Notiz an mich: Leben passiert einfach - Melanie Koppius - E-Book

Notiz an mich: Leben passiert einfach E-Book

Melanie Koppius

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Beschreibung

Stell dir vor, du hast einen Plan... Stell dir vor, das Leben hat jedoch einen anderen Plan... Bist du bereit, deinen dafür aufzugeben? Leider musste Emilia viel zu früh in ihrem bisherigen Leben erfahren, wie schmerzhaft die Liebe sein kann und zum Schutz hat sie unzerstörbare Mauern um sich gebaut. Gefühle dahinter eingeschlossen, die sie nicht länger benötigte, um sich das Leben aufzubauen, welches sie sich immer erträumt hatte. Doch vollkommen unvorbereitet und unerwartet tritt Oliver in ihr Leben und stellt es in kurzer Zeit auf den Kopf. So sehr, dass ein Kampf zwischen Herz und Verstand beginnt, bei dem sie sich nicht sicher ist, wen sie von beiden gewinnen lassen darf, ohne sich dabei selbst zu verlieren.

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Seitenzahl: 351

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Für meine Mama, die mir immer gezeigt hat, dass keine Herausforderung zu groß ist, wenn man Liebe und Mut an seiner Seite hat.

Für meinen Mann, der stets an mich geglaubt hat, selbst wenn ich an meinen eigenen Träumen zweifelte. Und für einen besonderen Freund, der in den dunkelsten Momenten mein Licht ist und mir den Weg zeigt.

Niemand kann den Schmerz für uns tragen, aber mit den richtigen Menschen an unserer Seite wird er erträglicher.

Inhaltsverzeichnis

Party, Party, Party

Pinguine und andere Katastrophen

Eine zweite Chance?

Rosarote Wölckchen

Zauberhafte Verrücktheit

Schokokuchen und Whirlpool

Erdbebengeständnisse

Noah

Eine Woche Liebe…

…ist das möglich?

Handy, Flugzeuge, Pinguine, Liebe?

Wunder und Abschiede

Schmerz…

Einsturzgefahr

Frohes Fest?

Erwachen

Familie

Epilog

Notiz an mich:

Party, Party, Party

„Emilia, jetzt sei doch nicht so verdammt stur! Du bist doch noch keine Großmutter. Und ganz ehrlich, meine Großmutter ist cooler als du manchmal! Es ist die Party des Jahres und du willst lieber zu Hause abhängen und lernen. Ernsthaft?“

„Das hat doch nichts mit Wollen zu tun! Ich habe dir doch erklärt, dass ich lernen muss, ob ich will oder nicht. Ich schreibe nächste Woche meine letzte verdammte Prüfung. Danach bin ich gerne bereit, mit dir das Berliner Nachtleben unsicher zu machen.“ Elias konnte manchmal wirklich anstrengend sein. Er kannte kein Nein, und wenn er etwas wollte, dann hatte man kaum eine Chance, dagegen anzukommen. Wäre er nicht mein bester Freund seit Kindertagen, mein Seelenverwandter und meine bessere Hälfte, hätte ich ihn wahrscheinlich längst vor die Tür gesetzt. Aber das wusste ich: Das würde nie passieren.

„Ja, eben. Nächste Woche. Du sagst es doch selbst. Da bleiben dir noch fast sieben unendlich lange Tage und Nächte. Wir müssen auch nicht so lange bleiben, aber ich habe heute zufällig im Laden gehört, dass Ben auch kommt... hörst du? Ben! Der süße Barkeeper aus dem Capitool. Ich habe dir doch schon letzte Woche von ihm erzählt. Willst du wirklich daran schuld sein, dass er mir vor der Nase weggeschnappt wird? Kannst du für den Rest deines Lebens mit dieser Schuld leben?“ Elias setzte diesen Blick auf – diesen Blick, bei dem niemand widerstehen konnte.

Oh Mann, Elias war wirklich manchmal ein richtiger Dramaking. Einerseits konnte ich ihn verstehen. Er hatte mir nun schon seit einer Woche mit seiner Partygeschichte in den Ohren gelegen, um Ben besser kennenzulernen. Die beiden hatten Nummern ausgetauscht und ein paar Nachrichten geschrieben, aber am Ende würde es wieder wie immer laufen: Elias würde früher oder später entweder mit Ben oder aus Frust mit irgendeinem anderen Typen verschwinden, und ich würde alleine einen Cocktail nach dem anderen trinken, während ich mir wieder mal dachte, dass Männer doch einfach alle Idioten waren und man ohne sie viel besser dran war. Am nächsten Morgen würde ich dann mit schmerzhaftem Kopf und Übelkeit im Bett liegen und mir schwören, diesen Fehler nie wieder zu begehen – bis Elias es wieder mit diesem Blick versuchte. Und genau diesen hatte er jetzt wieder aufgesetzt.

„Bitteeeee!“ quengelte er weiter, wie ein kleines Kind, das unbedingt noch eine Kugel Eis haben wollte.

„Du kannst mich doch nicht einfach so hängen lassen! Und dir würde es auch gut tun, mal wieder aus diesen vier Wänden herauszukommen und was anderes als deine Bücher zu sehen!“

Ich wusste, dass er nicht aufgeben würde, bis ich nachgab. Es war eine Energie- und Zeitverschwendung, aber das war mir klar: Elias würde mich so lange nerven, bis ich zustimmte. Und nach einer Woche Uni und Arbeit hatte ich einfach keine Kraft mehr, ihm zu widerstehen.

„Okay, aber wirklich nicht lange. Ich habe morgen keine Zeit, den ganzen Tag im Bett zu verbringen und den Schlaf nachzuholen.“

„Danke, danke, Emilia! Du bist die allerbeste Freundin, die man sich nur vorstellen kann!“ Elias umarmte mich so stürmisch, dass ich fast vom Stuhl gefallen wäre.

„Oh! Mein! Gott! Ich muss sofort los... Was soll ich bloß anziehen? Ich hole dich um halb zehn ab, okay, Schatz?“ Ich nickte, doch bevor ich auch nur ein Wort sagen konnte, fiel die Tür ins Schloss und er war verschwunden.

„So ein verrückter Kerl!“ Ich schüttelte grinsend den Kopf und versuchte, mich wieder auf meine Bücher zu konzentrieren. Das menschliche Herz, Anatomie. Es konnte so schrecklich langweilig sein, das war nicht zu leugnen. Aber es war das Einzige, das ich noch nicht ausreichend gelernt hatte. Also blieb mir nichts anderes übrig.

„Hey Emilia!“ Plötzlich rief Rosalie, meine Mitbewohnerin und mittlerweile wirklich gute Freundin, aus dem Flur. In einer WG hatte man nie wirklich seine Ruhe. Aber mit Rosalie hatte ich großes Glück.

Notiz an mich: Nie wieder in eine WG ziehen!

„Hi!“, gab ich kurz und knapp zur Antwort in der Hoffnung, dass Rosalie so bemerkte, dass ich keine Lust auf ein Gespräch hatte. Aber Rosalie hätte locker als Elias Schwester durchgehen können. Sie merkte genauso wenig, wie er, wann es einfach mal an der Zeit war, den Wasserfall ihrer Worte zu stoppen.

„Hast du schon gehört, dass bei Carola heute die Party des Jahres steigt? Ich glaube, die halbe Stadt trifft sich dort oder so … kommst du auch?“

„Hm!“ knurrte ich mürrisch, in der Hoffnung, das Thema würde endlich zu Ende sein. Aber natürlich nicht.

„Cool, dann können wir doch zusammen hingehen. Eric holt mich um neun ab. Wir wollten vorher noch eine Kleinigkeit essen. So als solide Grundlage, weißt du?“, grinste sie mich an.

Rosalie war immer gut gelaunt, voller Energie – die pure Lebensfreude. Keine Party ohne sie. Sie kannte gefühlt alle, und ich vermutete, das lag an ihrem Job als Krankenschwester. So hatte ich sie auch kennengelernt und es war mehr Glück als Zufall, dass sie gerade ein freies Zimmer hatte, in dem ich nun schon seit fünf Jahren wohnte. Anfangs tat ich mich schwer mit ihrer Art, aber wie man sie nun mal kannte, musste man sie entweder lieben oder hassen. Ich hatte mich für das Erste entschieden, was das Zusammenleben definitiv erleichterte. Gute Freunde waren nicht leicht zu finden, und sie war es in jeder Hinsicht.

Sie und Eric waren mittlerweile fast vier Jahre zusammen. Er war ein echt netter Typ, wenn man das von einem Mann überhaupt sagen konnte, in meinen Augen zumindest. Ich mochte sie beide gern. Sie waren einfach perfekt füreinander – er, der ruhigere Gegenpol zu ihrer aufgedrehten Art. Manchmal fragte ich mich, wie er es schaffte, immer so entspannt zu bleiben.

Rosalie starrte mich weiter unnachgiebig an, erwartungsvoll.

„Ja, ich komme auch, aber Elias holt mich später ab. Wir können uns dann dort treffen, vielleicht?“, sagte ich schließlich. Sie nickte zufrieden.

„Ich verschwinde dann mal ins Bad, wenn es dir recht ist?“

„Ja, sicher. Du hast ja noch mehr als zwei Stunden Zeit“, antwortete ich, während ich versuchte, mich wieder auf mein Lernen zu konzentrieren. Ein letzter Blick auf die Anatomie des menschlichen Herzens – ein Thema, das einfach nichts von seinem Schrecken verlor. Aber es war das Einzige, was ich noch nicht gelernt hatte, also musste ich durchhalten. Es war einfach nur eine Frage der Zeit, bis meine letzte Klausur vorbei war. Dann würde endlich mein praktisches Jahr beginnen. Nur leider wartete ich immer noch auf eine Zusage von meiner Wunschklinik. Diese Klinik ließ sich gerne Zeit, fast bis zum letzten Moment. Wahrscheinlich machten sie sich einen Spaß daraus, ihre Bewerber so lange zappeln zu lassen. Zum Glück hatte ich bereits eine Alternative, wenn auch keine so gute.

„Das schwarze oder das rote?“ Rosalie riss mich aus meinen Gedanken.

Ich klappte mein Buch zu und beschloss, das Lernen heute aufzugeben. Es hatte keinen Sinn. Heute war Freitagabend, und ich wollte ein für alle Mal eine normale junge Frau sein, die einfach mal feierte, statt zu arbeiten oder zu lernen. Für eine Partymuffel wie mich war das schon eine Herausforderung, aber ich war bereit.

„Das rote Kleid“, antwortete ich, ohne wirklich hinzusehen. Rosalies Kleider sahen für mich ohnehin alle ziemlich gleich aus – zu kurz, zu eng und ein viel zu tiefer Ausschnitt, fand ich.

„Meinst du wirklich?“ Sie zog eine Augenbraue hoch und starrte mich an.

„Ja, es passt heute super zu deiner Frisur“, versuchte ich, meine Entscheidung zu begründen. Rosalie brauchte immer eine Begründung. Hoffentlich würde sie das jetzt nicht hinterfragen, sonst war ich geliefert. Sie nickte zufrieden und wackelte in ihr Zimmer. Puh, Glück gehabt. Ich legte mein Buch auf den Schreibtisch und blickte auf die Uhr. Es war fast neun. Zeit für mich, schnell zu duschen und mich umzuziehen.

„Kann ich ins Bad?“

„Sekunde noch… Ich muss mich nur eben nachschminken!“

Nachschminken. Wieder so eine Rosalie-Sache. Diese Frau war echt verrückt, immer etwas zum Lachen. Sie war doch gerade erst aus dem Bad gekommen. Wo sollte ihre Schminke denn so schnell hin verschwunden sein? Gab es in ihrem Gesicht etwa ein Bermuda-Dreieck? Ich wollte es mir immer schon mal genau erklären lassen, wenn ich Zeit dafür gehabt hätte. Aber das würde sicher eine lange Erklärung werden. Sehr lang.

„Ok, fertig! Wie sehe ich aus?“ Sie drehte sich einmal im Kreis, voller Stolz.

„Super. Eric wird wie immer hin und weg sein!“, antwortete ich, weil ich wusste, dass sie das hören wollte. Es war das Beste, was man in solchen Momenten sagen konnte, ohne ihren bekannten hysterischen Anfall zu provozieren. Einen Fehler hatte ich da einmal gemacht. Nie wieder! Nach einem Tag, an dem sie ihren gesamten Kleiderschrank auf den Kopf stellte, um jedes einzelne Kleidungsstück zu probieren, hatte ich aus meinen Fehlern gelernt.

Rosalie sah immer großartig aus. Manchmal beneidete ich sie darum, dass sie selbst nach einer 12-Stunden-Schicht noch perfekt aussah.

„Danke! Dann bin ich jetzt weg. Wir treffen uns dann dort. Bis gleich!“, sagte sie und drückte mir ein Küsschen auf die Wange.

„Bis gleich!“, antwortete ich und verschwand unter der Dusche. Zehn Minuten später stand ich vor meinem Kleiderschrank, zog meine blaue Jeans und ein schwarzes Shirt an, dazu Sneakers und eine Strickjacke. Fertig. Meine Haare hatte ich zu einem Pferdeschwanz gebunden und ein wenig Lipgloss aufgetragen. Was Rosalie immer so lange im Bad trieb, war mir ein Rätsel. Aber heute war es mir egal.

Natürlich war es bei Elias nicht viel anders.

„Kann ich so gehen?“, fragte er aufgeregt als Erstes, nachdem ich ihm die Tür geöffnet hatte. „Ich habe für den Notfall noch ein anderes Outfit im Auto!“

„Du siehst gut aus, Elias. Wenn dir Ben so nicht zu Füßen liegt, dann muss er total blind sein.“ Elias errötete leicht, doch ich konnte das Grinsen in seinen Augen sehen. Er war wirklich jemand, der mit seinem Aussehen nie Schwierigkeiten hatte, und jeder wusste, dass er einer dieser Männer war, die so gut aussahen, dass ihnen alle Blicke der Frauen zuflogen. Er trug seine blonden Haare immer perfekt gestylt, und seine Augen waren so schwarz, dass man fast das Gefühl hatte, sie würden einem ins Innerste blicken.

Doch genau diese Attribute, die für die meisten Frauen so anziehend waren, machten für Elias keine Bedeutung. Es war ein offenes Geheimnis, dass er seit seinem zwölften Lebensjahr schwul war. Vielleicht war es damals noch nicht eindeutig, aber mit der Zeit hatte er sich das eingestanden, und für uns alle war es nie ein Thema gewesen, das es zu verstecken galt. Wir hatten ihn begleitet, als er sich langsam selbst entdeckte und sein Coming-out durchlebte. Ich konnte mich noch genau an die Momente erinnern, als Elias seine ersten zaghaften Schritte in diese neue Welt wagte. Es war ein zäher Prozess, der voll von Unsicherheiten, Ängsten und so vielen Zweifeln war, dass wir ihm oft wie ein Felsen in der Brandung zur Seite standen. Wir hatten all diese Phasen zusammen durchlebt – vom ersten nervösen Gespräch über seine Gefühle bis zu den ersten enttäuschten Erfahrungen, als er mit den verschiedenen Herausforderungen seiner sexuellen Identität konfrontiert wurde. Aber es war auch eine Reise voller starker Momente, in denen er sich selbst endlich als der akzeptierte und liebenswerte Mensch zu sehen begann, der er heute war.

„Du weißt, wir haben das schon als Kinder zusammen durchgemacht, oder?“ Ich sagte es, ohne nachzudenken. Ich hatte ihn damals in seinen schwierigen Momenten unterstützt, ihm zugehört, als er das erste Mal verunsichert war, weil er niemanden kannte, der ähnlich fühlte. Dann war er plötzlich dieses selbstbewusste, charismatische Wesen, das zu dem Elias geworden war, den ich kannte und mit dem ich aufwuchs. Aber dieser Prozess hatte seine Spuren hinterlassen, die auch heute noch immer in ihm waren, auch wenn er sich selbst nie wirklich versteckte.

„Ja, das stimmt.“ Elias grinste und zuckte mit den Schultern, als ob all das für ihn mittlerweile kaum noch von Bedeutung wäre. Es war schon lange kein Thema mehr, aber in manchen Momenten, wie jetzt, konnte ich die Erinnerungen an all die schwierigen Zeiten bei ihm erkennen. Ich wusste, dass er trotzdem manchmal noch an dem Knacks von damals zu knabbern hatte, auch wenn er es nach außen hin nicht zeigte.

„Es hat uns trotzdem noch mehr zusammengeschweißt“, fuhr ich fort. „Und wir haben es alle irgendwie geschafft. Du hast dich nie dafür geschämt, du bist derjenige, der uns allen beigebracht hat, was echte Freundschaft bedeutet.“ Ich wusste, dass er meine Worte nicht wirklich brauchte, weil wir uns so gut kannten, aber in solchen Momenten, wenn die Vergangenheit wieder an die Oberfläche kam, war es für uns beide eine Art, die Bedeutung unserer Verbindung zu betonen.

Elias nickte, als er sich an den langen Weg erinnerte. „Ja, aber damals, als es noch so neu war… da wusste ich nicht, wie ich damit umgehen sollte. Da habe ich mich manchmal gefragt, ob es jemals gut werden würde. Und dann wartest du da, in deinem Kinderzimmer, mit 14, und bist einfach nur froh, dass dich jemand versteht.“ Ein sanftes Lächeln bildete sich auf seinen Lippen, und er sah mir tief in die Augen. „Das war mehr wert als alles andere.“

Ich konnte nicht anders, als ihn zu umarmen. Es war selten, dass er so nachdenklich war, und ich war froh, dass ich ihn begleiten durfte, dass ich ein Teil dieses Weges gewesen war. Unsere Freundschaft war etwas, das all die Jahre überdauert hatte – und mehr noch, sie war gewachsen, stärker und bedeutungsvoller, als es damals als Kinder jemals möglich gewesen wäre.

„Nun, jedenfalls weißt du, dass wir zusammen alles durchstehen. Egal, wie verrückt die Jungs aus unserer Clique sind oder wie verwirrend das Leben manchmal sein kann. Wir schaffen das.“

„Ja, du hast recht“, sagte er und schüttelte den Kopf, als wollte er sich von diesen ernsthaften Gedanken befreien. „Aber genug davon! Heute geht’s um Ben, und ich bin total aufgeregt!“

Ich schmunzelte, als er seine Energie wieder zurückfand. Elias hatte nie lange Zeit für Melancholie. Und genau das war es, was ich an ihm so liebte. Egal, was das Leben uns brachte, er hatte immer das Herz auf dem richtigen Platz, und das war es, was unsere Freundschaft so besonders machte.

„Ok! Dann lass uns los!“, sagte Elias und strahlte mich an. Seine Vorfreude auf Ben war ihm nun deutlich anzumerken. Ich schnappte mir meine Tasche, und wir gingen zum Auto. Die Fahrt war kurz, aber die Parkplatzsuche zog sich wie Kaugummi. Erst zwei Straßen weiter fanden wir endlich einen freien Platz, und mir wurde langsam bewusst, wie groß diese Party wirklich war.

„Sie scheint ja echt die halbe Stadt eingeladen zu haben!“, stellte ich fest, als wir uns dem Haus näherten.

„Habe ich dir doch gesagt. Es ist ein Muss, dort heute zu erscheinen!“, antwortete Elias aufgeregt. Mit jedem Schritt, den wir zu Fuß näherkamen, wurde die Musik lauter und dröhnte durch die Straßen. Ich war irgendwie sprachlos. Wie konnte jemand so eine riesige Party in einem normalen Haus veranstalten? Doch als ich das Gebäude, oder besser gesagt die Villa, vor mir sah, wurde mir klar, dass hier wirklich alles auf einer anderen Dimension ablief.

„Schickes Haus, was?“ sagte ich und blickte ehrfürchtig auf die beeindruckende Fassade.

„Hm!“, nickte Elias nur und grinste. „Na dann würde ich sagen: Auf geht’s in die Hölle. Soll ich uns erst mal direkt was zu trinken besorgen?“

„Das wäre großartig. Ich warte hier und sehe mich ein bisschen um, ob ich jemanden kenne oder so. Vielleicht ist Ben auch schon da“, antwortete ich und versuchte, meine Nervosität abzulegen. Elias nickte und verschwand dann in der Menge.

Klar, dass er sofort nur noch an Ben dachte. Ich hatte es ja nicht anders erwartet, aber da ich mich darauf eingelassen hatte, musste ich nun wohl das Beste daraus machen. Die Party war riesig, die Stimmung ausgelassen, und ich fühlte mich hier völlig fehl am Platz. Als Elias mit zwei Gläsern Wodka Cola zurückkam, war ich schon wieder auf dem besten Weg, mich in Gedanken zu verlieren. Ich hatte mich dieses Mal gegen Cocktails entschieden. Aus Erfahrung wusste ich, dass sie den Kater am nächsten Tag nur noch verschärfen würden.

„Hier! Wodka Cola. Ich hoffe, es ist okay für dich?“, fragte Elias, als er mir eines der Gläser reichte. Ich nickte und nahm es dankbar an.

„Da ist er, siehst du ihn? Oh mein Gott, ist er nicht der Hammer? Emilia… ich bin ja sowas von verknallt in ihn. Er sieht noch viel besser aus als in meiner Erinnerung“, sagte Elias, während seine Augen auf den Typen aus der Ferne gerichtet waren. Ich konnte mir ein schiefes Grinsen nicht verkneifen.

Typisch Elias. Er hatte so viele Phasen der Verknalltheit hinter sich. Er sah einen Typen, war sofort verknallt, landete mit ihm im Bett und stellte dann fest, dass es vielleicht doch nicht der Richtige war. Ich wollte für ihn hoffen, dass es mit Ben anders wäre. Er hatte es wirklich verdient, endlich jemanden zu finden, mit dem er langfristig zusammen sein konnte. Doch ich musste ihm recht geben – Ben sah auch wirklich gut aus. Er und Elias zusammen, das war wirklich ein Hingucker.

„Ich geh ihn mal eben begrüßen, okay? Warte einfach hier, ich bin gleich wieder da!“, riss mich Elias plötzlich aus meinen Gedanken.

„Ja, sicher, geh nur. Darum sind wir schließlich hier. Ich hol mir noch was zu trinken und sehe mich dann auch mal ein bisschen um. Vielleicht finde ich Rosalie und Eric irgendwo“, sagte ich und versuchte, nicht zu sehr an das Chaos um mich herum zu denken.

Elias nickte schnell und verschwand in der Menge. So schnell würde ich ihn heute Abend sicher nicht wiedersehen, aber das war in Ordnung. Ich wusste, wie sehr er sich nach einem tollen Abend sehnen konnte. Solange es ihm gut ging, war ich auch zufrieden.

Die Party war überfüllt, und ich fühlte mich zunehmend unwohl. Ständig wurde ich angerempelt, und die Musik – die in meinen Augen schrecklich war – dröhnte viel zu laut durch den Raum. Ich konnte kaum glauben, dass ich hier war. In einem großen Raum, der wohl unter normalen Umständen das Wohnzimmer war, tanzten die Leute eng umschlungen miteinander. Es war die totale Überforderung für mich. Ich würde niemals ein Party-Typ werden, das wusste ich. Ich fühlte mich einfach nicht wohl, umgeben von so vielen fremden Menschen, die einem ständig viel zu nah kamen.

Nachdem ich nun schon zwei Gläser getrunken hatte, um die Situation etwas erträglicher zu machen, füllte ich mein Glas erneut und beschloss, einen ruhigen Platz zu suchen. Ich brauchte dringend frische Luft. Die Atmosphäre in den Räumen war fast schon erdrückend. Meine Kehle schien sich immer weiter zuzuziehen. Draußen war es deutlich angenehmer, also machte ich mich auf den Weg zum Garten und setzte mich auf eine der Liegen, die direkt am Pool standen. Hier war es deutlich ruhiger, und ich konnte endlich mal durchatmen. Es war erstaunlich, wie wenig Menschen sich hier draußen versammelt hatten. Die Luft war kühler und frischer, und es war eine willkommene Abwechslung. Man konnte kaum glauben, dass man mitten in Berlin auf einer Party war, die so viele Menschen anlockte.

Hätte ich doch nur mein Buch dabei, dachte ich plötzlich, dann könnte ich hier draußen sogar ein bisschen lernen. Ein leises Lächeln stahl sich auf mein Gesicht, als ich über mich selbst nachdachte. Manchmal machte ich mir wirklich Sorgen um meinen eigenen Verstand, aber ich wollte einfach ein gutes Examen ablegen. Schließlich hatte ich hart dafür gearbeitet. Ich hatte mir mein Studium nicht einfach so erarbeitet. Es war nicht immer einfach gewesen, aber ich wusste, dass ich mit meiner Disziplin und meinem Ehrgeiz irgendwann das Ziel erreichen würde.

Aber im Moment war ich hier, inmitten des Lärms, der Hektik und der ganzen verrückten Atmosphäre. Und während ich da saß, dachte ich bei mir, dass es vielleicht gar nicht so schlecht war, ab und zu einen Schritt zurückzutreten und einfach mal den Moment zu genießen.

„Hi!“

Ich zuckte zusammen, als die plötzliche Stimme mich aus meinen Gedanken riss. Ich hatte gar nicht bemerkt, wie sich jemand genähert hatte.

„Hi!“ antwortete ich und wandte mich wieder ab. Wieder so ein Typ, der sich vermutlich eine nette Abwechslung für eine Nacht suchte. So war es schließlich immer auf solchen Partys. Na, da war er bei mir ja an der richtigen Adresse. Weder für eine noch für mehrere Nächte war ich zu haben.

„Furchtbare Party hier, oder?“ Der Versuch einer Anmache. Blöde, wie immer. Männer schienen nie kreativ zu sein, wenn es um Gespräche ging. Ganz im Gegenteil, manchmal dachte ich, sie hätten nicht genug Platz im Gehirn für mehr als die oberflächlichen Phrasen.

„Naja, die Musik ist nicht so mein Ding, und dazu ist es auch sehr überfüllt drin,“ antwortete ich bemüht freundlich. Ich wollte schließlich nicht allzu unhöflich rüberkommen. Es war durchaus denkbar, dass dies die einzige Kommunikation sein würde, die ich heute noch hier führen würde, bevor ich mir heimlich ein Taxi rufen würde und verschwände. Schließlich schien Elias' Plan mit Ben aufzugehen. Ich hatte ihn nicht mehr gesehen. Rosalie und Eric hier irgendwo zu finden, hatte ich längst aufgegeben, als ich die vielen Menschen erblickt hatte. Sonst kannte ich hier niemanden. Ich hatte nie viel Zeit oder Lust, neue Leute kennenzulernen.

„Mmh, geht mir auch so. Ich bereue auch schon seit ich hier bin, dass ich mich habe überreden lassen. Naja, nun bin ich einmal hier und versuche das Beste daraus zu machen.“

„Dito. Mein Freund hat mich überredet mitzukommen und nun ist er… naja, sagen wir mal so anderweitig beschäftigt, denke ich.“ Ich sah lächelnd nach oben. Der Alkohol zeigte erste Nebenwirkungen, denn ich war sonst nicht so gesprächig zu Typen auf solchen Partys. Ich war nicht diejenige, die jemanden suchte oder kennenlernen wollte. Ganz im Gegenteil.

Schließlich nahm er auf der Liege neben mir Platz und hielt mir seine Hand entgegen.

„Hi! Ich bin übrigens Oliver.“

„Emilia!“

„Schön, wenigstens einen normalen Menschen hier entdeckt zu haben, Emilia.“ Oh nein, ich spürte tatsächlich, wie Wärme in mein Gesicht stieg. Was sollte das nun wieder? Das war nicht mal ein Kompliment, und trotzdem wurde ich rot wie ein Teenager. Super, Emilia!

„Ich glaub, ich hol’ mir noch was zu trinken. Soll ich dir was mitbringen?“ fragte er und wirkte dabei wirklich nett.

„Wodka Cola! Das wäre echt super!“ Oliver nickte und ging. Das war meine Chance, einfach zu verschwinden. Hier waren schließlich genug Menschen, dass man sich verstecken konnte. Obwohl er auf den ersten Blick echt okay wirkte und sogar erstaunlich gut aussah. Er war sicher auch schwul, das wäre die Erklärung, und wollte über mich an Elias herankommen. Das musste es vermutlich sein. Noch bevor ich meine konfusen Gedanken und meine Fluchtmöglichkeiten weiter ausfeilen konnte, war er zurück. Okay, ich würde es beim nächsten Mal besser planen müssen.

„Danke, wirklich nett von dir!“

„Gern… und was treibst du so, wenn du nicht gerade auf solchen Partys am Pool sitzt?“ Er wollte sich offenbar ein wenig unterhalten, und ich wusste nicht, was dagegen zu sagen war. Unterhaltungen waren erst mal vollkommen harmlos, und so würde ich die Zeit hier vielleicht doch etwas angenehmer empfinden. Davon abgesehen schien dieser Oliver echt nett zu sein, und ich würde ihn nach diesem Abend ohnehin nicht wiedersehen. Also, völlig ungefährlich, dachte ich und ließ mich einfach auf seine Unterhaltung ein.

„Ich studiere Medizin, arbeite als Aushilfe nachts ab und zu im Krankenhaus und in einem kleinen Café und wenn ich dann doch mal etwas Zeit habe, quält mich entweder mein Freund oder meine Mitbewohnerin damit, mich auf solche Partys mitzuschleppen. Da hätten wir Spaß, sagen sie immer.“ Ich verdrehte übertrieben die Augen.

„Absolut unspektakulär, ich weiß. Und wie sieht’s bei dir aus? Was treibst du, wenn du nicht auf solchen Partys abhängst?“

„Was ist das denn für ein Mann, der seine hübsche Freundin auf so eine Party bringt und sie dann hier allein sitzen lässt?“ Eine Gegenfrage, wie unfair fand ich, musste aber lächeln, weil er dachte, Elias wäre mein Freund.

„Was ist so witzig?“ fragte er mich etwas verunsichert.

„Mein Freund ist nicht das, was du denkst. Also, er ist schon mein ganzes Leben lang mein bester Freund, schwul und völlig verschossen in so einen Typen, der heute hier ist. Das ist auch der Grund, weshalb wir hier sind. Ich weiß nicht, wie ich mich wieder habe überreden lassen, mitzukommen.“

„Oh, okay…“ Jetzt lachte er auch. „Dann hast du also keinen Freund?“ Ich schüttelte den Kopf. Oh je, keine gute Idee. Ich war nicht gewohnt zu trinken, und dies spürte ich jetzt eindeutig. Alles drehte sich um mich herum, allerdings ließ mich der Alkohol auch entspannter werden.

„Macht es dir denn Spaß, Medizin zu studieren? Ich stelle es mir sehr schwer vor.“

„Ja, es macht mir wirklich meistens Spaß, aber ich denke, das ist bei allem, was man macht, der Fall, oder? Ich habe mir nie etwas anderes vorstellen können, als Ärztin zu werden. Eigentlich sollte ich auch lieber lernen als jetzt hier zu sitzen, und bis du gekommen bist, habe ich es auch echt bereut, meine Bücher nicht dabei zu haben.“ Ich plapperte wie ein verfluchter Wasserfall. Was war denn in mich gefahren? Man, er hatte echt verboten schöne Augen. Blau. Fast türkis. Ich musste aufhören, ihn so anzustarren, das war ja peinlich. Schnell, ich musste irgendwas Sinnvolles sagen.

„Und was machst du hier in Berlin? Ich habe dich noch nie auf einer dieser Partys gesehen oder so? Also nicht, dass ich oft auf derartigen Partys bin, aber an dich könnte ich mich vermutlich erinnern.“ Innerlich schlug ich mir mit der flachen Hand vor die Stirn. Was war das denn bitte? Wie konnte so ein bisschen Alkohol sämtliche Schüchternheit so schnell wegzaubern? Ich könnte ihm auch direkt sagen, dass ich ihn interessant fände, wenn ich so weiter machte.

„Danke. Dieses Kompliment kann ich nur zurückgeben. Ich bin nur übers Wochenende zu Besuch bei meiner Schwester und ihrem Mann. Er war es, der mich hier hingeschleppt hat. Sollte ein Männerabend werden.“ Er zuckte mit den Schultern, bevor er weitersprach.

„Keine Ahnung. Ich habe ihn irgendwo verloren. Eigentlich wohne ich in Hamburg.“ So weit weg. Das fand ich schade, aber erklärte auch, warum ich ihn noch nie gesehen hatte, vermutlich. Denn auch wenn Berlin groß war, so traf man doch immer die gleichen Menschen auf derartigen Partys.

„Dann ist unser Schicksal hier heute ja ziemlich ähnlich.“ Ich lächelte ihn an. „Studierst du denn auch noch?“

„Möchtest du noch was trinken?“ wechselte er abrupt das Thema. „Soll ich dir noch was holen?“ Er wollte also nicht darüber reden. War klar. Nett. Gutaussehend. Es musste einen Haken haben.

„Eigentlich wollte ich gar nicht mehr so lange bleiben, aber ich glaub ein Glas würde ich jetzt doch noch nehmen.“

Er lächelte mich an, und so schnell wie er aufgestanden war, war er auch schon wieder da. Gut, dass ich meine Fluchtpläne längst über den Haufen geworfen hatte. Oliver reichte mir gerade das Glas, als Elias neben ihm auftauchte.

„Da bist du ja. Ich habe dich schon die ganze Zeit gesucht. Also Ben und ich… naja, wir wollten gehen… also ich wollte dir nur Bescheid sagen und dir den Autoschlüssel geben… damit du damit nach Hause fahren kannst. Ich hol’ ihn dann morgen bei dir ab, okay Süße? Also den Wagen mein ich natürlich.“ Typisch Elias. Genauso wie ich es erwartet hatte, aber ich freute mich natürlich, dass er es geschafft zu haben schien, Ben näherzukommen. Er drückte mir noch einen Kuss auf die Wange und weg war er. Ohne auch nur eine Antwort abzuwarten. Super. Hätte ich doch besser nichts getrunken. Ich wusste schließlich, dass es immer so ablief, aber nüchtern hätte ich das hier vermutlich noch weniger ertragen können. Obwohl mir die Gesellschaft von Oliver hier heute alles etwas angenehmer machte. Ich sollte wohl trotzdem am besten doch nach Rosalie suchen. Vielleicht könnten sie und Eric mich mit nach Hause nehmen, da selbst fahren für mich nicht mehr zu denken war.

„Das war also dein besagter Freund?“ fragte Oliver und nickte in die Richtung, in die Elias gerade verschwunden war.

„Ja, genau. Elias, mein etwas verrückter Freund. So wie immer hat er mich hier einfach abgestellt und ist auf und davon. Manchmal frag ich mich wirklich, wie man mit so jemandem überhaupt schon so lange befreundet sein kann, aber dann fallen mir all die guten Seiten ein und ich kann es ihm einfach nicht übelnehmen.“

„Gute Freunde sind sehr schwer zu finden im Leben.“ Er wurde mir immer sympathischer. Er verstand scheinbar auch, worauf es im Leben ankam. Es wurde Zeit für mich zu gehen, bevor diese Unterhaltung noch weiterging und ich ihn noch interessanter fand, als ohnehin schon gut für mich war. Also stand ich langsam auf. Irgendwie war das gar nicht so einfach. Ich merkte, wie ich leicht schwankte. Zuviel Wodka für zu wenig Emilia.

„Willst du jetzt etwa auch schon gehen?“ Seine Augen wirkten fast traurig, als er mich fragte.

„Ja, Elias ist weg und damit der Grund meiner Anwesenheit hier auch. Ich befürchte, meine Mitbewohnerin werde ich hier auch nicht mehr finden. Dann kann ich also auch endlich von dieser furchtbaren Party hier verschwinden… also so furchtbar war es hier mit dir jetzt gar nicht… aber der Rest…also…vielleicht sieht man sich mal wieder. Es war schön, sich mit dir zu unterhalten. Danke, dass du den Abend gerettet hast für mich…“ Was redete ich da eigentlich für wirres Zeug? Das war nicht auszuhalten. Ich schwor mir, Wodka auf die gleiche Liste wie Cocktails zu setzen. Verboten!

„Du willst doch jetzt nicht noch Auto fahren, oder?“ Nein, natürlich nicht, dachte ich. Dazu war ich nicht mehr in der Lage. Das Denken und Laufen waren schon schwer. Kurz ging ich meine Möglichkeiten im Kopf durch. Die beste Lösung war, mir ein Taxi zu rufen, auch wenn es mir schwerfiel, dafür so viel Geld aus dem Fenster zu werfen. Das müsste Elias wieder gut machen, beschloss ich gedanklich. Denn eine andere Option hatte ich hier und heute nicht.

„Komm, ich fahr dich heim. Ich habe nur Cola getrunken.“ Oliver sagte es ohne eine Antwort von mir abzuwarten, als er meine Bedenken bemerkte.

„Das kann ich doch nicht annehmen. Danke ehrlich, das ist total süß von dir, aber ich kann auch laufen oder mir ein Taxi rufen…“ Ich merkte selbst, dass meine Stimme nicht besonders überzeugend klang. Es war einfach, den Weg nach Hause in Gedanken zu planen, aber ich wusste, dass ich in diesem Zustand nicht mehr selbst fahren wollte.

„Mitten in der Nacht? Hier? Auf gar keinen Fall. Komm, ich hol' nur eben meine Jacke, und dann bring' ich dich, okay?“ Oliver sprach ruhig, ohne jeglichen Druck auszuüben, und ich nickte schließlich. Was gefährlicher war, konnte ich nicht wirklich sagen, aber bei Oliver hatte ich einfach nicht das Gefühl, dass ich ihm nicht vertrauen konnte. Langsam stolperte ich hinter ihm her. Gehen konnte plötzlich so kompliziert sein – ein Fuß vor den anderen. Rechts, links. Rechts, links. Ich hatte eindeutig ein Glas zu viel getrunken. Warum hatte ich es nur nicht früher bemerkt?

Oliver passte sich langsam meinen Schritten an, ging voraus und drehte sich immer wieder zu mir um, ein leichtes Lächeln auf den Lippen. Während er sich einen Weg durch die Menschen bahnte, hatte ich das Gefühl, die Musik sei noch lauter und die Tanzfläche noch überfüllter geworden. Schließlich hatten wir es aus der Tür geschafft, die frische Nachtluft strömte mir entgegen.

„Mein Wagen steht gleich da. Schaffst du es noch?“ Oliver fragte mit einem leicht ironischen Unterton, als wäre es eine blöde Frage. Was wollte er tun, wenn ich jetzt „nein“ sagen würde? Mich hier stehen lassen? Mich tragen? Bei dieser Vorstellung musste ich kichern.

„Was ist denn jetzt auf einmal so lustig?“ fragte er, blieb stehen und sah mich an.

„Ach, ich habe mich nur gerade gefragt, was du tun würdest, wenn ich jetzt nein sage! Willst du mich etwa tragen, oder was?“ Ich musste immer noch kichern, als ich ihn anblickte, leicht belustigt von seiner Selbstverständlichkeit.

„Denkst du etwa, das schaffe ich nicht? An dir ist doch nichts dran!“ Oliver grinste und machte eine spöttische Geste, als er die Luft mit einer Hand schnitt.

„Was? Das klingt jetzt aber doch schon ziemlich gemein! Ich bin durchaus kräftig!“ Ich tat beleidigt und schaute auf den Boden, während ich versuchte, das Lachen zu unterdrücken.

„Hey, hey, so war das nun auch wieder nicht gemeint!“ Oliver hob beschwichtigend die Arme, als wolle er sich entschuldigen, bevor er schnell hinzufügte: „Du bist perfekt, so wie du bist… also ich meine…!“ Er wurde rot und verhaspelte sich. Ich konnte nicht anders, als ihn anzusehen und selbst wieder zu lachen. Alkohol und Peinlichkeiten – die perfekte Mischung.

Bevor ich weiter darüber nachdenken konnte, kam Oliver plötzlich auf mich zu, legte einen Arm um meine Schulter, den anderen um meine Knie und hob mich einfach hoch. Mein Herz machte einen Sprung. Das war… nicht gut. Der ganze Abend verlief hier eindeutig nicht nach meinem Plan. Oliver roch so gut, und als er mich hochhob, war ich einfach außer Gefecht gesetzt. Es war wie ein Stromschlag. Was war gerade passiert? Warum ließ ich das zu?

„Siehst du. Es ist kein Problem.“ Seine Stimme war ein leises Flüstern, und ich spürte sogar, wie sein Herz schneller schlug. Wie kam er mir nur so vertraut vor, obwohl ich ihn kaum kannte? Trotzdem fühlte es sich nicht unangenehm an, eher… irgendwie sicher.

Er trug mich bis zu seinem Auto, stellte mich behutsam auf den Boden und ließ mich nicht sofort los. Ich war mir ziemlich sicher, dass er seinen Arm länger als nötig auf meinen Schultern ließ.

„Alles okay, Emilia?“ fragte er, als ich zu lange in seine Augen starrte, während ich versuchte, mich zu fangen.

„Ja! Danke! So sind wir wirklich viel schneller gewesen. Ist das da echt dein Auto?“ Ich versuchte, mich wieder zu fangen, und schaute auf das Auto, das vor uns stand. Ich war nie besonders autoverliebt, aber dieses Auto war so groß, dass es fast schon überdimensioniert wirkte. Ich konnte mir kaum vorstellen, dass es zu Oliver passte.

„Nein, eigentlich habe ich nur die Schlüssel gerade auf der Party mitgehen lassen“, sagte er grinsend, und ich starrte ihn mit großen Augen an. War er wirklich so schräg drauf? Hatte er etwa…

„Nein, das glaubst du doch nicht etwa? Natürlich ist es mein Auto. Ich mag es eben groß und bequem und vor allem sicher!“

Einen Moment lang hatte ich ihm tatsächlich geglaubt. Als hätte er den Schlüssel einfach so mitgenommen. Doch da war etwas an seiner Ausstrahlung, das mich vermuten ließ, dass er nicht der Typ für solche Späße war. Ich schüttelte den Kopf, verdrängte schnell die Gedanken an meinen Exfreund und versuchte, mich auf den Moment zu konzentrieren.

„Warte, ich mach dir eben den Sitz frei. Fall jetzt aber nicht um oder so, in Ordnung? Ich bin sofort wieder bei dir.“

„So betrunken bin ich doch gar nicht…“ Ich rollte mit den Augen und wollte das Gespräch locker halten, aber zu meiner eigenen Überraschung machte Oliver einen Witz über „Kindersitze“ – und ich reagierte mit einem überraschten Lächeln.

„Ein Kindersitz?“ fragte ich, bevor ich das Gefühl hatte, er würde gleich alles aufdecken.

„Vom Sohn meiner Schwester…!“ antwortete er ohne mit der Wimper zu zucken, und ich konnte nicht anders, als ihn fragend anzusehen.

„Okay, ich dachte schon, du hättest ein Kind. Aber so alt bist du doch noch gar nicht, oder? Wie alt bist du eigentlich, Oliver? Hatte ich dich das eigentlich schon gefragt?“ Das Wodka schien langsam die Kontrolle über mich zu übernehmen, aber zumindest brachte es mich dazu, Fragen zu stellen, die ich sonst vielleicht nicht gestellt hätte.

„Komm, steig ein, du zitterst ja. Ist dir so kalt? Ich bin 34, und du hast es mich noch nicht gefragt.“ 34. So alt war er also. Ich hatte ihn für jünger gehalten. Aber wie sah man mit 34 schon aus? Sah ich mit meinen 25 Jahren auch älter aus?

„Alles okay mit dir? Bist du jetzt überrascht, weil ich im Gegensatz zu dir schon ein alter Sack bin?“ fragte er lachend. „Wo wohnst du? Wo darf ich dich hinbringen?“

So viele Fragen für meinen vernebelten Kopf. „Elisenstraße 12“, sagte ich schließlich.

Er nickte und tippte die Adresse in sein Navigationsgerät.

„Ich bin nicht überrascht“, antwortete ich nach einer Weile auf seine andere Frage. „Aber?“ fragte Oliver nach.

„Nein, nichts aber… ich habe mich gerade nur gefragt, ob du auch so aussiehst, aber wie soll man aussehen? Es gibt schließlich keinen Standard dafür, oder?“ Ich versuchte, die Dinge wieder ins rechte Licht zu rücken.

„Nein, den gibt es nicht, da hast du recht… du bist das beste Beispiel dafür.“ Ich sah ihn fragend an.

„Wie meinst du das?“ fragte ich neugierig.

„Naja… versteh mich jetzt bitte nicht falsch, ich kenne dich ja erst seit“, er sah kurz auf seine Uhr. „Knapp drei Stunden. Aber als du vorhin dort am Pool gesessen hast und so nachdenklich geschaut hast, da hast du schon recht erwachsen und älter gewirkt. In unserem Gespräch eher jung und erfrischend und jetzt, wo du vielleicht doch ein bisschen zu viel Wodka getrunken hast…“ Er warf mir einen Blick zu, bevor er wieder auf die Straße sah. „… bist du so verdammt niedlich und unschuldig, was dich noch viel jünger wirken lässt. Also muss ich zugeben: Ich habe keine Ahnung, wie alt du sein könntest.“

Niedlich… großartig, Emilia, du bist also ein Hamster. Ich wollte wirklich nicht über solche Dinge nachdenken. Aber das war es, was er wirklich dachte.

„25. Ich bin 25 und definitiv kein Hamster!“ antwortete ich schnell, als Oliver das Auto endlich parkte.

„Ach, vergiss es,“ fügte ich hastig hinzu, als ich merkte, dass er mich verwirrt ansah.

„Ich glaub, wir sind leider schon da.“ Oliver deutete auf die große, leuchtende Straßennummer.

„Oh ja, das ging jetzt aber wirklich schnell. Danke, Oliver, für die wirklich nette Gesellschaft heute und dass du mich nach Hause gebracht hast, natürlich. Vielleicht sehen wir uns mal wieder. Bis dann.“ Ich wollte aussteigen, doch er hielt mir die Hand hin.

„Hier ist meine Nummer… vielleicht hast du ja Lust und meldest du dich. Dann müssen wir uns nicht zufällig wieder treffen und können zusammen einen Kaffee trinken gehen oder so…Ich steh nämlich nicht so sehr auf Zufälle.“

Ich fühlte mich schlagartig nüchtern, als ich die Nummer in seiner Hand sah. Noch nie hatte mir jemand, den ich kaum kannte, seine Nummer so aufdringlich angeboten. Aber irgendwie schien er anders zu sein als die anderen. Ich nickte ihm zu, stieg aus und machte mich auf den Weg ins Haus, während mein Kopf und meine Gefühle Achterbahn fuhren.

Im Haus angekommen, warf ich schnell die Schuhe ab, verschwand ins Bad und fiel direkt ins Bett. Puh, seine Augen schwirrten immer noch in meinem Kopf. Sollte ich ihm vielleicht direkt schreiben, bevor mich morgen der Mut verließ? Ich durchsuchte meinen Nachttisch nach meinem Handy.

Emilia:„Hi Oliver, ich wollte mich noch einmal für den schönen Abend und das Sichere nach Hause bringen bedanken. Ich würde mich freuen, wenn wir es bald wiederholen würden. Vielleicht an einem schöneren Ort als heute, mit weniger Menschen, schlechter Musik und vor allem mit viel weniger Wodka. LG Emilia“

Ich drückte auf „Senden“, bevor ich auch nur noch einmal überlegen konnte, was ich tat, und legte mein Handy zurück. Die Antwort kam schneller als erwartet.

Oliver:„Süße Emilia, danke für deine Nachricht. Das ist mehr als ich erwartet hatte. Ich fand die Stunden mit dir auch wunderschön. Sowas habe ich noch nie erlebt. Was machst du morgen? LG Oliver“

Blödes Herz, sei still. Was sollte das denn schon wieder? Ich hatte für sowas keine Zeit und eigentlich auch viel zu viel Angst, wenn sich daraus mehr entwickeln würde. Dafür war ich in keine Weise bereit. Trotz allem konnte ich dem Drang nicht widerstehen, ihm zu antworten oder ihn vielleicht sogar wiederzusehen.

Emilia: „Morgen? Lernen, aber vorher muss ich sicher meinen Kater pflegen, denke ich.“

Oliver: „Dann helfe ich dir, ihn zu pflegen. Was hältst du davon? Ich hol’ dich gegen 13 Uhr ab, okay?“

Emilia: „Okay, ich freu mich.“

Oliver: „Ich freu mich auch. Schlaf gut und träum schön.“

Ich legte mein Handy zurück. Mein Gott, was tat ich hier eigentlich? Das war doch sonst nicht meine Art. Ich hatte das Thema Männer doch ein für alle Mal abgehakt. Es passte nicht in mein Leben. In meine Pläne. Männer waren doch nur da, um einen zu verletzen. Diese Erfahrung hatte mir meine Vergangenheit deutlich gemacht. Viel zu groß war meine Angst, jemanden so nah an mich heranzulassen, dass es wieder passieren könnte. Außerdem hatte ich doch keine Zeit morgen oder auch später nicht. Oliver. Ich stellte mir sein Gesicht vor. Ging noch einmal unser Gespräch im Gedanken durch. Er war sehr interessant und auch verdammt süß. Einfach so ganz anders, als die Männer, die ich bisher kannte. Wieder begann mein Herz zu schnell zu schlagen. Ich sollte nicht so fühlen. Es würde doch kein gutes Ende nehmen, aber damit wollte ich mich jetzt einfach nicht mehr beschäftigen. Jetzt wollte ich nur dieses Kribbeln genießen, das durch mich lief, wenn ich an ihn dachte. Mit seinem Geruch in der Nase schlief ich traumlos ein.

Notiz an mich: Nie wieder Alkohol

Pinguine und andere Katastrophen