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Ulla Fröhling

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Beschreibung

Was Frauen wirklich wollen Mit einem frischen, ironischen Blick macht Ulla Fröhling neue Lust auf die Lust. Ihre Heldinnen wollen endlich ihre Begierden ausleben und finden ihr Glück: Elsie ist verrückt nach Strapsen, Sarah nach Schornsteinfegern, Emma nach Katzen, Ute nach dem Mann ihrer Freundin. Und Victoria ist einfach nur gemein. Die Autorin lässt keine Wünsche offen! Erotische Geschichten mit dem gewissen Etwas

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Seitenzahl: 208

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Ulla Fröhling

Nur noch einmal

Erotische Geschichten

Ihr Verlagsname

Über dieses Buch

Was Frauen wirklich wollen

Mit einem frischen, ironischen Blick macht Ulla Fröhling neue Lust auf die Lust. Ihre Heldinnen wollen endlich ihre Begierden ausleben und finden ihr Glück: Elsie ist verrückt nach Strapsen, Sarah nach Schornsteinfegern, Emma nach Katzen, Ute nach dem Mann ihrer Freundin. Und Victoria ist einfach nur gemein. Die Autorin lässt keine Wünsche offen!

Erotische Geschichten mit dem gewissen Etwas

Über Ulla Fröhling

Die langjährige Brigitte-Redakteurin Ulla Fröhling lebt als freie Journalistin und Autorin in Hamburg.

Inhaltsübersicht

Was will das Weib?Ausgewählte AntwortenWinterNur noch einmalFußnoten der LustDer schwarze MannMaltesischFrühlingBrust an BrustLibido al denteWas in den Sternen stehtHosen für den StaatsanwaltLilos MutterSommerOmelette surpriseAbwärts zum HöhepunktDie dominante VarianteAlles für die KatzHerbstKleine SchweinereienNoras LebenselixierLeichenschmausDie BestieFinaleDas ArrangementNeues Jahrtausend – neuer Trend?

Was will das Weib?

Die große Frage, die nie beantwortet worden ist und die ich trotz dreißig Jahre langem Forschen in der weiblichen Seele nicht habe beantworten können, ist die: ‹Was will das Weib?›

Sigmund Freud, undatierte Bemerkung zu Marie Bonaparte

Ausgewählte Antworten

Alle Frauen begehren nur eines:

Sie wollen herrschen – über den Gatten

Und über den Geliebten. Sie wollen das

Regiment führen über den Mann.

Dies ist ihr größter Wunsch

The Wife of Bath’s Tale, Canterbury Tales

Geoffrey Chaucer; 1380

 

Einen Millionär!

Eartha Kitt, 1955, im Song «Just an Old Fashioned Girl»

 

Ich will keine Schokolade!

Trude Herr, 1960, 22 Wochen in der Hitparade

 

Ich will so bleiben, wie ich bin!

Die Union Deutsche Lebensmittelwerke GmbH erlaubt deutschen Frauen diesen Wunsch 1973:

«Du darfst!»

 

99 Luftballons

Nena, 1983, 23 Wochen in der Hitparade

 

Girls just wanna have fun

Cyndi Lauper, 1984, 18 Wochen in der Hitparade

Winter

Nur noch einmal

Zu ihrem 80. Geburtstag wünschte sich Margarethe einen nackten Mann. Keinen bestimmten. Irgendeinen. Die Beschaffung überließ sie ganz ihrer Familie und stellte nur zwei Bedingungen: Er sollte gesund sein und nicht älter als 25.

Am ersten Weihnachtstag traf sich die Familie traditionsgemäß bei Margarethe. Alle waren sehr stolz auf sie. Wer hat schon eine so weit gereiste Großmutter, die vier osteuropäische Sprachen spricht, mit Brieffreunden in Russland, Polen und Ungarn korrespondiert, hervorragend über das politische Tagesgeschehen informiert ist, mit 79 Jahren ihren gesamten Haushalt allein organisiert und nicht zuletzt eine großartige Weihnachtsgans brät?

Würdevoll thronte Margarethe an der Stirnseite der festlich gedeckten Tafel und überragte alle. Margarethe liebte es, alle zu überragen. Da ihre Familie nicht eben kleinwüchsig war, musste sie sich – trotz ihrer stattlichen 1,84 Meter – inzwischen ein Kissen unterlegen, um diesen Effekt zu erzielen. Alle wussten das, und alle gönnten es ihr.

Die Gans war gegessen, die Geschenke waren ausgetauscht und die Kerzen am drei Meter hohen Weihnachtsbaum fast heruntergebrannt. Alle saßen zufrieden beieinander. Das heiße Wasser im Samowar kochte brodelnd, als Margarethe sich noch ein wenig gerader machte und sagte: «Damit ihr es jetzt schon wisst: Zum 80. Geburtstag wünsche ich mir einen nackten Mann.»

«Aber Mama!», riefen die Töchter Alma und Ata. Alma und Ata waren eineiige Zwillinge und riefen auch noch mit 56 Jahren gern gleichzeitig etwas aus. «Mutter scherzt», meinte Sebastian, Atas Mann, beruhigend. Sebastian hatte häufig das Bedürfnis, etwas Beruhigendes zu sagen. Aber wie immer beruhigte es nicht einmal ihn selbst. «Ich glaub, mein Schwein pfeift», kicherte Jutta, Atas 23-jährige Tochter. Lucy, die 15-jährige Tochter von Alma, bewertete den Geburtstagswunsch mit einem anerkennenden «cool». Lucy hatte seit kurzem ein geheimes Verhältnis mit ihrem Geschichtslehrer, einem Mittdreißiger in vorgezogener Midlifecrisis, und bemühte sich um eine philosophische Haltung. «Nun lasst Mama doch mal ausreden», sagte schließlich Ata, die als Kriminalistikprofessorin und zwölf Minuten älterer Zwilling gern als die Vernünftigere galt.

Margarethe erklärte, sie wolle nur ihre Erinnerung ein wenig auffrischen. Es sei so lange her mit Papa. Und die Spätprogramme der Privatsender hätten Zweifel in ihr aufkommen lassen, ob ihre Erinnerung sie vielleicht trüge. Sie wolle diese Zweifel nicht mit ins Grab nehmen. «Versteht mich nicht falsch», fügte sie dann noch hinzu. «Ich habe nicht das Gefühl, etwas versäumt zu haben, aber vielleicht, dass ich nicht alles weiß.»

Margarethe hatte ihren Mann im Zweiten Weltkrieg verloren. Ihre Töchter konnten sich noch dunkel an den sehr preußisch wirkenden Offizier erinnern, dessen Foto stets auf Margarethes Schreibtisch stand. Man sprach kaum über ihn, da alle wussten, wie schmerzlich der Verlust für Margarethe gewesen war.

«Dann genügen doch Bilder», sagte Almas Mann Julius, der bisher geschwiegen hatte, sich jetzt aber auf seine umfangreiche Privatsammlung besann. «Ich bringe dir welche.» In seinem Eifer vergaß er aber, dass Margarethe nackte Männer und keine nackten Frauen sehen wollte. Nein, sagte Margarethe bestimmt, lebend sollte er sein, und sie wollte ihn auch anfassen. «Cool», meinte Lucy, deren philosophisches Vokabular noch in den Anfängen steckte.

Was sich darüber hinaus ergeben würde, hinge selbstverständlich von gegenseitiger Sympathie ab, fügte Margarethe an, um ihre Familie zu beruhigen. Die Bemerkung verfehlte allerdings diesen Zweck.

In den kommenden Wochen tagte der Familienrat in wechselnden Konstellationen. Grundsätzlich war man schnell bereit, Margarethes Wunsch zu erfüllen, wenn es nur irgend ginge. «Was kann sie schon groß mit ihm anfangen», meinte der 52-jährige Julius, über dessen Potenzprobleme alle – außer Julius – Bescheid wussten. «Außerdem hat Mama schließlich Geschmack», meinte Alma und dachte an Margarethes Rokokomöbel, die sie eines Tages zu erben hoffte.

Die Suche war erregend, blieb aber lange Zeit erfolglos. Julius las die entsprechenden Anzeigen regionaler Zeitungen, er bestellte Fachblätter und verweilte in Videotheken. Allen war klar, dass keiner der von Julius hingebungsvoll gesichteten Pornostars in Frage käme, aber sie wollten ihm das Vergnügen nicht verderben. Ata betrachtete ihre Studenten mit anderen Augen, Alma bestellte sich eine Heerschar Handwerker ins Haus, Jutta lud Dutzende von Kommilitonen zum Tee, und Lucy ging mit dem 16-jährigen Sohn ihres Geschichtslehrers ins Bett.

Eines Tages brachte Sebastian einen 24-jährigen Schreiner mit, der auf dem zweiten Bildungsweg Abitur gemacht hatte und jetzt Bauwesen studierte. Er habe ihn, gab er an, von der studentischen Arbeitsvermittlung. Hubert war mittelgroß, sah wirklich gut aus mit seinen dunklen Augen, den schwarzen Locken und einem ausgesprochen hübschen Hintern. Dieser war Sebastian zuerst aufgefallen, als er einem Hobby nachging, das der Familie bislang verborgen geblieben war: Sebastian besuchte bestimmte Ecken nächtlicher Parks und manche Herrentoiletten, auch wenn seine Nieren es nicht erforderlich machten. Er tat das nicht häufig, nur manchmal, wenn Ata, seine Frau, auswärtige Vorträge hielt über Kriminalität in Randgruppen der Gesellschaft – ihr Spezialgebiet.

«Der könnte einer für Mutter sein», dachte Sebastian sofort, als Hubert Sebastians handgreifliches Interesse mit verlegenem Erröten beantwortete. Beim Tee fanden ihn alle nett. Er konnte sich benehmen, war belesen, und als er seine Schüchternheit erst einmal überwunden hatte, erwies er sich sogar als recht amüsant. Vorerst sagte man ihm nur, es ginge um die Großmutter und ihren 80. Geburtstag. Man hatte sich geeinigt, ihm dreitausend Mark zu bieten. Lucy fand, da müsste ein Vorab-Test im Preis mit drin sein, was aber von den anderen einstimmig abgelehnt wurde.

Margarethes Geburtstag nahte. Hubert hatte inzwischen beide Aids-Tests und Atas Suche nach eventuellen Vorstrafen «negativ» durchlaufen. Er kam aus einer ordentlichen Handwerkerfamilie mit ausgeprägtem sozialem Engagement. Seine Aufgabe empfand er inzwischen als tätige Altenpflege. Juttas Vorschlag, er solle aus der Geburtstagstorte springen, war als albern verworfen worden. Man wollte einfach als ganz normale Familie Geburtstag feiern, nur eben mit einem zusätzlichen Gast. Für den Abend plante man, sich frühzeitig zurückzuziehen.

So geschah es auch. Margarethe plauderte charmant und anregend, wobei sich Huberts anfängliche Verlegenheit rasch verlor. Um neun Uhr abends begannen alle zu gähnen, und um halb zehn war Margarethe mit Hubert allein.

Am übernächsten Tag – man hatte beschlossen, Margarethe einen Tag der Ruhe zu gönnen und nicht sofort am nächsten Morgen anzurufen – bekamen Alma und Ata einen Brief, in dem Margarethe sie informierte, dass sie für 14 Tage nach Mallorca gefahren sei, im «La Residencia» in Deia wohne und Hubert mitgenommen habe.

Zwei Wochen später kam sie zurück. Familiären Nachforschungen zufolge sah sie Hubert nie wieder. Auch er machte keinen Versuch, weiteren Kontakt mit der Familie zu halten. Er sei recht nett, aber nicht besonders standfest gewesen, war Margarethes einziger, allerdings etwas mysteriöser Kommentar. Dann wurde über die gesamte Episode nicht mehr gesprochen.

Kurz darauf schrieb Margarethe folgenden Brief, den die Familie erst nach ihrem Tod erhalten sollte:

«Meine Lieben,

euch habe ich es zu verdanken, dass ich meine Zweifel nicht mit ins Grab nehmen musste. Nun will ich euch auch die euren nehmen. Der Offizier auf dem Foto auf meinem Schreibtisch ist nicht euer Vater. Er ist ein mir unbekannter Mann, der seine Aufgabe, ein Vaterbild abzugeben, so gut erfüllt hat, dass Alma und Ata stets glaubten, er habe sie wirklich auf dem Arm gehalten. Eurem Vater bin ich nur ein einziges Mal begegnet. Außer ihm habe ich – abgesehen von Hubert – keinen anderen Mann gehabt. Jetzt will ich euch das wenige erzählen, das ich über ihn weiß. Ich habe euch nie gesagt, wie sehr ich in meiner Kindheit und Jugend unter meiner Länge gelitten habe. Ich war immer einen Kopf größer als alle anderen. Mein Vater hat sich sehr bemüht, mich über diesen Makel hinwegzutrösten. Er verwöhnte mich sehr und hatte mich am liebsten ständig um sich. Schon als ich noch ein ganz kleines Mädchen war, begann er mich auf seine Geschäftsreisen mitzunehmen. 1914, fast noch ein Baby, war ich dabei, als Präsident Wilson den Panamakanal eröffnete. 1926 begleitete ich Vater nach Köln, wo er am Bau der ersten deutschen Hochhäuser mitgearbeitet hatte. Und im Mai 1935 nahm er mich mit zur Eröffnung der Moskauer Metro. Er war dort als beratender Ingenieur tätig. Für meinen Vater war es ein großes Erlebnis. Er war ein unpolitischer Mensch, aber es begeisterte ihn sehr, Stalin in diesem Marmorpalast unter der Erde einmal persönlich zu sehen.

Ich fand alles furchtbar: Die Russen waren noch kleiner als die Deutschen. Da stand ich, ein junges Mädchen von 23 Jahren, und ragte aus der Menge wie ein Leuchtturm. Plötzlich sah ich 50 Meter entfernt einen Mann, der zu mir herüberstarrte. Er war zwei Köpfe größer als alle anderen. Und darüber hinaus trug er eine Pelzmütze, durch die er noch größer wirkte. Gleichzeitig gingen wir aufeinander zu. Es war leicht, uns nicht aus den Augen zu verlieren. Irgendwann standen wir uns gegenüber, von der Menge dicht zusammengedrängt. Er sprach einige Sätze auf Russisch, ich sagte etwas auf Deutsch. Wir verstanden unsere Worte nicht, aber wir wussten, dass wir zum ersten Mal im Leben jemandem begegneten, der uns gewachsen war. Ich gab mich ihm auf der Stelle hin. Es war und blieb das überwältigendste Erlebnis meines Lebens. Stalin zerschnitt gerade das Band und eröffnete die U-Bahn. Ich wurde ohnmächtig. Vater glaubte später, es sei die Enge gewesen. Als ich wieder zu mir kam, sah ich, wie sich der Russe verzweifelt gegen die stoßende, schubsende Menschenmenge wehrte. Aber er wurde fortgedrängt. Ich habe ihn nie wieder gesehen.

Ich danke euch nochmals: Ihr habt euch viel Mühe gegeben, einen netten jungen Mann für mich zu finden. Aber Hubert kann eurem Vater nicht das Wasser reichen. Ich habe also nichts versäumt. Ich danke euch besonders, dass sich jede von euch Frauen (außer einer) und einer von euch Männern die Mühe gemacht hat, Hubert persönlich für mich zu testen.

Margarethe.»

Fußnoten der Lust

Elsie war bereit, alles hinzugeben für Strapse. Wirklich alles. Die schon bezahlte Urlaubsreise nach Teneriffa, den neuen Opel Kadett, vielleicht sogar die angezahlte Eigentumswohnung, zwei Zimmer mit Kochnische, Bad und dem kleinen Traumbalkon über den Dächern von München. Wenn ihr das gestern jemand erzählt hätte, sie hätte ihn für verrückt erklärt. Noch vorhin, als sie in den IC nach Rom einstieg, hätte sie gelacht über diese verrückte Idee. Obwohl ihr da schon ein bisschen mulmig war: so ein Gefühl unten im Bauch, bei dem sie nicht recht wusste, sollte es Durchfall, Leidenschaft oder eine Eierstockentzündung werden.

Es ging ihr gar nicht um die Strapse. Alberne Dinger, und was Männer an diesem Stück Fleisch finden konnten, das da zwischen Unterhose und Strumpfband frierend und rosa wie halb gares Eisbein herausragte, hatte sie nie verstehen können. Deshalb war es ihr – trotz Festtagsstimmung bei flackerndem Lichterglanz – auch nur unter größter Anstrengung gelungen, ein mattes Lächeln auf ihre Züge zu zaubern, als Fred damals ausgerechnet mit so einem Ding angekommen war. Er begriff das Lächeln. Weihnachten vor fünf Jahren war das gewesen. Kurz darauf hatten sie sich getrennt. War auch besser so.

Das Einzige, was Elsie jetzt bedauerte, war, dass er die Strapse mitgenommen hatte. Egal, ob er sie dann Luise geschenkt hatte oder der, die nach Luise kam. Nur jetzt, in diesem Moment und in diesem Zugabteil, ersehnte sie nichts heftiger als jenes schwarze Gerät, das sie bisher immer an ertrunkene Spinnen hatte denken lassen, ihr auf einmal aber wie eine unerlässliche Zutat der Leidenschaft erschien.

Nicht dass sie plötzlich ein ästhetisches Verständnis für raffinierte Dessous erwischt hätte wie andere vielleicht die Grippe. Es war ganz einfach die Technik, für die sie von einer Sekunde zur anderen von einem tiefen Erkennen erfüllt war. Die Technik der Befestigung: Schnipp! – konnte man sie öffnen. Und schlapp! – den Strumpf abziehen. Und genau das konnte Elsie jetzt nicht. Zu ihrem tiefen Bedauern steckte sie in einer dieser Strumpfhosen mit Zwickel und Fersenverstärkung. Zwanzig Stück hatte sie davon im Schrank, alle irgendwie zu kurz oder zu lang, braun oder in Farben, die zu nichts passten. Sie würde sie alle wegschmeißen, dachte Elsie.

Soweit sie überhaupt noch dachte. Denn ihr Denken hatte gegen 2.30 Uhr, etwa auf der Höhe von Verona, seine relative Gradlinigkeit verloren. Es waren eher Bruchstücke, die vor ihr auftauchten. Oder Bilder. Bilder voll Strapsen und Strumpfhosen zum Beispiel, die über die Wände ihrer Wohnung kletterten. Oder über ihr Bett. Elsie musste lachen. Der Herr am unteren Ende ihres Liegesitzes nahm Elsies großen Zeh aus seinem Mund und lächelte ebenfalls. Elsies bestrumpften Zeh. Das war das Problem. Elsie hätte liebend gern den Strumpf entfernt. Doch wie? Aufstehen und sich aus der Strumpfhose wühlen? Den Rock hoch und das Ding runterzerren? Unmöglich. Nicht für den Bruchteil einer Sekunde wollte sie ihren Fuß dem Herrn dort unten entziehen.

Für den Herrn schien das alles kein Problem zu sein. Soweit Elsie wusste. Geäußert hatte er sich noch nicht zu dieser Situation. Überhaupt hatten sie bisher kein einziges Wort miteinander gewechselt. Er hatte sich noch nicht einmal vorgestellt. Nicht, als er in Bozen den Wagen bestieg, nicht, als er sich auf die Liege auf der anderen Seite des schmalen Ganges setzte, nicht, als er herübergriff und seine Hand neben ihren ausgestreckten Fuß legte, sodass sein kleiner Finger irgendeine bislang unentdeckte Stelle zwischen Knöchel und Ferse berührte. Beim ersten Mal war sie noch weggerückt. Obwohl ihr da schon der Schweiß auf der Stirn stand, ihre Zähne klapperten und die Hände so zitterten, dass sie sie unter die Achseln klemmte, um Halt zu finden.

Dann waren ihre Schuhe fort und seine Finger überall. Auf, zwischen, in ihren Zehen. Als er den kleinen Zeh in den Mund nahm, konnte Elsie sich gerade noch am Bett über sich festhalten. Wenn sie vom Sitz gerutscht wäre, hätte sie sicherlich die Frau geweckt, die seit München auf dem oberen Bett lag und schlief. Und das wollte sie auf keinen Fall.

Noch niemals hatte Elsie etwas Ähnliches gefühlt. Was genau passierte, wusste sie nicht. Aber die Wirkung war aufwühlend, exquisit. Nichts, was Fred je getan hatte, war dem hier auch nur annähernd ähnlich. Jedes winzige Körperhaar stand ihr zu Berge, sie fühlte jede einzelne Zelle und meinte, ihre Lippen müssten platzen. In ihren Ohren rauschte ein Wasserfall, ein roter Wasserfall merkwürdigerweise, dann schien ihre Vagina riesenhafte Ausmaße anzunehmen und schickte sich an, den Herrn dort unten zu verschlingen.

Wenn man Elsie vor fünf Stunden erzählt hätte, dass sie einmal solche Gefühle haben würde, sie wäre entrüstet errötet. Elsie würde nie wieder erröten. Zu diesem Zeitpunkt hatten Mund und Hände des Herrn noch nicht einmal Elsies Knie erreicht. Weiter würden sie auch nie kommen. Es war unnötig. Dies hier war noch viel besser, als Marianne ihr erzählt hatte. Oder besser: angedeutet, denn irgendwie hatten ihr die Worte gefehlt, und Elsie konnte das jetzt verstehen. «Keine Strumpfhose!», hatte Marianne allerdings empfohlen. Doch Elsie war entschlossen gewesen, nicht einmal die Schuhe auszuziehen. Nur mal gucken, wie der aussieht, wollte sie.

«Im ersten Liegewagen hinter der Lok», hatte Marianne gesagt, und dass er in Bozen zusteige. Marianne hatte ihn nämlich zuerst entdeckt. Es war reiner Zufall gewesen. Dann hatte sie herausgefunden, dass er jeden Donnerstagabend von Bozen nach Rom fuhr. Es hatte Marianne sehr viel Geld gekostet, das herauszufinden. Abgesehen von den Rückfahrkarten war da noch der Urlaubstag. Und dann, was soll man Freitag früh in Rom machen, wenn man dort niemanden kennt? Das erste Wochenende hatte Marianne auf dem Bahnhof verbracht. Bei klirrender Kälte, denn es war Dezember. Irgendwann musste er doch zurückfahren. Als er Montag früh immer noch nicht kam, machte sie sich auf die Heimreise. Von nun an fuhr sie jeden Abend nach Bozen. Am Donnerstag um 0.53 Uhr war er wieder da. Stieg in das gleiche Abteil. Marianne auch.

In der Folge wurde es dann etwas schwierig, die vielen einzelnen Urlaubstage zu erklären: «Immer freitags, ob das denn nötig sei?» Leider lebte Mariannes Mutter nicht mehr, sonst hätte sie Pflegedienste vorgeschoben. So handelte sie mit ihrem Arbeitgeber eine Vier-Tage-Woche aus. Das wurde irgendwann ein finanzielles Problem, denn vier Rückfahrkarten München–Rom pro Monat kosteten immerhin 1150,60 Euro im Liegewagen zweiter Klasse mit vier Plätzen. Trotz 25 Prozent Abzug bei Frühbuchung. Sie erwog die Anschaffung einer Bahncard, aber das lohnte ja kaum noch. Zusammen mit der reduzierten Arbeitszeit erwies sich das als untragbar, also ging Marianne wieder auf volle Stundenzahl und setzte schließlich doch einen Urlaubstag pro Woche durch. Nun stand sie allerdings vor einem anderen Problem: Für jede Liegewagenreise München–Rom–München musste sie einen Urlaubstag nehmen. Das waren 52 Tage im Jahr, sie hatte aber nur 30 Urlaubstage. Da entschloss sie sich, den Herrn für diese 22 Resttage ihrer besten Freundin, Gudrun, anzubieten. Ungläubig machte die einen Versuch. Wegen des in der Folge auch bei Gudrun auftretenden Urlaubsproblems beschlossen beide, sich abzuwechseln.

Als Gudrun dann zur Kur musste und Mariannes Urlaub für dieses Jahr aufgebraucht war, weihten sie Elsie ein, die nun sozusagen ihre Jungfernfahrt machte. Marianne, Gudrun und Elsie waren seit langem befreundet. Sie arbeiteten im selben Schreibpool; dienstags gingen sie zusammen kegeln.

Etwas störend fanden alle drei, dass jedes Mal eine Frau mit im Abteil war. Aber da die schlief, störte sie nicht weiter. Zu einer eingehenderen Betrachtung ihrer Umgebung hatten die drei Freundinnen ohnehin keinerlei Kapazitäten frei. Sonst wäre ihnen aufgefallen, dass es jedes Mal dieselbe Frau war.

Der schwarze Mann

Sarah Rosenberg genoss und schwieg. Polizeiobermeister Beckmann aber war fassungslos: Dies war die heiterste Verursacherin einer Massenkarambolage, die ihm je begegnet war. Bei klarer Sicht, trockener Fahrbahn und Tempo 40 hatte Sarah ihren BMW plötzlich stark gebremst und den Auffahrunfall von 17 Fahrzeugen verursacht: sechs Golf, eine Ente, drei Mercedes, zwei Kadett, zwei BMW, zwei Volvo und ein Trabi. Damit nicht genug: Dann hatte sie Vollgas gegeben, direkt in den Kofferraum eines Peugeot hinein, und zusammen waren die beiden an fünf parkenden Autos entlanggeschrammt. Glücklicherweise erlitt niemand größere Verletzungen – das Tempo war niedrig, und alle waren angeschnallt gewesen.

Nun stand Sarah in einer Menge zumeist tobender Männer und lächelte. Beckmann kam das so ungewöhnlich vor, dass er es im Protokoll vermerkte: «Sie wirkt entspannt, heiter und zufrieden.»

Als Erklärung für ihr exzentrisches Fahrverhalten gab Sarah einen über die Fahrbahn rasenden schwarzen Wolfshund an, den allerdings niemand außer ihr bemerkt hatte. Trotz aller Gelöstheit fand Sarah doch, dass sie nicht gut die Wahrheit sagen konnte. Es verhielt sich nämlich so, dass zu Zeiten hormoneller Spitzenproduktion der Anblick eines eifrig auf dem Radfahrweg entlangpedalenden Schornsteinfegers genügte, um Sarah einen Orgasmus zu bescheren, der sich mit nichts vergleichen ließ, was ihr normalerweise in dieser Richtung geboten wurde. Wenn es dann krachte, war der Schornsteinfeger meist schon in irgendeiner Querstraße verschwunden.

Durch diese Eigenheit gestaltete sich Sarahs Leben etwas kompliziert. Nicht unerfreulich, aber kompliziert. Und nach dem neuesten Unfall sollte sich ihr Motto «Schweig und genieß» allerdings als unzureichend erweisen, da die Kfz-Versicherungsprämie immer höher stieg. Auch der Plan, die Einsatzzeiten der Bezirksschornsteinfegermeister entlang ihrer jeweiligen Fahrtroute in Erfahrung zu bringen, war letztendlich kaum durchführbar. So beschloss Sarah nach diesem Unfall, an den Tagen um ihren Eisprung herum nur noch öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen.

Als es dann aber zu jenem Aufsehen erregenden Zwischenfall bei der Ortsbesichtigung im Hof eines Mandanten kam, eines Kohlenhändlers, der im Verdacht stand, seine geschiedene Frau mit einer Brikettschaufel an die Lagertür genagelt zu haben, wusste Sarah, dass es nun endlich an der Zeit war, ihrer brisanten Eigenheit auf den Grund zu gehen. Auf das Vergnügen verzichten wollte sie beileibe nicht, aber ihr Bedürfnis, die Kontrolle über den eigentümlichen Impuls in die eigenen Hände zu nehmen, wurde immer dringender. Im Privatleben mochten diese Affekte ja noch angehen, aber in ihrem Beruf als Rechtsanwältin bestand allmählich die Gefahr, durch derartige Zwischenfälle an Glaubwürdigkeit und Seriosität einzubüßen. Das eine oder andere Mal hatten sich solche Vorkommnisse durchaus schon in Besprechungen mit Mandanten und sogar in Gegenwart des hohen Gerichts ereignet – manchmal mit der Gewalt von Naturereignissen. Schon jetzt galt Sarah daher als etwas ungewöhnlich. Und außerdem, so sagte sie sich, könnte sie sich schließlich nicht gut für den Rest ihres fruchtbaren Lebens irgendwelchen zufällig vorbeiradelnden Schornsteinfegern oder ahnungslosen Kohlenträgern ausliefern oder was möglicherweise sonst noch hinzukommen würde. So schritt Sarah zur Tat.

Das verhaltenstherapeutische Verfahren, welches ein Psychologe der Universität Hamburg an ihr probierte, endete in einer blanken Katastrophe. «Durch Gewöhnung zur Abstumpfung» hieß das Konzept, das man ihr im Institut erläuterte. Beim ersten Gruppentreffen saßen sie zu viert im Kreis: eine Frau mit Katzenphobie, eine andere, die Hunderte Liter Sprit in die Gegend gespritzt hatte, weil sie regelmäßig in Panik geriet, wenn sie an der Tankstelle den Zapfhahn in den Benzintank ihres Wagens stecken musste, ein junger Mann, der nicht aufhören konnte, an Geldautomaten zu spielen, und Sarah. Zuerst sollten sie lernen, ihre Eigenheiten gedanklich unter Kontrolle zu bringen. Doch wenn Sarah sich Schornsteinfeger vorstellte, passierte überhaupt nichts. So arrangierte das Institut ihre Teilnahme an einer traditionellen Hochzeit im Alten Land, einem idyllischen Obstanbaugebiet im nördlichen Niedersachsen. Als Sarah – fest entschlossen und gut vorbereitet durch allerlei Konzentrationsübungen – an einem heiteren Spätfrühlingstag aus dem Taxi stieg und sah, wie ein leichter Windhauch die ersten Blütenblätter der blühenden Kirschbäume auf drei entzückende Blumenstreukinder hinabwehte, die zarte Rosenknospen auf den Weg des Brautpaares streuten, das gerade durch ein Spalier von zwölf Schornsteinfegern schritt, die – in Berufskleidung und mit hoch erhobenen Reisigbesen – vor der alten Kirche von Harsefeld standen, hatte sie ein Erlebnis von ungekannter Stärke. Der bedauernswerten Braut hingegen war schlagartig klar: Was auch immer sie heute Nacht tun würde, diesen Eindruck könnte sie nie verwischen.

Im Institut wurde als Einzige die Frau mit der Katzenphobie geheilt. Später allerdings stellte Sarah fest, dass nun auch schwarze Katzen eine zwar abgeschwächte, aber ähnliche Wirkung wie Schornsteinfeger auf sie ausübten. Pech, dachte Sarah pragmatisch und machte den nächsten Versuch. Die Therapie bei einem Analytiker, einem kleinen, dicklichen Freudianer in hellbraunem Anzug und sandfarbener Schleife, brach Sarah ab, als der Mann nur noch ganz in Schwarz gekleidet erschien. Dann versuchte sie mit Gestalttherapie und Focusing ihrer Eigenheit auf den Grund zu kommen, sie meditierte, machte Reinkarnation in Thailand, Yoga in der Toscana und Urschrei in Wuppertal-Barmen.

Schließlich passierte es beim Autofahren – an den ungefährlichen Tagen –, dass ihre Erinnerung zurückkam. Es war der 29. Mai 1990, ein Dienstag, nachmittags kurz nach halb fünf. Sarah kam von einem Termin in Braunschweig zurück und tauchte gerade in die Oströhre des Elbtunnels hinab. Hier suchte sich ihr Radio automatisch den NDR. «… Neuvorstellung in OPA, unserer neuen Oldie-Parade», sagte Sprecher Uwe Bahn, und dann kam es: «Oh yeah I’ll tell you something I think you’ll understand, I wan-na hold your haaand.» Sarah schaffte es gerade noch aus dem Tunnel heraus, rechts ran auf den Standstreifen, Warnblinkleuchte an, und dann überflutete sie die Erinnerung: ein schwarzer schwitzender Kerl und ein Kind, kaum 12, im weißen Pelz.

Schon damals in der Schule war Sarah ein auffallendes Mädchen gewesen, sehr attraktiv, mit roten Haaren und einer frechen Stupsnase in ihrem hübschen Gesicht. Aber sie war auch ein sehr unglückliches Mädchen, zurückhaltend und verschlossen. Sarahs Vater, der Kaufmann Rosenberg, war vor fast 30 Jahren in die USA