Nordfriesentote - Hannah Mauritz - E-Book

Nordfriesentote E-Book

Hannah Mauritz

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Beschreibung

Bennet hasst das Inselleben. Doch was er noch mehr hasst, sind Möwen, Katzen und Sand. Sein Albtraum beginnt, als er auf Sylt aufwacht, in einem Hundekörper steckt und nun ausgerechnet mit einer Katze, einer Möwe und einem Seehund einen Mordfall lösen muss. Kann es noch schlimmer kommen?

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Seitenzahl: 245

Veröffentlichungsjahr: 2021

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Behandle dein Haustier so, dass du im nächsten Leben ohne Probleme mit vertauschten Rollen klar kommst.

© Pascal Lachenmeier

(*1973), Schweizer Jurist

Inhalt

Das Sterben am Strand

Der Mann im Hund

Die Muschel im Mann

Der Mann in den Dünen

Die Frau unter Seehunden

Das Hemd am Schiff

Die Fremde in der Wohnung

Der Feind in der Nähe

Der Fund auf dem Schiff

Danksagung

Zu meiner Person

Das Sterben am Strand

„Im nächsten Leben werde ich ein Hund. Den ganzen Tag fürs Schlafen, Fressen und Gassi Gehen geliebt zu werden, klingt verlockender, als hinter Akten zu verschwinden und dem Chef für einen Apfel und ein Ei die Füße zu küssen“, fluchte Bennet auf dem Weg zum Ellenbogen auf Sylt, dem nördlichsten Punkt der Insel. Er bretterte mit seinem Wagen vorbei an Dünen und aufgeschreckten Vögeln, während Rooster auf dem Beifahrersitz die Nase aus dem Fenster hielt und seine Lefzen im Wind flattern ließ. Dass Rooster ein Polizeihund war, der Verbrechern auf Kommando in Arme und Beine gebissen hatte, konnte Bennet in solchen Momenten nicht glauben. Wenn er es denn nicht selbst gesehen hätte.

„Wenn es deine einzige Sorge ist, süß auszusehen und dafür bewundert zu werden, weil du einem Stock hinterherrennen kannst, kann es doch nur besser sein, ein Hund zu sein. Mensch sein ist Mist. Totaler Mist.“

Bennet parkte schief auf dem Schotterplatz, riss seine Tür auf und knallte sie wieder zu, nachdem er ausgestiegen war. Er lief um das Auto herum, ließ Rooster aussteigen und stampfte zum Strand am Ellenbogen, wo er sich schnell die Schuhe auszog, die Schnürsenkel verknotete und an der Leine festband.

„Rooster“, fluchte Bennet, während Rooster einem Strandläufer hinterherrannte. Bennet stemmte die Hände in die Hüften und sah Rooster kopfschüttelnd an, als dieser kleinlaut zu ihm zurücklief.

„Wieso tust du das immer? Die armen Vögel. Du kriegst sie sowieso nicht. Versuche es gar nicht.“

Rooster setzte sich vor Bennet in den Sand und sah ihn mit nach hinten gelegten Ohren an. Sein typischer Blick, wenn er wusste, dass er etwas angestellt hatte. Bennet verdrehte die Augen, während der Strandläufer hinter Rooster im Sand landete und ihn provozierend ansah.

„Der weiß ganz genau, dass du ihn nicht kriegst, Rooster.“

Der Hund spitze seine Ohren, wobei sich das Fell um seinen Hals wie ein Kragen aufstellte. Er drehte seinen Kopf zu dem Vogel, doch er schien zu wissen, dass er ihm nicht hinterherrennen durfte. Denn Bennet beobachtete ihn kritisch.

„Du scheinst das Leben auf deine alten Tage noch richtig genießen zu wollen, oder? Mach das. Hauptsache du verschwendest nicht deine Zeit.“

Rooster bellte.

„Kann ich verstehen, du Glückspilz. Und ich habe noch dreißig Jahre bis zur Pensionierung. Und jeder Tag ist eine Qual mit diesen Vollpfosten von Chefs.“

Rooster spitzte wieder die Ohren, als ob er genau zuhörte, was Bennet ihm sagte. Dann grinste Bennet ergeben.

„Nimm es mir nicht übel, Kumpel. Du bist ein Schäferhund und hast fast dein ganzes Leben bei der Polizei verbracht. Das wollte ich damit sagen.“

Rooster drehte sich um und schnüffelte an einem Busch. Bennet schüttelte den Kopf.

„Wieso rede ich eigentlich mit dir? Du bist ein Hund. Du frisst Pferdeäpfel.“

Bennet folgte Rooster den Strand entlang und lief mit den Füßen im Wasser. Die Wellen brandeten im Sand und spülten Algen und Muscheln um seine Beine. Rooster schnüffelte sich von Sandhaufen zu Sandhaufen, was Bennet ratlos beobachtete. So ein intelligentes Tier. Rooster konnte genüsslich an einem Grashalm schnüffeln, während sich Bennet die Beine in den Bauch stand. Diese Begeisterung für Kleinigkeiten hätte er auch gerne. Bennet hatte immer nur seine Arbeit im Kopf.

Als Polizeikommissar war er diesen Sommer auf Sylt eingeteilt, weil einer der Kollegen wegen einer schweren Verletzung aussetzen musste. Bennet hatte zwar sein ganzes Leben im Norden verbracht, doch er war nie der Inselmensch gewesen. Eingesperrt auf einem Fleckchen Land, umringt von Wassermassen? Nein, das war nicht seines. Dazu der Wind und die vielen Möwen. Auf dem Land hatte er wenigstens immer die Möglichkeit, so viel Abstand zur Küste zu halten, wie er wollte.

Rooster war dagegen glücklich auf der Insel. Ein großer Sandkasten vor der Haustür und jede Menge Vögel, die er beobachten und jagen konnte. Zwar hatte er noch nie einen erwischt, aber das raubte ihm nicht die Motivation. Im Gegenteil, Niederlagen schienen ihn noch anzuspornen.

Rooster spielte mit den Wellen und schnappte nach ihnen. Bennet verdrehte erneut die Augen.

„Aus! Vom Salzwasser bekommst du nur Bauchschmerzen.“

Rooster sah auf.

„Salzwasser ist pfui. Hörst du?“

Rooster rannte durch das Wasser den Ellenbogen hinauf, wo er an der nördlichsten Spitze ankam und sich wie König Napoleon auf einen Sandhaufen stellte und über das Meer blickte. Bennet eilte hinterher, bevor Rooster wieder Blödsinn anstellte.

Dann sah er etwas Glitzerndes im Sand. Eine Muschel, die in der untergehenden Sonne glänzte. Bennet packte Rooster am Halsband und zog ihn von der Muschel weg, denn er hatte sie bereits entdeckt.

„Rooster! Nein. Das kannst du nicht fressen.“

Rooster zog an seinem Halsband, fest entschlossen sich diese Muschel näher anzuschauen.

„Nein! Pfui.“

Bennet verdrehte genervt die Augen, als er plötzlich zwei Männer in seine Richtung laufen sah. Rooster bellte und Bennet hielt ihn am Halsband fest.

„Ruhig jetzt. Komm schon.“

Die Männer kamen näher und Rooster wurde immer aggressiver. So kannte Bennet ihn nicht. Langsam wurde auch er nervös. Die Männer trugen dunkle Kleidung und sahen Bennet finster an. Was zur Hölle sollte das? Wollten sie ihn ausrauben? Bennet hatte doch nichts, was für die interessant sein könnte. Sie sahen sich kurz an, dann liefen sie in einem schnelleren Tempo auf ihn zu.

Schließlich standen die Männer um Bennet herum, und dieser hielt Rooster so fest es ging.

„Kann ich Ihnen helfen?“

Plötzlich spürte Bennet einen Stoß auf den Kopf und er fiel in den Sand. Dann wurde es dunkel.

Bennet öffnete seine Augen nicht, er hörte nur das Rauschen der Wellen. Unter ihm Sand und über ihm Wind, der über seinen Körper wehte.

Bennet versuchte seine Finger zu bewegen, doch er spürte sie nicht.

Vorsichtig bewegte er seinen Kopf, um in den Himmel zu sehen.

Aber irgendetwas war merkwürdig.

Er versuche sich aufzurichten, doch irgendwie gelang es ihm nicht.

Er öffnete seine Augen und sah den Strand entlang zum Meer.

Meine Augen. Irgendetwas stimmt mit meinen Augen nicht.

Wieso sehe ich so schlecht?

Unruhig zappelte er im Sand, versuchte sich auf den Rücken zu drehen.

Verdammt! Was ist hier los? Wo ist Rooster? Als er sich endlich auf die Beine gedreht hatte und aufgestanden war, starrte er geschockt in die Dunkelheit.

Dann sah er an sich hinab.

Wie ... wie zur Hölle geht das? Er steckte im Körper von Rooster? Wirklich? Er schüttelte den Kopf.

Nein. Nein, das kann nicht sein. Wie soll das gehen? Ich träume doch.

Er versuchte sich zu kneifen, doch er hatte keine Finger.

Bennet sah auf seine haarigen Pranken.

Das kann doch nicht wahr sein.

Vorsichtig setzte er sich in Bewegung und lief zum Wasser. Er stellte seine Füße in das kalte Wasser, doch als er immer noch nicht aufwachte, lief er wieder zurück den Strand hinauf.

Was ist passiert? Wie kann ich im Körper von Rooster stecken? Ich meine ... wie? Er lief hin und her. Der kalte Wind wehte schonungslos durch sein Fell und ließ ihn leicht frösteln. Der Sand grub sich zwischen seine Zehen. Er schüttelte erneut den Kopf.

Das ist doch Blödsinn. Das kann nicht real sein. Ich muss träumen. Ich habe Wahnvorstellungen - Genau! Das muss es sein.

Ein Schlaganfall oder ein Hirntumor. Oder ich bin gestürzt und auf den Kopf gefallen. Irgendetwas davon.

Er nickte, als müsse er sich selbst überzeugen. Eigentlich lag er immer noch im Sand und wartete, dass er gefunden wurde. Vielleicht war Rooster auch schon losgelaufen und holte Hilfe.

Rooster wusste immer, was zu tun war. Genau, er war schon unterwegs, Hilfe holen. Das nächste Haus war in List, er musste also einige Zeit laufen. Um diese Uhrzeit waren sicher keine Spaziergänger mehr unterwegs, also musste er bis in die Stadt laufen. Und dann mussten die Leute erst einmal verstehen, was Rooster von ihnen wollte. Und das konnte dauern.

Er musste einfach nur warten, bis er wach wurde.

Er nickte erneut und setzte sich in den Sand. Er musste nur warten. Bis ihn jemand rettete.

Als die Sonne aufging, beobachtete er die Wellen. Noch immer war er nicht aufgewacht. Er saß im Sand und starrte auf das Meer. Langsam musste er doch aufwachen, oder?

Er stand auf und lief auf wackeligen Beinen zum Wasser, wo er eine Pfote in das Wasser hielt. Er fühlte sich überraschend lebendig für einen Traum oder eine Halluzination. So langsam musste er zugeben, dass es rein theoretisch sein konnte, dass er sich tatsächlich in Rooster verwandelt hatte. Auch, wenn er sich nicht erklären konnte, wie das möglich war. Denn wie sollte er sich in seinen Hund verwandeln? Das war weder medizinisch noch biologisch möglich. So etwas passierte doch nur in Filmen durch Magie oder verrückte Laborunfälle. Das war einfach nicht möglich. Doch alles fühlte sich so echt und realistisch an. War es also doch möglich? Und wo zur Hölle war sein eigener Körper? Und steckte Rooster nun in diesem?

Er sah sich um. An der nördlichsten Stelle der Insel waren zwei Typen auf ihn zugekommen und hatten ihm eine runtergehauen. Dann war er auch schon in Roosters Körper aufgewacht. Auch wenn Bennet grade absolut kein Zeitgefühl hatte und nicht wusste, wie lange er schon am Strand gelegen haben musste.

Er lief zu der Stelle, wo er vorher gelegen hatte. Der Sand war etwas rot gefärbt, als läge dort Blut. Doch sein Körper war verschwunden. Das konnte doch alles nicht wahr sein? Vielleicht litt er an einer Halluzination aufgrund eines schweren Schädel-Hirn-Traumas? Und warum hatten die Kerle ihn verprügelt? Das war doch alles irre.

Überhaupt sah die Umgebung merkwürdig aus. Je heller es wurde, desto schwieriger empfand er es, seine Umgebung zu erkennen.

Bennet eilte den Strand entlang zum Parkplatz. Vielleicht würde er jetzt schon Menschen begegnen, die ihn in die Stadt bringen könnten.

Er eilte die Düne hinauf, doch noch war niemand da.

Natürlich. Es wird grade mal vier Uhr in der Früh sein. Es ist noch niemand hier.

Nur sein eigenes Auto stand dort.

Er blieb auf dem Parkplatz stehen und sah die Straße hinab. Dann musste er eben laufen. Auch gut.

Mit vier Beinen sollte er das schon schaffen. Es waren etwa zehn Kilometer bis zum Hafen.

Er lief die Straße entlang, während die Sonne aufging und langsam die Insel erhellte. Er tapste über die Straße, und nebenbei hörte er die lauter werdenden Geräusche auf der Insel. So langsam kam wieder Leben in die Stadt, was ihn etwas beruhigte. Als er am Deich angekommen war, sah er die ersten Spaziergänger und Touristen, die von der Jugendherberge zum Hafen in List fuhren. Vom Deich sah er die Flagge des Küstenforschungsinstituts.

Dann stand er vor dem Tor des Deiches.

Mist! Und jetzt? Ich habe keine Hände, um den Hebel zu bewegen.

Er sah sich um. Vielleicht konnte er sich unten durch den Zaun zwängen. Ja, das könnte klappen.

Er rannte den Deich hinab und zwängte sich mühsam durch den Zaun, wobei einige seiner Haare im Zaun hängen blieben. Erleichtert schnaubte er. Langsam schmerzten seine Pfoten. Er lief weiter am Institut vorbei zum Hafen, die ersten Läden öffneten grade.

Und jetzt? Die Polizeistation befand sich in Westerland, er selber befand sich in List. Zum Laufen definitiv zu weit.

Das Institut!

Sein Herz pochte.

Anne! Ich kann zu ihr gehen.

Er eilte zu den Wohnungen des Institutes am Hafen.

Vor neun Uhr fing sie nicht an zu arbeiten. Da konnte er sie abfangen. Bennet eilte vom Deich zu ihrer Wohnung, die direkt am Hafen lag und setzte sich neben die Haustür.

Der Hafen füllte sich mit Touristen. Kinderlachen mischte sich mit Möwengeschrei und mit den Geräuschen heranfahrender Autos.

Alle Geräusche waren so laut. Die Autos, die am anderen Ende des Hafens fuhren, konnte er so klar wie nie zuvor hören. Dabei dröhnte alles in seinen Ohren, sodass er kaum differenzieren konnte, was aus welcher Richtung kam.

An sich war es ein reges Treiben, das bei Bennet jedes Mal Urlaubsstimmung aufkommen ließ. Er musste zugeben, dass dies das Arbeiten auf der Insel sehr angenehm gestaltete. Weniger Stress, keine Staus, wie auf den Autobahnen des Festlandes, und immer entspannte, fröhliche Menschen um ihn herum. Und in der Pause mit einem Matjesbrötchen am Strand zu sitzen war definitiv schöner als in der siffigen Großstadt Abgase der LKW einzuatmen. Doch jetzt war es ihm einfach zu viel Input. Als Mensch empfand er den Hafen schon als sehr laut - jetzt war es kaum auszuhalten.

Dazu kam noch, dass er fast nichts sehen konnte. Alles Grüne und Rote war gelblich und er nahm Bewegungen viel stärker wahr. Zudem hatte er das Gefühl, alles Stehende kaum wahrzunehmen und sich viel stärker darauf konzentrieren zu müssen. Das überforderte ihn und er wusste nicht, wie er damit umgehen sollte.

Er lauschte zur Tür. Die ersten Biologen und Doktoranden des Instituts verließen die Wohnungen und schlenderten zum Strand und von dort aus zur biologischen Station. Anne war wie immer die letzte. Typisch für sie. Sie war ein Paradebeispiel für die Sorte Menschen, die sorglos in den Tag hineinlebten. Dazu war sie ein wenig verplant und sprunghaft. Etwas, was ihn in diesem Moment besonders nervte. Er kannte Anne schon lange, sie waren zusammen zu Schule gegangen, lernten sich aber erst kurz vor dem Abitur kennen. Bennet bezeichnete sie als seine beste Freundin. Und sie lachten oft darüber, dass sie jahrelang auf derselben Schule gewesen sind, sich aber erst kurz vor Schluss begegnet waren.

Dann endlich trat sie durch die Tür. Bennet rannte auf sie zu und sie sah ihm verwundert entgegen. Bennet bellte. Das erste Mal, dass er sich selbst bellen hörte.

Merkwürdig. Als ob er in einem fremden Körper steckte.

Was ich ja auch tu, verdammt noch einmal! Schon blöd, wenn man keine Stimme mehr hat.

Anne kniete sich verwirrt zu ihm hinunter.

„Rooster! Um Himmels willen! Was tust du hier?“

Wonach sieht es denn aus? Hilf mir!

Sie streichelte seinen Kopf, während er mit der Rute wedelte und unentwegt bellte.

Hilf mir, Himmelherrgott!

Er drehte sich im Kreis und bellte in Richtung Deich.

Oh man, du verstehst mich nicht. Du verstehst mich einfach nicht.

Anne hielt ihn am Halsband fest.

„Wo ist Bennet? Warum bist du alleine hier?“

Verdammt! Ich bin doch Bennet. Warum verstehst du das nicht?

Dann hielt er inne. Wie sollte sie auch alleine darauf kommen? Nicht einmal er verstand was hier los war.

Wie sollte sie das dann durch sein Bellen verstehen?

Anne zog ihn zur Tür.

„Na komm. Ich bringe dich erst einmal rein. Dann rufe ich Bennet an und sage ihm Bescheid, dass du hier bist.“

Bennet folgte ihr mit hängendem Kopf. Dann musste er das Spiel eben eine Weile mitspielen.

In der Wohnung stellte sie ihm eine Schale Wasser hin.

Erst jetzt merkte er wie durstig er war.

Und Hunger habe ich, verflucht.

Er schielte zu der Schale mit Keksen, die auf Annes Wohnzimmertisch stand.

Der arme Rooster. Jetzt weiß ich, wie er sich fühlte, wenn Knabberkram auf meinem Tisch stand und er nicht dran durfte.

Missmutig schlabberte er das Wasser. Doch wie ging das noch gleich?

Mensch, wie trinkt ein Hund denn? Die Zunge zu einer Kelle formen und dann trinken? Gott, ist das kompliziert.

Während Bennet versuchte, unfallfrei das Wasser zu schlabbern und sich dabei sehnlichst ein Bier oder eine Cola mit Strohhalm wünschte, suchte Anne in ihrem Handy seine Nummer heraus. Sie lief im Kreis, während sie sich ihr Handy ans Ohr hielt. Bennet sah ihr dabei zu.

Hallo, ich bin hier. Direkt neben dir. Und setze grade dein Wohnzimmer mit meiner Zunge unter Wasser. Gott, klingt das falsch.

Anne seufzte.

„Hallo Bennet. Ich habe Rooster gefunden, er stand vorhin vor meiner Tür. Wäre nett, wenn du dich melden würdest.“

Sie legte seufzend auf.

„Mailbox“, murmelte sie in seine Richtung.

Logisch. Mein Handy liegt im Auto. Und das ist am Ellenbogen.

Sie setzte sich an ihren Küchentisch und sah Bennet ratlos an. Er sah zurück.

„Was mache ich denn jetzt mit dir? Vielleicht fahre ich zu Bennet und schaue mal, ob er zu Hause ist. Was denkst du darüber?“

Warum fragst du mich? Ich bin ein gottverdammter Schäferhund.

Und zu deinem schludrigen Arbeitsverhalten habe ich dir schon öfter was gesagt. Käme es mir jetzt nicht zugute, würde ich es jetzt wieder tun.

„Na komm. Lass es uns versuchen.“

Sie holte ein altes Seil aus dem Schrank und band es an seinem Halsband fest. Bennet folgte ihr widerstandslos.

Im Auto setzte er sich auf den Beifahrersitz und ließ sich von Anne zu seinem Haus fahren, dass er in der Zeit auf Sylt bewohnte. Ein kleines Ferienhaus, das er sich als Normalsterblicher niemals leisten könnte, wenn die Polizei nicht einen Teil dazu beigetragen hätte. Was auch eine Antwort auf die Frage bot, wohin die Steuergelder flossen.

Anne bog in die Straße ein und fuhr direkt auf die Dünen zu. Als sie vor dem Haus anhielt, staunte sie.

„Komisch. Sein Auto ist nicht da. Wo könnte er denn sein?“

Sie schielte auf die Uhr.

„Sein Dienst hat noch nicht begonnen.“

Woher kennst du meine Dienstzeiten?

Er hätte seine Stirn gerunzelt, wenn er gekonnt hätte.

Stattdessen legte er die Ohren nach vorne und sah sie von der Seite an. Nun runzelte Anne die Stirn.

„Guck mich nicht so vorwurfsvoll an.“

Tu ich doch gar nicht.

Anne stieg aus, lief um das Auto herum und öffnete die Beifahrertür.

„Toll, du hast mir den ganzen Sitz vollgehaart“, seufzte sie und Bennet schnaubte.

Sie führte ihn zur Tür und klingelte. Ungeduldig sah sie sich um.

Kurz darauf klingelte sie erneut. Als Bennet immer noch nicht öffnete, lugte sie durch das Fenster zwischen den Gardinen hindurch.

„Komm, wir schauen uns mal etwas um.“

Bennet nickte in Gedanken.

Anne führte ihn hinter das Haus in den Garten und lugte durch jedes Fenster.

„Licht ist an. Komisch. Auto weg, ans Handy geht er nicht, und du rennst quer durch List. Da stimmt doch etwas nicht.“

Ups, habe ich mal wieder vergessen, das Licht auszuschalten. Das erklärt meine hohe Stromrechnung. Glückwunsch. Du bist heute schnell im Denken, grummelte Bennet innerlich und schallte sich direkt für den Gedanken. Anne konnte nichts dafür. Hätte er von der Geschichte gehört, hätte er die Person für verrückt erklärt.

Das war keine Option, also musste er ihr auf die Sprünge helfen. Aber wie, ohne Stimme?

Er sah an ihr hinauf und stupste ihr mit der Nase an den Unterarm, sodass sie sich zu ihm umdrehte.

„Was ist denn?“

Los, komm zu mir runter.

Sie sah verwirrt hinab. Er stupste ihr erneut an den Arm und dann an den Ellenbogen. Sie hob den Arm, sodass er ihn nicht mehr erreichte. Er schnaubte.

Ach, komm schon.

Er stellte sich auf die Hinterbeine und hielt sich mit seinen Vorderbeinen an ihrer Hüfte fest. Von dort aus stupste er ihr erneut gegen den Ellenbogen.

Sie versuchte ihn wieder herunter zu drücken, doch dann schien sie zu kapieren.

„Ellenbogen ... er geht doch immer mit dir am Ellenbogen spazieren.“

Endlich!

Bennet zog sie in Richtung Auto zurück. Dort ließ sie ihn wieder auf den Beifahrersitz springen und setzte sich darauf wieder hinter das Lenkrad. Dann fuhr sie zum Parkplatz am Ellenbogen, wo sie schon beim Heranfahren Bennets Auto sah.

„Hoffentlich ist ihm nichts passiert“, sagte sie in seine Richtung.

Wenn du wüsstest.

Sie sprang aus dem Auto und ließ ihn ebenfalls aussteigen.

„Na komm, Rooster. Vielleicht finden wir ihn hier.“

Sie sah in das Auto, wo sie Bennets Handy auf dem Beifahrersitz sah.

„Gut, im Auto ist er nicht. Vielleicht am Strand? Rooster, ist er noch am Strand?“

Frag doch nicht. Geh los!

Er zog am Seil Richtung Strand, sodass Anne Mühe hatte, im Sand nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Er zerrte sie zu der Stelle, wo er zusammengeschlagen worden war. Noch immer war sein Körper weg. Doch etwas hatte er gewittert.

Der Geruchssinn eines Hundes ist wirklich der Wahnsinn.

Schade, dass es mir vorhin in dem Stress nicht schon aufgefallen ist.

Zielstrebig lief er zu den Punkt, wo sich Bennets und Roosters Gerüche sammelten. An der Stelle angekommen begann er zu buddeln, bis er Roosters Leine und seine Schuhe fand, die er am Abend zuvor an der Leine festgebunden hatte, um sie nicht zu verlieren. Dann lief er zu den Blutspuren im Sand.

Anne erstarrte.

„Du meine Güte. Ich rufe jetzt die Polizei. Irgendetwas ist doch passiert.“

Endlich. Endlich hast du es begriffen.

Der Mann im Hund

Anne saß neben Bennet im Sand, während sie auf die Polizei wartete. Bennet konnte ihre Emotionen nicht deuten. Er war sowieso nicht gut darin, seine Freunde zu verstehen. Bei Verbrechern, zu denen er keine persönliche Beziehung hatte, klappte das super. Doch wenn es um seine Freunde und Familie ging, hatte er die Empathie einer Seegurke. Anne war das völlige Gegenteil. Auch wenn sie ein verpeilter Mensch war, wenn es um ihre Freunde ging, hatte sie immer ein offenes Ohr, während es Bennet unangenehm war, seine Freunde in Schwierigkeiten zu sehen.

Doch aus der Perspektive eines Hundes, der plötzlich von Gerüchen und Geräuschen erschlagen wurde, war es umso schwieriger. Überhaupt empfand er die Welt mit den Sinnen eines Hundes als viel komplexer und anstrengender. Alles war laut, das Kreischen der Möwen schmerzte in seinen Ohren. Dazu der Salzgeruch des Meeres, überall roch es nach Menschen, Autos und anderen Tieren. Und ihm war es als Mensch nie aufgefallen, wie stark Anne nach Hautcreme roch. Und wie sehr es ihn störte. Dass ihm gerade selber auffiel, dass er in Roosters Gegenwart geraucht und sich mit Rasierwasser das Gesicht vollgespritzt hatte, machte es nicht einfacher.

Die Polizeiautos näherten sich hörbar, sodass Anne wieder aufstand. Bennet schabte im Sand. Ob sie ihn überhaupt schon suchen würden? Bis jetzt lag kein Indiz für eine Straftat vor. Außer halt das Blut. Und das war zu viel für einen kleinen Unfall.

Hendrik, sein bester Freund und Kollege bei der Polizei, stapfte mit zwei Kollegen durch den Sand. Bennet war etwas beruhigt, weil er den Fall übernahm. Obwohl er sich Sorgen machte, dass er sofort wegen Befangenheit abgezogen werden könnte. Sie kannten sich seit fast zehn Jahren und waren sehr, sehr gute Freunde. Neben Anne hatte Hendrik ihm ebenfalls ewig in den Ohren gelegen, nach Sylt zu ziehen. Irgendwann hatte Bennet aufgegeben und sich versetzen lassen, als einer seiner Kollegen ausgefallen war. Um des lieben Friedens Willen und weil sie zumindest in dem Punkt recht hatten, dass es von Vorteil war, nah beieinander zu wohnen.

Leider hatte es Bennet nie geschafft, Anne und Hendrik zusammen zu bringen. Entweder hatte Anne keine Zeit, oder Hendrik. Ihre Arbeitszeiten passen selten zusammen, sodass Bennet froh war, wenn er es schon schaffte, seine Treffen mit ihnen alleine jeweils zu koordinieren.

Anne lief erleichtert auf ihn zu.

„Ich bin so froh, dass du da bist.“

Hendrik reichte ihr förmlich die Hand.

„Jetzt erklär mir mal, was hier los ist. Warum glaubst du, dass Bennet verschwunden ist?“

Sie führte ihn zu den ausgegrabenen Sachen und dem Blut, während sie ihm in einem einzigen Redeschwall die letzten fünfundsiebzig Minuten vortrug. Selbst Bennet konnte ihr nicht mehr folgen. Nachdem sie fertig war, sah Hendrik besorgt auf Rooster hinab, der beschwichtigend seine Ohren anlegte. Etwas, das Rooster immer getan hatte, wenn Bennet ihn für etwas beschuldigte, was er nicht getan hatte.

„Und jetzt hast du das Blut und die Leine mit Bennets Schuhen im Sand gefunden?“, wiederholte Hendrik ihre Ausführungen.

„Na ja, eher Rooster. Er hat mich hierhin gezerrt und sie ausgegraben.“

„Kluger Hund“, murmelte Hendrik mit Blick auf das Loch im Sand.

„Aber du hast recht. Das ist wirklich merkwürdig. Wir werden den Fall auf jeden Fall aufnehmen.“

Die zwei Kollegen wandten sich direkt um und liefen zurück zum Parkplatz. Bennet konnte sich denken, was sie jetzt taten. Absperrband und Kamera holen, um den ‚Tatort‘ zu sichern und die Beweise aufzunehmen. Wie gewohnt holte Hendrik seinen Block plus Kugelschreiber heraus.

„Ich weiß, dass Bennet jeden Abend mit Rooster hier spazieren geht. Weißt du, um wie viel Uhr?“

„Puh, da muss ich überlegen. Das kommt auf seine Dienstzeit an, das müsstest du wissen.“

Genau, wieso fragst du überhaupt?

Hendrik kratzte sich mit dem Stift am Kopf.

„Gestern hatte er Nachtschicht. Also hätte er heute frei gehabt. Dann wird er gegen zweiundzwanzig Uhr hier gewesen sein.“

Ich bin enttäuscht von dir, Kollege. Wir haben uns gestern noch über meinen Schichtplan unterhalten.

„Glaubst du, er könnte schwimmen gegangen sein?“

Bitte? Für wie blöd hältst du mich? Soll ich dir in die Schuhe pinkeln?

Bennet lachte innerlich bei dieser Vorstellung.

Anne schien seine Frage genauso abstrus zu finden wie er selber.

„Bennet weiß, dass man hier nicht schwimmen darf.

Warum sollte er ins Wasser gehen?“

„Es wäre eine Möglichkeit, sein Verschwinden zu erklären.“

„Als Polizist weiß er, dass hier schon unzählige Surfer und Schwimmer ertrunken sind. Er kennt die Strömungen hier oben. Das ist Blödsinn.“

Danke, Anne. Anscheinend rafft er es selbst nicht.

„Wir werden nach ihm suchen lassen. Ich möchte nur jede Möglichkeit miteinbeziehen. Was mich sehr wundert ist, dass die Leine mit seinen Schuhen im Sand vergraben waren. Und die Blutspuren daneben auf dem Sand, die aber nicht zwangsläufig von ihm sein müssen.

Das ergibt für mich keinen Sinn.“

„Das ist wirklich merkwürdig.“

Anne sah zu Rooster hinab.

„Rooster jedenfalls ist nicht verletzt. Er scheint also nicht mit niemandem gekämpft zu haben oder von jemanden angegriffen worden zu sein.“

Hendrik kniete sich zu Rooster hinab und sah ihm ins Gesicht. Bennet fühlte sich unwohl so nah vor Hendriks Gesicht zu hocken. Er wich zurück und setzte sich in den Sand.

„Was machen wir jetzt mit ihm? Solange Bennet nicht gefunden ist, muss er irgendwo bleiben“, fragte Hendrik mit Blick auf Rooster.

Anne zuckte die Achseln.

„Ich kann fragen, ob er übergangsweise in meiner Wohnung bleiben kann. Ich weiß nicht, ob das Institut Hunde erlaubt.“

„Das wäre super. Ich habe keine Zeit, mich um ihn zu kümmern. Da er Bennet gehörte, kannst du ihn erst einmal zu dir nehmen, bis wir wissen wie es weitergeht“,

sagte Hendrik traurig.

„Alles klar. Ich kümmere mich um ihn. Ich bin auch zeitlich flexibler als du.“

„Gut, dann machen wir das so. Wir durchsuchen sein Auto und seine Wohnung und schicken ein Team raus, das Bennet auf der Insel und im Meer suchen wird“, sagte Hendrik und wandte sich Rooster zu.

„Tja, dein Ruhestand ist aufgehoben. Du wirst jetzt Bennet suchen.“

Bennet verdrehte unmerklich die Augen. Wie sollte er sich denn selbst suchen? Aber vielleicht fand er ja seinen eigenen Körper. Obwohl das ganz schön gruselig wäre.

Was, wenn er mit Rooster den Körper getauscht hatte?

Dann rannte irgendwo ein Mensch herum, der sich wie ein Hund verhielt. Gut, wenn sich Menschen im Alltag wie Schimpansen verhalten, warum dann nicht wie ein Hund? Frauen beschnüffeln und alles anpinkeln - machen viele Kerle auch so.

Eventuell würde es gar nicht so schnell auffallen.

Er ließ sich von Anne zu ihrem Auto führen, wo er sah, wie die ersten Ermittler sein Auto inspizierten. Ein komisches Gefühl zu sehen, wie nach ihm gesucht wurde, obwohl er direkt danebenstand - ohne sich bemerkbar machen zu können.

Anne öffnete den Kofferraum und setzte sich mit Rooster auf die Ladefläche. Hendrik kam zu ihr.

„Mach dir keine Sorgen. Wir finden ihn.“

Witzbold. Bist du immer so optimistisch?

„Ich hoffe es. Ich hoffe, er liegt nicht irgendwo schwer verletzt in den Dünen oder treibt im Wasser. Ich frage mich nur, wie er verschwinden konnte. Er war doch gesund und fit. Ich glaube kaum, dass er einen Herzinfarkt oder Schlaganfall erlitten hat und irgendwo im Wasser treibt.“

„Ich weiß. Das verwirrt mich auch. Aber wenn es keine gesundheitlichen Ursachen hat, gibt es noch zwei weitere Möglichkeiten.“

Anne schluchzte plötzlich. Sie vergrub ihr Gesicht in den Händen.

„Ich weiß. Ein Verbrechen oder Suizid. Doch ich wollte noch nicht daran denken.“

Du hast Körpertausch nach Schlag auf den Kopf vergessen.

Anne sah wieder auf.

„Das könnte ich nicht ertragen.“

„Noch deutet nichts auf Suizid oder ein Verbrechen hin.

Und solange nichts darauf hindeutet, malen wir nicht den Teufel an die Wand. Okay? Wir überprüfen sein Telefon, rufen seine Verwandten an und suchen auf der Insel. Wir werden schon herausfinden, was passiert ist.“

Na, ob du dir da so sicher sein kannst?

Bennet streckte sich. Wenn sie wenigstens seinen Körper finden würden, konnte man vielleicht Indizien für das finden, was ihm passiert war.

Hendrik lief kurz zu Bennets Auto und holte dessen Pullover heraus. Als er wieder zurückkam, hielt er ihn Bennet vor die Nase.

„Such ihn, Rooster.“

Er schnüffelte an seinem eigenen Pullover. Dann nieste er.

Ich sollte öfter meine Sachen waschen. Das ist ja ekelhaft.

Bennet roch in die Luft, ob er etwas wittern konnte.

Doch außer seinen Schuhen und seinem Auto vernahm er nichts, was auf ihn selbst hindeuten konnte.

Er lief über den Parkplatz, weg vom Strand und zu den Dünen, wo er mit der Nase riechend über den Sand lief.

Warte ... ist da etwas?

Bennet folgte der Spur quer durch die Dünen, obwohl er wusste, dass es ein Naturschutzgebiet und somit verboten war. Aber momentan war er ja schließlich kein Mensch. Möwen flogen erschrocken in die Luft und kreisten kreischend über ihnen.