Notärztin Andrea Bergen 1401 - Marina Anders - E-Book

Notärztin Andrea Bergen 1401 E-Book

Marina Anders

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Beschreibung

Gespenstisch still ist es in dem kleinen Zimmer auf der Intensivstation, und nur das leise Ticken der Überwachungsgeräte ist zu hören. Das geliebte Gesicht ihres Vaters Richard, der seit Tagen im Koma liegt, wirkt fahl und eingefallen. Doch das kann nur an dem Dämmerlicht liegen, sagt sich Aurelia immer wieder. Sie will nicht wahrhaben, was die Ärzte längst wissen: Mit Richard von Kampen, dem berühmten Dirigenten, geht es zu Ende! Es ist nur noch eine Frage der Zeit.
Als das Unfassliche tatsächlich geschieht, bricht für Aurelia eine Welt zusammen. Die schöne Cellistin, die auf den großen Bühnen der Welt zu Hause ist, verliert jeden Halt und jede Orientierung! In dieser schweren Zeit sind es Notärztin Dr. Bergen und der sensible Krankenhausseelsorger Randolf Hoppe, die an Aurelias Seite bleiben und um sie kämpfen. Aber auch sie können nicht verhindern, dass Aurelia ein weiterer schwerer Schicksalsschlag trifft - kaum vorstellbar, dass sie sich davon wieder erholen kann ...

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Seitenzahl: 128

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Inhalt

Cover

Impressum

Zeit der Hoffnung

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabeder beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: LightField Studios / shutterstock

eBook-Produktion:3w+p GmbH, Rimpar (www.3wplusp.de)

ISBN 9-783-7325-9708-6

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Zeit der Hoffnung

Niemand kann sich das Entsetzen vorstellen, das mich beim Anblick der schwer verletzten Unfallfahrerin ergriff, zu der wir gerufen worden waren: Aurelia – Aurelia von Kampen, meine Sorgenpatientin der letzten Wochen!

Nach dem Tod ihres geliebten Vaters, der Trennung von ihrem Freund Jaro und beruflichen Tiefschlägen hatte sich die berühmte Solocellistin gerade wieder ein wenig gefangen – nicht zuletzt dank der Hilfe unseres Krankenhausseelsorgers Randolf Hoppe. Doch jetzt scheint alles Kämpfen umsonst gewesen zu sein – denn Aurelia kann aus ihrer tiefen Bewusstlosigkeit offenbar nicht erwachen!

Es ist wie eine grausame Ironie des Schicksals, sie nun so hilflos auf der Intensivstation zu sehen – in demselben kleinen Zimmer, in dem ihr Vater erst vor Kurzem starb! Randolf Hoppe weicht nicht von Aurelias Seite. Er hofft und betet verzweifelt für sie – denn er hat sich unsterblich in die junge Frau verliebt …

Prüfend blickte Aurelia von Kampen über den Frühstückstisch, den sie liebevoll gedeckt hatte. Bis auf den Kaffee, der gerade durchlief, fehlte nichts. Eier, Schinken, Käse, Marmelade und Honig – viel zu viel für zwei Personen. Weder sie noch ihr Vater waren große Esser. Doch das Frühstück war oft die einzige Mahlzeit am Tag, bei der sie sich sahen, und sie dehnten es entsprechend aus.

Aurelia schenkte sich eine Tasse Kaffee ein und goss den Rest in eine Thermoskanne, die sie auf den Tisch stellte. Im angrenzenden Arbeitszimmer hörte sie ihren Vater telefonieren. Es würde sicher noch ein paar Minuten dauern, bis er zum Frühstück erschien.

Sie trat ans Fenster und ließ den Blick über den Garten schweifen, der den Bungalow umgab und sich bis ans Rheinufer erstreckte. Unzählige Frühlingsblumen boten leuchtende Farbtupfer auf dem grünen Rasen.

Ein wehmütiges Lächeln glitt über Aurelias apartes Gesicht, als sie an ihre Mutter dachte. Aurelia war erst elf gewesen, als sie gestorben war. Siebzehn Jahre war das nun her. Und noch immer glaubte sie, die Anwesenheit der Mutter im Haus zu spüren, nach wie vor vernahm sie im Geist ihr Lachen, hörte sie ihren Namen rufen.

Das Geräusch von näher kommenden Schritten ließ sie den Kopf wenden. Gerade trat ihr Vater durch die Tür. Richard von Kampen war ein stattlicher Mann mit einem interessanten, zerfurchten Gesicht und wachen grauen Augen. Obwohl er erst vierundsechzig war, hatte er bereits vollkommen weißes Haar. Schon früher war sein blondes Haar sehr hell gewesen. Aurelia dagegen hatte das rehbraune Haar ihrer Mutter geerbt.

„Guten Morgen, meine hübsche Tochter.“ Lächelnd kam er auf sie zu.

„Morgen, Papa.“ Aurelia drückte ihm ein Küsschen auf die Wange. „Gut geschlafen?“

Richard verzog leicht das Gesicht. „Das kann ich nicht gerade behaupten“, meinte er, während er sich auf seinem Stuhl niederließ. „Ich habe die halbe Nacht im Schlaf dirigiert.“

Leise lachend schenkte Aurelia ihm einen Kaffee ein.

„Welche Musiker hatten denn die Ehre?“

„Tja, wenn ich das wüsste.“ Dankend griff Richard nach seiner Tasse. „Irgendwo in New York.“

„Wie aufregend. Ich spiele auch manchmal im Schlaf, aber nie vor einem Publikum.“

Aurelia war eine ambitionierte Cellistin und Mitglied des Städtischen Symphonieorchesters. Sie trat aber auch solo auf, meistens zusammen mit dem aufsteigenden tschechischen Pianisten Jaro Hajek. Mit ihm war sie auch privat zusammen. Ihr Vater war Chefdirigent des Orchesters.

„Das kommt daher, weil du zu viel übst“, erwiderte Richard. „Jeden Tag verbringst du Stunden im Musikzimmer, oft bis in die späte Nacht hinein. Kein Wunder, dass du auch im Schlaf nicht aufhören kannst.“

Aurelia nahm sich ein Croissant und schnitt es auf.

„Ach, Papa. Wir arbeiten beide zu viel, nicht nur ich. Meinst du nicht auch?“

Ihr Vater hob die Schultern. „Mag sein. Aber wir haben auch Freude an unserem Beruf. Wie vielen Menschen graut es jeden Tag davor, zur Arbeit zu gehen?“

Aurelia schickte ihm ein Lächeln über den Tisch. „Du hast ja recht. Trotzdem besteht auch bei uns die Gefahr der Überarbeitung.“

Sie wollte noch mehr anführen, doch sie ließ es bleiben. Ihr stand jetzt nicht der Sinn danach, über die Schattenseiten des Musikerberufes zu diskutieren. Ihr Vater hatte vermutlich gar keine Ahnung, wie viele Mitglieder seines Orchesters an der gefürchteten Musikerdystonie litten. Chronische Rückenschmerzen bei den Kontrabassisten, Zahnprobleme bei den Blasmusikern, Karpaltunnelsyndrom bei den Geigern … die Liste war lang.

Auch Aurelia hatte manchmal Probleme mit den Fingern, wenn sie ihr einfach nicht gehorchen wollten. Trotz gelegentlicher Schmerzen war sie bemüht, sich nichts anmerken zu lassen, auch nicht ihrem Partner Jaro gegenüber. Im Stillen hatte sie sich vorgenommen, weniger zu üben, um ihren Fingern eine Erholungspause zu gönnen, doch bisher hatte sie diesen Vorsatz noch nicht in die Tat umgesetzt.

Das Thema Überarbeitung behagte ihrem Vater offenbar nicht. Er ließ es fallen und begann, von ihrem nächsten Konzert zu sprechen, das in Kürze in der Kunsthalle stattfinden würde. Aurelia ging gern darauf ein. Sie freute sich schon darauf.

Dennoch blieb die Sorge um die Gesundheit ihres Vaters. Er arbeitete zu hart und gönnte sich keine Ruhe. Heute wirkte er besonders müde. Er schien tatsächlich nicht gut geschlafen zu haben.

Nach dem frühen Tod der Mutter war ihr Vater Aurelias Ein und Alles. Auch zuvor hatte sie sehr an ihm gehangen. Von ihm hatte sie das musikalische Talent geerbt. Er hatte sie gefördert, er war ihr großes Vorbild. Sie hatte ihm so viel zu verdanken.

„Du bist wunderschön, wenn du so verträumt lächelst“, bemerkte er in ihre Gedanken hinein. „Woran denkst du?“

„An Mama und an dich und daran, dass ich dir meine Karriere zu verdanken habe“, erwiderte sie, und in ihren Augen schimmerte es dabei ein wenig feucht.

Auch das Gesicht ihres Vaters wirkte bewegt.

„Du bist so schön wie deine Mutter, Aurelia.“ Er griff nach ihrer Hand und zog sie an die Lippen. „Wollen wir heute Nachmittag nach den Orchesterproben mal wieder zum Friedhof gehen?“

„Sehr gern, Papa“, erwiderte Aurelia froh.

***

„Frau Dr. Bergen, wollen Sie sich nicht zu Herrn Hoppe setzen?“, raunte Mariechen Brückmann der Notärztin zu, als diese das Personalrestaurant betrat. „Er scheint irgendeinen Kummer zu haben. Bestimmt würde er sich über etwas Zuspruch freuen. Sie können das doch immer so gut.“

Andrea Bergens Blicke schweiften über die zum größten Teil besetzten Tische. An einem davon saß ein einzelner Mann mit schwarzen Haaren und Vollbart. Sein schwarzer Rollkragenpullover unterstrich noch seine dunkle Erscheinung und ließ ihn etwas düster wirken.

„Der Junge stochert nur in seinem Essen herum“, redete die Wirtin mit gesenkter Stimme weiter. „Dabei hat Heiner heute wieder seinen superleckeren Spezialleberkäse gebacken. Mit frischem Spinat und Kartoffeln. Und Spiegelei!“

Karlheinz Tomaschek, genannt Heiner, war der bayerische Küchenchef, und der „Junge“ war Randolf Hoppe, der evangelische Pfarrer in der Krankenhauskapelle und Seelsorger des Elisabeth-Krankenhauses. Er war allgemein beliebt, denn er hatte für jeden ein offenes Ohr. Außerdem war er Meditationslehrer und meistens im „Raum der Stille“ zu finden, einem Nebenraum der Krankenhauskapelle.

Bei ihm fanden Patienten, Angehörige und so mancher Angestellte Trost und Frieden. Er suchte aber auch Patienten am Krankenbett auf, wenn sie darum baten. Einen Talar trug er nur bei den meist ökumenischen Gottesdiensten.

„Ich setze mich zu ihm“, entschied Andrea, obwohl sie gerade ihre Freundin Lore Keller entdeckt hatte, die Oberärztin auf der Inneren Station. Normalerweise hätte sie sich zu ihr gesellt, doch Lore war mit Stationsarzt Dr. Friedrich ins Gespräch vertieft und sah nicht in ihre Richtung. „Und bringen Sie mir bitte auch eine Portion von Heiners hochgelobtem Leberkäse“, fügte sie noch hinzu.

„Kommt sofort, Frau Doktor.“ Mariechen eilte weiter. Wie immer um die Mittagszeit war sie schwer beschäftigt, die Essenswünsche des Personals zu erfüllen.

***

Andrea Bergen ging auf den Tisch zu, an dem Randolf Hoppe saß. „Hallo, Herr Hoppe“, begrüßte sie den sympathischen Seelsorger. „Darf ich mich zu Ihnen setzen?“

Ein Lächeln erhellte sein traurig wirkendes Gesicht.

„Aber gern, Frau Dr. Bergen.“ Er rückte ihr einen Stuhl zurecht.

„Danke.“ Andrea nahm Platz. Bevor sie ein Gespräch beginnen konnte, erschien schon Mariechen Brückmann mit dem Essen.

„Guten Appetit, Frau Doktor“, wünschte sie und stellte den Teller vor Andrea hin.

„Danke, Mariechen. Das ist aber schnell gegangen.“

„Für den Fall, dass Sie gleich wieder zu einem Einsatz gerufen werden“, meinte die Wirtin. „Es ist ja schon oft genug vorgekommen, dass Sie mitten unter dem Essen fortgerufen wurden.“

Andrea schnitt eine kleine Grimasse. „Allerdings. Aber vielleicht habe ich heute ja Glück.“

„Ich drücke Ihnen die Daumen, Frau Dr. Bergen.“ Damit war die ältere lebhafte Wirtin schon wieder verschwunden.

„Guten Appetit!“, wünschte auch Randolf Hoppe.

Andrea warf einen Blick auf seinen Teller, von dem noch kaum etwas fehlte. „Ihnen scheint es aber nicht sonderlich zu schmecken“, lenkte sie das Gespräch gezielt auf den Kummer, den er ganz offensichtlich hatte.

„Doch, doch, der Leberkäse ist hervorragend.“ Randolf schnitt ein Stück davon ab. „Es ist nur so … großen Appetit habe ich heute nicht.“

Andrea betrachtete ihn mitfühlend, wie er mit bedrückter Miene seinen Bissen kaute. „Sie machen den Eindruck, als hätten Sie einen bestimmten Kummer. Wenn Sie darüber sprechen möchten, höre ich Ihnen gern zu. Sie haben immer für jeden ein offenes Ohr und spenden unseren Patienten so viel Trost, da sollte auch für Sie jemand da sein, wenn Sie über Ihre Sorgen sprechen möchten.“

„Danke, Frau Bergen, Sie sind wirklich lieb.“ Randolf warf ihr ein trauriges Lächeln zu. „Es geht um meine Schwester Miriam. Ich weiß nicht, ob ich mal erwähnt habe, dass sie ein Baby bekommt?“

Andrea überlegte kurz. „Ich glaube, Sie hatten davon gesprochen, dass Sie bald Onkel werden.“

Randolf spießte eine Kartoffel auf seine Gabel und betrachtete Andrea traurig, bevor er sie zum Mund führte.

„Miriam ist im siebten Monat. Bisher ist mit der Schwangerschaft alles gut gegangen, aber nun hat ihr Frauenarzt bei der letzten Vorsorgeuntersuchung Auffälligkeiten am Herzen des Babys entdeckt und sie zur Ultraschalluntersuchung zu uns ins Krankenhaus geschickt. Dr. Schwarzhaupt hat jetzt bestätigt, dass mit dem Herzen etwas nicht in Ordnung ist.“

„O nein!“ Betroffen ließ Andrea ihr Besteck sinken. „Das tut mir leid zu hören. Was ist denn das Problem?“

„Das fetale Echokardiogramm hat einen schwerwiegenden Herzfehler ergeben, nämlich das Fehlen einer Herzhälfte“, erklärte Randolf. „Das Baby hat also nur eine Herzkammer statt zwei. ‚Univentrikuläres Herz’, hat Dr. Schwarzhaupt es genannt.“

„Oje.“ Andrea war voller Mitgefühl. „Aber ich denke, das kann man heutzutage mit einem sogenannten ‚Fontankreislauf’ beheben.“ Dr. Schwarzhaupt war der Oberarzt auf der Gynäkologischen Station und sehr bewandert auf dem Gebiet der pränatalen Kardiologie.

Randolf nickte. „Davon hat auch Dr. Schwarzhaupt gesprochen. Das Problem ist, dass nicht sicher ist, ob das Baby die Geburt überhaupt überleben wird. Man hat nämlich noch weitere Anomalien an Herz und Lunge festgestellt. Und ein vorgeburtlicher Eingriff kommt aus verschiedenen Gründen nicht infrage.“

„Ich kann mir vorstellen, was für eine große seelische Belastung das für Ihre Schwester und die ganze Familie ist“, sagte Andrea teilnahmsvoll. Sie selbst war noch nie schwanger gewesen, denn nach einem Unfall vor etlichen Jahren konnte sie keine Kinder mehr bekommen. Sie hatte jedoch eine zwölfjährige Adoptivtochter, die allen in der Familie viel Freude machte.

„Meine Schwester steht nun vor der schwierigen Frage, ob sie das Baby austragen oder die Schwangerschaft beenden soll“, fuhr Randolf fort. „Denn selbst wenn das Baby überleben sollte, wird es mit seinem abnormalen Herzen immer spezielle Ärzte brauchen und kein uneingeschränktes Leben führen können. Lebenslange Medikamente, Behandlungen, Operationen … das will sie dem Kind nicht zumuten.

Miriam ist mit den Nerven völlig fertig, hat Schlaf- und Essstörungen und leidet unter Panikattacken.“ Randolf hob hilflos die Schultern. „Ich meditiere mit ihr, sooft es meine Zeit erlaubt, aber sie kommt nicht zur Ruhe. Diese Schwangerschaft hat sie in ein einziges seelisches Chaos gestürzt.“

Andrea seufzte. „Das ist wirklich eine schwierige Entscheidung.“

„Was würden Sie denn raten, Frau Bergen?“

„Das ist schwer zu sagen. Aber ich denke, ich würde der Natur ihren Lauf lassen.“ Sie sah ihn nachdenklich an und nickte dann bekräftigend. „Ja, ich würde das Baby austragen, auch mit dem Wissen, dass es nach der Geburt sterben könnte. So kann man sich auf den Verlust vorbereiten und sich von seinem Kind verabschieden. Es kann natürlich auch leben und so weit operiert werden, dass es zumindest das Erwachsenenalter erreicht. Aber das sind alles Dinge, die Ihre Schwester mit ihrem Mann absprechen müsste. Es wird nicht leicht werden, egal, wie die Entscheidung ausfallen wird.“

Randolf nickte gedankenvoll. „Vielen Dank für dieses Gespräch, Frau Bergen. Ich werde Miriam davon erzählen. Jetzt bin ich fast sicher, dass sie sich dafür entscheiden wird, das Baby auszutragen. Worüber ich persönlich sehr froh wäre.“

„Ich auch.“ Andrea lächelte. Es war Randolf anzusehen, dass sie ihm mit diesem Gespräch geholfen hatte. Er wirkte jetzt viel entspannter und nicht mehr so bedrückt.

Und er hatte seinen Teller fast leer gegessen.

***

Aurelia stellte das Cello zur Seite und massierte die schmerzenden Finger.

Heute war es besonders schlimm. Stiche im Mittelfinger machten es beinahe unmöglich, schnelle Abläufe zu spielen. Wie sollte das heute Abend werden, wenn sie in der Kunsthalle mit Jaro und dem Symphonieorchester auf der Bühne stand? Sie seufzte tief.

Wärme, dachte sie. Wärme hilft meistens. Aurelia ging ins Bad und gönnte ihren Händen ein entspannendes Bad in warmem Wasser. Anschließend massierte sie ihre Finger mit Massageöl.

Die Prozedur tat ihr gut. Zusätzlich nahm Aurelia noch eine Schmerztablette. Sie musste alles tun, um heute Abend fit zu sein und ein virtuoses Cellospiel hinzulegen. Das erwartete man von ihr, vor allem Jaro.

Jaro … Aurelia beschloss, ihn kurz anzurufen. Wahrscheinlich übte auch er gerade, denn sie traten heute Abend wieder als Duo auf.

Gestern hatten sie fast den ganzen Tag zusammen gespielt. Es war nicht gut für ihre Finger gewesen, aber wichtig für den heutigen Auftritt. Nicht, dass sie Jaro etwas von ihren Fingerproblemen sagen würde. Selbst ihrem Vater gegenüber scheute sie sich, über die Symptome zu sprechen. In irgendeiner Weise beeinträchtigt zu sein war gleichzusetzen mit Inkompetenz und Versagen. Darüber sprach man nicht.

Welcher Musiker gab auch schon eine Schwäche zu?

Bevor sie zum Telefon griff, ging Aurelia in die Küche und bereitete sich eine Tasse Tee zu. Sie war allein, denn ihr Vater war schon mittags zur Kunsthalle gefahren, um verschiedene Vorbereitungen zu treffen und noch einmal mit dem Orchester zu üben.

Sie stellte ihre Teetasse auf dem kleinen Rokokotisch ab und wählte Jaros Nummer. Als er sich nicht gleich meldete, runzelte sie die Stirn. War auch er schon auf dem Weg zur Kunsthalle?

„Hallo?“, meldete er sich dann doch noch.

„Ich bin’s, Aurelia“, sagte sie überflüssigerweise, denn natürlich sah er ihre Nummer auf dem Display. „Ich wollte nur sehen, wie die Dinge so laufen.“

„Bestens, was sonst?“, war seine Antwort. Wie so oft klang Jaro leicht überheblich. Natürlich, warum sollten die Dinge bei ihm nicht bestens laufen? Er hatte alles im Griff, litt nicht an berufsbedingten Schmerzen und hatte so gut wie nie Probleme.

Im Hintergrund war eine weibliche Stimme zu hören.

„Hast du Besuch?“, fragte Aurelia.

„Gabrielle ist hier. Wir proben zusammen.“

Aurelia wusste nicht, was sie davon halten sollte. Eifersüchtig war sie nicht, das war sie auch noch nie gewesen. Trotzdem störte es sie, dass Jaro sich so kurz vor ihrem Auftritt Gabrielle Taupin widmete. Sie war Aurelias größte Konkurrentin. Aurelia wusste auch, dass sie hinter Jaro her war.