Niemandes Herr, niemandes Knecht - Tommy Wieringa - E-Book

Niemandes Herr, niemandes Knecht E-Book

Tommy Wieringa

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Beschreibung

Was aus der individuellen Freiheit geworden ist, fragt Tommy Wieringa, die als Versprechen am Beginn der modernen Gesellschaft stand. Aus Angst vor Risiken wie Betrug und Terrorismus setzen wir uns freiwillig staatlicher Überwachung aus. Im Zeitalter der Digitalisierung wird sie bald auch den letzten Winkel der Privatsphäre durchdringen. Wie aber verändert uns das?

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Tommy Wieringa

Niemandes Herr, niemandes Knecht

Aus dem Niederländischen von Bettina Bach

Am 8. August 1862 setzt König Willem III. im Urlaub in Wiesbaden seine Unterschrift unter ein Gesetz zur Abschaffung der Sklaverei. Nicht aus Herzensgüte, wie die Staatsdiener und Pastoren den Sklaven in der Karibik weismachen wollen, sondern infolge jahrzehntelanger Bettelei im Parlament, bei der die Abolitionisten immer wieder den Kürzeren zogen. Die Niederlande sind spät dran mit der Abschaffung des »Fluches, der auf uns liegt«, wie der Geistliche Ottho Heldring die Leibeigenschaft 1845 nannte, drei Jahrzehnte später noch als England; aber ein knappes Jahr nachdem Willem III. seinen Federstrich getan hatte, am 1. Juli 1863, werden auf der fernen Insel Curaçao einundzwanzig Salutschüsse abgegeben. Gouverneur Crol verkündet, der frohe Tag, an dem es Seiner Majestät beliebt habe, die Sklaverei auf der Insel endgültig abzuschaffen, sei angebrochen. Aber nicht unverzüglich, nein, Johanna, Ovidius, Job, Constantien und Isidor seien verpflichtet, weitere zehn Jahre »gegen billigen Lohn« für ihre früheren Herren zu arbeiten, sonst würde die Plantagenwirtschaft von einem Tag auf den anderen zusammenbrechen.

Der Gouverneur mahnt die neuen Untertanen, sie müssten sich des Privilegs der Freiheit wert erweisen. Falls sie sich nicht gut benähmen, stünden ihm zusätzliche, vom Mutterland zu den Kolonien ausgesandte Mannschaften zur Verfügung. »In Ihrem früheren Stand haben Sie sich stets durch stilles, ruhiges Benehmen und Gehorsam gegenüber Ihren Meistern ausgezeichnet«, sagt er, »nun, als freie Menschen, sind Sie der Obrigkeit untertan und müssen Ihre Pflichten als Einwohner der Kolonie sorgsam erfüllen und regelmäßig gegen einen billigen Lohn Ihrer Arbeit nachgehen …«

Der Staat ersetzte den Meister, der Übergang verlief reibungslos. Innerhalb eines Tages wandelte sich der Status der zwölftausend Sklaven auf den karibischen Inseln, aus einem Eigentum eines Plantagenbesitzers wurden Untertanen des Königreichs der Niederlande. Von einem Handelsgut zu einem politischen Wesen. Der shon mit seiner Peitsche wich dem Staat mit seinem Gewaltmonopol.

Was für ein Augenblick, um selbst etwas auf die Beine zu stellen, um die Kette der Unmündigkeit zu unterbrechen, möchte man denken. Der Übergang von einer Abhängigkeit zur anderen hätte ein Augenblick für eine utopische Fantasie sein können, ein Loch in der Zeit. Ein Prophet oder Seher hätte die Gunst der Stunde genutzt, der Moment war für eine Vision geeignet. Für einen Thoreau oder einen Garvey, jemanden mit genügend Geisteskraft, um die Freiheit zu gestalten, und dem Ehrgeiz, sie zum Erfolg zu führen.

Doch der Augenblick vergeht. Was hätte man sich auch davon erwarten können? Eine Sekte, eine Kommune oder eine Partei, viel mehr haben politische Träumer nicht zustande gebracht.

In Surinam hat sich ein Großteil der Sklaven lange vor der Abschaffung der Sklaverei für die Freiheit entschieden. Sie fliehen von den Plantagen und gründen tief im Wald Gemeinschaften, in denen es ihnen gelingt, sich dem Zugriff ihrer ehemaligen Besitzer zu entziehen.

Im Wald halten die Marons die Erinnerung an Afrika lebendig, oder besser gesagt, an das erinnerte Afrika. Sie sind Selbstversorger und geben, in einem Synkretismus afrikanischer Traditionen und neu übernommener europäischer Gewohnheiten, allem selbst Form, vom Brot bis zum Pantheon. Als 1863 auch auf Fort Zeelandia die Kanonen donnern, macht das also für die rund zehntausend Marons kaum einen Unterschied. Das ist prinzipiell anders als bei den Sklaven von Curaçao, die die Freiheit geschenkt bekamen. Diese Situation bietet die Möglichkeit einer Versuchsanordnung – ein Ereignis, anhand dessen man den Wert individueller Freiheit ausloten könnte. Ein sozialpsychologisches Experiment zu der Fragestellung, wer die Freiheit am meisten schätzt: der, der sie geschenkt bekommen, oder der, der sie erobert hat?

Zwischen dreizehn und achtzehn Jahren hat fast jeder Fantasien über die Weltgestaltung. Manchen bleiben sie etwas länger erhalten, und sie werden Politiker