Notärztin Andrea Bergen 1430 - Marina Anders - E-Book

Notärztin Andrea Bergen 1430 E-Book

Marina Anders

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Beschreibung

Immer wieder wandert Petras Blick zur Uhr über der Ballettstange des Probensaales, doch die Zeiger wollen einfach nicht weiterrücken. Es ist wie verhext! Erst nach dem Training am Abend wird Petra endlich ihren geliebten Gunnar wiedersehen. Er hat versprochen, sie abzuholen, um mit ihr einen romantischen Abend zu zweit zu verbringen ...
Als die junge Tänzerin nach den Proben auf die Straße tritt, sieht sie auch schon ein Taxi vor dem Schauspielhaus vorfahren. Gunnar steigt aus - im Arm die herrlichsten Rosen, die Petra je gesehen hat! Doch das Gesicht des Arztes ist ungewohnt ernst, als er ihr den Strauß übergibt und wortlos wieder davonfährt.
Es ist vorbei - es tut mir leid. Mehr steht nicht auf der kleinen Karte zwischen den roten Blüten ...


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Inhalt

Cover

Hast du das wirklich gewollt?

Vorschau

Impressum

Hast du das wirklich gewollt?

Für meinen Notarzt-Kollegen Gunnar Gehringer sind die schlimmsten Befürchtungen wahr geworden: Er ist an Krebs erkrankt! Seit sein Bruder mit vierzehn an Leukämie gestorben ist, treibt Gunnar diese Angst auch um – und nun leidet er an einem Hodgkin-Lymphom, einer Form von Lymphdrüsenkrebs!

Die Nachricht trifft Gunnar ausgerechnet an einem Punkt seines Lebens, an dem er das große Glück gefunden hat! Erst vor wenigen Tagen hat er mir freudestrahlend erzählt, dass die bezaubernde und wunderschöne Primaballerina Petra Jansen seine Gefühle erwidert und die schönsten Zukunftspläne mit ihm schmiedet. Welch wunderbare Aussichten! Doch nun ist alles aus für ihn! Gunnar meint, seiner Traumfrau keinen todkranken Mann zumuten zu können, und hat schweren Herzens beschlossen, die Beziehung zu Petra zu beenden: mit nur einem Rosenstrauß als Lebewohl ...

»Unser neuestes Liebespaar«, raunte Schwester Grit der Notärztin zu. »Was meinen Sie dazu? Ich finde, die beiden passen überhaupt nicht zusammen. Berufsmäßig, okay. Er Arzt, sie Krankenschwester – warum nicht? Aber Dr. Gehringer hätte sicher etwas ... hm, Besseres finden können.« Grits letzte Worte klangen leicht abfällig.

Um Andrea Bergens Mundwinkel zuckte ein kleines Lächeln. Seit Schwester Manuela bei ihnen in der Notaufnahme arbeitete, kam es immer wieder zu Spannungen zwischen Grit und ihr.

Der Notärztin fiel die alte Redensart ein, dass manche Menschen keine anderen Götter neben sich duldeten. War Grit eifersüchtig auf Manuela, weil auch sie äußerst attraktiv und tüchtig war?

»Ich weiß nicht ...« Dr. Andrea Bergen sah Schwester Manuela und dem neuen Kollegen nach, wie sie die Fahrstuhlkabine betraten.

Es war Mittagszeit, und sie nahm an, dass sie zum Essen gingen. Ins Personalrestaurant vermutlich. Das befand sich im dritten Stock, während die Cafeteria gleich um die Ecke im Erdgeschoss lag.

»Wie ein Liebespaar kommen die beiden mir eigentlich nicht vor. Zumindest Dr. Gehringer macht nicht den Eindruck, als wäre er rasend verliebt in Schwester Manuela.«

»Aber sie himmelt ihn an, das sieht doch ein Blinder«, glaubte Grit beobachtet zu haben. »Bestimmt lässt er sich von ihr einfangen.«

Sie wurden unterbrochen, als ein Mann mit einem verletzten Jungen in die Notaufnahme kam. Dem etwa Zehnjährigen, der sich schluchzend ein Taschentuch vors Gesicht hielt, rann Blut aus einer Wunde an der Stirn.

»Mein Sohn ist von einem Baseballschläger getroffen worden«, erklärte der Mann nervös. »Statt den Notarzt zu rufen, habe ich ihn gleich selbst hergebracht. Hoffentlich ist die Verletzung nicht allzu schlimm.«

»Das werden wir gleich feststellen«, erwiderte Andrea Bergen freundlich. »Ich bin die Notärztin. Bitte kommen Sie mit.«

Sie ging voran zu einer der Behandlungskabinen. Dort untersuchte sie den Jungen kurz, wobei Schwester Grit ihr assistierte.

»Eine nicht allzu tiefe Platzwunde, die genäht werden muss«, erklärte Andrea Bergen dem besorgten Vater. »Ich nehme an, dass Ihr Sohn auch eine leichte Gehirnerschütterung hat. Da ist Bettruhe angesagt.«

Schwester Grit hatte unterdessen die Personalien aufgenommen und die Diagnose in die Krankenakte eingetragen. Anschließend wurde der Patient in einen Operationssaal gebracht, wo Andrea die Platzwunde versorgte.

»Kommen Sie in einer Woche zum Fädenziehen wieder her«, sagte sie zu dem Vater, nachdem der kleine Eingriff beendet war. Damit waren die beiden entlassen.

»Der Junge hatte Glück, dass er an Sie geraten ist, Frau Dr. Bergen«, bemerkte Schwester Grit, als sie die benutzten Utensilien wegräumte. »So geschickt, wie Sie die Nähte immer setzen, wird von einer Narbe später kaum was zu sehen sein.«

Andrea Bergen bedankte sich lächelnd für das Kompliment. Nachdem alles erledigt war, kehrte sie mit Schwester Grit wieder in die Notaufnahme zurück.

Wenig später fuhr auch Andrea hinauf in den dritten Stock, um im Personalrestaurant ihr Mittagessen einzunehmen. Nachdem sie sich an einem der Tische niedergelassen hatte, fiel ihr Blick auf Dr. Gehringer und Schwester Manuela, die ein paar Tische weiter saßen. Sie hatten ihr Essen beendet, und Mariechen Brückmann, die Wirtin, räumte gerade die leeren Teller weg. Gunnar Gehringer las in einer Zeitschrift, während Schwester Manuela ihm mit gelangweilter Miene gegenübersaß. Nein, wie ein Liebespaar wirkten die beiden ganz bestimmt nicht.

»Was darf ich der Frau Notärztin bringen?«, erkundigte sich Mariechen Brückmann einen Moment später und zählte auf, was sie heute anzubieten hatte.

Andrea entschied sich für das Putensteak. »Und ein Mineralwasser«, fügte sie hinzu und schenkte der immer etwas gestresst wirkenden Bedienung ein Lächeln.

Es dauerte nicht lange, bis Andrea ihr Essen auf dem Tisch stehen hatte. Während sie es sich schmecken ließ, war sie mit ihren Gedanken bei den Einsätzen, die sie an diesem Morgen gehabt hatten. Besonders schwere Fälle waren nicht darunter gewesen, doch um den älteren Mann, der eine Lebensmittelvergiftung erlitten hatte, machte sie sich einige Sorgen.

Er lebte allein und schien nicht mehr in der Lage zu sein, sich selbst zu versorgen. In einem Seniorenheim wäre er besser aufgehoben. Andrea wollte mit ihm reden und gegebenenfalls entsprechende Schritte in die Wege leiten.

Als sie wieder aufblickte, war der Tisch, an dem Dr. Gehringer und Schwester Manuela gesessen hatten, leer. Auch für Andrea war es an der Zeit, wieder in die Notaufnahme zurückzukehren. Sie war froh, dass kein Einsatz gekommen war und sie ihr Mittagessen ungestört hatte beenden können.

***

Dafür ging es gleich wieder mit Einsätzen los, kaum dass Andrea die Notaufnahme betreten hatte.

»Unfall Kreuzung Friedrichstraße/Altenberger Straße«, meldete Jupp Diederichs, der Fahrer des Rettungswagens. »Zwei Personen haben leichte Verletzungen erlitten.«

Das Notarztteam, zu dem auch der Rettungssanitäter Ewald Miehlke gehörte, eilte hinaus ins Freie, wo unter dem Vordach der Rettungswagen startbereit stand.

Auch Dr. Gehringer fuhr mit. Er machte am Elisabeth-Krankenhaus seine Notarztausbildung und war eine nette Bereicherung für das Team. Zumindest Andrea fand das. Jupp und Miehlke dagegen schienen etwas eifersüchtig zu sein, worüber sich Andrea amüsierte.

Am Unfallort angekommen, gerieten sie in eine filmreife Szene. Zwei Männer, offenbar die Fahrer der beiden zusammengestoßenen Autos, waren sich in die Haare geraten und handgreiflich geworden. Die Polizei, die bereits am Unfallort war, versuchte, die beiden Kampfhähne zu trennen.

»Ich merke nichts davon, dass die zwei verletzt sind«, meinte Jupp Diederichs.

»Sie werden sich gleich die Köpfe einschlagen, dann kriegen wir schon Arbeit«, versetzte Ewald Miehlke trocken.

»Hoffentlich.« Gunnar Gehringer grinste. »Wie soll ich sonst was lernen?«

Andrea tätschelte ihm den Arm. »Warten wir erst einmal ab. Im Moment ist es nicht ratsam auszusteigen. Sonst bekommen wir auch noch was ab.«

Endlich gelang es den Polizisten, die Streithähne zu trennen. Andrea nahm ihren Notfallkoffer und stieg aus.

»Notärztin Dr. Bergen«, stellte sie sich vor. »Können wir helfen?«

»Hau ab!«, schleuderte einer der beiden Kontrahenten ihr zusammen mit einer beachtlichen Alkoholfahne entgegen. »Brauche keine ärztliche Hilfe, schon gar nicht von einer Frau.«

Der andere Mann blutete an der Hand, doch auch er wollte sich nicht helfen lassen. Stattdessen machte er Anstalten, wieder auf seinen Kontrahenten loszugehen. Doch diesmal hatte die Polizei ihn fester im Griff.

»Tut uns leid, Frau Doktor, aber hierher haben wir Sie wohl umsonst gerufen«, entschuldigte sich der eine Polizist.

»Das kommt vor«, meinte Andrea mit einem Schulterzucken. »Die beiden können sich später immer noch in der Notaufnahme melden, falls sie Beschwerden haben sollten.«

Damit stieg sie wieder in den Rettungswagen. Ihr Kollege und die beiden Sanitäter folgten ihr. Ohne Patient fuhren sie zurück zum Elisabeth-Krankenhaus.

»Wie wäre es jetzt mit einem Kaffee?«, wandte sich Gunnar an seine Chefin. »Nach diesem anstrengenden Einsatz könnte ich jetzt einen vertragen. In der Cafeteria vielleicht?«, fügte er mit einem bittenden Blick hinzu.

Andrea hatte den Eindruck, dass er etwas auf dem Herzen hatte, das er loswerden wollte.

»Gut, gehen wir rasch, bevor der nächste Einsatz kommt«, stimmte sie zu. Auch sie hatte jetzt Appetit auf einen Kaffee.

Sie meldeten sich ab und gingen hinüber in die Cafeteria. Kaum hatten sie sich mit ihren Kaffeebechern an einem der Tische niedergelassen, platzte Gunnar auch schon mit seinem Anliegen heraus.

»Frau Bergen, ich brauche Ihren geschätzten Rat«, begann er. »Wie kann man sich gegen aufdringliche Frauen wehren?«

Andrea Bergen musste lachen, als er sich mit einer verzweifelten Geste durch das braune, wellige Haar fuhr. Da schien er sich ja wirklich etwas eingebrockt zu haben. Natürlich meinte er eine ganz bestimmte Frau, nämlich Schwester Manuela.

»Indem man ihnen deutlich zeigt, dass man kein Interesse an ihnen hat«, erwiderte sie. »Das dürfte doch nicht so schwer sein. Wenn man allerdings mit ihnen zum Mittagessen geht ...« Sie ließ den Rest des Satzes anzüglich in der Luft hängen.

Gunnar seufzte wieder. »Ich weiß, Sie haben mich mit Schwester Manuela im Personalrestaurant gesehen. Ich hätte ablehnen sollen, als sie mich fragte, ob ich mitkomme. Aber dann wollte ich nicht unhöflich sein. Und irgendwie sie ist ja nett. Attraktiv ist sie ebenfalls.«

Andrea betrachtete den Kollegen nachdenklich. Sie mochte Gunnar sehr. Er passte prima in ihr Team, auch wenn Jupp und Miehlke ihn manchmal als Eindringling zu empfinden schienen.

»Aber Sie wollen keine Beziehung mit ihr eingehen«, fasste sie zusammen. »Wenn es so ist, sollten Sie das Manuela auch wissen lassen.«

Gunnar nickte. »Sie haben ja wieder so was von recht.« Er grinste etwas schief. »Wie immer, wenn ich Sie um einen Rat frage. Habe ich Ihnen eigentlich schon mal gesagt, dass ich Sie verehre, in jeder Beziehung?«

Andrea lächelte gerührt. »Nein, aber ich freue mich darüber. Sie dürfen auch gern jederzeit zu mir kommen, wenn Sie einen Rat brauchen.«

»Danke, das ist gut zu wissen. In Herzensdingen bin ich nämlich etwas ungeschickt.« Gunnar blickte in seine Kaffeetasse und dann auf seine Kollegin. »Finden Sie den Kaffee nicht auch etwas langweilig ohne passende Begleitung? Darf ich Sie zu einem Stück Kuchen einladen? Ich habe gesehen, dass Fanny einen leckeren Erdbeerkuchen in ihrer Theke stehen hat.«

»Hm, der ist mir auch aufgefallen«, meinte Andrea gedehnt.

Gunnar wollte schon aufstehen, um zwei Stücke zu holen, da meldete sich bei ihm und gleichzeitig auch bei Andrea Bergen der Pager, der die Notärzte zu ihren Einsätzen rief. Beide sprangen von ihren Stühlen auf.

»Ade, du schöner Erdbeerkuchen«, murmelte Gunnar, von einem entsagungsvollen Seufzer begleitet.

Gemeinsam eilten sie aus der Cafeteria.

***

Froh, die anstrengenden Tanzproben für heute hinter sich zu haben, kamen die Bühnentänzerinnen aus dem Künstlereingang des »Tanztheater am Dornenweg«. Draußen auf dem Gehsteig trennten sie sich.

»Bis morgen«, verabschiedete sich Petra Jansen von den anderen. Raschen Schrittes ging sie zum Parkplatz, wo ihr Auto stand. Es war wieder spät geworden, und sie war geschafft, aber das war bei einer bevorstehenden Theaterpremiere jedes Mal so. In der Woche davor ging es immer besonders hektisch zu.

Tief atmete Petra die kühle Abendluft ein, die einen Geruch nach Rheinwasser und Blumenrabatten mit sich brachte. Dann stieg sie in ihr Auto. Ah, endlich sitzen! Wie wunderbar sich das anfühlte!

Sie ließ den Motor an und fuhr nach Hause. Erst als sie ihre kleine Dachwohnung betrat, merkte sie, wie hungrig sie war. Natürlich hatte sie wieder nichts eingekauft. Denn dazu war heute weder Zeit gewesen, noch hatte sie Lust dazu gehabt. Sie würde sich ein Ei in die Pfanne schlagen und dazu ein Stück Brot essen, das musste reichen.

Aber erst einmal ging sie unter die Dusche. Sie war völlig verschwitzt vom stundenlangen Tanzen.

Zwanzig Minuten später kam Petra im Bademantel und mit einem Handtuchturban auf dem Kopf wieder aus dem Bad. Als sie gerade in die Küche gehen wollte, um sich ihr bescheidenes Abendbrot zu richten, klingelte das Telefon.

Zu ihrer Freude war es ihre Tante Agnes. Oder, besser gesagt, ihre Großtante. Sie war die ältere Schwester ihrer Großmutter, hätte dem Alter nach aber auch ihre Urgroßtante sein können.

»Hallo, Tantchen«, rief Petra erfreut ins Telefon. »Schön, dich zu hören. Geht es dir gut?«

»Mir geht es wunderbar«, erwiderte Agnes mit ihrer immer etwas kratzig klingenden Stimme. »Und dir, mein Schatz?«

»Nicht ganz so wunderbar, aber viel besser, nachdem ich gerade geduscht habe«, erklärte Petra. »Wir hatten heute wieder Marathonproben, denn am Samstag findet die Premiere des neuen Stückes statt. Das war wieder mal harte Arbeit.«

»Papperlapapp!«, widersprach Agnes. »Tanzen ist keine Arbeit, Tanzen ist Therapie.«

»Ja, für dich vielleicht.« Petra seufzte leicht. »Dafür bewundere ich dich auch heute noch. So tanzen wie du werde ich nie können.«

»Du sollst auch nicht tanzen wie ich, sondern wie du selbst«, betonte ihre Tante. »Du bist auf dem besten Weg, deinen ganz eigenen Stil zu finden. Ich bin stolz auf dich, Liebes.«

Petra wurde vor Freude und Rührung der Hals eng. »Ach, Tante Agnes! Es ist so lieb von dir, dass du das sagst! Da fühle ich mich gleich noch mal besser.«

Lob von einer ehemaligen Ballerina, die jahrzehntelang zu den besten Bühnentänzerinnen im europäischen Raum gezählt hatte, war etwas ganz Besonderes und ließ Petra jeden Stress sofort wieder vergessen. Ja, sie war eine talentierte Tänzerin, auch wenn sie vermutlich nie so berühmt werden würde wie ihre Großtante. Eine neue Agnes Faragó würde aus ihr bestimmt nicht werden. Aber sie besaß auch nicht deren Ehrgeiz.

Zweiundneunzig Jahre alt war ihre Großtante jetzt. Petra konnte sie nur bewundern. Bis zu ihrem Schlaganfall im letzten Jahr war Agnes immer noch gelegentlich auf der Bühne aufgetreten, und auch jetzt tanzte sie noch gern, wenn auch nur im privaten Kreis oder für sich allein.

»Was hast du heute Abend noch vor?«, erkundigte sich Agnes.

»Nicht viel, das kannst du dir ja vorstellen. Ich hatte nicht mal mehr die Energie, mir etwas fürs Abendessen einzukaufen.« Petra lachte kurz auf. »Dafür bleibt mir das Kochen erspart. Ich werde mir ein Ei braten.«

»Ich habe ein wunderbares Pangasiusfilet im Kühlschrank«, sagte Agnes. »Es ist viel zu groß für mich. Willst du es mit mir teilen?«

»Oooh«, horchte Petra auf. »Ist das eine Einladung zum Abendessen?«

»Natürlich ist es das. Mach dich fertig und komm her.«

»Danke, Tante Agnes. Ich bin schon unterwegs.«

»Und hör endlich auf, mich ›Tante‹ zu nennen!«, bat Agnes sich energisch aus. »Da fühle ich mich immer so alt. Außerdem bist du aus dem Alter heraus, in dem Kinder noch ›Tante‹ und ›Onkel‹ sagen.«

Petra musste lachen. »Okay, okay. Ich finde es zwar schön, dich Tante zu nennen, aber ich will natürlich nicht, dass du dich alt fühlst. Bis gleich, Tant... Agnes.«

***

Zehn Minuten später saß Petra im Auto und fuhr in Richtung Stadtpark, wo ihre Tante in einem der stilvollen alten Patrizierhäuser ihre Wohnung hatte. Sie freute sich auf den Abend mit Agnes. Nun brauchte sie nicht allein mit ihrem Spiegelei zu Hause zu sitzen und konnte mit ihrer Tante leckeren Fisch schlemmen.

Als sie dann deren Wohnung betrat, zu der sie seit Agnes' Schlaganfall einen Schlüssel hatte, vermisste sie die Essensgerüche, die sie erwartet hatte. Stattdessen wurde sie von Klaviermusik empfangen. Petra lächelte, während sie ihre Jacke auf einen Garderobenbügel hängte. Ihre Tante saß also am Klavier, statt in der Küche am Herd zu stehen.

Aber wann kochte Agnes auch schon selbst? Sie hatte eine Zugehfrau, die sich um den Haushalt kümmerte, denn alles, was damit zusammenhing, war Agnes schon immer verhasst gewesen.

Petra klopfte an den Türrahmen zum Musikzimmer, dessen Tür offen stand. »Hallo, Tante Agnes. Ich bin da.«

Die alte Dame hob den Kopf und hörte auf zu spielen. Ein breites Lächeln zog über ihr faltiges, sonnengebräuntes Gesicht. »Da bist du ja, Kind. Wie schön.«

Agnes stand von ihrem Klavierhocker auf und kam ihr entgegen. Wie üblich trug sie eins ihrer langen Seidenkleider, die sie noch größer und schlanker erscheinen ließen. Herzlich zog sie ihre Großnichte in die Arme.

Petra drückte ihr ein Küsschen auf die Wange. »Ich liebe es, dich Klavier spielen zu hören. Kann ich was in der Küche tun?«

»Oh, ja. Der Fisch wartet schon darauf, gebraten zu werden. Wie wäre es, wenn du das übernehmen würdest? Dann spiele ich weiter.«

Petra schenkte ihr ein liebevolles Lächeln. »Mach ich gern, Tantchen. Dann gehe ich gleich mal die Küche.«