Ohne Dich ist manchmal ganz gut. - Piet Weber - E-Book

Ohne Dich ist manchmal ganz gut. E-Book

Piet Weber

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Beschreibung

Die Leiden des jungen Weber: Wie konservativ sind Katzen? Warum sind Berliner konsequent unfreundlich? Ohne die anderen lässt es sich oftmals besser aushalten. Piet Weber ist die wohl wichtigste neue Stimme in der Berliner Vorleseszene. Ein junger Autor mit Liebe am Fabulieren und Pointieren, gestählt durch unzählige Auftritte bei Lesebühnen und Poetry Slams und geprägt durch seine Geburts- und Heimatstadt Berlin. Ob ein Spieleabend mit seinem Neffen, eine telefonische Pizzabestellung oder die Internet-nachhilfe für seine Mutter aus dem Ruder laufen: Ohne die anderen wäre die Welt für Piet Weber manchmal eine bessere. In seinen Geschichten analysiert er die Hintergründe deutscher Schlager- und Kindermusik fragt sich, warum es in Deutschland noch keine "Goldenen Panzer"-Award gibt und kann mit Überzeugung sagen: "Berlin – das J steht für Freundlichkeit." Komische Geschichten aus dem Herzen der Hauptstadt, satirische Betrachtungen, ausgefeilte Poetry-Slam-Texte und bärbeißiges, bühnenliterarisches Kabarett – Piet Webers Debüt stellt die Vielfalt eines Autors unter Beweis, von dem man sicher noch viel hören wird.

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Seitenzahl: 148

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Piet Weber

Ohne Dich istmanchmal ganz gut.

Geschichten

Piet Weber

wurde an einem Sonntag im November 1986 in Berlin geboren, was zu einem großen »Hurra« führte. Er absolvierte Kindheit und Schulzeit ohne größere Zwischenfälle und studierte danach irgendwas mit Medien und Journalismus.

Seit 2014 reist er als Poetry-Slammer und Lesebühnenautor durch den deutschsprachigen Raum und ist gelegentlich als Moderator verschiedener Veranstaltungen tätig. Im Jahr 2015 wurde er Vizemeister der Berlin-Brandenburg-Meisterschaft im Poetry Slam; 2016 war er Halbfinalist der deutschsprachigen Meisterschaften. Piet Weber ist zudem Gründungsmitglied der Berliner Lesebühne »Zentralkomitee Deluxe«.

www.pietweber.de

E-Book-Ausgabe März 2018

© Satyr Verlag Volker Surmann, Berlin 2018

www.satyr-verlag.de

Cover: Karsten Lampe

Autorenfoto: Afra Bauer

Korrektorat: Jan Freunscht

Audioaufnahmen: Vredeber Albrecht (www.audiofenster.de)

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet abrufbar über: http://dnb.d-nb.de

Die Marke »Satyr Verlag« ist eingetragen auf den Verlagsgründer Peter Maassen.

E-Book-ISBN: 978-3-947106-05-9

Inhalt

Der Spieleabend

Berlin, das »J« steht für Freundlichkeit

Spaß in der Kunstausstellung – Ein kontradiktorisches Date

Meine Oma, Benjamin Blümchen und ich

Im Gespräch (Sachsen)

Von Katzen und Konservativen

Springer schlägt Flöte auf E4 – oder: Wilde Kindheit hoch zwei

Eine kritische Annäherung an das Liedgut »Der König von Mallorca« von Jürgen Drews

Anruf bei der Feuerwehr

Im Gespräch (Zugfahrt)

Ich hasse das Internet

Die Familienfeier

Ehrlich währt am längsten

Opa gibt Rätsel auf

Brief an die Lehrerin

Im Gespräch (U-Bahnhof)

Weshalb ich in der U8 immer Kopfschmerzen kriege

Als ich mal ein Brot kaufte

Der erste Aufsatz

Eine kritische Annäherung an das Liedgut »An der Nordseeküste« von Klaus & Klaus

Der Biervater

Im Gespräch (Kino)

Im Norden nichts Neues

Krieg und Spiele

Das Reisetagebuch

Die Pizzabestellung

Der Tod

Im Gespräch (Keller)

Kitschige Bilder vong Konfuzius her

Eine kritische Annäherung an das Liedgut »Das rote Pferd« von Markus Becker

Weihnachtszeit

Silvester

Eine Chronologie

Gedanken vor dem Auftritt

Mein Liebesbrief

Dank

Der Spieleabend

»Mau!«, rief ich zum ersten Mal an diesem Abend, stolz, endlich die Regeln dieses komplexen Kartenspiels begriffen zu haben.

Mein sechsjähriger Neffe guckte mich irritiert an. Auch meine Mutter schien verwirrt: »Wir haben vor einer Stunde aufgehört, Mau-Mau zu spielen«, erklärte sie. »Seitdem spielen wir Monopoly. Und da ruft man nicht ›Mau‹, wenn man nur noch einen Geldschein hat.«

Ich guckte auf den Berg voller Scheine, den mein Neffe angehäuft hatte, und entschied mich dazu, Monopoly doof zu finden.

Während ich bei Mau-Mau noch daran scheiterte, dem tückischen Verwirrspiel um Farben und Zahlen Herr zu werden, waren es bei Monopoly meine beiden Feinde Würfelglück und Verhandlungsgeschick, die dafür sorgten, dass ich erneut ins Hintertreffen geriet.

Gleich zu Beginn hatte ich eine Eins gewürfelt und mit der Errichtung eines sozialen Wohnungsbaus in der Badstraße mein städtebauliches Highlight sehr früh im Spiel gesetzt. Auf der anderen Seite hatte mein Neffe relativ skrupellos alles aufgekauft, was ihm unter den Zylinderhut seiner Spielfigur kam. Nicht nur der Prachtboulevard um Parkstraße und Schlossallee war nach wenigen Minuten Spielzeit in seinen Besitz übergegangen, sondern auch Elektrizitäts- und Wasserwerk hatte er umgehend privatisiert, um daraus Kapital zu schlagen.

Meine Mutter hingegen begnügte sich damit, mit dem 1930er-Roadster-Auto Runde um Runde auf dem Feld zu drehen, um sich in Ruhe die Sehenswürdigkeiten des Spielbretts anzuschauen. Die Poststraße, direkt am Gefängnis, tolle Gegend. Und die Bahnhofsstraße gehört ja in jedem Ort zu den ästhetischen Höhepunkten eines Stadtbildes.

Wenn sie auf der Schlossallee zum Stehen kam, freute sie sich, ihren Enkel besuchen zu können, der natürlich keine Miete von seiner Großmutter verlangte. Aber als gute Oma hat sie ihm trotzdem immer ein paar Scheine zugesteckt.

Anders entschied er sich, wenn sein Onkel Piet auf die Schlossallee mit ihren vier Häusern einbog. 1.700 Euro Miete musste ich zahlen. Ich versuchte, zu verhandeln und Mietminderung geltend zu machen, was beim Vermieter auf taube Ohren stieß. Auch das Argument, dass direkt ums Eck in der Badstraße ein sozialer Wohnungsbau die Wohnqualität in seinen Immobilien senken würde, hat meinen Neffen nicht überzeugt: »Das sind doch deine Wohnungen!«, stellte er fest. »Ja. Deswegen weiß ich ja, was da für Leute wohnen. Kriminelle, Studenten und andere Störenfriede. Da haste nur Ärger mit. Und das ist gerade mal zwei Spielfelder entfernt.«

Das Problem hat sich aber recht schnell von selbst gelöst. Mein Neffe nutzte meine zunehmende Geldknappheit aus, kaufte mir die Badstraße bei nächster Gelegenheit ab und wandelte die Wohnungen in ein Luxushotel um. Diese schamlose Gentrifizierung hielt mich immerhin noch für weitere fünf Minuten im Spiel. Aber dann würfelte ich meinen Fingerhut mit einer Sechs auf das Wasserwerk und musste unter lautstarkem Protest (»Wasser ist ein Grundrecht!«) 240 Euro in den gierigen Rachen eines Erstklässlers werfen.

Es war schon deprimierend, derart krachend gegen jemanden zu verlieren, der sich erst seit zwei Wochen selbst die Schuhe zubinden konnte. Und das auch nur, wenn er dabei »Hasenohr, Hasenohr, einmal rum und dann durchs Tor« vor sich her murmelte. Aber seinen Onkel in die Insolvenz treiben, das konnte der Racker hervorragend. Das scheint man heute in den ersten Wochen Schulzeit zu lernen. Während wir noch in der Fibel Buchstaben ausgemalt haben, erstellen die Kinder heute Businesspläne, um in der dritten Klasse ihr erstes Start-up-Unternehmen gründen zu können. Man kann ja nicht früh genug seine erste App auf den Markt bringen. Pausenhof-Tinder. Die App, die Schüler und Käsestulle zusammenbringt.

Dabei sollen Kinder doch rennen, lachen, spielen und nach Möglichkeit hinfallen. Und dabei von jemandem gefilmt werden, der das bei YouTube hochlädt. Da sehe ich Kinder. Auf dem Boden. In Pfützen. Weil sie lustig gestolpert sind. Und nicht, wie sie sich triumphierend mit Monopoly-Geldscheinen Luft zuwedeln, weil sie ihren Onkel bei einem Brettspiel vernichtend geschlagen haben.

»Onkel Piet, erzählst du mir gleich noch eine Gutenachtgeschichte?«, fragte mich mein Neffe, nachdem wir das Spiel weggepackt hatten.

»Ja, kann ich schon machen.«

»Aber nicht wieder die vom Kettensägenmörder.«

Irgendwie mag er die von mir geschriebenen Kindergeschichten nicht. Dabei hatte ich das Ende extra offen gehalten. Der Kettensägenmörder war in der nebligen Nacht untergetaucht und bereit, jederzeit zurückzukehren.

Aber Neugierde, ob der große Mann mit der langen Narbe unter der leeren Augenhöhle seine Opfer im zweiten Teil noch grausamer zerstückelt und erneut entkommen kann? Bei meinem Neffen Fehlanzeige. Er wollte sich lieber drei Stichwörter ausdenken, aus denen ich ihm eine Geschichte basteln sollte. Und er entschied sich für: Goldi den Goldfisch, den Weltraum und Herrn Schmidt, den netten Nachbarn, der immer so freundlich grüßt, wenn mein Neffe von der Schule nach Hause kommt.

Nachdem er sich zugedeckt hatte, fing ich an, die Geschichte zu erzählen:

»Herr Schmidt wohnte nicht immer mit seinem Goldfisch Goldi in dieser Gegend. Er wohnte auch nicht im Weltraum. Herr Schmidt wohnte früher in der Badstraße. Doch dann kaufte ein Immobilienhai dort alles auf und machte daraus ein Hotel. Das hat Herrn Schmidt sehr wütend gemacht. Also nahm er seine Kettensäge und fing an, Menschen zu töten. Heute versteckt er sich häufig unter Kinderbetten. Gute Nacht!«

Ein altes, finnisches Sprichwort sagt ja: Glück im Spiel, Pech beim Einschlafen.

Diesen Text anhören:

http://satyr-verlag.de/audio/weber1.mp3

Berlin, das »J« steht für Freundlichkeit

Alexanderplatz. Es schien ein ganz normaler Tag zu sein. Alles wie immer, dachte ich.

An der Weltzeituhr trafen sich Menschen und bewunderten diese ausgefuchste, aber sehr hässliche DDR-Ingenieurskunst. Andere Menschen hetzten von der Tram zur S-Bahn, obwohl die S-Bahn natürlich gar nicht fuhr. Berlin liegt schließlich fast auf einem Breitengrad mit Nowosibirsk. Und wenn es in Nowosibirsk kalt wird, fahren in Berlin keine S-Bahnen mehr. Für uns Berliner ist das mittlerweile sehr logisch geworden. Zumindest logischer als die Erklärung, dass jedes Jahr die Türen der Waggons zufrieren und die Heizung ausfällt, wenn das Thermometer die Zehn-Grad-Marke unterschreitet.

Ich beobachtete, wie zwei Kinder miteinander stritten. Das etwas größere trat auf den Fuß des etwas kleineren, das laut aufjaulte, dem größeren mit der Faust ins Gesicht schlug und ein Messer zog.

Doch dann passierte etwas, was für Berlin außergewöhnlich ist: Die Eltern der beiden Kinder störten sich an dem rabiaten Verhalten ihrer Sprösslinge und hielten sie davon ab, noch weiter auszurasten.

»Was ist denn jetzt los?«, dachte ich. »Das grenzt ja schon fast an Erziehung! Wir sind hier doch nicht in München.«

Nach einer kurzen Phase der Irritation sah ich in der Hand des Vaters einen Reiseführer. Eine Touristenfamilie also. Und Vati sah so aus, als sei er nur nach Berlin gekommen, um die hervorragenden Erzeugnisse der Brauereikunst zu verköstigen, für die diese Stadt ja weltweit bekannt ist: Berliner Pilsner, Kindl und Schultheiss. Das Drei-Gänge-Menü für Genießer.

Offenbar hatte ich ein wenig zu lang auf die Familie gestarrt, denn nachdem sie ihren jüngsten Sohn entwaffnet hatte, kam sie auf mich zu und wollte mich bestimmt irgendwas Dämliches fragen. So doofe Touristenfragen halt, die eigentlich total legitim sind. Aber in dem Reiseführer des Vaters stand mit Sicherheit, dass die Berliner schroff und unfreundlich seien. Und da er Berlin gebucht hatte, sollte er Berlin so bekommen, wie es in seinem Büchlein stand.

Noch bevor er seine Frage stellen konnte, spuckte ich also auf seinen Reiseführer und erklärte:

»Wat steht da vorne druff, Freundchen? Wat steht da? BERLIN steht da. Und dit ›J‹ steht für Freundlichkeit!«

Die ganze Familie schaute mich irritiert an. Hatten mich wohl nicht verstanden. Also erklärte ich es noch einmal auf Englisch: »BERLIN. Hier. The ›J‹ stands for friendlykeit!« Gar nicht erst den Eindruck erwecken, als könnte der Berliner an sich Englisch. Sonst steigen die später mit viel zu hohen Erwartungen in einen Linienbus der BVG. Aber so ein Busfahrer hat ja schon auf Deutsch einen begrenzten Wortschatz. Mehr als »Weeß ick doch nich!« und »Machen Se mal die mittlere Tür frei!« kommt da meist nicht.

Wenn man ihm dann auch noch mit Englisch kommt, schmeißt er Kleingeld nach einem.

Ich blickte immer noch in leere Touristenaugen und versuchte es dann mit Französisch. Wir Berliner sind halt Kosmopoliten und in jeder Sprache zu Hause:

»BERLIN. Et voilà, baguette, fromage, Arthur est un perroquet, oui, oui.«

»Aber isch wollt doch eigentlisch nur mal frogen, ob Se nisch vielleischt ’n Foto von üns vor der Weltzeitühr mochen gönnten«, fand der Vater endlich seine Worte wieder.

Hätte er bleiben lassen sollen.

Ich mag ja schon die normalen Touristen nicht, die diese Stadt am Ende ihrer Reise immer besser kennen als ich, der hier geboren wurde. Total unsympathisch.

Außerdem merken die gar nicht, was sie anrichten. Von dem Geld, das die in die Stadt bringen, werden U-Bahnhöfe repariert. Und der Tourist ist ja längst wieder weg, wenn die BVG dann ganze Streckenabschnitte für ein Jahr sperrt.

Wenn Touristen nicht wären, hätten wir gar kein Geld, um irgendwas zu sperren und zu reparieren. Außerdem mögen wir Berliner, wenn etwas kaputt ist: die Gedächtniskirche oder das Tacheles zum Beispiel. Oder Marzahn. Am Hermannplatz sind sogar die Menschen kaputt, ist doch prima.

Noch schlimmer als die normalen Touristen sind aber diese Provinztouristen, die jeden H&M und jedes Berliner Einkaufszentrum besuchen müssen, zwischendurch Pseudokulturprogramm aus dem Reiseführer einschieben und Beweisfotos für die Verwandten in der Heimat machen.

Damit sie dann zu Hause erzählen können: »Mensch, Rita, du kannst dir nisch vorstellen, wie verrückt dis mit dieser Uhr da war? Am Alex war noch nisch mal Mittag ünd in Peking schon 16 Uhr. Also so was hab isch noch nisch gesehn.«

Ich fahre auch nicht ins sächsische Döbeln, um da ein Foto von mir und dem Schützenkönig machen zu lassen, bloß weil es so etwas in Berlin nicht gibt.

Wenn es in Berlin einen Schützenkönig gäbe, wäre ich das. Und ich würde auf dem Alexanderplatz auf Touristen schießen.

All das dachte ich so vor mich hin. Dann sagte ich es laut, damit die Familie endlich abhaute.

Nun sah ich nur noch einen Obdachlosen, der in den Brunnen pinkelte und dabei alte Arbeiterlieder grölte, jugendliche Halbstarke, die Centstücke auf die Straßenbahnschienen legten, in der Hoffnung, die Trams würden entgleisen, und eine alte Frau, die rotzevoll über den Platz wackelte und ihre Kindl-Flasche gegen eine Hauswand warf.

Ja, Berliner Bier schmeckt nach alter Tennissocke, und deswegen schmeißen wir das frustriert durch die Gegend.

Aber es soll bloß kein Tourist vorbeikommen und die Scherben wegkehren. Wir mögen kaputt. Und solange ich auf einem durch Baumwurzeln zerstörten Radweg über Glasscherben fahre, weiß ich, dass ich zu Hause bin.

Diesen Text anhören:

http://satyr-verlag.de/audio/weber2.mp3

Spaß in der Kunstausstellung — ein kontradiktorisches Date

»Komm, lass uns in eine Kunstausstellung gehen«, hat sie gesagt. »Das wird bestimmt total schön«, hat sie gesagt. »Wir werden viel Spaß haben«, hat sie gesagt.

Ich weiß nicht, wie sie »Spaß« definiert. Als Kind hatte ich großen Spaß, wenn ich im Bälleparadies von IKEA anderen Kindern abwechselnd gelbe, rote, blaue und grüne Plastikbälle an den Kopf geworfen habe. Heute habe ich großen Spaß, wenn ich im Bälleparadies von IKEA anderen Kindern abwechselnd gelbe, rote, blaue und grüne Plastikbälle an den Kopf werfe. Es gibt nun einmal Dinge, die man als Erwachsener genauso lustig findet wie als Kind. Genauso gibt es Dinge, die man als Erwachsener genauso langweilig findet. Und Kunstausstellungen gehören für mich eindeutig dazu.

Deswegen war mir schon vorher klar, dass es eine doofe Idee sein würde, beim ersten Date in ein Museum zu gehen, wo ich doch mal so gar keine Ahnung von Malerei und dem ganzen Kunstgedöns habe. Ich kann ja nicht einmal meine Raufasertapete gleichmäßig weiß streichen.

Aber sie wollte nicht einfach in einem Café sitzen, sondern unbedingt richtig etwas unternehmen. Deswegen laufen wir jetzt durch diese Ausstellung, und sie schwärmt von all den Dingen, die es hier gibt: »Schau, ist das nicht ein expressionistisches Meisterwerk? Im nächsten Gang kommen noch tolle Bilder aus dem Klassizismus, spätes 18. Jahrhundert. Sogar von einigen französischen Künstlern sind dort Gemälde ausgestellt.«

Nachdem sie das mit der Ausstellung ins Spiel gebracht hatte, machte ich ihr den Gegenvorschlag, dass wir uns auch in dem Edeka bei mir um die Ecke treffen könnten. Da hätte ich mich wenigstens ausgekannt und könnte jetzt so kluge Dinge sagen wie: »Schau, das ist doch mal frische Vollmilch mit 3,5 Prozent Fett. Im nächsten Gang kommen noch tolle Tiefkühlprodukte. An der Theke wird sogar französischer Butterkäse aus der Bretagne ausgestellt.« Mensch, hätte ich mich gebildet gefühlt. Allein weil ich die Worte »französisch«, »Butterkäse« und »Bretagne« in einem Satz untergebracht hätte.

Es ist schon erstaunlich, dass das kultureller klingt als »deutsch«, »Sauerbraten« und »Baden-Württemberg«. Und im Edeka hätte ich noch mehr Produkte erwähnen können, die mich in einem schlauen Licht hätten dastehen lassen: Baguette, Wein, stilles Wasser, Artischocken und Frischhaltefolie zum Beispiel.

»Frischhaltefolie« hätte ich nur erwähnt, um damit zu prahlen, wie gut ich sie abreißen kann, ohne dass sie sich in sich selbst verklebt und unbrauchbar wird. Wären wir in den Edeka gegangen, hätte ich nicht nur sehr clever, sondern auch außerordentlich geschickt gewirkt.

Aber stattdessen laufen wir durch diese Gemäldeausstellung, und ich offenbare meine Dummheit, weil ich nicht wie sie »Ultramarin mit einer Nuance Quitte als Symbolik« sage, sondern »Grün mit weißen Figuren und Formen drauf«.

»Ultramarin ist ein Blau- und Quitte ein Gelbton«, schimpft sie genervt. »Da gibt es kein Grün oder Weiß.«

»Du bist sehr klug«, sage ich, schiebe sie sanft in den nächsten Raum und verrate nicht, dass ich das Notausgangsschild für einen Teil der Ausstellung gehalten habe.

Im nächsten Raum stehen Statuen und Büsten. Unter anderem die Statue eines nackten Mannes. Ich fange an zu kichern, weil man seinen Penis sieht.

Man sollte meinen, dass ich viel zu alt bin, um über die bloße Zurschaustellung oder Erwähnung eines Penis zu kichern. Und das stimmt vielleicht auch. Aber es macht mich zu einem glücklicheren Menschen, weil ich morgens beim Duschen zumindest kurz schmunzeln muss, wenn ich an mir herabblicke und denke: »Hihi, Penis.« Oder halt »Hoho, Penis«, wenn ich mal nicht mit kaltem Wasser dusche.

Doch ich gebe zu, dass es wirklich komplett unreif ist, in einer Kunstausstellung vor dieser Statue zu stehen und »Brrr, brrr, brrr« zu machen.

Aber die Alternative wäre gewesen, als Schweinchen Schlau aufzutreten und zu sagen: »Sieh an, sieh an! Eine Statue aus Sedimentgestein gehauen. Die Abbildung dieses heroisch blickenden Mannes erinnert mich an Aladin, der mit seinen Elefanten über die Alpen zog, um den Shogun von Kyoto in der epischen Schlacht um Verdun in die Flucht zu schlagen.«

Mensch, hätte ich mich gebildet gefühlt. Allein weil ich mich am Kinn gekratzt und dabei die Worte »Shogun«, »Kyoto« und »Verdun« benutzt hätte. Wenn auch in einem völlig wirren Zusammenhang. Es hätte klug geklungen. Aber was hätte im Vergleich zu »Brrr, brrr, brrr« nicht klug geklungen? Ich habe die Messlatte damit schon sehr niedrig gesetzt, um im nächsten Raum nur noch positiv überraschen zu können. Man möchte bei so einem ersten Date ja nicht wie ein kompletter Volltrottel wirken.

Der nächste Raum ist der Höhepunkt der Ausstellung. Die Wände sind komplett verspiegelt. Man sieht sich im Spiegel, wie man sich im Spiegel sieht, wie man sich im Spiegel sieht, wie man sich im Spiegel sieht. Ich bin komplett beeindruckt von der unendlichfachen Spiegelung meiner selbst und mache merkwürdige Bewegungen und Grimassen.

Das Vorhaben, nicht wie ein kompletter Volltrottel zu wirken, habe ich gerade eben zu den Akten gelegt und begonnen, mit meinen Spiegelzwillingen den Macarena-Tanz zu tanzen, woraufhin meine Begleitung mit ihren unendlichfachen Augenpaaren rollend den Raum verließ.

Wir hätten beim ersten Date halt doch einfach in ein Café gehen sollen. Das wäre mit Sicherheit nicht derart eskaliert. Oder in den Edeka bei mir um die Ecke. Dort hätte ich sie beeindruckt. Mit Bergkäse und Bretagne. Mit Frischhaltefolie und stillem Wasser.

Oder ins Bälleparadies von IKEA, wo ich sie mit Plastikbällen beworfen hätte. Und sie hätte gerufen: »Nein, nicht mit den ultramarinen Bällen werfen!«

Da hätten wir beide Spaß gehabt.

Meine Oma, Benjamin Blümchen und ich

Wenn ich als Kind bei meiner Oma übernachtet habe, habe ich immer meine Benjamin-Blümchen-Kassetten mitgenommen, um sie dort zum Einschlafen zu hören.