Nova & Quinton. Second Chance - Jessica Sorensen - E-Book

Nova & Quinton. Second Chance E-Book

Jessica Sorensen

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Beschreibung

Aufwühlend, sexy, romantisch – die neue Serie von Bestsellerautorin Jessica Sorensen

Nova kann ihn einfach nicht vergessen – Quinton Carter, den attraktiven Kerl mit den honigbraunen Augen und den sexy Tattoos. Er ist ihr Seelenverwandter, und der Gedanke an ihn lässt sie nicht los ... Aber wird er ihre Liebe überhaupt zulassen? Oder stößt er sie wieder weg?

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Seitenzahl: 502

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JESSICA SORENSEN

Nova & Quinton

Second Chance

Band 2

Roman

Aus dem Amerikanischen

von Sabine Schilasky

WILHELM HEYNE VERLAG

MÜNCHEN

 

Das Buch

»Im Nachhinein bin ich überzeugt, dass Quinton aus einem bestimmten Grund in mein Leben getreten ist. Es hat nicht unbedingt einen Sinn ergeben, als ich ihn vor fast einem Jahr kennen lernte, aber das tut es jetzt. Und all die Sachen, die ich durchgemacht habe, der Sommer der schlechten Entscheidungen, kann zu etwas Gutem genutzt werden, weil ich nachvollziehen kann, was er durchmacht. Ich habe die Finsternis gesehen, in der Quinton wohl jetzt gerade steckt, und ich weiß, wie es sich anfühlt, wenn man glaubt, darin zu ­ertrinken …«

Die Autorin

Die Bestsellerautorin Jessica Sorensen hat bereits zahlreiche Romane verfasst. Sie lebt mit ihrem Mann und ihren drei Kindern in den Bergen von Wyoming. Wenn sie nicht schreibt, liest sie oder verbringt Zeit mit ihrer Familie.

www.jessicasorensen.com

Lieferbare Titel

Das Geheimnis von Ella und Micha

Für immer Ella und Micha

Die Sache mit Callie und Kayden

Die Liebe von Callie und Kayden

Verführt. Lila und Ethan

Füreinander bestimmt. Violet und Luke

Nova & Quinton. True Love

 

 

Die Originalausgabe erschien unter dem Titel

SAVING QUINTON

Vollständige deutsche Erstausgabe 12/2014

Copyright © 2014 by Jessica Sorensen

Copyright © 2014 der deutschsprachigen Ausgabe

by Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Verlagsgruppe

Random House GmbH

Redaktion: Anita Hirtreiter

Umschlaggestaltung: bürosüd GmbH, München

Satz: Christine Roithner Verlagsservice, Breitenaich

Alle Rechte vorbehalten

ISBN: 978-3-641-14673-3

www.heyne.de

 

Für jeden, der gekämpft und überlebt hat

 

 

1

Quinton

Jeden Morgen wache ich mit dem beruhigenden Gefühl auf, in Dunkelheit zu versinken. Es ist ein herrlich betäubendes Gefühl, frei von Sorge und den Gespenstern meiner verkorksten Vergangenheit, weil ich gar nichts fühlen kann. Wenigstens nicht mehr, wenn ich meine erste Linie gezogen habe. Sobald ich den bittersüßen, wunderbar giftigen Geschmack des weißen Crystal in meiner Nase habe, ist es vorbei, denn er brennt alle meine Emotionen weg. Danach geht es mir über Tage gut. Die Schuld, die ich mit mir herumschleppe, stirbt, und ich langsam mit ihr. Ich bin froh darüber, ich will nämlich tot sein.

Und ich arbeite daran, das zu erreichen, mit einer betäubenden Linie nach der anderen.

Ich kann mich genauso wenig daran erinnern, wann ich das letzte Mal geschlafen habe, wie an den Namen der Frau neben mir im Bett, die ohne ihr Top eingeschlafen ist. Ich habe sie gestern kennengelernt, als sie mit Dylan und Delilah hier aufkreuzte, und irgendwie landeten wir in meinem Zimmer, wo wir bedeutungslosen Sex hatten, bevor sie weggetreten war – von was auch immer. Das ist zu einer ziemlich fiesen Routine geworden, nach der ich süchtig bin. Ein Teil von mir wünscht, ich wäre es nicht, aber ein anderer weiß, dass ich genau das verdiene, was ich habe: nichts.

Nachdem ich die ganze Nacht versucht habe, meine Augen zu schließen, Schlaf zu finden, es allerdings nicht schaffte, steige ich schließlich von der Matratze auf dem Boden. Ich bin schon seit Tagen auf Speed, von dem mir die Augen aus dem Kopf quellen und mein Körper wie mein Verstand angespannt und erledigt vom Energieüberschuss sind, und doch will ich wach bleiben. Wenn ich nicht sofort mehr bekomme, breche ich zusammen.

Ich greife mir eine Jeans vom rissigen Linoleumboden und ziehe sie an. Mein Zimmer ist ungefähr so groß wie ein Wandschrank, und drinnen sind eine verwanzte Matratze, ein Karton mit Kram, den ich nicht mehr ansehe, eine Lampe, ein Spiegel und eine Rasierklinge. Ich hebe den Spiegel, die Klinge und die leere Plastiktüte daneben auf. Anscheinend habe ich letzte Nacht den Rest verbraucht, auch wenn ich mich daran nicht erinnern kann. Überhaupt erinnere ich mich neuerdings ganz schlecht an Sachen. Die Tage und die Nächte verschwimmen zu wirren Bildfetzen, die schnell verblassen.

»Scheiße«, murmle ich, wische mit dem Finger über die trockene Spiegeloberfläche und lecke ihn ab, um noch den letzten Krümel mitzubekommen. Das hilft nicht gegen die gierige Bestie in mir, die gleich wach wird und mir von innen die Haut zerfetzt, wenn ich sie nicht füttere. Ich werfe den Spiegel durchs Zimmer und beobachte, wie er an der Wand zerschmettert. »Verdammt!« Dann schnappe ich mir ein T-Shirt vom Boden und streife es über, während ich schon durch den schmalen Flur eile und über einige Weggetretene auf dem Boden stolpere. Von denen kenne ich keinen, aber sie scheinen dauernd hier abzuhängen.

Als ich die Tür am Ende des Flurs erreiche, das Zimmer von meinem Cousin Tristan, drehe ich an dem Knauf. Es ist abgeschlossen, deshalb hämmere ich mit der Faust gegen die Tür. »Tristan, mach die Scheißtür auf! Ich muss rein. Sofort!«

Keine Reaktion, also donnere ich noch fester gegen die Tür, ramme meine Schulter dagegen. Beim dritten Mal fange ich an zu zittern … beim fünften Mal setzt das Sabbern ein … beim siebten Mal bin ich so weit, dass ich jemanden umbringen will, wenn ich nicht umgehend meine Dosis kriege.

Schließlich gibt die Tür unter meinem heftigen Rammen ein bisschen nach, geht aber nicht richtig auf. Der Drang, das irrationale und labile Monster in mir zu füttern, wird zu viel, und ich trete immer wieder gegen die Tür, so fest ich kann. Ich gerate in Panik, als mir eine Flut von Bildern all jener durch den Kopf rauscht, die ich verloren habe: Lexi, Ryder, meine Mom, die ich nie kennengelernt habe. Sie alle krachen mir in die Brust, rauben mir die Luft. Dann, am Ende der Bilderkette, sehe ich Novas Augen, die auf den ersten Blick blau wirken, aber wenn man genauer hinsieht, ist da auch Grün in ihnen versteckt. Ich weiß nicht, warum ich sie sehe. Es ist ja nicht so, als hätte ich sie verloren. Sie lebt noch, ist irgendwo da draußen in der Welt und hoffentlich glücklich. Doch aus irgendeinem Grund kann ich nicht aufhören, an sie zu denken, obwohl ich sie kaum kenne. Ich habe nur im letzten Sommer ein paar Monate mit ihr verbracht, in denen sie für kurze Zeit in die Drogenwelt abstürzte. Trotzdem bekomme ich sie nicht aus dem Kopf, zumindest nicht, bis ich meine Dosis künstliches Glück habe. Dann denke ich einzig daran, wo ich mit meiner Energie bleibe. Könnte ich doch diese verdammte Tür aufbekommen …

Bei meinem letzten Tritt splittert die Türkante, und endlich ist die Tür offen. Ich torkele ins Zimmer, schwitzend und schlotternd wie ein tollwütiger Köter. Tristan liegt völlig ausgeschaltet auf der Matratze, ein Mädchen neben sich, dessen Arm über seiner Brust liegt. Auf dem Boden neben der Matratze sind ein Löffel und eine Spritze, aber auf die stürze ich mich nicht. Das ist nicht mein Ding, nicht das, was ich will. Nein, was ich will, ist in der obersten Schublade seiner Kommode.

Ich renne hin, kicke Tristans Klamotten aus dem Weg, während mich die Erinnerungen an alle Ver­lorenen einkreisen, mir auf den Schädel einschlagen und mir das Gefühl geben, ich würde untergehen. Lexi, die am Straßenrand stirbt, durchnässt von ihrem Blut, und ich neben ihr mit ihrem Blut an meinen Händen; das Leben, das ich nie mit meiner Mutter hatte; der unerträgliche Blick in Tristans Augen, wenn er von seiner Schwester, Ryder, spricht. Und Nova in diesem verfluchten Teich, wo ich sie allein zurückließ, damit sie sich die Augen aus dem Kopf heulte, weil sie einem Stück Scheiße wie mir ihr erstes Mal schenken wollte. Dann sehe ich ihr Gesicht bei dem Open Air, als sie mich beim Dealen entdeckte, und als sie im Trailerpark in ihren Wagen stieg, um mich für immer zu verlassen. Da habe ich sie zuletzt gesehen.

So sollte es sein. Sie muss von mir und diesem Dreck wegbleiben, der ein Leben sein soll, weil ich viel zu feige bin, um richtig aufzugeben, zu sterben, endlich den letzten Schritt zu machen und mein Leben schlagartig zu beenden, statt es auf diese zähe, langsame Weise zu tun. Bis ich meinen Körper am Ende mit so vielen Drogen vollgepumpt habe, dass mein Herz zu schlagen aufhört und ich vollständig in die Dunkelheit abgleite, wo mich niemand mehr retten kann.

Ich reiße die Kommodenschublade auf, greife nach der Plastiktüte und öffne sie zittrig. Die Mühe, nach einem Spiegel zu suchen, spare ich mir. Ich brauche das Zeug jetzt. Also schütte ich eine Linie auf die Kommode und nehme Tristans Führerschein, um die kleinen Kristalle zu zerhacken. Mein Herzschlag ist ohrenbetäubend, und ich wünschte, es würde endlich aufhören, weil mein Herz verdammt noch mal gar kein Geräusch machen soll. Es soll still sein. Stumm. Inexistent.

Tot.

Ich schnappe mir einen Kuli, schraube ihn auseinander und beuge mich nach unten, um die Linie durch die Nase aufzusaugen, sodass das weiße Pulver meinen Rachen füllt. Nun wird mein Herz noch schneller, aber irgendwie auch ruhiger – wie alles um mich herum. Das Zeug strömt durch meine Adern, meinen Körper, mein Herz, meinen Verstand und meine Seele, wo es sofort jeden Gedanken an Lexi, Ryder, meine Mom und Nova auslöscht.

Es tötet alles.

Ich gehe wieder in mein Zimmer, kann endlich wieder atmen, und mein Denken entgleitet an diesen seltsam harmonischen Ort, an dem alles egal ist – die Vergangenheit, die Zukunft, die Gegenwart. Ich ­hocke mich auf die Matratze und schiebe die Frau dichter zur Wand, weil ich Platz brauche. Dann nehme ich meinen Skizzenblock und schlage die Zeichnung auf, an der ich seit Wochen arbeite. Es ist ein Bild von Nova, bei dessen Anblick ich mich eigentlich mies fühlen müsste, aber das tue ich nicht. Es sind ja bloß Striche und Schattierungen. Gedanken, die mir nicht mal bewusst sind, fließen aus meiner Hand auf das Blatt. Das ist Kunst und bedeutet nichts, so wie alles andere in mir. Und als ich fertig bin, packe ich es beiseite und vergesse es, so wie ich es mit allem mache. Dann lege ich mich hin, schlinge die Arme um meinen Oberkörper und lasse mein Denken abschweifen, wohin es will …

»Hörst du mich?«, flüstert mir Lexi leise ins Ohr. »Quin­ton, mach die Augen auf.«

Ich schüttle den Kopf, lächle vor mich hin, lasse meine Augen aber geschlossen. »Kommt nicht infrage. Du musst mich wecken, wenn du willst, dass ich die Augen aufmache.«

»Du bist wach, du Knalltüte«, sagt sie, und dann fühle ich ihre Finger an meiner Seite. »Komm schon, sonst kommen wir zu spät zur Party.«

»Meinetwegen.« Ich lasse die Augen zu. »Ich will da sowieso nicht hin.«

»Klar, weil du ein Lahmarsch bist«, sagt sie. Im nächs­ten Moment fühle ich, wie sie ihre Haltung verändert. Sie schwingt ein Bein über mich und setzt sich rittlings auf mich. »Komm schon, alter Mann. Lass uns ausgehen und Spaß haben.«

Ich lege die Hände an ihre Hüften und halte sie fest. Mir geht es so viel besser, nur weil sie hier bei mir in meinem Zimmer ist. Das Haus kommt mir weniger leer vor, und es ist leichter, mit der Einsilbigkeit meines Dads fertigzuwerden, wenn Lexi hier ist, denn sie liebt mich.

Sie atmet mir auf die Wange, will mich dazu bringen, dass ich die Augen öffne, und letztlich gebe ich nach. Ich muss lächeln, als ich sie sehe. Sie ist über mich gebeugt, sodass ihre Haare einen Vorhang um unsere Gesichter bilden. Ihre Lippen sind Zentimeter von meinen entfernt, ihre Augen leuchten, und sie riecht nach einer Mischung aus Parfüm und Zigarettenrauch. Anfangs hat mich dieser Geruch gestört, aber inzwischen mag ich ihn, weil er zu ihr gehört.

»Können wir nicht einfach hierbleiben?«, frage ich und streiche ihr eine Haarsträhne hinters Ohr.

Sie zieht einen Schmollmund. »In ein paar Wochen ist die Highschool vorbei, und ich will mich heute Abend amüsieren. Jetzt mach dich mal locker.« Sie steigt von mir, und mir wird ein bisschen kälter. »Außerdem habe ich Ryder gesagt, dass wir heute Abend weggehen.«

Ich stöhne. »Das heißt also, dass ich den ganzen Abend zugucken darf, wie ihr zwei euch betrinkt, während ich nüchtern bleibe, weil ich ja fahre.«

Ihre Mundwinkel biegen sich zu einem zufriedenen Lächeln. »Ja, weil du so vernünftig bist und tatsächlich nichts trinkst, wenn du fährst.«

»Und was ist, wenn ich das heute Abend nicht will? Was ist, wenn ich auch Spaß haben will?«

Sie setzt sich auf und lächelt immer noch, da ihr klar ist, dass sie sich mal wieder durchgesetzt hat, auch wenn ich noch widerspreche. »Du weißt genauso gut wie ich, dass du dich nicht betrinken würdest, nicht mal, wenn du wolltest.«

»Bloß weil ich mir dann Sorgen um dich mache«, antworte ich. »Du wirst immer so verrückt, wenn du betrunken bist.«

»Nicht verrückt, sondern witzig«, widerspricht sie. »Kannst du jetzt bitte aufstehen und dich umziehen, damit wir loskönnen? Ryder wartet im Wohnzimmer auf uns.«

Ich zögere, bevor ich seufze: »Na gut, aber ich mache das nur, um auf dich aufzupassen.«

Grinsend gibt sie mir einen Kuss. »Danke. Du sorgst so gut für mich!«

»Weil ich dich liebe«, sage ich, als sie vom Bett hüpft, während ich mich aufsetze und die Arme nach oben strecke.

Immer noch grinsend, hebt sie meine Jeans auf und wirft sie mir zu. »Wenn du mich wirklich liebst, dann beeil dich und zieh dich an.«

Dann geht sie aus meinem Zimmer, ohne zu erwidern, dass sie mich auch liebt.

Aber ich weiß ja, dass sie mich genauso liebt wie ich sie. Deshalb stehe ich auf und ziehe mich an, wie sie es will. Anschließend gehe ich raus, nicht weil ich möchte, sondern weil ich sie über alles liebe.

Sie bedeutet mir alles. Das wird sie immer. Bis ans Ende meines Lebens.

10. Mai, sechs Tage vor den Sommerferien

Nova

Ich erinnere mich noch, dass sich früher alles so einfach anfühlte. Das Leben schien voller Lachen und Tanzen, Süßigkeiten und Kostümen, so voller Glück und Licht. Ich kannte nichts Dunkles. Bis ich zwölf war und begriff, dass nicht alles eitel Sonnenschein ist. Die Erinnerung ist noch so gegenwärtig wie der blaue Himmel.

»Wetten, ich bin als Erster unten«, sagt mein Dad und tritt lachend in die Pedale, um den Hügel hinunterzurauschen.

Ich grinse und trete schneller. Mein Rad ist brandneu, lila und silbern mit Streifen an den Pedalen, die das Sonnenlicht spiegeln. Die Reifen knirschen im Sand, als sie sich immer weiter drehen, und ich halte den Lenker ganz fest, als ich den Hügel hinunterflitze und versuche, das Rennen zu gewinnen. Wobei es eigentlich egal ist, wer gewinnt, denn es macht einfach Spaß, mit meinem Vater Rad zu fahren.

Er ist weit vor mir, als wir zwischen den Bäumen nach unten sausen, über uns der blaue Himmel, und die Luft riecht nach Erde und Laub. Mich würde nicht mal wundern, wenn er kurz vorm Schluss langsamer wird und mich gewinnen lässt. So etwas macht er immer. Er tut dann, als wäre irgendwas, sodass es wie zufällig aussieht.

Deshalb denke ich: AHA!, als er um die Kurve fährt und ich höre, wie er bremst. Ich trete schneller, lenke mein Rad um Steine herum und werde ein bisschen langsamer, als ich die Kurve erreiche. Ich grinse, bin ganz aufgeregt vom Rennen, aber sowie ich ganz um die Biegung bin, verschwindet alles Glückliche.

Das Rad von meinem Dad liegt umgekippt mitten auf dem Weg, und die Reifen drehen sich noch. Er liegt daneben auf dem Rücken. Für einen kurzen Moment denke ich, dass er nur spielt und es ein wenig zu weit damit treibt, mich gewinnen zu lassen. Aber dann bemerke ich, dass er sich stöhnend an die Brust greift.

Ich bremse, halte an, weil ich Angst bekomme, dass er wirklich gestürzt ist und sich verletzt hat. Hastig springe ich von meinem Fahrrad und lasse es einfach fallen, bevor ich zu ihm laufe und mich neben ihn knie. Das Erste, was mir auffällt, ist seine bleiche Haut, weiß wie frisch gepflückte Baumwolle. Dann sehe ich die Furcht in seinen Augen, sein blankes Entsetzen, dass etwas Schreck­liches passieren wird.

»Nova … hol Hilfe …« Seine Stimme zittert.

Mir kommen die Tränen. »Dad, was ist denn?«

»Hol jemanden …«, stöhnt er wieder und hält seinen Arm.

So wie er mich ansieht, laufe ich sofort zu meinem Rad, steige auf und fahre zurück den Hügel hinauf. Er ist sehr steil, und es dauert normalerweise ewig, ihn raufzukommen, aber irgendwie sind meine Beine stärker als sonst, bewegen sich schneller denn je. Oben sehe ich mich auf dem Parkplatz um. Eine Familie sitzt an einem der Picknicktische, und ich laufe hin. Mein Rad lasse ich am Weg.

»Mein Dad!«, keuche ich, muss mich vorbeugen und die Hände auf die Knie stemmen. »Er ist da hinten gestürzt und hat sich verletzt.«

Der Vater der Familie steht auf und sagt seiner Frau, sie soll einen Krankenwagen rufen. Dann sagt er zu mir, dass ich ihn zu meinem Dad bringen soll. Wir laufen zu Fuß den Hügel hinunter. Ich glaube fest, dass alles wieder gut wird. Ich habe ja Hilfe geholt, alles richtig gemacht, also wird auch alles gut. Doch als wir bei meinem Dad sind, bewegt er sich nicht, atmet nicht. Der Mann fühlt nach seinem Puls, aber er hat keinen.

Ich weiß nicht, was ich tun soll. Ich will weinen, der Mann sieht mich allerdings so mitleidig an, und ich will nicht weinen, sondern ihm zeigen, dass er sich irrt, weil doch alles wieder gut wird.

In den letzten vierundzwanzig Stunden habe ich viel über den Tod meines Dads nachgedacht, seit ich das von Quintons Vergangenheit erfahren habe. Ich schätze, es liegt daran, dass Lea mich genauso ansieht wie der Mann, nachdem er feststellte, dass mein Dad keinen Puls mehr hatte. Als würde ich ihr leidtun, weil ich Quinton finden will, denn ich weiß nicht, wo er wohnt, und ich möchte ihm helfen. Sie denkt nicht, dass ich das kann, doch sie irrt sich – das muss sie.

Jedenfalls sage ich das zu meiner Kamera, während ich aufnehme. »Ich sage mir immer wieder, dass die Möglichkeit besteht, Quinton könnte noch leben, und es deshalb noch Hoffnung gibt«, erzähle ich meinem Kamerahandy, bei dem oben in der Ecke des Displays das rote Aufnahmelicht blinkt. »Diese Hoffnung ist erst weg, wenn jemand keinen Herzschlag mehr hat, wenn er seinen letzten Atemzug gemacht hat und nicht mehr zurückkommt.« Ich liege auf dem Sofa im Wohnzimmer meines Apartments, die Füße auf der Rückenlehne und den Kopf über der Kante vorn, sodass mein Haar auf den Boden hängt. Mein Handy nimmt aus einem Winkel auf, aus dem es wirkt, als würde ich fallen. Genau weiß ich nicht, wie lange ich schon in dieser Stellung bin, aber ich fühle, wie sich das Blut in meinem Kopf staut.

Mit dem Filmen habe ich angefangen, weil ich mich schlicht für Filme interessiere, aber auch, weil ich nur auf diese Art die Gedanken herausbringe. Und ein kleiner Teil von mir macht es, damit ich mich meinem toten Freund Landon verbunden fühle, denn er nahm ein Video von sich auf, bevor er Selbstmord beging.

Weil ich ihn aus meinem Leben fallen ließ, genau wie Quinton.

Ich blinzle in die Kamera und ermahne mich, nicht dahin abzuschweifen, sondern optimistisch zu bleiben. »Die Hoffnung treibt mich an, weiter nach Quinton zu suchen, und macht mich entschlossen, ihn zu finden und ihm zu helfen. Obwohl ich weiß, dass das, was mich erwartet, hart wird und wahrscheinlich schmerzliche Erinnerungen an Dinge weckt, die ich getan habe. Doch mir ist klar, dass ich es muss. Im Nachhinein bin ich überzeugt, dass Quinton aus einem bestimmten Grund in mein Leben getreten ist. Es hat nicht unbedingt einen Sinn ergeben, als ich ihn vor fast einem Jahr kennenlernte, aber das tut es jetzt. Und all die Sachen, die ich durchgemacht habe, der Sommer der schlechten Entscheidungen, kann zu ­etwas Gutem genutzt werden, weil ich nachvollziehen kann, was er durchmacht. Ich habe die Finsternis gesehen, in der Quinton wohl jetzt gerade steckt, und ich weiß, wie es sich anfühlt, wenn man glaubt, darin zu ertrinken …« Ich verstumme, als alles wieder zurückkehrt, bleischwer und unerwünscht, doch ich atme tief durch und befreie mich von der Anspannung.

»Obwohl ich sicher bin, dass sehr viel mehr dahintersteckt, als ich ahne. Und das nicht bloß, weil er viel weiter in die Drogenwelt abgesunken ist als ich – auf Crystal Meth … Und wie ich im Internet gelesen habe, macht das viel süchtiger als irgendwas, das ich je genommen habe. Andererseits gibt es so vieles, was man als Sucht bezeichnen könnte …« Wieder ver­lieren sich meine Worte, und ich schließe die Augen. »Sucht ist die reinste Hölle – das schwöre ich. Ob es Drogen sind oder zwanghaftes Zählen, was ich immer noch ab und zu mache. Es kann so beruhigend sein, so friedlich. Man hat dann das Gefühl, alles unter Kontrolle zu haben, dabei ist es bloß eine Maske, mehr nicht, und was hinter der Maske ist – was wir verstecken wollen –, wächst weiter, ernährt sich von der Sucht …«

»Nova, komm mal schnell!«, ruft Lea, die seit einem Jahr meine beste Freundin und Mitbewohnerin ist, aus meinem Zimmer. »Ich glaube, ich habe was gefunden.«

Ich öffne die Augen und starre mein Bild auf dem Display an. Wie anders ich aussehe als letzten Sommer, als ich von mehreren Sachen abhängig war, einschließlich konsequenten Selbstbetrugs. »Ich mache später hier weiter«, sage ich zu meinem Kamera­handy, schalte es ab und richte mich auf.

Blut rauscht aus meinem Kopf, und mir wird schwindlig, sodass sich das fast leere Zimmer um mich herum dreht. Auf dem Weg zu meinem Zimmer muss ich mich an der Wand abstützen.

»Was hast du gefunden?«, frage ich Lea, als ich durch die Tür getorkelt komme.

Sie sitzt inmitten unserer Kartons mit dem Computer auf dem Schoß auf dem Boden, den Rücken an die Wand gelehnt und die Beine ausgestreckt. »Einen alten Zeitungsartikel, in dem steht, dass Quinton Carter in einen tödlichen Autounfall in Seattle verwickelt war.«

Für einen Augenblick stockt mir der Atem. »Was steht da?«, flüstere ich, fürchte mich aber vor der Wahrheit. Sie überfliegt den Artikel auf dem Bildschirm. »Hier steht, dass er einer der Fahrer war und dass zwei Leute in dem Wagen, den er gefahren ist, beim Eintreffen der Rettungskräfte tot waren.« Sie macht eine Pause und holt Luft. »Und hier steht, dass er ebenfalls keine Vitalfunktionen mehr hatte, die Sanitäter ihn aber wiederbeleben konnten.«

Ich schlucke angestrengt, kann nicht mehr leugnen, sondern muss mir die Wahrheit eingestehen. So viel Zeit habe ich mit Quinton verbracht und hatte keine Ahnung von den dunklen Geheimnissen, die ihn zerfraßen. »Bist du sicher, dass das da steht?«, frage ich, weil ich irgendwie doch alles leugnen will. Ich möchte mich an die Vorstellung klammern, dass Quinton aus purer Langeweile Drogen einwirft. Das wäre so viel einfacher. Na ja, nicht einfach, aber dann müsste ich ihm bloß gegen die Sucht helfen anstatt mit dem, was sich hinter ihr verbirgt. Einfach ist gar nichts, erst recht nicht das Leben. Meines ist es nicht; Landons war es nicht; Quintons ist es nicht; Leas ist es nicht. So viele Geschichten, die einem das Herz brechen, und ich wünschte, ich könnte sie alle dokumentieren.

Lea blickt mitfühlend zu mir auf. »Tut mir leid, Nova.«

Ich kämpfe gegen den Drang, die Risse an der Decke zu zählen, als ich auf die Matratze sinke und mich frage, was ich tun soll. Geplant war, dass ich aus der Wohnung ausziehe, über die Sommerferien nach Hause zurückfahre und drei Monate in Maple Grove verbringe, wo ich herkomme, bevor ich wieder nach Idaho ans College zurückkehre. Und ich bin grundsätzlich sehr dafür, mich an meine Pläne zu halten, denn Ungewissheit macht mich nervös. Ich habe mir angewöhnt, genaue Pläne zu machen, weil es mir hilft, meine Angst zu bändigen.

Und für diesen Sommer hatte ich Pläne: Zeit mit meiner Mom verbringen, mit Lea Musik machen, wenn sie einige Wochen zu Besuch kommt, und an meinem Dokumentarfilm arbeiten – vielleicht sogar eine bessere Kameraausrüstung kaufen. Aber während ich verdaue, was ich eben über Quinton erfahren habe, beginne ich, mich zu fragen, ob ich einen neuen Plan machen muss. Im Grunde hätte ich mir den schon vor neun Monaten zurechtlegen sollen, nur war ich damals nicht in der richtigen Verfassung.

»Hier steht auch, dass er zu schnell gefahren ist.« Lea rückt den Laptop zurück, damit das Licht nicht direkt auf den Bildschirm fällt. »Wenigstens schreiben sie das in dem Artikel.«

»Steht da, dass es seine Schuld war?« Meine Stimme klingt zittrig. Ich winkle einen Arm über meiner Stirn an, sodass ich für einen Moment das Lederband an meinem Handgelenk sehe, unter dem sich die Narbe und das Tattoo befinden. Das Tattoo ließ ich mir vor einigen Monaten stechen, als Lea vorschlug, dass wir uns jede eines machen lassen, das für etwas Wichtiges in unserem Leben steht. Ich fand die Idee klasse und beschloss, mir die Worte »niemals vergessen« stechen zu lassen, die mich daran erinnern sollen, wie ich in eine Abwärtsspirale stürzte. Jetzt stehen sie direkt unter der Narbe an meinem Handgelenk, jener Narbe, die ich mir selbst zugefügt hatte, denn ich will nie vergessen, wie finster alles werden kann und wie ich mich da rausgezogen habe.

Lea neigt sich näher zum Bildschirm, und ihr langes schwarzes Haar fällt ihr ins Gesicht. »Nein … hier steht, dass beide Fahrer schuld waren … dass Quinton zu schnell war, aber dieser andere Wagen kam ihm entgegen und nahm die Kurve zu eng, sodass er auf die Gegenfahrbahn kam … Es war ein Frontalzusammenstoß, und einige von ihnen waren nicht angeschnallt.«

»Schreiben sie etwas, ob eine der beiden anderen im Wagen Quintons Freundin oder eine Verwandte war?« Trauer bohrt sich in mein Herz.

Lea liest kurz. »Hier steht nur, dass sie Lexi Davis und Ryder Morganson hießen, aber nicht, was für eine Beziehung sie zu Quinton hatten.«

»Morganson.« Mein Verstand sträubt sich gegen die schmerzliche Realität, und ich stütze mich auf einen Ellbogen auf. »So heißt Tristan mit Nach­namen … o mein Gott … Ryder muss Tristans Schwester sein!« Einzelne Teile fügen sich zusammen, doch es ist, als wäre lediglich der Puzzlerahmen da, während die Mittelstücke noch fehlen, sodass es immer noch unvollständig ist und keinen Sinn ergibt. »Ich verstehe das nicht. Wieso sollte Tristan ihn danach bei sich wohnen lassen?«

»Vielleicht ist er ein nachsichtiger Typ«, sagt Lea achselzuckend, und als ich sie fragend ansehe, ergänzt sie: »Hey, manche Leute sind so. Die können vergeben und vergessen, und wenn man die ganze Zeit high ist … na ja, dann dürfte es richtig leicht sein zu vergessen. Aber ich weiß natürlich nicht, ob das stimmt oder nicht. Ist bloß geraten.«

»Es stimmt«, gestehe ich, denn ich weiß es, seit ich einige Monate lang in Trailerparks und auf Open-Air-Wiesen unterwegs war und mich selbst in der Welt der Drogen und Desorientiertheit bewegte, allerdings ohne mich ganz und gar auf sie einzulassen. »Und wenn ich darüber nachdenke, war zwischen den beiden tatsächlich so eine Spannung … Gott, ich fasse nicht, dass ich keine Ahnung hatte! Ich habe so viel Zeit mit ihm verbracht und nichts gewusst.«

Lea dreht eine schwarze Strähne ihres Haars mit dem Finger auf. »Na, ich würde sagen, gerade wir beide wissen, dass man hundert Jahre mit jemandem verbringen kann und nie erfährt, was der andere ­einen nicht wissen lassen will.«

»Ja, du hast recht.« Ich kannte Landon jahrelang, und obwohl ich wusste, dass er traurig war, habe ich nie verstanden, warum. Als er starb, war ich sogar noch verwirrter – bin es bis heute. Lea kannte ihren Dad zwölf Jahre lang, und dann nahm er sich das Leben. Sie erzählte mir, dass er immer zufrieden wirkte, nicht direkt ekstatisch vor Lebensfreude oder so, aber sie hätte nie gedacht, dass er das tun würde. Eine Menge Leute denken nicht, dass jemand, den sie lieben, sein Leben beendet.

Lea liest noch eine Weile auf dem Bildschirm, während ich mein Haar seitlich flechte und versuche, nicht daran zu denken, wo Quinton überall sein könnte, wie viel Schaden er seinem Körper und seinem Verstand schon zugefügt hat. Und dennoch bekomme ich es nicht aus dem Kopf. Ich merke, wie ich selbst an jenen Ort abdrifte, an dem ich keine Kontrolle habe, genau wie es mir bei meinem Dad und Landon gegangen ist. Alles passiert einfach, und ich bin hier und kann nichts tun, um es aufzuhalten.

»Bitte verrate mir, warum du so traurig bist«, flüstere ich, als ich zusehe, wie Landon in seinem Skizzenblock blättert, weil er unbedingt eine bestimmte Zeichnung finden will.

Er schüttelt den Kopf, neigt ihn zur Seite und betrachtet eine Zeichnung. »Ich bin nicht traurig, Nova, also hör auf zu fragen.«

Ich ziehe die Knie an und lehne mich an die Wand. »Aber du siehst traurig aus.«

Er sieht zu mir, und die Angst in seinem Blick macht mir das Atmen schwer. »Nova, im Ernst, es ist alles okay. Ich muss nur ein paar Sachen auf die Reihe kriegen … für dieses Projekt, an dem ich arbeite.« Grob blättert er noch einige Seiten weiter.

Ich seufze, stehe auf und gehe hinüber, um mich neben ihm auf das Bett zu setzen. Ich kann den beißenden Geruch von Gras riechen, und seine Augen sind ein bisschen rot. »Übrigens kannst du immer mit mir reden, wenn du mal einen schlechten Tag hast oder so.« Ich möchte ihn berühren, traue mich aber nicht. Ich habe Angst, dass er wütend wird und mich wegschickt. Und ich habe Angst, dass er zusammenbricht und weint, mir erzählt, was los ist, und es etwas richtig Übles ist.

Er blättert mit einer Hand und fährt sich mit der anderen durch sein pechschwarzes Haar. Als er schließlich wieder zu mir sieht, wirken seine honigbraunen Augen nicht mehr ängstlich, sondern verärgert. »Macht es dir etwas aus, mich ein bisschen allein zu lassen?«

»Soll ich gehen?«, frage ich gekränkt.

Er nickt, und ich bemerke, dass er zu der Wasserpfeife auf seinem Schreibtisch sieht. »Nur ein bisschen … Ich rufe dich an, wenn du wiederkommen kannst.«

Ich will nicht gehen, will aber auch nicht mit ihm streiten, deshalb stehe ich auf und gehe nach Hause. Dabei fühle ich mich, als hätte ich alles falsch gemacht.

Ich habe das Gefühl, dass ich ihn nicht hätte verlassen dürfen.

»Weißt du was?«, unterbricht Lea meine Gedanken, klappt den Laptop zu und steht auf. Sie trägt ein eingerissenes schwarzes T-Shirt und abgeschnittene Jeans. Als sie sich den verschmierten Eyeliner unter den Augen wegreibt, sehe ich das Tattoo an ihrem Handgelenk: Lebe ohne Reue. Das hatte sie sich stechen lassen, und es ist mehr oder minder ihr Lebensmotto, jedenfalls hat sie mir das erzählt. »Ich finde, du solltest dein Abschlussprojekt beim Filmkurs einreichen.«

Ich sichere meinen Zopf mit dem Haargummi, das ich am Handgelenk habe, und setze mich auf dem Bett auf. »Lea, ich muss herausfinden, wo er ist … Ich muss mit ihm reden und sehen, ob er okay ist.« Dann stehe ich auf und zupfe meine Shorts unten zurecht. »Außerdem habe ich kein Abschlussprojekt, das ich einreichen kann.«

Sie stemmt die Hände in die Hüften und sieht mich streng an. »Das stimmt nicht. Du hast ein schönes Projekt, nur eben ohne den Quinton-Clip drin.«

Ich zögere, denn ich bin nicht sicher, dass ich das Video ohne die Aufnahme von Quinton abgeben will. Es ist die aus dem letzten Sommer, als er mir in kodierter Form etwas von seinem Leben erzählt hatte. Die Szene ist so ungeschliffen und emotional, wie es von meinem Abschlussprojekt erwartet wird, und das Band fühlt sich ohne sie unvollständig an. Nur erlaubt mein Professor nicht, dass ich sie ohne die von Quinton unterschriebene Einwilligungserklärung verwende. »Aber … es ist …«

»Nichts aber.« Sie kommt zu mir und scheucht mich aus dem Zimmer. »Reich das ein, was du hast, damit du nicht durchfällst, und dann besorg Kaffee, denn ich weiß, dass du letzte Nacht nicht geschlafen hast, und du siehst echt müde aus.«

»Aber was ist mit Quinton?« Über neun Monate habe ich ihn nicht mehr gesehen, weshalb meine ­Panik, weil ich noch einige Stunden länger warten muss, bevor ich ihn suche, absurd anmutet. Doch seit ich von Delilah von dem Unfall erfuhr und dass er Crystal Meth nimmt, will ich ihn dringend finden.

»Ich sehe nach, was ich noch über ihn rausbekomme und ob ich ihn aufspüren kann«, verspricht Lea und schiebt mich weiter aus dem Zimmer. »Und lass mir die Nummer von dieser Delilah hier. Vielleicht verrät sie mir ja, wo die jetzt alle wohnen.«

»Gut.« Ich trotte aus dem Zimmer und in den offenen Küchen- und Wohnbereich. Dort nehme ich meinen Laptop und meine Tasche vom Sofa. Neben Frust empfinde ich noch tausend andere Sachen: Trauer, Schuld, Schmerz, Hoffnungslosigkeit. Trotzdem fühle ich dank Lea auch ein bisschen Zuversicht, also drehe ich mich um und umarme sie. ­»Danke, dass du so eine tolle Freundin bist.«

»Kein Problem«, sagt sie und drückt mich.

Es ist ein merkwürdiger, zugleich sehr realer, stiller Moment, bevor wir uns voneinander lösen. Ich habe Tränen in den Augen, als ich aus der Wohnung in den strahlenden Sonnenschein trete. Sicher geht Lea wieder an den Computer und sucht nach mehr Informationen, die mich hoffentlich zu Quinton führen. Dennoch tut es mir weh, nicht zu wissen, wo er ist.

Es ist ein komisches Gefühl, und ich kenne dieses quälende Sehnen nach jemandem bisher einzig in Bezug auf Landon. Doch ich vergleiche Quinton nicht mit ihm. Ich weigere mich, das wieder zu tun. Landon war Landon, ein wunderschöner Künstler, dem das Gewicht der Welt auf den Schultern lastete und der auf eine Weise litt, die ich nicht verstehen konnte. Ich würde es gern, werde es aber wohl nie. Und Quinton ist Quinton, ein schöner Künstler, den schwere Schuld belastet, der mich selbst in seiner dunkelsten Zeit zum Lächeln brachte, als es niemand sonst konnte, und der mir eine dunkle Welt zeigte, die mich antrieb, wieder Licht sehen zu wollen.

Ich wünsche mir, dass auch er wieder das Licht sieht. Dazu muss ich ihn bloß finden.

 

2

Nova

Nachdem ich mein Projekt bei dem Professor abgegeben habe, hole ich mir einen Kaffee am Stand auf dem Campus, dann hetze ich zurück nach Hause. Unser Apartment ist ungefähr eine halbe Meile entfernt, weshalb ich selten mit dem alten 1967er Chevy Nova von meinem Dad zur Uni fahre. Zudem ist es ein warmer Tag, und die Sonne scheint auf mich herab, als ich mit meiner Tasche über der Schulter und einem Laptop unterm Arm den Gehweg entlangeile. Irgendwie kommt es mir wie ein Scheitern vor, die Doku ohne Quintons Clip abgegeben zu haben. Aber ich bemühe mich, es zu verdrängen und mich stattdessen auf die Tatsache zu konzentrieren, dass ich wenigstens nicht durch den Kurs rausche. Außerdem bleibt mir ja noch das nächste Jahr, und vielleicht habe ich bis dahin zumindest mit Quinton gesprochen. Ich hoffe sehr, dass wir noch miteinander reden können. Und ich hoffe auf die Chance, viele Aufnahmen mit ihm zu machen, die ich zu meiner »Nova-Doku«, wie er sie nennt, hinzufügen kann.

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