Normas Lieblingsmörder - Helmut M. - E-Book

Normas Lieblingsmörder E-Book

Helmut M.

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Beschreibung

Kommissarin Norma Brinkmann verliebt sich ausgerechnet in den Hauptverdächtigen Martin Opitz. Vor dem kriminalistischen Hintergrund entspinnt sich die brutalstmögliche Liebesgeschichte. Opitz ist der geborene Lügner, Betrüger und Fälscher. Aber auch ein eiskalter Mörder? Ein gefährlicher Psychopath oder nur ein begnadeter Schauspieler? Mensch oder Monster? Oder gar der Teufel in Person? Selbst die zurate gezogene Psychiaterin verzweifelt. Fragt sich nur, wer wen zuerst umbringt. Den Anfang macht jedenfalls die Kommissarin. Doch Opitz überlebt, wenn auch nur knapp. Der Krimi führt durch alle Höhen und Tiefen des menschlichen Lebens zwischen Siebtem Himmel und tiefster Hölle. Eine permanente Achterbahnfahrt der Gefühle. Und mehr als einmal nimmt die Geschichte eine völlig unerwartete Wendung.

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Seitenzahl: 383

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Helmut M.

Normas Lieblingsmörder

Tragikomischer Kriminalroman

© 2023 Dr. Helmut M. Artus

Cover: Aquarell von Gudrun Hofmann-Artus, frei nach dem Schatten aus der Feind-hört-mit-Kampagne zu Kriegszeiten

ISBN Softcover: 978-3-347-96062-6

Druck und Distribution im Auftrag tredition GmbH,

An der Strusbek 10, 22926 Ahrensburg, Germany

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Für die Inhalte ist der Autor verantwortlich. Jede Verwertung ohne seine Zustimmung ist unzulässig.

Die Publikation und Verbreitung erfolgen im Auftrag des Autors, zu erreichen unter:

tredition GmbH, Abteilung „Impressumservice“, An der Strusbek 10, 22926 Ahrensburg, Deutschland.

Personen der Handlung

Norma Brinkmann

Leiterin der Mordkommission, schmiedet Träume für das Leben nach der baldigen Pensionierung

Martin Opitz

Frührentner, Hauptverdächtiger,

 

macht Normas Träume brutal zunichte

Henning Traufetter

Träumt davon, Normas Nachfolger zu werden – aber doch nicht so!

Solvig Madelung

Scheint immer zu träumen. Aber das täuscht enorm.

Staatsanwalt Assenmacher

Träumt davon, dass Opitz endlich einen entscheidenden Fehler macht.

Gebrüder Grimm (bürgerlich: Matthias Grimm)

Mordopfer, haben bzw. hat ausgeträumt.

Witwe Grimm

Ihre Trauer hält sich in engen Grenzen, im Gegensatz zu ihren erotischen Träumen.

Dr. Roland Langerwehe

Abteilungsleiter; auch mordverdächtig. Träumt von Karriere, schnellem Geld und langbeinigen Frauen.

Frau Dr. Baykal

Träumt vom Mord an Matthias Grimm – aber zu spät!

Elisabeth

Schwägerin von Opitz, Krawallschachtel. Nicht gerade ein Sommernachtstraum.

Ein komischer alter Kauz

Fast 80, aber noch fit. Immer hilfsbereit. Traum von einem Nachbarn.

Pandora Rübenzahl(bürgerlich: Gerda-Marita Burmeester, geb. Rübenzahl)

Wichtigste Belastungszeugin. Stripperin, Gelegenheits-Prostituierte. Eher Albtraum als Objekt feuchter Träume.

Dr. Monika Kaminsky

Psychiaterin, verzweifelt an der psychologischen Kompliziertheit von Opitz und träumt von einem anderen Beruf. Und zwar sofort!

Lorenzo Serafin

Traum-Mann für den Rest des Lebens

Tiziana

Nur ein Traum?

Giambattista Allegri

Vermessungsinspektor und Komponist (*1875, † 1908); hat traumhaft schöne Musik geschrieben.

Ignaz Wrobel

Hat (ehrlich!) nicht von „Irreführung der Behörden in Tateinheit mit Behinderung der polizeilichen Ermittlungsmaßnahmen durch Vortäuschen einerfalschen Identität“ gesprochen, hätte sich aber keine schönere Formulierung erträumen können, selbst wenn es ihn tatsächlich jemals gegeben hätte!

Shylock & Jago

Waren leider gerade in Venedig beschäftigt, der eine als Kaufmann, der andere als Fähnrich, hätten sich aber in dieser Geschichte traumhaft wohl gefühlt.

Inhalt

Cover

Titelblatt

Urheberrechte

1. Der Mord

2. Die Witwe

3. Spuren, Ermittlungen und Tohuwabohu

4. Vorläufiges Ermittlungsergebnis: deprimierend

5. Das Institut

6. Herr Opitz

7. Frau Dr. Baykal aus Cuxhaven

8. Herr Opitz und die Wahrheitsliebe

9. Die Tricks des Herrn Opitz

10. Polizei-Terror

11. The day after

12. Herr Opitz in U-Haft

13. Suspendiert

14. Herr Opitz und die Psychologie

15. High Noon – Der große Auftritt des Herrn Opitz

16. Der Schatten

17. Heiß wie ein Vulkan

18. Die Idee

19. Private Nachforschungen

20. Vergifteter Wein

21. Herr Opitz, der Kriminal-Schriftsteller

22. Herr Opitz und die Forensische Meteorologie

23. Herr Opitz und der perfekte Mord

24. Ein teuflischer Plan

25. Mord mit Musikbegleitung

26. Drunter & drüber

27. Das Gelächter der Hexe

28. Die unsichtbaren Strapse

29. Norma, verzweifelt gesucht

30. In der Gewalt des Herrn Opitz

31. Freundlicher Besuch im Mörderhaus

32. Die Erstürmung des Opitz-Hauses

33. Nachspiel im Präsidium

34. Verfahren eingestellt

35. Der Schuldbeweis

36. Herr Opitz und das umfassende Geständnis

37. Herr Opitz stellt Bedingungen

38. Herr Opitz und die Mafia

39. Der Auftragsmord

40. 37

41. In den Bleikammern

42. Der Super-GAU

43. Krisensitzung

44. Die umfassende, vorbehaltlose und wahrheitsgemäße Aussage des Herrn Opitz

45. Der Vertrag

46. Herr Opitz hält Wort

47. Warum nicht gleich ins Schlafzimmer?

48. Liebe und Hass

49. Norma Lächelt. Dreimal.

50. Der Geisteszustand von Herrn Opitz

51. Entfremdung

52. Abschied

53. Normas Rache

54. Eine Männerfreundschaft

55. Normas Tod

56. Normas Beerdigung

57. Deutsch-italienische Freundschaft

ANHANG

Normas Lieblingsmörder

Cover

Titelblatt

Urheberrechte

1. Der Mord

57. Deutsch-italienische Freundschaft

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1. Der Mord

Der Sommer war lang und unerträglich heiß gewesen. Woche um Woche hatte die Sonne vom wolkenlosen Himmel herab auf Gerechte und Ungerechte gebrannt und den Boden ausgedörrt. Aber gestern hatten Sturmböen düstere Wolken vor sich her getrieben, und vom Nachmittag an hatte es nur noch geregnet, was vom Himmel herunter wollte.

„Das gibt Ärger“, sagte Gerhard Holzegger, der Leiter des KTU-Teams, das im strömenden Regen an der Fundstelle der Leiche herumkroch und verzweifelt versuchte, jedes noch so kleine Detail zu sichern, das auch nur im entferntesten mit dem Mord zu tun haben konnte. Und um einen Mord handelte es sich offensichtlich. Das sah Holzegger auf den ersten Blick. Dazu hätte es nicht der Anwesenheit von Norma Brinkmann bedurft, der Leiterin der Mordkommission, die sich gerade über den zerschmetterten und blutverkrusteten Hinterkopf des Mannes beugte, den man am Vormittag hier am Waldrand gefunden hatte, kaum drei Meter neben dem Spazierweg.

„Ja, das gibt Ärger“, bestätigte Henning Traufetter, Normas Partner, der neben ihr stand und schützend den Regenschirm über sie hielt. „Der ausgedörrte Boden hätte ja nicht einmal die Spuren eines Panzers aufgenommen. Und jetzt dieser Regen…! Wenn es jemals Spuren gegeben hat, dann sind die jetzt längst in Matsch verwandelt oder vom Regen fortgeschwemmt.“

„Ja, das gibt Ärger“, wiederholte Norma, „und nicht zu knapp. Warum wurde er denn erst so spät gefunden? Die Jogger sind doch immer so früh dran.“ Inzwischen war es bereits elf Uhr.

„Die Leiche liegt ja etwas abseits vom Weg mitten im Farn“, erläuterte Holzegger. „Und weil die Jogger ohnehin nur Augen für den Weg und die riesigen Pfützen hatten…“

„War ja nur ‘ne Frage“, entschuldigte sich Norma, und für einen Wimpernschlag hatte sie das Bild von Palmen am blauen Meer unter strahlender Sonne vor Augen. Bald, murmelte sie, aber so leise, dass niemand es hören konnte.

Kriminalhauptkommissarin Norma Brinkmann würde in wenigen Wochen in Pension gehen, sogar drei Jahre vor der Zeit, „ehe mich diese Arbeit vollends auffrisst und seelisch kaputtmacht“, wie sie erklärte.

Sie war eine ausgesprochen gut aussehende Frau von etwa einem Meter siebzig, schlank, aber mit wohlgeformten Rundungen. Sie hatte nicht das ‚Hüftgold‘ angesetzt, über das viele Frauen ihres Alters jammern. Ihr Busen war vergleichsweise groß, aber keineswegs zu groß, und er war wohlgeformt und fest, soweit sich das von außen beurteilen ließ. Mit einem Wort: verlockend. Auch ihre Beine musste sie wahrlich nicht verstecken. Überhaupt brauchte sie wegen ihres Aussehens keine Komplexe zu haben. Ihr hübsches Gesicht mit den warmen braunen Augen wurde von mittellangem brünettem Haar umrahmt, in das sich inzwischen mehr und mehr silbergraue Fäden mischten. Die ersten Falten im Gesicht und am Hals beeinträchtigten den Gesamteindruck nicht, sondern betonten nur ihre Reife. Trotz ihres Alters war sie also noch sehr attraktiv.

Ein solcher Blick auf die Gegebenheiten und Vorzüge des weiblichen Körpers gilt in unserer Zeit als völlig unkorrekt und sexistisch. Er scheint jedoch gerechtfertigt, würde doch sonst vieles im Fortgang dieser Geschichte unverständlich bleiben.

Im Übrigen war Norma schon lange verwitwet und lebte allein, ohne feste Beziehung. Ihre Tochter war vor fünf Jahren nach Buenos Aires, der Heimatstadt ihres Mannes, gezogen. Die Ehe war bisher kinderlos.

Dieser Mord würde voraussichtlich Normas letzter Fall sein, und dann lag der wohlverdiente Ruhestand vor ihr, in dem sie endlich all das machen konnte, wovon sie so lange nur träumen durfte: Reisen, Lesen, unter Palmen am blauen Meer faulenzen, Aquarellkurse an der VHS belegen oder mit Paula und vielleicht auch Sabine der Square Dance Gruppe ‚Ladybirds‘ beitreten. Vielleicht könnte sie auch mit den Mädels und für sie und weitere Freundinnen eine Art Reisebüro für alleinstehende ältere Damen ins Leben rufen. Ach, es gab so Vieles, das sie gern machen würde. Selbst die viele Frei-Zeit würde nicht ausreichen, alles in die Tat umzusetzen.

Da ahnte sie noch nicht, dass ausgerechnet dieser dreimal vermaledeite Fall ihr Leben völlig verändern und all ihre Pläne und Träume zunichtemachen würde. Nichts würde danach mehr so sein, wie es war, wie sie es wollte und erträumte.

Die Leiche war nicht ausgeraubt worden. Personalausweis und Geldbörse mit fast 200 Euro Inhalt waren ebenso vorhanden wie Führerschein und Wagenpapiere für einen BMW 4er Coupé, ein beliebtes Modell der Mittelklasse.

„Raubmord schließt demnach wohl aus“, sagte Traufetter.

„Es handelt sich um einen gewissen Grimm Matthias, wohnhaft in der Katasterstraße 55. Hier, der Personalausweis“, sagte einer der Polizisten.

„Telefon?“

„Haben wir schon versucht. Geht aber keiner ‘ran.“ Er reichte Norma einen Zettel. „Die Nummer.“

„Gute Arbeit“, lobte Norma. „Danke. – Aber wie ist er hergekommen?“, wandte sie sich wieder an Traufetter. „Wenn ihn der oder die Täter nicht in ihrem eigenen Wagen transportiert haben, müsste sein BMW hier in der Nähe sein.“

Tatsächlich fand sich Grimms PKW kaum 100 Meter entfernt auf einem kleinen Parkplatz, der etwas versteckt am Waldrand lag und vor allem abends gern von Liebespaaren genutzt wurde, wie der Polizist berichtete.

„Auch von Gästen des Schützenhofs?“, fragte Traufetter und wies auf das beliebte Ausflugslokal hin, das gut und gerne weitere 200 Meter entfernt lag.

„Normalerweise nicht. Der Schützenhof verfügt über einen großen Parkplatz. Das reicht selbst für Hochzeitsgesellschaften. Aber Pärchen, die dort zusammenfinden, könnten vielleicht…“ Der Polizist brach ab und zog die Schultern hoch.

Die Fahrertür war unverschlossen und klaffte ein wenig. Eine erste Durchsuchung von Sitzen, Fuß- und Kofferraum förderte nichts Ungewöhnliches oder gar Verdächtiges zutage.

Wenn man einmal von dem Prepaid-Handy, von dessen Existenz Grimms Frau nichts wusste, und der Portugiesisch-Grammatik absieht.

Es war mittlerweile längst Mittagszeit. Norma rief noch einmal die Nummer des Herrn Grimm an. Wieder vergeblich.

„Alleinstehend oder berufstätige Ehefrau“, murmelte Norma. „Das kann dauern. Komm, gehen wir erst einmal etwas essen.

2. Die Witwe

Tatsächlich mussten sie fast bis drei Uhr nachmittags vor dem Einfamilienhaus warten, bis eine Frau in mittleren Jahren kam und die Haustür aufschloss. „Frau Grimm?“, fragte Traufetter.

Ja, wieso?“, fragte sie misstrauisch.

„Wir würden Sie gerne sprechen“, sagte Norma ganz sanft. Und dann leise: „Kriminalpolizei.“

Frau Grimm zuckte die Achseln. „Kommen Sie“, sagte sie. Es klang müde und kraftlos.

Frau Grimm zeigte sich zwar betroffen von der Mitteilung, dass ihr Mann ermordet wurde, aber sie brach nicht zusammen, sie weinte nicht, sie fragte nicht einmal nach dem Wo und Wie. Norma und Traufetter sahen sich verstohlen an und nickten einander kaum merklich zu.

Die Befragung der Witwe Grimm brachte sie keinen Schritt weiter. Zwar sagte sie bereitwillig aus, wusste aber im Grunde nichts. Namen kannte sie schon gar nicht. Immerhin erfuhren sie, dass Grimm nicht zu Hause übernachtet hatte.

„Das kam gelegentlich vor“, sagte sie leise. Auch dies ohne erkennbare Gemütsregung.

„Und wo hat er übernachtet?“, fragte Norma. Und als Frau Grimm zögerte: „Also bei wem?“ Auch darauf wusste Frau Grimm keine Antwort.

„Wissen Sie nicht, wie die Dame heißt?“, fragte Norma.

Und als Frau Grimm zögerte, hakte Traufetter nach: „Oder sind es so viele?“

„Sie sind reichlich unverschämt, junger Mann“, rügte Frau Grimm. Sie zuckte die Achseln und wechselte das Thema: „Matthias hat mir kaum etwas von seiner Arbeit erzählt. Und ganz ehrlich, ich habe mich auch nicht dafür interessiert. Jedenfalls seit…“ Sie zögerte, wirkte unsicher, dann straffte sie sich und sprach laut und entschlossen: „Ach, Sie kriegen es ja doch raus, und es ist ja auch egal: Also seit wir … wie soll ich sagen… eigentlich nur noch in derselben Wohnung leben und uns, verzeihen Sie, und uns gegenseitig schnurzpiepegal sind.“ Dann fiel ihr noch etwas ein: „Für ein Mordmotiv reicht es aber nicht“, sagte sie und lächelte etwas schmerzhaft. „Es ist völlig undramatisch. Wir haben… wir hatten uns nur nichts mehr zu sagen. Jeder lebte sein Leben, er im Büro, ich hier bzw. in meiner Apotheke, von der ich auch heute gerade gekommen bin, dreimal die Woche, meist vormittags.“

„Was für ein Mensch war Ihr Mann, Frau Grimm? Können Sie uns darüber etwas sagen?“ „Matthias war kein schlechter Kerl, falls Sie das meinen. Wir verstanden uns nur einfach nicht mehr. Ich kann mir nicht vorstellen, dass auch nur ein Mensch ihn hassen konnte, sogar so sehr, dass er ihn ermordete. Und dann auch noch so brutal.“ Jetzt brach sie in hemmungsloses Schluchzen aus.

„Muss es denn Hass gewesen sein?“, fragte Traufetter.

„Ja, was denn sonst?!“, keifte die Witwe.

„Zum Beispiel Liebe“, sagte Traufetter ganz ruhig. „Ich meine natürlich enttäuschte Liebe“, erläuterte er, als er das Nichtverstehen beider Damen bemerkte. „Wie stand es denn bei Ihrem Mann… mit… sagen wir ‘mal … Liebschaften? Die Vermutung liegt doch nahe, dass er die vorige Nacht – und vorher wohl auch schon die eine oder andere – bei einer Frau verbracht hat. Könnte es z.B. sein, dass diese … Dame … oder auch eine andere… sich, nun, nicht hinreichend geliebt … fühlte und …“

„Hören sie auf!“, gellte der Schrei der Witwe. „Es ist eine Frechheit, so etwas auch nur zu denken! Und so pietätlos!“

„Also von allen geliebt“, knurrte Traufetter, als sie wieder auf der Straße standen, „auch von allen Frauen – aber ohne dass es auch nur einen Hauch von Eifersucht oder Hass-aus-Liebe gegeben hätte! Niemand könnte also ein Motiv gehabt haben, so einem Unschuldsengel die Flügel zu stutzen oder gar den Schädel einzuschlagen.“ Er blieb stehen, legte sein Gesicht in tiefe Denkfalten und sagte dann langsam: „Sag mal, Norma, könnte es sein, dass wir uns irren und dieser Herr Grimm am Ende Selbstmord begangen hat?“ Zwei Sekunden lang konnte er das ernste Gesicht bewahren, dann lachte er lauthals heraus.

„Du warst aber auch wirklich ziemlich frech“, rügte Norma. „Aber du hast recht: Einen solch brutalen Mord ohne Motiv gibt es nicht. Diese Frau Grimm weiß doch mit Sicherheit mehr als sie zugibt. Da muss Hass im Spiel gewesen sein, sehr viel Hass.“

„Nicht dass da am Ende die Witwe Grimm selbst ihre zarten Finger im Spiel hatte?“

„Du meinst: aus Eifersucht?“

„Was glaubst du denn, wie oft der Herr Gemahl auswärts genächtigt hat? Natürlich weiß seine Frau, mit wem er ein Verhältnis hatte, natürlich kennt sie den Namen – oder die Namen – denn natürlich hat sie ihm nachspioniert. Und natürlich reicht das dicke für ein Motiv.“

„Aber so wie Grimm zugerichtet wurde, mordet keine Frau“, wandte Norma ein.

„Keine Frau allein“, gab Traufetter zu. „Aber könnte nicht auch die treu sorgende Gattin einen Lover mit kräftigen Muskeln haben?“

Norma grübelte. „Wir werden nicht darum herumkommen, dieser Möglichkeit nachzugehen“, sagte sie dann. „Ich glaube nicht daran, aber möglich wäre es schon. Wie auch immer – wir müssen vordringlich in diesem Institut recherchieren, in dem Herr Grimm Abteilungsleiter war.“ Sie schaute auf die Uhr. „Oh Gott, gleich ist ja Feierabend.“

„Wenn ich fahren darf, schaffen wir’s noch, bevor die Massenflucht vom Arbeitsplatz ausbricht“, bot Traufetter an.

„In 20 Minuten?“

„Mit Blaulicht schaffe ich das in 9 ½.“

Tatsächlich bremsten sie 12 Minuten später mit quietschenden Reifen vor dem Institut.

„Noch acht Minuten!“, triumphierte Traufetter.

Sie hasteten zum Haupteingang und fanden sich vor einem heruntergelassenen Scherengitter, an dem ein Schild hing: „Heute geschlossen!“.

„Wahrscheinlich Betriebsausflug“, knurrte Traufetter und zuckte mit den Achseln.

„Also Sauftour“, stellte Norma klar.

3. Spuren, Ermittlungen und Tohuwabohu

Am nächsten Morgen – Donnerstag – schrien es die Tageszeitungen in riesigen Lettern von ihren Titelseiten:

MORD IN BESTER GESELLSCHAFT!

Nur wenig kleiner der Name des Instituts. Und im Bericht klein und eher unauffällig der Name des Mordopfers: Matthias G.

Punkt neun Uhr standen Norma und Traufetter wieder vor dem Institut. Aber das Schild hing immer noch da.

„Arbeitsmoral sieht aber anders aus“, schimpfte Traufetter. „Es ist doch Beginn der Kernarbeitszeit.“

„Vielleicht haben die Damen und Herren ja das Ende ihres Ausflugs etwas zu ausgiebig gefeiert“, gab Norma zu bedenken. „Es sind ja nicht alle so abstinent wie unsereins.“ Beide grinsten.

„Du meinst, wir sollten warten, ob die etwas später kommen? Nur so ein, zwei, drei Stündchen?“

„Oder auch vier, ja. Du hast Recht. Lass uns gehen und nach der Mittagspause noch einmal hier…“

In diesem Augenblick flammte das Licht in der Eingangshalle des Instituts auf. Durch die Zwischenräume im Rollgitter konnten sie hineinschauen.

„Da kommt einer, drinnen.“

Aber der alte Mann, der mit schweren Schritten durch die Halle schlurfte und direkt auf sie zukam, öffnete nur den Briefkasten, um die Post des Tages abzuholen.

Traufetter rüttelte wie wild am Scherengitter. Der alte Mann stutzte. Man sah, dass er ärgerlich war und etwas rief, das aber durch die verglaste Eingangsfront nicht zu hören war. Wahrscheinlich verbat er sich das Demolieren des Gitters und drohte mit der Polizei. Traufetter rüttelte nur umso ärger, bis der Mann die Eingangstür aufschloss und man sein Schimpfen hören konnte.

„Was wollen Sie?“, herrschte er sie an.

„Kriminalpolizei“, sagte Norma freundlich und hielt ihren Ausweis in Augenhöhe an eine Öffnung im Gitter.

„Ja, wenn das so ist…“, sagte der Mann. „Und?“

„Wann kommen denn endlich die Mitarbeiter?“, wollte Traufetter wissen. „Oder ist heute Nachtschicht?“

„Tja, die Herrschaften machen heute Betriebsausflug.“

„Betriebsausflug? So etwas Blödes. Na gut, dann müssen wir eben morgen noch einmal wiederkommen.“

„Nee, da machen die auch Betriebsausflug.“

„Wie – drei Tage?

„Nee, nur zwei. Gestern haben die nur schon das Schild rausgehängt…“

„Aber wir waren gestern schon lange vor 16 Uhr…“ Norma schaute ihn strafend an.

„Die sind ja schon so gegen zwei Uhr losgefahren. Konnten’s wohl gar nicht erwarten.“

„Also frühestens am Montag wieder erreichbar“, stellte Norma fest.

„Na, hoffentlich fällt uns etwas ein, womit wir uns die Zeit bis dahin vertreiben können“, murrte Traufetter, als sie wieder allein waren.

„Ich wüsste da schon etwas“, sagte Norma scheinheilig.

„Du meinst doch nicht etwa…? Das ist aber nicht dein Ernst, Norma?!“

„Es wäre doch mal eine hübsche Abwechslung“, sagte Norma und grinste.

Traufetter gab sich Mühe, verzweifelt auszusehen: „Wenn du meinst…“, knurrte er.

Und so begannen sie wenig später mit der Befragung von Grimms Nachbarn.

„Hoffen wir mal, dass nicht alle zum werktätigen Teil der Bevölkerung gehören“, unkte Traufetter. „Dann könnten wir erst nach deren Feierabend anfangen…“

„.. und unseren Feierabend in den Kamin schreiben“, ergänzte Norma. „Aber es nützt ja nichts. Wir hätten eben bei der Berufswahl besser aufpassen müssen.“

Aber sie hatten sich geirrt. Zwar waren tatsächlich viele Nachbarn auf der Arbeit, häufig auch beide Ehepartner, aber was Norma und Traufetter von den Verbliebenen erfuhren, galt wahrscheinlich mehr oder weniger auch für alle anderen.

Die Katasterstraße, in der die Grimms lebten, war eine Wohngegend für bessere Leute. Man grüßte sich höflich, wenn man sich begegnete, aber im Übrigen war man darauf bedacht, für sich zu bleiben. Deshalb gab es auch nur freistehende Einfamilienhäuser. Und wer mehr als drei Häuser weiter wohnte, kannte die Bewohner jenseits dieses Horizonts höchstens noch von Ansehen und unterlag nicht mehr der Grußpflicht. Soziale Kontakte gab es nicht. Das erste und einzige Straßenfest, an das sich die beiden 90jährigen noch vage erinnern konnten, hatte vor 37 Jahren stattgefunden. Freundschaften oder gar gegenseitige Besuche gab es noch weniger. Und die zumeist halbwüchsigen Kinder suchten sich ihre Freunde in den Schulen und Sportvereinen, nicht in der Nachbarschaft.

Die Befragungen blieben deshalb völlig ergebnislos und waren entsprechend kurz. Bei den ersten beiden Hausfrauen hatten Norma und Traufetter noch geglaubt, mit präziser formulierten Fragen doch noch irgendwelche Informationen zu bekommen. Aber das half ebenso wenig wie die gesteigerte Freundlichkeit.

„Wo nichts ist, kann man nichts holen“, dozierte Traufetter.

„Wie weise, wie weise!“, spottete Norma. „Hast wohl deinen philosophischen Tag heute?“ Kurz nach elf waren sie mit ihren Befragungen durch und fuhren deprimiert ins Präsidium.

„Vor halb fünf brauchen wir es gar nicht erst zu versuchen“, stellte Norma fest.

„Und ich weiß jetzt schon, welch tolle Informationen wir dann erhalten werden!“, triumphierte Traufetter.

„Lass mich raten!“ Norma setzte eine grüblerische Miene auf. Dann unsicher, zögernd: „Tja, vielleicht … tatsächlich… genau dieselben?“ Beide grinsten.

Immerhin lag inzwischen der Bericht der Spurensicherung vor. Er war ungefähr genauso niederschmetternd wie die Befragungen:

Wetterbedingt konnten keine verwertbaren Spuren festgestellt werden: Vorher lange Trockenheit mit viel Sonne, deshalb Boden zu hart, um nachweisbare Spuren aufzunehmen. Danach lang anhaltender starker Regen, der eventuell vorhandene Rest-Spuren verwischt hat. – Fundort vermutlich nicht gleich Tatort. Aber nur aus logischen Gründen (unverschlossener PKW des Getöteten in relativ großer Entfernung von ca. 100 m und an schwer einsehbarer Stelle). Sächliche Befunde dieserhalb liegen unsererseits nicht vor.

Über die Tatzeit kann nur spekuliert werden. Durch den radikalen Wetterumschwung bedingt, lässt sich nicht einmal eine Schätzung rechtfertigen.

„Toll!“, lobte Traufetter. „Das ist Wissenschaft! Man könnte aber auch ‘nen Groschen hochwerfen.“ Er seufzte. „Ich würde ja gern über unsere hoch qualifizierten Fachleute spotten, aber angesichts der meteorologischen Unbill will ich nochmal Gnade vor Recht ergehen lassen.“

Der zweite Teil des Berichts betraf Grimms BMW. Er war schon interessanter, aber auch sehr verwirrend. Außer der merkwürdigen Portugiesisch-Grammatik und dem Prepaid-Handy, die offen im Kofferraum gelegen hatten, waren bei der gründlichen Untersuchung auch noch ans Tageslicht gekommen:

➢ ein Paar Hosenklammern, wie Radfahrer sie bis in die 1950er und -60er Jahre getragen haben;

➢ ein zusammengefalteter Ortsplan der Siedlung Sonnenhang im Maßstab 1:200 und Format A3, auf dem per Hand ein roter Kreis um eine Sparkassenfiliale gezogen war, und von dort aus ein Pfeil zu einem Parkplatz; ein zweiter Pfeil führte vom rückwärtigen Ausgang auf den Zubringer zur Autobahn; ob das Rechteck, an dem der Pfeil begann, tatsächlich – zu den Hosenklammern passend – ein Fahrradständer war, wäre noch zu klären.

➢ die defekte Lok einer elektrischen Eisenbahn der Firma Märklin;

➢ eine Schachtel mit Pralinen, in die – wie die KTU feststellte – mit einer sehr feinen Spritze Maschinenöl gespritzt war;

➢ und schließlich ein Rezept zur Herstellung von Sprengstoff, offenbar aus dem Internet heruntergeladen.

Bei näherer Analyse stellte es sich jedoch als völlig unbrauchbar heraus. „Das Rezept ist eher für Marmorkuchen als für Sprengstoff geeignet“, fasste der Sprengstoffexperte des LKA spöttisch zusammen.

Um die Sache komplizierter zu machen, waren die meisten Gegenstände förmlich versteckt: unter die Rücksitze geklemmt, in die Radkästen gequetscht oder, wie der Lageplan, unter den Bodenbelag geschoben.

„Und darauf sollen wir uns jetzt einen Reim machen?“, schimpfte Traufetter. „Verrückter ging’s wohl nicht, wie?“

„Du lässt deine Wut am Falschen aus“, besänftigte Norma, ehe Gerhard Holzegger aus der Haut fahren konnte. „Schimpf lieber auf Herrn Grimm, der uns diese Suppe eingebrockt hat.“

„War ja nicht so gemeint“, knurrte Traufetter und wich Holzeggers Blick aus. „Aber im Ernst: Kann sich einer der hier Anwesenden einen Reim auf dieses Tohuwabohu machen? Da passt doch nichts zusammen! Also, ich fühle mich erst einmal überfordert.“

„Das sieht nach sehr viel Arbeit aus“, stellte Norma fest.

Um es vorwegzunehmen: So verheißungsvoll die ersten beiden Spuren waren, zum Ergebnis führten sie nicht, obwohl mehrere Kripo-Beamte viel Zeit, Mühe und Intelligenz verschwendeten, um ihre Geheimnisse zu ergründen. Aber weder hatte Grimm eine portugiesische Geliebte, noch wollte er ein Bordell in Lissabon eröffnen. Und für einen Strandurlaub lernt man höchstens ein paar überlebenswichtige Sätze („Was kostet das?“ – „Wo sind die Toiletten?“ – „Wo kann man hier Frauen abschleppen?“), aber keine Grammatik-Regeln. Wozu, um alles in der Welt, wozu sollte also eine Portugiesisch-Grammatik nütze sein?

Auch das Prepaid-Handy älterer Bauart mit völlig entleertem Akku hatte anscheinend nur noch historischen Wert. Von den lediglich neun gespeicherten Adressen konnten sieben identifiziert werden. Die dazu gehörenden Personen gaben jedoch an, noch nie etwas von einem Herrn Matthias Grimm gehört zu haben. Auch untereinander bestand angeblich nicht die geringste Beziehung.

„Aber wer sind die restlichen beiden?“

Ein Kriminalbeamter und eine versierte Technikerin opferten nicht nur ihre Mittagspausen, sondern auch viele Stunden ihrer Freizeit, um das Geheimnis zu lüften. Nervlich zerrüttet und urlaubsreif gaben sie schließlich auf.

Auch bei den anderen Gegenständen trat die Kripo auf der Stelle. Zwar wies einiges auf einen geplanten Bankraub inkl. Fluchtweg hin, aber eine Flucht per Fahrrad über die Autobahn war vermutlich nicht vorgesehen. Und was die Pralinen damit zu tun haben sollten, erst recht die Spielzeug-Lok, die außerdem noch kaputt war, entzog sich jeder Verständlichkeit. Und auch das untaugliche Sprengstoff-Rezept machte keinen wirklichen Sinn.

Es sollte noch lange dauern, ehe klar wurde, ob dieses scheinbar sinnlose Sammelsurium wirklich Sinn-los war oder einem verborgenen Plan gehorchte, den nur der Mörder kannte.

Wie auch immer: Bisher lag nur der ausführliche Bericht der KTU vor, der all diese merkwürdigen Fundstücke auflistete und Traufetter in Wut und Verzweiflung stürzte.

„Gehen wir erst einmal essen“, schlug Norma vor, „damit sich unsere Nerven ein wenig erholen können.“

4. Vorläufiges Ermittlungsergebnis: deprimierend

Nach einer ungewöhnlich ausgedehnten Mittagspause fuhren Norma und Traufetter wieder in die Katasterstraße.

„Nicht mal ein Geschäft gibt es hier“, stöhnte Norma. „Keinen Frisör, keinen Kiosk, nicht mal ‘ne Kneipe, in der man die Thekenmannschaft ausquetschen könnte. Soziale Kontakte sind hier also wirklich ein Fremdwort.“

Wie erwartet, verlief die Befragung der restlichen Nachbarn genauso ergebnislos wie die am Vormittag. Alle waren freundlich und hilfsbereit, wussten aber zumeist noch nicht einmal, von wem die Rede war. Erst wenn Traufetter das Foto vorzeigte, das sie von der Witwe erhalten hatten, kam manchmal eine Reaktion: „Ja, den kenne ich. Aha. Grimm heißt der also. Interessant.“

Nachdem sie die Befragung der Nachbarn unerwartet schnell hinter sich gebracht hatten, blieb noch genügend Zeit für die Befragung von Grimms zwei Freunden, die ihnen die Witwe genannt hatte. Sie waren jedoch eher nur Bekannte als Freunde und konnten nur sehr wenig über Grimm sagen.

„Worüber haben Sie denn die ganze Zeit geredet, wenn Sie zusammen waren?“, wollte Traufetter wissen.

„Na ja, so das Übliche. Unsere gemeinsamen Interessen…“

„Als da wären…?“

„Na ja, das Übliche. Italienische Autos, die wir uns nie leisten könnten. Maserati, Lamborghini und so. Fußball. Aktien- und Börsentipps. Und natürlich langbeinige Frauen, ha-ha-ha. Hin und wieder auch über seine Ehefrau und ihre…, na ja, ist ja egal. Und natürlich Weibergeschichten.“ Er grinste.

„Herr Grimm war wohl ein großer Weiberheld?“

„Nee, nichts Besonderes. Nur ganz normal.“

„Was heißt das denn konkret: ganz normal?“, mischte sich Norma ein.

„Na ja, ganz normal eben. Machen doch alle, oder?“ Norma gab’s auf.

Der andere Freund formulierte denselben Sachverhalt viel poetischer: „Ich will das mal so sagen, Frau Kommissarin: Herr Grimm gehörte zu denen, die gern ‘mal da ernten, wo andere gesät haben. Mal so ‘n kleines Auswärtsspiel, gelegentlich, wenn Sie verstehen.“ Konkretes konnten oder wollten beide nicht sagen, und Namen natürlich erst recht nicht.

„Echte menschliche Beziehungen scheint dieser Herr Grimm nicht gehabt zu haben“, stellte Norma verwundert fest, als sie wieder auf der Straße waren.

„Nee, nur ganz normal“, äffte Traufetter den Grimm-Freund nach. „Immerhin schon mal ‘n Auswärtsspiel. Zumindest wissen wir jetzt, dass seine Freundin Mausi hieß.“

„Ja. Und nicht nur die eine, sondern alle. Wie einfallsreich!“

„Norma!“, rief Traufetter sie zur Ordnung. „So etwas Böses sagt man nicht über Tote! Aber dieser Andeutung über Grimms Ehefrau und ihren Affären sollten wir tatsächlich nachgehen.“

Sie hatten die Befragung von Grimms Witwe, seinen Nachbarn und seinen beiden Freunden abgeschlossen, wenn auch mit beschämend schlechtem Ergebnis. Alle anderen, die sie sinnvollerweise hätten befragen können, waren auf Betriebsausflug.

Auch sonst gab es nichts Neues, so dass sie im Büro saßen, nach der ausgiebigen Zeitungslektüre gemütlich Kaffee tranken und den Feierabend herbeisehnten.

„Gleich schon zwölf Uhr“, stöhnte Traufetter. „Eigentlich könnten wir jetzt frei machen. Wozu heißt der Freitag denn wohl Freitag? Frei-Tag?“

„Weil er nach der altgermanischen Göttin Freia benannt ist“, belehrte ihn Norma mit leichtem Grinsen.

„Kenn‘ ich nich‘“, knurrte Traufetter missmutig. „Meine Familie lebt erst seit dem 12. Jahrhundert in Deutschland.

„Ach, die haben dich und die Deinen wohl als Kreuzzugs-Beute aus dem vorderen Orient eingeschleppt?“

„Keine Ahnung. Da war ich noch zu klein.“

Dr. Himmelröder unterbrach das Bildungs-Geplänkel der beiden, indem er höchst persönlich den Obduktionsbericht überbrachte.

„Und was steht ‘drin?“, wollte Norma wissen.

„Steht alles hier, schriftlich und sogar gut leserlich gedruckt, nicht die berüchtigte Ärzte-Sauklaue.“

„Das weiß ich ja auch zu würdigen“, heuchelte Norma. „Aber mein Latein ist in letzter Zeit so schlecht geworden… Das Alter, Sie verstehen…“

Dr. Himmelröder war ein Gemütsmensch. Er lächelte. „ Peto germanice also…“

„Hä?!“, entfuhr es Traufetter.

„Bitte auf Deutsch“, grinste Dr. Himmelröder. „Nun denn, es sei. Also: Eindeutige Todesursache war der Genickbruch, der mit größter Wahrscheinlichkeit durch ein schweres, nicht sehr dickes glattes Schlaginstrument herbeigeführt wurde, vermutlich mit kreisförmigem Querschnitt.“

„Was kann ich mir darunter vorstellen?“, fragte Norma.

„Ja, was? Zum Beispiel ein Gasrohr aus Blei. Baseballschläger nicht völlig ausgeschlossen, aber eher unwahrscheinlich. – Ferner gab es Würgemale am Hals. Wir suchen im Augenblick noch nach Mikrospuren, etwa von einem Seil, einem Gürtel, von Handschuhen – oder auch von bloßen Händen, obwohl – – dann wäre es illusorisch, etwas Brauchbares zu finden. – Und dann gab es da noch eine Fülle von anderen Verletzungen, aber alle post mortem. Die brutale Zertrümmerung des Schädels wäre zwar auch tödlich gewesen, die Messerverletzungen hingegen nicht unbedingt, allenfalls sekundär, d. h. durch Verbluten. Also keine lebenswichtigen Organe beschädigt. Aber wie gesagt: Fast alles erst nach dem Tod zugefügt. Bei den multiplen Schädelfrakturen könnte übrigens tatsächlich ein Baseballschläger das Tatinstrument gewesen sein.“

„Können Sie auch etwas über den Tathergang sagen, Herr Doktor?“

„Hatten wir uns nicht auf der letzten Betriebsfeier darauf geeinigt, wechselseitig unsere Titel wegzulassen, liebe Frau Kriminaloberkommisariatsvorsitzende?“ Norma nickte lächelnd.

„Also, wahrscheinlich ist das Opfer durch einen präzise geführten Schlag, z. B. mit einem Bleirohr, tödlich getroffen worden. Ein oder zwei Messerstiche könnten u. U. gleichzeitig erfolgt sein, aber alles andere wurde ihm nachträglich zugefügt, also post mortem, wie der Rheinländer sagt.“ Er grinste wieder. „Es ist also möglich, dass es sich um zwei Täter gehandelt hat, aber es wäre auch kein Problem für einen Einzeltäter gewesen, die Waffe zu wechseln und die o. g. postmortalen Verletzungen zuzufügen.“

„Könnte es sein“, fragte Norma, „dass Grimm hier – ich spinn‘ jetzt mal vor mich hin, ja? – , also dass Grimm sich hier mit einer Geliebten verabredet hatte und in deren Wagen umgestiegen ist und dort umgebracht wurde? Vielleicht ja auch erst ganz friedlich zum Wald gebracht, und da hat er dann – vielleicht vom heimlichen Lover seiner Geliebten – oder sogar von deren Ehemann – die tödlichen Schläge erhalten, und sie hat noch etwas mit dem Messer nachgeholfen? Grimm hatte doch auch Würgemale am Hals. Dann könnte das Pärchen ihm ja im Wagen einen Strick um den Hals gelegt und ihn bis zur Bewusstlosigkeit gewürgt haben, so dass es danach ein Leichtes war, ihm den Rest zu geben?“

Himmelröder grübelte eine Zeitlang. „Ja“, sagte er dann. „So könnte es gewesen sein. Wäre jedenfalls mit dem Obduktionsbericht und den bekannten Tatumständen vereinbar. Aber beweisbar ist nichts davon.“

„Hoffen wir also auf eure Mikrospuren, die noch in Arbeit sind.“

„Nicht in Arbeit“, korrigierte Himmelröder, „sondern erst mal auf der Suche, ob es die überhaupt gibt.“ Dann ging ein freundliches Lächeln über sein Gesicht: „Solltet Ihr freilich den hypothetischen PKW des hypothetischen Mord-Pärchens finden, dann könnte der – ebenfalls hypothetisch – wenigstens Mikrospuren des Erdrosselns aufweisen, wenn das – hypothetisch – bereits im Täter-PKW stattgefunden hätte. – Tut mir leid, Norma, aber mehr kann ich dir beim besten Willen nicht bieten.

„Trotzdem danke, Wilfried“, sagte Norma traurig und enttäuscht. „Kannst du uns wenigstens etwas über den Tatzeitpunkt sagen?“

„Frag mich doch mal was Leichteres, z. B. dritte Wurzel aus Pi oder so etwas…Der Termin…, ja, der Termin…“

„Der Regen, ich weiß“, sagte Norma.

„Nicht nur der Regen. Der allein hätte schon gereicht, um mir das Leben schwer zu machen. Aber da war ja außerdem noch die starke sprunghafte Abkühlung, die die leichentypische Einnistung von Insekten sowie die Entwicklung von Mikroorganismen signifikant verzerren, d. h. verzögern und die Leichenstarre beschleunigen kann. Könnte zwischen 17 und 22.30 Uhr gewesen sein. Muss aber nicht. Plötzliche Kälte und reichlich fließendes Wasser können alle Messwerte stark beeinträchtigen. Tut mir leid.“

„… und weil das wichtig zur Bestimmung des Todeszeitpunktes ist, kannst du mir nichts Genaues sagen, richtig?“

„Exakt“, strahlte Dr. Himmelröder.

„Na“, jubelte Traufetter, „das bringt uns ja weiter! Jetzt ist es nur noch eine Frage von Stunden, bis wir den oder die Täter einlochen können. Es kann so sein, aber auch so, oder vielleicht auch ganz anders, oder auch nicht. Mein Gott, solch eine präzise Analyse schließt ja höchstens meine Großmutter aus, aber auch die nur mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit…. Es ist zum Verzweifeln! Mein Gott, warum konnte ich keinen anständigen Beruf lernen?!“

„Ja, ja“, antwortete Norma. „Warum nicht Klempner, Tischler oder Zuhälter? Oder Rauschgiftdealer? Oder wenigstens Mädchenhändler?“

„Ja“, stöhnte Traufetter, „lauter Traumberufe! Und ich Kamuffel muss bei der Kripo rumhocken und darauf warten, dass mir finstere Mörder ins Netz gehen. Aber stattdessen: Leerlauf…“

Von seiner Schimpf-Kanonade erschöpft, lehnte er sich zurück: „Jetzt Sonne, ein bisschen Strand, eine Piña Colada, und das Leben wäre eine Wohltat.“

„Vergiss deine geliebten Bikinimädchen nicht“, stichelte Norma. „Aber im Ernst: Heute ist wirklich nicht der Tag für sinnvolle Arbeit. Oder fällt dir etwas ein?“

Traufetter schien lange und angestrengt zu überlegen, dann hellte sich seine Miene auf: „Was hieltest du von häuslichem Aktenstudium?“

„Einer muss aber Telefondienst machen“, sagte Norma traurig. „Hier, im Präsidium.

„Falls der Herr Mörder anruft, um ein Geständnis… Ja“, sagte Traufetter resigniert.

Norma las vor Langeweile den Obduktionsbericht, bis sie ihn auswendig konnte. Aber so oft sie ihn auch las, es gab kein Detail, das ihr blitzartig zu einer wichtigen Erkenntnis verholfen hätte. Und Traufetter saß da, aktualisierte auf dem Smartphone die Liste seiner Freundinnen und döste danach vor sich hin.

Aber der Mörder rief nicht an. Und auch sonst niemand.

Es hat schon seinen Grund, dass der Freitag Freitag heißt.

Auch wenn er in Wahrheit nach der altgermanischen Göttin Freia benannt ist.

5. Das Institut

Montag Morgen. Die Nachricht von Grimms Ermordung schlug im Institut wie eine Bombe ein und verbreitete sich in Windeseile in sämtlichen Abteilungen. An geregelte Arbeit war nicht mehr zu denken. Das ganze Haus war in Aufruhr. Kaum jemanden hielt es an seinem Arbeitsplatz. Fast alle Mitarbeiter standen in kleinen Gruppen herum, in denen intensiv und voller Betroffenheit über das Verbrechen diskutiert wurde. Von der kleinen Nachfeier des Betriebsausflugs, auf die sich alle gefreut hatten, war jedenfalls keine Rede mehr.

Die Gefühle, die das grauenhafte Verbrechen auslöste, waren dabei durchaus unterschiedlich. Die Illusion, es hätte sich bei Matthias Grimm um einen durch und durch liebenswerten Menschen gehandelt, zerstob jedenfalls sehr bald, als Norma, Traufetter und vier weitere Kriminalbeamte am Montag begannen, Grimms Kollegen und vor allem seine Untergebenen zu befragen.

„Anscheinend hat dieser Herr es verstanden, alles Böse von seiner Frau fernzuhalten…“, spottete Traufetter.

„… oder vor ihr zu verheimlichen.“

„Jedenfalls ahnte sie nicht, dass ihr Göttergatte von Feinden umzingelt war…“

„… die er sich selbst geschaffen hatte. Mein Gott, was für ein Mensch muss der gewesen sein! E-kel-haft!“

Alle waren natürlich über den gewaltsamen Tod von Grimm entsetzt, aber ihre Trauer hielt sich in engen Grenzen. Matthias Grimm – oder die Gebrüder Grimm, wie er allgemein genannt wurde, „weil einer allein gar nicht so viele Märchen erzählen kann, wie der einem zugemutet hat“ – war denkbar unbeliebt, die meisten hatten mehr oder weniger unter ihm gelitten.

Er gehörte offenbar zu den Menschen, die nie Fehler machen und immer Recht haben, ohne Rücksicht darauf, was sie anderen damit antun. Davon konnten vor allem seine Untergebenen ein Liedchen singen.

„Aber dafür bringt man doch keinen um!“

Das sagten alle. Natürlich hatte fast jeder auch Situationen erlebt, in denen er den Gebrüdern Grimm den Hals hätte umdrehen mögen. „Ja, klar. Aber doch nur bildlich. Wie man das eben so sagt…“

„Also nur eine Redensart?“, fragte Traufetter dann. Nicken. „Nicht mehr?“

„Um Gottes Willen – nein!“

Und dann fragte Norma sanft, aber lauernd: „Und da soll wirklich niemand gewesen sein, der das nicht einmal …, sagen wir mal: etwas ernster genommen hätte? Nein? Wirklich keiner? Nicht einer, ein einziger?“ Sie lachte. „Und das soll ich Ihnen glauben? Hören Sie, ich habe selber Kollegen, und manchmal könnte ich auch…, ach!“

Und schließlich kam, gedreht und gewunden, ein Name: „Na ja, alle nicht… Der Opitz… also, ich will hier keine Gerüchte in die Welt setzen…, man will ja seine Kollegen nicht denunzieren, aber wenn Sie mich so fragen, … also, der Opitz, der hat die Gebrüder…, also den Grimm am meisten gehasst.“

„Der hat aber auch am meisten unter ihm gelitten…!“, mischte sich ein Kollege ein, der noch auf seine Befragung wartete.

„Ja, der hätte aber auch genug Mumm gehabt. Und intelligent genug war der auch… ich meine, der hätte das tun können, ohne sich erwischen zu lassen…“

„Wie war doch gleich der Name? Opitz?“

„Ja, Martin Opitz.“

„Und wo hat der sein Büro?“

„Gar nicht. Der arbeitet schon lange nicht mehr hier. Der ist wohl Rentner oder so was.“

„Oder sowas? Was soll das denn heißen?“

„Na, weil der doch eigentlich noch zu jung ist“, fiel Malluske ein.

„Ja, aber schon krank, richtig krank.“

„Chronisch!“

„Ja, und alles wegen der Gebrüder …, äh, wegen Herrn Grimm!“

Nach einigen Gesprächen, die sie getrennt durchgeführt hatten, setzten sich Norma und Traufetter im Kleinen Sitzungssaal zur Lagebesprechung zusammen.

„Hast du ‘was herausgefunden?“, fragte Traufetter.

„Im Grund nichts, was wir noch nicht gewusst hätten. Natürlich viel Klatsch, viele amüsante Episoden, aber nichts, was uns weiterbringen würde. Und du?“

„Natürlich auch der übliche Klatsch, die postume Rache. Aber bei den amüsanten Episoden, wie du sie nennst, war etwas, das für uns interessant sein könnte.“

„Und das wäre?“

„Von Grimms Amouren haben wir ja schon verschiedentlich gehört, wenn auch nur ganz allgemein. Aber der Kollege Schneider kam mit einer ganz konkreten Geschichte an.“

„Und konkret heißt?“

„Mit Namen, aber leider ohne Anschrift und Postleitzahl.“ „Komm, erzähl schon.“

„Also, da hat es wohl mal eine ganz heiße Geschichte gegeben, angeblich mit einer Fachkollegin aus Cuxhaven, die Grimm wohl immer nur auf Konferenzen und Gremiensitzungen getroffen hat, aber dann gründlich. Und das war anscheinend weit mehr als nur die übliche Bumsbeziehung, zumindest für diese Frau Doktor Baykal. Die hat in der Affäre mit Grimm wohl nicht nur die Gelegenheit gesehen, endlich einmal dauerhaft aus der Einöde von Cuxhaven herauszukommen, sondern wollte wohl schon nach der ersten heißen Liebesnacht stante pede ihren Mann verlassen und Grimm heiraten.“

„Und Grimm? Wie stand der dazu?“

Traufetter lachte: „Ja, wie wohl! Es war ihm unheimlich. Und viel zu schnell. Und zu kompliziert. Schließlich war er verheiratet, wenn auch… Na, das wissen wir ja schon von seiner Frau. Aber er wollte natürlich nicht aus der gewohnten Beziehung aussteigen, einerseits aus Bequemlichkeit und natürlich auch wegen der Unterhaltskosten, die er hätte bezahlen müssen usw. usw. Nee, alles was er wollte, war eine Bumsgeschichte nebenher – also ein Auswärtsspiel, wenn Sie verstehen? “, äffte er den Freund von Herrn Grimm nach, „heiß, aber unverbindlich. Und eine Geliebte mit langen Beinen und kurzem Rock, mit der er sich gelegentlich in der Öffentlichkeit zeigen und Eindruck schinden konnte.“

„Sah die Dame so gut aus?“

„Zumindest auf dem Foto, das er mal herumgezeigt hat. Sagt der Kollege Schneider jedenfalls. – Na, wie auch immer, es muss mörderisch gerumst haben, als Grimm sich nach einem Jahr immer noch zierte, sich von seiner Angetrauten scheiden zu lassen. Und schließlich sind die beiden im Bitterbösen auseinandergegangen. Und Frau Doktor Baykal muss üble Verwünschungen ausgestoßen haben, dafür gibt es angeblich sogar Zeugen, die das gehört haben, aber ich habe keine Namen. Jedenfalls war die Drohung, ihm – Grimm – den Schädel einzuschlagen, noch eine der harmloseren.“

„Muss Liebe schön sein!“, seufzte Norma. „Hast du ‘ne Ahnung, wann das war? Wenigstens ungefähr?“

„Schwer zu sagen. Die Angaben schwanken zwischen ‚ungefähr zwei‘, ‚mindestens fünf Jahren‘ und ‚paar Jahre könnten das schon gewesen…, oder vielleicht doch nicht‘. Ist das präzis genug?“

„Wir müssen dem natürlich nachgehen“, sagte Norma. „Aber nicht vorrangig. Das soll Solvig machen, wenn wir hier etwas Luft haben. Am besten mit Aloys. – Es führt also wohl kein Weg an diesem Herrn Opitz vorbei. Ich denke, den müssen wir uns als ersten vorknöpfen.“

„Jaa“, dehnte Traufetter. „Natürlich…“

„Aber?“

„Ich habe da noch einen zweiten Namen gehört“, berichtete Traufetter. „Ein Herr Dr. Langerwehe, auch er Abteilungsleiter mit Ambitionen, genau wie Grimm. Wie mir hinter vorgehaltener Hand geflüstert wurde, fühlt er sich zu Höherem berufen, aber Grimm hat ihm wohl die Chance vermasselt, zum Stellvertretenden Institutsdirektor aufzusteigen. Dabei war die Rede von einer Intrige und bösartigen Gerüchten über den angeblich gekauften Doktortitel, was aber nicht stimmte, jedenfalls nach Meinung meines Informanten. Ohne diese Affäre hätte er in knapp zwei Jahren den scheidenden Institutsdirektor beerben können. Also, wenn das kein Motiv ist!“

Normas Augen leuchteten: „Und wie, sagtest du noch, heißt dieser Herr?“

„Dr. Langerwehe. Vorname unbekannt.“

„Steht aber bestimmt am Türschild.“

Dr. Roland Langerwehe war ein etwas korpulenter Mann Mitte der 50er. Seine Stirnglatze, die glänzte, als wäre sie frisch poliert, wurde an drei Seiten von einem kurz gestutzten silbergrauen Haarkranz umrahmt. Trotz seiner Leibesfülle, die ihn gemütlich erscheinen ließ, war er sehr beweglich – in jeder Hinsicht. Seine Bewegungen waren ebenso behände wie seine blauen Augen, die alles zu sehen schienen, und wie seine flinke Zunge und seine nicht minder hurtigen Gedanken.

Norma brauchte ihm nicht zu erklären, warum sie ihn aufsuchten.

„Also, wenn Sie mich verdächtigen, gnädige Frau“, eröffnete er von sich aus das Gespräch mit freundlich-ironischem Lächeln, „dann haben Sie allen Grund dazu. Denn nach allem, was Grimm mir angetan hat, hätte ich mit Sicherheit das stärkste Motiv, ihn aus dem Weg zu räumen. Aber, ach! Leider verschwenden Sie Ihre kostbare Zeit, wenn Sie sich mit mir aufhalten. So gern ich diese schwere Schuld auf mich geladen hätte“ – jetzt grinste er breit – „ich war es leider nicht. Bedaure.“ Und dann, mit seinem gewinnendsten Lächeln, den Blick tief und herausfordernd in Normas Augen versenkt: „Falls Sie noch weitere Fragen haben, gnä‘ Frau… Sonst würde ich mich gern wieder meiner Arbeit widmen.“

Er grinste wie in Honigkuchenpferd und genoss offensichtlich den enormen Eindruck, den er auf die beiden Kriminalbeamten gemacht hatte. Und tatsächlich hatte er nicht nur den jungen Traufetter, sondern auch die altgediente Norma aus der Fassung gebracht, die in ihrem langen Berufsleben schon einiges erlebt hatte. Aber Herr Dr. Langerwehe übertraf alles.

„Nein, eigentlich nicht“, sagte sie schließlich wie beiläufig. „Nicht, dass wir Ihnen nicht glauben würden, Herr Doktor Langerwehe, aber… Nur eine Formalie, Sie wissen ja, wir müssen das fragen. Sie haben doch sicher ein Alibi?“

„Aber gewiss, gewiss“, freute sich Herr Dr. Langerwehe und rieb sich die Hände. „Ich war nämlich…, ja, wo war ich denn…?“ Er wirkte verunsichert, aber das war vorgetäuscht: „Ach, verzeihen Sie, gnädige Frau, für welchen Zeitraum darf es denn sein, das Alibi?“

Wieder ein Volltreffer. Denn trotz sorgfältiger Analyse ließ sich der Todeszeitpunkt noch immer nur sehr ungenau bestimmen.

Norma überlegte etwas, aber Traufetter kam ihr zuvor: „Seien wir mal großzügig“, sagte er mit geheuchelter Freundlichkeit und falschem Lächeln, „Dienstag voriger Woche zwischen… nun, ich will nicht zu kleinlich sein, 16 Uhr und Mitternacht.“

„Eijeijei“, sagte Herr Dr. Langerwehe, zog ein bedenkliches Gesicht und schüttelte den Kopf. „Das hört sich aber gar nicht gut an. Hat der starke Regen alle Spuren verwischt, oder weswegen können Sie Ihre Frage nicht präziser formulieren?“ Er schaffte es sogar, sein Grinsen zu unterdrücken.