Nüchtern betrachtet war's betrunken nicht so berauschend - Susanne Kaloff - E-Book
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Nüchtern betrachtet war's betrunken nicht so berauschend E-Book

Susanne Kaloff

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Beschreibung

***Selbst Scheißtage sind nüchtern besser!*** Susanne Kaloff trinkt keinen Alkohol mehr. Warum? Nicht weil ihr Doktor besorgt dazu riet, sondern weil sie freiwillig rausfinden wollte, wie dieses launenhafte Leben eigentlich nüchtern schmeckt, wie sich Stimmungen ohne Betäubung und Situationen ohne Verstärker anfühlen. Vor allem aber wollte sie dringend wissen: Wer bin ich eigentlich ohne einen Drink an meiner Seite? Wie überlebt man Langeweile, Unsicherheit, Stress, Kummer, Dates, Feiern und Paris ohne Wein, Bier, Gin Tonic oder Champagner? Wie ist es, emotionale Fallgruben bei glasklarem Verstand zu erleben? Sie nutzt die trockene Zeit, um vergangene Abstürze, blamable Kapriolen und abgebrochene Absätze aufzudecken und sich Gedanken über die Rolle von Alkohol in unserer Gesellschaft zumachen. Warum trinken wir eigentlich alle? Nach einem siebenmonatigen Selbstversuch, etlichen Krisen und schwindelerregender Ekstase fand sie viele Antworten - und zu sich selbst.

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Seitenzahl: 314

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Susanne Kaloff

Nüchtern betrachtet war’s betrunken nicht so berauschend

Ein befreiendes Experiment

FISCHER E-Books

Inhalt

[Motto][Widmung]Vorwort1. Teil Die Euphorie: Kater sind zum Kotzen!Morgen mache ich bessere FehlerDer letzte Kater: Hangovers suckHast du ein Problem?Meine Dämonen vertragen einfach nichtsGewinn- und VerlustrechnungSex, mal ganz nüchtern betrachtetNein danke, für mich nicht!Cheers und tschüs2. Teil Die Zweifel: Stimmungstief statt AperitifMensch, es ist doch Weihnachten!Nimm bitte diesen scheiß Champagner mit, bitte!Wenn es so einfach wäre, würde es ja jeder machenKeine Ikone ohne NegroniMein flüssiger Mut, du fehlst mir!Nicht ohne meine Bar!Santé! Meine Leber ist die Einzige, die strahltHilfe, ich brauche Stoff!3. Teil Das Glück: Kommt im AbgangDu bist mein großes Vorbild!Time is honeySelbst Scheißtage sind nüchtern besser!Der Fall ist geklärt!Family time is hardSolo im Team SoberNach Mitternacht erfährt man nichts, was man nicht schon wüssteIch muss nie wieder trinken!Der Rausch der AskeseDu musst wieder anfangen zu trinken!

I drank to drown my sorrows but the damned things learned how to swim.

Frida Kahlo

Für S.

Vorwort

Nein, ich musste nicht aufhören zu trinken, kein Arzt hat mir mit hochgezogenen Augenbrauen Abstinenz nahegelegt oder »Ohweiohwei, Frau Kaloff, Ihre Fettleber!« ausgerufen. Ich musste auch nicht weniger trinken, weil mein Konsum anstieg oder die Dosis nicht mehr wirkte. Ich habe genauso getrunken wie die meisten meiner Freundinnen trinken: aus Geselligkeit, aus Langeweile, aus Unsicherheit, für den Genuss, aus Stress, zum Feiern, aus Kummer, nur so zum Spaß, zum Essen und zum Vergessen.

Ich wollte freiwillig aufhören zu trinken, weil ich rausfinden wollte, wer ich ohne Beschleuniger, Verstärker, Sedierung und ohne ein Glas Wein in der Hand eigentlich bin. Rausfinden, wie es sein wird, emotionale Fallgruben bei klarem Verstand zu erleben. Zum Davonrennen? Gut so. Das hilft vielleicht dabei, dass man mehr von den Dingen tut, die einem guttun. Und weniger von den Dingen, die man nüchtern einfach nicht im Kopf aushält.

Ich wollte weder mir selbst noch irgendwelchen Situationen mit Hilfe eines Rotweins entkommen, die Dinge nicht mit Unterstützung eines Crémants witziger oder weicher machen, sondern alles so erleben, wie es ist. Die Methode der feuchtfröhlichen Schmerzvermeidung ist weit verbreitet, wird gesellschaftlich romantisiert, akzeptiert und sogar angefeuert.

Mein Buch ist kein Ratgeber. Es handelt weder von Entgiftung noch von körperlichen Entzugserscheinungen, weder bin ich Alkoholikerin, noch trank ich jeden Tag. Ich rate zu nichts, aber habe mich gefragt, ob gute Zeiten und Genuss zwangsläufig aufhören, wenn Gin Tonic und Champagner einfach keine Option mehr sind. Und ob Betrunkene wirklich die Wahrheit sagen, vielleicht in der Annahme, dass das Gegenüber auch ausreichend einen kleben hat, um sie gelassener zu schlucken? Oder sind es doch eher Beleidigungen, die zu später Stunde gelallt, und Geheimnisse, die unbeabsichtigt ausgespuckt werden? Ich wollte wissen, wie sich das anfühlt, wenn ich die Einzige bin, die sich am anderen Morgen noch an jedes verdammte Wort erinnern kann. Was wird passieren, wenn ich mich ganz bewusst und freiwillig entscheide, allem und jedem mit Scharfsinn gegenüberzutreten? Macht es mich vielleicht manchmal doch aggressiv, wenn die Kollegen ausgelassen bechern, weil ich in Wahrheit auch lieber zu einem Wein anstatt zum fünften Mineralwasser greifen würde? Finde ich meine Freunde immer noch witzig oder unerträglich, wenn sich ihre Zähne bordeauxrot verfärben und sie, sorry, jeden Satz dreimal wiederholen? Werde ich schrecklich einsam werden oder erleuchtet?

Dieses Buch handelt ganz nüchtern betrachtet von Sex, Erkenntnis, Dramen, von Filmrissen, Ikonen, Botox, Freundschaften, Ersatzdrogen, der Liebe, dem Rausch der Askese und von dem verwirrenden Weg in die eigene Unabhängigkeit. Es ist für all die Frauen, die wissen, wie beschissen es sich anfühlt, eine Céline-Tasche in einer Nacht zu verlieren, jene, die am Morgen auch schon mal nicht mehr so genau ausmachen konnten, wie sie eigentlich nach Hause gekommen sind, die genau wie ich Abstürze und andere Katastrophen kennen, die eine große Klappe und ganz viel Zerbrechliches dahinter haben, die davon überzeugt sind, ohne Drinks macht’s doch keinen Spaß, die keinen Schimmer haben, wie sie Partys, Weihnachtsfeiern, Familientreffen, Trennungen, Sommerabende, Feierabende, Dates, Paris, Silvester, Einsamkeit ohne die freundliche Unterstützung eines Drinks eigentlich überstehen sollen, die wünschten, sie würden peinliche SMS, die unter Rosé-Einfluss an Exfreunde versendet wurden, und Desaster rückgängig machen können, für alle, denen das Lachen irgendwann zwischen dem zweiten und dritten Glas ein kleines bisschen im Hals steckengeblieben ist.

Auf uns, Schwestern!

1. TeilDie Euphorie: Kater sind zum Kotzen!

Morgen mache ich bessere Fehler

Beginnen wir mit einer Beichte: Ich habe keine leeren Prosecco-Pullen hinter den Gardinen versteckt. Auch gibt’s bei mir keinen Wodka zum Frühstück, ich detoxe regelmäßig und praktiziere seit fünfzehn Jahren Yoga. Morgens sitze ich artig auf meinem Meditationskissen und versuche, meine innere Mitte ausfindig zu machen. Man kann mich alles zum Thema gesunde Ernährung fragen, und auf dem Gebiet der radikalen Selbstliebe bin ich eine Expertin, weil ich finde, gut zu sich selbst zu sein, ist unwahrscheinlich attraktiv. Ach ja, und im Sommer 2016 fiel ich im Mojo Club auf der Hamburger Reeperbahn mitten auf der Tanzfläche hin. An den Moment, als meine Wange mit einem Schlag auf dem Fußboden aufknallte, erinnere ich mich scharf. An das Davor nicht ganz so präzise. Schuld daran war nicht die Absatzhöhe alleine, sondern auch der ein oder andere überflüssige Drink. Am Morgen darauf hatte ich eine schmerzende blaue Backe und eine Freundin an der Bettkante sitzen, die mir eine Hämatomsalbe vorbeibrachte. Es folgten Scham und der Satz, der nach solchen legendären Abstürzen so sicher ist wie das Amen in der Kirche: »Hach, aber es war doch so ein witziger Abend!« Ja, das stimmt, es war ein so witziger Abend, wenn er doch bloß nicht so unlustig ausgegangen wäre! Ich schämte mich nicht so sehr für die Blamage. Eher dafür, mich selbst mit einer solchen Wucht verletzt zu haben.

Meine Beziehung zu Alkohol war schon immer ambivalent. Betrinken und Betäuben machten mir von klein auf Angst. Mein Onkel starb an einer Überdosis Heroin, ein weiterer an der Trinkhalle. Alkohol bereitete mir als kindlicher Zuschauer Unbehagen, und ich stellte ihn später nicht nur dann in Frage, wenn ich derangiert erwachte. Dennoch, und das ist ein Widerspruch, mag ich ihn. Vielleicht gerade weil Alkohol mein Unbehagen und meine angeborene Wachsamkeit für die Dauer des Trinkens ausschaltet. Nüchtern betrachte ich ihn kritisch und misstrauisch. Ich achte mehr darauf, was, wie viel und wann ich trinke, als die meisten anderen Menschen. Wenn ich dann aber trinke, bin ich genau wie alle anderen auch: Ich möchte mehr davon haben. Ich liebe gesellige Abende, wenn nach dem Essen noch lange gequasselt und getrunken wird, man sich biegt vor Lachen, einer noch eine und noch eine Flasche Rotwein bestellt, ach kommt schon, noch einen Sambuca aufs Haus für alle, weil das Leben einfach wunderschön ist und sich in diesen Momenten unendlich anfühlt. Ich liebe Champagner, weil ich mich in der Sekunde, in der das Prickeln die Blutbahn erreicht, wie die coolste Sau unter der Sonne fühle. Ein High, das du mit keiner Cola hinkriegst. Frauen, die einen ganzen Abend an einem Mojito rumnuckeln, als seien sie Teenager, waren mir schon immer suspekt. Davon abgesehen stand ich noch nie auf Cocktails, die so tun, als seien sie Softdrinks. Ich mag es real, und ich mag den Rausch.

 

Seit meiner Jugend kehrt ein Albtraum immer wieder: Ich muss durch ein Treppenhaus gehen, in dem Junkies sitzen. Sie hocken benommen auf den Stufen und wenn ich vorbeiwill, versuchen sie, mir mit ihren Spritzen ins Bein zu stechen. Seit Neuestem träume ich immer wieder, dass ich einen Schluck aus einem Glas nehme und erst beim Runterschlucken kapiere, dass es sich um Alkohol handelt. Ich spucke ihn sofort aus und habe Angst, dass bereits ein kleiner Tropfen in meiner Kehle, meinem Magen und Blutkreislauf gelandet ist. Es ist interessant, dass ich weiter oben schrieb, dass mir Drogen und Alkohol schon immer Angst machten. Warum dieses und zwischen den beiden Begriffen? Weil man Alkohol nicht in einem Atemzug mit dem Wort Droge aussprechen darf. Dass es sich bei ihm dennoch um eine handelt, darf man nicht laut sagen, nicht mal leise zu sich selbst. Das will niemand hören, auch ich nicht. Aber es ändert nichts an der Tatsache, dass es die gefährlichste Volksdroge der Welt bleibt. Was sie so perfide macht, ist nicht nur ihre Wirkung und Auswirkung auf Geist und Körper, nicht nur, dass sie abhängig macht, uns selbst, Beziehungen und Familien zerstört, sondern unser duckmäuserischer Umgang mit ihr. Kein Mensch, der trinkt, redet von einem Suchtmittel. Ich war da bisher keine Ausnahme. Wir loben das Genussmittel, preisen das uralte Kulturgut und sprechen davon, dass immer die Dosis das Gift macht. In Maßen sei er sogar gesund. Ein Glas pro Tag wird Frauen empfohlen, also nicht auf einmal, nicht innerhalb von einer viertel Stunde runterkippen nach Feierabend, sondern pro Tag. Der hat zwölf Stunden. Man müsste also morgens mit einem Schlückchen anfangen und dann ähnlich wie in der Homöopathie immer mal wieder im Laufe des Tages daran nippen. Als die Schauspielerin Jenny Elvers vor ein paar Jahren diese empfohlene Tagesdosis ganz offensichtlich überschritt und sich in diesem desolaten Zustand vor die laufende Kamera einer Talkshow aufs Sofa setzte, waren alle fürchterlich erregt. Die Kommentare reichten von »Gott, wie peinlich!« über »Die Arme!« bis hin zu Boshaftigkeiten, die ich nicht wiedergeben möchte. In der Redaktion, in der ich an diesem Tag arbeitete, scharte man sich um die Rechner, um Elvers’ schaurig schönen Auftritt noch mal und noch mal anzusehen. Mich entsetzte nicht so sehr, dass ihre Aussprache nicht mehr klar und deutlich war und sie grotesk kicherte, sondern wie gierig sich alle auf diesen Fall stürzten. Ich habe in meinem Leben schon viele Frauen live erlebt, die sich so benahmen. Ich sah Frauen Treppen runterfallen, sich zwischen parkenden Autos übergeben, ins Gebüsch stürzen und von Fahrrädern kippen. Der Unterschied und ihr Glück waren, dass keine Kameras liefen. Was gerne übersehen wird, ist, dass Jenny Elvers nicht etwa auf halluzinogenen Pilzen war, sie sich sicher auch nicht kurz vor der Sendung auf einen LSD-Trip begab oder eine Spritze in ihre Venen jagte, viel eher war es höchstwahrscheinlich so, dass sie in der Maske noch ein paar Gläser Sekt getrunken hatte. Vielleicht war es auch eine Flasche. Vielleicht waren es zwei. Vielleicht war es ein unglücklicher Cocktail aus mehreren Dingen. Absolut denkbar auch, dass sie die vom Bundesministerium für Gesundheit empfohlene Menge täglich massiv überschritt. Wir wissen es nicht. Was ich aber sicher weiß, ist, dass sie den gleichen Alkohol trank, den wir alle trinken.

Würde ich in diesen Zustand, in dem sie war, mit einer anderen Droge kommen, würde ich das Fürchten kriegen. Aber Alkohol vertraute ich immer auf eine zwiespältige Art, er kann mir nicht gefährlich werden. Wie kann man denn jemandem vertrauen, sich in seine Hände begeben, vor dem man Angst hat? Ganz einfach, indem man stetig ein bisschen Ironie und Zynismus dazumixt. Lange Zeit hatte ich auf meinem Computer als Hintergrundbild ein Foto von Sarah Jessica Parker, eine Szene aus »Sex and The City«, in der sie als Carrie Bradshaw verzweifelt über die Männer in einer Bar sitzt. Darunter ein Zitat aus der Serie: »Vodka is my only ally«. Wodka war zwar nie mein Verbündeter, aber der Satz klang so schön tragisch, selbstironisch und aus ihrem Mund nicht nach Rehab, sondern nach einem Ultraleben in Manhattan.

Ich weiß nicht, wie es anderen Menschen geht, aber ich habe es immer als Zumutung empfunden, während des Trinkvorgangs Maß zu halten. In Moderation, was soll das heißen? Aufhören nach einem Glas, ausgerechnet dann, wenn es anfängt Spaß zu machen? Das Problem ist, dass Alkohol einen Dominoeffekt in Gang setzt: Der natürliche Effekt eines Drinks ist, dass man einen weiteren will. Nein, nicht immer trinke ich so viel, dass ich auf die Nase falle, aber eine Droge löst ja etwas aus, tritt was los, verändert nicht nur Gangart und Aussprache, sondern auch die Persönlichkeit. Es geht sicher nicht allen so, es gibt ein paar, die können ein einziges Glas Chablis genießen, dann zu Wasser wechseln und friedlich nach Hause gehen. Ich hingegen denke oft während ich das erste trinke, ob ich noch ein weiteres nehmen kann/soll/darf, ob ich es mir gestatte und ob das nicht doch zu viel ist und dass ich lieber morgen fit sein will. Ein störender innerer Konflikt: Ein Glas ist zu viel und tausend wären nicht genug. Dann bin ich schon beim ersten Glas immer so ein bisschen genervt über diese Stimme im Kopf, die ja meine eigene ist und die mir Stress macht, obwohl ich mir doch verdammt nochmal meinen Feierabend mit ein bisschen Entspannung verdient habe! Die Stimme ist wie die einer Mutter, die das Kind, dem gerade eine Tafel Schokolade geschenkt wurde, ermahnt: Aber nicht gleich die ganze, hörst du?! Die Reglementierung wird immer gleich mitserviert. Nicht vom Kellner, der ist flugs beim Nachschenken, aber von mir selbst. Warum darf man davon eigentlich nicht so viel genießen, wie es einem passt? Eben, man darf. Es nimmt einen niemand fest, weil man mit mehr als Eigenbedarf, sagen wir einem Kasten Bier, auf offener Straße ertappt wurde.

Wenn man sich so viele Gedanken noch während der Freude macht, verhindert es diese. Und macht deutlich, dass man es mit einem Genussmittel zu tun hat, das mit Vorsicht zu genießen ist. Das ist so ähnlich, als würde man permanent mit angezogener Handbremse in einem Porsche sitzen, aus Angst, die Kontrolle über seine Wucht zu verlieren. Die Handbremse im Alltag ganz zu lösen wäre mir nie eingefallen. Das, was andere vielleicht normal finden, fand ich immer fragwürdig und verrückt verlockend. Einmal lud mich eine Bekannte zu sich nach Hause ein, es war so eine Mischung aus Jobbesprechung und Privatsache. Vor allem war es an einem Nachmittag unter der Woche. Ich saß in ihrer Küche, wir unterhielten uns und sie kochte parallel für ihre Kinder. Mitten im Satz holte dieser herrlich verrückte Vogel mit einer selbstverständlichen Handbewegung eine Flasche Vernaccia aus dem Kühlschrank: »Time for a drinkie me thinkie«, scherzte sie. Ich sagte: »Wir können doch nicht jetzt schon was trinken.« Hinter diesem Satz machte ich ein Ausrufezeichen und Fragezeichen gleichzeitig. Sie guckte mich amüsiert an und fragte: »Warum denn nicht?« Ich redete mich raus und erklärte: »Nee, nee, ich habe gestern erst was getrunken, ich mach mal eine Pause.« Das ließ sie nicht gelten, goss mir und sich ein Glas des Weißweins ein und lachte laut: »Na und, bist du krank, oder wie?« Nicht geistig krank, weil ich nicht trinken wollte, das meinte sie nicht. Sie meinte, solange man nicht mit Fieber im Bett liegt oder eine chronische Erkrankung hat, gäbe es doch keinen Grund, nicht täglich Alkohol zu konsumieren. Der kleine Wein tat gut. Es tat gut, die Handbremse in dieser hübsch gekachelten Jugendstilküche ihrer hübschen Altbauwohnung in der hübschesten Straße von ganz Hamburg mit dieser hübschen Frau für ein paar Stunden zu lösen. Die Kontrolle über meinen Konsum aus der Hand zu geben, sie in die Obhut einer anderen Person zu legen, eine, die sich sicher ist, dass uns Alkohol doch nun wirklich nicht schadet, mochte ich von Zeit zu Zeit gerne. Es hatte so etwas enorm Erleichterndes, die Verantwortung mal für einen Moment abzugeben.

Der letzte Kater: Hangovers suck

Mein letzter Kater hat sich tief in meinen Kopf gegraben, nicht nur, weil er einen Jahrhundertschädel hinterließ, sondern ein Souvenir auf meiner Wange. Ein blauer Fleck, der ein paar Tage lang von Lila bis Blassgelb changierte. Nachdem ich mich von dem Sturz auf der Tanzfläche erholt und mich mit Hilfe einer zehntägigen Wellness-Entgiftungsphase (keinen Kaffee, keinen Zucker, keinen Alkohol) wieder auf Kurs gebracht hatte, fühlte ich mich stabilisiert genug, um genau so weiterzumachen wie bisher. Was blieb, war das Loch. Ich nenne es nur so, wenn ich mit mir alleine bin. Es ist nicht sichtbar für andere, keiner würde bei meinem Anblick rufen: »Häh, was hast du denn da für eine Delle in der Backe?« Aber ich sehe es. Nicht jeden Tag, nur unter einem bestimmten Lichteinfluss, frühmorgens, wenn ich im Flur stehe und die Sonne von hinten ins Zimmer scheint. Es ist wie ein kleiner Schatten in Form eines Warndreiecks, direkt unter meinem linken Jochbein. Fest steht: Das ist mir noch nie zuvor im Leben passiert! Ich bin noch nie hingefallen, vom Rad geplumpst oder gegen eine Scheibe gelaufen, weil ich einen Drink zu viel hatte. Ja, meinetwegen, ich habe sicher viele peinliche Sachen gesagt und gemacht, bin vielleicht auch mal neben einem Mann aufgewacht, dessen Sternzeichen ich nicht kannte, aber gestürzt? Niemals! Das ist doch grauenhaft. Nun ist es so, als würde unter der Haut etwas fehlen, als hätte ich Substanz verloren, als würde ich mich selbst daran erinnern wollen, dass ich nicht gut genug auf mich aufgepasst habe. Auch nach ein paar Wochen ist das Warndreieck auf meiner Wange noch immer nicht ganz verschwunden.

Trotzdem: Es gibt viele willkommene, triftige Gründe und unzählige Anlässe, die jeden emotionalen Kater, jede dicke Birne und jeden Vorsatz vergessen lassen. Deshalb achtete ich danach zwar darauf, es nicht zu übertreiben (Übersetzung: Nicht so viel saufen, bis man sich aufs Maul legt), aber hörte natürlich nicht auf, zu willkommenen Anlässen zu trinken, wie es alle anderen auch taten. Interessant, dass keine meiner Freundinnen mir riet, mich in Zukunft an solch turbulenten Abenden zurückzuhalten. Wobei ich die Geschichte auch nicht wirklich breitgetreten habe. Jene, die mir die Hämatomsalbe netterweise ans Bett brachte, meinte nur, es sei natürlich Scheiße, dass ich hingeflogen sei, aber das passiere jeder mal und sei nun echt kein Grund, sich derart selbst fertigzumachen, wie ich es tat. Ich lag schwach wie die junge Kaiserin Sissi aufgebahrt auf drei Kissen im Bett, mein Schädel brummte, und ich stimmte ihr zu. »Ja, du hast recht, das ist wichtig, dass ich mich nicht dafür bestrafe.« Einfach weitermachen war unser Fazit. Drüber lachen und es literarisch sehen. Wenigstens eine super Story zu erzählen. Ich lachte mit, obwohl mir alles weh tat. Aber in meinem Unterbewusstsein muss irgendwas gegoren haben, ganz langsam und so leise, dass nicht mal ich selbst davon Wind bekam.

Zweieinhalb Monate später, mittlerweile ist Oktober, sitze ich mit meiner Kollegin Ricarda in meinem Lieblingslokal am Tresen, wir reden, essen Merguez Frites und trinken Wein. Sie Sauvignon, ich Merlot. Ich sitze am allerliebsten am Tresen, auch zum Essen. Ich mag die Nähe zum Barmann. Ich mag es, zu sehen, wie die Gläser couragiert eingeschenkt werden und die Korken ploppen. Ich mag das Pfirsicharoma von Chardonnay, die hübsche Farbe von Beaujolais, und ich mag den weichen Geschmack von Brandy auf den Lippen. Vor allem aber liebe ich es, leicht einen sitzen zu haben, was bei mir bereits nach einem halben Glas Wein eintritt. Das habe ich auch an jenem Abend, nur so leicht allerdings, dass ich aufmerksamer bin als sonst in solchen Augenblicken, und diese ungewohnte Achtsamkeit verändert meine Wahrnehmung. Ich spüre plötzlich das dringende Verlangen nach ganz viel Wasser, obwohl ich mittlerweile mit noch mehr Freundinnen an einem Tisch sitze, an dem fröhlich gebechert wird. Es ist ein Abend wie tausende zuvor, es geschieht weder etwas besonders Komisches noch speziell Dummes, keiner redet Müll, niemand fällt in irgendeiner Weise unangenehm auf oder hin. Die Gespräche sind interessant, ich mag alle Anwesenden, der Ort ist schön, ich bin in guter Gesellschaft. Und genau das ist der Wendepunkt: Ich sehe keine Veranlassung mehr, irgendwas draufzuschütten. Wozu auch? Es ist doch alles perfekt, so wie es ist. Warum denn noch mehr trinken, warum diesen Zustand künstlich verändern, was muss denn hier und jetzt manipuliert oder optimiert werden mit Hilfe von 0,3 cl?

Als eine weitere Runde geordert wird, bestelle ich mir noch ein Wasser. Und danach noch eins. Ich würde gerne behaupten, dass es ein theatralischer, lauter, dramatischer Moment ist, in dem ich beschließe, diesen Selbstversuch zu starten. Aber das ist es nicht. Weder habe ich den einen letzten bewussten Drink, noch gieße ich pathetisch halbvolle Weinflaschen in den Ausguss, um zu unterstreichen, dass ich es echt ernst meine. Ich tue nichts, ich radle heim und lege mich irritiert ins Bett. Als ich aufwache, weiß ich: Das wird kein Detox, sondern ich will rauskriegen, wie es sich anfühlt, wirklich nichts mehr zu trinken. In den Wochen zuvor habe ich schon öfter gespürt, dass Alkohol nichts mehr für mich ist, dass sich mein Blick auf ihn verändert hat, aber ich habe nicht mit meiner Konsequenz gerechnet. Schwer zu sagen, ob es doch die nachträgliche Folge von meinem Schreck über den kleinen Ausrutscher ist, aber es ist keine traurige Konsequenz, sondern eine stolze Entscheidung. Meine bewusste, nüchterne Wahl. So, wie man sich an einer Straßenkreuzung entscheidet: Du kannst jetzt geradeaus gehen, rechts oder links abbiegen, stehen bleiben oder umdrehen. Ich entscheide mich fürs Umdrehen.

Hast du ein Problem?

Fest steht, dass ich offensichtlich keins hatte, als ich noch lustig mittrank. Ist es nicht interessant, dass einem erst ein Alkoholproblem diagnostiziert wird, wenn man sich entscheidet, mit dem Trinken aufzuhören? Und dass die Frage, ob man ein Problem mit dem Trinken habe, von Menschen gestellt wird, die an einem Drink nippen? Seit ein paar Tagen stoße ich mit Wasser statt Wein an, lehne Gin Tonic dankend ab und lächle dabei freundlich. Bei einer Abendessenseinladung fragt mich der Mann einer Freundin: »Hast du ein Problem?« Den Satz habe ich, seit ich abstinent bin, schon ein paarmal in Variationen gehört. Eine Kollegin zum Beispiel formulierte auf einer kleinen Bürofeier neulich ihr Erstaunen über mein »Nein, danke!« zum Crémant so: »Und jetzt nur so, oder …?« Ich entgegne: »Was oder?« Sie stammelte ein bisschen rum: »Also, nee, ich meine nur, jetzt keine gesundheitlichen Probleme oder so?« Nein, keine gesundheitlichen Probleme. Was sie eigentlich fragen wollen und sich verständlicherweise nicht trauen, ist jedoch: »Bist du Alkoholikerin?« Also wählen manche den ironischen Weg: »Na, ein wirkliches Problem haste ja, wenn du morgens um elf schon was trinkst«. Der Satz ist in der Top-Five-Hitparade der beliebteste Kommentar zu diesem Thema. Die Uhrzeit, zu der getrunken wird, soll ein Indikator für die Schwere der Sucht sein, an der wir nicht leiden, weil es ja bereits draußen dunkel ist. Ob ich persönlich ein Problem mit Alkohol habe, fragte ganz direkt meine Freundin Nati, nachdem ich bereits ein paar Wochen verzichtet hatte. Wir saßen nebeneinander im Auto, ein sonntäglicher Ausflug in ein Café im Park für Kaffee und Kuchen. »Ich traue es mich ja kaum zu fragen, aber glaubst du, du hattest ein Problem mit Alkohol?« Ich war froh, dass sie das so ohne Umschweife ausspuckte, was sie auf dem Herzen hatte, und lachte: »Ehrlich gesagt, habe ich erst eins bekommen, als ich aufgehört habe zu trinken.« Als ich das nämlich noch tat, schien sich niemand um mich zu sorgen, warum auch? Wir machten ja alle exakt das Gleiche. Ich vermute, dass unsere Gesellschaft ein Alkoholproblem hat, oder warum trinken wir alle immerzu? Und warum ist Alkohol die einzige Droge, bei der man sich rechtfertigen muss, wenn man sie nicht nimmt? Wenn man munter »Hoch die Tassen!« ruft, wird man weniger schräg angeschaut, als wenn man den ganzen Abend freiwillig Wasser in sich reinschüttet. Über Frauen, die stets ein volles Glas Wein in der Hand halten, wird weniger geredet als über jene, die Alkohol ablehnen. Dass man raus ist aus dem Trinkspiel, fliegt ja anfangs erst mal nicht auf. Was daran liegt, dass die meisten von uns regelmäßig Lifestyle-Entgiftung mit einer kleinen, salonfähigen Detox-Auszeit betreiben. Das wird allgemein anerkannt, geduldet und gefeiert. Aber alles hat seine Grenzen. Die sind meist nach vierzehn Tagen überschritten, alles, was an Abstinenz darüber hinausgeht, braucht einen massiven Grund. Am besten ein ärztliches Attest, eine Antibiotikabehandlung oder zumindest einen selbstmitleidigen Blick. Aber ich tue mir leider so gar nicht leid. Am wirkungsvollsten ist jedoch eine Schwangerschaft. Die nimmt mir in meinem Alter nur keiner mehr ab. Was also könnte man sonst für Beweggründe haben, keinen Alkohol mehr zu konsumieren? Voilà, genau: Ich habe ein Problem. Das Problem, das ich habe, ist, dass ich Alkohol plötzlich in Frage stelle. Und das ist weitaus schwieriger zu erklären, als gesundheitliche Gründe anzuführen. Ich bin körperlich in Topverfassung, aber die Geisteskrankheit, die mich befallen hat, heißt Perspektivwechsel und hat zur Folge, den ganz alltäglichen Umgang mit Alkohol, den wir alle pflegen, mit anderen Augen zu sehen. Das wirft Fragen auf und setzt ungeahnte Abwehrmechanismen in Gang. Mit mir eingeladen ist an diesem Abend ein Pärchen, das ich nicht kenne. Wir stehen gemeinsam im Wohnzimmer und stoßen alle fröhlich, ich jedoch mit Wasser, an. Dann wird zur Vorspeise Platz genommen. Meine Freundin trägt Rote-Beete-Carpaccio auf, das mit Walnüssen und Schafskäse garniert ist. Die Frau guckt auf ihren Teller, der bereits vor ihr steht und scheint verunsichert: »Du, ist das glutenfrei?« Ich antworte vorschnell: »Na ja, in Rote Beete, Nüssen und Schafskäse ist ja kein Gluten, oder?« Sie würde da sehr empfindlich drauf reagieren, seit bei ihr eine Glutenunverträglichkeit festgestellt wurde. Wir fangen an zu essen, bis der Mann meiner Freundin mit Blick auf den Teller des männlichen Gastes bemerkt: »Magst du keinen Schafskäse, ja, das ist nicht jedermanns Sache, das hatte ich gleich gesagt!« Nein, nein, das sei echt kein Problem, er versuche nur seit ein paar Wochen vegan zu leben. Kein betretenes Schweigen, kein dummer Kommentar, meine Freundin kratzt eifrig den Käse von seinem Teller und bietet ihm alternativ eine Avocado an. Warum ist es für alle okay, so kapriziös zu sein, dass sie eine Extrawurst gebraten bekommen, aber ich werde blöd angeguckt, weil ich zurzeit keinen Alkohol mag? Auch ohne körperliche Beschwerden muss das doch wohl erlaubt sein, oder soll ich einfach nächstes Mal behaupten, ich sei starke Alkoholikerin und ein Prosecco würde meine Lebenserwartung rapide senken? Warum bietet man mir eigentlich keine Avocado oder noch besser einen raffinierten alkoholfreien Cocktail an? Der große Unterschied zwischen Nahrung und Alkohol ist, dass er für die meisten von uns emotional noch aufgeladener ist als Essen, er muss verteidigt werden bis aufs Blut, er begegnet uns weltweit, von früh bis spät, durch alle sozialen Schichten hindurch, und tief in unserem Inneren wissen wir, dass er nicht ungefährlich ist. Wir wissen das, und weil wir das so genau wissen, müssen wir ihn beschützen wie ein kostbares Gut. Wir verwenden eine harmlose Sprache, trinken »gepflegt ein schönes Gläschen« oder einen »schönen Roten«, hängen an jede Spirituose ein -chen (Bierchen, Weinchen, Schnäpschen, Sektchen, Cognäcchen, Pinöchen) hinten dran, um unseren Helden Alkohol lieblicher zu machen. Wer sich ihm verschließt, greift ihn unwillkürlich an und fällt unangenehm als Verräter und Spielverderber auf. Solange wir jedoch alle in einem Boot sitzen, ist die Stimmung bombig. Und es ist auch vollkommen wurscht, ob das Boot schwankt oder sinkt, Hauptsache, keiner springt ab.

Wenn ich an Alkoholiker denke, denke ich immer als Erstes an Harald Juhnke, wie er damals tagelang in dieser Berliner Hotelsuite mit einer Achtzehnjährigen abtauchte und sich ins Delirium soff. O lala, riefen alle, die Zeitungen, die Boulevardmagazine zerrissen sich die Mäuler, die Spatzen pfiffen es vom Dach. Wenn sich einer derart nicht im Griff hat, hat er ja wohl ein echtes, großes Problem mit der Sache, die uns doch allen einfach nur total gute Laune macht. Meine Mutter erzählte meiner Schwester und mir als Kinder mal, dass Alkoholiker nie wieder im Leben trinken dürften, weil sie sonst sofort rückfällig würden. Selbst von einem einzigen Tropfen oder einer unachtsam gegessenen gefüllten Mokkabohne. Ich machte große Augen, und ich weiß noch genau, dass ich mich sorgte, wieso meine Eltern und alle anderen Erwachsenen dann dieses Gift in großen Mengen konsumieren durften. Und mich fragte, warum unser Opa uns Kindern bei jedem Besuch »Edle Tropfen in Nuss« mitbrachte, also Nusspralinen, die mit Birnenschnaps oder Kirschwasser gefüllt waren. Wir waren nicht mal zehn Jahre alt. Aber ja, klar, wir waren ja keine Alkoholiker, bei uns bestand also keine Gefahr.

Als ich mich entschied, Alkohol wegzulassen, wusste ich nicht, auf was ich mich einlasse. Was das wirklich bedeutet, merke ich jetzt jeden Tag stärker. Trinken ist ein wichtiges gesellschaftliches Ritual, es gehört zum guten Ton, sich mit Rebsorten und Anbaugebieten auszukennen, zu wissen, welche Champagner- (oder zumindest welche Bier-)Marke die beste ist und von welcher man Kopfschmerzen bekommt. Diese Expertise zeigt, dass man Teil der Gesellschaft, rumgekommen, eine Frau von Welt ist. Es ist auch beinahe unhöflich, ein Glas, das einem zur Begrüßung angeboten wird, abzulehnen. Sobald man äußert, man möchte wirklich kein Glas Crémant haben, fühlen die Gastgeber sich bedroht von dieser doch ganz persönlichen Entscheidung und rechtfertigen sich, dass sie sich dieses bisschen Spaß und ein schönes Glas Irgendwas bitte schön nicht nehmen lassen. Der Ausstieg wird einem nicht leichtgemacht. Manchmal erinnert es mich an eine Sektenstruktur, subtile Nachrichten werden gestreut, um mir das Gefühl zu geben, ich sei vom rechten Pfad abgekommen. Manchmal sind sie derart subtil, dass man es kaum benennen kann, aber meine Antennen arbeiten so präzise, dass ich mir dennoch wie ein Spielverderber, ein Moralapostel vorkomme, auch wenn das keiner so sagt. Was hingegen auffallend gerne und oft in geselligen Runden gesagt wird, ist, wie gut dieses und jenes alkoholische Getränk mundet. Wie letztens, als ich den Willkommensdrink bei Freunden verneint hatte. Kurz darauf fingen sie an mit diesen genüsslichen Schwelgereien über den Prosecco im Glas. »Mmmh, aah, na, der perlt aber fein, der ist aber hervorragend, wo hast du den her?« Als sich herausstellte, dass dieses Produkt auch noch ein Schnäppchen aus dem italienischen Großhandel war, flippten sie schier aus: »Ach was, das ist wirklich ein guter Preis! Ich fotografier mir mal das Etikett ab.« Oft klingen diese Äußerungen auch wie Affirmationen, die repetiert werden, um eines Tages an ihre Wirkung zu glauben. »Also ich mag ja so einen kleinen Glimmer gerne!« Und alle stimmen ins Gelächter ein, während ich wie eine von den Guttemplern danebenstehe. Ohne auch nur irgendetwas dafür getan zu haben, bin ich draußen, gehöre nicht mehr dazu. Der einzige Grund dafür, dass ich mich ausgegrenzt fühle, ist die Flüssigkeit, die ich in meinem Glas habe. Und während Etiketten fotografiert werden und angestoßen wird, sagt eine der Anwesenden: »Äh, detoxt du etwa schon wieder?« Ich kenne diese Bemerkung schon von anderen Events, eine Mischung aus Aggression und Beleidigtsein. Ein fataler Mix, der unter anderen Umständen womöglich dazu führen würde, dass die Spaßbremse doch noch einlenkt: »Oookay, was soll’s, ich nehme auch einen kleinen Schluck.« Nur diesmal ist es eben anders, weder detoxe ich, noch lenke ich ein, noch nehme ich ein Glas an: Ich schere aus.

Ich kann es ihnen ja nicht übelnehmen, wenn ich ehrlich bin, ging es mir doch immer ähnlich: Ich mochte es auch gar nicht, wenn eine Freundin mal nichts oder nur spärlich trank, ich wollte, dass wir alle zusammen schunkeln, uns gefährden und die Kontrolle kreischend über Bord werfen. Alles andere erschien mir fade. Eine meiner Freundinnen trinkt beispielsweise in so einem Schildkrötentempo, dass sie meist noch mit dem ersten Glas kämpfte, wenn ich bereits das dritte bestellte. Ich merkte immer, wie das meinen Respekt vor ihr minderte, und auch wenn es mir vom Verstand her widerstrebte, war ich tief in mir der Überzeugung, dass Frauen ordentlich was vertragen müssen. Als ich vor zwei Jahren mal zu einem Yoga-Retreat in der Karibik war, saß die angesehene New Yorker Lehrerin Elena Brower beim Welcome-Dinner neben mir. Es gab fabelhaftes Essen, selbst Fleisch und Fisch, weil sie sich selbst nicht mehr vegetarisch ernährt, was in der Yogaszene eine Ausnahme ist und einem die Absolution erteilt, es ihr gleichzutun. Ein warmer Wind wehte, wir trugen bodenlange Hippiekleider, es war phantastisch: Freunde, wir sitzen im November bei dreißig Grad auf den Turks- und Caicosinseln! Dann kamen die Kellner mit den Weinflaschen und fragten: »White or red, Madam?« Ich liebte meinen tollen Job, dem ich all die feinen Dinge zu verdanken habe, die ich mir privat doch niemals leisten könnte, ich liebte mein wunderbares Leben, mein geflochtenes Haar und antwortete glücklich: »Red, please.« Elena Brower machte eine abwehrende Handbewegung und sagte trocken: »I don’t drink.« Punkt. Ein vollständiger Satz. Keine weitere Erklärung, kein Bedauern, kein Witzchen. Und ich saß neben ihr und fand sie bescheuert. Warum muss sie so ein Fass aufmachen, fragte ich später zu Hause meine Freundinnen, als ich von dem störenden Vorfall erzählte. Warum sagte sie nicht einfach »Nein danke«, warum trinkt sie denn überhaupt nicht, was hat sie für ein Problem, und tsss, warum bitte schön isst sie denn dann Tiere? In Wahrheit fand ich sie umwerfend, in Wahrheit war ich neidisch auf ihre Freiheit, auf ihre Klarheit und Unabhängigkeit, aber das konnte ich mir damals noch nicht eingestehen. Damals hing ich noch zu sehr an dem Bild von mir, das ohne Drinks unvorstellbar war. Dieses Bild verändert sich nun von Tag zu Tag, ich kann dabei zusehen, wie es sich entwickelt, wie es schärfere Konturen bekommt und deutlich wird: Ich habe Alkohol als Accessoire echt überschätzt.

Meine Dämonen vertragen einfach nichts

Wenn man aufhört zu trinken, verliert man das Interesse an Bars, zwischenmenschlichen Tragödien und dem nächtlichen Versenden von Nachrichten, die man bitter bereut. Vor allem aber richtet man nachträglich seine Aufmerksamkeit auf all die Situationen, in denen man sich danebenbenahm. Bloß was fängt man mit all dem Wissen an? Man achtet besser auf seine Freundschaften. Zum Beispiel auf jene mit Ann-Charlott. Einmal sagte ich zu ihr: »Ach, fick dich doch, Ann-Charlott!« Das erfuhr ich am Morgen meines 47. Geburtstags mit Hilfe einer Sprachnachricht, in der mir Ann-Charlott die Freundschaft netterweise nicht kündigte, wir aber wussten, dass ich Louis Roederer Cristal echt ganz schlecht vertrage. Warum sie sich, Pardon, ficken sollte? Als ich die Nacht im Geiste hundertmal durchgespielt hatte, die Lücken im Hirn sich nach und nach halbwegs geschlossen hatten, fiel mir der Auslöser für meine Äußerung immer noch nicht ein, aber die Vermutung lag nahe, dass es sich um nackte Eifersucht gehandelt hatte. Eifersucht ist leider ein Grundpfeiler meiner Persönlichkeit. Nüchtern kann ich gut mit ihr umgehen, sie fühlen und erkennen, was meine eigenen Geister sind und wann es wirklich Anlass für Misstrauen gibt. Wenn Alkohol ins Spiel kommt, misslingt mir das allerdings in einer Preislage, die mich und andere erschrecken lässt. Das Problem am Alkohol ist ja nicht, dass wir seine Opfer sind, dass er etwas gegen unseren Willen mit uns anstellt, sondern er etwas zum Vorschein bringt, was bereits im Inneren reichlich vorhanden ist. Da aber nicht jeder vor dem Genuss einer Spirituose eine abgeschlossene Gesprächs-, Gestalt- oder Traumatherapie mit anschließender dreijähriger, zweimal wöchentlich stattfindender Analyse hinter sich gebracht hat, gelangen unter Alkoholeinfluss häufig Dinge an die Oberfläche, die unsere Mitmenschen überfordern. So auch an dem Tag, der den Höhepunkt meiner persönlichen Dramalaufbahn darstellte. Alles begann in einer Kirche.