Not exactly love. Wer braucht schon ein Happy End? - Kate Brook - E-Book

Not exactly love. Wer braucht schon ein Happy End? E-Book

Kate Brook

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Beschreibung

Mitbewohner, Freunde oder Familie? Es ist kompliziert!

Hazel und Alfie sind Mitbewohner. Und sie haben miteinander geschlafen, was entweder ein katastrophaler Fehler oder die beste Entscheidung ihres Lebens war. Doch wie leben sie nun ohne allzu viel Drama zusammen? An Auszug ist wegen der Mietpreise in London nicht zu denken. Mitten in dieses Gefühlschaos platzen Hazels Schwester Emily und deren Frau Daria. Die beiden wollen eine Familie gründen, die Suche nach einem geeigneten Samenspender ist allerdings schwieriger als gedacht. Zwischen wildem Großstadtleben und schrägen Tinder-Dates müssen die vier ihr Leben und ihre Beziehungen untereinander völlig neu definieren.

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Seitenzahl: 423

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Zum Roman

Mitbewohner, Freunde oder Familie? Es ist kompliziert!

Hazel und Alfie sind Mitbewohner. Und sie haben miteinander geschlafen, was entweder ein katastrophaler Fehler oder die beste Entscheidung ihres Lebens war. Doch wie leben sie nun ohne allzu viel Drama zusammen? An Auszug ist wegen der Mietpreise in London nicht zu denken. Mitten in dieses Gefühlschaos platzen Hazels Schwester Emily und deren Frau Daria. Die beiden wollen eine Familie gründen, die Suche nach einem geeigneten Samenspender ist allerdings schwieriger als gedacht. Zwischen wildem Großstadtleben und schrägen Tinder-Dates müssen die vier ihr Leben und ihre Beziehungen untereinander völlig neu definieren.

Zur Autorin

Kate Brook lebt in London und arbeitet in der Buchbranche. Sie hat einen Doktortitel in französischer Literatur und Bildender Kunst vom King’s College London. »Not exactly love. Wer braucht schon ein Happy End?« ist ihr erster Roman.

KATE BROOK

Wer braucht schon ein Happy End?

ROMAN

Aus dem Englischen von Babette Schröder

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Deutsche Erstausgabe 01/2023Copyright © 2022 by Kate Brook

Die Originalausgabe erschien 2022 unter dem Titel Not Exactly What I Had in Mind bei Corvus, London.

Copyright © 2023 der deutschsprachigen Ausgabe by Diana Verlag in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München

Redaktion: Antje Steinhäuser

Umschlaggestaltung: Favoritbuero GbR, München

Umschlagmotive: © GoodStudio/Shutterstock.com

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

Alle Rechte vorbehalten

ISBN 978-3-641-29054-2V001

www.diana-verlag.de

Für meine Freunde

Teil I

1

Hazel wusste nicht viel über Alfie, außer dass er groß war und sich keinen Vollbart stehen lassen konnte. Und dass er in der Wohnung Sandalen mit Socken trug, was aber irgendwie okay war. Außerdem war er Grundschullehrer und zur Hälfte Jamaikaner, aß aber anscheinend nie jamaikanisches Essen, sondern ernährte sich von Nudeln mit Pesto und dem Tütensalat von Sainsbury’s mit Rote-Bete-Streifen. Er hatte vor dieser in zwei anderen Londoner Wohnungen gelebt, mochte die Serie Black Mirror und Louis Theroux; sein größter Traum war es, von Schweden nach Sizilien quer durch Europa zu wandern, und zu seinen größten Ängsten zählten Faschismus, Klimawandel und unheilbare Krankheiten. Er besaß eine elektrische Zahnbürste und eine Eine-Portion-Cafetière, die er immer erst dann abspülte, wenn er darin neuen Kaffee zubereiten wollte. Und sie wusste, dass er letzte Woche Sex gehabt hatte, denn die Frau war so laut gewesen, dass Hazel in ihrem eigenen Zimmer auf der anderen Seite des Flurs alles hatte hören können. Jetzt kniete sie selbst nackt auf Alfies Matratze, die Stirn auf den Unterarm gestützt, halb gegen die Strukturtapete gedrückt. Er stieß von hinten in sie hinein, befingerte sie zugleich mit einer Hand von vorn, während seine andere Hand auf ihrer Brust lag. Seine Koordination war virtuos. Das Bett quietschte, und sie stöhnte genauso laut wie die andere Frau, wahrscheinlich sogar noch lauter, bis das Stöhnen in ekstatisches Schluchzen überging. Im Zimmer nebenan spielte Tony World of Warcraft und steigerte die Lautstärke im Einklang mit ihrer Lust, sodass der Soundtrack, als sie kam, vorwurfsvoll durch die Wand schallte.

Danach lagen sie auf dem Rücken und starrten auf das verschlungene Muster der Strukturtapete über ihnen. Hazel fragte sich, wie unklug es auf einer Skala von eins bis zehn gewesen war, mit Alfie zu schlafen – eins bedeutete, dass sie sich verlieben würden, und zehn, dass sie sich in der Gesellschaft des anderen derart unwohl fühlten, dass einer von ihnen ausziehen musste. Mit ziemlicher Sicherheit über der Fünf, vielleicht eine Acht, vielleicht sogar höher. Aber es war genial gewesen, der Orgasmus wirkte noch stark in ihrem Körper nach. Selbst wenn es eine Zehn wäre, wäre es das vielleicht dennoch wert gewesen.

»Können wir ausmachen, dass es zwischen uns nicht … peinlich wird?«, fragte Alfie. Damit wollte er sagen, dass ein peinliches Gefühl sehr wahrscheinlich war. Viel wahrscheinlicher als Liebe. Und obwohl Hazel wusste, dass das vermutlich stimmte, versetzte ihr diese Frage einen Stich. Sie war irgendwie enttäuscht.

»Das finde ich eine sehr gute Idee«, antwortete sie. Sie drehte sich zu ihm um, und sie gaben sich die Hand.

»Wahrscheinlich ist es Zeit, schlafen zu gehen«, sagte sie anschließend, und Alfie griff nach seinem Telefon und sagte: »Es ist halb zwei.« Hazel fluchte, schob die Decke zurück und setzte sich auf.

»Du kannst gern hier schlafen«, bot Alfie an. »Ich meine, wenn du willst.«

»Ich glaube, dann wird es schwierig mit unserer Abmachung. Das könnte es irgendwie … kompliziert machen.«

»Oh ja.« Alfie nickte nachdenklich. »Da könntest du recht haben. Wie du willst.«

Sie stand auf, um ihre Kleider vom Boden aufzusammeln. »Also dann, gute Nacht.«

»Gehst du nackt da raus?«

»Ich glaube, ich kann schnell in mein Zimmer flitzen.« Grinsend griff sie nach der Türklinke, zögerte dann und drehte sich noch mal zu ihm um. Sie war versucht, sich zu ihm vorzubeugen und ihn auf die Wange zu küssen. Doch mit dem Verlassen des Bettes hatte sie anderes Terrain betreten, und es erschien ihr nicht richtig zurückzugehen. »Danke übrigens«, sagte sie stattdessen. »Das war toll. Eins mit Sternchen.«

»Stimmt«, erwiderte er lächelnd.

Sie öffnete die Tür einen Spaltbreit und spähte hinaus. Der Flur war leer, und Tony war immer noch in seinem Zimmer. »Ich muss mich beeilen«, sagte sie, war mit zwei Schritten in ihrem Zimmer und hatte die Tür hinter sich geschlossen.

Das mit Alfie war eine schlechte Idee, dachte sie am Morgen, als sie sich für die Arbeit fertig machte. Es war viel zu früh, um an einem Samstag aufzustehen, insbesondere an einem verregneten Samstag. In letzter Zeit hatte es jeden Tag geregnet. Die Hitzewelle vom Juli war endgültig vom Regen hinweggespült worden, und die rissigen Wege in den Parks waren jetzt verlassen, aufgeweicht und matschig. Wenn es so weiterging, könnte es zu Überschwemmungen kommen. Es fühlte sich falsch an. Es war präapokalyptisch, ein kleiner Vorgeschmack auf das verrückte Wetter der Zukunft, aber das mochte niemand aussprechen.

Das mit Alfie war eine schlechte Idee, dachte sie, während sie sich die Zähne putzte und sich dann mit routinierten Bewegungen die Wimpern tuschte. Er schlief mit vielen Frauen, war möglicherweise sogar äußerst gewissenlos. Seine freundliche Art war ihr ganz natürlich erschienen, kam ihr jetzt jedoch berechnend vor. Es würde sie nicht überraschen, wenn sein ganzes Verhalten nur darauf ausgerichtet war, am Ende Sex zu haben. Ganz offensichtlich war er ein schwanzgesteuerter Mann.

Weil das mit Alfie eine so schlechte Idee war, antwortete sie nicht, als er ihr eine Nachricht schickte: War toll gestern Abend. Kann nicht aufhören, daran zu denken. X Es klang so, als wollte er die Erfahrung wiederholen. Das war zwar schmeichelhaft, aber darauf würde sie sich nicht einlassen. Es stand zu viel auf dem Spiel. Einen Umzug konnte sie sich nicht leisten. In den drei Jahren, die sie dort wohnte, hatte der Vermieter nur einmal die Miete erhöht, was bedeutete, dass alle anderen Wohnungen inzwischen teurer waren. Außerdem hatte sie nicht genug Geld für die Umzugskosten. Wenn sie sich jedes Wochenende anhören musste, wie er die Frauen in den Wahnsinn trieb, sollte sie am besten vergessen, dass sie selbst einmal eine dieser Frauen gewesen war.

Um gar nicht erst in Versuchung zu kommen, ihm zu antworten, ließ sie das Handy im Café in ihrer Tasche, die neben der Personaltoilette hing. Sie gab sich alle Mühe, mehrere Stunden lang nicht daran zu denken, und ließ das Telefon auch in der Mittagspause in der Tasche. Stattdessen nahm sie sich einen Krimi aus dem Bücherregal neben dem Sofa, der sie eine ganze Stunde lang fesselte. Eigentlich sollte man ein Buch hinterlassen, wenn man sich eines nahm. Da sie jedoch nur den Mindestlohn erhielt, fand sie, dass ein gebrauchtes Taschenbuch das Mindeste war, das ihr zustand. Als sie es in ihre Tasche steckte, schwebte ihre Hand über dem Telefon, aber sie brachte all ihre Willenskraft auf, der Versuchung zu widerstehen, und ging zurück zur Kaffeemaschine.

Erst gegen drei Uhr erlaubte sie sich, das Embargo zu brechen. Als sich ihre Hand um das Telefon schloss, verspürte sie einen Anflug von Aufregung und Erleichterung. Dann sah sie, dass sie vierundzwanzig WhatsApp-Nachrichten, fünf verpasste Anrufe und zwei Sprachnachrichten hatte. Alle stammten von ihrer älteren Schwester und lauteten: »Wo bist du?«, »Haben wir uns im Datum geirrt?« und »Geht es dir gut?«

Jetzt fiel es ihr wieder ein: Emily und Daria sollten dieses Wochenende zu Besuch kommen. Sie hatte es vergessen, weil sie es sich auf einem Zettel anstatt in ihrem Kalender notiert hatte. Als sie dann jemand gefragt hatte, ob sie eine Schicht tauschen könnte, war in ihrem Kalender kein Eintrag gewesen. Sie rief ihre Schwester zurück.

»Oh mein Gott«, begann sie, sobald sie abnahm. »Es tut mir ja so leid. Habt ihr etwa im Regen gewartet? Was macht ihr? Habt ihr ein Café gefunden oder so?«

Im Hintergrund waren Stimmen zu hören.

»Schon gut!«, sagte Emily und lachte über etwas. »Dein Mitbewohner hat uns reingelassen.«

»Ach? Und welcher?«

»Äh«, sagte Emily, zögerte und klang dann leiser, als würde sie das Telefon vom Mund weghalten: »Entschuldige, wie heißt du noch mal?«

»Alfie«, hörte sie Alfies Stimme.

»Alfie!«, sagte Emily wieder in voller Lautstärke. »Wir trinken gerade ein Bier. Wann kommst du zurück?«

2

Als Alfie an diesem Nachmittag nach Hause gekommen war, standen zwei Frauen vor der Haustür. Er hielt ihnen die Tür auf in der Annahme, dass gleich jemand den Summer betätigen und sie hereinlassen würde. Sie waren hinter ihm her die Treppe in den zweiten Stock hinaufgestiegen und ihm dann den Flur hinunter zur Nummer zwölf gefolgt.

»Oh!«, hatte eine von ihnen gesagt, als er seinen Schlüssel ins Schloss steckte. »Wohnst du da?«

»Ja?«, antwortete Alfie und fragte sich kurz, ob das überhaupt stimmte.

»Dann kennst du Hazel?«

Alfie kroch die Wärme ins Gesicht. »Ich kenne Hazel, ja. Bist du …«

»Ihre Schwester«, sagte die Frau und hielt ihm die Hand hin, die er daraufhin ergriff. »Emily.« Ihr Haar war so dunkelblond wie das von Hazel, endete jedoch knapp über ihren Schultern, und sie trug einen Pony. »Das ist meine Frau Daria«, sagte sie.

»Freut mich, euch kennenzulernen«, antwortete er. »Ich bin Alfie. Kommt rein.«

»Weißt du, wo sie ist?«, fragte Emily, als sie durch die Tür traten.

»Bei der Arbeit«, glaube ich. »Dachtet ihr, sie wäre hier?«

Emily seufzte und tauschte einen Blick mit Daria, die daraufhin lachte und sagte: »Oh mein Gott.«

»Sie wusste, dass wir kommen!«, rief Emily. »Wir hatten das mit ihr abgesprochen! Sie hat gesagt, sie hätte Zeit! Es tut mir so leid, dass wir einfach so vor der Tür stehen. Wir wollten ein paar Tage bleiben. Hazel, also wirklich.«

»Davon hat sie kein Wort gesagt«, erwiderte Alfie überrascht. Er schätzte sich als ziemlich locker ein, aber gegen eine kleine Vorwarnung hätte er nichts einzuwenden gehabt. »Sie hat es wohl vergessen.«

»Kommen wir ungelegen?«, fragte Daria besorgt. »Wir könnten uns vielleicht ein günstiges Hotelzimmer suchen oder so?«

»Oh nein!«, rief Alfie. »Kommt nicht infrage«, sagte er und setzte dazu ein strahlendes Lächeln auf. Er konnte nicht gerade behaupten, dass es ihm gelegen kam, schließlich hatte er gehofft, Hazels Aufmerksamkeit heute Abend ganz für sich zu haben. Die zwei schienen jedoch ganz nett zu sein, und er wollte nicht, dass sie sich nicht willkommen fühlten. »Sie müsste bald zurück sein«, erklärte er. »Möchtet ihr einen Tee? Einen Kaffee? Oder ein Bier?«

Sie entschieden sich für Bier und setzten sich damit an den Küchentisch, während er das schmutzige Geschirr einsammelte und neben der Spüle stapelte. »Sorry«, murmelte er, als er sich über sie beugte, um die Krümel vom Tisch zu wischen. Sie lehnten sich zurück, um ihm Platz zu machen, und erzählten ihm ungestört weiter von Australien, wo sie zwei Jahre lang gelebt hatten. Daria war Postdoktorandin an der Universität von Melbourne gewesen. Seit vierzehn Tagen waren sie zurück. Daria war eine feste Stelle an der University of East Anglia angeboten worden, erzählte Emily ihm stolz und legte Daria eine Hand auf die Schulter.

Daria lächelte und schien etwas verlegen. »Wir suchen eine Wohnung in Norwich«, sagte sie eilig. »Darum sind wir hier. Wir haben am Montag ein paar Besichtigungstermine. Da ihr nur zwei Haltestellen vom Bahnhof Liverpool Street entfernt wohnt, sparen wir uns gut zwei Stunden Fahrzeit.« Sie wohnten bei Emilys Eltern im ländlichen Kent, erklärten sie, wo es keine direkten Verkehrsverbindungen zu ihren Zielen gebe, und auch keinen anständigen Kaffee und schon gar kein anständiges veganes Essen.

Als sich eine Gesprächspause ergab, entschuldigte sich Alfie und eilte ins Bad, angeblich um auf die Toilette zu gehen. In Wahrheit jedoch, um es einigermaßen in Ordnung zu bringen, bevor es eine von ihnen benutzte. Mit finsterer Miene entfernte er Hazels Haare aus der Dusche und Tonys Rasierschaum aus dem Waschbecken. Er konnte sich nicht erinnern, wer in dieser Woche Putzdienst hatte, aber ganz sicher nicht er. Als es nicht mehr wie in einer Studentenbude aussah, kehrte er in die Küche zurück und machte sich ein Bier auf. Emily und Daria begannen mit einem Verhör und fragten ihn, wie lange er schon in London sei (acht Jahre), und wie lange er schon in der Wohnung wohne (vier Monate). Was ihn dazu bewogen habe, in ein solches Drecksloch zu ziehen, wollte Emily wissen (»Em!«, rief Daria), und er fragte sich, ob er sich die Mühe mit dem Bad hätte sparen sollen. Er erzählte ihnen, dass er frisch getrennt sei und dies nur eine Übergangslösung.

»Oh Mann, das tut mir leid«, sagte Daria, und er erwiderte, das sei schon in Ordnung (was stimmte), doch er war sich nicht sicher, ob sie ihm glaubten. Sie schwiegen eine Weile, dann zeigte Emily auf eine leere Yazoo-Flasche in der Recyclingtonne: »Man sieht, dass Hazel hier wohnt.«

Als sie Hazel erwähnte, deren Vorliebe für Schokomilch kindisch aber sehr charmant war, stieg Alfie erneut die Hitze in die Wangen. Wie es denn so sei, mit ihr zusammenzuleben, wollte Emily wissen, und er antwortete, es sei gut, schön, toll. Eigentlich wollte er es dabei belassen, aber sie sahen ihn erwartungsvoll an, also sagte er, er hätte nichts dagegen, wenn sie den Putzdienst etwas ernster nehmen würde, und sie lachten zufrieden.

»Arbeitest du auch an der Uni?«, fragte er Emily, um das Thema zu wechseln.

»Oh Gott, nein. Ich bin Software-Ingenieurin.«

Alfie meinte, das sei cool. Er wünschte, er wäre technisch etwas versierter. Dann läge einem die Welt zu Füßen. Emily fragte, was er mache, und er erzählte ihnen, er sei Grundschullehrer und berichtete ihnen von der Schule, an der er arbeitete.

»Eine ehemalige Kommilitonin von mir hat das Unterrichten gerade aufgegeben«, sagte Emily. »Sie war drei Monate lang krankgeschrieben. Burn-out. Dann hat sie einfach gesagt: Ihr könnt mich mal.«

»Das überrascht mich nicht«, sagte Alfie. »An unserer Schule haben auch ein oder zwei Lehrer gekündigt. Ich habe ebenfalls schon oft ans Aufhören gedacht. Wenn ich nur wüsste, was ich sonst machen könnte.«

Daraufhin begann eine Diskussion über Bildungspolitik, in der Alfie sehr ausführlich über Zulassungstests, Phonetik und Akademisierung sprach und Emily und Daria an den richtigen Stellen stöhnten, die Stirn runzelten und ihm viele sachliche Fragen stellten, die zeitaufwendig beantwortet werden mussten. Dann sprachen sie über Regierungen – die britische, die australische und die amerikanische – und dann darüber, wo sie in der Nacht waren, als Donald Trump zum Präsidenten gewählt worden war. Alfie hatte einen wunderschönen Traum vom Sieg Hillarys gehabt, erzählte er, und war dann um vier Uhr morgens erschrocken aus dem Schlaf hochgefahren.

Sie waren gerade beim Brexit, als Hazel anrief. Danach unterhielten sie sich über den Klimawandel und wie verloren sie waren, und offenbar hatten sie eine ganze Weile geredet, denn plötzlich klopfte es, und Hazel stand in der Tür. Sie schaute etwas verwirrt in die Runde.

»Schön, dass du da bist«, sagte Emily.

»Es tut mir wirklich leid«, antwortete Hazel und zog sich einen Stuhl heraus. An ihrer Nase funkelte ein Piercing in Form eines kleinen Steins, und ihr Haar war zu einem komplizierten Zopf geflochten; ein paar Strähnen hatten sich gelöst und fielen ihr ins Gesicht. Sie lächelte entschuldigend, was ihre Grübchen zum Vorschein brachte. Oder vielleicht hatte sie auch nur ein Grübchen, Alfie konnte sich nicht mehr genau erinnern. Sie saß seitlich von ihm, sodass er ihre andere Wange nicht sehen konnte.

»Du hättest mir gestern eine Nachricht schicken sollen«, setzte Hazel hinzu.

»Jetzt schieb mir nicht die Schuld in die Schuhe!«, sagte Emily. »Du bist einfach unzuverlässig!« Sie umfasste Hazels Gesicht und drückte es so stark zusammen, dass sich ihre Lippen nach vorn schoben. »Was bist du?«

»Unzuverlässig«, sagte Hazel mit zusammengepresster Schnute.

Emily ließ Hazels Gesicht los und wuselte ihr stattdessen durchs Haar, bis es wirr und elektrisch aufgeladen war. Der komplizierte Zopf war ruiniert.

»Herrgott!«, rief Hazel. »Bist du jetzt zufrieden?« Sie ließ sich auf ihren Stuhl zurückfallen, löste den Zopf und kämmte ihr Haar mit den Fingern.

»Gib der Frau ein Bier«, sagte Daria, und Alfie reichte ihr eins. Hazel seufzte und murmelte ein Dankeschön.

»Ich weiß nicht, wie es euch geht«, sagte Daria, »aber ich bekomme allmählich Hunger.«

»Sollen wir uns etwas bestellen?«, fragte Alfie. »Ich könnte eine Pizza vertragen.«

»Oh«, sagte Hazel, schüttelte ihr Haar aus und band es zu einem lockeren Knoten zurück, »hast du das noch nicht mitbekommen? Die zwei sind Veganerinnen.« Sie verdrehte die Augen.

»Mist! Hab ich vergessen. Sorry.«

Emily und Daria sagten ihm, er solle nicht albern sein. »Keine Sorge, über dich ärgern wir uns nicht«, sagte Emily. Sie drehte sich um und warf ihrer Schwester einen scharfen Blick zu. »Aber über Hazel. Hazel ist doof.«

Hazel lachte und verschluckte sich an ihrem Bier. Daria klopfte ihr auf den Rücken und erklärte, dass Hazel einmal einen spöttischen Artikel über Veganismus für die Unizeitung geschrieben habe, was Emily ihr nie verziehen hatte.

»Als ich den Artikel geschrieben habe, wusste ich nicht, dass sie Veganerin ist«, verteidigte sich Hazel, als sie sich wieder erholt hatte.

»Das sagt sie immer!«, rief Emily. »Als ob das die Sache besser machen würde!«

»Was hast du für ein Problem mit Veganern?«, fragte Alfie, als hätte er nicht noch drei Dosen Gänseleberpastete im Schrank. Sie stammten von der Paris-Reise mit Rachel – dem letzten verzweifelten Versuch, ihre Beziehung zu retten.

»Jetzt habe ich kein Problem mehr«, sagte Hazel. Sie erzählte von einem veganen Potluck-Dinner, an dem sie damals mit einer Freundin teilgenommen hatte, die gerade versuchte, sich vegan zu ernähren. Alle waren sehr unfreundlich gewesen, und eine Frau (»eine echte Veganerin, so richtig vegan, weißt du?«) hatte ihren Kichererbsensalat beleidigt.

»Und dann hast du aus Rache einen Artikel geschrieben?«, fragte Alfie und dachte, wie kreativ es war, so darauf zu reagieren.

»Einen schrecklichen Artikel«, antwortete sie.

»Schlimmer als schrecklich«, ergänzte Emily. »Es war eine Hassrede.«

»Das ist zehn Jahre her!«, protestierte Hazel. »Es war eine andere Zeit!« Doch Emily schüttelte nur den Kopf.

»Darf ich ihn mal lesen?«, fragte Alfie.

»Auf keinen Fall«, erwiderte Hazel. Ihre Blicke trafen sich, und in seiner Brust zog sich etwas zusammen.

Dann wies Daria darauf hin, dass sie sich immer noch nicht entschieden hatten, was sie essen wollten, und Hazel holte ihren Laptop, damit sie bei Deliveroo nachsehen konnten. Alfie lehnte sich zurück, nippte an seinem Bier und dachte: Na, das ist mal eine Familie.

3

Emily und Daria fanden ein kleines Haus in Norwich mit Garten und historischen Elementen, fünfzehn Minuten vom Stadtzentrum entfernt und gegenüber von einem Park gelegen. Der Makler gab ihnen ein Formular zur Unterschrift und sagte ihnen, dass sie die endgültigen Unterlagen erhielten, sobald die Besitzer zugestimmt hätten. Daraufhin kauften sie im M&S am Bahnhof eine Flasche Prosecco, während sie auf ihren Zug warteten.

Auf der Rückfahrt nach London zählten sie alle Vor- und Nachteile ihres neuen Hauses auf und begannen dann noch einmal von vorn, wobei sie etwas andere Worte benutzten. Schließlich folgte der übliche Streit über Emilys künftigen Arbeitsweg, der sehr lang sein würde, weil sie sich für Jobs in Cambridge bewarb, wo alle Techunternehmen saßen. Sie hielt zwei Stunden Zugfahrt pro Strecke für machbar. Daria hingegen war dafür gewesen, ein Haus irgendwo in der Mitte zwischen beiden Städten zu suchen.

»Ich will damit nur sagen, dass es noch nicht zu spät ist«, erklärte sie jetzt.

Aber Emily war klar, dass Daria, eine lesbische Veganerin aus dem Nahen Osten, sich nicht für das Leben in einer Stadt im Nirgendwo eignete, in der die Mehrheit für den Brexit gestimmt hatte. »Du brauchst dein gewohntes Umfeld, Babe«, sagte sie. »Du brauchst eine Musik-, eine Gay- und eine Veganer-Szene. Genau wie ich.«

»Ich stelle mir einfach immer vor, dass du in der Schwangerschaft vollkommen erschöpft sein wirst«, sagte Daria, und Emily lächelte.

»Ich weiß«, erwiderte sie und strich sich über den flachen Bauch. »Du könntest recht haben. Probieren wir es einfach ein Jahr lang aus, okay? Dann wissen wir, wie es läuft.«

»Ich wäre dazu bereit. Ich würde an den Arsch der Welt ziehen, wenn es dir das Leben leichter machen würde.«

»Das weiß ich.« Emily legte ihren Kopf auf Darias Schulter und nahm ihre Hand. »Weil du lieb und selbstlos bist und ich dich liebe.« Daria legte ihren Arm um Emily, und so saßen sie eine Weile. Dann sagte Emily: »Alfie ist nett, oder?«

»Oh mein Gott, total nett!«, stimmte Daria ihr zu, und Emily konnte hören, dass sie lächelte.

»Können wir ihn entführen? Ihn mit nach Norwich nehmen?«

Daria lachte. »Ich glaube, da hätte Hazel ein Wörtchen mitzureden. Glaubst du, dass zwischen ihnen was läuft?«

»Schön wär’s«, sagte Emily. »Aber ich will mir keine Hoffnungen machen. Hazel hat einen furchtbaren Männergeschmack.«

Als sie ihr die Neuigkeit von dem Haus erzählten, jubelte Hazel so laut, dass Alfie neugierig den Kopf aus seinem Zimmer steckte.

»Was ist los?«, fragte er.

»Wir haben ein Haus gefunden!«, sagte Emily. »Komm und trink einen Prosecco mit uns!«

Als der Korken knallte, fragte Hazel, wie hoch die Miete sei, und als sie es ihr sagten, schnaubte sie: »Ist das euer Ernst? Das sind nur hundert Pfund mehr, als ich für diese Abstellkammer hier bezahle.« Sie deutete auf ihr Zimmer, in das außer einem schmalen Bett kaum noch etwas passte. Sie murmelte, dass London sie verarschen würde und sie langsam überlegen müsse, ob sie nicht umziehen sollte.

»Tu das nicht!«, rief Emily. »Wo sollen wir sonst wohnen, wenn wir zu Besuch sind?«

Hazel warf ihr einen vernichtenden Blick zu, öffnete den Kühlschrank und inspizierte den Inhalt. Sie nahm eine Packung Tofu und verschiedenes Gemüse heraus. »Ich mache ein Wokgericht«, sagte sie zu Alfie. »Willst du was mitessen?«

Das wollte er gern. Zum einen weil ihm aufgefallen war, dass er bis auf eine verschrumpelte gelbe Paprikaschote und ein Glas Tartarsoße nichts mehr im Kühlschrank hatte. Zum anderen weil er sich in ihrer Gesellschaft am Samstagabend so wohl gefühlt hatte, dass er ganz vergessen hatte, dass er eigentlich zu einer Hausparty hatte gehen wollen.

»Na ja. vielleicht. Ich weiß nicht«, sagte er, denn er wollte sich nicht aufdrängen oder zu eifrig erscheinen. »Ist denn genug da?«

Hazel bejahte, doch Alfie schwankte, bis sie sagte: »Meine Güte, ich koch einfach etwas für dich mit, okay?« Er dankte ihr und spendete seinen Pfeffer.

Beim Abendessen fragte Emily Hazel nach ihrer Arbeit, und Hazel verzog das Gesicht. Sie hatte in diesem Jahr ein paar Aufträge als freiberufliche Illustratorin erhalten, und die Fangemeinde ihres Webcomics wuchs, aber das reichte nicht, um die Arbeit im Café aufzugeben. Sie konnte sich nur schwer vorstellen, dass sich das jemals änderte. Doch dann sagte sie, dass sie nicht kündigen würde, auch wenn sie es könnte. Sie beklagte sich zwar über den Job, aber eigentlich mochte sie ihn. Es war eine andere Welt als die Arbeit in einem Büro, und dafür war sie ewig dankbar. Es war zwar ermüdend, aber nichts im Vergleich zu der Anstrengung, die es bedeutete, den ganzen Tag auf Tabellenkalkulationen zu starren. Die Stammgäste mochten sie und umgekehrt, und zwei ihrer Kollegen waren echte Seelenverwandte. Nur die Bezahlung war miserabel.

»Ja, aber wenn du glücklich bist«, sagte Emily mit vollem Mund.

»Ja«, entgegnete Hazel unsicher. »Ich bin auf jeden Fall glücklicher. Und was ist mit dir? Hast du schon einen Job gefunden?«

»Nein«, sagte Emily. »Aber ich habe meine Netze ausgeworfen.«

»Dafür kann man Ärger bekommen, das ist dir doch klar«, sagte Hazel, und Daria kicherte. Emily seufzte und sah Alfie an.

»Wie kindisch«, sagte er und schüttelte den Kopf, als wäre er bedrückt.

Nach dem Essen streckte Daria die Arme aus und sagte: »Will einer von euch Losern im Scrabble gegen mich antreten?«

Sie hatten den Prosecco ausgetrunken, aber es war noch Bier im Kühlschrank, also nahmen sie es mit ins Wohnzimmer und setzten sich um den Couchtisch auf den Boden. Hazel zog das Scrabble-Spiel aus einem ungeordneten Haufen im Bücherregal, und die Buchstaben wurden gemischt und verteilt. Eine konzentriere Stille senkte sich über den Raum, die hin und wieder von Ausrufen wie »oh« und »verdammt«, zufriedenen Seufzern und bedauerndem Zungenschnalzen durchbrochen wurde. Einmal tauchte Tony auf, schlurfte ins Zimmer, um sein Telefon zu holen und verschwand wortlos wieder, wobei er einen Geruch von ungewaschenem Polyester hinterließ.

Daria und Hazel lieferten sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen und übertrafen sich bei jedem Zug gegenseitig. Doch dann umschloss Alfie das R von Darias RIND mit einem GEBU oben und einem T unten. Das gab den dreifachen Wortwert und für das B den doppelten Buchstabenwert.

»Geburt«, sagte Daria. »Verdammt.«

»Du Mistkerl«, brummte Hazel, als Alfie seine Punkte zusammenzählte.

»Dreißig!«, krähte er.

Emily sagte nichts, ihr Herz klopfte wie wild. Ausgerechnet dieses Wort! Natürlich glaubte sie nicht an Zeichen aus dem Universum, aber angenommen, es gäbe sie. Natürlich gab es sie nicht, aber wenn man seiner Fantasie freien Lauf ließe, konnte es keinen Zweifel daran geben, dass dies ein verdammt gutes Zeichen war.

4

Seit »es« passiert war, waren Hazel und Alfie nicht mehr allein gewesen. Sie hatte das ganze Wochenende über gearbeitet, und am Montag war er irgendwo unterwegs gewesen, ganz offensichtlich nicht bei der Arbeit, denn es waren Schulferien. Es hatte also keine Gelegenheit gegeben, »es« irgendwie zu verdauen, geschweige denn darüber zu sprechen oder auch nur peinlich darum herumzutänzeln. In gewisser Weise war Hazel froh darüber. Besser ein sauberer Schnitt, dachte sie. Es war ihr egal, dass sie Schmetterlinge im Bauch hatte, wenn die Eingangstür aufgeschlossen wurde. Dass ihre Wangen brannten, wenn er sie anlächelte. Gefühle wie diese brachten sie meist in Situationen, aus denen sie sich früher oder später wieder befreien wollte. Daher sollte sie sie am besten ignorieren. Um sich das Ignorieren zu erleichtern, verabredete sie sich zu einem Date und sorgte dafür, dass Alfie es mitbekam.

Es lief von Anfang an nicht nach Plan. Sie war spät dran, dann hatte die U-Bahn Verspätung, sodass sie noch später kam. Als sie schließlich eintraf, hatte ihr Date schon zwei Bier intus.

»Entschuldige? Brandon?«, sagte sie, und er blickte von seinem Telefon auf.

»Ja! Hazel, hi!« Er stand auf, um sie auf die Wange zu küssen.

»Es tut mir so leid«, sagte sie ernst. »Die verdammte Central Line.«

»Oh Gott, das kenn ich«, sagte er und schüttelte den Kopf. »Die ist die Hölle, und das meine ich wörtlich. Ich besorg dir etwas zu trinken. Was möchtest du haben?«

Sie bat um ein Glas Weißwein und setzte sich an den Tisch, während er zur Bar ging. Ihr war warm, dennoch behielt sie die Jacke an, damit man ihre Schweißflecken nicht sah.

Brandon kehrte mit ihrem Wein und einem weiteren Bier für sich zurück. Der Wein schmeckte nach Essig, und Brandon redete zu laut, auch wenn er noch nicht betrunken war. Irgendetwas an ihm kam Hazel seltsam bekannt vor. Nichts, was so auffällig war, dass sie es auf seinem Profilbild hätte sehen können, eher sein Auftreten und seine Stimme. Waren sie sich schon einmal begegnet? Sie erfuhr, dass er Ingenieur bei einem Bauträger war und Autos, Schweizer Uhren und Squash mochte. Dass er Footballfan war, sagte er nicht, doch sein Blick schweifte in regelmäßigen Abständen zum Spiel QPR gegen Chelsea, das auf einem Riesenfernseher hinter ihr lief und ihn verriet. Vielleicht hatten sie gemeinsame Freunde, aber das erschien ihr allmählich unwahrscheinlich.

Sie besorgte eine zweite Runde Getränke und fragte sich, ob der Gesprächsstoff noch reichte, bis sie ausgetrunken hätten. Weil ihr nichts anderes einfiel, sagte sie schließlich: »Tut mir leid, aber ich werde irgendwie das Gefühl nicht los, dass wir uns schon mal begegnet sind.«

»Ach ja?«

»Geht das nur mir so?«

Er kniff die Augen zusammen und sah sie mit schief gelegtem Kopf an. »Jetzt, wo du es sagst, vielleicht kommst du mir auch bekannt vor«, sagte er, ganz offensichtlich nicht überzeugt. »Warst du in Exeter?«

»Nein.«

»King Ed’s?«

Sie schüttelte den Kopf.

»Arbeitest du hier in der Nähe?«

»Nein.« Nachdenklich tranken sie einen Schluck aus ihren Gläsern. Dann fiel es Hazel plötzlich ein.

»Oh mein Gott!«, rief sie aus. »Hast du eine Schwester, die Hannah heißt?«

»J-ja …?«

»Hannah Fox?«

»Ja, genau. Kennst du sie?«

Hazel lächelte. Sie hatte Hannah Fox immer gemocht. »Erinnerst du dich an Emily Phillips?«, fragte sie. »Hannahs Girlfriend an der UCL – das ist jetzt zehn, zwölf Jahre her?«

Seine Augen weiteten sich. »Emily Phillips? Da klingelt was!« Er nickte aufgeregt und versuchte nicht, seine Begeisterung zu überspielen. »Woher kennst du sie?«

»Sie ist meine Schwester«, erklärte Hazel.

Brandon verschluckte sich fast an seinem Bier. »Deine Schwester? Ach was, tatsächlich?«

»Ja.«

»Dann sind wir uns also tatsächlich schon mal begegnet?«

»Erinnerst du dich, als Emily und Hannah ihren Abschluss gemacht haben und Emily sturzbetrunken war und nach Hause getragen werden musste?«

»Oh ja! Gott, das war irre! Sie war völlig fertig. Aber an eine Schwester kann ich mich nicht erinnern.«

Hazel seufzte. »Tja, ich war dabei. Ohne mich hättet ihr es nicht nach Hause geschafft. Ich habe den Taxifahrer überredet, uns mitzunehmen. Er wollte zuerst nicht. Ich musste auf seine Bibel schwören, dass Emily nicht kotzen würde.«

Brandon lachte schallend. »Echt?«, fragte er. »Edel von dir! Ja, jetzt erinnere ich mich langsam an dich. Um ehrlich zu sein, Hazel, meine Erinnerung an diese Nacht ist etwas verschwommen. Ich war auch schon ziemlich hinüber.« Er lachte, schüttelte den Kopf und trank einen weiteren Schluck Bier. Langsam verebbte sein Lachen, dann schaute er immer noch lächelnd zu ihr hoch.

»Hast du … Ich dachte, du … hast du Girlfriend gesagt?«

»Was? Ach so. Ja.«

»Deine Schwester war mit meiner Schwester zusammen?«

»Äh, ja?«

»Was?«, schrie er. »Scheiße! Nein! Sie waren zusammen?«

»Oh wow. Das hast du offenbar nicht mitgekriegt.«

Brandon schlug sich eine Hand auf die Stirn. »Oh mein Gott! Ich habe noch nicht einmal etwas geahnt! Hannah ist damals nicht ausgegangen. Sie haben nie – ich dachte – ich nahm an …«

»Sie waren nicht nur enge Freundinnen, Brandon«, sagte Hazel. Allmählich wurde sie sehr müde.

»Bist du dir sicher?«, fragte Brandon außer sich. »Ja, du bist dir sicher. Verdammt!«

»Warum ist das so eine große Sache? Dachtest du, Emily steht auf dich?«

Darüber lachte Brandon derart laut und übertrieben, dass Hazel wusste, dass sie recht hatte. »Natürlich nicht«, sagte er.

Hazel leerte ihr Glas und griff in ihrer Tasche nach dem Telefon. Unauffällig tippte sie »SOS« in eine WhatsApp-Nachricht und schickte sie an ihren Freund Nish. Dreißig Sekunden später klingelte ihr Telefon.

»Hi, Süße«, sagte Nish, als sie abnahm. »Ich glaube, du solltest vorbeikommen. Ich bin die Treppe hinuntergefallen und habe mir vielleicht den Arm gebrochen. Du musst mich mit Nudelsuppe füttern, ehe sie kalt wird. Komm lieber schnell, sonst bin ich bald tot.«

Hazel musste sich ziemlich zusammenreißen, um nicht laut zu lachen. Sie stand auf und entfernte sich vom Tisch, als ob sie etwas Ernstes und Persönliches zu besprechen hätte, dann kehrte sie mit besorgter Miene zu Brandon zurück.

»Es tut mir so leid«, sagte sie, »aber ich muss gehen. Ein Freund von mir hat gerade eine ziemlich furchtbare Nachricht bekommen.«

Brandon hob leicht die Augenbrauen.

»Danke für den schönen Abend«, sagte sie und zog ihren Mantel an.

»Dank dir«, sagte Brandon. Sie spürte, dass er sie durchschaute, aber er traute sich nicht, etwas zu sagen. Sie beugte sich vor, um ihn auf die Wange zu küssen, dann ging sie zur Tür.

»Hey«, rief Brandon eine Sekunde später, und sie drehte sich noch mal um. Er grinste verlegen, als hätte er beschlossen, spontan zu sein und wäre sich nicht sicher, ob das eine gute Idee war. »Das ist nicht sehr höflich von mir«, sagte er. »Vielleicht nicht – ich meine – ach, was soll’s. Darf ich fragen, was deine Schwester jetzt so treibt?«

Hazel schürzte die Lippen. »Sie ist Software-Ingenieurin.«

»Cool. Ist sie, äh … ?«

»Sie ist verheiratet.«

»Ach, wirklich? Okay. Toll. Schön für sie. Also ist sie nicht – du weißt schon.«

»Sie ist mit einer Frau verheiratet.«

»Alles klar. Cool. Schön.« Er nickte unaufhörlich. »Also, danke noch mal, Hazel. Grüß Emily von mir.«

***

Hazel fuhr geradewegs zu der Wohnung in Bow, in der Nish mit Roisin, auch eine ihrer Freundinnen, wohnte. Beide arbeiteten mit Hazel im Café und strebten wie sie nach Höherem. Hazel hatte ihre Illustrationen, Nish komponierte auf seinem Computer Musik, Roisin hatte einen Master in Kunst und ein Zimmer voller Hühnerdraht und Gipsmörtel.

Als sie ankam, brach sie auf Roisins Bett zusammen und erzählte ihr die ganze Geschichte. »Was zum Teufel war das?«, rief sie abschließend aus. »Warum hatte ich einen Match mit ihm?«

»Das sind nur Algorithmen«, beruhigte Nish sie. »Deine Schwester ist wahrscheinlich mit seiner Schwester auf Facebook befreundet, stimmt’s?«

»Darum? Das ist ja gruselig! Vergiss es!«

»Da ist immer auch ein bisschen Glück dabei, Hazel. Wir ziehen alle eine Menge Nieten. Davon darfst du dich nicht entmutigen lassen. Du musst dich wieder aufs Pferd setzen.«

»Und du kannst das immerhin in einem Cartoon verarbeiten«, fügte Roisin von der Tür aus hinzu. Sie verschwand und kam fünf Minuten später mit drei Bechern Tee zurück.

»Arbeitest du morgen?«, fragte Nish Hazel und pustete in seinen Becher.

»Ja.«

»Wir auch. Bleib hier, dann gehen wir alle zusammen. Du kannst in meinem Bett schlafen.«

»Ich will nicht in deinem ekligen Bett schlafen«, entgegnete Hazel.

Roisin stimmte zu, dass das unvorstellbar eklig sei. Hazel könne stattdessen die aufblasbare Matratze haben. Diese gehörte Roisin, konnte aber wegen des Hühnerdrahts nicht in ihr Zimmer gelegt werden, also quetschten sie sie in Nishs Zimmer auf den Boden. Außerdem bekam sie ein Kopfkissen, einen Schlafsack und ein altes T-Shirt. Roisin versicherte Hazel, dass der Schlafsack zwar nicht frisch gewaschen, aber kürzlich gelüftet worden sei und dass niemand in oder auf ihm Sex gehabt habe, was mehr war, als man von Nishs Bett behaupten konnte.

Eine gute halbe Stunde lang wurde dann über Nishs jüngste sexuelle Eskapaden diskutiert, die alle entweder durch Grindr oder Gaydar zustande gekommen waren und ein Maß an Spontaneität und Mut erforderten, das Hazel in ihren kühnsten Träumen nicht aufgebracht hätte.

»Was ist mit euch?«, fragte Nish, als ihm die Geschichten ausgingen. Ich kann doch nicht der Einzige sein, der Sex hat.

»Fehlanzeige«, sagte Roisin, die sich auf der Luftmatratze räkelte. Aber ich habe es mir wunderbar selbst besorgt.«

Hazel schwieg, wodurch sie sich sofort verdächtig machte. Sie ließ sich eine Weile von ihnen necken und sagte dann: »Ihr kennt doch Alfie?« Sie erzählte von den Gesprächen über Musik, Dokumentarfilme und Webcomics, die sie am Küchentisch geführt hatten. Dann von dem Abend, an dem sie Gin getrunken und viele Folgen von Black Mirror gesehen hatten. Anschließend hatten sie angeregt über die Cyberdystopie spekuliert, auf die die Menschheit ahnungslos zusteuerte. Und dann hatten sie Sex gehabt. Alfie war sehr gut im Bett. Verdächtig gut. Geübt.

»Du sagst das so, als ob das etwas Schlechtes wäre«, forschte Nish.

Hazel erzählte von den Lustschreien, die sie am Wochenende zuvor aus Alfies Zimmer gehört hatte, aber Nish blieb ungerührt.

»Worauf willst du hinaus?«, fragte er.

»Ich habe nur das Gefühl, dass er wahrscheinlich die Art von Mann ist, der jede Woche mit einer anderen schläft. Nicht dass daran etwas auszusetzen wäre«, fügte sie hastig hinzu, »aber ich muss mit ihm zusammen wohnen. Wahrscheinlich sollte ich mich einfach … nicht auf ihn einlassen.«

»Richtig«, sagte Roisin. »Ein zuverlässiges Rezept für eine Katastrophe.«

»Hast du gehört, dass er jede Woche Sex hat?«, fragte Nish.

»Na ja, vor zwei Wochen. Und dann eine Woche später mit mir.«

»Und wie lange wohnt er schon bei dir?«

»Vier Monate, aber …«

Nish sah sie mit hochgezogenen Augenbrauen an. »Er hatte also zweimal Sex in den letzten vier Monaten.«

»In unserer Wohnung, ja. Aber wer weiß, was er getrieben hat, wenn er nicht zu Hause war?«

»Hazel«, sagte Nish, »du siehst Probleme, wo keine sind.«

Roisin wollte ein Foto sehen, also rief Hazel Alfies Instagram-Account auf ihrem Smartphone auf, und sie beugten sich vor, um es zu betrachten.

»Nett«, sagte Roisin.

»Gütiger Gott«, bemerkte Nish. »Hazel, wie kannst du nicht in diesen Kerl verknallt sein?«

»Ich habe nicht gesagt, dass ich nicht in ihn verknallt bin, ich habe nur …«

»Dann stimmt es also?«

»Ein bisschen, vielleicht, aber …«

»Und er ist in dich verknallt.«

»Das weißt du doch gar nicht. Vor zwei Wochen war er in eine andere verknallt.«

»Pfff.«

»Er hat dir geschrieben, dass er nicht aufhören kann, an dich zu denken«, warf Roisin ein und wechselte die Seite.

»Daran. An den Sex.«

»Das ist doch dasselbe.«

»Nein, ist es nicht!«

»Hazel, sei dem Universum einfach dankbar, wenn es dir Gutes schenkt«, sagte Nish. »Warum triffst du dich mit irgendwelchen Fuzzis, wenn du so jemanden zu Hause hast?«

»Darum! Ich muss nach vorn schauen! Okay?«

»Jetzt reicht’s«, sagte Nish. Er stellte seinen Teebecher ab, drehte sich zu ihr um und nahm ihre Hände in seine. »Sprich mir nach: Wenn ich morgen nach Hause komme.«

Hazel beäugte ihn misstrauisch, gehorchte jedoch. »Wenn ich morgen nach Hause komme.«

»Werde ich.«

»Werde ich.«

»Werde ich für immer und ewig mit Alfie Sex haben.«

Hazel gab ihm eine Kopfnuss, und er rang nach Luft. »Du willst, dass ich gefickt werde.«

»Ja, und zwar von allen Seiten!«, rief er und rollte sich zu einem Ball zusammen, um sich vor einem Angriff von ihr zu schützen. Roisin warf sich lachend auf den Rücken.

»Wenn ich weinend zu euch komme«, sagte Hazel, »weil mein Herz gebrochen ist und ich mich in meiner eigenen Wohnung nicht mehr wohlfühle …«

»Wische ich dir die Tränen ab und werfe diesen Wichser Julian raus, damit du bei uns einziehen kannst«, sagte Nish.

»Pst«, machte Roisin. »Er kann dich hören.«

»Ich schwöre dir, das mach ich«, flüsterte Nish. »Er bohrt in der Nase und schnippt die Popel weg.«

Hazel bemühte sich, nicht zu grinsen. »Das wird ein böses Ende nehmen«, sagte sie. »Ich werde noch bereuen, dass ich jemals auf dich gehört habe.«

»Kümmere dich darum, wenn es passiert, Hazel!«, rief er. »Carpe fucking diem!«

5

Alfie hatte den Abend in einer schwedischen Bar verbracht, Bier getrunken und mit seiner Freundin Clara Räucherfisch auf dunklem Brot gegessen. Theoretisch war Clara seine Ex-Freundin, doch das war ihm kaum noch bewusst, da die Beziehung sehr kurz und unbedeutend gewesen war. Er konnte sich nicht daran erinnern, wie sie nackt aussah, und nahm an, dass dies auch umgekehrt der Fall war. Trotzdem hatte er sich mit ihr verabredet, kurz nachdem er erfahren hatte, dass Hazel zu einem Date ging, damit er, falls sie ihn nach seinen eigenen Plänen fragte, sagen konnte: »Oh, ich treffe mich mit einer Freundin. Meiner Ex, um genau zu sein.« Dann würde er eine lässige Miene aufsetzen, die sie im Unklaren darüber ließ, was das bedeutete. Bis jetzt hatte sie ihn aber noch nicht danach gefragt.

Alfies und Claras jährliches Treffen war schon lange überfällig, sodass Clara sich nichts dabei gedacht hatte. Wie üblich hatte sie zu diesem Zweck ein neues, überteuertes Lokal ausgekundschaftet. Wie üblich beschwerten sie sich einen Großteil des Abends über die Arbeit. Clara regte sich über ihren Vorgesetzten auf, der ihre Arbeit als selbstverständlich hinnahm. Alfie beklagte sich über eine Gruppe von Lehrerinnen und Klassenassistentinnen, die ihn wie einen Ausgestoßenen behandelten, seit die Beziehung zu Rachel zu Ende war. Rachel und er hatten mehrere Jahre lang an derselben Schule unterrichtet, aber nach der Trennung hielt Rachel diesen Zustand offenbar für unhaltbar und hatte die Schule zum Ende des letzten Schuljahres verlassen. Unter ihren Cheerleadern wurde sie wie eine Märtyrerin behandelt, weil sie ihren geliebten Job aufgegeben hatte, damit die Harmonie im Lehrerzimmer wiederhergestellt war. Die Ironie bestand jedoch darin, dass sie die Disharmonie selbst herbeigeführt hatte. Alfie war stets höflich gewesen und hatte sich nach der Trennung um ein friedliches Miteinander bemüht. Nun wurde ihm vorgeworfen, sie vertrieben zu haben und nicht selbst gegangen zu sein. Er sollte ihnen einfach geben, was sie wollten, sagte er. Im September würde er die Stellenanzeigen studieren. Die konnten ihn mal.

Seit Ferienbeginn hatte er über all das nicht mehr wirklich nachgedacht, und es überraschte ihn, wie wütend er war. Clara war erfreulich empört, aber je weiter das Gespräch voranschritt, desto leiser wurde sie, bis ihre Stimme verzagt und traurig klang.

»Clara?«, sagte Alfie. »Was ist los?«

»Dieses Jahr ist so viel kaputtgegangen«, sagte sie müde. »Ich gehöre jetzt auch zum Club.«

»Moment, was? Du meinst …?«

Ja, antwortete sie, sie sei seit zwei Wochen Single und deshalb unglücklich. Sie hatte sich von einem Mann namens Hill (richtiger Name) getrennt, den Alfie nie kennengelernt hatte, dessen Soundcloud-Profil er sich aber grausam fasziniert angehört hatte – jeden einzelnen erbärmlichen Song. Das hatte ihn so entsetzt, dass er für einen kurzen Moment die Freundschaft mit Clara infrage gestellt hatte, die Hill für »kreativ« und »nicht wie andere Jungs (nichts für ungut, Alfie)« hielt.

Clara vermisste Hill und auch wieder nicht, und sie war wütend auf sich, weil sie so lange bei ihm geblieben war und Zeit mit dem Versuch verschwendet hatte, die Sache zum Laufen zu bringen. Jetzt stand sie wieder am Anfang, und ihr nächster Geburtstag würde der dreißigste sein.

»Dreißig zu werden ist keine große Sache«, sagte Alfie, der genauso alt war und damit überhaupt kein Problem hatte. Sein Haaransatz wich noch nicht zurück, nicht einmal ein kleines bisschen.

Clara hob eine Augenbraue und erinnerte ihn scharf daran, dass es etwas anderes war, ob man als Mann dreißig wurde oder als Frau. Genauer gesagt, als alleinstehende Frau, die hoffte, in den nächsten fünf Jahren Kinder zu bekommen.

»Ich wusste nicht, dass du Kinder haben willst«, sagte er schuldbewusst.

Sie seufzte und sagte, ja, sie wolle viele haben. Mindestens drei. Sie könne nichts dafür, sie sei altmodisch. Sie seufzte erneut, diesmal noch schwerer.

Alfie wollte ihr versichern, dass noch viel Zeit sei und sie jemanden finden würde. Angesichts seiner eigenen Beziehungsvergangenheit ahnte er jedoch, dass das wie eine nichtssagende Plattitüde klingen würde.

Also sagte er stattdessen: »Ich glaube, ich würde gerne Kinder haben. Ich wäre bestimmt ein toller Vater.«

Clara lachte. »Ja, wahrscheinlich. Zum Glück gibt es für dich keine Deadline.«

»Ich weiß nicht so recht. Siebzig ist ein bisschen alt, finde ich.«

Sie versetzte ihm einen sanften Schubs und sagte, sie würde sich noch etwas zu trinken holen. Während sie weg war, grübelte Alfie über seine Worte nach. Im Allgemeinen machte er sich nicht viele Gedanken über das Elternsein, aber die Aussage, er wäre sicher ein toller Vater, war nur zum Teil Spaß gewesen. Schließlich schlug er sich bei seiner Arbeit ständig mit den Erziehungsentscheidungen anderer Eltern herum, was ihm seiner Meinung nach einen Vorsprung verschaffen sollte.

Clara kam zurück und stellte ihm ein Pale Ale hin. »Also«, sagte sie fröhlich. »Mit wem wirst du all diese Babys machen?«

»Keine Ahnung«, antwortete er, ohne ihr in die Augen zu sehen.

»Was, überhaupt nicht? Keine, mit der du flirtest? Keine in der Schule, die dir auffällt?«

Er warf ihr einen Blick zu. »Sorry«, sagte sie. »Aber im Ernst, nichts? Du enttäuschst mich.«

»Na ja …«

»Das klingt schon besser!«

»Freu dich nicht zu früh. Es ist ein ziemliches Durcheinander. Ich habe mit einer Frau geschlafen.« Clara rieb sich vergnügt die Hände, und Alfie lächelte schwach bei der Erinnerung. »Es war – na ja. Es war toll«, sagte er. »Aber sie ist meine Mitbewohnerin.«

»Oh!«, sagte Clara. »Okay. Kompliziert. Ist es jetzt irgendwie komisch?«

»Das würde ich nicht unbedingt sagen«, antwortete Alfie. Er erzählte ihr vom Auftauchen von Emily und Daria und wie wenig Zeit für unangenehme Situationen geblieben war.

»Glaubst du, es wird etwas daraus?«, fragte Clara, und Alfie zuckte mit den Schultern. »Willst du das denn?«

»Ich hätte nichts dagegen.«

»Magst du sie?«, fragte sie, und als Alfie nicht sofort antwortete: »Ja! Du magst sie! Oh mein Gott, Alfie!« Sie sprach mit hoher Stimme und imitierte einen amerikanischen Akzent. »Liebst du sie?«

»Ach, lass mich in Ruhe!«

»Weißt du, Mitbewohner können ein gutes Paar sein. Hey!« Sie schlug mit der flachen Hand auf den Tisch. »Letzten Monat war ich auf einer Hochzeit. Und was glaubst du, wie das Brautpaar sich kennengelernt hat? Wohngemeinschaft!«

Alfie schüttelte den Kopf. »Sie ist nicht interessiert, Clara. Es war nur eine einmalige Sache.«

»Oh«, sagte Clara ernüchtert. »Also hat sie dich zum Sex benutzt.«

»Sieht so aus. Als wir das erste Mal danach allein waren, hat sie mir erzählt, dass sie diese Woche ein Date hat.«

»Will sie dich vielleicht eifersüchtig machen?«, fragte Clara hoffnungsvoll, aber Alfie schüttelte den Kopf.

»Ich glaube nicht, dass sie eine solche Taktiererin ist.«

»Ach, Mist. Was für ein Reinfall. Das tut mir leid.« Clara hob ihr Glas. »Auf uns zwei Loser«, sagte sie mit unüberhörbarem Vergnügen, und Alfie stieß mit seinem Glas gegen ihres.

***

Auf dem Rückweg im Bus begann Alfies Auge zu zucken, was es seit einigen Wochen hin und wieder tat. Es war nervig und beunruhigte ihn. Er hatte sich geschworen, es nicht zu googeln, aber plötzlich verspürte er den seltsamen Drang, es doch zu tun. Er holte sein Smartphone heraus und gab »Augenzucken« ein. Schlafmangel, schlugen alle Artikel vor. Oder Stress, obwohl das in den Schulferien eher unwahrscheinlich war. Oder zu viel Koffein – aber den Kaffee hatte er schon weggelassen, und das hatte keinen Unterschied bewirkt. Dann las er am Ende eines Artikels, dass ein zuckendes Auge in seltenen Fällen ein Symptom einer degenerativen neurologischen Erkrankung sein könnte.

Erschrocken folgte er wie in Trance einem Link zu einem Artikel über diese Krankheit und studierte die Liste der Symptome: Gleich mehrere schienen auf ihn zuzutreffen. Er hielt sich die Hand vors Gesicht – sie zitterte. Er versuchte, sie ruhig zu halten, stellte aber fest, dass das unmöglich war. Dann schob er sein Haar nach vorn, sodass er es sehen konnte, wenn er nach oben schaute. Die Strähnen hüpften und pulsierten vor seinen Augen. War das ein frühes Anzeichen für »unkontrollierte Kopfbewegungen«? Wie er jetzt wusste, war das eine ernste Angelegenheit, die sofort ärztliche Hilfe erforderte.

Benommen stolperte er in die Wohnung. Er würde schon bald und auf schreckliche Weise sterben. Er überlegte, einen Termin bei seinem Hausarzt zu vereinbaren, doch bei dem Gedanken an die schlaflosen Nächte, die ihm bis dahin bevorstanden, den beschwerlichen Weg zur Praxis, das bange Warten, bis er dran war, überkam ihn Übelkeit. Und an den ernsten Blick, wenn es denn etwas Ernstes war, die sanfte Stimme, die Überweisung zu weiteren Untersuchungen.

Ratlos setzte er sich an den Küchentisch. Hinter Tonys Zimmertür hörte er das Geräusch von Videospielen, und einen Moment lang überlegte er, anzuklopfen und ihn zu fragen, ob er Lust auf ein Bier hätte. Aber das wäre eine extreme Reaktion – ganz gleich in welcher Situation. Was er wirklich wollte, war, mit Hazel zu reden – nicht über das, was zwischen ihnen geschehen war, sondern über alles Mögliche. Bis spät in die Nacht, wie sie es ein- oder zweimal getan hatten. Ein Becher Tee mit ihr hätte ihn von seiner möglicherweise bevorstehenden Diagnose und seinem Tod abgelenkt. Er könnte ihr von seinen Symptomen erzählen und feststellen, dass sie völlig belanglos schienen, sobald er sie laut aussprach. Er könnte ihr erzählen, dass es in seiner Familie schlechte Gene gab, dass sowohl seine Mutter als auch seine Großmutter früh an Brustkrebs gestorben waren und dass er wahrscheinlich keine Kinder zeugen sollte, wenn er ohnehin früh sterben und sie zurücklassen würde. Wahrscheinlich würde sie ihn auslachen und etwas Beruhigendes (wenn auch Unwahres) sagen wie: »Du bist der gesündeste Mensch, den ich kenne« oder »Mein Auge zuckt schon seit letztem Jahr«. Oder nein – sie würde ihn ernst nehmen und etwas unbestechlich Logisches sagen, wie: »Wow, das ist ja furchtbar. Ich verstehe, dass du dir Sorgen wegen Krebs machst, aber die Motorneuron-Krankheit? Im Ernst?« So etwas hätte ihn vielleicht beruhigt, wenn sie tatsächlich da gewesen wäre, aber jetzt erinnerte es ihn nur daran, dass er sich auch wegen Krebs Sorgen machen musste. Er stand auf, ging in sein Zimmer, zog Jeans und Unterhose herunter und tastete seine Hoden nach Knoten ab. Soweit er es beurteilen konnte, waren keine da. Das war immerhin etwas.

Er fragte sich, wo Hazel war. Vermutlich bedeutete ihre Abwesenheit, dass ihr Date ein Erfolg gewesen war. Vielleicht sollte er ihr eine Nachricht schicken, um zu sehen, ob alles in Ordnung war. Aber er wusste nicht, wann Umsicht aufdringlich wurde, oder ob er, als er letzte Woche mit ihr geschlafen hatte, jegliches Recht verwirkt hatte, besorgt zu sein. Sorge konnte allzu leicht mit Eifersucht verwechselt werden. Er tippte eine Nachricht, überarbeitete sie, damit sie lässiger klang, und löschte sie dann wieder.

Er hatte das Gefühl, dass etwas mit seinen Fingern nicht stimmte, ohne dass er es genauer beschreiben konnte. Müdigkeit vielleicht. Muskelüberanstrengung. Oder vielleicht Taubheit. War es Taubheit? Waren seine Finger taub? Er spürte, wie erneut Panik in ihm aufstieg, klaustrophobische Gefühle, als wäre er in einem brennenden Gebäude gefangen. Er sah sich nach etwas Scharfem um, fand einen Kugelschreiber, drückte das spitze Ende wahllos in seine Finger und hinterließ eine Reihe kleiner schwarzer Punkte. Er konnte den Kugelschreiber fühlen, ja. Aber spürte er einen normalen Druck, oder war das Gefühl leicht taub? Er war sich nicht sicher.

An die Kissen gelehnt, versuchte er, zur Vernunft zu kommen, achtete aber ganz genau auf seine Hände. Sie fühlten sich schwer und klamm an. Vielleicht funktionierten sie ganz normal, vielleicht aber auch nicht. Er spürte eine unangenehme Nervosität, eine seltsame Anspannung.

Sein Handy vibrierte, und er zuckte zusammen. Es war Jasmine, die Frau, mit der er in der letzten Woche eine Nacht verbracht hatte. Sie hatten sich auf einem dreißigsten Geburtstag kennengelernt und sich seitdem zweimal getroffen. Sie war die Erste, mit der er seit der Trennung von Rachel geschlafen hatte, und es war alles sehr oberflächlich und unkompliziert gewesen. Sie war ziemlich laut, was erfreulich, aber auch peinlich gewesen war. Ihm wäre es lieber gewesen, man hätte sie nicht so deutlich gehört. Ihre großen unschuldigen Augen ließen eine so wilde Libido nicht erahnen.