Notärztin Andrea Bergen 1399 - Marina Anders - E-Book

Notärztin Andrea Bergen 1399 E-Book

Marina Anders

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Beschreibung

Nebelschwaden wabern zwischen den Bäumen, als die schöne Liana mit großen Schritten auf dem Pfad ausschreitet. Im Wald ist es still - und still wird es auch endlich in ihrem Herzen. Seit sie sich in der Blockhütte der Bergens vor ihrem gewalttätigen Mann Henry verborgen hält, wird Liana klar, dass sie viel zu lange in einer Gewaltbeziehung ausgehalten und die brutalen Attacken ihres Ehemanns ertragen hat. Hier in der Stille der Natur reift in ihr der Entschluss, sich endlich von ihm zu trennen und ein neues, glückliches Leben weit von ihm entfernt zu beginnen ...
Als hinter ihr plötzlich ein Ast knackt, zuckt Liana ängstlich zusammen. Und bei einem Blick über die Schulter macht sie hinter einem der Stämme eine Bewegung aus! Wenig später tritt eine Gestalt aus dem Unterholz: Henry! Eisiges Entsetzen lähmt Liana, als sie sein triumphierendes, gemeines Lächeln sieht. Das Spiel ist aus!, ist ihr letzter klarer Gedanke. Er hat dich aufgespürt, hier, wo dir niemand helfen kann ...

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Seitenzahl: 134

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Inhalt

Cover

Impressum

Endlich frei fürs Leben!

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabeder beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Yuganov Konstantin / shutterstock

eBook-Produktion:3w+p GmbH, Rimpar (www.3wplusp.de)

ISBN 9-783-7325-9329-3

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Endlich frei fürs Leben!

Namenloses Entsetzen erfüllte mich, als es neulich zu später Stunde an unserer Haustür klingelte und die junge Liana Loeb auf unserer Schwelle stand – blutig geschlagen und mit zugeschwollenen Augen! Und die Geschichte, die sie mir dann unter Tränen erzählte, war zu erschütternd, um wahr zu sein: Seit Jahren schon erlebte sie an der Seite ihres Mannes Henry eine wahre Ehehölle, die von seelischer Grausamkeit und Brutalität bestimmt war. Dabei hatten wir alle die beiden für das Traumpaar unseres Viertels gehalten! Aus falscher Scham hatte Liana geschwiegen und das Martyrium ihrer Ehe still ertragen. Erst jetzt war sie fest entschlossen, das Monster von Ehemann zu verlassen.

Doch seitdem fürchtet Liana um ihr Leben! Im Morgengrauen habe ich sie deshalb in unsere Blockhütte im Wald gebracht, wo Henry sie nicht finden wird. Dort wird sie vorerst sicher sein …

Gerade hat mich ein Anruf unseres Försters Diergardt erreicht: Liana ist verschwunden, in der Hütte hat es einen Kampf gegeben, und frische Reifenspuren deuten auf einen Besucher hin! Ich fürchte, dass passiert ist, was nie hätte passieren dürfen: Henry hat Liana gefunden …

„Auch ein Tässchen Kaffee, Chefin?“, bot Jupp Diederichs, der Fahrer des Rettungswagens, an.

Gerade war das Notarztteam von einem Einsatz zurückgekommen. Es herrschte dichter Nebel. Auf der Rheintalstraße hatte es deshalb eine Massenkarambolage gegeben, bei der etliche Verletzte zu versorgen gewesen waren. Nun hatten sie eine Stärkung verdient.

„Danke, im Moment nicht“, lehnte Notärztin Andrea Bergen ab. „Erst möchte ich etwas essen. Ihr findet mich im Personalrestaurant, falls etwas sein sollte.“

„Dann guten Appetit, Chefin!“, wünschte Jupp ihr, und sein Kollege Ewald Miehlke schloss sich ihm an.

Andrea Bergen fuhr hinauf in den dritten Stock, wo das Personalrestaurant untergebracht war. Da die Innere Station auf derselben Etage lag, beschloss sie, Lore Keller, der Oberärztin, mit der sie auch privat befreundet war, einen kurzen Besuch abzustatten. Vielleicht hatte sie Zeit und Lust, mit ihr essen zu gehen.

Lore kam gerade aus ihrem Dienstzimmer.

„Oh, hallo, Andrea!“, rief sie erfreut. „Schön, dich mal wieder zu sehen! Wolltest du zu mir oder zu einem Patienten?“

„Zu dir“, erwiderte Andrea. „Ich wollte sehen, ob ich dich zum Essen entführen kann.“

Lores Lächeln bekam eine enttäuschte Note. „Das wäre wirklich nett, aber im Moment ist es leider ganz ungünstig. Ich habe in ein paar Minuten einen Patiententermin und anschließend eine Besprechung in der Radiologie.“

„Oh, schade!“ Auch Andrea war enttäuscht. „Dann vielleicht ein andermal.“

Sie wollte sich gerade verabschieden, da fiel Lore noch etwas ein.

„Ach, übrigens … Weißt du, wer heute zur Untersuchung bei mir war und wahrscheinlich operiert werden muss? Hubert Diergardt, euer Westerwald-Förster.“

„Oh!“ Besorgnis zeichnete sich auf Andreas Miene ab. Dann fiel ihr ein, dass er schon seit Jahren eine bisher harmlose Zyste an der linken Niere hatte. „Hat es mit seiner Nierenzyste zu tun?“

„Richtig. Das Ding scheint in letzter Zeit mächtig gewachsen zu sein. Er hat neuerdings auch Schmerzen im Bauch und im Rücken. Da habe ich ihn zur Ultraschalluntersuchung und Kernspintomografie geschickt. Danach werden wir weitersehen.“

Andreas Miene entspannte sich wieder. „Es ist aber nichts Ernstes?“

„Nein, ich denke nicht. Doch es kann natürlich sein, dass die Untersuchungen nicht so angenehme Dinge ans Tageslicht bringen werden.“

„Ist er noch auf der Radiologie?“, fragte Andrea.

„Nein. Er wollte in der Cafeteria etwas essen und einen Kaffee trinken, bis die Untersuchungsergebnisse vorliegen. Kann sein, dass wir ihn über Nacht hierbehalten müssen. Er wollte dich später in der Notaufnahme aufsuchen.“

„Gut, dann werde ich statt im Personalrestaurant in der Cafeteria etwas essen. Vielleicht treffe ich ihn noch an.“

Andrea verabschiedete sich von Lore und fuhr mit dem Fahrstuhl wieder hinunter ins Erdgeschoss.

***

Als sie wenig später die Cafeteria betrat, sah sie den behäbigen Förster schon an einem der Tische sitzen. Er bemerkte sie nicht, denn er war mit dem Studieren einer Broschüre beschäftigt.

Andrea ließ sich von Fanny Reimers, der Pächterin der Cafeteria, einen Kaffee geben und steuerte damit auf Hubert Diergardts Tisch zu.

„Guten Tag, Herr Diergardt“, begrüßte sie ihn lächelnd. „Was für eine Überraschung, Sie bei uns im Krankenhaus zu sehen!“

Über das Gesicht des älteren Mannes zog ein erfreutes Lächeln. Er stand auf und reichte ihr die Hand.

„Da sind Sie ja, Frau Bergen. Ich wäre anschließend zu Ihnen in die Notaufnahme gekommen. Aber setzen Sie sich doch erst mal.“

Galant rückte er ihr einen Stuhl zurecht und wartete, bis sie Platz genommen hatte, bevor er sich ebenfalls wieder setzte.

Andrea musterte ihn verstohlen. Hubert Diergardt sah nicht gerade gesund aus. Sie wollte sich eben nach seinem Befinden erkundigen, da redete er schon weiter.

„Erinnern Sie sich noch an meine Nierenzyste, Frau Bergen?“

Andrea trank einen Schluck von ihrem Kaffee und nickte. „Dr. Keller hat mir erzählt, dass Sie sich einer Reihe von Untersuchungen unterziehen mussten.“

„Davon erhole ich mich gerade.“ Der Förster fuhr sich durch das schon etwas schüttere Haar. „Später werde ich erfahren, wie groß der Schaden ist. Kann sein, dass die Zyste operativ entfernt werden muss.“

„Dr. Keller hat davon gesprochen, dass Sie Schmerzen hatten. Gut, dass Sie sich gleich bei ihr gemeldet haben. Es gibt ja Menschen, die schieben einen solchen Gang so lange hinaus, bis sie ein ernstes Problem haben und man ihnen nur noch mit komplizierten und kostspieligen Therapien helfen kann.“

„Nein, zu denen gehöre ich nicht“, wehrte Hubert Diergardt ab. „Schmerzen sind ein Warnsignal, dem muss nachgegangen werden.“

„Eine sehr vernünftige Einstellung“, pflichtete Andrea ihm bei. „Bringen Sie es hinter sich, dann können Sie bald wieder Ihren Aufgaben nachgehen.“

Hubert Diergardt war Förster im Westerwald und betreute unter anderem auch die Wälder rund um das Wochenendhaus der Bergens, einer soliden Blockhütte, die sie von einem Onkel übernommen hatten. Dort verbrachten sie hin und wieder das Wochenende oder auch mal einen Kurzurlaub. Während ihrer Abwesenheit kümmerte sich ein Gastwirtsehepaar aus dem Ort um die Hütte, aber auch Förster Diergardt sah regelmäßig nach dem Rechten.

„Ich hoffe, dass die ganze Angelegenheit problemlos über die Bühne gehen wird“, meinte er und seufzte leicht.

„Machen Sie sich mal nicht so viele Gedanken, Herr Diergardt.“ Andrea schenkte ihm ein aufmunterndes Lächeln. „Bautz wird Sie vermissen“, bemerkte sie dann und meinte damit den quirligen Rauhaardackel des Försters. „Wer kümmert sich um ihn, wenn Sie operiert werden müssen?“

„Steffen, mein Neffe. Er ist ebenfalls Förster und wird mich vertreten, bis ich wieder auf den Beinen bin. Er wird auch nach Ihrer Hütte sehen. Hatten Sie ihn nicht mal kurz kennengelernt?“

„Oh, richtig.“ Jetzt erinnerte sich Andrea an ihn. Steffen Diergardt war ein sympathischer junger Mann und engagierter Förster, der seine Aufgaben sehr ernst nahm. Sein Vater, Hubert Diergardts Bruder, betrieb eine kleine Bio-Likörfabrik. Andrea und ihr Mann Werner liebten vor allem seinen Kräuterlikör, und Hubert sorgte dafür, dass der Vorrat in ihrer Blockhütte nie zu Ende ging.

Sie tranken ihren Kaffee und plauderten, bis sich Andreas Pager meldete.

„Oh, ich muss zu einem Einsatz!“, rief sie und sprang auf. „Wir sehen uns noch, bevor ich Dienstschluss habe. Viel Glück!“

Diesmal war es ein schwergewichtiger Mann mit einem Herzinfarkt, der vom Notarztteam eingeliefert wurde.

„Gleich auf die Intensiv mit ihm“, ordnete Dr. Homberg an, der Leiter der Notaufnahme. Schwester Grit, eine bildhübsche junge Pflegerin, legte eine Patientenakte an.

Der Nachmittag verging mit pausenlosen Einsätzen. Stundenlang kamen die Notärztin und ihre beiden Sanitäter nicht zur Ruhe. Als Andrea eine halbe Stunde vor Dienstschluss nach Hubert Diergardt sehen wollte, erfuhr sie, dass er zurück in den Westerwald gefahren war.

„Herr Diergardt ist kein Notfall, und alle Untersuchungen sind abgeschlossen, da haben wir ihn bis zu seinem Operationstermin nach Hause geschickt“, erklärte Dr. Quentin van Dyjk, der Facharzt für Nephrologie. „Erst hatte ich eine Punktion in Erwägung gezogen und wollte die Zyste anschließend verschließen, damit sie sich nicht wieder mit Flüssigkeit füllen kann. Aber das Ding hat enorme Ausmaße, und die Rezidivrate wäre ziemlich hoch. So haben Frau Keller und ich uns für eine chirurgische Entfernung entschieden.“

„Dann viel Glück, Herr Kollege!“, wünschte Andrea ihm.

Sie verließ die Innere Station und kehrte wieder in die Notaufnahme zurück. Wenig später war ihr Dienst zu Ende. Pünktlich wie immer erschien ihr Notarztkollege Herbert Conrady und löste sie ab. Andrea überreichte ihm den Pager und nahm die Patientenübergabe vor. Dann verabschiedete sie sich von ihm und den Kollegen in der Notaufnahme.

***

Andrea hatte ihrer Schwiegermutter Hilde versprochen, ihr auf dem Heimweg einige Sachen aus dem Feinkostladen mitzubringen. So stellte sie ihr Auto im Parkhaus am Rande der Fußgängerzone ab und ging zu Fuß zu dem bewussten Geschäft.

Sie war gerade ein paar Schritte gelaufen, als ihr ein Paar entgegenkam, das ihr bekannt vorkam.

„Frau Dr. Bergen!“, rief die dunkelhaarige junge Frau erfreut.

Jetzt erkannte Andrea das Paar. Es waren Liana Peters und ihr Mann. Oder besser gesagt, Liana Loeb, wie sie jetzt hieß, nachdem sie ihren Traummann geheiratet hatte.

„Oh, hallo, Frau Loeb!“, erwiderte Andrea überrascht. Sie drückte ihr die ausgestreckte Hand und begrüßte auch ihren Mann.

„Wie nett, Sie mal wieder zu treffen!“ Liana strahlte richtig vor Freude. Auch ihr Mann gab sich liebenswürdig, wirkte jedoch etwas reserviert.

Andrea konnte sich noch gut an Liana erinnern. Bis vor einigen Jahren hatte sie als medizinisch-technische Radiologieassistentin im Elisabeth-Krankenhaus gearbeitet. Dabei hatte sie den Buch-Illustrator und Karikaturisten Henry Loeb kennengelernt, der damals nach einem Unfall Patient im Elisabeth-Krankenhaus gewesen war, und sich unsterblich in ihn verliebt. Auch sie schien für ihn die große Liebe zu sein.

Später hatten die beiden geheiratet und eine Traumhochzeit gefeiert, zu der Andrea und einige Kollegen eingeladen gewesen waren. Anschließend waren sie weggezogen. Liana hatte sich seitdem nicht mehr gemeldet, was Andrea immer bedauert hatte.

Die beiden Frauen verfielen in eine lebhafte Plauderei, während Henry Loeb sich zurückhielt und mehrmals auf seine Armbanduhr blickte.

„Hat sich bei Ihnen inzwischen Nachwuchs eingestellt?“, fragte Andrea gerade.

Lianas Lächeln erlosch. Oje, dachte Andrea bei sich, da habe ich an einen wunden Punkt gerührt!

„Für Kinder hätten wir gar keine Zeit“, mischte sich Lianas Mann ins Gespräch. „Wir sind viel zu beschäftigt, um an Nachwuchs zu denken.“

Andrea warf ihm einen kurzen Blick zu. Irgendwie fand sie Henry Loeb nicht mehr so anziehend und sympathisch wie damals. Liana machte auch keinen so glücklichen Eindruck mehr wie früher. Darüber konnte ihr Lächeln nicht hinwegtäuschen.

„Arbeiten Sie noch in Ihrem Beruf, Liana?“, fragte Andrea weiter.

„Nein, schon seit unserer Hochzeit nicht mehr“, erwiderte sie. Ihre Worte klangen resigniert und wurden von einem traurigen Lächeln begleitet. „Ich bin nur noch Hausfrau.“

„Ach.“ Andrea wunderte sich, warum Liana dann keine Kinder hatte, die sie sich doch damals gewünscht hatte.

„In einem großen Haus fällt auch ohne Kinder viel Arbeit an“, bemerkte Lianas Mann. Man konnte ihm ansehen, dass er allmählich ungeduldig wurde.

Andrea machte sich so ihre Gedanken. Instinktiv spürte sie, dass zwischen dem Paar nicht alles in Ordnung war. Sie nahm sich vor, Liana diesmal nicht wieder aus den Augen zu verlieren. „Wohnen Sie wieder in der Stadt?“, erkundigte sie sich deshalb.

„Ja, in der Rosenbergstraße, wenn Sie die kennen.“

„Aber ja“, rief Andrea lebhaft. „Das ist ganz bei uns in der Nähe! Wir wohnen in der Beethovenstraße.“

Liana lächelte. „Da sind wir letzthin durchgefahren.“

„Dann könnten wir uns doch mal besuchen“, schlug Andrea vor. „Das fände ich nett.“

„Ich auch“, stimmte Liana erfreut zu.

„Für gesellschaftliches Vergnügen haben wir leider keine Zeit“, lehnte Henry Loeb freundlich, aber entschieden ab. „Wir sind wirklich immer sehr beschäftigt.“

Wieder erlosch Lianas Lächeln. „Das stimmt“, murmelte sie.

Andrea fiel es schwer, das zu glauben. Ein Besuch in der Nachbarschaft war doch sicher auch bei schwer beschäftigten Menschen mal drin. Ihr kam es so vor, als führte das frühere Traumpaar keine sehr traumhafte Ehe. Andrea wurde das Gefühl nicht los, dass Liana von ihrem Mann beherrscht wurde.

„Das ist schade. Aber vielleicht klappt es ja doch mal.“ Die Notärztin hielt es für besser, sich zu verabschieden. „Schauen Sie doch mal im Elisabeth-Krankenhaus vorbei, wenn Sie in der Nähe sind, Liana“, schlug sie ihr noch vor, bevor sie sich trennten. „Die Kollegen und ich würden uns sehr freuen.“

„Vielleicht“, erwiderte Liana vage. Etwas hastig verabschiedete sie sich und folgte dann ihrem Mann, der bereits vorausgegangen war.

Merkwürdig, dachte Andrea bei sich, während sie ihren Weg fortsetzte. Was war zwischen den beiden vorgefallen, dass ihre einst so leidenschaftliche Liebe so abgekühlt zu sein schien?

***

„Das war wirklich nett, der Notärztin mal wieder zu begegnen“, bemerkte Liana, als Henry und sie auf den Eingang einer Buchhandlung zugingen. „Ich habe Andrea Bergen immer gemocht.“

Ihr Mann warf ihr einen unwilligen Blick zu. „Trotzdem hättest du nicht so lange zu schwatzen brauchen. Es geht auch niemanden etwas an, ob wir Kinder haben oder nicht. Halte dich in Zukunft ein wenig zurück, ja?“

Liana biss sich auf die Lippe. Sie konnte nicht ganz verstehen, welchen Fehler sie wieder gemacht haben sollte. Aber es war zwecklos, einen Einwand zu machen. Damit würde sie Henry nur noch mehr verärgern. Ihre Freude über das zufällige Zusammentreffen mit Andrea Bergen war dahin. Henry hatte es wieder einmal geschafft, sie ihr zu nehmen, so wie er ihr schon lange die Freude am Leben genommen hatte.

Liana hatte bereits den Arm nach dem Griff der Eingangstür ausgestreckt, da hielt Henry sie zurück.

„Na, willst du mir keine Antwort geben?“, forderte er sie gefährlich leise auf.

Sie schluckte und versuchte, die Angst zu verdrängen, die in ihr aufsteigen wollte. „Ja, ich werde in Zukunft aufpassen auf das, was ich sage“, presste sie hervor.

Das war genau das, was Henry hören wollte. Als sie sah, wie seine drohende Miene sich wieder glättete, entspannte auch sie sich wieder.

Einen Moment später war Henry wie verändert. Er öffnete die Eingangstür und ließ seiner Frau galant den Vortritt. Als sie die Buchhandlung betraten, wo man ihn gut kannte, legte er Liana liebevoll die Hand in den Rücken.

Es war die Inhaberin persönlich, die mit einem breiten Lächeln auf sie zukam. „Herr Loeb, welche Ehre!“, begrüßte sie den erfolgreichen Illustrator und hatte auch für Liana einen netten Gruß. Die Buchhandlung Ellermann führte viele Bücher und Comic-Magazine, die Henry Loeb illustriert hatte.

Während sie mit der Buchhändlerin plauderten, zeigte sich Henry seiner Frau gegenüber von der besten Seite. Jeder, der sie zusammen sah, musste glauben, dass er sie auf Händen trug. Zum Schluss kaufte er Liana mehrere Bücher, die sie eigentlich gar nicht haben wollte. Doch sie spielte mit und heuchelte Freude, wie Henry es von ihr erwartete. Strahlend lächelnd verließ sie an seiner Seite wenig später die Buchhandlung.

Der Mann mit den zwei Gesichtern, nannte sie ihn im Stillen bitter. Als sie Henry kennenlernte, hatte sie nur ein Gesicht an ihm gesehen – sein freundliches Gesicht mit dem charmanten Lächeln und dem zärtlichen Ausdruck im Blick. Doch schon bald hatte sie die Erfahrung machen müssen, dass Henry auch noch ein anderes Gesicht hatte. Ein böses, unheilvolles und drohendes Gesicht, das ihr kalte Angst einjagte.

Doch auch Liana hatte im Laufe ihrer gewalttätigen Ehe gelernt, außer ihrem wahren Gesicht, das ihre Seelenqualen widerspiegelte, noch ein zweites Gesicht zu zeigen, wie Henry es an ihr sehen wollte – das Gesicht einer glücklichen Ehefrau, die ihren Mann liebte und vergötterte und die an seiner Seite das große Glück gefunden hatte. Das war das Gesicht, das sie in der Öffentlichkeit aufsetzte und Bekannten gegenüber zeigte.

Richtige Freunde hatte sie schon lange nicht mehr. Nicht seit ihrer Heirat mit Henry. Auch er pflegte keine engen Freundschaften. Hin und wieder traf man sich mit Bekannten, das war aber auch schon alles, was ihr gesellschaftliches Leben anbetraf.