reißverschlusses wurde von den Bäumen geschluckt. Frank trat mit dem Fuß einmal kräftig gegen den Sack. Trotz der Tatsache, dass die Frau bereits tot war, wollte er sich für die Arbeit, die sie ihm bereitete, revanchieren. Den Sack hievte er in den Kofferraum und nahm sich daraufhin eine Dose Kronenbourg. Auf der Kofferraumkante sitzend steckte er sich eine weitere Zigarette an, trank und rauchte in langen Zügen. Selbst schuld, dachte er sich, als er einen Blick nach hinten auf den schwarzen Sack warf. Wärst du mit dem Arsch da geblieben, wo du hergekommen bist, wo auch immer das war, dann wärst du bestimmt noch am Leben.
Die Zigarettenkippe wanderte in die mittlerweile leere Dose, in der sie mit einem leisen Zischen erlosch. Die Dose selbst warf Frank achtlos in den Wald. Mühsam wuchtete er seinen Körper von der Kofferraumkante, rülpste lautstark und zog seine Hose hoch. Als er die Klappe geschlossen hatte, stieg er hinter das Steuer und startete den Motor. Mit leerem Blick versuchte er, sich die beste Strecke in Gedanken zurechtzulegen. Auf direktem Weg waren es knapp dreißig Kilometer bis zu seinem Ziel. Allerdings wollte er darüber hinaus einen kleinen Abstecher machen. Es war zwar noch früh, aber sein Kumpel Eddy, mit dem er ein Geschäft zu erledigen hatte, würde hoffentlich schon wach sein. Bis zum Nachmittag sollte Frank alles erledigt haben, dann könnte er den Rest des Tages mit Bier, Gras und schmutzigen Filmen verbringen. Immerhin, dachte er sich, würde er die nächsten Wochen Ruhe haben. Für gewöhnlich ließen sich die Jäger ein wenig Zeit, ehe sie wieder ihrem ganz besonderen Hobby nachgingen. Der Herbst hatte auch schon angefangen. Mit ein bisschen Glück würden diese kranken Freaks ihm dieses Jahr keine Arbeit mehr machen. Krank, das war sein erster und bis jetzt auch einziger Gedanke, wenn er daran dachte, war hier abging. Anders konnte man es schlicht nicht nennen. Nachdenklich schüttelte er den Kopf, richtete seine Konzentration auf den Weg und legte einen Gang ein. Mit durchdrehenden Reifen fuhr er in Richtung der nächsten Straße.
In Landau stieg Nico aus dem Zug und wollte die Zeit bis zu seinem nächsten Anschluss nutzen, um ein bisschen frische Luft zu schnappen und einen Kaffee zu trinken. Landau war eine Spur größer als Calw, demzufolge gab es ein richtiges Bahnhofsgebäude mit Gastronomie. Das Wetter war schön und aus alter Gewohnheit suchte er sich einen Platz, von dem aus er den großzügigen Bahnhofsvorplatz gut im Blick hatte. Die Bedienung kam, nahm seine Bestellung auf und erschien kurze Zeit später mit seinem Kaffee. Nico beobachtete das bunte Treiben an diesem Freitagnachmittag. Bahnhofsplätze waren seit jeher Anziehungspunkt für Menschen, wie sie unterschiedlicher nicht sein konnten. An öffentlichen Plätzen wie diesem traf alles zusammen: Dealer und Junkies, Partyvolk und Berufspendler, Paare und Einzelgänger. Auf einer Seite fielen bittere Worte des Abschieds, auf der anderen wurden langersehnte Wiedersehen zelebriert. Und hier trafen sich die Jugend und auch Ältere, um ein ausschweifendes Wochenende zu beginnen. Zumeist war die Atmosphäre friedlich, aber das konnte auch schnell umschlagen. Gerade, wenn angetrunkene Halbstarke ihre Männlichkeit zur Schau stellen wollten und dabei ihr gutes Benehmen vergaßen.
Während Nico seinen Kaffee trank, fiel sein Blick auf eine Szene am Rande des Platzes. Dort hatte sich eine Gruppe junger Leute versammelt, Bierdosen in den Händen und Zigaretten zwischen den Lippen. Der Kleidung nach zu urteilen, kamen sie ohne Zweifel aus besseren Verhältnissen oder gaben zumindest vor, das zu sein. Mit ihren im Fitnesscenter trainierten und im Solarium gebräunten Körpern kamen sie sich unbesiegbar vor, wenn sie den richtigen Pegel intus hatten. Extrovertiertes und lärmendes Volk, wie Nico empfand. Aber er machte ihnen keinen Vorwurf daraus. Wenn man sie machen ließ, wie sie es wollten, ohne ihnen Grenzen aufzuzeigen, dann musste man sich nicht wundern. Außerdem sah es bis jetzt bemerkenswert friedlich aus, die Gruppe versuchte nur, ein bisschen Spaß zu haben. Keiner von denen sah so aus, als wenn er oder sie über zwanzig Jahre alt wäre.
Beim näheren Hinsehen zeigte sich jedoch ein anderes Bild. Zwei der Jungs standen sich gegenüber und eine junge Frau hastete zwischen ihnen herum bei dem verzweifelten Versuch, eine Tasche – vermutlich die ihre – zu greifen, welche immer wieder zwischen den beiden hin- und hergereicht wurde. Nico fühlte sich dabei an ein Spiel aus seiner Kindheit erinnert. Schweinchen in der Mitte nannte man es. Nur dass die junge Frau offensichtlich nicht freiwillig mitspielte und auch keinen Spaß dabei hatte, ganz im Gegensatz zu den beiden Männern. In einem letzten verzweifelten Versuch, ihre Tasche an sich zu bringen, trat die Frau dem einen kräftig gegen sein Schienbein. Dieser schrie kurz auf, warf die Tasche abermals seinem Gegenüber zu und stieß die Frau grob von sich. Sie strauchelte, stolperte, fiel unsanft auf ihr Gesäß und musste sich mit den Händen abstützen, um nicht mit dem Kopf aufzuschlagen. Die Leute in unmittelbarer Nähe interessierten sich nicht für das Geschehen. Allzu offensichtlich wandten sie ihre Köpfe in andere Richtungen, nur um sagen zu können, sie hätten nichts gesehen, falls man sie darauf ansprechen würde. Ansonsten hätten sie selbstverständlich auf eine bestimmte Art und Weise gehandelt, um der jungen Frau zu helfen. Zivilcourage wurde doch ganz großgeschrieben.
Was dann passierte, ging Nico viel zu weit. Der Getretene beugte sich über die Frau, schüttete den Rest aus seiner Bierdose über sie, ließ die leere Dose auf ihren Kopf fallen und fing an, sie zu wüst zu beschimpfen. Während ihr Tränen über die Wangen liefen und sich mit dem Rest des Biers vermischten, wurde Nico der Vorstellung überdrüssig. Er stellte seine Tasse ab und wollte kurzerhand zu dem Trio rübergehen, als er aus dem Augenwinkel am Nachbartisch die gleiche Reaktion bemerkte. Nur war die Person, die sich dort erhob, kein ehemaliger Elitesoldat, sondern eine alte Frau von geschätzt neunzig Jahren. Sie stand auf, griff zu ihrem Rollator und murmelte etwas wie: »Wenn niemand dem jungen Ding helfen will, dann müssen eben die Alten ran. Typisch!«
Völlig verblüfft wegen des Mutes und der Rüstigkeit der Dame benötigte Nico eine Sekunde, um zu verstehen. Schnell wandte er sich zu ihr und meinte: »Gute Frau, lassen Sie mich das machen. Tun Sie mir nur einen Gefallen und passen Sie bitte kurz auf meine Sachen auf, bis ich wieder da bin.«
»Ist recht, mein Sohn«, gab sie zurück und wirkte erleichtert. »Wenn Sie Hilfe brauchen, winken Sie mir einfach zu.«
Nico musste unweigerlich Grinsen bei diesem Kommentar der alten Dame.
»Das werde ich, danke«, sagte er und wandte sich um. Während er schnellen Schrittes auf dem Weg war, sah er kurz auf seine Uhr. Acht Minuten bis sein Zug einfahren würde. Jetzt kam es auf das richtige Timing an. Schnell rein, schnell raus, reine Routine. Zwei gegen einen, kein Problem. Der Rest der Truppe würde nichts tun, wenn er erst mal mit den beiden Typen fertig war. Er musste lediglich darauf achten, mit dem Rücken zu ihnen zu stehen. Er hatte wenig Lust sein Gesicht später auf YouTube zu sehen, wie er zwei Halbstarken wortwörtlich den Arsch aufriss. Oder schlimmer noch, das Video der Polizei gezeigt werden würde.
Er zog sich seine Mütze ein Stück tiefer ins Gesicht und näherte sich von der Seite dem Platz des Geschehens. Der Getretene war eben damit fertig geworden, das auf dem Boden liegende Mädel zu beschimpfen. Er sah Nico überrascht an, als dieser sich unmittelbar vor ihn stellte. Nico stand reglos da und fixierte die Augen seines Gegenübers. Er merkte, wie er gemustert wurde, und die anfängliche Verwunderung über das plötzliche Auftauchen wich einer gewissen Überheblichkeit. Rein äußerlich war diese Reaktion nur logisch. Nico war nicht das, was man eine imposante Erscheinung nennen würde. Zwar war er mit knapp einem Meter achtzig und neunzig Kilo kein Hänfling, wurde aber meistens trotzdem unterschätzt. Ein Fehler, wie der junge Mann bald feststellen würde.
»Was gibt es denn da zu glotzen?«, fragte der Typ mit reichlich Aggression und Übermut in der Stimme. Sein Gesicht war gerötet, ob vom Alkohol, vom Tritt gegen sein Bein oder von seiner Hasstirade konnte man nicht sagen. Nico schaute ihn sich kurz an. Er war ein Stück größer als er und geschätzt zehn Kilogramm schwerer. Sein Mitspieler war von ähnlicher Statur und bemerkte Nico ebenfalls, blieb jedoch auf Distanz.
»Ich weiß zwar nicht, was die Kleine da gemacht hat, aber meinst du wirklich, dass sie so eine Behandlung verdient?