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J.T. Ashcroft liebt die Frauen. Und die Frauen lieben J.T. Er ist nämlich nicht nur charmant und sieht verdammt gut aus, sondern schwimmt auch noch in Geld. Seinen Reichtum setzt er dafür ein, ein unbeschwertes Luxusleben zu führen, in dem es um feuchtfröhliche Partys, schnelle Autos und spontane Urlaubstrips ans andere Ende der Welt geht. Noch nie musste er Verantwortung übernehmen und denkt gar nicht daran, plötzlich damit anzufangen, nur weil eine seiner Exfreundinnen ihm mit einer Vaterschaftsklage droht. Gayle Keaton ist eigentlich darauf spezialisiert, in Südamerika Entwicklungshilfe zu leisten, als sie den Job in einem New Yorker Heim für obdachlose Jugendliche annimmt und zufällig J.T. begegnet. Von ihm erwartet sie nicht mehr als einen unverbindlichen One Night Stand, schließlich ist sie nicht auf der Suche nach einer Beziehung und hat in ihrem Privatleben momentan genug um die Ohren. J.T. ist in ihren Augen genau der richtige Kandidat für eine heiße Nacht und etwas Ablenkung. Für mehr aber nicht. Mit einer Frau, die nur Sex von ihm will und keine Ansprüche an ihn stellt, hat J.T. keine Erfahrung, aber genau das fasziniert ihn an der kühlen Gayle. Er macht es sich zur Aufgabe, sie besser kennenzulernen, und entdeckt dabei gleichzeitig etwas über sich selbst.
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Seitenzahl: 406
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Über das Buch
Alle Buchreihen der Autorin
Prolog
Teil I
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Teil II
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Epilog
Nachwort
J.T. Ashcroft liebt die Frauen. Und die Frauen lieben J.T.
Er ist nämlich nicht nur charmant und sieht verdammt gut aus, sondern schwimmt auch noch in Geld. Seinen Reichtum setzt er dafür ein, ein unbeschwertes Luxusleben zu führen, in dem es um feuchtfröhliche Partys, schnelle Autos und spontane Urlaubstrips ans andere Ende der Welt geht. Noch nie musste er Verantwortung übernehmen und denkt gar nicht daran, plötzlich damit anzufangen, nur weil eine seiner Exfreundinnen ihm mit einer Vaterschaftsklage droht.
Gayle Keaton ist eigentlich darauf spezialisiert, in Südamerika Entwicklungshilfe zu leisten, als sie den Job in einem New Yorker Heim für obdachlose Jugendliche annimmt und zufällig J.T. begegnet. Von ihm erwartet sie nicht mehr als einen unverbindlichen One Night Stand, schließlich ist sie nicht auf der Suche nach einer Beziehung und hat in ihrem Privatleben momentan genug um die Ohren. J.T. ist in ihren Augen genau der richtige Kandidat für eine heiße Nacht und etwas Ablenkung. Für mehr aber nicht.
Mit einer Frau, die nur Sex von ihm will und keine Ansprüche an ihn stellt, hat J.T. keine Erfahrung, aber genau das fasziniert ihn an der kühlen Gayle. Er macht es sich zur Aufgabe, sie besser kennenzulernen, und entdeckt dabei gleichzeitig etwas über sich selbst.
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1. Auflage Januar 2019
Copyright © 2019 by Poppy J. Anderson
Covergestaltung: Catrin Sommer rausch-gold.com
Unter Verwendung von © LifestyleStudio – shutterstock.com
Korrektorat: SW Korrekturen e.U
Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung der Autorin. Personen und Handlung sind frei erfunden, etwaige Ähnlichkeiten mit real existierenden Menschen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt. Markennamen sowie Warenzeichen, die in diesem Buch verwendet werden, sind Eigentum ihrer rechtmäßigen Eigentümer.
Poppy J. Anderson
c/o copywrite Literaturagentur GmbH & Co. KG
Woogstraße 43
60431 Frankfurt/Main
„Deine Großmutter ist am Telefon, Gayle.“
Schon wieder?
Gayle Keaton schnitt eine Grimasse und hob den Blick von ihrem Schreibtisch, auf dem Unmengen von Papieren lagen, um Paige anzusehen, die in der Tür stand und ebenfalls eine Grimasse schnitt – immerhin rief Gayles Grandma zum gefühlten fünfzigsten Mal an. Und das alles nur wegen einer Cocktailparty, die heute Abend zu Ehren ihres Großvaters gegeben wurde. Mittlerweile hatte Gayle den Eindruck, dass halb Charleston zu diesem Ereignis kommen würde.
Sie selbst hätte die Party nur allzu gerne geschwänzt, schließlich steckte sie bis zum Hals in Arbeit, kämpfte gegen ein ausgewachsenes Schlafdefizit an und hätte sich lieber in ihrem Bett verkrochen, als sich nach einem stressigen Tag im Büro in ein faltenfreies, unbequemes Kleid zu zwängen und unzählige Hände zu schütteln. Da sie jedoch seit einigen Wochen bei ihren Großeltern wohnte, konnte sie der Party ganz unmöglich fernbleiben. Das Verhältnis zu ihrem Großvater war momentan sowieso nicht das beste, und es wäre ihm gegenüber ein Affront gewesen, sich auf der Party nicht blicken zu lassen.
Eine Party der Schönen und Reichen der Stadt – Gayle wäre ein Zahnarztbesuch lieber gewesen.
Sie rieb sich genervt über die Stirn und warf einen kurzen Blick in ihre Tasse, die schon wieder leer war. Seufzend griff sie nach der Thermosflasche und goss etwas Ingwertee nach, von dem sie hoffte, dass er noch warm war. Kaffee wäre besser gewesen. „Sag ihr bitte, dass ich mich melde, sobald ich kann.“
„Sie klingt dringend“, warf Paige ein und verzichtete darauf, die Unordnung in Gayles Büro zu betrachten.
Sogar Gayle nahm das Chaos kaum noch wahr, das sie sozusagen geerbt hatte, als sie vor ein paar Tagen diese Stelle vorübergehend angenommen hatte, um wenigstens ein paar Stunden das Haus verlassen zu können. Sie wurde nicht einmal bezahlt.
Jedes Mal, wenn sie sich daranmachte, die alten Akten auszusortieren, die im Büro in mehreren Stapeln verteilt herumlagen, wartete schon eine neue Aufgabe auf sie. Und noch eine neue. Für Papierkram war sie nicht gemacht und entwickelte bereits eine heftige Aversion gegen bürokratische Hürden, die sie überall zu erwarten schienen. Lieber wäre sie wieder in Südamerika gewesen, um weiter an einem ihrer früheren Projekte zu arbeiten, anstatt hier an einen Schreibtisch gefesselt zu sein. Aber das war momentan nicht möglich.
Bei diesem Gedanken verzog sie den Mund und heftete ein paar psychologische Gutachten in die entsprechende Mappe. „So dringend wie es ihr Anruf heute Morgen war, als sie von mir wissen wollte, ob sie für mich ein Paar Strumpfhosen besorgen sollte, falls ich heute Abend ein Kleid tragen würde?“
Paige, die als Praktikantin bei CharlestonsChildCare unverzichtbar war, grinste fröhlich. „Nicht zu vergessen ihr dringender Anruf, um dir mitzuteilen, dass du pünktlich daheim sein sollst, damit du genügend Zeit hast, um dir die Haare zu waschen?“
„Ich liebe meine Grandma. Wirklich. Aber mit dieser Cocktailparty treibt sie mich in den Wahnsinn.“ Gayle öffnete die Schreibtischschublade rechts von ihr, legte die Mappe hinein und entdeckte eine Packung Schokokekse, die ihr entgegen lachten. Obwohl ihre Grandma sie erst vor wenigen Stunden dazu angehalten hatte, sich nicht den Appetit zu verderben, weil das Cateringunternehmen mit allerlei Köstlichkeiten aufwarten würde, griff sie nach einem der Kekse und stopfte ihn sich in den Mund. Mit vollem Mund erklärte sie an Paige gewandt: „Mein Großvater hat schon Dutzende Auszeichnungen bekommen – kein Grund, gleich so einen Aufstand zu machen.“
„Deine Grandma ist stolz auf ihn. Nicht jeder wird vom Bürgermeister für seine besonderen Dienste gelobt.“
Gayle hätte nun erwidern können, dass ihr Großvater nicht Krebs geheilt hatte, sondern als erfolgreicher Anlagenberater gerne Geld städtischen Projekten spendete, um Steuern zu sparen, aber sie ließ es bleiben. Stattdessen umschmeichelte sie die Frau, die nur ein paar Jahre älter war als sie: „Kannst du nicht für mich gehen? Der Champagner und die Häppchen sind umsonst.“
Paige lachte leise und schüttelte den Kopf. „So verlockend es auch klingt, bekomme ich sicherlich keinen Babysitter auf die Schnelle. Außerdem hätte ich nichts zum Anziehen. Nein, nein – geh du hin und amüsiere dich.“
„Wir beide sollten irgendwann einmal über die Definition von Amüsieren sprechen“, brummte sie und beobachtete gleich darauf, wie Paige ihr Büro verließ und zurück zu ihrem Schreibtisch ging, um ihrer Großmutter auszurichten, dass Gayle sie zurückrufen würde, sobald sie konnte.
Was sie nicht tat.
Sie hatte genug zu tun und musste ohne Unterbrechungen arbeiten, wenn sie es pünktlich nach Hause schaffen wollte, um an der Party teilzunehmen.
Später auf dem Heimweg, als sie durch die bekannten Straßen der Nachbarschaft ihrer Großeltern fuhr und gleichzeitig erleichtert sowie verdrossen bemerkte, dass sie absolut pünktlich nach Hause kam, überlegte Gayle, dass ihr tatsächlich nicht der Sinn danach stand, den heutigen Abend auf einer Cocktailparty zu verbringen. Ihr Leben war in den letzten Monaten derart aus den Fugen geraten, dass sie momentan größere Sorgen hatte, als die Bekannten ihrer Großeltern zu begrüßen und sich mit einem angeschraubten Lächeln mit ihnen zu unterhalten. Gayle musste sich über ein paar Dinge klar werden und Entscheidungen fällen, aber dafür benötigte sie Ruhe. Vermutlich war es einfach an der Zeit, sich eine eigene Wohnung zu suchen.
Doch sobald sie daran dachte, bei ihren Großeltern auszuziehen und sich eigene vier Wände anzuschaffen, kam ihr New York in den Sinn. Was hatte sie diese laute, schmutzige und überbevölkerte Stadt gehasst, als sie dort vor ein paar Monaten ihr Lager aufgeschlagen hatte. Und jetzt vermisste sie sie schmerzlich. Sie vermisste so einiges, was sie mit New York verband, aber Gayle erlaubte sich nicht, allzu intensiv darüber nachzugrübeln.
Im Haus ihrer Großeltern herrschte bereits rege Betriebsamkeit, als sie dort ankam. Kellnerinnen in weißen Blusen, Küchenjungen mit schwarzen Schürzen und Köche mit weißen Hauben nahmen die unterste Etage in Beschlag, in der diverse Stehtische aufgebaut worden waren, und bereiteten alles für die Ankunft der Gäste vor. Als Gayle einen Blick in den Salon warf und die gut ausgestattete Bar sah, wusste sie, dass sie sich sicherlich nicht nach einer halben Stunde entschuldigen konnte, um nach oben zu fliehen. Das hier würde ein langer Abend werden.
„Miss Keaton?“ Gerade als Gayle die Treppe in die obere Etage erklimmen wollte, tauchte Greta, die Haushälterin, wie aus dem Nichts auf und hielt sie zurück. „Ihr Großvater hat mich gebeten, Ihnen zu sagen, dass er Sie in seinem Arbeitszimmer zu sprechen wünscht, sobald Sie nach Hause kommen.“
Das hatte ihr gerade noch gefehlt! Vermutlich wollte er für den heutigen Abend Benimmregeln für sie aufstellen, als wäre sie ein vorpubertäres Kind und keine achtundzwanzig Jahre alte Frau. Sie lächelte Greta freundlich an, stieg jedoch unbeeindruckt die Stufen hinauf. „Danke, Greta. Sagen Sie ihm doch, dass ich zu ihm komme, sobald ich fertig bin.“
„Aber ...“
„Sie sind ein Schatz“, flötete sie und beeilte sich, nach oben zu kommen.
Ihre Laune wurde nicht besser, als sie das Cocktailkleid bemerkte, das ihre Großmutter für sie besorgt und an die Außentür ihres Kleiderschranks gehängt haben musste. Ein dumpfer Kopfschmerz setzte hinter ihren Schläfen ein. Gayle hoffte, dass eine heiße Dusche dabei half, die Kopfschmerzen zu vertreiben, und betrat ihr Badezimmer, um ausgiebig zu duschen.
Als sie in ein großes, kuscheliges Handtuch gewickelt nach ein paar Minuten frisch geduscht zurück in ihr Schlafzimmer kam, hätte sie vor lauter Schreck fast einen Schrei ausgestoßen, denn sie war nicht allein. Mitten auf ihrem Bett lag ein gewisser arroganter, fantastisch aussehender Blondschopf und starrte sie finster an.
Erschrocken, panisch und erzürnt zugleich wich sie zurück und presste eine Hand gegen ihr wild schlagendes Herz. Es dauerte ein paar Sekunden, bis sie in der Lage war, etwas zu sagen. Selbst in ihren Ohren klang ihre Stimme kratzig, als sie ihn anfuhr: „Was zum Teufel tust du hier?“
„Das wollte ich eigentlich dich fragen, Gayle.“ Er musterte sie kühl. „Ich dachte, du wärst in Peru.“
Für jemanden, der uneingeladen in ihrem Bett lag und mit einem Mal nach wochenlanger Funkstille in ihrem Schlafzimmer auftauchte, machte er einen ziemlich aufgebrachten Eindruck. Dabei hätte sie diejenige sein sollen, die wütend war!
„Wie bist du hierhergekommen?!“
„Mit dem Flugzeug.“
Sie schnaubte, weil sie es hasste, wenn er sich dumm stellte. Denn eines war er sicher nicht: dumm. Von ganz allein verschränkte sie die Arme abwehrend vor ihrer Brust und maß ihn finster. „Was tust du hier in meinem Schlafzimmer, verdammt noch mal? Ich kann mich nicht erinnern, dich eingeladen zu haben!“
Eine blonde Augenbraue wanderte in die Höhe. „Und ich kann mich sehr wohl daran erinnern, in dein Schlafzimmer eingeladen worden zu sein. Sogar mehrmals.“
„Für jemanden mit einem überdurchschnittlichen IQ stellst du dich wie ein Idiot an“, beschwerte sie sich und prüfte gleichzeitig, ob das Handtuch noch an Ort und Stelle war. „Es ist lange her, dass du in meinem Schlafzimmer willkommen warst.“
„So lange auch wieder nicht ...“
„Das hier ist Charleston und nicht New York“, unterbrach ihn Gayle rüde. „Was willst du hier?“
„Mit dir reden.“
„Zwischen uns ist alles geklärt.“
Er antwortete nicht sofort und starrte sie stattdessen eingehend an, bevor er geradezu freundlich erklärte: „Dein Großvater hat mich angerufen.“
Gayle zuckte zusammen und hob den Kopf, während sie spürte, dass ihre Schultern vor Anspannung ganz steif wurden. „Wie bitte?“
„Wir hatten ein Gespräch“, erläuterte er gedehnt.
„Worüber?“
„Über dich. Über mich.“ Abschätzend legte er den Kopf schief. „Über uns.“
Ihre Kehle wurde trocken. „Es gibt kein Uns.“
„Ja, das hattest du mir bereits bei unserem letzten Gespräch sehr deutlich gemacht.“
Gayle presste die Lippen aufeinander und hätte ihn gerne angebrüllt, dass er derjenige war, der daran die Schuld trug, dass sie gegangen war, weil er nicht erwachsen werden und Verantwortung übernehmen wollte. Aber wem hätte das genutzt? Die Sache zwischen ihnen – was auch immer es gewesen war – funktionierte einfach nicht. „Dass du nach Charleston gekommen bist, ändert nichts, J.T.“
Er antwortete nicht, sondern wiederholte seine Frage. „Wieso bist du nicht in Peru?“
„Das geht dich nichts an.“
„Komisch. Das denke ich nämlich doch.“ Er erhob sich vom Bett und kam mit geschmeidigen Bewegungen auf sie zu. Am liebsten wäre Gayle geflohen. Stattdessen richtete sie ihren Blick auf seine Kehle, um ihm nicht ins Gesicht sehen zu müssen. Nervös trat sie von einem Bein auf das andere und kam sich plötzlich seltsam ungeschützt vor, lediglich mit einem Handtuch verhüllt vor ihm zu stehen. Gott, sie wünschte sich ...
„Hör zu“, erklärte sie an seinen Hals gewandt und machte eine fahrige Handbewegung. „Ich habe keine Ahnung, weshalb dich mein Großvater angerufen hat. Mein Leben geht ihn nichts an. Nur sieht er das nicht ein und ist verbohrt und schrecklich stur ...“
„Dann seid ihr ja schon zu zweit.“
Gayle hob den Blick und funkelte ihn wütend an, während sie das elektrisierende Magenflattern in ihrem Inneren ignorierte. „Und du hättest nicht herkommen sollen. Wenn du jetzt gehen würdest, könnte ich mich umziehen. Unten findet nämlich gleich eine Party statt.“
Wie die Gelassenheit in Person fuhr er sich durch sein Haar. „Eine Party klingt doch nett.“
„Du bist nicht eingeladen!“
„Deine Großeltern werden sicherlich nichts dagegen haben, wenn ich bleibe.“
Vor lauter Frustration hätte sie beinahe mit dem nackten Fuß aufgestampft. „Was willst du damit bezwecken? Wir haben Schluss gemacht, J.T. – vor Wochen! Wieso bist du jetzt hier, wenn ich dich vorher nicht interessiert habe?“
Dass sie sich mit dem letzten Satz verraten hatte, konnte sie an seiner Miene ablesen. Ganz automatisch verschloss sich ihr Gesicht. Sie wollte ihm nicht noch mehr Munition gegen sie liefern.
„Oh – ich war sehr interessiert an dir, aber ich dachte, dass du in Peru wärst und nicht bei deinen Großeltern in Charleston.“ Seine freundliche Stimme täuschte nicht darüber hinweg, dass er unter Spannung stand. „Und zudem hatte ich nach unserem letzten Gespräch das Gefühl, dass ich dich nicht interessiert habe.“
„Bullshit“, brach es aus ihr heraus und sie machte einen Schritt zurück. Dabei stieß sie mit der Hüfte schmerzhaft gegen eine Kommode, blendete den scharfen Schmerz jedoch aus. „Du legst dir alles so zurecht, wie du es willst.“
„Kommt dir das nicht bekannt vor?“ Er schnarrte regelrecht und reagierte auf ihren Rückzug, indem er einen Schritt nach vorn machte. „Ich bin wenigstens hier, während du jedes Mal wegläufst, sobald dir etwas nicht passt oder es schwierig wird.“
Gayle schnappte nach Luft. „Wie kannst du ...?“
„Ich habe doch recht, nicht wahr? Oder weiß sie es mittlerweile?“
„J.T. ...“ Sein Name klang wie ein Krächzen aus seinem Mund.
„Du hast es ihr immer noch nicht gesagt.“ Er klang fassungslos.
Stumm schüttelte sie den Kopf.
Fünf Monate zuvor
„Was soll das heißen? Es ist erst elf!“
„Es ist sechs Minuten nach elf, und um elf Uhr machen wir die Küche dicht.“
„Auf die paar Minuten kommt es doch nicht an, Carl! Sei ein Freund und wirf irgendetwas für mich in die Pfanne. Eier mit Speck oder ...“
„Keine Chance. Die Küche ist schon zu.“
Gayle schaute von ihrem Handy auf und verfolgte mit mäßigem Interesse, wie der Barkeeper den Kopf schüttelte, ein Handtuch über seine Schulter warf und anschließend zum anderen Ende der Theke lief, um dort ein Bier zu zapfen. Der Mann, den er wortlos zurückließ und der, seinem flehenden Tonfall nach zu schließen, kurz vorm Verhungern stand, ließ sich mit einem Seufzen auf den Barhocker neben sie sinken und rief dem älteren Mann hinterher: „Dann gib mir wenigstens ein Bier, Carl! Oder ist es dafür auch schon zu spät?“
„Hast du eigentlich kein Zuhause, wo du abends etwas essen kannst?“
„Hey“, beschwerte sich der Mann neben Gayle und setzte sich dabei aufrecht hin, wobei er sie versehentlich am Ellenbogen berührte. „Normalerweise ist Wirten daran gelegen, ihre Stammgäste zu behalten, anstatt sie zu vergraulen und sie verhungern zu lassen.“
„Danke für den Tipp!“
Während sie den Disput zwischen den beiden Männern mit einem Ohr verfolgte und gleichzeitig versuchte, eine Mail zu lesen, schob sie dem jammernden Kerl neben sich ihren Teller zu, auf dem beinahe unangetastet ein Clubsandwich lag. Von den vier Hälften hatte sie lediglich eine gegessen und dann kapituliert. Wegen ihres morgigen Termins war sie ziemlich nervös, und wenn sie nervös war, bekam sie kaum einen Bissen hinunter. Gayle hoffte, dass der Typ neben ihr das Sandwich nahm, aß und etwas Ruhe gab, weil sie sich auf das konzentrieren wollte, was in der Mail stand. Ihr Spanisch war ziemlich gut, was angesichts der letzten Jahre, die sie immer wieder für längere Zeit in Südamerika verbracht hatte, eine Selbstverständlichkeit sein sollte. Aber weil ihre Gedanken um den morgigen Tag kreisten, sie hundemüde war und heute ziemlich viele Stunden im Auto gesessen hatte, fiel es ihr nicht so leicht, die offizielle Nachricht der Stadtverwaltung von Lima zu lesen und sofort zu verstehen.
Vielleicht sollte sie für heute einfach Schluss machen und sich morgen um den Papierkram kümmern.
Im Grunde war es nicht einmal ihre Aufgabe, sich darum zu sorgen, was die Stadtverwaltung schrieb. Sie hatte zurzeit ganz andere Baustellen, die ihr Kopfzerbrechen bereiteten. Das Projekt in Peru fiel nicht mehr in ihren Aufgabenbereich, nachdem sie es an ihre Nachfolgerin übergeben hatte, aber die war noch neu, sehr jung und unerfahren – und Gayle hatte ihr angeboten, ihr bei Fragen zur Seite zu stehen. Leider hatte die blutjunge Entwicklungshelferin, die frisch von der Uni kam, sehr viele Fragen und meldete sich fast täglich bei Gayle, um sich bei jeder Entscheidung abzusichern. Und weil Gayle ein schlechtes Gewissen hatte, dass sie das Projekt zur Trinkwasserversorgung abgelegener Dörfer von heute auf morgen abgesagt hatte, um in die Staaten zu fliegen, las sie abends um kurz nach elf Uhr Regierungsbriefe, während sie in einer Bar saß. Wenigstens hielt sie das davon ab, allein in ihrem Hotelzimmer zu sitzen und nachzudenken.
Momentan hätte sie so ziemlich alles getan, um sich abzulenken und nicht allein in dem deprimierenden Zimmer zu sitzen, das sie heute gemietet hatte.
Während sie durch die Mail scrollte, dachte sie daran, dass sie bereits in einigen deprimierenden Hotelzimmern geschlafen hatte. Wenn sie beruflich unterwegs war, reiste sie in Gegenden, in denen es keine Fünf-Sterne-Hotels gab, die neben einem reichhaltigen Frühstücksbuffet auch einen Valet-Service anboten. Gayle konnte meistens froh sein, wenn es eine funktionierende Toilette und fließendes Wasser gab. Der Job als Entwicklungshelferin war nun einmal nicht glamourös. Und gut bezahlt war er auch nicht, was bedeutete, dass Fünf-Sterne-Hotels sowieso außerhalb ihrer Möglichkeiten lagen. Die Budgets ihrer Projekte waren immer so eng gesteckt, dass sie jeden Cent zweimal umdrehte und lieber in der billigsten Bruchbude abstieg, um die Ausgaben so gering wie möglich zu halten. In Connecticut war sie zwar eher privat als geschäftlich, aber alte Gewohnheiten ließen sich nur schwer abschütteln.
Das Motel, das sich gleich neben dieser Bar an einer Landstraße befand, war ebenso zweckdienlich, wie es ein teurer Countryclub gewesen wäre, den es in der näheren Umgebung sicherlich gab. In Gegenden wie dieser, die von einer Prachtvilla nach der anderen besiedelt war und in der haufenweise teure Geländewagen unterwegs waren, gab es immer einen Countryclub – vorzugsweise mit angeschlossenem Golfplatz. Gayle wusste, wovon sie sprach, immerhin war ihr Großvater seit über vierzig Jahren Mitglied eines Countryclubs. Er hätte sich sicherlich nicht besonders wohlgefühlt, wenn er in einem spartanisch eingerichteten Motelzimmer mit einem uralten Fernseher und einem ebenfalls uralten Duschvorhang unterkommen müsste.
Für Gayle war es dagegen völlig okay.
Ihr machte auch nicht die Einrichtung des Zimmers zu schaffen, sondern die verdammte Einsamkeit. Sie brauchte Ablenkung, um nicht an die letzten Monate, den morgigen Tag und alles andere zu denken, was ihr momentan zu schaffen machte. Seit sie aus Südamerika nach Hause geflogen war, schlief sie nicht sonderlich gut. Ständig lag sie nachts wach, zerbrach sich den Kopf und war am nächsten Tag wie gerädert. Nicht einmal Sport half. Mittlerweile lief sie jeden Tag mehrere Meilen, weil sie hoffte, dadurch den Kopf freizubekommen. Außer anfänglichem Muskelkater und etwas Gewichtsverlust war jedoch nichts dabei herausgekommen. Zwar war Gayle niemals so fit gewesen wie zurzeit, aber sie hätte lieber mehrere Stunden am Stück geschlafen, als die Kondition eines Marathonläufers zu besitzen.
Neben Sport hatte sie es mit warmer Milch, Rotwein und einschläfernden Filmen aus den Fünfzigerjahren versucht, aber nichts hatte geholfen. Obwohl sie müde war, lag sie nachts wach. Die einzige Möglichkeit, die ihr noch einfiel, um ihr Schlafproblem zu lösen, wäre Sex gewesen. Sie war sich sicher, dass sie nach einer Runde schweißtreibendem Sex wie ein Baby geschlafen hätte. Und abgesehen von der Tatsache, dass Sex eine großartige Form der Ablenkung darstellte und eventuell dazu beigetragen hätte, sie endlich Schlaf finden zu lassen, vermisste es Gayle, mit einem Mann zu schlafen.
Sie vermisste das Gefühl starker Männerhände auf ihrem Körper, das warme Kribbeln, das raue Bartstoppeln auf ihrer Haut hinterließen, und den Moment, in dem ihr Herz aussetzte, kurz bevor sie explosionsartig kam.
Gut ... um ehrlich zu sein, waren ihre letzten Orgasmen nicht sehr explosionsartig gewesen. Anstatt eines Feuerwerks hatte sie sich mit einer Wunderkerze begnügen müssen – mit einer Wunderkerze, deren Verfallsdatum seit Jahren überschritten war. Und manchmal hatte sich die Wunderkerze nicht einmal entzündet.
Natürlich hatte auch ihr Exfreund Robert, der in Paraguay für das Friedencorps gearbeitet hatte und den sie dort auf einer Konferenz kennengelernt hatte, gemerkt, dass sie nicht so viel Spaß wie er beim gemeinsamen Sex empfunden hatte. Als aufgeklärter, moderner Mann hatte er selbstverständlich ihr die Schuld dafür gegeben, dass sie nicht zum Höhepunkt kam. Robert hatte es auf ihren Stress, auf ihre Arbeit und sogar auf ihre Vorliebe für Schokoladenkekse geschoben. Dass er nicht gut im Bett war und an ihr herumgefummelt hatte wie ein fünfzehnjähriger Highschoolschüler, war ihm nicht in den Sinn gekommen.
Leider hatte es nach Robert niemanden mehr gegeben, der den enttäuschenden Sex mit ihm hätte wiedergutmachen können. Aber Gayle hatte früher großartigen, lustvollen Sex gehabt – wobei die Betonung auf früher lag. Seit ihrem letzten explosionsartigen Orgasmus war einige Zeit vergangen. Gedankenverloren starrte sie auf den Bildschirm ihres Handys und fragte sich, wie es dazu gekommen war, dass sie Robert nicht gleich nach dem ersten Mal in die Wüste geschickt hatte, anstatt mit ihm ganze zwei Monate zu verbringen. Neben dem schlechten Sex war er nämlich ein verdammter Nörgler gewesen. Und warum zum Teufel hatte sie nach ihm nicht längst mit einem anderen Mann geschlafen, der wusste, was er tat?
Vermutlich hatte ihr schlechtes Gewissen sie davon abgehalten, einen fremden Mann aufzureißen. Damals hatte sie nämlich ein Aufklärungsprojekt geleitet, das Schwangerschaften unter Teenagern bildungsferner Bevölkerungsschichten verhindern und Geschlechtskrankheiten eindämmen sollte. Wie hätte Gayle guten Gewissens losziehen und mit einem Kerl ins Bett hüpfen sollen, wenn sie gleichzeitig jungen Mädchen dazu riet, nicht gleich mit jedem Mann zu schlafen, der ihnen gefiel?
„Ich will ja nicht stören, aber hast du den Teller zur Seite geschoben, weil das Sandwich ungenießbar ist oder weil ich dir leidtue und du mir netterweise etwas abgeben möchtest?“
Gayle brauchte einen kurzen Moment, bis die Bedeutung der Worte in ihr Gehirn drang. Seit sie angefangen hatte, über Sex nachzudenken, hatte sie nämlich ausgeblendet, was um sie herum geschah.
Ohne von ihrem Handy aufzuschauen, entgegnete sie mit einem Schulterzucken: „Bediene dich.“
„Danke – du rettest mir das Leben.“
Das fand sie zwar etwas übertrieben, antwortete ihm jedoch nicht.
Stattdessen schloss sie die Mail und löschte ein paar Werbenachrichten, während sie sich über sich selbst ärgerte.
Die kurze Episode mit Robert war seit einem Jahr vorbei, und seither herrschte in ihrem Sexleben Ebbe. Im Grunde war es nicht einmal existent. Verdammt, sie war achtundzwanzig Jahre alt und nicht achtundsiebzig! Ihr Großvater war achtundsiebzig und ganz sicher hatte er noch immer regelmäßig Sex, auch wenn sie über das Liebesleben ihrer Großeltern nicht allzu intensiv nachdenken wollte, immerhin war sie bei den beiden aufgewachsen. Dennoch war es ziemlich deprimierend, dass Senioren ihre Libido besser auszuleben wussten als sie.
Sie hatte seit einem Jahr keinen Sex gehabt, und erst jetzt fiel ihr auf, dass sie es vermisste, weil sie nach einer Methode suchte, um durchschlafen zu können. Mit ihr stimmte irgendetwas nicht!
Guter Sex war für sie seit dem College eine Selbstverständlichkeit gewesen. Und zuvor war es zumindest mittelmäßiger Sex gewesen, nachdem sie mit sechzehn ihre Unschuld an den Cousin ihrer Zimmernachbarin verloren hatte. Anders als man glaubte, gab es auf einem Mädcheninternat viele Möglichkeiten, Jungs kennenzulernen und sich mit ihnen zu verabreden. Und Maddox Billson hatte bei ihr aufs Ganze gehen dürfen, nachdem sie die Jungs vor ihm ständig in ihre Schranken verwiesen hatte. Seit dem College hatte es ein paar unverbindliche Flirts und eine zwei Jahre andauernde Beziehung gegeben, die in einer Verlobung geendet war – nun ja, sie wäre in einer Verlobung geendet, wenn Gayle Ja gesagt hätte. Das hatte sie jedoch nicht getan, sondern ihm einen Korb gegeben.
Stephen war drei Jahre älter gewesen, sah wahnsinnig gut aus und entstammte einer alteingesessenen Familie aus South Carolina, mit der ihre Großeltern seit Jahrzehnten befreundet waren. Er war intelligent, ehrgeizig und stand kurz davor, Partner in einer aufstrebenden Anwaltskanzlei zu werden. Sie beide verstanden sich gut, er flog sogar mehrmals nach Mexiko oder Guatemala, um sie dort zu besuchen, der Sex war großartig und Gayle war in ihn verliebt. Aber die Vorstellung, ihn zu heiraten, Mrs. Stephen Putnam zu werden und über kurz oder lang ihren Job aufzugeben, um daheim das Hausmädchen zu beaufsichtigen und Gartenpartys zu organisieren, hatte sie panisch werden lassen. Sie hatte dieses Leben nicht führen wollen – vor allem nicht mit fünfundzwanzig Jahren. Stephen war mit ihrer Abfuhr nicht sonderlich gut klargekommen und hatte postwendend Schluss gemacht.
Wie Gayle von ihrer Großmutter erfahren hatte, war Stephens Verlobung mit einer anderen Frau acht Monate später verkündet worden und inzwischen war er tatsächlich verheiratet – und zum Partner in seiner Kanzlei aufgestiegen. Darüber empfand Gayle keinen Groll, sondern eher Erleichterung. Erleichterung darüber, dass sie es nicht war, die an seinem Arm langweilige Dinnerabende überstehen musste.
Ihre Grandma schien sie zu verstehen, da von ihrer Seite nie ein Vorwurf gekommen war, dass sie Stephen in die Wüste geschickt hatte.
Ihr Grandpa verstand es bis heute nicht und kannte keine Scheu, Gayle immer wieder darauf aufmerksam zu machen.
Aber er verstand so einiges nicht, was sie betraf. Darunter fielen insbesondere ihre Lebensführung und ihre Berufswahl. Erst vor zwei Wochen, als sie bei ihren Großeltern in Charleston gewesen war, war es zu einem großen Streit zwischen ihnen beiden gekommen, bei dem er ihr unter anderem vorgeworfen hatte, ihrer Mutter immer ähnlicher zu werden ...
„Willst du wirklich nichts mehr abhaben?“, fragte der Mann neben ihr.
Seufzend schüttelte Gayle den Kopf und verstaute ihr Handy in ihrer Hosentasche, bevor sie nach ihrem Glas griff und einen Schluck Cola nahm. Vielleicht sollte sie zurück in ihr Hotelzimmer gehen, eine heiße Dusche nehmen und irgendeine stumpfsinnige Fernsehsendung schauen. „Nein, danke.“
„Kann ich dir ein Bier ausgeben, um mich zu revanchieren?“
„Die Cola reicht mir – danke“, erwiderte sie ohne große Begeisterung und drehte flüchtig den Kopf zur Seite, um ihren Sitznachbarn anzusehen, der offenbar die letzte Hälfte ihres Sandwiches gerade verschlang.
Und dabei hätte sie sich beinahe an ihrer Cola verschluckt!
Eigentlich war Gayle keine Frau, die sich von einem Paar blauer Augen, sinnlichen Lippen und einem verdammt gut aussehenden Gesicht beeindrucken ließ. Doch jetzt ertappte sie sich dabei, wie sie ihren Sitznachbarn anstarrte und dabei keinen klaren Gedanken fassen konnte. Schuld daran waren die blauesten Augen, die Gayle jemals zu Gesicht bekommen hatte. Und ein Gesicht, das zu schön für einen Mann war. Fein gemeißelte Gesichtszüge, hagere Wangen mit Grübchen, ein wohlproportioniertes Kinn, fast gerade Augenbrauen und ein blonder Haarschopf gaben ihm das Aussehen eines Hollywoodstars. Ihre Grandma, die ein Fan klassischer Filme war, würde bei seinem Anblick vermutlich schwören, dass er der Enkelsohn von Paul Newman und Ingrid Bergmann war.
Obwohl sie nicht viel auf Äußerlichkeiten gab, musste sie bekennen, dass sie niemals zuvor einen attraktiveren Mann gesehen hatte – und sie brauchte ein paar Sekunden, um ihre Gedanken zu ordnen und ihn nicht wie ein kichernder Teenager anzuschmachten. Dabei starrte er sie mit einem intensiven Blick aus seinen tief liegenden, dicht bewimperten Augen an und verzog seine Lippen zu einem Lächeln, während er in das Sandwich biss.
Dass sie ihn anstarrte, schien ihn nicht zu stören – ganz im Gegenteil. Er starrte nämlich zurück, saß mit lässiger Haltung neben ihr und machte nicht den Eindruck, sich unwohl zu fühlen. Dafür wirkte er zu zufrieden, wie er entspannt auf dem Barhocker saß, sich zurücklehnte und sich ihr wie selbstverständlich präsentierte.
Genetisch gesehen war der Mann ein echter Glückspilz, denn neben seinem gut aussehenden Gesicht verfügte er über die Art eines Männerkörpers, der auf gute Anlagen und sportliche Betätigung zurückzuführen war. Er war groß, schlank und athletisch. Trotz des dämmrigen Lichts der Bar und seiner lässigen Haltung auf dem Barhocker sah Gayle, dass sein Oberkörper unter dem perfekt sitzenden weißen Hemd muskulös und gut gebaut war. Dafür sprachen auch der kräftige Hals und seine großen Hände.
„Wenn man um fast halb zwölf Uhr abends in einer Bar sitzt, braucht man meistens etwas Stärkeres als eine Cola“, erklärte er mit einem charmanten Lächeln, bei dem sich seine Lippen amüsiert kräuselten und Gayle zwei Reihen weißer Zähne sehen konnte. Entweder hatte er auch zahntechnisch betrachtet das große Los gezogen oder aber er hatte eine schöne Stange Geld hingelegt, um nun aller Welt seine makellosen Zähne präsentieren zu können. Dass er Geld besaß, obwohl er sich wie ein Verhungernder auf das kostenlose Sandwich gestürzt hatte, nahm Gayle angesichts der Rolex an seinem linken Handgelenk an. Von seiner Anzughose mit der scharfen Bügelfalte und den dunklen Lederschuhen einmal ganz abgesehen. Seine Kleidung war nicht auffällig, aber sie war von erstklassiger Qualität. Und vermutlich sauteuer.
Sie wollte sich von seinem Aussehen nicht blenden lassen, zuckte daher mit den Schultern und erwiderte unbeeindruckt: „Oder man ist einfach nur durstig und hat eine Vorliebe für puren Zucker.“
„Das kann natürlich auch sein.“ Er drehte sich in ihre Richtung und betrachtete sie voller Interesse. Um den dichten Wimpernkranz hätte Gayle ihn glatt beneiden können. „Kann ich dir dann wenigstens eine Cola ausgeben?“
Schweigend deutete sie auf ihr fast volles Glas und schüttelte den Kopf.
„Wenn du durstig bist, solltest du mich unbedingt ein weiteres Glas bestellen lassen.“
„Danke, ich bin noch versorgt“, konterte sie ruhig.
„Falls du es dir anders überlegst, lass es mich wissen.“
„Mhm.“
Obwohl sie gerade erst einen Schluck von ihrer Cola genommen hatte, hob sie das Glas wieder an ihre Lippen, trank von der Limonade und betrachtete ihn über den Rand hinweg. Er schaute weiterhin in ihre Richtung und schob gleichzeitig den Teller ein Stück beiseite.
„Kommst du aus der Gegend?“
„Nicht wirklich“, antwortete sie, als sie das Glas zurück auf die Theke stellte und sich fragte, was er mit diesem Small Talk bezweckte. Nachdem er das Sandwich verdrückt hatte, sollte er eigentlich nicht länger hungrig sein und könnte wieder verschwinden. Tatsächlich sah er nicht wie ein Kerl aus, der mitten in der Woche um kurz vor Mitternacht in eine außerhalb gelegene Bar gehen musste, weil er nach Gesellschaft suchte. In das rustikale Interieur passte er nicht hinein. Vermutlich kostete das, was er trug, mehr als die monatlichen Stromkosten dieser Bar.
Nein, er passte ganz und gar nicht in diese Bar, machte jedoch nicht den Anschein, sich unwohl zu fühlen. Er wirkte eher, als wäre es für ihn selbstverständlich, hier zu sitzen, das Sandwich einer Wildfremden zu essen und sie mit dem interessierten Blick eines Mannes zu mustern, der höflicherweise darüber hinwegsah, dass sie müde, erschöpft und alles andere als repräsentabel aussah. Gayle hatte nämlich sehr wohl die dunklen Augenringe in ihrem Gesicht bemerkt, als sie heute in den Spiegel geschaut hatte.
„Machst du hier Urlaub?“
„Das kann man nicht unbedingt sagen.“
Von ihrer knappen Antwort ließ er sich nicht verschrecken und lächelte sie weiterhin an.
„Schade. Ich hätte mich gerne als Reiseführer zur Verfügung gestellt“, bot er ihr zuvorkommend an. „Connecticut hat einige sehr schöne Orte zu bieten.“
„Da bin ich mir sicher.“
„Wieso werde ich den Eindruck nicht los, dass du skeptisch klingst?“
Gayle hätte ihm antworten können, dass sie nicht skeptisch klang, sondern müde, und dass die Aussicht, nicht schlafen zu können und vermutlich bald ein Magengeschwür zu haben, sie beschäftigte, aber so persönlich wollte sie gar nicht werden. Außerdem wollte sie nicht wie eine unhöfliche Zicke wirken. Und dazu kam, dass es ihr sogar ein wenig schmeichelte, dass der Mann ihr seine volle Aufmerksamkeit schenkte. Daher fragte sie nach: „Also kommst du aus Connecticut?“
„Nein, geboren und aufgewachsen in Maine.“
„Und jetzt lebst du hier?“
„Nein, ich ziehe momentan nach New York.“
„Früher hier gelebt?“
„Ich habe Familie in der Gegend. Selbst gelebt habe ich hier nicht.“
Sie runzelte die Stirn. „Bist du sicher, dass du einen guten Reiseführer abgeben würdest, wenn du weder aus Connecticut kommst noch hier lebst?“
Keinesfalls reuig zwinkerte er ihr zu und grinste dabei. „Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich dir ein paar sehr interessante Dinge zeigen könnte.“
Der Spruch war dermaßen grauenvoll und abgedroschen, dass Gayle normalerweise nicht reagiert hätte. Aber in diesem Fall konnte sie ruhig eine Ausnahme machen. Anstatt ihn einfach stehen zu lassen und zu verschwinden, konnte sie genauso gut noch ein paar Minuten sitzen bleiben und sich mit ihm unterhalten. Alles war besser, als schlaflos in ihrem Hotelzimmer zu liegen und nachzudenken.
Gayle drehte sich nun ebenfalls in seine Richtung und fragte gelassen nach: „Und welche Dinge wären das? Du siehst nicht wie jemand aus, der sich übermäßig mit touristischen Angeboten beschäftigt.“
„Und wie sehe ich aus?“
„Wie jemand, der glaubt, Frauen in Bars herumzubekommen, indem er ihnen eine Cola spendiert“, entgegnete sie ehrlich.
Er lachte, wobei seine blauen Augen aufleuchteten. „Shit, du hast mich durchschaut.“
„Ist das in Maine eine gängige Methode? Frauen mit Limonade abzufüllen und gefügig zu machen?“
„Sag bloß, du hast von der Maine’schen Anmachmethode noch nichts gehört?“ Seine Empörung wirkte derart echt, dass er sich als Schauspieler hätte versuchen sollen.
Von ganz allein zuckten ihre Mundwinkel ein wenig. „Schuldig.“
„Dann sollte ich dir wohl sagen, dass du etwas verpasst hast. Die Maine’sche Anmachmethode sucht seinesgleichen.“
„Irgendwie kann ich mir nicht vorstellen, dass sie funktioniert.“
Als sich seine Grübchen vertieften und er seine Augen auf ihren Mund richtete, konnte sich Gayle plötzlich nur allzu gut vorstellen, dass er einer Frau nicht einmal eine Cola ausgeben musste, um sie herumzukriegen. Ihr wurde auf jeden Fall plötzlich warm und kribbelig, sobald er sie mit diesem sinnlichen Lächeln bedachte, das ein paar schöne Stunden im Bett sowie einen explosionsartigen Orgasmus versprach. Vielleicht bildete sich Gayle das alles auch nur ein – sozusagen ein Wunschdenken, weil sie gerade noch über Sex nachgegrübelt hatte und sich wie eine alte Jungfer vorkam.
„Doch, sie funktioniert. Garantiert.“
„Ist das so?“
„Aber ja.“ Er beugte sich vertraulich vor und kam ihr so nah, dass sie die dunkelblau schimmernden Flecken auf seiner Iris sehen konnte. Dazu kam der leicht würzige Duft nach Mann und einem betörenden Eau de Cologne, der ihr in die Nase stieg und sie sich unweigerlich fragen ließ, wie sie wohl für ihn roch. Hoffentlich hatte die Wirkung ihres Deos im Laufe des Tages nicht nachgelassen. „Als ich mich neben dich gesetzt habe, wolltest du eigentlich gehen, aber als ich dir anbot, dir eine Cola zu spendieren, dachtest du: Hm, wie könnte ich zu einer Gratis-Cola Nein sagen? Außerdem scheint er ziemlich süß zu sein. Also bist du geblieben.“
„Ziemlich süß?“
„Das war die jugendfreie Version. Eigentlich hast du an etwas sehr viel Schmutzigeres gedacht.“
„Du kannst ja wirklich Gedanken lesen“, spottete sie belustigt und spürte gleichzeitig, wie Aufregung durch ihre Adern floss.
Mittlerweile war er so nah, dass er nur die Hand ein Stück ausstrecken musste, um ihr eine Haarsträhne aus der Stirn zu streichen. Diese Geste war intim und brachte Gayle für einen kurzen Moment ziemlich aus der Fassung. „Und jetzt gerade denkst du darüber nach, welche Unterwäsche du heute Morgen angezogen hast.“
Gayle lachte unsicher auf, obwohl ihr tatsächlich etwas ganz Ähnliches durch den Kopf gegangen war. „Daran habe ich selbstverständlich nicht gedacht.“
„Doch, das hast du.“
„Ist das die Maine’sche Selbstüberschätzung?“ Sie gab sich unterkühlt, spitzte die Lippen und lehnte sich zurück. Gleichzeitig wurde ihr warm. Noch wärmer als zuvor.
Amüsiert raunte er: „Mit meinem Heimatstaat hat das nichts zu tun, sondern mit meiner ausdrucksstarken Persönlichkeit.“
Beinahe hätte sie gelacht. „Ausdrucksstarke Persönlichkeit?“
Er nickte gespielt ernst. „Sei ehrlich: Du hast mir das Sandwich nur aus einem speziellen Grund angeboten.“
„Der da wäre?“ Gayle verzog amüsiert die Nase.
„Was hättest du mit mir anfangen sollen, wenn ich vor Hunger ganz schwach gewesen wäre?“
Eingebildet war er wohl nicht. „Wenn ich ehrlich bin, wollte ich dich vorm Hungertod retten. Du klangst nämlich so, als würdest du im nächsten Moment zusammenbrechen.“
Sein linker Mundwinkel zog sich in die Höhe. „Anscheinend ist mein Plan aufgegangen.“
„Welcher Plan?“
Er lehnte sich ein Stück vor und flüsterte: „Einerseits war ich scharf auf dein Sandwich, und andererseits brauchte ich einen Aufhänger, um dich anzusprechen.“
Gayle fixierte ihn und erwiderte seinen Blick. „Das soll ich glauben? Ich denke kaum, dass du einen Aufhänger brauchst.“
„Soll das heißen, dass du mich charmant findest?“
„Ich denke, dass du dich für charmant hältst. Bei mir wirst du jedoch leider keinen Erfolg haben“, informierte sie ihn, auch wenn sie gar nicht so sicher war, dass es stimmte. Er war nämlich charmant, und sie fühlte sich einsam und niedergeschlagen. Vielleicht war er genau die Aufmunterung und Ablenkung, die sie zurzeit gebrauchen konnte. Andererseits war sie niemals jemand gewesen, der einen wildfremden Mann in einer Bar aufriss ...
Mit einem breiten Lächeln gestand er: „Ich lasse es gerne auf einen Versuch ankommen, um bei dir Erfolg zu haben.“
„Letzte Runde!“ Die Stimme des Barkeepers drang durch den Raum. „Wir schließen gleich.“
Fragend zog ihr Begleiter eine Augenbraue in die Höhe. „Möchtest du jetzt noch eine Cola haben, bevor Carl die Bar dicht macht?“
Für ein paar Sekunden nagte sie auf ihrer Unterlippe herum und überlegte angestrengt, was sie tun sollte, bis sie den Kopf schüttelte.
„Nein, keine Cola.“
Sie konnte sich täuschen, aber so etwas wie Enttäuschung blitzte in seinem Gesicht auf. „Schade.“
Gayle glitt von ihrem Barhocker und schaute ihn auffordernd an. „Hast du Lust auf Schokokekse?“
„Was?“ Verwirrt blinzelte er.
„Schokokekse“, wiederholte sie gelassen. „Ich habe in meinem Hotelzimmer eine ganze Packung. Und eine Cola lässt sich sicherlich auch auftreiben, wenn du darauf bestehst.“
Er lachte leise und erhob sich ebenfalls von seinem Barhocker. Sie musste zu ihm aufschauen. „Soll das ein Angebot sein, dich in dein Zimmer begleiten zu dürfen?“
„Sieht ganz so aus“, erwiderte sie ruhig, auch wenn sie innerlich bebte. „Wieso zahlst du nicht, damit wir endlich verschwinden können?“
Das Geräusch einer zuschlagenden Tür weckte ihn.
J.T. Ashcroft hob den Kopf und blinzelte verschlafen, während er sich in dem fremden Hotelzimmer umsah und sich einen Moment lang fragte, wo er sich befand. Er sah ein relativ spartanisch ausgestattetes Zimmer mit roten Vorhängen und Holzvertäfelung, dessen Einrichtung er in der vergangenen Nacht keine Aufmerksamkeit geschenkt hatte. Stattdessen hatte er der Frau seine volle Aufmerksamkeit gewidmet, die ihn mit in ihr Zimmer genommen hatte – und das bis in die frühen Morgenstunden hinein. Kein Wunder, dass er so müde war und wie erschlagen in dem zerwühlten Bett lag, über dem ein Ventilator hing. Diesen hatte er in den letzten Stunden gar nicht bemerkt. Und auch die alte, zerschlissene Reisetasche war ihm entgangen, die auf einem Stuhl lag und aus der diverse Kleidungsstücke heraushingen.
Um ehrlich zu sein, hatte er sich gestern Abend nicht einmal umgesehen, als er das Zimmer betreten hatte, weil er zu jenem Zeitpunkt damit beschäftigt gewesen war, seine Begleitung auszuziehen und ins Bett zu befördern.
Als er seine Augen nun durch den tristen Raum wandern ließ, stellte er fest, dass das Motel direkt neben dem Carl’s eine Renovierung gebrauchen konnte. Er war schon in besseren Hotelzimmern aufgewacht – aber auch in schlechteren.
Gestern war er nicht mit der Absicht bei Carl aufgetaucht, jemanden für die Nacht zu finden und in dessen Hotelzimmer zu übernachten. Tatsächlich war er einfach hungrig gewesen und hatte einen Zwischenstopp einlegen wollen, bevor er nach Manhattan fuhr. Vielleicht wäre ihm sogar der Gedanke gekommen, bei seiner Tante haltzumachen und dort zu schlafen, wenn ihm das heile Familienleben nicht auf den Keks gefallen wäre. Eigentlich hatte er nichts gegen seine Verwandtschaft.
Scheiße, er liebte die große, lärmende Bande, die sein Cousin mit dessen Frau sowie seine Cousine mit deren Mann in die Welt gesetzt hatten, und seine Tante betete er regelrecht an. Und sein Cousin Stuart stand ihm näher als seine eigenen Brüder, doch auch dieser war mittlerweile in festen Händen und plante, in naher Zukunft Ehemann und Vater zu werden. Früher wäre er nach einem verkorksten Besuch daheim in Maine bei Stuart aufgetaucht, um mit ihm um die Häuser zu ziehen, schöne Frauen kennenzulernen und Spaß zu haben. Heute war das nicht mehr möglich.
Heute konnte er Stuart nicht mehr erzählen, wie sehr ihm seine Eltern auf den Keks fielen, weil sie versuchten, ihm ein schlechtes Gewissen zu machen, und davon sprachen, dass er sein Potenzial verkümmern ließ. Und weil sie ihn dazu drängen wollten, in ihrem Unternehmen zu arbeiten sowie sesshaft zu werden.
Sesshaft.
Der Begriff beschwor das albtraumhafte Bild eines Familienbettes, eines Minivans und eines karierten Pyjamas samt flauschiger Hausschuhe herauf. Sobald ein Mann sesshaft wurde, waren die Zeiten vorbei, in denen man um die Häuser zog, spontan mit seinen Kumpels nach Vegas flog, im Sommer die Mittelmeerküste besuchte und dank freigiebiger Frauen aufregenden Sex haben durfte. Man war Ehemann, Vater und Versorger. Anstatt das eigene Leben in vollen Zügen zu genießen, blieb man als sesshafter Mann zu Hause, veranstaltete Spieleabende mit anderen Paaren, sprach über Schulen, Sommercamps und Musikunterricht, ging mit seinem Labrador in die Hundeschule und konnte froh sein, wenn man einmal im Monat mit seiner Frau schlafen durfte. In der Missionarsstellung, während im Hintergrund die Elf-Uhr-Nachrichten liefen. J.T. kannte die Zahlen nicht, aber er war sich sicher, dass verheiratete Männer vermutlich seltener einen geblasen bekamen als der Heilige Vater.
Anstatt zu heiraten, könnte man sich eher kastrieren lassen. So wie er das sah, kam es eh auf das Gleiche raus.
Da konnte er sich auch sofort die Kugel geben.
„Hey.“
„Hey“, erwiderte er mit einem verschlafenen Murmeln, drehte den Kopf nach links und begegnete dem Blick der Brünetten, die im Türrahmen lehnte, einen Arm um ihre Mitte geschlungen hatte und gleichzeitig an einem Kaffeebecher aus Pappe nippte.
Allem Anschein nach war sie schon länger wach als er und hatte sich bereits einen Kaffee geholt. Gemessen an ihrer Sportkleidung und dem Schweiß auf ihrer Stirn kam sie wohl gerade vom Joggen. Weshalb sie nach dem gestrigen Sexmarathon heute Morgen eine weitere Runde Sport getrieben hatte, war ihm schleierhaft. J.T. spielte gerne und ausdauernd Tennis und schwamm vierhundert Meter in unter fünf Minuten, außerdem lief er regelmäßig zehn Kilometer, um fit zu bleiben, aber selbst ihm stand ausgerechnet jetzt nicht der Sinn nach weiterer körperlicher Betätigung. Viel lieber hätte er noch eine Runde geschlafen.
Dass sie fit war und regelmäßig Sport trieb, hatte er sich bereits in der vergangenen Nacht gedacht. Man konnte einander nicht nackt sehen und miteinander diverse Stellungen ausprobieren, ohne dabei zu erkennen, ob sein Sexpartner in Form war und über einen sportlichen Körper verfügte. Und der Körper, den J.T. in den letzten Stunden kennengelernt hatte, war nicht nur verdammt sportlich, sondern auch wahnsinnig gelenkig. Der Sex mit ihr war nicht von schlechten Eltern gewesen – weiß Gott nicht! Sie beide waren auf ihre Kosten gekommen und hatten viel Spaß miteinander gehabt. Eigentlich hatte er mit so einer heißen Nacht gar nicht gerechnet, als sie beide in ihrem Hotelzimmer verschwunden waren, denn im Grunde war sie gar nicht sein Typ gewesen.
J.T. bevorzugte Frauen mit Kurven, tiefen Dekolletés, vollen Lippen und verführerischer Spitzenunterwäsche. Sie durften gerne hohe Schuhe tragen, zurechtgemacht sein und sich für ihn aufdonnern. Die Frau, an deren Namen er sich dummerweise nicht erinnern konnte und die mit Sicherheit auch seinen Namen vergessen hatte, weil sie in der letzten Nacht mehrmals den Namen ihres himmlischen Schöpfers, aber nicht seinen gerufen hatte, trug keine verführerische Spitzenunterwäsche. Außerdem war sie alles andere als aufgedonnert gewesen, als er ihr gestern Abend im Carl’s begegnet war. Nicht einmal Make-up hatte sie getragen und war in zu großen Jeans, Boots und einem schlichten Shirt herumgelaufen. Nein, in sein Beuteschema hatte sie nicht gepasst, wenn er bedachte, dass sich unter seinen Verflossenen hauptsächlich Bikini-Models und Partygirls tummelten. Auch wenn er wie ein Arschloch klingen musste, gab J.T. zu, dass er Frauen wie ihr meistens keinen zweiten Blick schenkte.
Sicherlich könnte er jetzt behaupten, dass er gestern Abend nur mit ihr aufs Zimmer gegangen war, weil er einen frustrierenden Besuch bei seinen Eltern hinter sich hatte, momentan unter Stress stand und sich einfach hatte abreagieren wollen, aber das stimmte nicht.
Sie hatte ihn gereizt.
Ihr Verhalten hatte ihn förmlich dazu animiert, hinter die Fassade der kühlen Frau mit den etwas streng wirkenden Gesichtszügen zu schauen. Diese Distanziertheit, die sie ausgestrahlt hatte, war ziemlich sexy gewesen. Seit wann er abweisend wirkende Frauen mit einem energischen Kinn, scharf nach oben gezogenen Augenbrauen und einer undurchdringlichen Miene sexy fand, wusste er gar nicht. Aber er hatte sie dabei beobachten wollen, wie sie leidenschaftlich und weich wurde und sich an ihn klammerte, anstatt ihn abwägend anzuschauen und mit der Nase zu rümpfen.
So wie sie es jetzt schon wieder tat.
J.T. war gewissermaßen Experte, was One-Night-Stands betraf, und aus ihrer abwehrenden Körperhaltung sowie ihrer abwägenden Miene konnte er lesen wie in einem Buch. Vermutlich hatte sie nicht damit gerechnet, ihn noch hier vorzufinden, wenn sie von ihrer Joggingrunde zurückkam. Gestern Abend hatte sie ihn mit zu sich genommen, weil sie Sex von ihm wollte, aber jetzt war ein neuer Tag und sie hatte kein Interesse mehr an ihm. Damit kam J.T. klar, denn er hielt es selbst nicht anders. Aber deshalb würde er nicht aus dem Bett springen und zur Tür hinausstürzen.
„Warst du joggen?“ Langsam setzte er sich auf und fuhr mit einer Hand durch sein vermutlich völlig zerzaustes Haar.
„Ja, aber nur für eine halbe Stunde. Ich habe gleich noch einen Termin.“
Innerlich grinste er, denn es war offensichtlich, dass sie ihn loswerden wollte. „Was denn für einen Termin?“
„Eine Familienangelegenheit“, erwiderte sie gelassen. „Hör mal, es war ja heute Nacht sehr nett, aber ich habe ein paar wichtige Dinge zu erledigen.“
„Willst du mich loswerden?“ Er streckte seine Hand nach dem Kaffeebecher aus, aus dem sie gerade noch getrunken hatte, und nahm ebenfalls einen Schluck, nachdem sie ihm diesen gegeben hatte.
Sie antwortete mit einer Gegenfrage: „Willst du denn noch hierbleiben? Ich hätte dich nicht für einen anhänglichen Typen gehalten. Um ehrlich zu sein, war ich überrascht, als du heute Morgen noch hier warst.“
„Tja, was soll ich sagen – ich brauchte anscheinend meinen Schönheitsschlaf.“
Sie schnaubte und verzog anschließend den Mund.
Während J.T. den restlichen Kaffee austrank, beobachtete er sie über den Rand des Bechers hinweg und musste seinen gestrigen Eindruck revidieren. Spröde sah sie nun wirklich nicht aus, und dass sie keinesfalls distanziert war, konnte er nach einer Nacht mit ihr guten Gewissens behaupten. Nur allzu gut erinnerte er sich an die heiße Nummer in der Dusche. Und an der Wand. Nicht zu vergessen natürlich der Sex auf dem Boden, bei dem er sich beinahe die Knie aufgeschürft hätte. Zum Glück hatten sie es irgendwann ins Bett geschafft.
Selbst wenn sie ebenso wie er gerade an den heftigen und wahnsinnig befriedigenden Sex der letzten Nacht denken sollte, zeigte sie davon keine Regung. Ihre Miene war undurchdringlich, sogar ein wenig reserviert. Gleichzeitig erinnerte sich J.T. daran, dass sie so laut und heftig gekommen war, dass er zwischenzeitlich befürchtet hatte, jemand könne die Polizei rufen. Jetzt war von ihrer Leidenschaft nichts mehr zu sehen. Genauso gut hätte sie eine vollkommen Fremde sein können, die ihn im Fahrstuhl darum bat, einen Knopf zu drücken.
Sosehr er es auch versuchte, hinter ihre gelassene Miene und die vornehmen Gesichtszüge zu schauen, wusste er nur, dass sie ihn loswerden wollte. Das bedauerte er merkwürdigerweise, weil er es interessant fand, mit einer Frau die Nacht verbracht zu haben, die sich am nächsten Morgen zur Abwechslung nicht an ihn klammerte, seine Telefonnummer haben wollte und ihn fragte, wann sie sich wiedersehen würden. Leider hatte er die Erfahrung gemacht, dass Frauen nach einem One-Night-Stand immer davon ausgingen, am Anfang einer Beziehung zu stehen. Wie es aussah, stellte diese Frau eine Ausnahme dar.