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Nonduales Heilen - Medizin zwischen Energie und Materie Chronische Erkrankungen, psychosomatische Beschwerden, diffuse Schmerzsyndrome und Autoimmunerkrankungen gehören inzwischen zu den häufigsten Beschwerden der Industrienationen. Energiemangel durch Dauerstress führt zu multiplen Belastungsstörungen, denen die orthodoxe Medizin kaum wirksame Therapien entgegen zu setzen hat. Der Heilpraktiker und Therapieentwickler Jürgen Vollmann nimmt die Leserinnen und Leser mit auf eine Reise durch die menschlichen Daseinsebenen und erläutert die Ursachen komplexer Erkrankungen. Anhand zahlreicher Praxisbeispiele beschreibt er das von ihm entwickelte revolutionäre System des Nondualen Heilens, das vorurteilsfrei moderne wissenschaftliche Erkenntnisse und traditionelles Heilwissen zu einem einzigartigen Therapiesystem verbindet. Ein Buch voller Wissen und Weisheit, das eine neue Perspektive zur Behandlung typischer Belastungssymptome und Erkrankungen des neuen Jahrtausends aufzeigt.
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Seitenzahl: 607
Veröffentlichungsjahr: 2021
Jürgen Vollmann
Nonduales Heilen
Der unvermeidliche Haftungsausschluss
Es sollte sich eigentlich von selbst verstehen, dass es nicht ausreicht, nur auf Grundlagen eines Fachbuches therapeutisch tätig zu werden. Es ist auch nicht angenehm, ein Buch mit einem Haftungsausschluss zu beginnen. In einer Zeit, in der Nachbarn wegen Gartenzwergen vor Gericht gezerrt und überall juristische Fallstricke geknüpft werden, ist ein Haftungsausschluss im Rahmen eines Fachbuches aber leider unvermeidlich. Deshalb sei an dieser Stelle betont: die vorgestellten Methoden des Nondualen Heilens wurden vom Autor sorgsam entwickelt und erprobt. Sie entsprechen aber nicht den geltenden Anerkennungskriterien des derzeit gültigen wissenschaftlichen Paradigmas und können somit keine Behandlung durch medizinisch ausgebildetes Fachpersonal ersetzen. Die beschriebenen Techniken müssen vor Ausübung unbedingt im Rahmen einer zertifizierten Ausbildung erlernt werden und sind ausdrücklich nicht für eine autodidaktische Anwendung geeignet. Wer die Techniken des Nondualen Heilens dennoch auf eigene Faust ausübt, tut dies gänzlich auf eigene Verantwortung. Für durch missbräuchliche Anwendung entstandene Schäden übernimmt der Autor keinerlei Haftung.
© 2021 Jürgen Vollmann
Umschlaggestaltung und Illustrationen: Lowmansland, Scheeßel
Verlag und Druck: tredition GmbH, Halenreihe 40-44, 22359 Hamburg
ISBN Paperback: 978-3-347-42112-7
ISBN Hardcover: 978-3-347-42113-4
ISBN e-Book: 978-3-347-42114-1
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung. Der Name der in diesem Buch vorgestellten SmilingSounds®-Techniken ist markenrechtlich geschützt. Im Verlauf des Buches wird auf das Markenzeichen verzichtet.
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Jürgen Vollmann
Nonduales Heilen
Medizin zwischen Energie und Materie
Inhalt
Einleitende Worte
Teil 1: Grundlagen des Nondualen Heilen
1.Wege der Heilung
Ein erhellender Unfall
Fluch und Segen
Nichts geht mehr
Eine Rose, die verblühte
Der Koloss von Rhodos
2.Mensch und Kosmos
Wie kommt der Mensch ins Universum?
Gemacht aus Sternenstaub - die materialistische Sicht
Kein Milchshake ohne Supernova
Pure Energie - die meditative Sicht
3.Einführung in das Nonduale Heilen
Das Zusammenspiel materialistischer und meditativer Forschung
Die 9 Daseins-Ebenen - Die geistige Grundlage des Nondualen Heilens
Die 9 Ebenen im Kurzüberblick
Der Eintritt in die Dualität und die 2 universellen Wirkkräfte
Die Wirkkraft Wachstum
Die Wirkkraft Integration
Die Balance der beiden Wirkkräfte und die Gefahr vorzeitigen Zerfalls
Ruhelosigkeit - ein Rückschritt der Evolution?
4.Die Bedeutung von Stress als Ursache von Krankheit
Der Stressreiz und die erste Reaktion darauf
Der direkte Weg über den Sympathikus
Der indirekte Weg - die Hormonkaskade
Die gesundheitlichen Auswirkungen von Dauerstress
Positiver Stress - ein populäres Missverständnis
Die 5 Stresskategorien
Der Unterschied zwischen Emotion und Emotionsstress
Die Beschreibung der 5 Stress-Kategorien und deren Zuordnungen
Tabelle der 5 Stress - Kategorien und deren Zuordnungen
5.Kampf oder Symbiose?
Krankheit kommt von innen
Gesund oder krank? - Überleben unter Bescheidwissern
6.Die 9 Ebenen und ihre Bedeutung für Gesundheit und Krankheit
Die 9.Ebene: Aura
Pose statt Inhalt
Die Entmystifizierung der Mystik
Aurasichtigkeit
Kunstgriff Schutz-Aura
Wie entsteht die Aura?
Die 8.Ebene: Körper
Die Energie des Körpers und der atmosphärische Druck
Wohngemeinschaft Mensch
Die hilfreiche Unterteilung der 9 Ebenen im Behandlungsprozess
Die körperliche Ebene behandeln
Harmonie in der Wohngemeinschaft – Nonduale Grundregulation
Die 7.Ebene: Körperenergie
Das energetische Verbindungsareal (EVA)
Richtig gepolt – die elektromagnetische Ordnung
Falsch gepolt – wenn die Energie abhanden kommt
Die Nonduale Ordnungstherapie und die Energieübertragung
Die 6.Ebene: Gedanken
Die Beschaffenheit der Gedanken und die Gestaltung des Lebens
Alles logisch, oder? – Die Hilflosigkeit der Ratio
Wenn Gedanken krank machen – der Nocebo-Effekt
Do-it-yourself-Voodoo
Gedanken werden zu Materie
Das Sixpack-Infernale – die sechs hartnäckigsten Lösungsblockaden
Die 5.Ebene: Emotionen
Den Emotionen auf der Spur
Belastende Emotionen verabschieden – der direkte Weg
Die emotionale Ebene heilen
Die 4. Ebene: Konditionierung
Der freie Mensch – eine Illusion?
Das Dickicht durchdringen - die 3 Grundkonditionierungen
Die Grundkonditionierungen und die Sehnsucht nach Einordnung
Rohentwurf Mensch
Die heilige Wunde
Die Überlebensreaktion des Kindes
Fühlen, Denken, Handeln – die 3 elementaren Grundenergien des Menschen
Die Entstehung der persönlichen Trance
Der sichere Hafen
Die Silhouette eines Typs
Drei Grundkonditionierungen - drei Wahrnehmungswelten
Anhaften an der typbedingten Trance
Hab‘ mich bitte lieb! – Die Silhouette des Gefühlstyps
Lasst mich doch alle in Ruhe! – Die Silhouette des Denktyps
Nützt ja nichts, da muss ich durch! – Die Silhouette des Handlungstyps
Die Grundkonditionierung erkennen
Der Sonderfall – überlagerte Silhouetten
Stagnation – die Macht der Trance
Selbstsabotage und Interaktion der drei Typen
Wachstum oder vorzeitiger Zerfall
Typspezifische Erkrankungen
Aus sicherem Hafen in die Welt – die Grundkonditionierung überwinden
Die typspezifische Motivation
Der typspezifische Entwicklungsbereich und seine Energie
Fühlen – die Entwicklungsenergie des Handlungstyps
Handeln – die Entwicklungsenergie des Denktyps
Denken – die Entwicklungsenergie des Gefühlstyps
Ein Schritt in die Freiheit – Leben ohne Grundkonditionierung
Geduld im Veränderungsprozess
Die 3. Ebene: Intuition
Wer lenkt?
Ausgelöschte junge Leben
Von der Konditionierung zur Intuition
Jenseits der Grundkonditionierung
Intuition und Instinkt
Intuition besiegt die Hydra
Die 2. Ebene: Eigenes Wesen
Ein inneres Rufen
Annäherung an die ICH-Konstruktion
Die neuro-anatomische ICH-Konstruktion
Botschaften aus dem Theta-Land
Die ICH-Illusion und ihr Kampf mit sich selbst
Die menschliche Natur und das eigene Wesen
Was Erleuchtung wirklich ist
Behinderungen auf dem Weg zum eigenen Wesen
Die Behinderung des eigenen Wesens durch Übertragungsstress
Übertragungsstress bei der Zeugung
Übertragungsstress bezüglich der archaischen Ordnung
Übertragungsstress durch die Mutter
Übertragungsstress durch den Vater
Das eigene Wesen des Heilers
Die 1. Ebene: Das Nonduale
Die Overheadprojektor-Analogie
Schatten an der Wand
Praktische Hilfen
Teil 2: Die Praxis des Nondualen Heilens
Ewigkeit und Zeitweiligkeit
In den eigenen Spuren zurückgehen
7.Die Qualifikation des Heilers
Heilen - Berufung oder Job?
Eignungsvoraussetzungen für die Ausbildung im Nondualen Heilen und der Ehrenkodex
8.Die Vorbereitung des Heilers
Die 7 Kriterien
9.Die Energie des Heilers
Heilende Hände
Den Körper mit Energie füllen
Energie im Körper leiten
10.Die praktischen Anwendungen
Heiler oder Coach?
Das Erstgespräch
Tonglen
Der Behandlungskompass
Der Behandlungskompass in der Anwendung
Die Techniken des Nondualen Heilens
11.Die Behandlungstechniken
Heilung der 5.Ebene (Emotionen)
Heilung der 6.Ebene (Gedanken)
Heilung der 7.Ebene (Körper-Energie)
Heilung der 8.Ebene (Körper)
Heilung der 4.Ebene (Konditionierung)
Heilung der 3.Ebene (Intuition)
Heilung der 9.Ebene (Aura)
Heilung der 2.Ebene (Eigenes Wesen)
Begegnung mit dem Nondualen (1.Ebene)
Die Techniken des Nondualen Heilens im Überblick
Behandlungsdauer und Grenzen der Methode
Eine neue Volksmedizin für das energetische Zeitalter
Schlusswort und Dank
Zum Autor
Literatur
Einleitende Worte
„Ich werde einen Weg finden oder einen bahnen!“
Diese sinngemäß aus dem Lateinischen übersetzte Antwort soll Hannibal seinen Generälen gegeben haben, als diese ihm erklärten, es sei unmöglich, die Alpen mit Elefanten zu überqueren. Ich finde, dieser Satz beschreibt treffend die Situationen, die ich tagtäglich in meiner Praxis erlebe. Und das in zweifacher Hinsicht. Zum einen trifft er auf die Mehrheit meiner Patienten zu, die sich mit komplexen Erkrankungen an mich wenden. Ihre Beschwerden sind meist chronischer Natur und sie haben bereits eine Odyssee durch zahlreiche Arztpraxen und diverse therapeutische Einrichtungen hinter sich, ohne eine dauerhafte Besserung oder gar Heilung erfahren zu haben. In der Regel wird ihr jahrelanger Leidensweg zudem von abenteuerlichen Medikamenten-Mixturen begleitet, die zusätzliche Probleme auslösen. Ich treffe dabei auf Menschen, die mit beeindruckender Ausdauer alles versucht haben, um gesund zu werden. Sie haben aber keinen Weg gefunden und landen dann bei mir, meistens auf Empfehlung. Sie suchen mich in meiner Praxis auf, weil sie von irgendwelchen ungewöhnlichen Methoden hörten, die Freunden, Nachbarn oder Verwandten gut geholfen haben. Oft empfinde ich mich dabei als letzte Hoffnung und die drängende Erwartung, doch noch einen Weg zur Heilung zu finden schwingt bereits beim Erstgespräch im Raum.
Hannibals Ausspruch trifft aber auch auf mich selbst zu. Ich sitze beim Erstgespräch einem Menschen gegenüber, der Hoffnung, Unsicherheit, Erschöpfung, Skepsis oder eine komplexe Mischung aus allem ausstrahlt. In der Regel haben bereits einige Therapeuten mit gängigen oder ausgefallenen Methoden vergeblich versucht einen Weg zur Heilung zu finden und ich soll nun einen solchen aufzeigen. Darüber will ich mich keinesfalls beschweren, denn ich liebe meinen Beruf, den ich als Berufung empfinde, mag diese Herausforderungen sehr und betrachte es als meine Aufgabe, auch vermeintlich aussichtslose Fälle nach bestem Vermögen zu behandeln. Ich sitze zunächst da, höre aufmerksam zu und lerne. Ich versuche heraus zu finden, welches menschliche Gesamtkunstwerk vor mir sitzt und auf welchen Ebenen die geschilderten Probleme wirklich angesiedelt sind. Während dieses Prozesses des Zuhörens und Empfindens bildet sich eine Atmosphäre im Raum, die ich als gemeinsames energetisches Feld bezeichne. Hat sich dieses Feld gebildet, erhalte ich erste wertvolle Hinweise auf Ursachen, Zusammenhänge und die geeignete Behandlungsebene. Im Laufe der Jahre habe ich gelernt, auf diesen Prozess immer mehr zu vertrauen, wodurch sich mein Empfinden verfeinerte und es mir möglich wurde, direkter und effizienter zu arbeiten. Dieser Vorgang des empathischen Zuhörens, Empfindens, Zwischen-den-Zeilen-Lesens und intuitiven Empfangens ist dann am erfolgreichsten, wenn ich mir nicht einbilde, selbst die Heilung bewirken zu können. Bei genauerer Betrachtung bin nicht ich es, der Heilung bewirken kann. Ich bin allenfalls ein trainierter Assistent dessen, das durch alle unsere Daseinsebenen wirkt und so schwer in Worten auszudrücken ist.
Menschen haben zu allen Zeiten versucht, dafür Begriffe zu finden, nannten es Großen Geist, Ewigkeit, Leere, Nullebene oder Urgrund. Glaubt man den Überlieferungen, sprach Jesus von Gott dem Vater und Laotse nannte es das Dao – allerdings einschränkend darauf hinweisend, dass das Dao, welches benannt werden könne, nicht das Dao sei. Laotses Bemerkung trifft genau den Punkt und weist auf die Begrenztheit von Sprache hin. Sobald wir einen Begriff kreieren, bildet unser Gehirn Vorstellungen und innere Manifestationen aus. So wurde etwa der Gottesbegriff im Laufe der Jahrhunderte von den diversen Religionen und jeweiligen kulturellen Einflüssen derart mit Bedeutung aufgeladen, dass sich bei Benutzung höchst unterschiedliche innere Bilder manifestieren. Der ursprüngliche Versuch, mit dem Wort Gott das Unaussprechliche zu bezeichnen - nach meiner Überzeugung Jesus‘ Intention - ist dadurch unkenntlich geworden und führte zu Missverständnissen, Streitigkeiten und bis in die heutige Zeit zu kriegerischen Auseinandersetzungen. Wir müssen also ganz schön aufpassen, wenn wir ein Wort für etwas finden wollen, das nicht richtig zu benennen ist. Und wenn wir es doch tun, sollten wir es möglichst genau definieren.
Ich nenne das Unaussprechliche, das durch alles Wahrnehmbare wirkt, das Nonduale. Ich habe den Begriff gewählt, weil er eine Verneinung beinhaltet. Durch die Verneinungsform lässt sich besser umschreiben, dass es dabei nicht um etwas geht, das fassbar wäre. Außerdem passt der Begriff auch auf das von mir angestrebte oben beschriebene gemeinsame Feld mit meinen Patienten. Nondual kann auch als „nicht Zwei“ übersetzt werden und ist in diesem Sinn so zu verstehen, dass in meiner Praxis nicht der wissende Heiler und der unwissende Patient auf verschiedenen Seiten sitzen. Gerade bei komplexen, auf verschiedenen Ebenen wirkenden Erkrankungen kann Heilung nur gelingen, wenn Patient und Heiler in einem gemeinsamen Feld zusammenarbeiten, in dem das Nonduale ungestört wirken kann.
Der Begriff „Nondual“ stammt nicht von mir. Er ist mir erstmals während der Beschäftigung mit Dzogchen begegnet. Dzogchen ist eine uralte tibetische Meditationsmethode zur Großen Vollkommenheit - so die wörtliche Übersetzung - und ein sehr direkter Weg zur Erleuchtung, bzw. zur Einswerdung mit dem Nondualen. Wenn ich in diesem Buch die Grundlagen des Nondualen Heilens erläutere, möchte ich betonen, dass bei allen Anwendungen und Zuwendungen, die Patienten erfahren, das Nonduale die Regie führt. Als Heiler bin ich lediglich der Regieassistent. Als Autor dieses Buches übrigens auch.
Noch eine Begriffserläuterung: ich nutze in diesem Buch den Begriff Heiler synonym für alle im Heilwesen tätigen Menschen beiderlei Geschlechts. Damit gemeint sind also gleichermaßen Therapeuten und Therapeutinnen jeglicher Fakultät, Ärztinnen, Heilpraktiker, Physiotherapeutinnen, Psychotherapeuten, Krankenschwestern, Geistheiler, Schamaninnen, Gesundheitspraktiker, Coaches, Bioenergetiker oder auch talentierte Laien. Mein eigener Weg zur Medizin war alles andere als linear und es war mir immer wichtig, vorurteilsfrei und offen den unterschiedlichen medizinischen Auffassungen und Traditionen zu begegnen. Mit dieser Haltung durfte ich wirkungsvolle Könner und Künstler unterschiedlichster Kulturen kennen lernen. Dabei waren sowohl äußerst fähige, mit allen Weihen und akademischen Titeln versehene Ärzte, die einfach einen Segen für Ihre Patienten darstellten, als auch im Stillen wirkende Heiler, die ohne herkömmliche Ausbildungen fantastische Erfolge erzielten. Ich lernte von versierten Praktikern, die mit geringstem Aufwand äußerst effektiv behandelten und staunte über Heilkünstler unterschiedlicher Kulturen und deren Methoden. In all den Jahren meines eigenen Weges des Lernens und Verstehens wurde mir dabei deutlich, dass alle wirklich fähigen Heiler unabhängig von Werdegang, Ausbildungsgrad oder Titeln folgende Eigenschaften besitzen: sehr viel Energie, aufrichtige Empathie, Redlichkeit, geduldige Ruhe, Mut und tiefe Bescheidenheit. Sind diese Eigenschaften vorhanden, kann das Nonduale bestens wirken.
Das Nonduale Heilen, wie ich es in diesem Buch beschreibe, ist die Essenz der Erfahrungen in meinem Praxisalltag, die ich bis heute sammeln durfte. Über einen Zeitraum von fünfzehn Jahren bildete sich, angeregt durch Patienten, allmählich die Absicht bei mir aus, eine umfassende Heilmethode zu entwickeln, die der heutigen Lebenssituation gerecht wird.
Unser Leben im sogenannten Westen wird seit Jahren immer hochtouriger und dieses Tempo wird zunehmend in die restliche Welt exportiert. Wir nennen das dann Globalisierung und die Propagandisten dieser Entwicklung bezeichnen selbige gerne als alternativlos. Ich persönlich kenne nichts, das alternativlos wäre und beobachte die deutlichen Folgen dieser Entwicklung: der tägliche Stress erhöht sich permanent und die Menschen, die in meiner Praxis erscheinen, sind zunehmend erschöpft und ausgelaugt. Stress ist mittlerweile zur Normalität geworden und im Kielwasser von Reizüberflutung, Hektik, Ungeduld und Hyperaktivität entwickeln sich neuartige Stresserkrankungen, für die es in der herkömmlichen von Pharmazie und Apparaten dominierten Medizin kaum Behandlungsmöglichkeiten gibt. Diffuse Beschwerden ohne wirklichen Befund sind mittlerweile an der Tagesordnung und überforderte Hausärzte verschreiben dann allzu schnell Psychopharmaka und Psychotherapie oder überweisen an Fachärzte, die der Lage ähnlich ratlos gegenüber stehen. Ich behandelte einige ausgebrannte Ärzte, die ihre eigene Ratlosigkeit unumwunden zugaben und auch bei Fachkollegen keine Hilfe gefunden hatten.
Da die gängigen Psychotherapien aus meiner Sicht ohnehin veraltet und für die neuartigen Stresserkrankungen untauglich sind, rutschen betroffene Patienten unnötiger Weise in psychiatrische Karrieren hinein, die sie erst recht zermürben. Im Laufe meiner Praxistätigkeit sind mir zahlreiche Patienten begegnet, die mehrere Psychotherapien über etliche Jahre hinweg hinter sich hatten, ohne eine Lösung für ihre Beschwerden gefunden zu haben. Sie kennen sich meistens sehr genau in ihrem Problem aus, haben auch gelernt, die Zusammenhänge zu erkennen, aber es geht ihnen nicht besser.
Der diesbezüglich traurigste Fall betraf eine Patientin, die seit vierundzwanzig Jahren in psychotherapeutischer Behandlung bei sechs verschiedenen Therapeuten war. Dazu kamen noch zwei psychosomatische Kuren, sowie etliche Besuche von Selbsterfahrungsgruppen. Ihr Problem wurde einfach auf der falschen Ebene mit völlig antiquierten Methoden behandelt. Wir arbeiteten auf der für sie passenden Ebene und hatten binnen fünf Sitzungen ihre alten „Dämonen“ dauerhaft verabschiedet.
Die Kunst des Heilers liegt darin, die passende Behandlungsebene zu finden. Gerade die etablierten Therapien von Schulmedizin und Schulpsychologie sind für die modernen Stresserkrankungen vollkommen ungeeignet. Sie kommen mir vor wie der Versuch, Wind mit einem Schmetterlingsnetz einfangen zu wollen. Da braucht es feinere Maschen.
Noch besser ist: man legt das Netz gleich ganz beiseite und versucht den Wind zu verstehen.
Im ersten Teil dieses Buches benenne ich neun Daseinsebenen des Menschen. Behandle ich auf der falschen Ebene wird sich allenfalls eine temporäre Besserung, aber keinesfalls eine dauerhafte Heilung einstellen. Vielleicht fühlt sich der Patient zunächst besser. Wird aber die passende Behandlungsebene nicht erkannt, werden die Probleme wieder zurückkommen - meistens bedrängender als vorher, oft in Form von Symptom-Verschiebungen. Oder die Betroffenen bilden Kompensationsverhalten aus, welche dann zu neuen komplizierten Belastungssymptomen führen können. Das sind dann lediglich Belastungs-Varianten, die von derselben, noch nicht erkannten Ursache hervorgerufen werden.
Im zweiten Teil des Buches geht es um die passenden Behandlungsmethoden für jede Ebene. Ich habe im Laufe der Jahre für jede Daseinsebene geeignete Methoden ausgesucht, angepasst, kombiniert oder neu entwickelt und immer wieder verfeinert. Diese stelle ich im zweiten Teil vor, unterlegt von authentischen Behandlungsbeispielen aus meiner Praxis.
Hassendorf, im Sommer 2021
Teil 1
Grundlagen des Nondualen Heilens
1.Kapitel: Wege der Heilung
Ein erhellender Unfall
In meiner Jugend interessierte ich mich so ziemlich für alles. Für alles, mit Ausnahme des Schulunterrichtes. Ich besuchte ein altehrwürdiges Gymnasium, bei dem neben dem Lehrstoff auch der Dünkel des Besonderen in täglichen Dosen verabreicht wurde. Während Kumpels aus meiner Fußballmannschaft schon frühmorgens an der Werkbank standen und ihre Handwerkerlehren absolvierten, saß ich die meiste Zeit gelangweilt auf viel zu kleinen Stühlen im Unterricht und fragte nach dem Sinn des Ganzen. Ich verstand überhaupt nicht, warum eine gymnasiale Schullaufbahn gesellschaftlich betrachtet höherwertiger sein sollte als eine Handwerksausbildung oder irgendein anderer Beruf. Für mich gehörte alles zusammen, war gleichwertig und das elitäre Gehabe mancher Lehrer ging mir ziemlich auf die Nerven. Den angebotenen Lehrstoff empfand ich zwar als nicht besonders schwer zu erlernen, aber größtenteils als sinnlos. Alles schien in Stein gemeißelt - erwiesene Wahrheiten, die der brave Schüler nur zu lernen und wiederzugeben hatte. Eigenständigkeit und kritisches Denken waren nicht gefragt, schon gar nicht, wenn es den Lehrstoff betraf.
Einmal geriet ich diesbezüglich in einen Disput mit meinem Mathematiklehrer. Wir nahmen die Potenzrechnung durch und ich war der Meinung, dass daran etwas nicht stimmen könne. In der Mathematik ist es bekanntlich so, dass bei jeder Potenzierung der Zahl Null das Ergebnis immer Eins ist. Ich fragte also meinen Lehrer, wie es sein könne, dass die Potenz von NICHTS ETWAS ergeben könne. Ich erhielt einen inquisitorischen Blick, der den Ketzer brandmarken sollte, sowie die lapidare Antwort, das sei eben in der Mathematik so und ich solle den Mund halten.
Er erklärte mir nicht, dass die Mathematik auf Abmachungen beruhte und ohne die Axiome das ganze mathematische Konzept nicht funktionieren könne. Er erklärte mir auch nicht, dass die Mathematik nur ein Hilfsmittel ist, um die Welt modellhaft erklären zu können und keine unumstößliche Wahrheit darstellt. Er erklärte mir das alles nicht, weil er es wahrscheinlich selbst nicht wusste und nur weitergab, was er selbst brav erlernt hatte, ohne es zu hinterfragen.
Als dermaßen ausgebremster Schüler packte mich bei solchen Antworten immer die Wut, die sich bei mir nicht nach außen, sondern nach innen entlud. Da das genannte Beispiel leider kein Einzelfall war, traf mein erwachender jugendlicher Geist auf sich täglich wiederholende stumpfe Abfragerituale, die mich ständig gegen die Wand laufen ließen. Gezwungenermaßen in Strukturen gepresst, die ich als sinnlos empfand wuchs meine innere Renitenz. Ich war der klassische Underachiever - ein Begriff aus der Lernforschung - der leistungsmäßig unter seinen Möglichkeiten bleibt, weil seine Begabung nicht in die angebotenen Strukturen passt. Die meiste Zeit saß ich grollend im Unterricht und improvisierte mich durch die letzten Schuljahre und schließlich durchs Abitur. Erst Jahre später wurde mir bewusst, wie stark diese innere Wut meine Jugend begleitet hatte und auch mein weiteres Leben prägte.
An einem Freitag fuhr ich nach Schulschluss auf meinem alten Mofa nach Hause. Für mich war das immer der beste Moment, wenn ich wieder eine Schulwoche hinter mir lassen konnte. Längst hatte sich mein Interesse auf außerschulische Aktivitäten verlagert. Für Sport jeglicher Art konnte ich mich sehr begeistern, vorrangig spielte ich intensiv Fußball. Ich knatterte also frohen Mutes nach Hause und freute mich schon auf das abendliche Abschlusstraining zur Vorbereitung auf ein wichtiges Spiel, das am Sonntag stattfinden sollte. Auf halber Strecke schoss plötzlich ein Auto aus einer Hofeinfahrt heraus. Das geschah so unerwartet, dass ich nicht ausweichen konnte und ich knallte mit meinem rechten Schienbein gegen die Stoßstange des Wagens. Damals besaßen Autos noch schöne hartverchromte Stoßstangen, was dazu führte, dass sich die gesamte Aufprallenergie in meinem rechten Bein entlud. Ich stürzte, mein Bein tat augenblicklich höllisch weh, aber ich hatte nur einen Gedanken im Kopf: ich kann am Sonntag nicht spielen! Der erschrockene Autofahrer bot mir sofort an, mich zum Arzt zu fahren, aber ich winkte nur ab, murmelte etwas von „nicht so schlimm“, setzte mich auf mein Mofa und fuhr weiter. Außer Sichtweite hielt ich an und untersuchte mein Bein. Das Horn der Stoßstange hatte sich zwischen Schien- und Wadenbein eingegraben und dort einen imposanten Abdruck hinterlassen. Ich versuchte meinen Fuß zu bewegen, was unter starken Schmerzen gelang. Intuitiv wusste ich, dass nichts gebrochen war, aber das war nur ein schwacher Trost. Das Spiel am Sonntag konnte ich abhaken.
Dann kam die Wut. So stark, wie der Schmerz in meinem Bein pochte, so bahnte sich die Wut in Oberkörper und Kopf ihren Weg. Ich war wütend auf den Autofahrer, aber nicht minder auf mich selbst, weil es mir nicht gelungen war, auszuweichen. Ich war aber auch wütend auf alles andere, auf die Schule, das Leben, die Umstände, die mich immer wieder ausbremsten. Ich saß am Straßenrand und kochte innerlich. In dieser Verfassung verharrte ich einige Minuten, doch irgendwann kam eine entscheidende Wende: auf dem Siedepunkt meiner Wut kippte plötzlich meine Stimmung des Lamentierens und ich entschloss mich, alles zu unternehmen, um am Sonntag spielen zu können. Damals wusste ich noch nicht, dass die konstruktive Schwester von Wut Entschlossenheit heißt, aber in diesem Moment lernte ich es.
Der Schmerz wummerte stetig ansteigend in meinem Bein, doch ich fuhr die restlichen fünf Kilometer nach Hause. Vor meiner Mutter spielte ich die Sache herunter, denn ich wusste, dass dann Arztbesuch und Röntgen anstanden. Das wollte ich auf keinen Fall und ich verzog mich in mein Zimmer, untersuchte mein inzwischen stark geschwollenes Bein, versuchte es zu kühlen, alles vergebens: bis zum Abend verstärkte sich der Schmerz weiter in Richtung Fuß und Knie und machte diese unbeweglich. Ich besaß damals schon eine gewisse Erfahrung mit Sportverletzungen. Im Umgang mit einer Bänderdehnung, Prellung etc. wendete ich immer intuitiv folgende Technik an: ich legte mich still auf mein Bett, bewegte mich absolut nicht und fühlte in die betroffene Körperpartie hinein. Ich versuchte den Übergang von gesundem zu verletztem Gewebe zu erfühlen und begann dann, den verletzten Teil langsam aufzulösen und zu normalisieren, indem ich mich Stück für Stück hinein fühlte. Mit Hilfe dieser Methode heilten meine Sportverletzungen stets sehr schnell ab. Mit derselben Technik machte ich mich daran, mein Bein zu heilen. Gleichzeitig stellte ich mir vor, wie ich am Sonntagmorgen zum Spiel einlief.
Doch am Samstagmorgen war alles noch schlimmer geworden. Mein Unterschenkel schimmerte in allen Regenbogenfarben und der Schmerz war kaum auszuhalten. Das war ernüchternd. Realistisch betrachtet, war mein Bein mindestens zwei Wochen nicht einsatzbereit. Der Zweifel versuchte die Oberhand zu gewinnen und ich bemerkte, wie parallel der Schmerz weiter zunahm. Entschlossen widerstand ich der Versuchung mich meinem Schicksal zu ergeben und arbeitete verbissen mit meiner Technik an der Heilung. Außerdem holte ich mir immer wieder das innere Bild vor Augen, das mich beim Fußballspielen am Sonntag zeigte. Den ganzen Samstag verbrachte ich auf diese Weise, doch der Erfolg meiner Bemühungen war marginal. Ich konnte mein Bein unterhalb des Kniegelenks nicht bewegen, der Schmerz verringerte sich nicht und am Abend hatte ich keinen Fortschritt erzielt. Dennoch blieb ich bei meiner Haltung, denn ich hatte ja noch eine Nacht, um das Problem in den Griff zu bekommen.
Um vier Uhr morgens wachte ich dann auf und versuchte durch mein Zimmer zu gehen. Es ging nicht, die Schmerzen waren immer noch zu stark. Das Spiel sollte um 10.00 Uhr stattfinden. Keine Chance. Jetzt gab ich auf. Enttäuscht legte ich mich wieder schlafen und fand mich schweren Herzens mit der Tatsache ab, dass ich das Spiel verpassen würde.
Dann kam die Überraschung. Als ich um 8.00 Uhr aufwachte, war der Schmerz weg! Mein Bein kribbelte und fühlte sich noch etwas taub an, aber ich konnte alles bewegen. Um 10.00 Uhr trat ich zum Spiel an und konnte das ganze Match bestreiten.
Auch heute, über fünfundvierzig Jahre später, ist der geschilderte Ablauf in meiner Erinnerung präsent geblieben. Ich habe damals zwei entscheidende Hinweise für mein Leben erhalten. Der erste Hinweis lautete: Gib niemals auf! Niemals, auch nicht in aussichtslosen Situationen! Kämpfe und gib dein Bestes! Der zweite Hinweis lautete: Gib auf! Wenn Du wirklich alles unter größter Bemühung getan hast, dann gib auf! Wie dieses Paradoxon verstanden werden kann, werde ich in diesem Buch erläutern.
Fluch und Segen
Zehn Jahre später lag mein bis dahin gelebtes Leben in Trümmern. Ich hatte mich nach einigen Jahren an der Universität ernüchtert gegen eine akademische Laufbahn entschieden und wollte stattdessen meine Vorstellungen eines eigenständigen Lebens verwirklichen. Dafür zog ich aus dem Landkreis Offenbach, wo ich aufgewachsen war, nach Norddeutschland. Dort suchte ich den Kontakt zu alten Handwerkstechniken und arbeitete in dieser Periode auch für ein halbes Jahr bei einem Reetdachdecker. Die körperlichen Anforderungen in diesem alten Handwerk sind sehr hoch, doch in der allabendlichen Erschöpfung fühlte ich mich deutlich besser als in all den Jahren an Schule und Uni. Ich hatte erstmals das Gefühl, etwas Sinnvolles zu tun, war den ganzen Tag in Wind und Wetter und empfand mich sehr verbunden mit der Natur. Ein archaisches Lebensgefühl entwickelte sich.
Da ich schon immer schnell lernte - am liebsten autodidaktisch - konnte ich mir zahlreiche alte Handwerke zügig aneignen. Ich las alte Fachbücher, befragte betagte Handwerker, schaute zu, dachte mich in die Zusammenhänge hinein und war nach relativ kurzer Zeit in der Lage, ein Wohnhaus komplett selbst zu entwerfen, zu berechnen und zu bauen. Genau darin sah ich meine Zukunft. Eigenständig Fachwerkhäuser zu entwerfen und selbst zu errichten. Es gelang mir, die ersten Aufträge an Land zu ziehen. Dabei ging es zunächst um Sanierungen alter Häuser. Ich führte den letzten dieser Aufträge zu Ende und wollte danach für ein Jahr zurück in meinen Heimatort, um für meine Eltern ein Haus zu bauen.
Dann überschlugen sich die Ereignisse. Während ich den letzten Auftrag abarbeitete und bereits die Vorkehrungen für meinen erneuten Ortswechsel getroffen waren, lernte ich meine Frau Birgit kennen. Sie wohnte in diesem Haus, das ich sanierte. Birgit hatte damals ihr Studium unterbrochen, um ihre Mutter zu pflegen, die an Krebs erkrankt war. Wir hatten beide sehr schnell das Gefühl zusammen zu gehören und dieses Gefühl hat sich während der letzten vier Jahrzehnte stetig vertieft. Damals wurde unsere junge Liebe jedoch von Komplikationen überschattet. Birgit war sehr traurig bezüglich des Gesundheitszustands ihrer Mutter und ich empfand mich auf einmal in einer inneren Zerrissenheit, da meine Abreise und der Hausbau meiner Eltern unmittelbar bevorstanden.
Inmitten dieser bewegenden Phase verunglückte mein ältester Freund bei einem Motorradunfall. Als ich an seinem Grab stand, war ich innerlich erstarrt und konnte nichts empfinden außer dieser altbekannten Wut. Wir hatten unsere gesamte Schulzeit und Jugend miteinander verbracht und unsere tiefe Freundschaft war auch nach meinem Umzug erhalten geblieben. Ich stand mit geballten Fäusten am Sarg, unfähig, meine Trauer auszudrücken. Mit dieser Emotion konnte ich ganz und gar nicht umgehen. Womit ich mich allerdings auskannte, war der Umgang mit Wut. Mit äußerster Entschlossenheit trieb ich den Hausbau meiner Eltern voran. Gemeinsam mit zwei Freunden baute ich das Haus innerhalb eines Jahres. Meine Kraft war beim Hausbau, mein Herz jedoch in Norddeutschland bei Birgit. Wir sahen uns während dieses Jahres kaum, Birgit hatte mit ihrer Mutter zu tun und mir lag daran, den Bau so schnell wie möglich fertig zu stellen. Während der Bauzeit verstarb dann Birgits Mutter, ein weiterer Tiefschlag. Ich benötigte noch einige Monate bis zur Fertigstellung. Danach wollten wir uns in Norddeutschland einen Platz für unser gemeinsames Leben suchen. Ich hatte auch schon einen Auftrag für ein komplettes Fachwerkhaus, sodass unser geplanter gemeinsamer Start gesichert schien. Unmittelbar, nachdem das Haus für meine Eltern fertiggestellt war, zogen Birgit und ich mit Unimog und Bauwagen gen Norden an die Schlei. Dort mieteten wir uns auf einem Bauernhof in der Nähe des Grundstücks ein, auf dem das neue Projekt errichtet werden sollte. Die Pläne dafür hatte ich schon Monate zuvor gezeichnet und den Bauantrag in die Wege geleitet. Es konnte also losgehen.
Doch es ging nicht los, denn, wie ich dann erfuhr, war die Finanzierung noch nicht ganz in trockenen Tüchern. Wir mussten warten. Mein neuer Auftrag war ein Familienprojekt, das zwei Brüder für ihre Mutter realisieren wollten. Einen Bruder kannte ich gut, er hatte den Auftrag vermittelt. Den anderen sollte ich kennen lernen, allerdings anders als erwartet. Dieser Bruder hatte die Finanzierung übernommen, da er angeblich sehr gut verdiente und auch über entsprechende Kontakte verfügte. Wir warteten also geduldig auf den Startschuss, Woche um Woche, Monat für Monat, einen ganzen Winter hindurch. Birgit hatte ihr Studium abgebrochen, damit wir nach der langen Trennungszeit zusammen sein konnten und nun saßen wir ausgebremst an der winterlichen Schlei und wurden allmählich skeptisch. Außerdem ging unser Erspartes langsam zur Neige, doch seitens der Bauherren wurde uns immer wieder versichert, dass unser Warten bald ein Ende haben würde.
Das traf auch zu, aber wiederum anders als erwartet, denn der nächste Schock kam zügig. Birgit erhielt einen Telefonanruf. Ihr Vater war plötzlich und unerwartet verstorben. Sie hatte also binnen kurzer Zeit Mutter und Vater verloren und ich meinen besten Freund. Ich denke, dass ich nicht beschreiben muss, wie wir uns fühlten. Doch es ging noch weiter. Kurz darauf wurden wir mitten in der Nacht von der Polizei geweckt und sofort einem Verhör zugeführt. Es stellte sich heraus, dass besagter Bruder die Finanzierung des Hauses durch die Produktion von Falschgeld sicherstellen wollte. In dieser Nacht fielen alle unsere Pläne wie ein Kartenhaus zusammen. Birgit und ich waren traumatisiert, vollkommen pleite und in akutem Stress. Bei mir bestimmte abermals meine alte Freundin, die Wut, das Geschehen. Jede Faser meines Körpers fühlte sich an wie unter Strom, denn ich war gezwungen, sofort eine Lösung zu finden, um uns aus unserer prekären Lage zu befreien. Wir hatten absolut kein Geld mehr und so verscherbelte ich meinen Unimog, den Bauwagen und den größten Teil meines Werkzeugs. Ich kaufte einen uralten Golf, in dem wir unsere Habseligkeiten und den Rest meines Werkzeugs luden. Drei Tage nach dem Polizeiverhör fuhren Birgit und ich damit in Richtung Frankfurt. Dort kannte ich einen Architekten, für den ich kleinere Aufträge erledigen konnte. Mit dem Erlös aus dem Verkauf meines alten Unimogs konnten wir Kaution und Miete für eine Dachgeschosswohnung aufbringen. Dort saßen wir seelisch erschöpft und betrachteten die Trümmer unserer gemeinsamen Pläne.
Überanstrengt, traumatisiert und desillusioniert überlegten wir, wie wir dieser Negativspirale entrinnen und der Misere etwas entgegen setzen konnten. Bei so viel erlebtem Tod und zerbrochenen Plänen entschlossen wir uns, zu heiraten und ein Kind zu zeugen. Das mag für Außenstehende schwer verständlich klingen, aber für Birgit und mich war das die genau richtige Entscheidung und veränderte unseren Fokus. Neues Leben, neues Wachstum sollte entstehen nach so viel Niedergang und Zerfall. Optimistisch hofften wir, dadurch dem Negativsog entrinnen und in ein kraftvolles gemeinsames Leben starten zu können. Dafür war ich bereit, alles zu unternehmen, was in meiner Kraft stand. Tagsüber arbeitete ich die Aufträge ab, die ich über den befreundeten Architekten erhielt. Nachts fuhr ich zusätzlich Zeitungen aus. Die Doppelbelastung machte mir nichts aus, so glaubte ich damals, und ich war froh, mich nach all den Monaten des Wartens auspowern und wieder Geld verdienen zu können. Außerdem wollten Birgit und ich so schnell wie möglich wieder nach Norddeutschland ziehen, um irgendwie an unsere alten Lebensvorstellungen anzuknüpfen.
Doch die nächste Katastrophe ließ nicht lange auf sich warten. Auf einer Baustelle trat ich in einen Nagel. Ich hatte, von meinem nächtlichen Zweitjob kommend, in der Eile vergessen, meine Schuhe zu wechseln. Turnschuhe sind auf Baustellen keine wirklich gute Idee und der Nagel hatte leichtes Spiel. Ich ignorierte den Schmerz, da hatte ich schon Anderes ausgehalten. Außerdem verließ ich mich auf meine guten Heilkräfte und arbeitete weiter. In den nächsten Tagen schwoll der Fuß jedoch verdächtig an, wurde heiß und rot – eindeutige Zeichen einer Entzündung. Eines Morgens konnte ich nicht mehr auftreten. Es half nichts, ich fuhr direkt zur Notaufnahme ins nächste Krankenhaus. Wie erwartet, wurde eine Entzündung diagnostiziert und ich sollte für einige Tage zur Behandlung in der Klinik bleiben. Widerwillig stimmte ich zu. Was ich in den kommenden Wochen erlebte, hat meinen Blick auf die Schulmedizin und deren Protagonisten entscheidend geprägt.
Ich kam in ein Zweibettzimmer. Zeitgleich wurde ein älterer Mann mit starken Bauchschmerzen eingeliefert. Der verantwortliche Stationsarzt betrachtete meinen Fuß und sagte wörtlich: „Das ist eine Entzündung. Ich bin Kamille-Fan. Damit bekommen wir das schnell wieder hin!“ Okay, dachte ich, dann ist das ja wohl nicht so schlimm. Während sich die Krankenschwester an meinem Fuß zu schaffen machte und einen mit Kamille getränkten Verband anlegte, plante ich schon die Abläufe für die nächsten Aufträge, denn ich wollte so schnell wie möglich meine Arbeit wieder aufnehmen.
In den folgenden Tagen passierte nichts, außer dass der Verband einmal täglich gewechselt wurde und mein Bettnachbar Tag und Nacht vor Schmerzen stöhnte. Doch der Mann wurde schlichtweg nicht beachtet. Nach drei Tagen hatte ihn noch kein Arzt untersucht. Die tägliche Visite fand unter Führung eines sagenhaft arroganten Oberarztes statt - in dessen Gefolge auch der stets freundlich lächelnde Kamille-Fan. Sie rauschten äußerst wichtigtuerisch durch unser Zimmer, mehr passierte nicht. Mein Bettnachbar hatte wirklich sehr starke Bauchschmerzen und bei der Visite am vierten Tag nahm er allen Mut zusammen, sprang aus dem Bett, zog seinen Schlafanzug hoch, baute sich vor dem Oberarzt auf und forderte: „So, Herr Doktor, jetzt schauen Sie sich endlich mal meinen Bauch an!“. Die Reaktion des Oberarztes war so unglaublich, dass ich selbst heute noch fassungslos darüber bin. Der Arzt schrie meinen Bettnachbarn an: „Was fällt Ihnen ein? Legen Sie sich sofort wieder ins Bett. Ich führe meine Station so wie ich es für richtig halte!“. Danach rauschte er mit wehenden Rockschößen hinaus, sein Gefolge trottelte hinterher. Mein Bettnachbar sank resignierend in die Kissen. Sein couragierter Auftritt hatte aber immerhin bewirkt, dass der Kamille-Fan sich noch am gleichen Tag zu einer Untersuchung bereit fand. Es stellte sich heraus, dass mein Zimmerkollege eine Blinddarmentzündung hatte, die bereits im perforierten Stadium war, was eine dann sofort durchgeführte Operation ergab.
Ich lag an diesem vierten Tag zunehmend zweifelnd in meinem Bett und ahnte, dass sich mein eigenes Problem nicht bessern würde. An diesem Tag wurde nicht einmal der Verband gewechselt und die Entzündung tobte intensiv in meinem Fuß. Außerdem verlor ich allmählich meine Power und Zuversicht. Am nächsten Tag fragte ich die Krankenschwester nach einer anderen Behandlungsmethode. Daraufhin kam der Kamille-Fan und bat freundlich um Geduld, seine Behandlung werde schon anschlagen. In den nächsten zwei Tagen wurde ich zunehmend apathisch. In den wachen Phasen machte ich mir ernsthafte Sorgen, denn schließlich war Birgit schwanger und unser ohnehin dünner Existenzfaden hing an meiner Einsatzfähigkeit. Als Selbstständiger arbeitete ich ohne Netz und doppelten Boden - der Preis für das eigenständige Leben, das ich gewählt hatte. Am siebten Tag übernahm Birgit die Initiative und bestand energisch darauf, sofort die Klinik zu verlassen. Sie hatte einen niedergelassenen Chirurgen ausfindig gemacht, der sich meinen Fuß anschauen wollte. Ich entließ mich selbst und wir fuhren direkt in die chirurgische Praxis. Dieser Arzt war eiskalt und ohne jegliche Empathie. Aber er untersuchte mich sehr genau. Er betrachtete und betastete aufmerksam meinen Fuß und veranlasste sofort ein Röntgenbild. Nach all den Tagen wurde nun mein Fuß erstmalig geröntgt. Das Ergebnis war niederschmetternd. Kühl bedeutete mir der Arzt, dass da nichts mehr zu retten sei und der Vorderfuß amputiert werden müsse.
Ich war so geschockt, dass ich kein Wort herausbrachte. Birgit ging es nicht anders, aber sie fing sich und fragte den Arzt eindringlich, ob es denn wirklich keine Alternative gäbe. Dieser schüttelte den Kopf und sagte, die Entzündung sei zu weit fortgeschritten. Birgit ließ nicht locker. Irgendwann sagte der Chirurg: „Wenn das einer schaffen kann, dann der Chefarzt der Frankfurter Unfallklinik.“
Noch am selben Tag bezog ich dort mein Zimmer. Der dortige leitende Arzt besaß ein menschliches Format und eine Empathie, die mich mein Leben lang rührte und die ein Richtmaß für meine eigene therapeutische Laufbahn setzte. Geduldig sprach er mit mir und erklärte mir die Komplexität des Falles. Der Nagel war in das Grundgelenk eines Zehs eingedrungen. Die Entzündung war so weit fortgeschritten, dass das Gelenk nicht mehr zu retten war und die bis dato übliche Standardbehandlung sah eine Amputation des Vorderfußes vor. Insofern hatte der niedergelassene Chirurg die Lage richtig eingeschätzt. Er selbst sähe allerdings die Möglichkeit, den Fuß zu erhalten. Er habe vor, das befallene Gelenk zunächst zu entfernen. Dann beabsichtige er, eine Penicillinkette in die Wunde zu legen und auf diese Weise die Ausbreitung der Entzündung zu stoppen.
Birgit empfand Erleichterung. Ich nicht. Ich konnte in diesem Moment den fundamentalen Unterschied zwischen dem Verlust eines Vorderfußes und dem eines Zehengelenkes nicht erfassen. Ich wusste nur, dass ich unters Messer musste und einen für mich wichtigen Körperteil verlieren würde. Schließlich war ich immer Sportler gewesen und brauchte außerdem einen intakten Körper für meine Lebensvorstellungen. Ich drohte lange auszufallen und das mit einer schwangeren Frau und ohne jegliche berufliche und finanzielle Absicherung. Schwer deprimiert willigte ich in die Operation ein. Die Operation gelang vorzüglich und ich bin diesem Arzt auf ewig dankbar. Damals jedoch überwogen Niedergeschlagenheit und Mutlosigkeit. Mein Selbstbild des kraftvollen, unbeugsamen jungen Mannes war nun endgültig zerbröselt und ich gab innerlich auf. Das war einfach zu viel gewesen. Als ich die Klinik verlassen konnte, war an Arbeiten nicht zu denken. Ich hatte auch meine Motivation verloren, gewöhnte mir eine Schonhaltung an und tat mir die meiste Zeit selbst leid. Mein Fuß heilte auch nicht wirklich gut, ich konnte nicht auftreten und obwohl mir der grandiose Arzt riet, den Fuß sofort trotz Schmerzen zu belasten, tat ich es nicht. Ich suhlte mich in meinem Leid. Wann der Umschwung kam, kann ich heute nicht mehr so genau sagen. Es hatte damit zu tun, dass unser Kind in Birgits Bauch heranwuchs und ich mich irgendwann selbst zum Kotzen fand. Ich legte den Schalter um, begann mich entschlossen zu bewegen und mein Körper reagierte positiv auf diese Entscheidung. Ich ging durch den Schmerz hindurch und wurde täglich beweglicher und schließlich schmerzfrei.
In diesem Erlebnis hatte ich Fluch und Segen der herkömmlichen Medizin am eigenen Leib zu spüren bekommen. Da war die kaum auszuhaltende Arroganz des Oberarztes, die kein Patient dieser Welt brauchen kann. Da gab es die dilettantische Fahrlässigkeit des Kamille-Fans, der besser einen anderen Beruf ergriffen hätte. Der präzise, aber bis ans Herz kalte Chirurg, der die rettende Alternative, die er selbst nicht beherrschte, erst nach Insistieren meiner Frau preisgab, rundete das Negativbild ab. Doch schließlich war da der wunderbare Unfallchirurg, der den Patienten im Mittelpunkt seiner Arbeit sah und in seiner Persönlichkeitsbildung als bestens geeignete Blaupause für alle Ärzte dieser Welt dienen kann. Ein Heiler, wie ihn sich Patienten wünschen. Was ich damals erlebte, bildete ein Spektrum ab, das Patienten im Rahmen schulmedizinischer Behandlungen bis heute erfahren - vielleicht mehr denn je. Die technischen Möglichkeiten und Voraussetzungen gerade bei der Behandlung von Unfällen, akuten Erkrankungen und die Notfallversorgung waren nie besser. Aber bei komplexen, diffusen, chronischen Erkrankungen, bei denen es um empathische Geduld, Phantasie, Beharrlichkeit und die Fähigkeit geht, sich ausgiebig Zeit zunehmen, um das Problem zu verstehen - wie sieht es da aus? Meine Patienten schildern sehr oft ähnliche Situationen, wie ich sie damals vor fast vierzig Jahren erlebt habe und beklagen ärztliche Arroganz, Abfertigungsmentalität, fehlende Bereitschaft zuzuhören oder auch schlecht kaschierte Ahnungslosigkeit.
Meine geschilderten Erlebnisse sind nicht einem Hollywooddrama entnommen, sondern authentisch. Auch hierbei ging es wie im ersten Beispiel um Aufgeben und Nicht-Aufgeben. Das Aufgeben während und nach meinem Klinikaufenthalt geschah zum falschen Zeitpunkt. Letztlich haben mein Aufbäumen, mein Nicht-Aufgeben und mein Annehmen der Schwierigkeit zur Lösung und zur Ausheilung geführt. Mit dem Aufgeben und Nicht-Aufgeben ist es also gar nicht so einfach. Es kommt auf das Timing an und es geht auch um etwas Anderes, das ich im weiteren Verlauf des Buches erklären werde.
Nichts geht mehr
Als ich Anfang vierzig war, beschlich mich das diffuse Gefühl einer erneut bevorstehenden Zäsur. Birgit war inzwischen Grundschullehrerin und ich hatte eine Baufirma für Ökohäuser aufgebaut. Wir hatten mittlerweile zwei wunderbare Söhne und waren glücklich miteinander. Wie gewohnt arbeitete ich sehr viel, hatte einige Mitarbeiter eingestellt und mein Unternehmen prosperierte. Außerdem übte ich Bogenschießen als Leistungssport aus, gemeinsam mit meinen Söhnen. Es gab keinen erkennbaren Grund um unzufrieden zu sein und daher ignorierte ich das bereits erwähnte diffuse Gefühl einer bevorstehenden Zäsur. Schließlich hatte ich ja auch jede Menge Verpflichtungen gegenüber meinen Mitarbeitern, den Kunden und der finanzierenden Bank zu erfüllen. Da konnte ich es mir nicht leisten, auf innere Zeichen zu hören. So dachte ich jedenfalls. Außerdem hielt ich mich inzwischen auch wieder für unzerstörbar, beschäftigte mich mit Zen-Buddhismus und glaubte, mir durch die Meditationen ein Polster mentaler Ausgeglichenheit und innerer Reserve angeeignet zu haben, so dass ich eventuellen Schwierigkeiten locker würde trotzen können.
In dieser Phase ließ ich mich auf den Vorschlag meiner Bank ein, meine Bautätigkeiten auszuweiten und mehrere Projekte gleichzeitig in Angriff zu nehmen. Das war ein entscheidender strategischer Fehler, wie sich recht bald herausstellen sollte. Bis dahin war ich betont vorsichtig vorgegangen und hatte stets nur jeweils ein Projekt selbst finanziert und nach Fertigstellung verkauft. Das war eine ruhige und recht sichere Vorgehensweise. Doch nun hatte ich entschieden, mehrere Projekte gleichzeitig zu bauen und benötigte dafür zusätzliche Mitarbeiter. Der Markt schien das alles ja zu ermöglichen, so die Prognose.
An dem Tag, als in New York die Türme des World Trade Centers in sich zusammenfielen, begann auch der Niedergang meines Unternehmens. Schlagartig war eine derartige Unsicherheit im Markt, dass in meinem Segment nichts mehr ging. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich acht Wohnhäuser im Bau, fand aber plötzlich keine Käufer mehr. Ich war gezwungen, die neuen Häuser zu vermieten, was ich zuvor niemals erwogen hatte. Gleichzeitig erhöhte sich mein Stresslevel. Zur sattsam bekannten Wut gesellte sich nun auch erstmals nackte Angst. Angst um unsere Existenz, aber auch um die Existenz meiner langjährigen Mitarbeiter. Außerdem absolvierte mein ältester Sohn eine Zimmermannslehre in meinem Betrieb, was zwar meinen Kampfgeist aktiv hielt, die Lage aber nicht vereinfachte. Ich versuchte mich zusammen zu reißen und Gas zu geben, stellte meinen Betrieb um und baute fortan nur noch im Auftrag. Doch die Schwierigkeiten wuchsen. Kunden zahlten unpünktlich, bereits unterschriebene Aufträge wurden aus Angst vor der wirtschaftlichen Weltlage plötzlich storniert und obendrein machte ich Bekanntschaft mit Mietnomaden in drei vermieteten Neubauten. Sie zahlten keine Miete und schmarotzten sich mit allen Tricks, die das Mietrecht bot, bis zur Räumungsklage durch. Ein Neubau wurde dabei bis zur Unbewohnbarkeit ruiniert, die Mietnomaden verschwanden über Nacht. Ich geriet binnen eines Jahres in eine ausweglose Situation, in der ich nachts nicht schlafen konnte und morgens nicht wusste, welches Problem ich zuerst lösen sollte.
Dann wurden die Schwierigkeiten noch bedrängender. Zunächst erkrankte die Frau meines Bauleiters an Krebs. Die Frau eines weiteren Mitarbeiters erkrankte auch an Krebs und starb binnen eines halben Jahres. Sie wurde keine dreißig Jahre alt. Der Cousin eines anderen Mitarbeiters ertrank während des gemeinsamen Badens in einem See. Als meine Frau morgens zur Arbeit fuhr, entdeckte sie einen Mann, der sich an einem Strommast erhängt hatte. Ein Kunde, für den ich kurz zuvor ein Haus gebaut hatte, nahm sich wenige Tage nach einem Börsencrash das Leben. Ein Subunternehmer, mit dem ich gelegentlich kooperierte, erhängte sich in seiner Werkstatt. Insgesamt erhielt ich in dieser Phase Nachricht von acht Suiziden aus dem nahen oder erweiterten Umfeld. Es waren vor allem kleine Mittelständler, die sich wirtschaftlich so in die Ecke gedrängt fühlten, dass sie keinen Ausweg mehr sahen. Eines Nachmittags brach ich mitten im Kundengespräch in Tränen aus. Ich konnte nicht mehr. Nichts ging mehr. Völlig ausgebrannt suchte ich Hilfe.
Die erste Ärztin verschrieb mir kurz angebunden Antidepressiva. Das war alles. Die Konsultation dauert etwa 3 Minuten. Ich konnte es nicht glauben. Die zweite Ärztin, eine Neurologin und Psychiaterin, erklärte mir, sie könne mir nicht helfen und empfahl mir, alle drei Monate zwei Wochen Urlaub zu nehmen. Ich war fassungslos. Der dritte Arzt veranlasste ein Blutbild. Die Leberwerte empfand er als besorgniserregend und er empfahl mir, weniger Alkohol zu trinken. Ich erklärte ihm, dass ich zeitlebens so gut wie keinen Alkohol getrunken hatte. Er antwortete, das könne nicht sein, sonst wären die Werte ja besser. Ein Heilpraktiker, den ich anschließend konsultierte, führte eine Irisdiagnose durch, ohne relevanten Befund. Er verschrieb mir aber künstliche Augenflüssigkeit, da er meine Augen als zu trocken empfand. Ich war bedient und beschloss keine weiteren Protagonisten des Gesundheitswesens mehr zu konsultieren.
Stattdessen überlegte ich, ob es in der verfahrenen Lage überhaupt einen Ausweg gab. Ich war vollkommen erschöpft und mir war klar, dass ich meinen Betrieb so nicht würde weiterführen können. Zeitweise hatte ich das Gefühl, nicht mehr lange zu leben. Zu allem Überfluss verschlechterte sich das Verhältnis zu meiner Hausbank, was die Lage entscheidend verschlimmerte. Letztlich lief alles darauf hinaus, dass ich meinen Betrieb abwickeln musste. Ich versuchte mich kooperativ zu verhalten und es gelang mir auch, meinen Sohn durch die Lehrzeit zu bringen, doch ich verlor alles, was ich mir in zwanzig Jahren aufgebaut hatte.
Wieder war ich gegen eine Wand gefahren, doch dieses Mal kam nicht einmal mehr die alte Wut. Ich konnte einfach nicht mehr, so dachte ich. Doch es kam noch schlimmer, denn Birgit erkrankte an einer Vorstufe von Gebärmutterhalskrebs. Trotz aller erlebten Schwierigkeiten war unser Zusammengehörigkeitsgefühl bis dahin nie ins Wanken geraten. Wir empfanden einfach eine tiefe Liebe füreinander. Auch diese neue Schwierigkeit versuchten wir gemeinsam zu lösen. Mit Hilfe einer einfühlsamen Gynäkologin und einer sehr behutsamen Operation wurde Birgit wieder gesund, doch die Jahre ständiger Überlastung und die nach wie vor bedrängende Situation in meinem noch nicht völlig abgewickelten Betrieb, hatten uns nachhaltig erschöpft. Während eines Aufenthaltes in Schweden durchlebten wir unsere bis heute einzige, dafür aber ungemein heftige Krise. Alte verborgene Dämonen unserer Jugend brachen hervor. Bei mir entlud sich die alte unterdrückte Wut, bei Birgit wurden uralte Ängste freigelegt. Jetzt ging endgültig nichts mehr, dachte ich in dieser nun auch zwischen uns beiden verfahrenen Situation. Erstaunlicherweise konnten Birgit und ich diese emotionalen Achterbahnfahrten verkraften und sogar für unser weiteres Leben als wegweisend einstufen und nutzen. Bereits während der Heimfahrt von Schweden hatte ich ein Erlebnis auf der Ostseefähre, das mich nachhaltig veränderte. Ich stand an der Reling und schaute aufs Wasser. Plötzlich änderte sich mein Bewusstsein. Ich versuche nun zu beschreiben, was damals geschah - so gut ich es in Worten auszudrücken vermag.
Ich hatte das Gefühl des Einsseins, des Verbundenseins mit allem, was existierte und schon immer existiert hat. Mit dem Wasser, der Reling, dem gesamten Schiff, einer fremden Frau, die neben mir stand, mit einer Gruppe lachender Kinder im Hintergrund, mit dem Mittelpunkt der Erde, mit dem gesamten Universum. Die Grenzen meines Körpers existierten nicht mehr. Ich floss buchstäblich in meine Umgebung hinein, verband mich mit ihr. Alles war eins. Die Sonne, der Tag, die Nacht. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft unterschieden sich nicht mehr. Die Stationen meines Lebens, meine Freunde, vermeintliche Gegner, Gesundheit, Krankheit - einfach alles war miteinander verbunden und löste sich dann gleichzeitig auf. Alles was existierte, war eins und löste sich nun auf in einen unendlichen Raum. Ein Übergang des Seins in das Nichtsein.
Besser vermag ich dieses Erlebnis nicht auszudrücken. Es veränderte mich tiefgreifend und nachhaltig. Plötzlich erkannte ich, dass die Schwierigkeiten meines Lebens nicht von außen kamen. Ich erkannte, dass die Dämonen, die meine Katastrophen produziert hatten, in meinem Innern wohnten und dass sie Ausprägungen meines Egos, meiner Konditionierungen waren. In den darauffolgenden Tagen lief mein Leben immer wieder als Film vor meinen Augen ab, häufig in Form von Streiflichtern, mitunter in längeren Sequenzen. Ich erkannte die Rolle meiner Eltern, meiner Lehrer, meiner Großmutter, den Einfluss anderer Hauptdarsteller meiner prägenden Jahre. Und ich erkannte meine Konditionierungen, die mich dahin gebracht hatten, wo ich jetzt war. Das beruhigte mich augenblicklich. Ich wurde sogar ausgesprochen gelassen. Konditionierungen konnte man ändern, da war ich mir sicher. Bisher hatten mich meine Konditionierungen immer glauben lassen, dass ich konzentriert und hart für meine Ziele kämpfen müsse, die Welt als Kampfplatz empfindend. Das erlebte Gefühl des Einsseins hatte diese Wahrnehmung verändert. Ich begann zu vertrauen. Auf den Gang der Dinge, auf den Prozess des Lebens. Ich begann mitzugehen. Mitzugehen mit der Dynamik des Lebens, statt gegen einen vermeintlich wilden Strom zu schwimmen.
Dadurch änderte sich mein Leben ganz entscheidend. Ich konnte wieder besser schlafen und wenngleich meine tiefe Erschöpfung nicht von heute auf morgen verschwand, sah ich doch Licht am Ende des Tunnels. Ich fühlte, dass die Heilung eingeleitet war und sich die Vorboten einer neuen Lebensphase bereits zeigten. Birgits Bewusstseinsprozess entwickelte sich parallel auf ähnliche Weise. So fanden wir noch tiefer zueinander und erlangten die Gewissheit, gemeinsam weiter wachsen zu können.
Woher kam nun in diesem Geschehen der Weg zur Heilung? Bestimmt nicht von den konsultierten Medizinern. Aber woher dann? Ging es um Aufgeben oder Nicht-Aufgeben? Gar nicht so einfach zu beantworten, oder?
Eine Rose, die verblühte
Nachdem ich meinen Betrieb abgewickelt hatte und dabei knapp die Insolvenz vermeiden konnte, beschloss ich, mein Leben neu auszurichten. Als erstes Ziel hatte ich mir vorgenommen, das Burnout-Phänomen zu erforschen. Nach den Nicht-Antworten bezüglich meiner eigenen Erschöpfung, die ich von medizinischer Seite erhalten hatte, wollte ich unbedingt die Zusammenhänge ergründen. Das damalige Angebot an Fachliteratur war überschaubar und wenig erhellend. Das Burnout-Syndrom wurde darin nicht so wirklich ernst genommen und vorrangig mit Überlastungen auf der beruflichen Ebene erklärt. Das war mir alles zu oberflächlich und ging am eigentlichen Thema vorbei. Mich interessierte viel mehr, was im Innern überlasteter Menschen ablief und wie die Zusammenhänge zwischen seelischer Bedrängnis, destruktiven Gedanken und körperlichen Symptomen erklärt werden konnten. Ich absolvierte einige psychologische Ausbildungen, las stapelweise Fachbücher, doch die besten Antworten erhielt ich im Rahmen einer Ausbildung bei dem Qigong-Meister Mantak Chia. Er erklärte mir auf gut verständliche Weise die Ursachen meiner Erschöpfung und die energetischen Zusammenhänge. Bei dem Shaolin-Mönch und Qigong-Meister Shi Xingui vertiefte ich meine Qigong-Ausbildung weiter und mir wurde vor allem der Wert der inneren Übungen überdeutlich. Durch Qigong erfuhr ich eine zügige Revitalisierung und ich hatte inzwischen so viel gelernt, dass ich als Coach und Mentaltrainer eine Praxis gründete. Aufgrund meiner Erfahrung als Unternehmer, aber vor allem durch meine eigene Burnout-Geschichte hielt ich mich für geeignet, anderen Menschen in ähnlicher Bedrängnis beistehen zu können. Bei dieser Entscheidung folgte ich wieder meiner inneren Stimme, die ich einige Jahre überhört oder überstimmt hatte und lag damit goldrichtig.
In der Folgezeit arbeitete ich vorrangig mit erschöpften Unternehmern und trainierte Leistungssportler im mentalen Bereich, wobei mir meine Erfahrungen als Bogenschütze halfen. Mit meinem Angebot hatte ich von Beginn an Erfolg und meine Arbeit erfüllte mich sehr. Ich kooperierte mit zwei Psychiatern, die mir Burnout-Klienten schickten, mit denen sie nichts anzufangen wussten. Die Unternehmer, die zu mir ins Coaching kamen, waren froh darüber, dass ich ihre Lage nachvollziehen konnte und sie bei unserer Arbeit nicht in psychiatrische Schubladen gesteckt wurden. Allmählich fanden sich auch immer mehr gestresste Privatleute in meiner Praxis ein und ein weiterer Schwerpunkt wurde die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen. Dabei konnte ich gut mit Birgit zusammenarbeiten, die ihre Erfahrung als Grundschullehrerin einbrachte und sich auch zwischenzeitlich sehr intensiv in Psychologie und Qigong ausbilden ließ. Auf diese Weise bauten wir thematisch an unserer gemeinsamen Zukunft.
Ich war bereits einige Jahre in meiner Praxis tätig gewesen, als mich eine Unternehmerin konsultierte. Die Frau war über vierhundert Kilometer angereist und bat mich um Hilfe. Ihr Problem bestand darin, dass sie zwar mit größtem Engagement arbeitete, sich „für nichts zu schade war“ wie sie es ausdrückte und dennoch auf keinen grünen Zweig kam. Ständig ging etwas schief, Probleme türmten sich auf und sobald sie diese abgearbeitet hatte, entstanden neue. Außerdem litt sie unter permanenten finanziellen Problemen. Ihr Steuerberater habe bei einem Fortbildungsseminar von einem Kollegen meine Adresse erhalten und nun hatte sie sich auf den Weg gemacht und erhoffte sich Hilfe.
Ich hörte mir aufmerksam ihre Geschichte an und baute dabei ein gemeinsames Energiefeld auf, wie ich es immer tat. Die Ursache ihrer Schwierigkeiten wurde zwischen den Zeilen ihrer Schilderung sehr schnell deutlich. Das Problem war ihre übergriffige Mutter, die in ihrem Haus lebte, sich wie selbstverständlich in alles einmischte und auch mal plötzlich im ehelichen Schlafzimmer auftauchen konnte, wenn sie ein Anliegen an Ihre 42-jährige Tochter verspürte. Der mütterliche Feldwebel wusste alles besser, veränderte Entscheidungen ohne Absprache und überlud obendrein ihre Tochter ständig mit eigenen Forderungen.
Die Kernproblematik war erkannt, was mich aber noch mehr interessierte, war das Gesicht der Frau. Ihre linke Gesichtshälfte war ungesund rot und unterschied sich deutlich von der Blässe ihres restlichen Gesichts. Das sei eine Gesichtsrose, unter der sie schon seit Jahren leide, klärte sie mich auf. Laut Aussage ihres Neurologen sei da nichts mehr zu machen, da Nerven irreparabel zerstört seien. Ich enthielt mich eines Kommentars und wir arbeiteten an ihrem Mutter-Problem. In der zweiten Sitzung lösten wir den entscheidenden Stressknoten auf der emotionalen Ebene. Die Frau entspannte sich augenblicklich. Gleichzeitig bemerkte ich, dass ihre Gesichtsrose etwas blasser wurde, dachte mir aber nichts dabei. Als sie eine Woche später zur dritten Sitzung erschien, war die Rose verschwunden. Was blieb, war ein leichtes Kribbeln, das sich immer dann einstellte, wenn sie in das alte Muster verfiel und ihrer Mutter die Oberhand überließ. Wir benötigten zwei weitere Sitzungen, in denen sie lernte, ihrer Mutter mit veränderter innerer Haltung zu begegnen. Nach einem Jahr rief sie mich an. Ihre beruflichen Probleme hatten sich verbessert und ihre Gesichtsrose war nicht zurückgekehrt. Das Kribbeln ihrer Gesichtshälfte hatte sich auf einen kleinen Punkt auf der Stirn reduziert. Das sei ihr Alarmpunkt, sagte sie, der sie davor bewahrte, ins alte Fahrwasser zu geraten.
Woher kam in diesem Fall die Heilung? Waren die Nerven gemäß neurologischer Untersuchung nicht irreparabel zerstört? Wer oder was heilte hier? Auf welche Weise spielten Aufgeben und Nicht-Aufgeben eine Rolle? Die Fragen werden nicht geringer.
Der Koloss von Rhodos
Meine Praxis für Fundiertes Coaching - so nannte ich mein Coaching-System - entwickelte sich stetig weiter. Meine Arbeit war gefragt, ich schrieb drei Bücher, entwickelte neue Coaching-Techniken und bildete andere Coaches darin aus. Was mich zunehmend faszinierte, waren auftretende Begleiteffekte beim Anwenden der neuen Techniken. Ich stellte häufig fest, dass sich bei meinen Klienten körperliche Symptome unterschiedlichster Art im Verlauf unserer Coaching-Prozesse besserten und mitunter selbst langjährige Erkrankungen völlig verschwanden. Das beschriebene Verblühen einer Gesichtsrose blieb kein Einzelfall, sondern war eher ein Start für die Änderung meines Arbeitsschwerpunktes. Ich empfand es zunehmend als wichtiger und erfüllender, meinen Coaching-Klienten dabei zu helfen, hartnäckige körperliche Beschwerden zu verabschieden, als Sportler mental zur Höchstleistung zu verhelfen. Insofern verlagerte sich meine Arbeit immer mehr in den Gesundheitsbereich.
Nachdem sich allmählich herumgesprochen hatte, dass im Verlauf meiner Coaching-Arbeit auch Krankheiten abheilen konnten, was ich niemals propagiert hatte, entstand allmählich ein neues Problem. In Deutschland ist das Recht zu heilen nur den Heilberufen erlaubt. Selbstständig und ohne Weisungsbindung dürfen nur Ärzte und Heilpraktiker tätig werden. Eine weitere Ausnahme bilden Geistheiler, die auch eigenständig heilen, aber keine Diagnosen stellen und sich nur auf die Wirkung von universellem Geist, Energie oder göttlicher Kraft berufen dürfen.
Ich lief also Gefahr, in eine rechtliche Grauzone abzurutschen, denn Coaches durften ja offiziell nicht heilen und daher auch nicht als Heilkundige auftreten. Wenn im Rahmen eines Coachings die Leute nebenbei auch gesund wurden, so war da rechtlich zwar nichts zu befürchten und ich hätte meine Praxis den gesetzlichen Vorgaben gemäß beruhigt weiter führen können. Ich spürte aber, dass ich noch einen weiteren Schritt gehen musste, um das tun zu können, was wirklich meine Aufgabe war. Der Schlüsselmoment, der mir die Entscheidung brachte, war die Begegnung mit einer Klientin, die aufgelöst in meiner Praxis erschien, weil ihre 82-jährige Mutter im Sterben lag. Sie wurde aus der Klinik entlassen und der behandelnde Arzt empfahl, sie solle die letzten drei Wochen im Kreise ihrer Familie verbringen. Die alte Dame blutete aus dem Darm, hervorgerufen durch einen Polypen in Zwiebelgröße, der nicht operabel war. Sie war äußerst schwach und ihre Thrombozytenwerte lagen bei unter 30.000 (Normalwert ca. 150.000 – 300.000).
Birgit und ich kooperierten in diesem Fall. Ich arbeitete mit der verzweifelten Tochter. Birgit fuhr zur bettlägerigen Mutter und trainierte sie mit Hilfe innerer Coaching-Techniken, die wir aus dem Spektrum des inneren Qigong entwickelt hatten. Sechs Wochen später konnte die alte Dame wieder ihren Garten umgraben. Der Darmpolyp schrumpfte auf einige Millimeter Umfang und konnte durch eine kleine Operation völlig entfernt werden. Die Thrombozyten erhöhten sich in dieser Zeit auf einen zunächst akzeptablen Wert von 145.000. Mittlerweile hat die alte Dame ihren neunzigsten Geburtstag gefeiert.
Nach diesem Fall beschloss ich, die Heilpraktiker-Prüfung zu absolvieren. Natürlich ahnte ich, dass das kein Zuckerschlecken sein würde, denn die Durchfallquote konnte einen schon abschrecken. Aber ich wusste, dass ich diese Hürde würde nehmen müssen, um dort anzukommen, wo ich hingehörte. Zur Vorbereitung schloss ich mich einer Lerngruppe an, deren Lehrstoff sehr effizient und prüfungsorientiert aufgebaut war. Das war hilfreich, aber ich konnte seit jeher am effektivsten lernen, wenn ich autodidaktisch vorging. Außerdem musste ich ja parallel meine Coaching-Praxis weiterführen. Ich paukte also in jeder freien Minute den schulmedizinischen Lehrstoff, denn die Prüfungsfragen entstammen ausschließlich dem schulmedizinischen Paradigma. In den populären Medien wird immer wieder postuliert, die Heilpraktiker-Prüfung sei eine Pille-Palle-Veranstaltung, bei der man nur mal eben einen Multiple-Choice-Fragebogen auszufüllen habe. Das ist völliger Unsinn. Wer die schriftliche und dann auch noch die mündliche Prüfung bestehen will, bei der Prüflinge gerne ausgiebig „gegrillt“ werden, muss intensiv schulmedizinischen Lehrstoff pauken und abrufbar halten. Der zu beherrschende Lehrstoff ist komplex und ein Straucheln bei der Prüfung ist schnell passiert. Die hohe Durchfallquote entsteht allerdings auch dadurch, dass viele Heilpraktiker-Aspiranten die Schulmedizin eigentlich ablehnen, sich daher nur halbherzig damit beschäftigen und sich stattdessen schon vor der Prüfung alternativen Heilsystemen zuwenden. Einige versuchen dann auch noch, bei der Prüfung mit dem Amtsarzt zu diskutieren. Damit ist dann das Durchfallen gesichert, denn der Amtsarzt muss gemäß Auftrag feststellen, ob der Prüfling eine Gefahr für die Bevölkerung darstellt. Wer zu erkennen gibt, die Schulmedizin abzulehnen, muss daher durchfallen. Das war mir schnell klar und so erarbeitete ich mir in jeder freien Minute, oft auch in der Ruhe der Nacht, schulmedizinisches Wissen. Außerdem belegte ich einen Rettungssanitäter-Ausbildungskurs, um Praxiserfahrung zu bekommen. Diese Zeit war sehr lernintensiv, aber interessant und lehrreich. Nach zehn Monaten, in denen ich neben meiner Coaching-Arbeit wirklich nichts anderes tat, als Schulmedizin zu pauken, bestand ich die Heilpraktiker-Prüfung und erlangte dadurch weitgehende Therapiefreiheit. Birgit hatte zuvor schon die Heilpraktiker-Prüfung für Psychotherapie absolviert und so gingen wir wieder gemeinsam im Parallelschritt weiter.
Danach begann die intensive Zeit der Aus- und Weiterbildungen. Es war immer mein Anliegen, offen für alle Heilmethoden und Heiltraditionen zu bleiben. Das ist in der Tat nicht ganz einfach, wenn man erstmal tief in die Schulmedizin eingetaucht ist, denn diese sieht sich gerne als Evidenz-basierte Medizin und insofern als Maß aller Dinge, da durch Studien belegt und bewiesen. Das ist bei genauerer Betrachtung oft schlichtweg falsch und die damit verbundene Hybris braucht niemand. Aus meiner Sicht sollte ein Heiler, unabhängig von Ausbildung, Tradition oder Herkunft grundsätzlich offen gegenüber allen Möglichkeiten des Heilens sein. Bis zum heutigen Tag habe ich über hundert Seminare besucht und Heilverfahren unterschiedlichster Art studiert und erlernt. Dabei durfte ich grandiosen Heilern begegnen, die entgegen schulmedizinischen Wissens - oder treffender, schulmedizinischen Glaubens - Heilungen in die Wege leiteten, die nicht möglich erschienen.
Ein solcher Heiler ist Dimitrios Panayotidis, einer meiner Akupunkturlehrer. Als ich bei ihm lernen durfte, war er achtzig Jahre alt, hellwach, körperlich agil und mit einem schlitzohrigen Witz gesegnet. Er war in den 1970-er Jahren einer der ersten Akupunktur-Pioniere in Deutschland gewesen und vertrat die Akupunktur-Kunst in ihrer ursprünglichen Art. Einer seiner Lehrsätze war „Man kann Akupunktur nicht erlernen, sondern sich nur mit ihrbefassen“. Dieser Satz hat sich bei mir eingebrannt und in meiner Praxis immer wieder bestätigt. Mittlerweile wurde ich in sämtlichen gängigen Akupunktur-Techniken ausgebildet und mein Fazit lautet: es ist keine wirklich gute Idee, nach Lehrbuch zu akupunktieren. Dafür ist die Dynamik der Energie im menschlichen Körper zu unterschiedlich und von vielen Faktoren abhängig. Lehrbücher können nur grobe Orientierungshilfen bieten. Der alte Satz, den sich alle Heiler einrahmen sollten, stammt von Alfred Korzybski und lautet „Die Landkarte ist nicht das Land“. Wie zutreffend diese Aussage ist, zeigt folgende Begebenheit, die ich bei einer Fortbildung mit Dimo, so nannten ihn seine Schüler, auf Rhodos erlebte.
Dimos Fortbildungen auf Rhodos waren seit Jahren bekannt, denn er bot erkrankten Menschen die Möglichkeit, sich dort kostenlos behandeln zu lassen. Entsprechend war der Ansturm. Besonders beeindruckte mich folgender Fall: eine Frau von etwa vierzig Jahren kam von Dimo geführt schwankend in den Behandlungsraum. Sie hatte sieben Jahre zuvor einen Verkehrsunfall erlitten und konnte seitdem nicht mehr frei laufen. Sie litt unter Dauerschwindel und war allenfalls fähig, sich an Geländern und Wänden angelehnt vorsichtig voranzutasten. Treppen steigen konnte sie überhaupt nicht. Die Frau berichtete, dass sie wirklich alles unternommen hatte, um wenigstens eine leichte Besserung ihres Zustandes zu erreichen. Sie hatte zahlreiche Ärzte konsultiert, darunter einige Koryphäen ihrer Zunft, war bei Alternativmedizinern gewesen und hatte sich auch bereits mehrfach akupunktieren lassen. Alle ihre Bemühungen waren erfolglos geblieben und sie hatte die typische resignative, erschöpfte Ausstrahlung, die Patienten nach solchen Odysseen zueigen ist.