Notärztin Andrea Bergen 1422 - Marina Anders - E-Book

Notärztin Andrea Bergen 1422 E-Book

Marina Anders

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Beschreibung

Wie mechanisch legt Melina ein Teil nach dem anderen in Dannys bunten Kinderkoffer. Gleich wird ihre Schwester kommen und den Jungen zu sich nehmen - für ein paar Tage, wie die beiden glauben. Niemand ahnt, dass es ein Abschied für immer sein wird. Melina wird Danny ein letztes Mal an sich drücken, seine weiche Kinderwange küssen und ihm durch die dichten Locken streichen. Ein letztes Mal, es ist alles vorbereitet ...
Seit Melina weiß, dass sie an Bauchspeicheldrüsenkrebs erkrankt ist wie ihre Mutter und ihr ein langes, qualvolles Sterben bevorsteht, steht ihr Entschluss fest: Anders als sie selbst bei ihrer Mutter soll Danny ihr Siechtum und ihren Todeskampf nicht miterleben - er soll lachen und glücklich sein und seine Mama schön und stark in Erinnerung behalten ...
Als sie kurz darauf Danny an der Hand seiner Tante fortgehen sieht, bricht es Melina das Herz - doch es muss sein. Es bleiben ihr nur noch wenige Stunden ...


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Seitenzahl: 134

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Inhalt

Cover

Ein Kissen voller Tränen

Vorschau

Impressum

Ein Kissen voller Tränen

Ich kann nicht fassen, wie es zu dieser fatalen Verwechslung kommen konnte: Nicht Melina Alberts, sondern Bettina Alberts ist an Bauchspeicheldrüsenkrebs im Endstadium erkrankt! Unser neuer Kollege Klaus Hambach, dieser Stümper, hat einen unverzeihlichen Fehler begangen, als er der falschen Patientin ein Todesurteil überbrachte und sie in allergrößte Verzweiflung stürzte.

Als ich das bemerkte, habe ich sofort versucht, die junge, allein erziehende Mutter anzurufen, aber ich kann Melina nirgendwo erreichen! Ich habe ein sehr ungutes Gefühl! Und gerade erreicht mich der Anruf ihrer Schwester Miriam: Am Nachmittag hat Melina ihren kleinen Sohn in Miriams Obhut gegeben – und ist seither verschwunden! Und der herzzerreißende Abschiedsbrief, den sie Danny hinterlassen hat, bestätigt meinen schlimmen Verdacht, dass Melina sich das Leben nehmen will.

Wir müssen uns beeilen, es ist ein Wettlauf auf Leben und Tod. Aber wo kann sie nur sein?

»Gute Nacht, mein Engel.« Melina Alberts beugte sich über ihren kleinen Sohn und gab ihm einen liebevollen Kuss. »Schlaf gut.«

»Du auch, Mami«, murmelte der dreijährige Danny gähnend. »Gehst du jetzt auch ins Bett?«

»Noch nicht. Erst will ich mir noch eine Sendung im Fernsehen ansehen.«

»Will auch fernsehen.« Der Kleine schob die Unterlippe vor.

Melina verwuschelte ihm das Haar.

»Du hast doch deine Kindersendung vor dem Abendessen angeschaut«, erinnerte sie ihn. »Jetzt bin ich an der Reihe.«

»Bin noch gar nicht müde«, behauptete Danny und gähnte wieder.

Seine Mutter lachte. »Das glaube ich dir nicht. Dir fallen ja schon die Augen zu. Nun schlaf schön, okay?«

»Okay«, gab er brav zur Antwort und kuschelte sich an seinen Teddy. »Du musst aber die Tür offen lassen.«

»Mach ich doch immer.« Melina blies ihm noch ein Küsschen zu und ging dann wieder hinüber ins Wohnzimmer.

Sie wollte gerade den Fernseher einschalten, als das Telefon klingelte. Nicht gerade begeistert über die Störung legte sie die Fernbedienung wieder zur Seite und ging zum Sideboard, auf dem das Telefon stand.

Die Nummer auf dem Display sagte ihr, dass der Anruf von ihrem Stiefvater kam. Einige Jahre nach dem Tod ihrer Mutter hatte er eine Holländerin geheiratet und lebte seitdem in der Nähe von Maastricht.

Sie hatten nur sporadischen Kontakt und hatten sich nicht mehr gesehen, seit Melina im vierten Monat schwanger gewesen war. Damals hatte man ihr noch nichts angesehen, und Nick wusste auch nichts davon, dass sie ein Kind bekommen hatte. Genauso wenig wie Hanno, Dannys Vater. Und so sollte es auch bleiben.

»Hallo, Nick«, meldete sie sich.

Ihr zurückhaltender Ton schien ihm nicht aufzufallen. Aufgeräumt erkundigte er sich nach ihrem Befinden und stellte in Aussicht, dass er sie und ihre Schwester demnächst besuchen werde.

»Ela und ich machen eine Woche Urlaub in Österreich und würden auf der Durchreise gern bei euch vorbeischauen«, erklärte er. »Mit Miriam habe ich bereits telefoniert. Ich weiß, dass ihr Schwestern keinen Kontakt mehr zueinander habt, was ich sehr schade finde. Vielleicht könnte man das mit einer Art Familientreffen ändern? Ihr habt ja nur noch mich und euch beide.«

Ein panikartiges Gefühl stieg in Melina hoch. Nein – nein, auf gar keinen Fall! Sie wollte Miriam nicht begegnen, auch wenn sie sich tief im Herzen gern mit ihr versöhnt hätte.

»Ich weiß nicht, ob das eine gute Idee wäre«, murmelte sie.

»Hanno muss ja nicht unbedingt mit dabei sein«, fuhr ihr Stiefvater fort. »Obwohl ... netter würde ich es schon finden. Oder kannst du ihm immer noch nicht verzeihen, dass er letzten Endes deine Schwester geheiratet hat und nicht dich?«

Schmerzlich schlug Melina das Herz in der Brust. Sie wollte nicht mehr an diesen Abschnitt ihres Lebens erinnert werden.

Als sie dann im Flur Geräusche hörte, zog sich ihr Magen nervös zusammen. Schlief Danny noch nicht? Hoffentlich kam er jetzt nicht herein!

»Ich möchte nicht mehr darüber reden«, erwiderte sie hastig. »Und ich will Hanno auch nicht mehr sehen. Sei mir bitte nicht böse, Nick, aber ich habe kein Interesse an einem solchen Familientreffen.«

»Na gut.« Er seufzte. »Finde ich ja wirklich schade, aber vielleicht ein andermal, wenn noch ein wenig mehr Zeit vergangen ist. Dann werden Ela und ich eben erst Miriam und Hanno besuchen und anschließend zu dir kommen. Wobei ich nicht mal deine Adresse habe. Die musst du mir noch geben.«

Melina strich sich das blonde Haar zurück. Verzweifelt suchte sie nach einem Ausweg.

»Ich bin wirklich sehr beschäftigt, Nick«, versuchte sie ihn davon abzuhalten, zu ihr nach Hause zu kommen. »Lieber komme ich mal zu euch nach Holland«, fügte sie hinzu, obwohl sie keine Ahnung hatte, wie sie das mit Danny anstellen sollte. Doch sie musste Nick unbedingt davon abbringen, sie zu Hause zu besuchen. Ihre Adresse würde sie ihm auf keinen Fall geben.

Gleichzeitig tat es ihr leid. Sie hätte Nick und Ela gern wiedergesehen und wollte bestimmt nicht abweisend sein. Aber von Dannys Existenz sollte niemand etwas erfahren, am allerwenigsten sein Vater.

Melina überlegte gerade, ob sie Nick vorschlagen sollte, dass sie sich in einem Café oder Restaurant trafen, während Danny im Kindergarten war, da hörte sie hinter sich das Trappeln von nackten Kinderfüßen.

»Mami, mit wem telefonierst du da?«

Oh nein! Melina unterdrückte ein Stöhnen. Mit beschwörenden Gesten bedeutete sie Danny, still zu sein und wieder in sein Zimmer zu gehen. Doch seine Neugier war geweckt.

»Will auch telefonieren«, verkündete er laut und aufgeregt. Es kam nicht oft vor, dass jemand bei ihnen anrief.

»Wer ist das?«, wollte ihr Stiefvater prompt wissen. Seine Stimme klang verwundert. »Hast du ein Kind?«

Melina holte tief Luft. »Ja, einen kleinen Sohn«, gab sie dann gezwungenermaßen zu. »Aber Miriam weiß nichts davon, und ich möchte auch nicht, dass sie davon erfährt.«

»Warum denn nicht? Das verstehe ich nicht. Bestimmt würde sie sich freuen, Tante zu sein.«

Melina verzog leicht die Lippen. Ganz sicher nicht, wenn es sich dabei um das Kind ihres Mannes handelt, antwortete sie in Gedanken.

»Bist du verheiratet?«, kam Nicks nächste Frage.

»Nein, ich ... wir ... wir haben uns getrennt«, erklärte Melina, während sie Danny abwehrte, der nach dem Telefon greifen wollte.

»Und von alldem hast du mir kein Wort erzählt«, sagte Nick vorwurfsvoll. »Auch nicht, als wir zuletzt miteinander telefoniert haben. Ich weiß, es ist auch meine Schuld, dass wir so selten Kontakt haben, doch ich bin trotzdem noch euer Stiefvater. Ich habe euch nicht vergessen.«

»Es ist so viel Unschönes passiert, da wollte ich nicht darüber reden. Natürlich hätte ich dir ...«

»Hallo, wer bist du?«, rief Danny laut dazwischen. »Ich will auch mit dir reden.«

Melina hatte das Gefühl, jeden Moment die Nerven zu verlieren. Zudem bekam sie plötzlich heftige Bauchschmerzen. Ihr war, als würde ein Messer in ihrem Darm gedreht.

»Nick, tut mir leid, aber ich muss den Kleinen zurück ins Bett bringen«, erklärte sie gestresst. »Ich melde mich bei Gelegenheit mal wieder bei dir.« Sie wünschte ihm und seiner Frau einen schönen Urlaub in Österreich und beendete das Gespräch.

»Wer war das?«, wollte Danny wissen, als sie ihn in sein Zimmer zurückbrachte.

Eine neue Schmerzwelle überrollte Melina. »Ein Bekannter«, erklärte sie schroffer als beabsichtigt. Gleichzeitig überkam sie wieder das schlechte Gewissen. War es richtig, Danny nicht nur den Vater, sondern auch Nick vorzuenthalten? Er und Ela hätten die Großeltern für ihn sein können, die er nicht mehr hatte, auch wenn sie weit entfernt wohnten.

»So, und jetzt wird geschlafen und nicht wieder aufgestanden«, sagte Melina entschieden. Ein letzter Gutenachtkuss, dann ging sie zurück ins Wohnzimmer.

Zum Fernsehen kam sie an diesem Abend nicht mehr. Melinas Bauchschmerzen verschwanden nicht. Im Gegenteil, sie wurden immer schlimmer. Schließlich schaffte sie es gerade noch zur Toilette, bevor es losging.

Melina schob es auf die Aufregung über Nicks Anruf und darauf, dass er nun von ihrem Sohn wusste. Außerdem war die schmerzliche Erinnerung an Dannys Vater, den sie immer noch liebte, wieder frisch aufgewühlt worden. Nervöse Darmbeschwerden, sagte sie sich. Die hatte sie öfter mal. »Reizdarm«, nannte man das.

Kummer und Stress waren Gift für sie. Scheußliche Leibschmerzen und Durchfall waren die Folge davon. Auch hatte sie oft keinen Appetit und konnte nichts essen. Und letzte Woche war ihr so übel gewesen, dass sie erbrechen musste. Dabei hatte sie gar keine großen Aufregungen gehabt.

Melina duschte und stellte sich dann anschließend auf die Waage. Stirnrunzelnd las sie ihr Gewicht ab. Tatsächlich, sie hatte schon wieder abgenommen!

Das war nicht gut, denn sie war ohnehin sehr schlank und wog nicht viel. Sie würde mehr auf ihre Gesundheit achten müssen. Vielleicht sollte sie auch ein leichtes Beruhigungsmittel einnehmen. Baldrian zum Beispiel.

Plötzlich durchzuckte sie ein schrecklicher Gedanke, der ihr sofort wieder in den Bauch fuhr. Was, wenn es gar keine nervösen Darmbeschwerden waren? Wenn sie die tödliche Krankheit ihrer Mutter geerbt hatte?

***

Andrea Bergen befestigte den Pager, den sie gerade von ihrem Notarztkollegen Clemens Stellmacher entgegengenommen hatte, am Bund ihrer weißen Hose. Ein neuer Arbeitstag lag vor ihr, der wieder die unterschiedlichsten Einsätze bringen würde. Sie liebte ihren Beruf, auch wenn er anstrengend war und sie nicht immer das Leben eines Patienten retten konnte.

Das war die Schattenseite des Arztberufes – wenn sie fliehendes Leben nicht aufhalten konnte, obwohl sie alles Menschenmögliche für den Kranken oder Verunglückten tat. Dasselbe Gefühl der Hilflosigkeit überkam sie, wenn sie nach ihren Einsätzen mit dem Rettungswagen am Operationstisch stand, denn sie war außerdem ausgebildete Unfallchirurgin. Auch da kam es immer wieder vor, dass sie einen Patienten verlor.

Schluss mit den traurigen Gedanken!, sagte sich Andrea energisch. Heute strahlt die Sonne vom Himmel, und es wird keine schlimmen Unfälle geben wie bei Regenwetter oder Nebel. Auch zum Kranksein war das Wetter viel zu schön. Bestimmt würde es ein guter Tag mit nur leichten Fällen werden.

Ihre beiden Sanitäter saßen bereits im Bereitschaftsraum. Andrea begrüßte sie und wechselte einige Worte mit ihnen.

»Haben Sie die Vertretung von Dr. Friedrich schon kennengelernt, Frau Doktor?«, fragte Jupp Diederichs, der Fahrer des Rettungswagens.

Andrea verneinte. »Ich wollte ohnehin noch rasch auf die Innere Station gehen, solange kein Einsatz kommt. Da werde ich ihm schon begegnen, wenn er im Dienst ist.«

»Laut Schwester Grit soll er ein ziemlich merkwürdiger Typ sein«, meinte Ewald Miehlke, der Rettungssanitäter im Team. »Altmodischer Haarschnitt, Scheitel, ebenso altmodische Brille – ein richtiges Babyface.«

»Und ein Muttersöhnchen«, fügte Jupp hinzu.

Andrea musste lachen. »Das ist alles nicht so wichtig, wenn er nur ein tüchtiger Arzt ist. Das allein zählt.«

Ewald Miehlke bot ihr einen Kaffee an, doch Andrea lehnte ab. Sie wollte erst auf die Innere Station gehen. Nicht nur, um sich nach einer Patientin zu erkundigen, die sie gestern mit schweren Nierenkoliken eingeliefert hatte, und kurz mit Dr. Lore Keller zu plaudern, sie war auch neugierig auf den neuen Kollegen.

Andrea ging zum Fahrstuhl und fuhr hinauf in den dritten Stock. Als sie die Innere Station betrat, kam Lore Keller gerade aus einem der Krankenzimmer.

»Guten Morgen, Lore«, begrüßte Andrea die Oberärztin, mit der sie auch privat befreundet war.

Lore Keller erwiderte ihren Gruß. »Schön, dich zu sehen, Andrea«, sagte sie und lächelte erfreut. »Du willst dich sicher nach Frau Trautmann erkundigen. Ich komme gerade von ihr.«

»Sind es Nierensteine?«

Lore nickte. »Sie stecken im Harnleiter fest. Kollege Blücher wird sie heute Nachmittag zertrümmern. Dann finden sie entweder ihren Weg von selbst in die Blase, oder sie müssen operativ entfernt werden. Ansonsten geht es Frau Trautmann nicht schlecht. Bis auf die Schmerzen natürlich. Aber die haben wir mit den Medikamenten ziemlich gut im Griff.«

»Gut zu hören.« Andrea schob die Hände in die Taschen ihres weißen Kittels. »Und wie macht sich der neue Internist?«

Lore ließ ein abgrundtiefes Stöhnen hören und verdrehte dabei die Augen. »Ich nehme an, du hast schon von ihm gehört?«

»Jupp und Ewald wussten einiges zu berichten, das sie von Schwester Grit gehört haben. Demnach soll er ein ... hm, etwas unattraktives Äußeres haben und ein Muttersöhnchen sein. Ich habe ihnen gesagt, dass das nicht so wichtig sei, wenn er ein tüchtiger Arzt ist.«

Lores spöttisches Auflachen sagte Andrea, dass dies wohl nicht der Fall war.

»Tüchtig?«, wiederholte Lore, und eine gehörige Portion Ärger schwang in ihrer Stimme mit. »Dieser Mann ist eine Katastrophe! Der muss seine Approbation im Lotto gewonnen haben. Dass uns die Agentur einen so unfähigen Arzt geschickt hat, ist unverzeihlich.«

»Wie lange ist Kollege Friedrich denn auf diesem Fortbildungslehrgang?«

»Drei Wochen«, erwiderte Lore brummig. »Das sind genau drei Wochen zu viel, um diesen Mann zu ertragen.«

»Oje, das klingt nach Stress.« Andrea verzog mitfühlend das Gesicht. »Wie schlimm ist er denn?«

Lore stieß die Luft aus. »Er nervt einfach, bei allem, was er sagt und tut. Einer von diesen Mitmenschen, die einem ständig auf den Wecker gehen. Nicht einmal die PJ-ler, die wir jemals auf der Station hatten, haben so dumme Fragen gestellt wie dieser Hambach. Wie er sein Medizinstudium geschafft hat und dazu noch seine Facharztausbildung, ist mir wirklich schleierhaft.«

»Na, die drei Wochen werden schon herumgehen«, tröstete Andrea die Kollegin. »Aber es wird wohl besser sein, wenn ihr ihm ein wenig auf die Finger schaut.«

»Da hast du recht, Andrea. Darin sind sich auch die Kollegen einig. Es klingt nicht nur nach Stress, es ist Stress.«

»Wer hat hier Stress?«, fragte in diesem Augenblick jemand.

Die beiden Ärztinnen wandten sich um. Ein untersetzter Arzt mit einem runden Gesicht und sorgfältig gescheitelten Haaren kam auf sie zu.

Ah, das ist also dieser Dr. Hambach, dachte Andrea.

»Kommen Sie und begrüßen Sie unsere Notärztin«, forderte Dr. Keller ihn auf, ohne auf seine Frage einzugehen. »Dr. Andrea Bergen, Dr. Klaus Hambach«, machte sie die beiden miteinander bekannt.

Andrea war der neue Kollege auf Anhieb unsympathisch, was nichts mit den negativen Bemerkungen zu tun hatte, die sie über ihn gehört hatte. Allein sein schlaffer Händedruck war ihr unangenehm. Und als er sich dann mit einem breiten Grinsen übertrieben vor ihr verbeugte, fand sie ihn kein bisschen sympathischer.

Lore Keller fragte ihn nach einem bestimmten Patienten, doch er musste zugeben, noch nicht nach ihm gesehen zu haben. Plötzlich glitt ein geradezu glückliches Lächeln über sein rundes Gesicht.

»Mama«, rief er mit seiner für einen Mann ungewohnt hohen Stimme und sah zum Ausgang. »Da kommt meine Mutter.«

Andrea und Lore erblickten eine hochgewachsene Frau mit grau melierten Haaren und streng wirkender Miene. Sie grüßte knapp und wandte sich dann ihrem Sohn zu.

»Geht es dir gut, mein Junge?«, fragte sie und strich ihm kurz über den Arm. »Arbeitest du auch nicht zu viel? Ein Kaffee wird dir jetzt guttun, denke ich.«

Klaus Hambachs Gesicht rötete sich leicht. »Ich glaube, ich kann jetzt nicht weg, Mama.« Unsicher blickte er auf seine Vorgesetzte. »Oder doch, Frau Keller?«, hakte er dann hoffnungsvoll nach.

»Nein, Sie können jetzt nicht weg«, ließ ihn die Oberärztin wissen. »Kaffeepause können Sie später machen. Erst sehen Sie nach Herrn Dorn und nach Frau Weber. Und vergessen Sie nicht, dass Sie um halb zehn eine ambulante Patientin haben.«

»Mein Sohn ist schon seit sechs Uhr im Dienst«, betonte seine Mutter.

»Die Patienten gehen bei uns immer vor«, erklärte Lore Keller gespielt liebenswürdig. »Und nun sehen Sie bitte zuerst nach Herrn Dorn«, wandte sie sich wieder an den neuen Kollegen. »Sie kennen ja das Prozedere.«

Klaus Hambach zuckte mit den Schultern. »Schade, dass du umsonst gekommen bist, Mama. Ich bin eben ein gefragter Arzt.«

Seine Mutter lächelte versöhnlich. »Ich bin auch ungemein stolz auf dich. Dann werde ich eben später versuchen, dich auf einen Kaffee von deinen Pflichten wegzulocken.«

Sie bedachte die beiden Ärztinnen mit einem flüchtigen Kopfnicken und rauschte zum Ausgang, während Klaus Hambach sich auf den Weg zu dem Patienten Dorn machte.

Kaum war er um die Ecke verschwunden, prusteten Andrea und Lore los. Meine Güte, dieser Mann war wirklich unmöglich, und die Mutter mit dazu!

***

Melina war froh, dass sich ihre Beschwerden wieder gelegt hatten. Wahrscheinlich war es doch nur die Aufregung über Nicks Anruf gewesen, weil er nun von Dannys Existenz wusste. Sie hatte Baldrian eingenommen und sich am nächsten Tag in der Apotheke Mittel gegen Verdauungsstörungen besorgt. Aber auch wenn es ihr besser ging, saß ihr ständig die Angst im Nacken, dass sie ebenfalls Bauchspeicheldrüsenkrebs bekommen könnte wie ihre Mutter.