Nikunthas, König der Miami - Georg J. Feurig-Sorgenfrei - E-Book

Nikunthas, König der Miami E-Book

Georg J. Feurig-Sorgenfrei

4,8

Beschreibung

Franz Trellers beliebte klassische Abenteuererzählung, von der zahllose Auflagen von 1895 bis 1970 erschienen, ist seit Jahrzehnten nur noch antiquarisch erhältlich. Mit Georg J. Feurig-Sorgenfreis vollständig revidierter, neu bearbeiteter und mit einem Nachwort von Joerg Sommermeyer versehenen Ausgabe, wird sie 2010 wieder der Allgemeinheit zugänglich gemacht. Vom Ausbruch der Kampfhandlungen um das Ohiotal überrascht, kämpfen im Nordamerika der Kolonialzeit, Mitte des 18. Jahrhunderts, in den Wirren des englisch-französischen Krieges zwei Siedler, Master Burns und sein Sohn John, ein herkulischer Bootsmann, ein Lord, ein geheimnisumwitterter, verrückter, weißer Indianer und Nikunthas (Falkenschwinge), der junge, edle Häuptling der Piankeshaw, um ihr nacktes Überleben und Gerechtigkeit. Nikunthas, dessen Vater, das Oberhaupt der Miamivölker, schändlich ermordet wurde, wird vom Bootsmann und den Farmern, die mit ihrer Sloop über den Ontario Fracht in die Heimat am Genesee bringen wollen, im Orkan aus den tobenden Fluten gerettet. Er revanchiert sich, sobald die Gesellschaft durch widrige Umstände auf den Landweg gezwungen wird, mit treuer und kundiger Führung in der Wildnis; ein ungemein gewitzter und tapferer Gefährte, der sich selbst und die Gemeinschaft, fast ohne Atempause gegen alle Unbillen des Krieges, Piraten, Panther, blutrünstige Wilde streitend, aus schwierigsten Notlagen und extremen Gefahren immer wieder zu erlösen vermag. Nicht nur der von Piraten ins Gebiet der tausend Inseln entführte Lord, sondern auch die von feindlichen Indianern geraubte Schwester Johns können glücklich befreit werden. Nikunthas triumphiert über all seine Feinde, rächt den Vater, unterstützt die Engländer in der Entscheidungsschlacht gegen die Franzosen und wird schließlich König der Miami.

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Inhalt

Über dieses Buch

Der Autor

Der Bearbeiter

Der Herausgeber

Impressum

Nikunthas, König der Miami

Erstes Kapitel

Zweites Kapitel

Drittes Kapitel

Viertes Kapitel

Fünftes Kapitel

Sechstes Kapitel

Siebentes Kapitel

Achtes Kapitel

Neuntes Kapitel

Zehntes Kapitel

Elftes Kapitel

Anhang

Nachwort des Herausgebers

Indianer-Gedanken

Leopold Hermann Oskar Panizza

Die blaue Schlange

Fritz von Ostini

Über dieses Buch

Franz Trellers beliebte „klassische“ Abenteuererzählung, von der zahllose Auflagen von 1895 bis 1970 erschienen, ist seit Jahrzehnten nur noch antiquarisch erhältlich. Mit Georg J. Feurig-Sorgenfreis vollständig revidierter, neu bearbeiteter und mit einem Nachwort von Joerg Sommermeyer versehenen Ausgabe, wird sie 2010 wieder der Allgemeinheit zugänglich gemacht.

Vom Ausbruch der Kampfhandlungen um das Ohiotal überrascht, kämpfen im Nordamerika der Kolonialzeit, Mitte des 18. Jahrhunderts, in den Wirren des englisch-französischen Krieges zwei Siedler, Master Burns und sein Sohn John, ein herkulischer Bootsmann, ein Lord, ein geheimnisumwitterter, verrückter, weißer Indianer und Nikunthas („Falkenschwinge“), der junge, edle Häuptling der Piankeshaw, um ihr nacktes Überleben und Gerechtigkeit. Nikunthas, dessen Vater, das Oberhaupt der Miamivölker, schändlich ermordet wurde, wird vom Bootsmann und den Farmern, die mit ihrer Sloop über den Ontario Fracht in die Heimat am Genesee bringen wollen, im Orkan aus den tobenden Fluten gerettet. Er revanchiert sich, sobald die Gesellschaft durch widrige Umstände auf den Landweg gezwungen wird, mit treuer und kundiger Führung in der Wildnis; ein ungemein gewitzter und tapferer Gefährte, der sich selbst und die Gemeinschaft, fast ohne Atempause gegen alle Unbillen des Krieges, Piraten, Panther, blutrünstige Wilde streitend, aus schwierigsten Notlagen und extremen Gefahren immer wieder zu erlösen vermag. Nicht nur der von Piraten ins Gebiet der tausend Inseln entführte Lord, sondern auch die von feindlichen Indianern geraubte Schwester Johns können glücklich befreit werden. Nikunthas triumphiert über all seine Feinde, rächt den Vater, unterstützt die Engländer in der Entscheidungsschlacht gegen die Franzosen und wird schließlich König der Miami.

Der Autor

Franz Treller (1839-1908), geboren am 15. Oktober 1839 als Sohn eines Schuhmachers in Kassel/Hessen. Besuch der dortigen Bürgerschule, Banklehre, Schauspielausbildung bei Hofschauspieler Birnbaum. 1857 Theaterdebüt, Auftritte in Amsterdam und Oldenburg. Ab 1858 Engagements in Cuxhaven, Göttingen und Görlitz. 1862/1863 Verpflichtung nach Bremen. Schauspieler in Neustrelitz (1863/1864), Oldenburg (1864-1866) und Königsberg (1866-1868). Erster Charakterdarsteller beim Ständischen Theater in Riga (1868-1882), häufig in Shakespearerollen. Regisseur, Dramaturg, zeitweise stellvertretender Direktor in Riga. Erstes Theaterstück, "Des Königs Narr" (1872). Seit 1882 Engagements in Moskau, Stettin und Wien. 1884 Rückkehr nach Kassel. Einige Gastauftritte am Königlichen Theater in Kassel, dann Aufgabe des Schauspielberufs. Bis 1890 Hauptschriftleiter bei der "Kasseler Allgemeinen Zeitung". Später freier Schriftsteller von historischen Romanen, abenteuerlichen Erzählungen, Gedichten und Bühnenstücken. Verstorben am 28. Juni 1908 in seiner Heimatstadt. Einige seiner Werke werden erst posthum publiziert. In Kassel erinnert ein Straßenname an ihn.

Der Bearbeiter

Georg Joaquín Feurig-Sorgenfrei, am 13. August 1961 – dem Tag des Berliner Mauerbaus - als fünftes Kind deutscher Auswanderer in Buenos Aires geboren. 1968 Rückkehr nach Deutschland. Volksschule und Gymnasium in Hamburg und Bremen. Studium der Soziologie, Germanistik, Anglistik und Philosophie in München, Freiburg, Berlin, London, New York, Paris und Madrid. Kenner von Manierismus und Trivialliteratur (abgebrochene Dissertation: „Manierismus in der Trivialliteratur des 19. und 20. Jahrhunderts“). Seit 1989 spanischer Ghostwriter. Serien von Comics sowie Wildwestromane unter Pseudonym. 1999 bis 2006 Journalist in Santiago de Chile. 2007 Übersiedelung nach Berlin. 2009 Herausgabe von Joerg Sommermeyers “Anton Unbekannt: Pat[(h)o/a]physischer Antiroman, Tragigroteskenfragment”.

Der Herausgeber

Joerg K. Sommermeyer (JS), geboren am 14. Oktober 1947 in Brackenheim/Heilbronn. Jurist, Musiker und Schriftsteller. 1976 bis 2004 Rechtsanwalt in Freiburg. Zahlreiche Veröffentlichungen in juristischen Fachzeitschriften sowie Artikel in Musikblättern. Herausgeber und Redakteur der Zeitschrift “Nova Giulianiad - Saitenblätter für die Gitarre und Laute” (1983 ff). Komponierte Songs, Instrumentalmusik und schrieb Liedtexte. Etliche CDs, u. a.: “Total Overdrive”, “Those Rocks & Lieders”, “Nel Cuore Romanzo Rock”, “Ergo”. 2002 Edition des Lyrikbandes “Leben will ich ” von Josefa Gerhäuser. 2009 Publikation von “Anton Unbekannt”, 2017 Edition von “Balleinrubin: Ball, Einstein, Rubiner”. JS lebt seit 2005 in Freiburg, Santa Cruz de Tenerife, Berlin und Istanbul.

Erstes Kapitel

Die Sturmböen peitschten die Wasser des Ontariosees und wühlten sich tief in seine Eingeweide. Weißmähnigen Rossen gleich rasten Wogen einher. Luft sprühte vor lauter Gischt, die ein brausender Südwest wilden Wellenkämmen entriss. Die See war in Aufruhr. Eine tobende Brandung drohte alles Lebende, das in und auf ihr trieb, zu verschlingen. Ganz plötzlich war das Unwetter hereingebrochen, und nicht alle Fahrzeuge hatten schnell genug das schützende Ufer erreichen können. Furchterregend ächzte und heulte der hurtig dahin stürmende Wind, entsetzlich gurgelten sich überstürzende Wassermassen. Und düster zeigte sich der weite Horizont; dunkle Wolken hingen herunter, so tief, dass sie fast die krausen Wellenköpfe zu berühren schienen.

Zäh kämpfte sich ein leichtes Rindenkanu durch die brodelnde See, gleich einer Nussschale hin und her geworfen. Drei Männer saßen darin, die das kleine Fahrzeug mit unvergleichlicher Geschicklichkeit und Umsicht lenkten. Einer der drei Insassen, die zu den Urbewohnern des Landes gehörten, hielt das Steuer, während die anderen die schaufelartigen Ruder handhabten. Keiner sprach ein Wort. Ihre funkelnden Augen waren aufs Wasser gerichtet, und mit Kraft und Sicherheit trieben sie ihre Ruder durch die Fluten, um sich vor dem Winde zu halten und mit den ansteigenden Wellen immer wieder auf deren Rücken empor zu schweben. Die Männer wussten, dass eine einzige falsche Bewegung, die sie quer vor den Wind brachte oder eine aufschießende Welle versäumen ließ, ihren sicheren Untergang bedeutete, denn weitab lag das Ufer und an ein Entrinnen aus dem wütenden Element war nicht zu denken. Zwei von ihnen waren gesetzten Alters, der dritte aber stand noch in jugendlichen Jahren, doch führte er sein Ruder mit gleicher Kraft und Geschicklichkeit und bewies dieselbe unerschütterliche Ruhe wie seine Gefährten. Bald lag das kleine Fahrzeug in einem Wellental, und sich hebende Wassermassen drohten darauf niederzustürzen, bald tanzte es auf einem Wogengipfel, und Schaum umspritzte die Ruderer. Mit gespenstischem Tempo jagte das Kanu, mehr vom Sturme als von der Anstrengung seiner Insassen getrieben, gen Osten.

Plötzlich begann einer der Männer im Kanu zu singen, und trotz dem Heulen des Sturmes vernahmen die anderen seine Worte. Eine eintönige Weise, in gemessenen Intervallen auf und nieder steigend, sich mit dem Sturme mischend, in zerrissenen Lauten dahin getragen: „Manitu ist groß, sehr groß, er ist mächtig“, klang es in die Ohren der still horchenden Männer, die, wie der Sänger, nicht einen Augenblick in ihrer Aufmerksamkeit auf das Boot nachließen. „Er ist der Herr der Welt, ein endloser Hüne. Gewaltig ist der Hauch seines Mundes, nichts kann vor ihm bestehen. Erschrocken springen die Wasser empor, wenn sein Atem zornig darüber fährt. Manītu ist groß. Er kann töten und lebendig machen, denn er ist mächtig, sehr mächtig, übermächtig! Wie ein Mücklein vor dem Bären des Waldes steht der Mensch vor dem Großen Geist; winzig und schwach. Er lebt nur von seiner Güte, weil er erbärmlich und hinfällig ist. Freilich ein Laut Manitus kann wütende Wasser sänftigen, Orkane verwandeln in leises Wehen. Der Große Geist liebt seine Kinder, er wird sie nicht ertränken in der geifernden Flut. Aber falls er beschlossen hat, ihre Seelen zu sich zu rufen, sei er gepriesen auch dann; denn er ist sehr gut und sehr mächtig.“

Feierlich schallten die lang getragenen Töne aus dem Boot der mit unbezwingbarem Mut um ihr Leben kämpfenden Männer durch den Sturm. Ununterbrochen brausten die Wellen, sauste der Sturmwind. Die Anstrengungen der Indianer wurden schwächer, Ermattung drohte ihre sehnigen Arme zu lähmen.

Mit stark verkürzten Segeln jagte in einiger Entfernung von dem indianischen Fahrzeug eine Sloop vor dem Winde über schäumende Wasserberge einher und rannte auf das Kanu zu. Es waren geschickte und starke Männer, die dieses Schiff lenkten. Einer davon, ein Recke an Gestalt, stand am Steuer, während zwei andere sich an die Wanten des starken Mastes klammerten, der das dreifach gereffte Hauptsegel trug. Das gedeckte Fahrzeug musste wie das Indianerboot vor dem Winde niederlaufen, um der Gewalt und Wucht nachstürzender Wellen zu entgehen, die ihm leicht Verderben bringen konnten. Auch die Sloop wurde wild umhergeworfen. Von den beiden Männern, die sich an den Wanten hielten, begab sich der ältere, sich vorsichtig an der Bordwand entlang hakelnd, zu dem Steurer. „Was denkst du, Bob?“ schrie er dem Riesen zu.

„Gar nichts, Master. Halte mein Schiff vor dem Winde. Nichts zu machen sonst.“

„In welche Richtung segeln wir?“

„Denke, wird Nordost mit ein paar Strichen nach Ost sein. Werden, wenn man vor lauter Gischt überhaupt etwas erkennen kann, bald Land in Sicht kriegen.“

„Und was dann, Bob?“ fragte ernst der Alte.

„Müssen auflaufen, so gut wir können; ist unsere einzige Rettung.“

„Werden zerschellen, Bob, wird das Ende sein.“

„Wollen's abwarten. Ganz ohne Kampf soll der Ontario Bob Green nicht haben. Die Molly ist ein Fahrzeug, Herr, das einen Stoß aushält!“

„Nun, wie Gott will, Bob! Müssen uns fügen.“

„Ist so, Herr. Wollen unser Bestes tun und das andere ihm überlassen.“

Kaum hatte er ausgesprochen, als der dritte der Besatzung über das schwankende Deck herankam. Es war ein junger Mann von athletischer Gestalt, mit hübschem, offenem Gesicht. Er streckte den linken Arm aus und schrie gellend, denn nur so konnte man sich bei dem Heulen des Sturmes und dem Wellenbrausen verständlich machen: „Um Gottes willen, seht dorthin!“

„Was gibt's?“

„Da!“ Er deutete mit der Hand über Bord.

Die beiden blickten in der Richtung des ausgestreckten Armes hinaus in die tobende Flut und gewahrten gleich darauf das Kanu auf dem Gipfel einer wallenden Woge.

„Alle Wetter!“ brummte Bob. „Eine solche Nussschale auch noch auf dem See? Werden's nicht lange machen; die erreichen das Ufer nie.“

„Es sind Rothäute“, sagte der älteste der Männer, dessen Haar schon grau war, nachdem er durch das Glas nach dem Boot ausgeschaut hatte.

„So mögen sie zugrunde gehen!“ schrie der Steuermann. „Dann wird es etwas weniger Geziefer auf der Welt geben.“

„Sind so gut wie wir Gottes Geschöpfe“, bedeutete ernst der junge Mann.

„Die, Master John? Beileibe nicht! Blutiges Gesindel ist's, nicht den Schuss Pulver wert, den man auf sie abfeuert.“

Ohne diese rauen Worte zu beachten, sagte der junge Mann zu dem älteren: „Ist es nicht möglich, den Leuten Rettung zu bringen, Vater?“

„Kaum, John. Bei dem Wellengang zerschellt das Boot wie Glas an unserer Bordwand.“

„Müssen's doch versuchen, Vater. Sind Mitmenschen und in Todesgefahr.“ Was würdest du tun?“

„Ihnen ein Tau zuwerfen; vielleicht, dass wir sie damit an Bord bekommen.“

„Wird nicht gehen, John, ist unmöglich bei diesem Sturm.“

„Lasst es uns versuchen! So sind sie sicher verloren, denn sieh“ - man war näher gekommen und erblickte das Boot und seine Insassen deutlicher - „ihre Anstrengungen werden schwächer! Es ist ein Wunder, dass sie sich überhaupt so lange in diesem Hexenkessel gehalten haben.“

„Gut, mein Kind, wollen es versuchen! Du hast recht, lange können sie gegen diese Wogen nicht mehr ankämpfen.“

Der Jüngling richtete alsbald ein Tau her, das zusammengerollt auf dem Hinterdeck lag. Er befestigte es an dem Gangspill und machte sich bereit, das vordere Ende nach dem Boote auszuwerfen. Er war erfahren genug, die Länge des auszuwerfenden Taues so zu bemessen, dass das sich aufbäumende Kanu, wenn die Indianer das Tau fassten, in das Kielwasser der Sloop gerissen werden musste.

Der Steuermann sah diese Vorbereitungen mit Beklommenheit. „Es ist Unsinn, Master“, schrie er zu dem alten Mann hinüber; „kein lebendes Wesen kann bei diesem Seegang an Bord kommen.“

„Lass John gewähren! „erwiderte der Alte ruhig. „Die Leute sind rettungslos verloren, wenn wir nicht diesen Versuch machen. Geh auf der Windseite an ihnen vorbei, Bob, in richtiger Entfernung, dass das Kanu nicht an unseren Rumpf geschleudert wird!“

„Ay, ay, Sir“, knurrte der herkulische Steuermann verdrießlich, „will so tun, wie Ihr sagt. Verteufelt viel Federlesen aber, das mit dem roten Geschmeiß gemacht wird!“ Er gehorchte dem Befehl und lenkte das schwer zu regierende Schiff mit eisernem Arm.

Schnell näherte sich die Sloop dem Kanu. John schlang sich ein leichtes Tau um die Brust und zurrte sich mit ihm an der Bordwand fest, da er zum Werfen beide Hände brauchte. Scharf lugten nun alle drei nach den Indianern aus. Grimmig brach die Sloop sich Bahn durch die hohen Wellen und nahm von Zeit zu Zeit Wasser am Bug auf, es durch die Speigatten beidseits wieder auswerfend. Wacker stampfte das kleine Fahrzeug im Sturm, wozu die gelassene Umsicht und Stärke des Steuermanns nicht wenig beitrug, dessen geschickt eingesetzte, massive Körperkraft allein das Schiff vor dem Wind zu halten vermochte.

Der Mann, der das Kanu steuerte, hatte, als es hoch auf einem Wellenkamme schaukelte, einen Augenblick den Kopf gewendet und die Sloop herankommen sehen. John bemerkte das und hielt das Tau empor, um klar zu machen, was er vorhatte. Das Schifflein versteckte sich hinter einer Woge. Näher kamen sie, näher und näher. Als das Boot auf dem nächsten Wellenkamm wieder vor ihre Augen kam, gewahrten die Männer an Bord der Sloop, wie alle drei Indianer jetzt den Kopf wandten. Nun erkannten sie, dass man im Kanu ihre Absicht verstanden hatte. Grausig heulte der Sturm im Takelwerk.

Der athletische junge Mann stemmte sich fest an das Bollwerk, denn der Augenblick, wo er das Tau schleudern musste, kam. Es gehörte in dem tobenden Wasser, dem auf und nieder schwankenden Schiffe, nicht geringe Kraft und Geschicklichkeit dazu, das Tau so zu werfen, dass es auf das Kanu niederfiel, aber John war der Mann dafür und Bob steuerte mit solcher Umsicht und Festigkeit, dass sie in etwa zwanzig Schritt Entfernung an dem Schifflein vorüberfuhren. Jetzt war der richtige Moment da.

Kraftvoll geschleudert flog das Tau, im Fluge seine Ringe entfaltend, und fiel über die Mitte des Bootes zwischen den Mann am Steuer und die beiden Ruderer.

In Windeseile schnappten die drei Indianer nach dem Tau und stemmten ihre Füße gegen die Bootswand, eine Bewegung, die mit letzter Kraft ihrer schieren Verzweiflung ausgeführt wurde. Kaum aber spürte das Kanu den durch das Straffwerden des Taues hervorgerufenen Widerstand, als es sich mit Wasser füllte, und die Indianer gingen unter, die Finger in Todesnot um das Tau geklammert. Im Fahrwasser der Sloop tauchten sie kurz auf.

„Nehmt das Steuer, Master!“ schrie Bob dem neben ihm stehenden alten Manne zu. Dieser fasste die Strebe, und Bob, unterstützt von John, zog mit titanischer Kraft das Tau heran.

Wieder verschwanden die roten Männer im Wasser. Bob zog mit furchtbarer Anstrengung, aber nur einer der Indianer erschien wieder an der Oberfläche, die beiden andern waren in den Wellen verschwunden. „Halt dich, Bursche!“ schrie Bob dem Indianer zu. - „Zieh, John, zieh!“

Der rote Mann ließ nicht locker, sein Körper kam nahe. Des Riesen Arm streckte sich über die niedrige Bordwand, als eben das Heck tief im Wasser lag, seine Hand griff in das dichte schwarze Haar des gefährdeten Indianers und gleich darauf lag dessen triefender Körper an Deck. Der Kerl war bewusstlos, aber krampfhaft umschlangen seine Finger noch immer das Tau.

Bob band den Körper fest, damit er auf dem schaukelnden Deck nicht umhergeschleudert würde, und ergriff wieder das Steuer. „Es ist ein Wunder“, murmelte er, „der rote Bursche hat ein Leben wie eine Katze.“

John, der mit innerem Grausen zwei der Männer in den Fluten hatte versinken sehen, kam heran und schaute den Geretteten mitleidig an. Es war ein Jüngling noch, der da bewusstlos vor ihm lag. Er schob ihm ein Stück Tauwerk unter den Kopf und wandte sich an den Vater. „So ist doch wenigstens einer der Männer am Leben geblieben.“

„Gott wird's dir lohnen, Kind. Wir haben getan, was wir konnten.“

„Aufgepasst, Land in Sicht!“ schrie Bob, und alle schauten eifrig voraus. Als die nächste Woge sie hob, erblickten sie das gar nicht ferne felsige Ufer, an dem Wellen krachend emporschlugen.

„Gott sei uns gnädig!“ sagte der alte Mann bei diesem Anblick. „Ich fürchte, unsere Stunde ist jetzt gekommen.“

„Noch lange nicht, Herr“, schrie Bob, der die Worte verstanden hatte. Es müssen die Tausend Inseln sein, und schlimm dürfte es zugehen, wenn die Molly dort nicht ein Schlupfloch fände.“

Die bedrohliche Situation des Seglers nahm ihre ganze Aufmerksamkeit in Anspruch. Sie vergaßen so den geretteten Mann und bemerkten nicht, wie er wieder zu atmen anfing. Alle drei spähten angestrengt nach vorn auf die waldreiche Küste, an die sich die Sloop geschwind herandrängte.

„Geht an die Schote des großen Segels, John, und lasst es fliegen, wenn ich rufe!“ schrie der Steuermann.

Der Jüngling gehorchte.

Immer näher kamen sie dem Gestade. Eisenfest stand Bob am Steuer und hielt gerade darauf zu. Keine tausend Schritte mehr waren sie von dem unwirtlichen Lande entfernt, das ihnen mit ihrem baldigen Tode drohte, als endlich das scharfe Auge Bobs eine Lücke in der gärenden Brandung entdeckte. Eine leichte Drehung des Steuers, welche in dem wilden Seegange nur eine außergewöhnliche Kraft bewerkstelligen konnte, und schon richtete sich der Bug auf die brandungsfreie Bucht aus.

Flink trieben sie heran, auf und nieder wogte das kleine, aber feste Schiff, rechts und links tobte wilde Brandung. Gischt und Fluten spritzten aufs Deck, aber vor ihnen war ruhiges Wasser, zu dessen Seiten sich uralte Baumriesen erhoben, an denen das Schiff vorübersauste. Dann sahen sie Land, dicht bewaldet. Darauf zuzurennen erschien gleichbedeutend mit dem Untergang des Schiffes. Und es sah ganz so aus, als ob ein Aufprall unvermeidlich wäre. Mit starren Mienen schauten alle nach dem Lande. Da wendete sich der Kanal, in den sie eingelaufen waren, nach links. „Gott sei uns gnädig!“ wisperte der Alte.

„Los!“ schrie der Steurer mit gewaltiger Stimme. Das große Segel flatterte wild im Winde. Mit der Kraft von zehn Männern riss der herkulische Koloss das Ruder hart Backbord, als ob er bloß einen kleinen Kahn handhabte.

Das Schiff gehorchte ihm und fiel scharf über den linken Bug ab. Dann erhob sich wiederum Land vor ihnen, dieses Mal aber eine flache, sandige Küste. Zwar bog der Kanal sichtlich noch nach rechts ab, jedoch war das Schiff nicht mehr dazu fähig, diese Wendung abermals mitzumachen. Der Raum war zu gering, der Wind zu heftig. Bob ließ die Molly geradeaus auf den Strand laufen. Das Vorderteil sauste aufs Land. Die Männer fielen zu Boden, krachend stürzte der Mast nach vorn, aber das Schiff lag fest, mit seiner vorderen Hälfte auf dem Sande ruhend, während die Wellen sein Heck umbrandeten.

Lachend erhob sich Bob von dem Deck, auf das er unsanft niedergeworfen worden war. „So, Master, haben dem alten Ontario ein Schnippchen geschlagen. Die Molly liegt sanft gebettet. Denke, wird schon wieder flott werden.“

Auch der alte Mann und John erhoben sich. Besorgt kam der Jüngling heran, um zu sehen, ob der harte Fall seinem Vater nicht Schaden getan habe, aber lächelnd beruhigte ihn dieser; er war wie die andern mit leichten Verletzungen davongekommen. Die Sloop lag bewegungslos. Die wilde Bewegung des Sees machte sich hier kaum noch geltend. Sie waren gerettet!

Als ob der Sturm seine Wut allein gegen die Sloop gerichtet gehabt hätte, flaute er jetzt ab und verstummte bald ganz.

Der alte Mann öffnete die Luke, die unter Deck führte, und stieg besorgt in den Kielraum hinab, in dem Säcke und Fässer aufgestapelt waren, fand aber zu seiner großen Freude, dass das Schiff kein Leck hatte. Es war, heil bis auf den gebrochenen Mast, auf Schlamm und Sand aufgelaufen, die Ladung war trocken. Er ging wieder an Deck und sagte: „Wir dürfen Gott danken, John, für unsere Rettung; auch die Ladung ist unbeschädigt.“

„Ja, dem Himmel sei Dank, lieber Vater! Wir sind hart am Tode vorbeigestreift.“

Der Alte reichte dem Steuermann, der sich bereits seine kurze Pfeife angezündet hatte und behaglich rauchte, die Hand. „Nächst Gott danken wir dir unsere Rettung, mein braver Bob. Es soll nicht vergessen werden.“

„Lasst es gut sein, Master! Werde mit dem alten Ontario immer noch fertig. Bin auf ihm aufgewachsen, er kennt den Robert Green. Wird mitunter ein bisschen wild der See, aber sind noch immer miteinander ausgekommen.“

Ihre Aufmerksamkeit richtete sich jetzt auf den jungen Indianer, der sich aufgesetzt hatte und mit verstörten Blicken um sich sah. Sein Oberkörper war nackt, seine Kleidung bestand nur aus den ledernen Beinkleidern, wie sie die Indianer sich aus gegerbter Hirschhaut fertigen, und der Fußbekleidung aus gleichem Stoff.

John befreite ihn von dem Tau, das Bob um ihn geschlungen hatte. Der Indianer erhob sich und schaute mit halb scheuem, halb verwundertem Blicke auf das Schiff und den Wald, der sie in einiger Entfernung umgab. Dann heftete er seine Augen auf John, der ihn mitleidig ansah. „Sprichst du oder versteht du etwas Englisch, Indianer?“

Der junge Wilde antwortete nicht, schien auch die Worte nicht verstanden zu haben; er sah John schweigend aus großen schwarzen Augen an. Der Indianer hatte einen schönen Körper, und das von dem feuchten schwarzen Haar umrahmte jugendliche Antlitz war edel. John schien größer und stärker als der Indianer. Als aber die beiden jungen Leute einander gegenüberstanden, der schlanke bronzefarbene Wilde mit den geschmeidigen Gliedern und der hochgewachsene blonde Angelsachse mit der breiten Brust, die nur ein wollenes Hemd bedeckte, mit dem hübschen, offenen Gesicht, aus dem ein paar Augen von der Farbe des Himmels freundlich hervorblickten, konnten sie recht gut als vollkommene Vertreter ihrer Rassen gelten.

Da der Indianer auf Johns Anrede nicht antwortete, nahm Bob das Wort. „Die Rothaut wird Euch nicht verstehen, John. Ich will einmal mein bisschen Indianisch an ihm versuchen; habe oft mit den Seneca zu tun gehabt und mir ein paar Worte gemerkt. - Welchem Stamme gehörst du an?“ fragte er ihn in der Sprache dieses Volkes.

Der junge Wilde, so angeredet, wandte sich ihm zu, aber antwortete auch jetzt nicht.

„Nun, verstehst du mich nicht?“

Da entrangen sich langsam einige indianische Worte dem Munde des Jünglings, deren bebender Ton schmerzliche Erregung verriet.

„Ja so“, entgegnete Bob, „die andern? Ja, mein Junge, die sind zu den seligen Jagdgründen deines Volkes gegangen; ihre Körper ruhen auf dem Grunde des Ontario.“

Ein tiefer Seufzer des Indianers war die Antwort. Dann wandte er sich um, schritt nach dem Vorderdeck, kauerte sich dort nieder und bedeckte sein Gesicht mit den Händen.

Bewegt sah ihm John nach. „Lassen Sie ihn ruhig dort sitzen, Master John! Der eine der Ertrunkenen ist wahrscheinlich sein Vater gewesen. Überlassen Sie ihn seiner Trauer!“

„Bob hat recht, lassen wir ihn ungestört! Auch der schlimmste Schmerz hat seine Zeit und geht vorbei.“

„Es muss ein Seneca oder Shawnee sein, wenigstens verstand er mich“, meinte Bob. „Es ist mir lieb, dass wir nicht einen von den kanadischen Kerlen, die sich den Franzosen mit Leib und Seele verschrieben haben, dem Leben erhielten.“

„Also du hältst ihn für einen von den sechs Völkerschaften?“

„Ja, Master, das geht über meinen Horizont, aber sicher glaube ich, dass er kein Irokese oder Hurone ist.“

„Nun, wir werden es ja erfahren. Doch jetzt, John, mach’ uns Kaffee und schaff Nahrung herbei! Dann wollen wir uns überlegen, wie wir aus dieser bösen Lage wieder herauskommen.“

Bald stand ein wohlriechender Trank vor ihnen, den Bob mit einigen Schlückchen Rum, den er seiner Flasche entnahm, noch würziger machte. Dazu gab es Schinken, kalten Braten und Maisbrot. Mit großem Appetit ließen sie es sich schmecken.

Der alte Elias Burns, der am Genesee, einem Zufluss des Ontariosees, auf seiner einsamen Farm hauste, hatte, wie er es alljährlich tat, die Sloop gemietet, um die Früchte seiner ländlichen Betriebsamkeit nach Stacket Harbour zu überführen. Mais, Hafer, Weizen, geräuchertes und eingesalzenes Schweinefleisch sowie Ahornzucker bildeten den größeren Teil der Fracht. Der eigentliche Führer des Schiffes war der um den ganzen See herum wohlbekannte Bootsmann Robert Green. Da der alte Burns und sein John mit der Handhabung der Sloop hinreichend vertraut waren, um Bob, der die seemännische Leitung hatte, genügend unterstützen zu können, die Frühlingsstürme aber, die den See von seiner Eisdecke befreit hatten, ausgetobt zu haben schienen, hatten sie weiter keine Schiffer angeworben. Der alte Burns pflegte schon seit Jahren diese Fahrten zu machen, wiederholt hatte ihn auch sein junger Sohn John begleitet und stets war die Reise glücklich verlaufen, bis sie heute von dem furchtbaren Sturm überrascht wurden, der sie völlig aus ihrem Kurse verschlug und schließlich aufs Land warf. Mister Burns war ein stattlicher, kräftiger, großer Mann hoch in seinen Fünfzigern. Den Bootsmann an seiner Seite, ein Goliath an Gestalt, kannten sie überall, sowohl seiner ungewöhnlichen Körperkraft als der Geschicklichkeit und Kühnheit wegen, die er als Schiffer stets bewiesen hatte. Dieser Riese, der wohl über sechs Fuß groß war und wenig mehr als dreißig Jahre zählen mochte, zeigte ein derbes, von Sonne und Wind gebräuntes Gesicht von ehrlichem Ausdruck. Seiner Gestalt und Körperkraft entsprach sein Hunger, den er eben andächtig stillte. John, der ebenfalls kräftig zulangte, schaute sich von Zeit zu Zeit nach dem jungen Indianer um, der regungslos, das Antlitz in den Händen verborgen, noch immer auf dem Vorderdeck saß.

Die beiden Burns hatten ihre Mahlzeit längst beendigt, als Bob noch immer aß. Schließlich wurde auch er satt, und mit einem tiefen Seufzer der Befriedigung legte er sein Messer weg und schob den hölzernen Teller zurück.

„Wenn Mary wüsste, Vater, welcher Gefahr wir ausgesetzt waren, und uns hier an dieser wilden Küste sehen könnte, würde sie sich sehr um uns sorgen.

„Mehr als wahrscheinlich, John. Mein Kind, meine süße Mary“, fuhr mit zärtlichem Ausdruck der alte Mann fort, dessen ganzes Glück, seit der Tod ihm die Gattin geraubt hatte, in seinen beiden Kindern atmete, dem Sohn, der neben ihm saß, und der anmutigen achtzehnjährigen Tochter, die er in der Heimat zurücklassen musste, „ ja, sie würde sich sehr ängstigen. Hoffentlich ist dieser wilde Sturm am Genesee nicht zu spüren gewesen, denn sein Toben hätte ihr gesagt, dass er uns mit Unheil bedrohe. Nun, wir sind fürs erste geborgen. - Was meint Ihr, Bob, werden wir aus dieser Klemme wohlauf wieder herauskommen?“

„Denke so, Master. Allerdings eine böse Überraschung. Die Kunst ist, mit ihr fertig zu werden. Es dürfte, denke ich, am Besten sein, ich nehme die Jolle, segle mit ihr in den nächsten Hafen, was ja wohl Stacket Harbour sein sollte, hole Leute herbei, und wir machen dann die Molly, die sich übrigens, wie Ihr gestehen müsst, gut gehalten hat, wieder flott und gelangen einige Tage später ans Ziel.“

„Und der Mast?“

„Müssen uns mit einer Notstenge behelfen, Master Burns; sind Fichten genug hier, wollen bald eine zurechtzimmern. Fahren damit zwar etwas langsamer dahin, aber kommen doch fort, und nach diesem Sturme haben wir wochenlang glattes Wasser.“

„Aber wo sind wir eigentlich, Bob?“

„Gehe jede Wette ein, dass wir bei den Tausend Inseln sind.“

„Gut, aber sind wir auf französischem oder englischem Gebiet?“

„Hm, Master“, Bob kratzte sich seinen buschigen Kopf, „hier, Master, ist, soviel ich weiß, neutraler Boden; glaube, gehört weder König Georg, noch der französischen Majestät.“

„Es wäre sehr schlimm, wenn wir mit den Franzosen zu tun bekämen; würden nicht sanft mit uns verfahren.“

„Ja, Master, wäre schlimm. Fürchte, würden die Molly als Strandgut ansehen. Sind böse Leute, die Frenchers, und die Kolonie wird der Molly wegen keinen Krieg anfangen.“

„Das macht mich besorgt, Bob.“

„Könnt ruhig sein, Master. Ist eine abgelegene Gegend, kommt selten ein Schiff hierher. Nichts zu holen hier. Die Frenchers hatten im Herbst auch nicht ein einziges Kanonenboot auf dem See, werden im Winter keine gebaut haben. Wird zwar dann und wann von Krieg gemunkelt, werden sich aber wohl hüten, mit uns anzubinden.“

„Wir sind am Genesee den langen Winter hindurch von allem vollständig abgeschnitten, nur selten dringt Kunde zu uns von dem, was in der weiten Welt vorgeht. Hörten zwar, dass die Franzosen sich noch im Herbste im Ohiotal mit den Virginiern herumgeschossen haben, und wie ich jüngst erfuhr, ist vom Niagara aus wieder eine Expedition nach Süden gegangen.“

„Ja, wisst, Master, erheben Anspruch auf das Ohiotal, die Franzosen, geht aber uns hier in Neuyork nichts an, haben Frieden mit den Frenchers. Kümmert sich auch König Georg nicht darum, was die Kolonien in der Wildnis tun.“

„Da wir nicht wissen, auf wessen Grund und Boden wir uns befinden, müssen wir sehr vorsichtig zu Werke gehen, ich möchte meine teure Ladung nicht verlieren. Ihr glaubt also, die Molly kann wieder flott gemacht werden?“

„Werde gleich den Kielraum untersuchen. Sind Rippen und Planken noch fest, so bringen wir sie ab, und wenn sie noch so tief im Sande sitzt.“ Bob stieg hinunter und untersuchte, soweit es die Ladung zuließ, sorgfältig die Bordwände, fand aber nichts, was auf eine Beschädigung hin hätte gedeutet werden können. Er ging wieder an Deck, und man ließ die am Heck befestigte Jolle ins Wasser, worauf Bob und Burns das im Wasser liegende Rückteil des Fahrzeugs umfuhren. Dann untersuchte der Bootsmann am Lande die Bordwände von außen, aber bis auf den abgebrochenen Mast, der nach vorn gefallen war und zwar das Bollwerk eingeschlagen, das Bugspriet aber unverletzt gelassen hatte, zeigte das Schiff keine ernstlichen Beschädigungen. „Wird sich machen lassen, Master“, äußerte hernach Bob, „werden wir hinkriegen. Wird noch lange nicht die alte Molly sein, wird aber bald wieder auf dem Ontario schwimmen. Seid dessen gewiss!“

„Mich beunruhigt es, nicht zu wissen, wo wir uns befinden. Seid Ihr Eurer Tausend Inseln auch sicher?“

‚Nun, wäre nicht unmöglich, dass wir etwas nach Norden zu abgetrieben worden sind. War bei dem Sturme nicht zu berechnen. Müssten dann bei den Edwardinseln sein. Will die Jolle nehmen und uns bald Klarheit darüber verschaffen. Jedenfalls sind wir am Ostende des Sees, und ich muss Hilfe von der Südküste herbeiholen. Was meint Ihr, wollen wir, ehe der Tag sich neigt, die Küste etwas untersuchen?“

„Gut, tun wir das!“

Sie begaben sich zurück an Bord, und auf Burns Anweisung hin wurden wollene Decken und Mundvorrat ins Boot geschafft. Burns steckte einen Taschenkompass ein. Er, wie auch Bob und John, nahmen ihre langen Büchsen mit, und nachdem man den Indianer, der unverändert ohne die geringste Bewegung am Boden saß, aufgefordert hatte, Nahrung zu sich zu nehmen, die man für ihn hinstellte, ließen sie sich in die Jolle hinab.

Der Himmel hatte aufgeklart, und die Sonne strahlte freundlich auf Wald und Wasser nieder, als sie sich jetzt zu ihrer Untersuchungsfahrt anschickten. Anfangs ruderten sie, als aber dann ein leichter Lufthauch spürbar wurde, richtete Bob den Mast auf und entfaltete das Segel. Am Kanal, der sie vom See hereingeführt hatte, entdeckten sie, dass er auch nach der anderen Seite hin weiterführte. Bob saß am Steuer. Sie ließen den See schließlich rechts liegen und segelten weiter. Links abbiegend, immer in einem Kanale langsam zwischen bewaldeten Ufern hinfahrend, fanden sie heraus, dass sie auf einer Insel gelandet waren, der sich offensichtlich andere zugesellten, nach den Kanälen zu urteilen, an denen sie vorüberkamen.

Nachdem klar war, dass die Molly auf einer Insel gestrandet war und der Kanal auf ihrer Nordseite ebenfalls in den Ontario mündete, beschlossen sie, diesen rückwärts zu verfolgen. Sie kehrten um und segelten, von leichtem Windhauch getrieben, tiefer zwischen die Inseln hinein. Bald kamen sie zu einer größeren Wasserfläche, von der nach verschiedenen Richtungen Kanäle zwischen waldigen Ufern ausliefen. Sie kreuzten wiederholt schmalere und breitere Wasserläufe und mussten so die Überzeugung gewinnen, dass sie sich in einer Inselwelt befanden, die aus größeren und kleineren bewaldeten Eilanden bestand.

„Wie ich Euch sagte, Master Burns, es sind die Tausend Inseln, an die uns der Sturm verschlagen hat. Sind weit genug ab von unserem Weg.“

„Du magst recht haben, Bob, dass wir uns da befinden, wo du meinst. Ich habe von diesen Inseln gehört, und zwar ist mir erzählt worden, dass ihr Gewirre oft räuberischem Gesindel, das den See und seine nächste Umgebung unsicher macht, als Schlupfwinkel dienen soll.“

Nach einer Pause entgegnete der Bootsmann: „Hm, ist leider so, Master. Wollte nichts davon sagen, um Euch nicht zu beunruhigen. Alle Wasserpiraten von Kanada und den südlichen Kolonien finden hier in dieser Inselwelt Verstecke, in die ihnen niemand folgen kann.“

„Das ist schlimm, Bob“, entgegnete betroffen der Farmer. „Entdecken sie die Molly, dürfte sie wohl verloren sein und wir mit ihr.“

„Nun, die alte Molly liegt dicht am See, auf der Innenseite der Insel, wo die Spitzbuben wohl am wenigsten nach Beute suchen.“

„Ein Zufall kann leicht dazu führen, sie ihnen vor Augen zu bringen.“

„Ist nicht zu leugnen, Master, und es ist deshalb immer Vorsicht geboten, obgleich man in letzter Zeit nichts von Räubereien gehört hat.“

Langsam segelten sie weiter auf der stillen Wasserfläche, immer tiefer in ein Gewirr von Inseln hinein.

„Kommen Indianer hierher, Bob?“ fragte Burns.

„Werden wohl mitunter auf Fischfang oder Jagd hierher kommen, wenn's auf diesen Eilanden etwas zu jagen gibt. Nördlich hausen die Huronen und südlich die Oneida, Onondaga, Seneca und wie diese roten Brüder sich nennen mögen.“

„Glaubst du, dass wir von denen etwas zu befürchten haben, wenn sie uns entdecken sollten?“

„Glaube nicht, Master, wenn's nicht gerade Raubgesindel ist; es herrscht Friede zwischen den Kolonien und diesen Roten. Denke aber, es ist Zeit, umzukehren; die Sonne sinkt und wir dürften nach eingebrochener Dunkelheit vielleicht vergeblich die Molly suchen.“

„Gut, kehren wir um.“

Sie wendeten das Boot und segelten langsam zurück, die Richtung mit dem Kompass bestimmend. Es war so still und feierlich auf dem ruhigen und klaren Wasser zwischen den schweigenden Wäldern, welche die Inseln bedeckten, dass die drei Männer lautlos zwischen den dunkeln Ufern einher führen, ganz in den Anblick ihrer bezaubernden Umgebung versunken.

Die Inseln waren vorwiegend mit hochstämmigen Fichten und Tannen bedeckt, zwischen denen das erste junge Grün von Laubholz hie und da sich bemerkbar machte. Die Gipfel der Waldesriesen, die sich in den Fluten spiegelten, strahlten im rötlichen Licht des Abends, was die feierliche Erhabenheit des Ganzen noch erhöhte. Geräuschlos glitt das leichte Boot vor dem Lufthauch dahin.

Während sie am Ufer einer Insel hinsegelten, die besonders felsige Ränder zeigte, deutete John plötzlich auf einen im Wasser schwimmenden Gegenstand. Bob hielt darauf zu und man erkannte bald, dass es ein Bootsriemen war, der vor dem Ufer schwamm. Im Vorübertreiben ergriff ihn John und zog ihn ins Fahrzeug. Alle drei betrachteten ihn aufmerksam. Es war ein richtiger Riemen, wie sie die Boote des Ontariosees führten.

„Der hat schon wochenlang im Wasser gelegen“, sagte Bob, Der ist fast ganz vollgesogen. Mich wundert nur, dass er nicht schon auf dem Grunde liegt, um nimmer mehr an der Oberfläche zu erscheinen.“

Es war so, wie der Bootsmann sagte, das Holz war schwer vom eingedrungenen, aufgesogenen Wasser.

„Hier sind Buchstaben eingebrannt“, ergriff John das Wort. Alle drei richteten den Blick auf die Zeichen, die der Jüngling entdeckt hatte. Deutlich zeigten sich zwei Buchstaben: D.R.

Bobs Gesicht wurde sehr ernst, als er die Zeichen erkannte. Burns bemerkte es und fragte? „Was stimmt Euch so bedenklich, Bob?“

„Der Riemen stammt von der Jolle des Duke of Richmond, der vom Ontario verschwand.“

„Wie? Verschwand?“

„Habt Ihr nichts davon gehört?“

Burns verneinte.

„Der Duke of Richmond, die schönste Sloop, die auf dem Ontario einher schwamm, segelte im Oktober von Stacket Harbour ab, auf Oswego zu. Seit dem Tage hat man nichts mehr von ihr gehört. Zwar herrschte am zweiten Tage nach ihrer Ausfahrt Sturm, aber der Duke war ein herrliches Boot und wurde von erfahrenen Schiffern geführt. Es ist wenig wahrscheinlich, dass es von dem Wetter zerschlagen, noch weniger, dass es, wie wir, auf den Strand gelaufen ist, denn man hätte bei den bald nachher angestellten eifrigen Nachforschungen das Wrack oder an Land gespülte Trümmer finden müssen.“

„Wie erklärt Ihr Euch die Sache, Bob?“

„Die Seepiraten haben das Schiff überfallen, die Bemannung getötet und es, nachdem sie es geplündert hatten, wahrscheinlich versenkt. Ist nicht unmöglich, dass es hier zwischen diesen Inseln liegt. Sinkt ein Schiff stehend, kann es lange auf dem Grunde ruhen, ehe eine Planke davon zutage kommt“, sagte der Bootsmann mit gedämpfter Stimme.

„Und Ihr meint, dass dieser Riemen . . .?“

„Zum Duke of Richmond gehörte, Master. Ja, denke so, war auf dem ganzen Ontario kein Schiff mit ähnlichem Namen.“

„Und man hat bisher nichts von dem Schiff aufgefunden?“

„Nichts, Master. Dieser Riemen ist das Erste von dem verschwundenen Schiff, was eines ehrlichen Mannes Auge erblickt. Ist eine schaudervolle Geschichte; weiß jetzt, dass sie abgeschlachtet wurden.“

„Aber woraus schließt Ihr das?“

„Seht, Master, wäre das Schiff untergegangen und hätte sich von ihm nichts über Wasser gehalten als dieser Riemen, so müsste auch der schon längst auf dem Grunde liegen. Der Duke of Richmond“, fuhr Bob fort, „verschwand im Oktober, und jetzt haben wir Mai. Dieses Stück Holz hat aber nicht so lange Zeit im Wasser gelegen, und das beweist, dass es bis vor wenigen Wochen gebraucht worden ist.“

„Aber das lässt doch den Schluss nicht zu, dass der Duke von Seeräubern überfallen worden ist. Konnten nicht auch ehrliche Leute das herumtreibende Ruder auffinden?“

„Kein ehrlicher Mann hier am Ontario hätte gezögert, es sofort zur Anzeige zu bringen, wenn er dieses Stück Holz mit den Initialen „D.R.“ gefunden hätte, selbst die Franzosen hätten nach Oswego Nachricht gesandt. Machte furchtbares Aufsehen damals, das Verschwinden des Duke, wurde ein Preis ausgesetzt auf die Ermittlung seines Verbleibs. Es befand sich der junge Sir Richard Waltham, der Sohn und der einstige Erbe Lord Somersets, an Bord. Nein, Master, dürft's glauben, hier sind die Seepiraten am Werke gewesen! Der Gouverneur hat die Ufer und Wälder, hat diese Inseln absuchen lassen. Kriegsschaluppen und Truppen wie auch die erfahrensten Bootsleute wurden ausgesandt, haben aber nichts gefunden; der Duke war mit Mann und Maus verschwunden. Ich bin überzeugt, die Räuber haben die Jolle mitgeführt und hier zwischen den Inseln benutzt.“

„Dann müssen sich also doch einige von den Schurken hier verborgen halten?“

„Ist nach diesem Fund wahrscheinlich genug, Master; es treiben sich sicher noch einige von dem Gesindel hier herum.“

Die drei im Boote befindlichen Männer, selbst der junge John, waren sehr ernst geworden bei diesen Worten. Die Gründe des Bootsmannes machten es wahrscheinlich genug, dass immer noch die Tätigkeit einer verbrecherischen Bande im Bereiche dieser Inseln andauerte, von der nach Bobs Meinung der aufgefundene Riemen beredtes Zeugnis ablegte.

Langsam trieb das Boot weiter. John, der ein sehr geübter Waldmann war und ein überaus feines Ohr hatte, horchte plötzlich mit allen Zeichen der Überraschung auf.

„Was gibt's, Junge?“ fragte sein Vater.

„Pst! Ruderschläge.“

„Wo?“

„Dort.“ John deutete nach vorn.

Bob, ein kaltblütiger und erfahrener Schiffer, blickte sich bei diesen Worten nach einem Zufluchtsort um, und das Glück wollte es, dass sich dicht vor ihnen an dem Ufer, in dessen Nähe sie segelten, ein Versteck darbot, das durch eine kleine, mit dichten Büschen bewachsene Landzunge, die nach dem Kanal hin vor neugierigen Augen schützte, gebildet wurde. Sofort steuerte der Bootsmann auf die so gebildete Bucht hin.

„Nehmt den Mast ab, John!“ flüsterte er.

Der junge Mann erhob sich, löste das Segel, faltete es geräuschlos zusammen, hob den Mast heraus und legte beides, Mast und Segel, ins Boot. Sie waren dem Lande jetzt so nahe, dass Bob die Büsche ergreifen und, indem er sie fasste, das kleine Boot rasch und geräuschlos hinter die nur wenige Fuß breite Landzunge ziehen konnte. Die Ruderschläge, die bei der Lautlosigkeit, die hier herrschte, weithin vernehmbar waren, wurden jetzt deutlicher hörbar.

Die Jolle befand sich in der kleinen Bucht, nach außen gedeckt durch Buschwerk, während hinter ihr das bewaldete Ufer steil anstieg. Eine Aushöhlung im Gestade gestattete, das Fahrzeug so weit zurückzulegen, dass ein Blick in die Bucht von deren Eingang her es nicht erfassen konnte. Das Boot lag fest an Land und seine drei Insassen griffen schweigend zu ihren Büchsen. Immer näher klangen scharfe Ruderschläge, der Kahn kam auf sie zu. Auf Bobs Wink duckten sie sich nieder, die Waffen zum Schusse bereit. Jetzt drang zu ihren lauschenden Ohren auch der Laut von Stimmen, die bald vernehmlicher wurden. John flüsterte den beiden andern zu: „Ich will an Land, sehen, was sich zuträgt.“

Sein Vater nickte, und der Jüngling kletterte geräuschlos und gewandt wie eine Katze an dem steilen, mit Unterholz bewachsenen Ufer empor, um sich oben unsichtbar nieder zu kauern. Von dort konnte er durch einige Öffnungen zwischen dem Laub der Bäume, welche die Erdzunge bedeckten, einige Stellen des Kanals übersehen, der die Insel umschloss.

Näher kamen die gleichmäßigen Ruderschläge und die Stimmen, und da erschien auch schon das Boot vor dem Auge des lauschenden Jünglings. Es war ein starkes Kielboot, in dem sechs Männer die Ruder führten, während der siebente steuerte. Wilde Gesellen waren es, die das starke Fahrzeug bemannten, und rau klangen ihre Stimmen.

„Der Sturm wird hoffentlich einen gesegneten Strand geschaffen haben, Fellows. Sehne mich, wie ein Baby nach der Milchflasche, nach einer Gallone Rum“, sagte einer.

„Alte Saufgurgel!“ schrie ein zweiter. „Hast erst gestern Abend dein bestes getan, Gott mag wissen, wie viel du hinuntergegossen hast!“

„Ist 'ne Krankheit, Boys, ich sage euch, es ist eine Krankheit, dieser nimmer zu löschende Durst. Gibt keine andere Arznei dafür als echter Jamaika“, erwiderte der erste lachend.

„Deine Krankheit ist schuld“, brummte eine tiefe Stimme, dass unser Vorrat so rasch zur Neige ging. Werde dich nächstens Ontariowasser schlucken lassen, bis du genug hast.“ Es war der Mann am Steuer, der so sprach.

„Wenn ihr genug Rum und Zucker dazu tut, Kapitän, ist mir's recht.“

Dröhnendes Gelächter schallte zu John herauf. Das Boot fuhr an der Stelle, wo die Jolle lag, vorbei. John erhob sich und schlich mit einer Geschicklichkeit und Geräuschlosigkeit in den Uferbüschen hin, die auf ein genaues Vertrautsein mit allen Künsten eines Jägers schließen ließen. Er wollte erspähen, wohin die Kerle im Boot ihren Kurs lenkten. Während er sich im Gesträuch fortbewegte, verlor er das Fahrzeug aus den Augen. Zu seinem Erstaunen verstummten, nachdem er nur eine kurze Strecke zurückgelegt hatte, plötzlich die Ruderschläge, während die Stimmen forttönten. Sie erklangen so nahe, dass der junge Mann sich auf den Boden kauerte und dann wie eine Schlange zu den Lauten kroch.

„Bin neugierig, wie ‚Seine Herrlichkeit’ sich befindet“, sagte der Mann mit der tiefen Stimme.

„Skroop ist ein zärtlicher Wärter, äußerte ein anderer lachend; wird die adlige Puppe wohl gepflegt haben. Kenne ihn, hat ein Herz, weich wie Butter.“

Die wilden Gesellen lachten. Sie mussten dem Klange nach nur wenige Schritte von John entfernt sein. Vorsichtig bog er einige Zweige zurück und blickte mit nicht geringer Überraschung in einen kleinen Hafen, in dem allerhand Kähne lagen. Der Eingang vom Kanal aus war sehr schmal und noch dazu durch ausgedehnte Wurzeln überbrückt, die sich herüber und hinüber erstreckten, mit Erde bedeckt waren und Büsche trugen. Kunst und Natur hatten hier ein geheimes Eingangstor und einen versteckten Hafen geschaffen. John schaute auf die kleine, von steilen Ufern umgebene Wasserfläche; er hatte das Boot und seine Insassen unmittelbar vor sich. Es waren Gewaltmenschen, deren Äußeres wenig Gutes verriet, kräftige Gestalten mit Galgengesichtern; unordentliche, zum Teil zerlumpte Kleidung hatten sie an. Büchsen lagen im Boot, und Messer und Pistolen staken in ihren Gürteln.

Vom Wasser aus führten Stufen, im Erdreich ausgehoben, auf das höher liegende Land. Vor diesen hatte das Fahrzeug, dessen Vorderteil mit einigen kleinen Ballen, Fässern und Säcken beladen war, angelegt.

Der Mann, der das Steuer geführt hatte, augenscheinlich der Anführer der Gesellen, befahl einigen der Leute, die Fässer und gefüllten Säcke aufzunehmen und an Land zu bringen, das hierauf alle betraten, während sie das Boot, leicht vertäut, achtlos liegen ließen.

Die Männer, die dem Befehle folgend, Ballen und Kisten auf ihre Schultern geladen hatten, schritten, einen engen Fußpfad benützend, einer hinter dem anderen in den Wald hinein. Erst jetzt, als sie auf dem Lande erschienen, sah man ganz die banditenmäßige Ausstattung der Leute. Schmutzige und zerrissene Jagdhemden oder Jacken, wie Seeleute sie zu tragen pflegen, bedeckten ihre Schultern, Mützen oder breitrandige Filzhüte das Haupt, das bei den meisten von langem, wirren Haar umwallt war, und die sonnverbrannten Gesichter, die längere Zeit keine Rasur erlebt hatten, wurden von nahe betrachtet auch nicht vertrauenerweckender. Einige trugen hohe Stiefel, andere indianische Mokassins an den Füßen, alle aber hatten Messer oder Hirschfänger und Pistolen im Gürtel und Büchsen auf der Schulter. Schwatzend und lachend schritten sie durch den Wald. Englische Laute mischten sich mit französischen. Ihnen nach schlich John in einiger Entfernung durch die Büsche.

Nach einigen hundert Schritten betraten die Männer eine Rodung, in deren Mitte ein mit Palisaden umgebenes Blockhaus stand, das von großer Festigkeit zeugte.

„Hallo!“ schrie ihr Anführer. „Skroop, Wasserratte, wo steckst du? Besuch kommt.“

Auf diesen lauten Ruf hin, öffnete sich eine Tür in den Palisaden, und ein breitschultriger alter Mann mit einem Stelzfuß humpelte heraus.

„Kommt ihr endlich, Hollins!“ sagte der Alte in mürrischem Tone. „Habt lange genug warten lassen. Habe die Geschichte überhaupt satt. Setzt einen anderen hierher, um das Jüngelchen zu bewachen, oder noch besser, dreht ihm das Genick um! Ich hab’ es satt.“

„Gemach, gemach, mein guter Skroop!“ entgegnete der mit Hollins angeredete Mann. „Reg dich ab! Konnten nicht früher kommen. Hier ist Rum, ist Tabak, sind andere gute Dinge.“ Er wies auf die Pakete und Fässer, die die Leute auf den Schultern trugen. „Das wird das Gleichgewicht deiner Seele wieder ins Lot bringen.“

„Goddam, habe es satt, hier das Kindermädchen zu spielen!“ brummte der Stelzfuß.

„Wie befindet sich Mylord?“

„Der Affe sitzt den ganzen Tag da, ohne ein Wort zu sprechen.“

Und das ist dir sehr unangenehm; kann ich mir denken. Nun, vorwärts Leute, bringt die Sachen hinein! Wir bleiben die Nacht hier. Will Mylord gleich meine Aufwartung machen. - Skroop, sorge für heißes Wasser! Müssen eine Herzstärkung haben, der durstige Bill verschmachtet sonst.“

Lachend schlurften die Gesellen hinter die Palisaden.

John, der all diese Vorgänge sehr betroffen beobachtet hatte, trat jetzt schleunigst den Rückzug an, denn es begann dunkel zu werden. In wenigen Minuten erreichte er die Stelle, wo die Jolle lag, in der sein Vater und Bob erwartungsvoll seiner Wiederkehr harrten, und glitt flugs in das Boot hinein. Er erzählte den erstaunt aufhorchenden Männern, was er gesehen und gehört hatte.

Es verschlug ihnen die Sprache. Keiner wusste zunächst einen Rat. Bob sagte dann nur: „Fort jetzt, Master! Können später die Angelegenheit bekakeln.“

Burns nickte, und der Bootsmann zog die Jolle an den Zweigen vorwärts, bis sie aus der kleinen Bucht in den Kanal glitt. Dort richtete er den Bug nach der Seite, wo ihr Weg lag, und gab dem kleinen Fahrzeug einen solch gewaltigen Stoß, dass es wohl hundert Schritt vorwärts getrieben wurde. Alle drei saßen schweigend und lauschend da. Noch war es hell genug, die Kanäle zu erkennen.

Bob, der fürchtete, ein weithin hörbarer Ruderschlag möchte ihnen zum Verhängnis werden, griff wieder zu dem Mittel, das Boot an niederhängenden Zweigen entlang zu ziehen, bis sie eine andere Insel hinter sich hatten. Er ließ das Boot so treiben und meinte leise: „Das sind recht sonderbare Dinge, die Ihr uns da erzählt, John. Meint Ihr nicht auch, Master?“

„Verdächtig genug“, entgegnete dieser.

„Ein Blockhaus dort und ein Gefangener drin, ein Lord? Sehr sonderbar!“

„Wird also wohl stimmen, Bob, mit den Seepiraten, und John hat ihr Nest aufgestöbert.“

„Hm, ist eine gefährliche Sache! Hätte große Lust, den Burschen die Boote zu kapern, damit sie den Robinson dort markieren können.“

„Ich fürchte, das würde wenig nützen, denn es sollte mich wundern, wenn diese Burschen hier herum nicht noch mehr Verstecke hätten, und die Kanäle sind leicht zu durchschwimmen.“

„Hätte trotz alledem, wie gesagt, große Lust, es zu versuchen.“

„Man würde die Burschen nur darauf aufmerksam machen, dass Menschen in der Nähe sind, und sie so erst recht auf unsere Spur bringen.“

„Mögt nicht unrecht haben, Master, aber wäre doch ein Hauptspaß. Zu unseren Büchsen noch drei gute andere, dann könnten wir ihnen schön einheizen.“

Das Boot war langsam ans Ufer getrieben, während sie so sprachen. Über das Wasser, von der Seeseite her, drangen wiederum Rudergeräusche an ihr Ohr. Sie horchten angespannt. Der taktmäßige Schall wurde immer lauter. Bob zog das Boot unter die überhängenden Äste der Uferbäume, wo es bei der hereingebrochenen Dunkelheit von der Wasserseite her vollständig unsichtbar scheinen musste. Atemlos lauschten sie unablässig.

Eine Jolle, wie die ihre, schwamm heran. Zwei Männer saßen darin, von denen nur einer die Riemen bewegte. Dicht vor ihrem Versteck hielt der Kahn. Es war gerade noch zu erkennen, dass der im Stern Sitzende einen dreieckigen Hut und einen Kapottmantel trug, während der andere wie ein Matrose ausstaffiert war. „Der Teufel, Sir Edmund, mag in einer solchen Dunkelheit die Insel finden! Ich vermag sie selbst bei Tage nur schwer auszumachen. In der Nähe sollte sie sein, aber bei dieser Beleuchtung sieht eine Insel doch wie die andere aus. Hätte uns der Sturm nicht genötigt, an Land zu gehen, wären wir längst hier.“

„Sperr’ deine Kalbsaugen auf, Bursche!“ ließ sich eine helle, scharfe, noch jugendlich klingende Stimme vernehmen. „Die Insel ist leicht am felsigen Uferrand zu erkennen. Du hast das Boot zu weit nach rechts laufen lassen.“ „Mag sein. Bei Nacht, ohne alle Zeichen, kann ich den richtigen Kurs nicht halten.“

„Wende, und fahre in den Kanal dort links!“

„Gut, Sir Edmund, wollen's versuchen! Ist indes zweifelhaft, ob Ihr Hollins hier antrefft.“

„Das ist nicht deine Sache. Vorwärts!“

Der Matrose setzte die Ruder ein und wendete das Boot, das bald in der Dunkelheit verschwand, während sich das Geräusch der an die Dollen anschlagenden Riemen noch längere Zeit hören ließ.

Schweigend hatten die drei gelauscht und still horchten sie auf die fernen Ruderschläge, bis diese endlich verhallt waren.

„Das ist ein merkwürdiges Treiben innerhalb dieser so abgelegenen und einsamen Inseln“, äußerte Burns.

„Treibt der Teufel sein Spiel hier“, brummte Bob. „Ich wünschte, die alte Molly schwämme wieder auf dem Ontario. Wäre besser für uns. Denke, wir wollen jetzt die Sloop suchen.“

„Hoffst du, sie in der Dunkelheit zu finden?“

„Vermute so. Wenn ich nur genau wüsste, wo Nord wäre! Kann den Polarstern nicht sehen, und die Kompassnadel wird bei dieser Finsternis nicht zu erkennen sein. Ist noch ein Glück, dass der klare Himmel sich im Wasser spiegelt, müssten sonst bis zum Morgengrauen warten.“ Er schob das Boot vorsichtig unter den Ästen hervor, und es erwies sich zu seiner Freude, dass das Sternenlicht erlaubte, die Richtung der Magnetnadel zu erkennen.

Da sie das Geräusch der Ruder fürchteten, setzten sie vorsichtig den Mast wieder ein und entfalteten das Segel. Der leichte Wind trieb sie rasch und lautlos durch das Inselgewirr, bis sie zwei Stunden später glücklich bei ihrem gestrandeten Schiff anlangten. Sie befestigten das Boot und betraten das Deck.

John ging nach vorn und fand den Indianer noch auf dem Boden sitzend, so wie er ihn verlassen hatte. Die Speisen vor sich hatte die Rothaut nicht angerührt. „Der junge Krieger ist traurig“, sagte John in teilnehmendem Ton zu ihm, „aber er muss seinen Schmerz bekämpfen.“

Darauf erhob sich der Wilde, schritt auf den Jüngling zu, fasste dessen Hand und legte sie auf sein Herz, einige indianische Worte hierzu murmelnd, die John nicht verstand.

Dieser lud ihn durch eine freundliche Handbewegung ein, ihm nach der Kajüte zu folgen, in der Burns und Bob, nachdem sie sorgfältig die kleinen Luken verhängt, Licht angezündet hatten. Er betrat mit dem jungen Indianer den engen Raum. Dieser ging auf Burns zu, neigte vor ihm das Haupt, dieselbe Bewegung, wie vorhin John gegenüber, von einigen Worten in der Sprache seines Volkes begleitet.

„Was will er, Bob? Verstehst du, was er sagt?“

„Er dankt für die Hilfe, die ihm zuteil geworden ist. Ich habe übrigens einen Plan, Master: die Rothaut kann auf Deck Wache halten. Solch ein Bursche hat ein Gehör wie ein Luchs, Augen wie ein Falke und eine Nase wie ein Schweißhund. Denke, können ihm das Deck anvertrauen, denn gut wird's immer sein, wenn einer da oben seine Augen offen hat. Können dann ruhiger schlafen. Wird uns gut tun, nach einem solchen Tage, eine Mütze voll Schlaf.“ Und in der Sprache der Seneca fuhr er fort: „Mein junger Bruder spricht nicht die Sprache der Inglis?“

„Die Händler, die durch die Wälder ziehen, und die Brüder von Herrnhut sprachen sie vor seinem Ohr; er versteht, doch er hat nicht Übung zu sprechen“, kam es verständlich zurück.

„Das ist gut. Der junge Krieger ist ein Seneca?“

„Nicht Seneca.“

„Aber er versteht ihre Sprache?“

„Er versteht sie.“

„Gut. - Es sind Feinde in der Nähe.“

Des Indianers Augen funkelten glühenden Kohlen gleich und richteten sich auf die Büchsen der Männer.

Bob bemerkte den Blick und sagte: „Ja, die sind gut gegen Feinde, Junge. Kann der rote Mann schießen?“

Der Indianer trat vor, ergriff eine der Büchsen und riss sie mit einer Hurtigkeit und Sicherheit an die Wange, mit dem Auge über den Lauf hinwegblitzend, dass seine Kenntnis im Gebrauch einer Büchse nicht mehr zweifelhaft sein konnte.

„ Ja, ja, Rothaut, ich sehe, du verstehst dich darauf.“

Der junge Wilde setzte die Waffe ab.

„Wird mein Bruder Wache halten, während wir schlafen, und uns wecken, wenn die Sonne kommt?“

Der Indianer verstand, was Bob sagte, legte die Hand aufs Herz und neigte zustimmend das Haupt.

„Wie nennt sich mein junger Bruder? Er hat doch schon einen Namen?“

„Ni-kun-thas - Falkenschwinge.“

„Oh, Nikunthas - Falkenschwingel Gut. Nikunthas wird diese Büchse brauchen“ - er reichte ihm seine geladene Waffe - „und Wache halten.“

Der Indianer nahm das dargebotene Gewehr und fragte: „Wer sind die Feinde?“

„Nun, Räubergesindel, das uns die Kehlen abschneiden will.“

„Sind die Krieger der Kanadas deine Feinde?“

„Ja, die auch. Hoffentlich bist du den Irokesen nicht hold.“

„Sie sind Hunde“, entgegnete der junge Wilde mit einem Gesichtsausdruck, der grimmigen Hass verriet, „die Irokesen und Wiwis.“

„Ganz meine Meinung, wenn du mit den Wiwis die Franzosen meinst.“

„Ihn meinen.“

Dieses Zwiegespräch wurde halb englisch, halb indianisch geführt.

John nahm ein Jagdhemd vom Nagel und gab es dem Jüngling mit den Worten: „Will unser roter Freund nicht dieses Gewand über die Schultern werfen?“

Der Indianer nahm es dankend an, bedeckte seinen nackten Oberkörper damit und schritt dann hinauf an Deck.

„Er wird schon um sich schauen und lauschen, der rote Bursche. Dankbar sind diese Leute für empfangene Wohltaten, und wir haben ihm das Leben gerettet.“

„Ich glaube auch“, äußerte der alte Burns, „dass man dem jungen Menschen vertrauen kann. Ich habe schon allerlei Bekanntschaft mit den roten Leuten gemacht und bin, so oft ich friedlich mit ihnen zusammentraf, gut mit ihnen ausgekommen.“

„Ja“, meinte Bob, „nur muss man diese roten Burschen - kann die ganze Rasse nicht leiden - nicht mit dem Skalpmesser in der Hand sehen wie ich. Es ist eine so mitleidslose, grausame, blutdürstige Bande, dass ich keine Träne drum weinen würde, wenn man sie vertilgte wie grobes Raubzeug.“

„Sie führen in erbarmungsloser Weise Krieg; auch ich habe es erfahren, aber ebenso, dass sie gute Eigenschaften besitzen. Bemerkenswert ist übrigens der Hass des jungen Mannes auf Irokesen und Franzosen; er wird doch wohl zu den sechs Stämmen gehören. Doch jetzt lasst uns Ruhe suchen, damit wir morgen Kraft haben, das Notwendige zu tun, um uns aus dieser Lage zu befreien!“

Sie suchten ihre Lager auf und bald verkündeten tiefe, regelmäßige Atemzüge, dass sie ruhig schliefen.

Mehrmals indessen erhob sich der alte Burns in der Nacht und begab sich an Deck, sah den Indianer, in seiner Ruhe einer Bildsäule gleich, stets wachsam am Bollwerk stehen, schattenhaft nur wahrnehmbar. Kurz vor Sonnenaufgang stand er wieder auf und weckte die beiden anderen. Gleich darauf öffnete der Indianer die Kajütentür und lugte herein, kehrte aber sofort an Deck zurück, als er seine Gastfreunde munter erblickte.

Rasch bereitete John Kaffee in der kleinen Kombüse, dann wurde das Feuer sorgfältig gelöscht. Schweigend frühstückten sie.

„Nun lasst uns Kriegsrat halten!“ sagte Burns. „Ich habe keinen Zweifel, dass die Burschen, die wir gesehen haben, zu der Bande gehören, die den See mit ihren Räubereien unsicher macht, und dass John einen ihrer Schlupfwinkel entdeckt hat.“

„Bestimmt, Master; sind welche von den Mordhunden, die den Ontario und die Küste mit Blut beflecken.“

„Was meinst du zu dem Gefangenen, von dem die Leute sprachen?“