Ohne mich, Jeeves! - P. G. Wodehouse - E-Book

Ohne mich, Jeeves! E-Book

P. G. Wodehouse

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Beschreibung

Dank der praktischen Intelligenz seines Butlers Jeeves gelingt es Bertie Wooster auch dieses Mal, die verschlungenen Fäden zu entwirren, als die sich die Ereignisse in Steeple Bumpleigh präsentieren. Lord Worplesdon will seine Schifffahrtsgesellschaft mit der amerikanischen Konkurrenz fusionieren und sucht einen stillen Ort für diese Geheimverhandlungen. Steeple Bumpleigh entpuppt sich allerdings als Hort von Liebenden, Tagedieben und Pyromanen. Die Fusionsverhandlungen drohen zu scheitern ...

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»Das Leben meint es sonst so gut mit Berti Wooster, dem wohlhabenden Müßiggänger aus London: Small Talk unter Snobs, Weltschmerz zwischen Tee und Dinner, kleine Besorgungen für die Verwandtschaft – alles Übrige erledigt zuverlässig und diskret Diener Jeeves. Doch dann bittet das Faktotum selbst seinen Herrn um einen Gefallen: Bertie soll für eine Weile in die Nähe seines Onkels Percy ziehen, um so ein heikles Aktiengeschäft zu bemänteln. Fern auf dem Land, im ominösen Kaff Steeple Bumpleigh (›Hürdenbuckeldorf‹) geraten Bertie und Jeeves prompt in eine Kette von Schlamassel, wie sie britisch-bizarrer kaum denkbar wären … Übersetzer Thomas Schlachter hat auch beim dritten Wodehouse-Buch den Sound aus oberklassigem Näseln und überdrehter Situationskomik famos getroffen«. Der Spiegel

P.G. Wodehouse, geboren 1881 in Guildford, Surrey, starb 1975 in Long Island, NY. 1902 veröffentlichte er seinen ersten Roman, 95 weitere folgten. Er hat »nicht ein einziges Buch geschrieben, das kein Vergnügen bereiten würde«.Philipp Blom, Neue Zürcher Zeitung

P. G. Wodehouse

Ohne mich, Jeeves!

Roman

Aus dem Englischen von Thomas Schlachter

Suhrkamp

Vorwort

Die Welt, über die ich von Kindesbeinen an geschrieben habe, die Welt des Drones Club und der Burschen, die darin verkehrten, war von jeher eine kleine Welt – eine der kleinsten, die ich je gesehen habe, wie Bertie Wooster es wohl ausdrücken würde. Eingefaßt wurde sie im Osten durch die St. James’s Street, im Westen durch Hyde Park Corner, durch die Oxford Street im Norden und Piccadilly im Süden. Heute hingegen ist sie nicht einmal mehr klein, sondern schlicht untergegangen. Vom Winde verweht, hat sie das gleiche Schicksal ereilt wie weiland Ninive und Tyrus. Kurz und gut, sie hat dran glauben müssen.

Und genau diesen Sachverhalt reibt man mir jedesmal unter die Nase, wenn in England ein neues Buch aus meiner Feder erscheint, das sich um den Drones Club sowie Jeeves und Bertie dreht. »Ein Edwardianer!« zischen mir die Kritiker zu. (Es ist gar nicht so einfach, das Wort Edwardianer zu zischen, denn es enthält keinen einzigen Sibilanten, aber diese Leute bringen es irgendwie fertig.) Derweil trete ich von einem Fuß auf den anderen und antworte mit knallrotem Kopf: »Ja, da werden Sie wohl recht haben.« Ich muß mir nämlich selbst eingestehen, daß der typische junge Mann meiner Geschichten irgendwann vor dem ersten Weltkrieg – wo er in England noch als knut bezeichnet wurde, was soviel wie »Geck« bedeutete – seinen Gattungsnamen allmählich verlor, was ein deutlicher Hinweis darauf sein dürfte, daß die Spezies genauso ausgestorben ist wie die Stutzer des Regency und die backenbärtigen Herzensbrecher des viktorianischen Zeitalters.

Zuweilen obsiegt bei mir aber auch der Trotz. Ich schreibe historische Romane, verteidige ich mich dann. Niemand bringt Einwände gegen einen Autor vor, dessen Bücher folgendermaßen anheben: »Wiewohl ich meinen Säbel weitaus gewandter zu führen weiß als meine Feder, will ich dem geneigten Leser itzo davon berichten, wie ich, der gemeine Mann John Blunt, mit meinem gnädigen Herrn in den Krieg zog, dieweil Harry, geheißen der Fünfte, auf dem englischen Throne saß.«

Warum also soll nicht auch ich dem geneigten Leser davon berichten dürfen, wie der Kadi des Polizeigerichts an der Bosher Street dem Ehrenwert J. Blunt eine Buße von fünf Pfund wegen ungebührlichen Benehmens am Abend der großen Ruderregatta aufgebrummt hat? »Diskriminierung von Minderheiten«, kann man da nur sagen.

Wie Wesen aus grauer Vorzeit wirken meine Drohnen wohl auch deshalb, weil sie, mit Ausnahme des Klubmillionärs Oofy Prosser, liebenswürdige und gutmütige Gesellen sind und keiner Fliege etwas zuleide tun. Heutzutage, wo jeder jeden haßt, empfindet man einen Mitmenschen, der nicht über dies und das – oder gar über alles und jedes – Gift und Galle speit, als schieren Anachronismus. Der edwardische knut war niemals ein zorniger junger Mann. Zwar konnte er leicht säuerlich reagieren, wenn ihn sein Diener Meadowes morgens mit einem ungleichen Paar Gamaschen auf die Straße schickte, doch abgesehen davon betrachtete er die Welt mit wohlgefälligem Auge. Er war ein netter und bescheidener Bursche, der durchaus wußte, daß er nichts als Stroh im Kopf hatte, aber andererseits darauf vertraute, daß man ihm dies nachsah. Er mochte alle, und die meisten mochten ihn. Auf der Bühne verewigt durch George Grossmith und G. P. Huntley, war er eine liebenswerte Gestalt, an der sich Menschen aller Couleur ergötzten. Selbst wer Anstoß daran nahm, daß er nicht zur werktätigen Bevölkerung gehörte, mußte ihn einfach ins Herz schließen.

Doch streng genommen gehören etliche Mitglieder meines Drones Club sehr wohl zur werktätigen Bevölkerung. Freddie Threepwood zum Beispiel ist stellvertretender Direktor der Firma Donaldson’s Dog Joy in Long Island City, USA, und kann auch dem gewieftesten Hundekuchenverkäufer das Wasser reichen. Bingo Little ist Chefredakteur beim Kleinen Matz, der beliebten Zeitschrift für Heim und Hort. Catsmeat Potter-Pirbright hat schon in mancher Komödie in Londons West End den jugendlichen Helden gegeben, wobei er zu Beginn des ersten Aktes mit einem beschwingten »Wie wär’s mit ’ner Partie Tennis?« auf die Bühne tritt. Und selbst Bertie Wooster hat einst in Milady’s Boudoir, dem Wochenblatt seiner Tante Dahlia, einen Artikel zum Thema »Was der gutgekleidete Herr trägt« veröffentlicht.

Zwei Dinge haben den Niedergang der Drohnen und knuts herbeigeführt. Zum einen pfiff den jüngeren Söhnen plötzlich ein bissiger Wind ins Gesicht. Die meisten knuts waren nämlich jüngere Söhne, und zur Zeit unseres Königs Edward war die Stellung des jüngeren Sohnes einer Adelsfamilie … wie lautet noch gleich der Ausdruck, Jeeves? Marginal? Sind Sie auch ganz sicher? Schön, also marginal. Vielen Dank, Jeeves. Mit anderen Worten, er war so überflüssig wie ein Kropf und bekleidete in etwa den Rang der neugeborenen Kätzchen, die unsere Hauskatze gern in der Schublade mit den frischen Hemden deponiert.

Meist spielte sich ungefähr folgendes ab: Ein Graf zeugte einen Erben. So weit, so gut. Einen Erben kann man immer brauchen. Doch dann – diese Grafen wissen ja nie, wann man aufhören soll – zeugte er gedankenverloren noch einen zweiten Sohn, nur sagte ihm das Ergebnis diesmal weit weniger zu. Es war nicht ganz klar, welchen Platz man dem Bürschchen zuweisen sollte. Aber da er schon mal da war und seiner Kalorien nicht weniger bedurfte als der Erste in der Erbfolge, stand der Graf vor einem schweren Dilemma.

»Ich kann Algy nicht gut verhungern lassen«, sagte er sich und blechte fortan jeden Monat für dessen Unterhalt. Und so bildete sich bald eine Gruppe schmucker junger Männer, die sich von den Raben füttern ließen. Wie die Lilien auf dem Felde arbeiteten sie nicht noch spannen sie, sondern lebten quietschvergnügt von den väterlichen Zuwendungen. Ihre Ansprüche waren bescheiden. Konnten sie auf die guten Dienste eines Schneiders zurückgreifen, der feine Manieren als Ersatz für Bargeld durchgehen ließ – und im London des frühen zwanzigsten Jahrhunderts wimmelte es von altruistischen Schneidern –, waren sie wunschlos glücklich. Kurzum, solange die Raben brav ihr Werk verrichteten, schwelgten die jungen Männer in jener seligen Lage, die der Volksmund auch als gemachtes Bett bezeichnet.

Doch plötzlich zeigte sich das ökonomische Prinzip von seiner häßlichsten Seite. Einkommenssteuer und Ergänzungsabgaben schossen himmelwärts wie Fasane, und der Graf fing an, gewisse konstruktive Überlegungen anzustellen, die ihn schließlich auf eine glänzende Idee brachten. Und je länger er sich diese durch den Kopf gehen ließ, desto besser gefiel sie ihm.

»Aber warum eigentlich nicht?« fragte er eines Abends die Gräfin, als die beiden gerade ihr Budget ins Lot zu bringen versuchten.

»Warum eigentlich was nicht?« fragte die Gräfin.

»Warum kann ich Algy nicht verhungern lassen?«

»Welchen Algy denn?«

»Unseren Algy.«

»Du meinst unseren Zweitgeborenen, den Ehrenwert Algernon Blair Worthington ffinch-ffinch?«

»Genau den. Er liegt mir Jahr für Jahr mit glatten tausend Pfund auf der Tasche, und das nur, weil ich geglaubt habe, ich könne ihn nicht verhungern lassen. Und meine Frage lautet nun: Warum kann man den Tunichtgut nicht verhungern lassen?«

»Da ist was dran«, pflichtete die Gräfin bei. »Jawohl, das hört sich sehr vernünftig an. Wir essen sowieso alle zuviel.«

Und so wurden die Raben ihrer Pflicht entbunden, und Algy, der seine drei täglichen Mahlzeiten in akuter Gefahr sah, falls er sie sich nicht selbst verdiente, suchte eilends eine Stelle. Dies aber hatte zur Folge, daß man heutzutage einen armen Lohnschreiber wie mich, der ich meinen Lebensunterhalt auf ehrliche Weise zu bestreiten suche, indem ich Geschichten über diesen und alle anderen Algys, Freddies, Claudes und Berties verfasse, automatisch als Edwardianer abstempelt.

An zweiter Stelle verantwortlich für den Untergang des knut war das Verschwinden der Gamasche. In der guten alten Zeit waren Gamaschen das Markenzeichen jedes jungen Dandys, der Grundstein, auf dem sein ganzes Tun und Handeln ruhte, und mit Schmerz sieht man heute eine Generation heranwachsen, die sich unter dem Wort Gamaschen kaum mehr etwas vorstellen kann. Einst schrieb ich ein Buch, das den Titel Junge Männer in Gamaschen trug. Heute würde man mir diesen nicht mehr durchgehen lassen.

Die besagten und aus weißem Stoff gefertigten Kleidungsstücke wurden um die Knöchel zugeknöpft und dienten dazu, die Socken vor Schmutzspritzern zu schützen. In erster Linie schätzte man sie aber wegen der heiteren diablerie, die sie ihrem Träger verliehen. Ob man einem Monokel die Ehre gab oder nicht, blieb dem eigenen Gutdünken überlassen. Gamaschen dagegen waren de rigeur, wie übrigens auch der straff zusammengerollte Regenschirm. Gemessen am Standard des echten knut war ich in meinen jungen Mannesjahren (zirka 1905) nie besonders schick gekleidet, denn eine gewisse Schwindsucht meiner Finanzen zwang mich, gesellschaftlichen Pflichten in dem abgelegten Gehrock und der abgelegten Hose meines Bruders nachzugehen, welche mir beide nicht passen wollten, sowie mit einem Zylinder aus den Beständen eines verblichenen Onkels, dessen Hutgröße die meine um mehrere Nummern überstieg. Mein Regenschirm aber war stets so straff gespannt wie das Trommelfell einer Pauke, und wiewohl Gamaschen ins Geld gingen, besaß ich auch solche. Da glänzten sie in prachtvollem Weiß, zogen Passanten in ihren Bann und brachten allerlei zwielichtige und auf eine milde Gabe spekulierende Gestalten dazu, mich als »Captain« oder gar »Mylord« anzusprechen. Manch ein Butler, der mir um die Jahrhundertwende die Tür öffnete und angesichts meiner Kopfbedeckung sichtlich erschrak, senkte den Blick, sah die Gamaschen und stieß einen erleichterten Seufzer aus, als wollte er sagen: »Nordwärts nicht unbedingt das, was hier Sitte ist, im Süden dagegen tadellos.«

Streicht man einem Burschen jedoch den Zuschuß, so kann er sich seine Gamaschen selbstverständlich abschminken, und ohne Gamaschen ist der Ofen eben aus. Als sich der knut dieser unentbehrlichen Accessoires beraubt sah, warf er das Handtuch und strich die Segel.

Doch ich habe die Hoffnung auf seine sensationelle Wiederkunft noch nicht aufgegeben. Man sieht bereits erste Anzeichen für eine neue Blüte. Der Butler, um nur ein Beispiel zu nennen, schleicht sich schon wieder in unseren Alltag. Zählte man ihn noch vor wenigen Jahren zu den ausgestorbenen Arten, so sichtet man ihn nun immer häufiger an seinen alten Futterplätzen, als wäre er ein schüchterner Vogel, den das Gelärme der Ausflügler aus den heimischen Sümpfen vertrieben hat, der nun aber buchstäblich seine Sehnen spannt und das Blut herbeiruft, weil er dem guten alten Heim noch einmal eine Chance geben will. Zwar verlangt er ein bißchen mehr als im Goldenen Zeitalter, doch kaum zahlt man ihm seinen Preis, butlert er frisch-fröhlich drauflos. In Hunderten von Häusern versehen heute Butler ihre Pflicht wie anno dazumal. Wer möchte da behaupten, daß nicht auch bald schon die knuts mit ihren Gamaschen und allem anderen Schnickschnack zu neuem Leben erwachen?

Wenn dies aber geschieht, werde ich meinen Kritikern scharf ins Auge blicken und sagen: »Wie bitte, ein Ewardianer soll ich sein? Wie kommen Sie auf die Idee? Meine Geschichten sind doch mitten aus dem heutigen Leben gegriffen.«

ERSTER TEIL

1. Kapitel

Als alles vorüber war – nachdem uns ein anfangs bedrohliches Schicksal verschont und mit etlichen Happy-Ends bedacht hatte und wir putzmunter heimwärts fuhren und den Staub von Steeple Bumpleigh endgültig von den Reifen schüttelten –, da gestand ich Jeeves, daß es im Laufe der jüngsten Ereignisse Momente gegeben habe, in denen der keineswegs schwächliche Bertram Wooster im Begriff gewesen sei, die Flinte ins Korn zu werfen.

»Um ein Haar, Jeeves.«

»Ohne jeden Zweifel entwickelten sich die Dinge in eine recht bedrohliche Richtung, Sir.«

»Ich sah keinen Hoffnungsschimmer mehr und glaubte, Fortuna habe das Handtuch geworfen und den Dienst quittiert. Und nun sitzen wir hier und sind bester Dinge. Gibt einem schon zu denken, nicht?«

»Jawohl, Sir.«

»Mir liegt da ein Ausdruck auf der Zunge, der die Sache nach meinem Dafürhalten glänzend auf den Punkt bringt. Aber eigentlich meine ich weniger einen Ausdruck als eine Redensart. Ein Aperçu. Ein Bonmot. Ein geflügeltes Wort, wenn man so will. Irgend etwas über Abend und Morgen.« »Den Abend lang währet das Weinen, aber des Morgens ist Freude, Sir.«

»Volltreffer! Das stammt doch nicht etwa von Ihnen, oder?« »Nein, Sir.«

»Tja, jedenfalls ist es verdammt gut«, sagte ich.

Und noch heute glaube ich, daß sich der Ausgang der hochbrenzligen Affäre rund um Nobby Hopwood, Stilton Cheesewright, Florence Craye, meinen Onkel Percy, J. Chichester Clam, den Pfadfinder Edwin und den alten Boko Fittleworth – eine Affäre, die meine Biographen dereinst wohl unter der Überschrift »Angst und Schrecken in Steeple Bumpleigh« abhandeln werden – in keine elegantere Formel fassen läßt.

Schon bevor sich die Geschehnisse zutrugen, von denen ich gleich berichten werde, rangierte besagter Weiler hoch oben auf meiner Liste von Ortschaften, die es weiträumig zu umfahren galt. Ich weiß nicht, ob der geneigte Leser auch schon eine dieser alten Landkarten gesehen hat, auf denen sich neben einer Markierung die Mitteilung »Vorsicht, Drachen!« oder »Habet der Hippogryphe acht!« findet. Ich zumindest bin stets der Meinung gewesen, daß man sämtliche Verkehrsteilnehmer mit einem wohlmeinenden Hinweis dieser Art vor Steeple Bumpleigh warnen müßte.

Eine malerische Gemeinde, keine Frage. Die prächtigste in der ganzen Grafschaft Hampshire. Sanft schlummernd im schönsten Wiesengrunde, wie meines Wissens der Ausdruck lautet, ganz in der Nähe eines von Weiden gesäumten Flusses, wird sie von lächelnden Feldern und lauschigen Wäldern eingefaßt. Unmöglich kann man einen Stein irgendwohin werfen, ohne ein geißblattüberwachsenes Häuschen oder einen Dorfbewohner mit roten Bäckchen zu treffen. Aber wie sagte doch mal einer: Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt. Einen Haken nämlich hatte Steeple Bumpleigh. Es beherbergte Bumpleigh Hall, welches wiederum meine Tante Agatha und ihren zweiten Gatten beherbergte.

Und wenn ich nun erzähle, daß dieser zweite Gatte kein Geringerer als Lord Percival Worplesdon war, der samt Tochter Florence und Sohn Edwin dort weilte – letzterer einer der gräßlichsten Galgenstricke, die sich je in kurzen Khakihosen auf Fährtensuche begeben haben (oder was Pfadfinder sonst den lieben langen Tag tun) –, dann wird man wohl verstehen, weshalb ich der Aufforderung meines alten Kumpels Boko Fittleworth, ihn in dem putzigen Häuschen zu besuchen, das er in der Gegend bewohnte, nie Folge geleistet hatte.

Eine ähnlich schroffe Haltung hatte ich auch Jeeves gegenüber einnehmen müssen, als dieser mir mehrfach durch die Blume vermittelte, ich solle doch dort während der Sommermonate ein Häuschen mieten. Der Fluß eignete sich offenbar trefflich zum Angeln, und er ist ein Mann, der fürs Leben gern den beköderten Haken auswirft. »Nein, Jeeves«, hatte ich sagen müssen, »so sehr es mich schmerzt, Ihren schlichten Vergnügungen einen Riegel vorzuschieben, so darf ich doch nicht riskieren, dieser Otternbrut ins offene Messer zu laufen. Meine Sicherheit geht vor.« Woraufhin er »sehr wohl, Sir« geantwortet hatte und das Kapitel abgeschlossen war.

Und doch kroch der Schatten von Steeple Bumpleigh, ohne daß ich dies auch nur geahnt hätte, immer näher heran, bis er eines Tages die Maske herunterriß und mir an die Gurgel sprang.

Seltsamerweise war ich just am Morgen dieser Heimsuchung in bester, ja überschäumendster Stimmung. Kein Schimmer von der Bredouille, in die ich bald geraten würde, trübte meinen tiefen Seelenfrieden. Ich hatte eine gute Nacht, eine gute Rasur und eine gute Dusche hinter mir und begrüßte Jeeves, als dieser den Kaffee und die Räucherheringe hereinbrachte, entsprechend aufgekratzt.

»Heiliger Strohsack, Jeeves!« sagte ich. »Der junge Tag trifft mich in einsamer Hochform an. Ich stehe geradezu im Saft meiner Jugend! Froh und munter bin ich, zu allem Tun bereit, wie Tennyson sagen würde.«

»Longfellow, Sir.«

»Dann eben Longfellow. Mir ist heute wirklich nicht nach Haarespalten zumute. Also, was gibt’s Neues?«

»Miss Hopwood kam vorbei, als Sie noch schliefen, Sir.«

»Tatsächlich? Ich wünschte, ich hätte mit ihr sprechen können.«

»Auch die junge Dame drängte es danach, Ihr Zimmer zu betreten und Sie mit einem nassen Schwamm zu wecken, doch ich brachte sie von ihrem Ansinnen ab, da Ihr Schlaf meines Erachtens nicht gestört werden durfte.«

Ich beglückwünschte Jeeves zu solcher Wachsamkeit, aus der nicht nur ein mitfühlendes Herz, sondern auch hohe Ritterlichkeit sprach. Allerdings schnalzte ich bedauernd mit der Zunge, weil ich den süßen Fratz verpaßt hatte, mit dem mich seit langem die innigste Freundschaft verband. Diese Zenobia (»Nobby«) Hopwood war – wie man wohl sagt – die Pflegebefohlene des alten Worplesdon. Einer seiner Kumpel hatte ihm vor ein paar Jahren seine Tochter in Obhut gegeben, bevor er in die Grube gefahren war. Ich weiß nicht genau, wie solche Dinge vonstatten gehen (zweifellos sind gewisse Dokumente abzufassen und gewisse Unterschriften zu leisten), doch welche Maßnahmen auch immer in die Wege geleitet wurden, sie führten zu obigem Ergebnis – als Ruhe einkehrte, war Onkel Percy Nobbys Vormund.

»Die junge Nobby, tatsächlich? Wann ist sie denn in unsere Großstadt geschneit?« fragte ich. Denn als sie Onkel Percys Mündel geworden war, hatte dieser sie selbstverständlich zur Verstärkung seiner Truppe nach Steeple Bumpleigh beordert, und seither beehrte sie London nur noch selten.

»Gestern abend, Sir.«

»Bleibt sie länger?«

»Nur bis morgen, Sir.«

»Die ganze Strapaze für einen einzigen Tag – das lohnt sich doch nicht!«

»Meines Wissens kam sie hierher, weil ihre Ladyschaft sie in ihrer Nähe haben wollte, Sir.«

Ich erschauerte leicht.

»Sie wollen doch nicht behaupten, daß Tante Agatha ebenfalls in London weilt?«

»Nur auf der Durchreise, Sir«, sagte der redliche Geselle und verscheuchte meine schlimmsten Ängste. »Ihre Ladyschaft befindet sich auf dem Weg zu Master Thomas, der in seinem Internat an Mumps erkrankt ist.«

Er spielte damit auf den Sohn an, der der ersten Ehe meiner Blutsverwandten entsprungen war: eines der verkommensten Subjekte weit und breit. Manch guter Menschenkenner stuft ihn innerhalb der Halunkengalerie Englands noch höher ein als Tante Agathas Stiefsohn Edwin. Mit Freude hörte ich, daß er an Mumps erkrankt war, und insgeheim hoffte ich auch, meine Tante möge sich bei ihm anstecken.

»Und was hatte Nobby in eigener Sache zu berichten?«

»Sie bedauerte, daß sie Sie nur noch selten zu Gesicht bekommt, Sir.«

»Auch ich leide Höllenqualen, Jeeves. Es gibt kaum ein pfundigeres Mädchen als diese Hopwood.«

»Sie gab ihrer Hoffnung Ausdruck, daß Sie sich bald dazu aufraffen könnten, Steeple Bumpleigh mit Ihrem Besuch zu beehren.«

Ich schüttelte den Kopf.

»Kommt nicht in die Tüte, Jeeves.«

»Laut Auskunft der jungen Dame sollen die Fische im Moment prächtig anbeißen.«

»Nein, Jeeves, tut mir leid. Selbst wenn sie beißen wie die Schlangen, bringt mich nichts in die Nähe von Steeple Bumpleigh.«

»Sehr wohl, Sir.«

Er klang bedrückt, und ich versuchte die Stimmung aufzulockern, indem ich ihn Kaffee nachgießen ließ.

»War Nobby allein?«

»Nein, Sir. Sie wurde von einem Gentleman begleitet, der Sie zu kennen schien. Miss Hopwood redete ihn mit Stilton an.«

»Großer Bursche?«

»Von äußerst stattlichem Wuchs, Sir.«

»Schädel wie ein Kürbis?«

»Jawohl, Sir. Die Ähnlichkeit mit besagter Gemüsesorte ließ sich nicht übersehen.«

»Dann war es bestimmt einer meiner Jugendfreunde namens G. D’Arcy Cheesewright. Auf unsere kauzige Art verpaßten wir ihm damals den Spitznamen Stilton. Ich habe ihn seit Urzeiten nicht mehr gesehen. Er lebt irgendwo auf dem Land. Für den gesellschaftlichen Umgang mit Bertram Wooster ist es jedoch unerläßlich, daß man der Metropole die Treue hält. Komisch, daß er Nobby kennt.«

»Ich schloß aus den Bemerkungen der jungen Dame, Sir, daß auch Mr. Cheesewright in Steeple Bumpleigh residiert.«

»Tatsächlich? Die Welt ist klein, Jeeves.«

»Jawohl, Sir.«

»Ich wüßte nicht, wann ich je eine kleinere gesehen hätte«, sagte ich und hätte dem Thema wohl noch ein Weilchen nachgesonnen, wenn nicht in diesem Moment das Telefon gebieterisch geklingelt hätte und Jeeves hinausgehuscht wäre. Durch die Tür, die er einen Spaltbreit offengelassen hatte, drang gleich mehrfach ein »Jawohl, Mylord« und »Sehr wohl, Mylord« zu mir, was nur den Schluß zuließ, daß er einen Blaublütigen an der Strippe hatte.

»Wer war denn dran?« fragte ich, als Jeeves wieder hereingeschwirrt kam.

»Lord Worplesdon, Sir.«

Im Rückblick mutet es mich fast unglaublich an, daß ich auf diese Neuigkeit bloß mit einem leicht verwunderten »Ach ja?« reagierte. Es gibt doch schwer zu denken, daß ich nicht sogleich witterte, in welch unheimlicher Weise sich die Steeple-Bumpleigh-Aura, um es einmal so auszudrücken, wie ein kriechender Nebel oder Pesthauch breitzumachen begann, und daß ich nicht am ganzen Körper erzitterte und mich fragte, was dahinterstecken mochte. Und doch war es so. Die tiefere Bedeutung blieb mir verborgen, und ich sagte, wie oben erwähnt, bloß mit einem leichten Anflug von Erstaunen »ach ja?«.

»Der Anruf war für mich bestimmt, Sir. Lord Worplesdon wünscht, daß ich mich augenblicklich in seinem Büro einfinde.«

»Er will Sie sprechen?«

»Dieser Eindruck drängte sich mir auf, Sir.«

»Nannte er einen Grund?«

»Nein, Sir. Er meinte nur, die Angelegenheit sei von einer gewissen Dringlichkeit.«

Versonnen kaute ich auf einem Räucherhering herum und grübelte nach. In meinen Augen gab es bloß eine Erklärung. »Wissen Sie, was ich glaube, Jeeves? Er steckt irgendwie in der Klemme und bedarf Ihres Rates.«

»Durchaus möglich, Sir.«

»Hundertprozentig. Bestimmt weiß er bestens Bescheid über Ihr enormes Talent. Man kann doch nicht wie Sie über Jahre hinweg aller Welt mit Rat und Zuspruch zur Seite stehen, ohne einen gewissen Ruf zu erlangen, selbst wenn sich dieser auf den engeren Familienkreis beschränkt. Nehmen Sie Ihren Hut und sausen Sie los. Ich freue mich schon jetzt darauf, alle Einzelheiten brühwarm von Ihnen zu erfahren. Wie präsentiert sich denn heute das Wetter?«

»Ausgesprochen mild, Sir.«

»Sonnenschein und so weiter?«

»Jawohl, Sir.«

»Dacht’ ich’s mir doch. Wahrscheinlich habe ich deshalb das Gefühl, Bäume ausreißen zu können. Dann begebe ich mich wohl am besten selbst ein bißchen an die frische Luft. Sagen Sie mal«, fragte ich, denn es bekümmerte mich doch, daß ich Jeeves’ Wunsch, nach Steeple Bumpleigh zu reisen, eine so schroffe Absage hatte erteilen müssen, weshalb ich nun die Freude in sein Leben zurückzaubern wollte, die meine Weigerung, ihm Kontakt zur dortigen Fischwelt zu verschaffen, vertrieben hatte, »kann ich unterwegs irgend etwas für Sie tun?« »Sir?«

»Na ja, möchten Sie, daß ich Ihnen eine Kleinigkeit mitbringe?«

»Sehr freundlich von Ihnen, Sir.«

»Aber nicht doch, Jeeves. Geld spielt keine Rolle. Na, wonach verlangt es Sie denn?«

»Nun ja, Sir, vor kurzem ist eine mustergültig kommentierte Werkausgabe des Philosophen Spinoza erschienen. An dieser hätte ich große Freude, wenn Sie tatsächlich so generös sein wollen.«

»Ihr Wunsch sei mir Befehl. Man wird sie Ihnen auf ebenso direktem wie diskretem Weg zustellen. Und Sie sind sicher, daß der Autor tatsächlich Spinoza heißt?«

»Jawohl, Sir.«

»Hört sich recht unwahrscheinlich an, aber Sie werden es wohl wissen. Spinoza? Hat ihn die Buchgemeinschaft zum Autor des Monats gekürt?«

»Das möchte ich bezweifeln, Sir.«

»Da wäre er aber meines Wissens der erste, dem man diesen Ehrentitel versagt. Na schön. Ich werde mich der Sache postwendend annehmen.«

Und kurz darauf griff ich zu Hut, Handschuhen und straff zusammengerolltem Regenschirm und schlenderte los.

Auf dem Weg zum Sortimenter grübelte ich, wie man sich wohl denken kann, erneut über den alten Worplesdon und seine hochmysteriöse Angelegenheit nach. Die Sache faszinierte mich. Mir war schleierhaft, in welche Art von Kalamitäten ein Mann wie er geraten konnte.

Als ich vor etwa achtzehn Monaten aus gut unterrichteten Kreisen erfahren hatte, meine Tante Agatha, die seit Jahren verwitwet oder, um einen wohl ebenso gängigen Ausdruck zu verwenden, herrenlos gewesen war, gedenke abermals in den Hafen der Ehe einzulaufen, empfand ich – was angesichts der Umstände kaum verwundern wird – ein gewisses Mitleid mit dem bedauernswerten Tropf, dem es beschieden war, an ihrer Seite vor den Altar zu treten, denn wie der Leser wissen wird, handelt es sich bei ihr um meine hartgesottene Tante, die mit Vorliebe Glasscherben verspeist und im Schein des Vollmonds Menschenopfer darbringt.

Doch als die Einzelheiten durchsickerten und ich erfuhr, daß der Knilch, der das kürzere Hölzchen gezogen hatte, niemand anderer als der Schiffsmagnat Lord Worplesdon war, schrumpfte diese zarte Anteilnahme merklich. Die Sache würde kein Honiglecken werden. Selbst wenn Tante Agatha ihren Gatten im Laufe der Jahre kleinkriegte und eines Tages sogar durch den Reifen springen ließ, wüßte sie hinterher, daß ihr der Sieg keineswegs in den Schoß gefallen war.

Dieser Worplesdon war nämlich nicht von Pappe. Ich kannte ihn schon seit frühester Jugend. Er war es gewesen, der mich im Alter von fünfzehn Jahren – als ich fünfzehn war, versteht sich – hinter den Stallungen mit einer seiner erlesensten Zigarren erwischt hatte, woraufhin er mich mit der Jagdpeitsche eine Meile lang durch unwegsames Gelände hetzte. Und obwohl unsere Beziehung im Laufe der Zeit natürlich kultiviertere Formen angenommen hatte, läuft mir noch heute beim bloßen Gedanken an ihn eine Gänsehaut über den Rücken. Hätte ich bei einem Spaziergang zwischen ihm und einem Hippogryph als Begleiter wählen müssen, wäre meine Entscheidung unweigerlich auf den Hippogryph gefallen.

Nur mit Mühe konnte man sich die Bedrängnis vorstellen, in der ein solcher Gewaltmensch zu SOS-Rufen an Jeeves Zuflucht nahm, und ich sann gerade darüber nach, ob ihn wohl raffgierige Blondinen mit kompromittierenden Briefen in die Enge trieben, als ich am Ziel anlangte und unverzüglich meinen Kaufwunsch vortrug.

»Guten Morgen, guten Morgen«, sagte ich. »Ich hätte gern ein Buch.«

Natürlich hätte ich wissen müssen, daß es albern ist, beim Betreten einer Buchhandlung ein Buch kaufen zu wollen. Die Belegschaft wird dadurch nur in Verblüffung und Konfusion gestürzt. Der zottige Zausel, der vorgetreten war, um mich zu bedienen, reagierte denn auch in erwarteter Weise.

»Ein Buch, Sir?« fragte er in unverhohlenem Erstaunen.

»Spinoza«, präzisierte ich.

Nun geriet er endgültig ins Schleudern.

»Sagten Sie eben Spinoza, Sir?«

»Spinoza, so sagte ich.«

Er schien zu glauben, daß wir schon eine Einigung erzielen könnten, wenn wir die Sache nur lange genug von Mann zu Mann besprachen.

»Sie meinen nicht etwa Das Spinnrad?«

»Nein.«

»Und auch nicht zufällig Die vergiftete Nadel?«

»Nein, zufällig nicht.«

»Oder Mit Flinte und Fotoapparat durch das unberührte Borneo?« spekulierte er nun wild drauflos.

»Spinoza«, wiederholte ich unbeirrt. Dies war mein Text, und ich wollte nicht von ihm abweichen.

Er stöhnte auf, als wachse ihm das Ganze allmählich über den Kopf.

»Ich will mal nachsehen, ob wir ihn auf Lager haben, Sir. Aber wäre das da nicht eher nach Ihrem Geschmack? Soll sehr klug sein.«

Er zog sich, verzweifelt vor sich hin spinozierend, zurück und ließ mich mit einem Buch stehen, das den Titel Die Spindeltreppe trug.

Es machte einen ziemlich abstoßenden Eindruck. Auf dem Umschlag sah man ein Frauenzimmer mit grünem Heuschreckengesicht an einer purpurroten Lilie schnuppern. Ich wollte den Band bereits in eine Ecke werfen und jener Vergifteten Nadel nachspüren, von der er gesprochen hatte, da bemerkte ich, wie jemand »Du meine Güte, Bertie!« rief. Als ich mich umdrehte, erkannte ich, daß die animalischen Laute von einer großen und gebieterischen Frau stammten, die sich von hinten angeschlichen hatte.

»Du meine Güte, Bertie! Bist du’s tatsächlich?«

Ein ersticktes Röcheln entrang sich meiner Kehle, und ich scheute zurück wie ein verschreckter Hengst. Es war Florence Craye, die Tochter des alten Worplesdon.

Und ich will Ihnen auch gleich verraten, weshalb ich bei ihrem Anblick in besagter Weise scheute und röchelte – wenn mir nämlich etwas gegen den Strich geht, dann sind es Geschichten, in denen Menschen hin und her torkeln, sich an die Stirn fassen und von heftigsten Gefühlsstürmen durchgeschüttelt werden, ohne daß mit einem Wort erklärt würde, was das Ganze soll, bis der Meisterdetektiv auf den letzten Seiten den ganzen Fall rekapituliert.

Darum hier in aller Kürze: Das plötzliche Auftauchen dieser jungen Frau hatte mir in geschilderter Weise zugesetzt, weil wir einst – und das ist noch gar nicht so lange her – verlobt gewesen waren. Und obwohl am Ende alles ins Lot kam, indem die Bindung in letzter Sekunde gelöst wurde und meine Wenigkeit den Hals wieder aus der Schlinge ziehen konnte, war ich meinem Schicksal doch nur um Haaresbreite entgangen, weshalb mir der Fall weiterhin in drastischer Deutlichkeit vor Augen stand und ich Florence’ Namen nur zu hören brauchte, um schleunigst ein, zwei Schnäpse zu ordern. Man wird deshalb sicher begreifen, wie erregt ich war, als ich sie nun in Fleisch und Blut vor mir sah.

Ich schwankte im Wind und rang um die für einen ordentlichen Dialog unentbehrlichen Worte.

»Ach, hallo«, sagte ich.

Nicht das Wahre, ich weiß, aber mehr brachte ich beim besten Willen nicht zustande.

2. Kapitel

Wenn wir das Namenregister all der Damen Revue passieren lassen, die ich im Laufe der Zeit um ein Haar geehelicht hätte, begegnen wir gleich mehreren harten Brocken. Fällt unser Auge etwa auf den Eintrag Honoria Glossop, so überläuft uns ein kalter Schauer. Ähnlich ergeht es uns, wenn wir unter dem Buchstaben B auf Madeline Bassett stoßen. Aber bedenkt man die Sache nur reiflich und wägt das eine gegen das andere ab, dann führt, so hat es mir stets scheinen wollen, Florence Craye das Feld doch unangefochten an. Trotz schärfster Konkurrenz gebührt allein ihr die Palme.

Honoria Glossop war ein Urgestein, das stimmt. Ihr Lachen erinnerte an eine dampfbetriebene Nietmaschine, und schon als Kind war sie eine passionierte Rückenklopferin gewesen. Madeline Bassett war gefühlsduselig, wohl wahr. Sie hatte große, schmelzende Augen und hielt die Sterne am Himmelszelt für Gottes Gänseblümchenkette. Dies sind gravierende Mängel, ich weiß, doch wir wollen dem haarsträubenden Duo Gerechtigkeit widerfahren lassen: Keine der beiden hatte mich je zu modellieren versucht. Genau das aber war von Anfang an Florence Crayes Absicht gewesen, denn sie betrachtete Bertram Wooster offenkundig als eine Art Knetmasse in den Händen der Bildhauerin.

Die Krux war nämlich, daß sie eines dieser intellektuellen Mädchen war, die vor hehren Zielen beinahe platzen und beim Anblick eines Mannes stets glauben, sie müßten sich hinter ihn stellen und ihn kräftig anschieben. Wir waren damals noch kaum über das Vorgeplänkel hinaus, als sie auch schon meine Lektüre inspizierte und den Roman Blut auf dem Geländer, mit dem ich mich damals gerade intensiv beschäftigte, über die Klinge springen ließ, um ihn durch eine Schwarte namens Typologie der Ethik zu ersetzen. Und dabei machte sie kein Hehl aus der Tatsache, daß es sich bloß um eine Art Einstiegstext handelte und noch weit Schlimmeres ins Haus stünde.

Haben Sie je einen Blick in die Typologie der Ethik geworfen? Der Band steht noch heute auf meinem Bücherbord. Gucken wir doch schnell mal rein. Jawohl, da haben wir’s auch schon.

Von den beiden antithetischen Termini der griechischen Philosophie existiert lediglich einer als reale und autonome Entität, nämlich das ideale (im Gegensatz zu dem von diesem zu durchdringenden und auszuformenden) Denken. Der zweite Terminus ist – analog unserer Natur – per se phänomenal, irreal und ohne permanentes Fundament, da ihm stringente Assertionen nicht eigentlich sind und er der Negation einzig deshalb nicht anheimfällt, weil das ihm innewohnende Reale unausgesetzt durchscheint.

Schön. Sie haben vermutlich begriffen, worum’s geht, und verstehen nun auch, weshalb ich bei Florence’ Anblick weiche Knie bekam. Alte Wunden waren aufgerissen worden. Umgekehrt aber schien diese fleischgewordene Altlast kein Hauch jener Betretenheit anzufechten, die die Woosterschen Zehen in ihren eleganten Wildlederschuhen aufstehen ließ, als handelte es sich um eine Reihe empfindsamer Pflänzchen. Florence erinnerte wie meistens an eine energische Tante. Selbst damals, als mich ihr Profil – welches ein überaus ansehnliches Profil ist und Männer immer wieder zu Bemerkungen hinreißt, die sie später bereuen – in den Bann gezogen hatte, war sie mir stets wie jemand erschienen, der gerade einen Tanten-Lehrgang absolvierte.

»Wie geht’s denn so, Bertie?«

»Oh, danke, prima.«

»Ich bin nur auf einen Sprung nach London gekommen, um meinen Verleger zu treffen. Aber daß ich dich hier sehe! Ausgerechnet in einer Buchhandlung! Was kaufst du denn? Irgendwelchen Schund, stimmt’s?«

Ihr Blick, der mich auf recht kritische, ja argwöhnische Weise gemustert hatte, als frage sie sich, wie sie je hatte erwägen können, ihr Herz an eine Jammergestalt wie mich zu hängen, fiel nun auf das Buch in meiner Hand. Sie entwand es mir und kräuselte dabei die Lippen leicht angeekelt, als sehnte sie sich nach einer Kneifzange.

Doch als sie es näher betrachtete, veränderte sich ihre Haltung schlagartig. Sie entkräuselte die Lippen. Sie lächelte ein seliges Lächeln. Der Blick wurde gütiger. Röte stieg ihr ins Gesicht. Sie kicherte förmlich.

»Oh, Bertie!«

Ich tappte im dunkeln. »Oh, Bertie!« hatte sie zwar auch während unserer Verlobungszeit des öfteren gesagt, doch stets in jenem garstigen Ton, der darauf hindeutete, daß sie kurz davor gestanden hatte, ihrem Mißfallen in weit derberen Worten Luft zu machen, um sich im letzten Moment doch noch ihrer altehrwürdigen Abstammung zu entsinnen. Das jetzige »Oh, Bertie!« unterschied sich davon fundamental. Es erinnerte schon fast an ein Gurren. Als richtete eine Turteltaube das Wort an eine andere Turteltaube.

»Oh, Bertie!« wiederholte sie. »Aber selbstverständlich signiere ich es dir«, fuhr sie fort, und nun erst fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Da ich mich bisher ganz auf das Mädchen mit dem Heuschreckengesicht konzentriert hatte, war mir völlig entgangen, daß am unteren Rand des Schutzumschlags die Worte »Florence Craye« standen. Diese wurden durch ein Etikett mit dem Aufdruck »Autorin des Monats« zur Hälfte verdeckt. Nun begriff ich alles, und als mir aufging, wie knapp ich dem Ehebund mit einer Romanautorin entronnen war, wurde mir regelrecht schwarz vor Augen.

Mit resoluter Hand setzte sie ihre Unterschrift in das Buch und machte damit alle Chancen zunichte, daß ich es wieder zurückgeben konnte, was mir ein Loch von sieben Shilling sechs Pence in den Geldbeutel riß, bevor der Tag noch richtig angebrochen war, um es einmal so auszudrücken. Dann sagte sie »Ach!«, und in ihrer Stimme lag weiterhin das Timbre einer Turteltaube.

»Mensch, daß ausgerechnet du Die Spindeltreppe kaufst!«

Man will ja höflich sein, und es ist auch nicht auszuschließen, daß ich in der Hitze des Gefechts allzu dick auftrug. Aus heutiger Sicht kommt es mir beinahe vor, als hätte ich ihr mit meiner Beteuerung, schnurstracks auf ihr Werk losgestürzt zu sein, den Eindruck vermittelt, jede Minute gezählt zu haben, bis ich das vermaledeite Ding endlich in den Fingern gehabt hatte. Jedenfalls reagierte sie mit einem ebenso dankbaren wie einfältigen Lächeln.

»Ich kann dir gar nicht sagen, wie mich das freut, und zwar nicht nur, weil’s von mir stammt, sondern auch, weil es mir zeigt, daß ich mich damals nicht umsonst der Läuterung deiner Seele verschrieben habe. Du hast Gefallen an der schönen Literatur gefunden!«

Als wäre dies sein Stichwort, tauchte nun der zottige Zausel wieder auf und sagte, der gute Papa Spinoza sei nicht vorrätig, könne aber bestellt werden. Das Ganze schien ihn recht trübselig zu stimmen, im Gegensatz zu Florence, deren Augen wie auf Knopfdruck erstrahlten.

»Bertie! Nicht zu fassen! Liest du tatsächlich Spinoza?«

Es ist schon erstaunlich, wie leicht man der teuflischen Versuchung erliegt, den großen Maxe zu spielen. Auch unsere Besten sind dagegen nicht gefeit. Nichts wäre einfacher gewesen, als zu erwidern, sie bringe da einiges durcheinander, denn die mustergültig kommentierte Ausgabe sei als Geschenk für Jeeves bestimmt. Doch anstatt das Schlichte, Mannhafte und Aufrichtige zu tun, mußte ich große Töne spucken.

»Oh, durchaus«, antwortete ich mit einem intellektuellen Schlenker des Regenschirms. »Wenn ich einen Moment der Muße finde, versenke ich mich am liebsten in den neusten Spinoza.«

»Ach!«

Ein simples Wort, doch als sie es aussprach, überlief mich vom pomadigen Haarschopf bis zur Gummisohle ein heftiger Schauer.

Auslöser dieses Schauers war der Blick, der mit dem Ausruf einherging. Es handelte sich genau um den Blick, den mir damals auch Madeline Bassett zugeworfen hatte, als ich nach Totleigh Towers gekommen war, um das silberne Sahnekännchen des alten Bassett zu klauen, wohingegen sie sich meine Anwesenheit damit erklärt hatte, daß ich, in wilder Liebe entflammt, keine Sekunde länger ohne sie leben konnte. Ein entsetzlicher, zärtlicher, schmelzender Blick, der durch mich hindurchging wie eine rot glühende Ahle durch einen Klumpen Butter und mich mit namenloser Furcht erfüllte.

Nun wünschte ich, ich hätte mich für Spinoza etwas weniger ins Zeug gelegt, vor allem aber wünschte ich, ich hätte mich nicht beim vermeintlichen Kauf dieser bescheuerten Spindeltreppe ertappen lassen. Ich erkannte, daß ich ohne böse Absicht die Werbetrommel für mich gerührt und dieses Mädchen dazu verleitet hatte, Bertram Wooster mit völlig neuen Augen zu sehen und ungeahnte Tiefen in ihm zu entdecken. Es war nicht auszuschließen, daß sie die Sache noch einmal im Licht der aktuellen Fakten betrachtete und zum Schluß kam, einen Fehler gemacht zu haben, als sie die Verlobung mit einem derartigen Schöngeist gelöst hatte. Und wie wollte man, wenn sie erst einmal solche Gedanken anstellte, wissen, was einem sonst noch alles blühte?

Mich drängte es mit jeder Faser meines Herzens, anderswo zu weilen, bevor ich mich noch tiefer ins Verderben redete.

»Ach, ich muß leider weiter«, sagte ich. »Eine furchtbar wichtige Verabredung. War wirklich nett, dich mal wiederzusehen.«

»Wir sollten uns viel öfter sehen«, antwortete sie noch immer mit schmelzendem Blick. »Wir müssen uns mal in aller Ruhe austauschen.«

»Oh, durchaus.«

»Ein Intellekt im Werden ist ja sooo faszinierend. Warum kommst du nicht mal raus nach Bumpleigh Hall?«

»Ach, weißt du, hier in der Großstadt ist man eben doch sehr angebunden.«

»Ich würde dir gern mal die Rezensionen der Spindeltreppe zeigen, sie sind ganz wunderbar. Edwin klebt sie für mich in ein Album.«

»Die würde ich mir schrecklich gern angucken. Ein andermal vielleicht. Wiedersehen!«

»Du hast dein Buch vergessen.«

»Oh, danke. Also, bye-bye«, sagte ich und bahnte mir einen Weg ins Freie.

Die Verabredung, von der ich eben sprach, hatte ich mit dem Barkeeper des »Bollinger«. Selten, wenn überhaupt je, hatte es mich heftiger nach einem Stärkungsmittel gedürstet. Ich strebte auf mein Ziel zu wie ein Hirsch, den es nach schweißtreibender Hetzjagd zur kühlen Quelle zieht, und war binnen kurzem in ein Gespräch mit dem Spender des lebensrettenden Nasses verwickelt.

Zehn Minuten später stand ich, deutlich erholt, aber immer noch etwas wacklig, vor der Tür, ließ meinen Regenschirm kreisen und fragte mich gerade, was als nächstes zu tun sei, als ein merkwürdiges Schauspiel meine Neugier weckte.

Gleich gegenüber ging nämlich etwas höchst Bizarres vor sich.

3. Kapitel

Das »Bollinger« betreibt sein menschenfreundliches Gewerbe in der Bond Street, etwa auf halber Höhe zwischen Oxford Street und Piccadilly. Auf der anderen Straßenseite, genau vis-à-vis, befindet sich ein gleichermaßen bezauberndes wie beliebtes Juweliergeschäft, in dem ich mich einzudecken pflege, wenn eine Investition in Bijouterien ansteht. Und tatsächlich hatte ich eben noch überlegt, ob ich mir nicht zur Feier des Tages ein neues Zigarettenetui leisten sollte.

Just vor dem fraglichen Juweliergeschäft trug sich nun also das merkwürdige Schauspiel zu. Ein Bursche mit verdächtigem Gehabe schlich vor dem Ladenlokal auf und ab und war darin der armen Katz’ im Sprichwort gleich: »Muß dir ›Ich fürchte‹ folgen dem ›Ich möchte‹?« So jedenfalls steht es laut Jeeves bei Shakespeare. Oder anders ausgedrückt: Er schien unbedingt eintreten zu wollen, hatte aber erhebliche Schwierigkeiten, seinem Wunsch auch Taten folgen zu lassen. Eins ums andere Mal stürzte er jäh auf den Laden zu, wich wieder zurück und blickte hastig nach links und rechts, als fürchte er die Argusaugen der Öffentlichkeit. In New York habe ich zur Zeit der Prohibition Typen beobachtet, die vor den berüchtigten Flüsterkneipen ganz ähnliche Kapriolen vollführten. Dieser hier war ein strammer Bursche und erinnerte mich von ferne an irgend jemanden. Und als ich die Augen leicht zusammenkniff und ihn genauer musterte, kam mein Gedächtnis endlich auf Touren. Diese massige Gestalt … dieser kürbisförmige Schädel … Das Gesicht, das an einen rötlichen Teigklumpen erinnerte … Hier stand kein anderer als mein alter Freund Stilton Cheesewright. Weshalb er allerdings vor Juwelierschuppen Pirouetten drehte, war mir schleierhaft. Gerade als ich mich anschickte, die Straße zu überqueren und eine Untersuchung bzw. Befragung durchzuführen, schien er sich zu einem plötzlichen Entschluß durchzuringen. Während ich noch innehielt, um nicht unter die Räder eines vorbeifahrenden Busses zu geraten, nahm er Anlauf, warf den Kopf wild in den Nacken und trat durch die Tür wie ein Mann, der in eine Bahnhofsgaststätte stürmt und bis zur Abfahrt seines Zuges noch genau zwei Minuten hat, um einen Gin Tonic zu kippen.

Als ich das Geschäft betrat, stand er über den Ladentisch gebeugt, den Blick auf einen bestimmten Artikel geheftet, den ihm der zuvorkommende Verkäufer soeben vorführte. Unverzüglich machte ich mich daran, Stilton mit dem Schirm ins Hinterteil zu stupsen.

»Ahoi, Stilton!« rief ich laut.

Er fuhr herum und vollführte dabei eine Art schuldbewußten Luftsprung, als wäre er ein Ballettänzer, den man gerade dabei erwischt hat, wie er der Katze die Milch panscht.

»Ach, du bist’s«, antwortete er.

Eine Pause trat ein. In Momenten wie diesem, wo alte Jugendfreunde nach Jahren der Trennung zusammenkommen, dürfte man eigentlich ein großes Hallo und den umgehenden Austausch von Reminiszenzen erwarten. Davon konnte jedoch keine Rede sein. Sofern mich nicht alles täuschte, war der Geist unverbrüchlicher Freundschaft auf meiner Seite wesentlich stärker ausgebildet als auf seiner. Im Laufe meines Lebens bin ich schon vielen Menschen begegnet, die sich wünschten, Bertram weile woanders, und ich weiß die Symptome inzwischen klar zu deuten. Genau diese Symptome stellte nun auch mein einstiger Spielkamerad zur Schau.

Er zog mich vom Ladentisch weg, wobei er diesen mit seinem Körper vor meinen neugierigen Blicken abschirmte, als wollte er eine Leiche verbergen.

»Ich wäre dir sehr verbunden, wenn du deine Mitmenschen nicht mit deinem elenden Schirm in den Hintern piksen würdest«, sagte er, und die ungehaltene Note ließ sich nicht überhören. »Du hast mich furchtbar erschreckt.«

Ich entschuldigte mich in aller Form, versuchte ihm aber gleichzeitig klarzumachen, daß gewiß jeder Schirminhaber, dem das Glück einen sich bückenden alten Bekannten bescherte, diese Gelegenheit beim Schopfe packe. Anschließend bemühte ich mich, beruhigend auf Stilton einzuwirken, indem ich locker Konversation machte. Nach der Verschämtheit zu urteilen, die er an den Tag legte, hätte ich ein hoher Polizeibeamter sein können, der ihm während eines Schaufenstereinbruchs in die Quere kam. Sein Benehmen stellte mich vor ein Rätsel.

»Na, Stilton?« sagte ich. »Lange nicht gesehen!«

»Ja«, erwiderte er und schien es zu bereuen, daß nicht noch deutlich mehr Zeit verstrichen war.

»Wie geht’s, wie steht’s, altes Haus?«

»Ach, ganz gut. Und bei dir?«

»Prima, danke der Nachfrage. Ehrlich gesagt fühle ich mich springlebendig.«

»Schön für dich.«

»Ich dachte mir schon, daß dich das freut.«

»Oh, durchaus. Also, mach’s gut, Bertie«, sagte er und gab mir die Hand. »War nett, dich wiederzusehen.«

Ich sah ihn erstaunt an. Glaubte er tatsächlich, mich so leicht abwimmeln zu können? Manch ein Fachmann auf diesem Gebiet hat schon versucht, Bertram Wooster abzuwimmeln, und mußte schließlich die Waffen strecken.

»Ich verlasse dich noch nicht«, beteuerte ich.

»Ach nein?« erwiderte er trübsinnig.

»Nein, nein. Ich bleibe noch ein bißchen. Jeeves sagt, du hast heute früh bei uns vorbeigeschaut.«

»Ja.«

»Zusammen mit Nobby.«

»Ja.«

»Anscheinend wohnst du ebenfalls in Steeple Bumpleigh.« »Ja.«

»Die Welt ist klein.«

»So klein auch wieder nicht.«

»Jeeves findet das aber.«

»Na ja, sagen wir mal verhältnismäßig klein«, lenkte er ein. »Ich halte dich doch nicht etwa auf, Bertie?«

»Nein, nein.«

»Ich dachte nur, du hast vielleicht einen Termin.«

»O nein, nicht die Spur.«

Erneut trat eine Pause ein. Er summte ein paar Takte eines Schlagers, doch direkt ausgelassen wirkte er dabei nicht. Außerdem trat er reichlich nervös von einem Fuß auf den anderen.

»Schon lange dort?«

»Wo denn?«

»In Steeple Bumpleigh.«

»Ach so. Nein, noch nicht sehr lange.«

»Und, gefällt’s dir?«

»Sehr.«

»Was treibst du denn dort?«

»Was ich treibe?«

»Na, komm schon, du wirst doch wohl wissen, was ich unter ›treiben‹ verstehe. Boko Fittleworth beispielsweise verfaßt dort Erbauungsliteratur für die breiten Massen. Mein Onkel Percy entspannt sich dort nach der täglichen Fron eines Schiffsmagnaten. Und worauf hast du dich spezialisiert?«

Ein recht sonderbarer Ausdruck trat in sein Gesicht, und er fixierte mich mit kaltem und herausforderndem Blick, als wollte er mich zu irgendeiner leichtfertigen Tat anstacheln. Ich erinnere mich, daß ich dasselbe trotzige Funkeln einst in einem Landgasthof hinter den Brillengläsern eines Mannes erblickte, der mir gleich darauf gestand, sein Name sei Snodgrass. Nun sah es ganz danach aus, als schicke sich auch mein alter Gefährte zum Ablegen eines beschämenden Geständnisses an.

Doch dann schien er es sich anders zu überlegen.

»Oh, ich trödle rum.«

»Du trödelst rum?«

»Ja, ich trödle einfach ein bißchen rum. Ich mache dies und das, du verstehst schon.«

Weitere Nachforschungen in diese Richtung erschienen zwecklos. Offenbar wollte er mir sein Herz partout nicht ausschütten. Deshalb wandte ich mich jenem anderen Punkt zu, der mir so viel Kopfzerbrechen bereitet hatte.

»Tja, lassen wir das fürs erste«, sagte ich. »Aber warum hast du so gezaudert?«

»Gezaudert?«

»Jawohl.«

»Wann?«

»Gerade eben. Vor dem Laden.«

»Ich habe nicht gezaudert.«

»Und ob du gezaudert hast! Du hast mich an das Mädchen erinnert, von dem mir Jeeves neulich erzählt hat: ›Wie zaghaft hebet sie den Fuß, wo aus dem Bache wird der Fluß.‹ Und als ich dir ins Lokal folgte, hast du dem Verkäufer was ins Ohr gesäuselt, offenbar um eine heimliche Anschaffung zu tätigen. Was willst du dir denn kaufen, Stilton?«

Von meinem bohrenden Blick in die Enge getrieben, packte er schließlich aus. Vermutlich erkannte er, daß es keinen Zweck hatte, weiter hinter dem Berg zu halten.

»Einen Ring«, sagte er mit leiser, heiserer Stimme.

»Was für einen Ring denn?« hakte ich nach.

»Einen Verlobungsring«, murmelte er, verrenkte die Finger und ließ auch sonst erkennen, daß er sich seiner Lage sehr wohl bewußt war.

»Bist du verlobt?«

»Ja.«

»Sieh an, sieh an!«

Ich lachte herzlich, wie es in solchen Fällen meine Art ist,