Nordisch verliebt - Karin Lindberg - E-Book

Nordisch verliebt E-Book

Karin Lindberg

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Beschreibung

Ständiges Fernweh lässt Wiebke von einem Sehnsuchtsort zum nächsten treiben. Die Insel Nortrum, auf der ihre Großmutter wohnt, käme da allerdings kaum in die engere Wahl. Zu viele melancholische Erinnerungen warten dort auf sie. Doch als Oma Griet sich verletzt und Hilfe braucht, springt Wiebke auf die nächste Fähre. Mit gemischten Gefühlen landet sie auf der kleinen Nordseeinsel und trifft prompt auf Thore, ihre Jugendliebe. Ausgerechnet er kümmert sich als Inselarzt um ihre Oma. Noch heute lässt der Blick aus seinen blauen Augen Wiebkes Knie weich werden. Dabei hat er sie einst so schrecklich enttäuscht. Um sich von ihren Gefühlen abzulenken, räumt sie Opas alte Fahrradwerkstatt aus, trennt Schrott von Brauchbarem und repariert die Fahrräder der Nachbarn. Schnell fühlt sie sich auf Nortrum wieder so zu Hause wie in ihrer Kindheit. Doch gerade als sie und Thore sich wieder näherkommen, deutet alles darauf hin, dass er sich kein bisschen verändert hat ... Alle Bände der "Inselküsse & Strandkorbglück"-Reihe sind in sich abgeschlossen.

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Nordisch verliebt

INSELKÜSSE & STRANDKORBGLÜCK

BUCH EINS

KARIN LINDBERG

Copyright © 2023 by Karin Lindberg

K.Baldvinsson

Am Petersberg 6a

21407 Deutsch Evern 

Alle Rechte vorbehalten.

Jede Verwertung oder Vervielfältigung dieses Buches – auch auszugsweise – sowie die Übersetzung dieses Werkes ist nur mit schriftlicher Genehmigung der Autorin gestattet. Handlungen und Personen im Roman sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

 

Lektorat: Dorothea Kenneweg

Korrektorat Ruth Pöß - www.das-kleine-korrektorat.de

Covergestaltung: Catrin Rausch

@Jenny Sturm (shutterstock)

@artcreationsdesign (freepik)

C

Vorwort

Was geschieht, wenn vier Autorinnen aufeinandertreffen, die die Leidenschaft fürs Schreiben und Reisen miteinander teilen? Sie planen eine gemeinsame Buchserie!

Über die Charaktere waren wir uns rasch einig, die Ideen für spannende Geschichten wurden geboren. Es fehlte nur noch der Schauplatz: Eine Nordseeinsel sollte es sein.

Schnell war uns klar, dass eine gemeinsame Reihe besondere örtliche Gegebenheiten erfordert – und so erschufen wir »Nortrum«, eine Insel, auf der wir alles fanden, was wir für unsere jeweiligen Geschichten brauchten: Reetgedeckte Häuser, einen Hafen, ein Dorf, einen Surfstrand, Dünen, einen Leuchtturm und jede Menge skurrile Charaktere.

Wir hoffen, dass dir unsere Serie gefällt. Dass du lachen musst und berührt sein wirst, dass du mitfiebern und miträtseln kannst, wohin das alles führen wird.

Jede Geschichte ist ein in sich abgeschlossener Roman, aber es erhöht das Lesevergnügen, wenn du mit dem ersten Teil beginnst.

Nimm also Platz, schnall dich an und lass dich von unseren Geschichten nach Nortrum entführen, eine Insel, wie wir sie uns erträumt haben.

Deine

Karin Lindberg, Stina Jensen, Karin Koenicke und Anne Stevens

Über das Buch

Wiebke hat ständig Fernweh und lässt sich von einem Sehnsuchtsort zum nächsten treiben. Die Insel Nortrum, auf der ihre Großmutter wohnt, käme da allerdings kaum in die engere Wahl. Zu viele melancholische Erinnerungen warten dort auf sie. Doch als Oma Griet sich verletzt und Hilfe braucht, springt Wiebke auf die nächste Fähre. Mit gemischten Gefühlen landet sie auf der kleinen Nordseeinsel und trifft prompt auf Thore, ihre Jugendliebe. Ausgerechnet er kümmert sich als Inselarzt um ihre Oma. Noch heute lässt der Blick aus seinen blauen Augen Wiebkes Knie weich werden. Dabei hat er sie einst so schrecklich enttäuscht.

Um sich von ihren Gefühlen abzulenken, räumt sie Opas alte Fahrradwerkstatt aus, trennt Schrott von Brauchbarem und repariert die Fahrräder der Nachbarn. Schnell fühlt sie sich auf Nortrum wieder so zu Hause wie in ihrer Kindheit. Doch gerade als sie und Thore sich wieder näherkommen, deutet alles darauf hin, dass er sich kein bisschen verändert hat ...

Inhalt

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Epilog

Mehr aus Nortrum

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Über die Autorin

Prolog

Die Junihitze hing heiß und drückend wie eine Glocke über Berlin. Das war etwas, woran ich mich nur schwer gewöhnen konnte. Die stickige Luft, der aufgeheizte Asphalt, die schwülen Nächte. Nicht mehr lange, sagte ich mir, und automatisch breitete sich ein Lächeln auf meinem Gesicht aus. Bald würde ich dem Großstadtmief entkommen, meine Abreise war organisiert – und das wollte etwas heißen, nicht umsonst war mein zweiter Vorname Chaos. Privat zumindest, beruflich hatte ich mir über die Jahre eine gewisse Struktur angewöhnt. Dafür war ich mit Kreativität gesegnet, wegen meiner vielen guten Ideen liebten mich meine Kunden, meistens zumindest. Und ich liebte es, mich bei meiner Arbeit austoben zu können, neue Konzepte zu entwickeln, ohne mich dabei auf ein spezielles Online-Thema festlegen zu müssen. Der größte Vorteil meiner Tätigkeit als Social-Media-Assistentin bestand jedoch darin, dass ich wohnen und arbeiten konnte, wo ich wollte. Kurz gesagt, mein Leben war unstet. Ich war wie eine Pusteblume im Wind. Es wurde schlimmer, je älter ich wurde. Die Abenteurerin in mir wollte die ganze Welt entdecken. Der Kick des Neuen trieb mich immer wieder um in der Hoffnung, in der Ferne doch noch das zu finden, was mich glücklich machte. Gleichzeitig sehnte ich mich danach, irgendwo anzukommen, anstatt immer wieder an Aufbruch zu denken. Aber diesen Ort des Glücks hatte ich für mich leider noch nicht entdeckt…

Während ich den ausschweifenden Ausführungen einer meiner anstrengenden Kundinnen über die Bluetooth-Stöpsel zuhörte, ging ich die letzten drei Blocks bis nach Hause zu Fuß. Zwischen meinen Brüsten lief mir der Schweiß hinab, auf meiner Stirn perlten salzige Tropfen. »Natürlich, Carolin, das mache ich«, antwortete ich meiner Kundin ein wenig atemlos, ehe die Pause im Gespräch zu lang wurde. Ich machte mir eine geistige Notiz, dass ich mir ihr Anliegen zu Hause sofort aufschreiben musste, sonst würde ich es womöglich doch vergessen. »Aber bist du dir auch ganz sicher, dass du den Newsletter wirklich am Sonntagmorgen um halb neun verschicken willst, ich meine, um diese Zeit ist doch niemand wach, die Leute haben Familienprogramm und…«

»Klar bin ich mir sicher, Wiebke, sonst würde ich es dir doch nicht sagen!«, unterbrach sie mich ungeduldig. Ich verkniff mir einen Kommentar. Ich hatte Carolin, die als Influencerin für nachhaltige Kosmetikprodukte eher mittelmäßigen Erfolg hatte, darauf hingewiesen, dass die Auswertung der Statistik kaum eine schlechtere Uhrzeit für ein Mailing ergab als diese. Wenn sie meine Einschätzung nicht teilte, war das ihr Problem. Allerdings wusste ich auch, dass ich mir im Nachhinein ihr Gejammer anhören durfte, wenn die Öffnungsrate mal wieder unterirdisch gewesen war. Mit knirschenden Zähnen überlegte ich, wie ich meinen wirklich gut gemeinten Rat formulieren konnte, damit er bei Carolin hoffentlich auf fruchtbaren Boden fiel. Letztlich wollte ich doch nur sicherstellen, dass es für sie endlich besser lief.

Gerade wollte ich etwas sagen, als mein Telefon mir mit einem Piepen anzeigte, dass noch jemand anrief. Ich verdrehte die Augen. Vermutlich war das eine weitere Kundin, der nach ihrem Feierabend etwas eingefallen war, was sie unbedingt bei mir loswerden wollte. Daran, dass manche Geschäftsfreundinnen glaubten, dass sie vierundzwanzig Stunden meiner Zeit gebucht hätten, hatte ich mich gewöhnt. Was nicht hieß, dass es mir gefiel. »Du, Carolin, bei mir ist es gerade ungünstig, schick mir doch alles per Mail, wie immer. Wir machen es so, wie du es haben willst. Ich muss jetzt leider auflegen, bis dann.« Ich drückte sie weg und nahm den anderen Anrufer an.

»Hallo?«

»Hallo Mäuschen«, ertönte die Stimmer meiner Mutter am anderen Ende, und ich blieb verdattert stehen. Wenn ich eine moderne Nomadin war, dann war sie ein Turbo-Zugvogel. Wir waren in meiner Kindheit so oft umgezogen, dass ich kaum ein Schuljahr an derselben Schule beendet hatte. Mama rief mich nie an, es sei denn …

»Ist etwas passiert?«, platzte es aus mir heraus, und ich setzte meinen Weg fort – schlechte Nachrichten wollte ich nicht mitten auf der Straße erhalten.

»Wie geht es dir?«, erkundigte sie sich, ohne meine Frage zu beantworten.

Sie klang nicht gerade betrübt, und ich atmete erleichtert aus. Vielleicht wollte sie ja doch nur mal hören, wie es mir ging. Während ich den Wohnblock im Prenzlauer Berg erreichte, in dem ich in den letzten vier Monaten ein Zimmer gemietet hatte, fragte ich mich dennoch, was sie von mir wollte. Es war ungewöhnlich, dass sie unangekündigt anrief. Wenn wir miteinander sprachen, dann vereinbarten wir normalerweise vorher eine Uhrzeit und trafen uns über Facetime. Etwas musste also im Busch sein.

Die Haustür stand offen, ich ging über einen schmalen Flur in den Hinterhof, von wo aus ich meine Erdgeschossbude erreichte und aufschloss. Hier unten war es relativ kühl, wenigstens etwas. Leider hörte man auch die Ratten in den Rohren, wenn es mal regnete und die Biester aus der Kanalisation krochen. Nun, heute sah es nicht nach Regen aus, und meine Tage hier waren sowieso gezählt.

»Mir geht es bestens, ich hatte dir doch per E-Mail geschrieben, dass ich in zwei Wochen nach Buenos Aires fliege, von wo aus ich meine Südamerika-Tour starte.«

Wollte sie mich vielleicht begleiten? Es wäre zwar ungewöhnlich, aber nicht ausgeschlossen. Wir hatten solche Trips schon öfter gemeinsam unternommen und verstanden uns gut – bis auf das eine Thema, das sie jetzt garantiert nicht zur Sprache bringen würde. Und ich auch nicht.

»Äh, ja, deswegen melde ich mich«, begann meine Mutter zögerlich, und mir wurde leicht flau im Magen. Da stimmte also doch was nicht.

»Mama? Was ist los?«, hakte ich nach.

»Ich wollte fragen, ob du nach Nortrum fahren kannst, um Oma zu helfen.«

Ich runzelte die Stirn. »Wieso das denn?«

Klar, ich hatte meine Oma schon eine Weile nicht besucht, aber das hatte gute Gründe – ich mied die kleine Nordseeinsel wie ein echter Fischkopp die Südsee. Oma und ich trafen uns regelmäßig, aber nicht auf Nortrum. Glücklicherweise war meine Oma für ihre Fünfundsiebzig fit und verreiste sehr gern. Zuletzt hatten wir uns im Januar für vier Wochen in Lissabon getroffen, wobei sie am Ende der Reise sichtlich erleichtert gewesen war, wieder zurück auf ihre Nordseeinsel zu können. Im Gegensatz zu mir war Oma nicht vor ihrem eigenen Leben auf der Flucht, sie hatte die Zeit in Lissabon sehr genossen. Mein Gewissen regte sich, ich hatte mich in den letzten Wochen nicht so oft gemeldet, wie ich es vielleicht hätte tun sollen …

»Oma ist im Garten auf die Leiter geklettert, sie hat ihren Buchsbaum beschnitten, du weißt schon, das riesige Teil. Frag mich nicht, wieso gerade jetzt, ist auch egal. Sie ist jedenfalls gestürzt.«

»O Gott«, entfuhr es mir, und mein Herz setzte einen Schlag aus. »Geht es ihr gut?«

»Es geht ihr den Umständen entsprechend gut. Und ehe du ausflippst: Es ist halb so wild. Oma hat sich das Schienbein gebrochen und die Schulter verstaucht. Das Blöde an der Sache ist, ich bin gerade nicht im Lande und habe nächste Woche eine Ausstellung, und die kann ich nicht absagen, aber jemand muss natürlich nach Oma schauen und sie unterstützen. Sie hat sich nämlich selbst aus dem Krankenhaus entlassen – stur wie sie ist.«

Ach du Schande. Sie hatte sich selbst entlassen? Das sah Oma ähnlich. Und dass meine Mutter ihre Ausstellung nicht sausen lassen würde, überraschte mich auch nicht. Mama hatte hart dafür gearbeitet, und es war daher nur verständlich, dass sie erst einmal mich kontaktierte. Es stand außer Frage, dass ich sofort packen und losfahren würde. Ich liebte meine Oma und machte mir schreckliche Sorgen. Ich kam nicht mal zum Antworten, denn meine Mutter plapperte weiter. Ein untrügliches Anzeichen dafür, wie aufgewühlt sie war. »Oma kommt zu Hause unmöglich allein klar. Bitte, Wiebke, ich würde dich nicht fragen, wenn ich nicht Verpflichtungen hätte! Außerdem hast du Oma schon seit Ewigkeiten nicht besucht.«

Das stimmte, aber ich hatte viel zu tun gehabt … Ich war allerdings nicht überrascht, dass Mama diese Karte ausspielte, und verzog meine Lippen. »Ach, Mama. Du musst mir kein schlechtes Gewissen einreden. Ich wäre auch so hingefahren. Und wann hast du sie zuletzt besucht?«

Diese kleine Spitze konnte ich mir nicht verkneifen. Meine Mutter war allerdings schlau genug, nicht darauf einzugehen. Wir hatten beide ein eher hitziges Temperament. Wie immer, wenn mir das auffiel, fragte ich mich, was ich wohl von meinem Vater hatte. Nicht jetzt, sagte ich mir und verdrängte die großen Fragen meines Lebens so schnell, wie sie aufgetaucht waren.

»Wunderbar!«, trällerte meine Mutter, hörbar erleichtert. »Ich freue mich, dass du es dir einrichten kannst. Ich habe Oma vorhin auch schon gesagt, dass du kommen wirst. In Südamerika ist es gerade sowieso unerträglich heiß, oder? Ein bisschen frischer Wind an der Nordsee wird dir guttun, Mäuschen.«

Sie hatte meiner Oma schon vor unserem Telefonat gesagt, dass ich kommen würde? Wundervoll. Wie schön, dass auch mit fünfunddreißig immer noch über meinen Kopf hinweg entschieden wurde. Sprachlos verzog ich mein Gesicht, auch wenn ich wusste, dass meine Mama es nicht sehen konnte. Während ich gedanklich schon weiter war und mir bewusstwurde, wohin meine baldige Reise gehen würde, machte sich ein flaues Gefühl in meiner Magengrube breit.

»Also kümmern wir uns mal um die Planänderung«, murmelte ich, um nicht sofort in schmerzhaften Erinnerungen zu versinken, die ich mit Nortrum verband.

Nachdem ich das Telefonat beendet hatte, ließ ich mich stöhnend aufs Bett sinken. Dann suchte ich mir die nächsten Zug- und Fährverbindungen heraus. Mit sieben Klicks hatte ich die Reise zu Oma organisiert.

Gerade wünschte ich mir, dass sich all die Rätsel meines Lebens genauso leicht lösen ließen. Denk nicht an ihn, sagte ich mir.

Aber es war unmöglich, mich nicht an diesen einen Sommer zu erinnern, der alles für mich verändert hatte. Obwohl ich es mit allen Techniken, die ich im Laufe meines Lebens zum Thema Ruhe bewahren gelernt hatte, versuchte, konnte ich nicht verhindern, dass mein Herz wild pochte.

Mit dem Grund, warum ich die kleine Nordseeinsel so vehement mied,musste ich mich jetzt wohl gezwungenermaßen auseinandersetzen. Andererseits würde ich ihn bestimmt nicht rein zufällig wiedersehen. Ich wusste ja nicht einmal, ob er noch dort lebte. Gleichzeitig hatte ich so eine Vorahnung, dass ich das womöglich schneller herausfinden würde, als mir lieb war.

KapitelEins

Ich hatte vergessen, wie kalt der Wind an der Nordsee sein konnte. Wie frisch. Wie wundervoll. Meine Hände umklammerten die Reling an Deck der alten Fähre. Meine Lungen weiteten sich mit jedem Atemzug ein Stückchen mehr. Die Luft roch nach Meersalz und Freiheit. Ich liebte den Blick über das dunkle, schäumende Meer. Der Dieselmotor rumpelte beruhigend monoton. Einige Möwen begleiteten das Schiff mit ihrem Kreischen. Sie schwebten im Wind, als würden sie darauf tanzen. Der Horizont erstreckte sich weit, geradezu unendlich in der Ferne.

Die Umrisse der kleinen Nordseeinsel Nortrum waren bereits auszumachen, Föhr und Amrum hatten wir längst hinter uns gelassen. Es konnte also nicht mehr lange dauern, bis die Fähre anlegte.

Und dann? Ich hatte keine Ahnung, was mich auf der Insel erwarten würde. Ein wenig Angst hatte ich schon. Gleichzeitig schlug mein Herz höher, wenn ich daran dachte, bald wieder bei Oma zu sein. Für eine Sekunde schloss ich meine Lider und sah das schnuckelige Reetdachhaus vor mir, in dem ich als Kind so oft die Ferien verbracht hatte. Und ich freute mich sehr auf meine quirlige und herzensgute Oma, die mir so viel bedeutete. Ich hatte auf dem Weg vom Zug aus schon mit ihr telefoniert. Sie hatte im Gespräch glücklicherweise topfit gewirkt, und – das sah ihr ähnlich – nicht einmal einen Atemzug darauf verschwendet, um über ihr kleines Missgeschick bei der Gartenarbeit zu sprechen. Ich schmunzelte in mich hinein. Ein warmes Gefühl breitete sich in meiner Brust aus, was meine Nervosität ein wenig abmilderte.

»Urlaub oder Nachhausekommen?«, sprach mich eine klangvolle Frauenstimme an, und ich öffnete meine Augen. Neben mir stand eine schlanke Blondine, die ich ungefähr auf mein Alter schätzte. Ein paar Strähnen hatten sich aus ihrem Zopf gelöst und wehten ihr um die Stupsnase. Sie trug einen Kapuzenpullover zu einer knöchellangen Hose, ihre Füße steckten in schmalen Riemchensandalen. Die Fußnägel waren in einem hellen Rosa lackiert.

Weil ich keine geistreichere Antwort auf die Frage in petto hatte, antwortete ich mit einem Achselzucken und lächelte schief. »Ich weiß noch nicht.« Dabei wusste ich sehr genau, was ich hier vorhatte: Wie immer, wenn ich irgendwo hinreiste, dann nicht, um zu bleiben. So gut kannte ich mich mittlerweile und versuchte erst gar nicht, mir etwas vorzumachen. Ich war nicht dafür gemacht, sesshaft zu werden. Schon gar nicht auf Nortrum. Vielleicht hatte ich früher einmal daran geglaubt, in jenem wundervollen Sommer, aber damals war ich jung und so verdammt naiv gewesen. Heute wusste ich es besser. Viel besser.

Nein. Ich würde mich jetzt nicht auf diesen deprimierenden Pfad meiner Vergangenheit begeben. Deshalb straffte ich mich und schenkte meiner Gesprächspartnerin ein weiteres Lächeln. »Und du?«, wollte ich von ihr wissen.

Sie strahlte mich aus blauen Augen an. »Ich wohne auf der Insel und betreibe ein kleines Geschäft. Ein Café mit Dekoladen. Deswegen war ich auf dem Festland. Ich hatte in Hamburg Termine bei einigen Manufakturen, und jetzt überlege ich, was ich mir zusätzlich in den Laden stellen könnte. Mit Kerzen und Friesentee lockst du heute keinen mehr hinter dem Ofen hervor.« Sie verzog ihre Lippen und lachte.

Wir näherten uns dem Ufer, ich konnte schon die ersten reetgedeckten Dächer erkennen. Mein Magen zog sich nervös zusammen, und das hatte rein gar nichts mit dem leichten Seegang zu tun.

»Das kann ich mir vorstellen. Aber es klingt trotzdem spannend«, gab ich höflich zurück. Meine Gesprächspartnerin war supersympathisch, und unter normalen Umständen hätte ich mich gern mit ihr unterhalten, aber gerade konnte ich mich nicht wirklich darauf konzentrieren. Ich muss ziemlich abweisend auf sie wirken, dachte ich schuldbewusst.

»Vielleicht sieht man sich ja mal. Wie lange bleibst du auf unserer schönen Insel?«

O je. Das war eine weitere Frage, auf die ich keine Antwort hatte. Ich legte mich nicht gern fest, außerdem hatte ich keine Ahnung, wie lange meine Oma mich brauchen würde. »In zwei Wochen will ich eine Reise nach Südamerika antreten, Brasilien und Argentinien unter anderem.« Die Wahrscheinlichkeit war hoch, dass ich die vierzehn Tage bis zu meiner Abreise hier verbringen würde, obwohl mir schon die Vorstellung hektische Flecken bescherte. Ich war seit meinem achtzehnten Geburtstag nie mehr als zwei oder drei Tage auf Nortrum gewesen, länger hatte ich es nie ausgehalten. Der Gedanke, bald wieder aufzubrechen und ganz weit wegzufahren, war auch jetzt meine Rettung. Einfach alles hinter mir zu lassen, das kam mir immer wie die Lösung aller Probleme vor. Als ob ich nicht schon allzu oft hatte feststellen müssen, dass ich auch am anderen Ende der Welt dieselbe Person blieb, mit all den nervigen Problemen im Gepäck. Trotzdem war jedes Mal wieder die Aussicht auf einen Neuanfang verlockend. Das Abenteuer und der Reiz des Unbekannten konnten mich ja auch eine Weile ganz gut ablenken. Insofern: Brasilien, ich komme!

»O wow. Das ist ja aufregend! Und ich habe mich mondän gefühlt, weil ich heute bis nach Hamburg gekommen bin.« Sie kicherte.

Ihren Humor mochte ich. »Ich bin übrigens Wiebke«, stellte ich mich vor.

»Das klingt nordisch. Dann kommst du aus der Gegend? Ich bin Svantje. Svantje Scheer. Vielleicht sehen wir uns ja mal. Mein Laden heißt Letj Dekopot, du findest das Café bestimmt, so groß ist unser Dorf ja nicht.«

Svantjes Frage nach meiner Herkunft überging ich. Das war ein Thema, das ich genauso gern vermied, wie mich festzulegen.

»Ich komme auf jeden Fall vorbei.« Vielleicht gab es in ihrem Geschäft ja W-Lan, dann könnte ich von dort aus arbeiten. Diese Frage sprach ich jedoch nicht aus, ich wollte nicht als Touristin abgestempelt werden, die ohne Internet nicht klarkam. Dass ich meine Brötchen als Social-Media-Assistentin verdiente, musste Svantje nicht wissen. Obwohl ich sie nett fand, wurden aus uns in den paar Tagen bestimmt nicht die dicksten Freundinnen. Ich hatte zwar keine Probleme damit, Bekanntschaften zu schließen, aber mehr als eine oberflächliche Sache ergab sich selten daraus.

Sie erzählte mir ein bisschen über den Alltag als Ladenbesitzerin, und ehe wir uns versahen, erreichten wir auch schon den Fähranleger im Hafen von Nortrum.

Die meisten Reisenden, die sich noch an Deck befanden, machten sich bereit für die Ankunft. Anders als die größeren Inseln war Nortrum autofrei. Man konnte fast alles zu Fuß oder mit dem Rad erreichen. Ich schätzte, dass viele der Leute an Bord ihren Drahtesel dabeihatten. Beim Einsteigen hatte ich unzählige E-Bikes gesehen. Ein bisschen beneidete ich sie darum, ich war zu Fuß unterwegs. Andererseits, meine Sachen hätte ich ohnehin nicht auf einen Gepäckträger bekommen. Dabei passte mein Leben in zwei Koffer und einen Rucksack. Ich reiste nicht gern mit Ballast. Jedenfalls nicht mit Physischem. Von emotionalen Altlasten schleppte ich mehr als genug mit mir herum.

»Soll ich dich irgendwohin mitnehmen?«, fragte mich Svantje, als könnte sie meine Gedanken lesen. »Ich bin mit meinem Lieferwagen unterwegs, denn ich wusste ja, dass ich ein paar Sachen für den Laden auf dem Festland besorgen wollte.«

Kurz zögerte ich. »Das wäre sehr nett, aber nur, wenn es dir keine Umstände bereitet.«

O je, das klang echt gestelzt, aber nun war es heraus.

»Ach Quatsch, komm mit!« Sie lächelte mich an, und ich folgte Svantje nach unten aufs Autodeck, das so gut wie leer war. Auf der Insel war es nur Ärzten, Polizei und Unternehmen wie Handwerkern erlaubt, Fahrzeuge zu benutzen. Wenig später rollten wir von Bord, Svantjes Caddy war vollgestopft mit allem möglichen Kram und einigen Kisten. Im Fußraum lagen Bonbonpackungen und zwei leere Flaschen neben Krümeln, Steinchen und vertrockneten Blättern.

»Tut mir leid, wie es hier drin aussieht, ich bin echt eine Schlampe«, erklärte Svantje mit einem entschuldigenden Achselzucken. Auf einmal war sie mir noch sympathischer, ihre Art war so authentisch. Sie war eine Frau, die viel zu viel zu tun hatte und die daher erst gar nicht so zu tun versuchte, als hätte sie alles unter Kontrolle. Das war herrlich erfrischend. »Du hast Kinder?«, fragte ich, als ich ein Spielzeugauto unter einem Stanniolpapier ausmachen konnte.

»Ja, ich habe einen Sohn, er ist gerade fünf geworden. Und du?«

»Äh, nein, noch nicht«, gab ich zurück und schaute aus dem Fenster. Sonnenstrahlen glitzerten auf dem Wasser, einige Möwen schaukelten in Ufernähe auf den sanften Wellen.

Svantje ging nicht weiter darauf ein, was ich als sehr taktvoll und angenehm empfand.

Im Radio dudelte der aktuelle Sommerhit, der mir normalerweise gute Laune bescherte. Trotzdem ergriff mich ein leichtes Gefühl der Beklemmung, je weiter wir uns von der Fähre entfernten. Ich wusste genau, was hinter den Dünen lag und ebenso wie die Küste rechts von der Straße aussah. Wir überholten ein Pferdefuhrwerk, das Gepäck und Touristen über die Insel beförderte. Alles hier kam mir so vertraut und doch vollkommen fremd vor.

»Wo musst du denn überhaupt hin?«, riss mich Svantje aus meinen Gedanken.

»Wiesenweg sieben«, antwortete ich. »Griet ist meine Oma, sie hatte einen kleinen Unfall, und ich kümmere mich ein paar Tage um sie, bis sie wieder auf den Beinen ist.« Ich ging davon aus, dass Svantje meine Oma kannte. So groß war Nortrum nicht, und meine Oma liebte Kuchen und Gesellschaft. Es war daher anzunehmen, dass sie sich zumindest schon mal im Café begegnet waren.

»Ach, Griet ist deine Oma? Ich habe davon gehört. Tut mir leid. Es stimmt also doch. Die meisten Unfälle passieren im Haushalt. Aber Griet ist doch unmöglich in vierzehn Tagen wieder auf den Beinen?«

»Wir werden sehen.« Mehr wollte ich dazu nicht sagen, denn so gern ich meine Oma hatte, so sehr hoffte ich darauf, bald wieder von der Insel verschwinden zu können. Die Welt zu erkunden war meine Droge, neue Eindrücke, neue Menschen, neue Hoffnungen. Ich suchte nach den fehlenden Puzzleteilen meines Lebens, um endlich Frieden mit mir selbst machen zu können. Irgendwo musste es diesen einen Ort geben, an dem alles für mich einen Sinn ergab. Aber all das wollte ich jetzt nicht erzählen.

Svantje bemerkte, dass ich mich ein wenig versteift hatte. Ich war froh, dass sie auch hier nicht nachhakte. Für einige Minuten fuhren wir schweigend, das hieß, ich hielt die Klappe, und Svantje summte die Lieder aus dem Radio mit. Sie kam mir wie ein Mensch vor, der von Natur aus gut gelaunt war. Irgendwie beneidete ich sie ein wenig darum. Obwohl ich mich nicht als Pessimistin bezeichnen würde, so grübelte ich doch viel zu häufig über die ungeklärten Fragen meines Lebens, ohne jemals passende oder zufriedenstellende Antworten darauf zu finden.

»So, da wären wir«, erklärte sie schließlich mit einem strahlenden Lächeln und zog die Handbremse mit einem Ruck fest.

»Danke fürs Mitnehmen. Was schulde ich dir?«, wollte ich von ihr wissen.

Für eine Sekunde wirkte Svantje irritiert, dann schüttelte sie energisch den Kopf. »Also bitte, Wiebke! Wir helfen uns hier gegenseitig, ein Gefallen kostet doch nichts.«

O je. Da war ich wohl in ein Fettnäpfchen getreten. Ich wusste nicht, was ich darauf erwidern sollte, was nicht total bemüht klang, daher schwieg ich betreten.

Glücklicherweise war Svantje nicht von der nachtragenden Sorte. »Du kannst erst mal in Ruhe ankommen. Natürlich musst du dich um deine Oma kümmern, aber vielleicht kannst du die Zeit auf der Insel ja sogar ein bisschen genießen.« Was wohl so viel heißen sollte, dass ich sehr gestresst wirkte – und damit traf sie natürlich voll ins Schwarze.

Ich war so gespannt wie die Saite einer E-Gitarre. Die Gründe lagen auf der Hand. Nur ungern kam ich meinen schmerzhaften Erinnerungen so nah, aber irgendwie würde ich schon klarkommen. Das hoffte ich zumindest.

Svantje half mir dabei, meine Koffer aus dem Caddy herauszuziehen. Dann verabschiedete sie sich herzlich von mir und brauste wenige Sekunden später winkend davon.

Ich blieb für einen Moment stehen und hielt inne. Mein Herz pochte viel zu schnell. Ich hatte das Gefühl, kaum Luft zu bekommen. Etwas drückte auf meinen Brustkorb, was sich stark nach Angst anfühlte.

Im Wiesenweg sieben hatte sich wenig verändert. Omas Garten war so gut in Schuss wie eh und je. Ihr ganzer Stolz waren die vielen Hortensienbüsche, die üppig blühten. Bienen summten umher, ein Schmetterling ruhte in der Sonne und breitete seine Flügel aus. Es war angenehm kühl auf der Insel.

Der Buchsbaum neben dem weiß gestrichenen Gartentörchen sah ein wenig ramponiert aus. Davon abgesehen schien mir alles unverändert, und so, wie ich es in Erinnerung hatte. Aus dem grünen Briefkasten am Eingangstörchen ragte eine Zeitung hervor. In den Erkerfenstern standen Topfblumen. Ich atmete hörbar aus.

Diese Idylle machte mich jetzt schon fertig.

Ich verzog meine Lippen und schimpfte mich stumm eine Idiotin, dann setzte ich mich wieder in Bewegung und schleppte mein Gepäck hinter mir her. Der schmale Weg zum schnuckeligen Reetdachhaus war gepflegt. Nicht ein unerwünschter Grashalm wucherte aus den Ritzen zwischen den Pflastersteinen, typisch Oma.

Man konnte durch die Fenster der Haustür nichts erkennen, Oma hatte dort immer noch Gardinen hängen. Ich klingelte nicht und fand es nach wie vor verrückt, dass sie sich selbst aus dem Krankenhaus entlassen hatte. Zum Glück erinnerte ich mich, wo sich der Ersatzschlüssel befand, denn Oma hätte mir sowieso nicht öffnen können. Es war wenig originell, den Schlüssel unter den Blumenpott zu legen, der mit weißen Margeriten bepflanzt war, aber Einbrecher gab es auf der Insel wohl eher wenige. Ich verkniff mir ein Schmunzeln und merkte, wie schön ich es fand, dass hier fast alles beim Alten geblieben war.

Meine Großeltern mit ihrem Häuschen auf Nortrum, waren früher der einzige Fixpunkt für mich gewesen, den man als Zuhause bezeichnen könnte. Hier hatte ich so oft wie möglich die Ferien verbracht – bis zu jenem Sommer, der alles für mich verändert hatte. Und nach Opas Beerdigung vor fünf Jahren war ich dann überhaupt nicht mehr auf die Insel zurückgekehrt.

Ich versuchte mich zusammenzureißen, während die verschiedensten Emotionen auf mich einprasselten. Es war seltsam, wieder hier zu sein. Schmerzvoll und doch irgendwie schön.

Ehe ich mich in Sentimentalitäten verlor, schloss ich die Tür auf und schob mein Gepäck in den Flur. Es roch so vertraut, dass meine Kehle eng wurde. Aus dem Wohnzimmer drang leises Gemurmel an mein Ohr, vielleicht lief der Fernseher oder das Radio.

---ENDE DER LESEPROBE---