OLAF ERMITTELT – Der Kanzler-Krimi - Wolfgang Hofer - E-Book

OLAF ERMITTELT – Der Kanzler-Krimi E-Book

Wolfgang Höfer

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Beschreibung

„Wenn dieses Buch nicht amüsant ist, fress ich ’nen Besen!“ Dieter Hallervorden
„Spannung und Humor vom Feinsten, absolutely funny!“ Maite Kelly
„Atemlos durch das Buch!“ Harald Schmidt

Was passiert, wenn der Bundeskanzler beim Gassigehen über eine Leiche stolpert? Und warum gibt es noch drei weitere spektakuläre Morde? Hängen die Fälle überhaupt zusammen? Olaf beginnt zu ermitteln und nutzt jede freie Minute zwischen Regierungserklärungen, Fototerminen, Debatten bei der EU in Brüssel und Telefonaten mit Joe Biden. Hochkarätige Helfer unterstützen ihn dabei. Ehefrau Britta, Karl Lauterbach, eine Kellnerin mit österreichischem Migrationshintergrund, ein schlitzohriger Kleinganove, eine taffe Obdachlose. Zwischendurch muss er auch noch die Kids von Annalena Baerbock hüten. Robert Habeck nervt, Macron auch, und der Geschirrspüler gibt den Geist auf. Aber Olaf wäre nicht der Scholz, wenn er das nicht alles packen würde. Mit anderen Worten: Es brennt die Luft, wenn Olaf ermittelt!

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Die Geschehnisse in diesem Roman bleiben reine Fiktion. Sämtliche Handlungen sind frei erfunden.

Bibliografische Information der Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet abrufbar über https://www.dnb.de© 2024 CW Niemeyer Buchverlage GmbH, Hamelnwww.niemeyer-buch.deAlle Rechte vorbehaltenUmschlaggestaltung: Carsten RiethmüllerDer Umschlag verwendet Motiv(e) von 123rf.comEPub Produktion durch CW Niemeyer Buchverlage GmbHeISBN 978-3-8271-9778-8

Wolfgang HoferOLAFERMITTELT–Der Kanzler-Krimi

WOLFGANG HOFER

Seine Karriere im Reich der Worte und Töne begann er 1971 mit dem selbst komponierten Hit vom „Trödler Abraham“. Wegen des außergewöhnlichen Textes wurde Udo Jürgens auf ihn aufmerksam. Gemeinsam schufen die beiden über hundert Songs, unter anderem die Klassiker „Liebe ohne Leiden“ und „Mit 66 Jahren“. Dazu schrieb Hofer Drehbücher für das Fernsehen und war Berater bei Shows wie „Wetten dass..?“. Die Liste seiner Kundschaft ist endlos: Wencke Myhre, Maite Kelly, Thomas Anders, Roland Kaiser, Michael Schanze, Harald Juhnke, Harald Schmidt und jede Menge große Namen mehr. Für die Musicalfassung von Dürrenmatts „Der Besuch der alten Dame“ verfasste er die Songtexte. Und jetzt schreibt er auch noch Krimis!

Dieser Roman ist für meine Mutter,die den Dichter in mir geweckt hat.Für Udo Jürgens, der mich gelehrt hat, dass die ersteFormulierung nicht gleich die beste sein muss.Und für Tina, die mich mit jedem Schmunzelnzum Weiterschreiben animiert hat.Danke euch allen!

Die deutsche Literatur ist einäugig.Das lachende Auge fehlt.Erich Kästner

Kapitel 1

Brauchst du einen Freund im politischenBerlin, dann schaff dir einen Hund an.Frei nach Harry S. Truman

„Der Hund muss noch raus“, sagte Britta.

Olaf genoss den letzten Schluck vom Roten, der ein Schwarzriesling war, in vornehmen Kreisen auch Pinot Meunier genannt. Den Tropfen hatte ihm sein Verkehrsminister Volker Wissing empfohlen. Der war zwar von der FDP, in Sachen Wein aber durchaus vertrauenswürdig. Als Hobbywinzer und ehemaliger Weinbauminister in Rheinland-Pfalz.

Der Kanzler beäugte wehmütig sein leeres Glas und machte sich daran, den Tisch abzuräumen. Getreu dem Motto „Deine Frau fürs Leben ist nicht dein Mädchen für alles“. Britta sah ihm lächelnd zu und fragte sich, ob Friedrich Merz das zu Hause auch übernahm.

Selten genug, dass ihr Mann pünktlich zum Abendbrot daheim war, aber heute hatte es geklappt. Britta hatte gleich nach seinem Anruf den restlichen Bohneneintopf auf den Herd gestellt und das Ciabatta aus Agnes’ Bäckerei aufgeschnitten. Salzgurken waren auch noch da. Total leckere Hausmannskost, da konnte sich das feine Borchardt einen Wolf kochen. Nichts gegen das Spitzenrestaurant an der Französischen Straße in Berlin, wo bei Haute Cuisine hohe Politik gemacht wird, aber Olaf hatte es gerne auch ein paar Nummern kleiner. Zudem konnte er politische Diskussionen ebenso daheim führen. Mit seiner Britta. Bei Bohneneintopf.

Der war nun ratzeputz aufgefuttert. Sehr zum Leidwesen des Hundes, der seine Lauerstellung vor dem Esstisch aufgab und im Flur demonstrativ vor der Wohnungstüre auf und ab tigerte. Wenn schon kein Fressen, dann wenigstens Gassi!

„Der Hund muss noch raus“, wiederholte Britta.

Also Leine los, Hund dran und ab in die hereinbrechende Dunkelheit. Olaf liebte diese späten Spaziergänge auf der Freundschaftsinsel gleich um die Ecke von seinem Zuhause. Er musste nur wenige Meter bis zur Langen Brücke, und schon war er da.

Auf einem kleinen Paradies mitten in Potsdam, umspült von der Havel, beschützt von mächtigen Bäumen. Bewachsen mit Rosen, Rittersporn, Schwertlilien, Chrysanthemen.

Je nach Jahreszeit blüht es in allen erdenklichen Farben, von kitschig Rosa bis magisch Violett. Manchmal trägt das Grün auch Rot und Gelb, als wär’s die Ampel im Berliner Bundestag.

Aus kreisrunden Wasserbecken springen Fontänen hoch, Bronzeplastiken rekeln sich im Gras und beobachten das Publikum: Spaziergänger, vergnügt kreischende Kinder, die Tauben aufscheuchen, Nordic-walkende Senioren, geschäftige Yuppies mit Coffee to go, Touris mit Selfiesticks. Was eben so angespült wird an einer Freizeitidylle mitten im Wasser.

Am Abend, wenn das Gewusel der Menschen sich verläuft, sind die verborgenen Stimmen der Insel zu hören. Tausende Stimmen. Der Gesang der Nachtigall, das Gezirpe der Grillen, das Huschen und Knacken zwischen den Sträuchern.

Hin und wieder kriecht dann auch Nebel über das Wasser, so wie jetzt. Dann verblassen die Farben, der Fluss wird schwarz-weiß, die Geräusche werden noch geheimnisvoller und Olaf konnte davon träumen, in London zu sein. Im London von Edgar Wallace, wo alles „very british“ ist.

So british wie 10 Downing Street. Die Adresse, unter der seit einem Jahrhundert die Premierminister standesgemäß hausen. Das wäre ein Amtsgebäude nach seinem Geschmack! Eine stilvolle Stadtresidenz, schwarze Ziegelmauern, eine dunkle Eingangstür im eleganten weißen Rahmen. Das Ensemble bewacht von hohen schmiedeeisernen Zäunen und ernst dreinschauenden Bobbys. Alles sehr ehrfurchtgebietend, voller Autorität, ein Kronjuwel.

Was ein himmelweiter Unterschied zur glatten Betonburg an der Spree mit der rostigen Skulptur vor der Haustür. Typisch vom Reißbrett, quadratisch, praktisch, gut. Statt von erhabener Größe einfach nur ein Riesenteil. Noch in der Bauphase hatte die Berliner Schnauze zugeschnappt und das monströse Kanzleramt respektlos „Elefantenklo“ getauft.

Half aber alles nichts, jetzt saß er fest auf diesem monumentalen Örtchen, genau wie vor ihm die Pfarrerstochter aus der Uckermark und noch weiter davor der Basta-Kanzler.

Der Gedanke an Gas-Gerd führte Olaf zurück zum Hund, der gerade mit Hingabe seine Geschäfte erledigte.

Die Namensfindung für den Vierbeiner hatte eine lebhafte eheliche Diskussion hervorgerufen. Britta war mehrheitlich für Harvey gewesen. Schließlich hatte auch Humphrey Bogart einen Boxer gehabt, argumentierte sie, und der hatte Harvey geheißen. Als ehemalige Bildungsministerin in Brandenburg weiß man halt so überflüssiges Zeugs.

Gatte Olaf war nicht einverstanden.

Sein Problem: Er hatte zwar die Richtlinienkompetenz im Amt, aber nicht in der Ehe. Also musste er unumstößliche Argumente beibringen, um seine Chance zu wahren.

„Deutsche Boxer heißen nicht Harvey“, wandte er streitlustig ein, „sondern Max wie der Schmeling, Sven wie der Ottke oder Bubi wie der Scholz.“

Britta witterte Morgenluft: „Aber ein Hund namens Bubi Scholz geht wirklich nicht. Das musst du zugeben.“

Treffer! Britta führte nach Punkten, Olaf war angezählt und erinnerte sich. Dieser Bubi Scholz, weder verwandt noch verschwägert, war eine Legende gewesen, ein Idol, ein tragischer Held. Eigentlich hatte er Gustav Wilhelm Hermann geheißen, aber alle hatten ihn Bubi genannt. Weil er als Kind so schmächtig war, der Proletarier-Steppke vom Prenzlauer Berg. Doch er boxte sich durch. In 96 Kämpfen hat er 88 Siege herausgehauen, war mehrfacher Deutscher Meister und Europameister. Als Liebling der Nation durfte er sogar schauspielern, trat in mehreren Fernseh- und Filmproduktionen in Erscheinung, veröffentlichte Schlagerplatten. Allerdings war er im Ring entschieden treffsicherer als bei den Tönen seiner Lieder. Nach dem Rücktritt als Sportler begann er, aus welchen Gründen auch immer, zu trinken und erschoss 1984 im Rausch seine Ehefrau. Wegen fahrlässiger Tötung wurde der gefallene Champion zu drei Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Ein Vorsatz konnte ihm nicht nachgewiesen werden. Er hatte mit einem Gewehr durch die geschlossene Tür des Badezimmers gefeuert und die Liebe seines Lebens in den Kopf getroffen. Im Alter erkrankte er an Demenz und verstarb in einem Seniorenheim.

Bei aller Empathie und allem Respekt in der Tat kein idealer Namenspate für einen harmlosen Vierbeiner der Klasse Halbschwergewicht.

Der Kanzler und seine Liebste diskutierten noch Ewigkeiten hin und her, wie man den Hund benennen sollte, der da in seinem Korb lag und zufrieden knurrend an einer intensiv müffelnden roten Socke kaute, seinem Lieblingsspielzeug. Ein Sozi-Köter eben.

Außerdem Angehöriger einer exquisiten Minderheit. Denn das Fell trug nicht den typischen Kupferton, sondern es war leuchtend weiß. Die Schnauze schwarz, wie es sich gehört, und aus dem Gesicht guckten treuherzige dunkle Augen. Wie heißt so einer?

Britta hatte die Idee, sie sollten ihn nicht nach seinem Äußeren benennen, sondern nach seinem Wesen.

Bingo! Das dumpfe Gebell des Köters und seine Sturheit gaben den Ausschlag. Man einigte sich auf Schröder.

Schröder hatte mittlerweile seine Angelegenheiten im Gebüsch zu einem guten Ende gebracht und wollte wieder los. Olaf zückte als pflichtbewusster Hundebesitzer das obligatorische Tütchen für die Hinterlassenschaft. Man konnte auch in der brandenburgischen Hauptstadt Potsdam die Dinger kostenlos aus einem Behälter ziehen, der in feinstem Amtsdeutsch ein Ungetüm von Namen trug: Hundekottütenspender.

Olaf musste dabei an Helmut Kohl denken, einen seiner Vorgänger. Nicht wegen der Spendenaffäre damals, in die der Pfälzer verwickelt war, sondern wegen eines unvergesslichen Satzes, den er bei einer Pressekonferenz geprägt hatte: „Entscheidend ist, was hinten rauskommt.“ Das war weise und allumfassend gewesen, denn es galt für die Politik genauso wie für Hundekacke.

Dann trabte der Kanzler an der langen Leine seinem Boxer hinterher. Endlich mal etwas anderes: Der Hund entschied, wo es langging, der Kanzler brauchte keine Führungsstärke zu beweisen, die pure Entspannung!

Zudem war es ein stressfreier Samstag gewesen. Den einzigen Aufreger hatten die Jusos von Berlin-Mitte produziert. Mit ihrer Forderung, die öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten zur Ausstrahlung von frauenfreundlichen Pornos zu verpflichten. Eine entzückende Idee, ehrenwert feministisch gemeint. Olaf lächelte in sich hinein: Zu seiner Studienzeit wären derartige Ideen auf pures Unverständnis gestoßen. Damals wurde nicht lange gefordert, da wurden einfach in der Videothek anregende Filmwerke ausgeliehen, und dann bumsten Männlein und Weiblein fröhlich durch die WG.

Der Kanzler verharrte noch in einschlägigen Erinnerungen, da ging Schröder dazwischen, fing an zu kläffen und zerrte ungeduldig zur Seite.

Kapitel 2

Das Leben ist wie eine Schachtel Pralinen. Man weiß nie, was man bekommt.Forrest Gump

Schröders Aufregung war berechtigt. Der Grund dafür verunzierte aufs Übelste den akkurat gepflegten städtischen Rasen und trug hochpreisige Sportklamotten. Sogenannte Activewear mit dem Logo von Dolce & Gabbana. Preis garantiert vierstellig. Am Handgelenk ein smarter Fitnesstracker, Stöpsel in den Ohren. Die Beats wummerten noch. Survivor von Beyoncé: „Ich überlebe das, ich gebe nicht auf, ich kenne kein Ende …“ So weit der Text, die Wirklichkeit sah anders aus. Der Mann hatte rein gar nichts überlebt, er lag da ziemlich tot, Gesicht nach unten, Hinterkopf nach oben, die von einem Schlag herrührende, blutverkrustete Wunde unübersehbar.

Schröder wirkte ratlos, er fand wohl lieber Stöckchen als Leichen. Olaf hingegen peilte blitzschnell die Situation und spürte einen Adrenalinschub ohnegleichen.

Ein Mordfall! Ein total echter Mordfall! Seit seiner Jugendzeit in Hamburg-Rahlstedt war er fasziniert von Mordfällen. Der Frosch mit der Maske, Die Morde des Herrn ABC, rote Taschen-Krimis aus der Leihbücherei, Erik Ode als DerKommissar, schwarz-weiß im ZDF, und dann 1970 die Premiere des Tatort im Ersten. Mit dem blauen Vorspann, der immer noch läuft: Augen im Fadenkreuz, Beine, die hastig wegrennen, dazu die unverwechselbare Musik.

Jede Menge Fiction, die er gierig verschlungen hatte. Nur ein echter Mordfall war ihm noch nie hautnah begegnet.

Okay, er kannte einen Haufen Leute mit einer Leiche im Keller, das bringt die Politik mit sich. Aber da verbrennt man sich bei der Aufklärung nur die Finger.

Immer wenn der Meisterdetektiv in ihm hochkam, dachte Olaf eifersüchtig an seinen gewichtigen Studienfreund Josef Wondratschek, genannt Joschi, der nach dem Jura-Examen zur Polizei gegangen war. Mittlerweile zum Kriminalhauptkommissar aufgestiegen, galt er als größte Nummer der Berliner Ermittlungsbehörden. Beneidenswert.

Diese Eifersucht war jetzt nicht mehr nötig. Denn seine eigene Chance war da, sein ganz persönlicher Mordfall.

Olaf ermittelt!

Ein Gefühl wie Weihnachten. Schon wollte er das Opfer umdrehen, um dem unverhofften Glück ins gebrochene Auge zu sehen, da packte ihn dann doch die Vorbildfunktion beim Kragen. Ein Kanzler, der an einer fangfrischen Leiche herumfummelt, ist leider Gottes ein absolutes No-Go. Kindertraum hin oder her. Also, Staatsbürger, tu deine Pflicht!

Olaf zückte staatsbürgerlich sein hochmodernes hightechnisches Kryptohandy, das außer jedem Geheimdienst der Welt niemand knacken konnte. Er wählte die 110. Der Ruf ging zwar durch, aber am anderen Ende rührte sich nichts. Olaf war außer sich. Ein Notruf, bei dem keiner dranging, unmöglich! Darüber müsse er dringend mit Nancy reden, notierte er im Geiste, sie war schließlich zuständig für die innere Sicherheit.

In diesem Moment wurde abgehoben, und eine erboste Stimme bellte: „Kühnert. Welcher Vollidiot ruft da mitten in der Nacht …“

Erschrocken drückte der Kanzler das Gespräch weg. Offensichtlich hatte er statt der Notrufnummer die Kurzwahl 110 eingegeben. Aber es traf nicht den Falschen. Kevin Kühnert, SPD-Generalsekretär, ewiger Jungspund und Labertasche mit Bartsparvertrag. Der sollte sich, anstatt zu schlafen, lieber Gedanken um die miserablen Umfrageergebnisse der Partei machen!

Nächster Versuch. Die Notrufzentrale meldete sich sofort. Innenministerin Nancy Faeser war einem Anschiss entgangen, der Kanzler machte Meldung.

Der Beamte am Telefon nahm den Fall eher skeptisch zur Kenntnis.

„Sie haben tatsächlich einen Toten gesehen?“

Olaf war pikiert: „Ich komme hier öfter vorbei und sehe Leute. Aber normalerweise lebendige und keine toten, die irgendwo herumliegen. Das ist mein erster.“

„Schon gut“, ruderte der Beamte zurück und kündigte an, eine Streife vorbeizuschicken.

„Wie ist Ihr Name?“, fragte er abschließend.

„Scholz, Olaf Scholz“, antwortete Olaf Scholz.

Am anderen Ende der Leitung hob sich hörbar die Stimmung.

„Ist ja irre! Ein Herr Olaf Scholz, der über eine Leiche stolpert. Lassen Sie das bloß nicht den Bundeskanzler wissen!“

„Mist!“, dachte Olaf, „ich hätte einen falschen Namen nennen sollen. Söder, Trittin, Lafontaine oder sonst irgendwas.“ Altes Politik-Prinzip eben: Schuld sind immer die anderen.

Jetzt war er unter mysteriösen Umständen aktenkundig geworden, und das konnte er gar nicht brauchen. Da musste der Wolfi ran. Wolfgang Schmidt, sein Kanzleramtsminister, würde die Sache schon hasenrein unter den Teppich kehren. Die Teppiche in der Hauptstadt waren zum Glück groß genug, da passte einiges darunter.

Nicht auszudenken, wenn die Presse Wind bekäme! Die würde sich überschlagen wie schon lange nicht mehr. Es war ja auch eine Mordsmeldung. „Kanzlerhund macht Horrorfund“ würde die Zeitung mit den großen Buchstaben dichten und einen „leichenblassen Olaf Scholz“ ausmachen, „der mit seinem treuen vierbeinigen Gefährten einem schauerlichen Verbrechen gegenüberstand.“

Olaf wollte aber partout nicht gegenüberstehen und machte sich schleunigst aus dem Staub: „Ab durch die Mitte, Schröder!“

Als die Sirene des Streifenwagens immer näherkam, war er mit dem Hund schon im Nebel verschwunden. Wie der geheimnisvolle Unbekannte bei Edgar Wallace.

Zu Hause am Alten Markt tappte der Hund wie in Trance zu seinem Korb, um die Ereignisse zu verdauen. Olaf musste auch verdauen. Er ging schnurstracks an den Kühlschrank und gönnte sich einen eiskalten Kümmel. Einen Seelentröster aus Hamburger Zeiten, den er nur selten bemühte. Erstens aus Gründen der Vernunft und zweitens aus Gründen des ehelichen Friedens.

Wie auf Stichwort kam Britta um die Ecke und schwenkte das heimische Superkrypto-Telefon: „Ich habe den Karl in der Leitung, Ollibär“, erklärte sie fürsorglich. „Er könnte dir ein Beruhigungsmittel vorbeibringen, wenn du was brauchst nach dem Schock.“

Olaf stöhnte auf: „Bitte jetzt nicht den Lauterbach! Ich habe mich schon selbst medikamentiert.“

Schmunzelnd zeigte er auf das leere Kümmelglas: „Schluckimpfung!“

Kapitel 3

Zeitungsartikel sind das Zeug, das zwischen den Anzeigen steht.Lord Kelvin, britischer Physiker

„Die Champagnertörtchen sind alle“, ließ Agnes lautstark wissen, „der 911er hat wieder einmal alle abgeräumt.“

Die Bäckersfrau war megastolz darauf, den kabinettsinternen Code für Christian Lindner zu kennen, der von seinem schwarzen Porsche Targa herrührte. Durch Lindners Hochzeit war die Karre ja bundesweit bekannt geworden. Standesgemäß fuhr er damit sonntags von der Villenkolonie in Berlin-Nikolassee zu Agnes’ Bäckerei, um für das Frühstück leckeres Gebäck zu besorgen. Seinen ersten Porsche hatte er sich mit 19 Jahren gekauft, einen gebrauchten Boxster. Die Kohle war selbst verdient und brav versteuert, wie er betont. Mittlerweile hat er sich in eine 911er-Flunder hochgearbeitet. Die er am Samstag eigenhändig wäscht: „Das ist eine Art Fetisch von mir.“ Dass so ein Mann nicht unbedingt für ein Tempolimit ist, kann selbst ein Hardcore-Fußgänger nachvollziehen.

Bundesweit völlig unbekannt dagegen war das quietschgrüne Lastenfahrrad mit den Sonnenblumenaufklebern, das in diesem Moment vor dem Laden anhielt. Der Radler trug kurze Hosen und ein Shirt aus fair gehandelter Baumwolle. Natürlich „100 Prozent made in Germany“, um den Affen aus dem Werbespot zu zitieren.

„Hallo, Robbie!“, freute sich die Bäckerin, „Vollkorn-Leinsamen-Brötchen wie immer?“

„Gerne, Agnes.“

Das war aber noch nicht alles. Der Lastenradler hatte auf einem Zettel aus grauem Recyclingpapier eine Großbestellung mitgebracht.

„Drei Laibe Buchweizen spezial, einmal Quinoa-Möhre und einmal Chia mit Hanf. Ich mache heute einen veganen Grill­abend. Andrea kommt auch. Aus Flensburg mit ihrem neuen E-Smart.“

Der Kanzler ahnte Schlimmes.

„Schau mit deiner Britta doch auch kurz vorbei, Olaf! Das wird sicher lustig.“

Olaf, der gerade seine nicht vollkörnigen Mohnbrötchen und die Sonntagszeitung in einer alten Wahlkampftüte verstaute, war auf diesen hinterhältigen Überfall nicht vorbereitet.

Er fasste sich aber rasch und log überzeugend: „Tut mir leid. Ich muss heute unbedingt noch mein Arabisch auffrischen. Du weißt schon, die Videoschalte morgen mit den Ölscheichs. Aber nächstes Mal ganz sicher.“

In Wahrheit hatte er nicht die geringste Sehnsucht nach den Körnerpartys von seinem Vize Robert Habeck und dessen Andrea auf dem Balkon der kleinen Zweitwohnung.

Also brachte er sich schleunigst in Sicherheit und joggte federnden Schrittes nach Hause. Nicht in echt Dolce & Gabbana wie seine Leiche, sondern in echt Tchibo, schadstoff­geprüft, und von Ehefrau Britta persönlich übers Internet geordert.

Bestimmt hatte sie schon die Kaffeemaschine angeschmissen. Dieses krass luxuriöse Teil, das Olaf unbedingt haben wollte und auch bekommen hatte. Geduld zahlt sich halt aus, eines seiner Grundprinzipien.

„Ofen aus beim Promikoch!“ schrie es von der Gesellschaftsseite der Sonntagszeitung. Mit einem niedlichen Cappuccino-Bärtchen auf der Oberlippe machte sich Olaf über die Neuigkeit her. Der Hai hatte wieder einmal zugebissen. Herwig Attila Imhoff, Namenskürzel HAI, Klatschreporter, Enthüllungsjournalist und selbst ernannter Moralapostel in einer Person.

Es waren keine kleinen Fische, die er in seinem Artikel servierte. Gerade mal ein Jahr war das Q-Damm am Ku’damm jetzt geöffnet und in dieser Zeit weltberühmt in Berlin geworden. Ein stylisher Laden, eine ebensolche Küche, alles ziemlich gehoben und die Preise noch mehr. Strauss, der Inhaber, war zum Liebling der Promis aufgestiegen und sonnte sich im Ruhm der gastronomischen Exklusivität. Gerne schwadronierte er von würziger Wohligkeit im Gleichklang der Komponenten, von Texturen zwischen himmlischem Biss und erdigem Schmelz, nicht zu vergessen die dezente Wucht der Gojibeere.

Allerdings war die noble Kalorienbombe soeben am Platzen. Keine teuer bezahlten Spitzenköche seien im Q-Damm am Werke, stand zu lesen, sondern lukullisch ahnungslose Tütenaufreißer, die angelieferte Fertigmenüs in den Dampfgarer schoben und anschließend mit allerlei Krimskrams zur Eigenkreation hochstilisierten.

Während anderswo Nobelrestaurantköche acht Arme brauchen und sich vom Küchenchef zusammenscheißen lassen müssen, reichten im Q-Damm ein paar Handlanger. Die bekamen sogar Videos mitgeliefert, wie man die Verpackung einer Flusskrebs-Frischkäseterrine fachgerecht aufschneidet und das Gericht mit ein paar Petersilienzweigen optisch „individualisiert“.

Nichts mit live zelebrierter Haute Cuisine, sondern simples kulinarisches Voll-Playback. Fehlte nur noch ein Thermomix.

Der Hai gab sich in seinem Artikel als Feinschmecker entrüstet, als Mensch enttäuscht und fühlte tief mit den gelackmeierten Besserverdienern, die ihre sauer erworbenen Boni an einen Betrüger verschleuderten.

In düsteren Worten prophezeite er den baldigen Untergang des Gourmetladens und sein Verschwinden aus dem Sternenhimmel des gehobenen Geschmacks. Eine Vorhersage, die keine Kunst war. Er war ja eifrig dabei, das Ende des Fresstempels selbst herbeizuschreiben.

Das Verblüffende an dem Artikel war, dass es ihn überhaupt gab. Denn der Hai war zurzeit tot. Mausetot und ein Ermittlungsfall. Von Schröder erschnüffelt, von Olaf der Exekutive übereignet. Ein Hai auf einer Insel in Brandenburg verendet, was ein Schicksal!

Die Kaffeemaschine war sündhaft teuer gewesen. Ein Vollautomat mit allen Schikanen, dessen Erwerb Olaf mit einer Engelsgeduld und mit Engelszungen durchgesetzt hatte. Edelstahl, blinkend wie ein Weihnachtsbaum, purer Luxus, überhaupt nicht sozialdemokratisch. Aber Mario Draghi hatte die gleiche Maschine im Büro gehabt, als er noch italienischer Ministerpräsident war. Sein Vorteil: Draghi war parteilos, da gab es keine ideologischen Preisgrenzen nach oben. Aber der Cappuccino im Palazzo Chigi in Rom war eine Sensation gewesen. So lecker wollte Olaf es auch haben.

„Du hättest dich weggeschmissen, Schnuff! Nicht zu vergleichen mit dem schlappen Café au Lait im Élysée-Palast oder der Filterplörre von Joe Biden.“

Unter der Wucht der internationalen Argumente war Brittas Widerstand gegen den überteuerten Automaten in sich zusammengebrochen. Die Wundermaschine fand Gnade vor ihren Augen, zumal der Kaffee einfach göttlich schmeckte.

Die Bedienung dagegen war teuflisch. Ein Touchscreen natürlich. Intuitiv. Das bedeutet, es gibt ungezählte Möglichkeiten, etwas Falsches zu drücken. Diesmal aber klappte es. Olaf fand auf Anhieb die richtige Reihenfolge der Symbole und brachte die Cappuccino-Becher auch unfallfrei an den Frühstückstisch. Dann schoss er die entscheidende Frage ab:

„Hängt der Mord am Hai mit seinem vernichtenden Artikel über das Restaurant zusammen, was meinst du?“

Britta hatte zwar mit Kapitalverbrechen keine Übung, analytisch aber war sie erste Sahne. Sie brauchte nicht lange für ihre Überlegungen und erklärte ihrem Olli, warum man wen kaltmachen sollte und wann oder warum nicht. Todsichere Argumente sozusagen.

„Wenn ich einen Journalisten umbringen will, um einen Zeitungsartikel zu verhindern, dann tu ich das, bevor der Artikel erscheint. D’accord, Ollibär? Ich kann den Journalisten auch bestechen, dann wird der Artikel ebenfalls nicht erscheinen. Den Schreiber zu ermorden, nachdem der Artikel in Druck gegangen ist, ist Blödsinn. Da ist das Kind ja schon in den Brunnen gefallen. Aber vielleicht hat Strauss nicht gewusst, dass seine Enttarnung unmittelbar bevorstand. Dass er schon tags darauf am Pranger stehen würde. Also hat er zugeschlagen, und der Hai hat für nichts und wieder nichts ins Potsdamer Inselgras gebissen. “

„Klingt einleuchtend. Aber wenn Strauss ein Alibi hat“, ergänzte Olaf mitleidlos, „dann können wir diese Theorien alle vergessen. Sorry, Schnuff, so kommen wir nicht weiter. Wir brauchen mehr Informationen. Aber woher?“

Britta hatte den Geistesblitz: „Joschi!“

„Servas, Olli, i bin außer mir, was verschafft mir die Ehre?“ Österreichischer Singsang im Land der Preußen. Studienfreund Wondratschek war als Sohn einer deutschen Diplomatenfamilie in Wien aufgewachsen und kokettierte immer noch mit dem Dialekt aus der Kinderzeit. Wer mit Kalbsschnitzel und Kaiserschmarrn groß wird, der wird nie ein echter Preuße werden, da können Mama und Papa noch so deutsch sein. Welch wunderbare Fügung!

„Der Grund für die Ehre ist ein wenig delikat, mein Lieber“, nahm Olaf den Faden auf. „Ich gehe davon aus, dass du schon von dem Mord am Hai gehört hast. Ich hätte in dem Zusammenhang einen Anschlag auf dich vor.“

„Da bin ich aber baff. Du bist jetzt schon der Zweite in der Causa. Erst teilt mir dein Kanzleramtsminister mit, dass ich erkoren bin, den Fall zu bearbeiten, und jetzt rufst du auch noch an. Muss ich etwas wissen, was ich noch nicht weiß?“

„Lass uns das bitte unter vier Augen besprechen.“

„Unter vier Augen? Aber mit dem größten Vergnügen! Wenn ich das Einstein vorschlagen dürfte? Mein zweites Wohnzimmer, wie du weißt. Heut auf d’ Nacht um acht? Dann bin ich auch schon eingearbeitet in den Fall.“

„Heute Abend ist prima. Wie immer ganz hinten, kein Präsentierteller, wenn ich bitten darf.“

„Eh klar. Ich freu mich und geb der Mizzi Bescheid!“

Kapitel 4

Erst kommt das Fressen, dann die Moral.Bertolt Brecht

Das Café Einstein ist eine Institution. Wiener Flair im wilhelminischen Berlin. Eine alte Stadtvilla unter Denkmalschutz auf einem baumbestandenen Grundstück, erbaut für den Nähmaschinenfabrikanten Gustav Rossmann. Der verlor in den Goldenen Zwanzigern den Faden, ging pleite, und in seine Villa zog ein geheimer Spielklub der feinen Gesellschaft ein. Aristokraten, Unternehmer, Filmstars gaben sich die Ehre und mit teuerstem Champagner die Kante. 1933 ließen die Nazis das glitzernde Sündenbabel öffentlichkeitswirksam hochgehen und quartierten eine SS-Behörde ein. Die Eigentümer – mittlerweile ein jüdisches Ehepaar – wurden enteignet und in den Selbstmord getrieben. Nach dem Zweiten Weltkrieg verfiel das Haus, bis eine Exil-Österreicherin es wieder zum Leben erweckte. Als perfekte Symbiose zwischen Wiener Kaffeehaus und Berliner Restaurantkultur.

Das Einstein hat Stil. Hohe Decken, Stuck, Eleganz der 20er-Jahre, dunkel glänzendes Mobiliar, verglaste Vitrinen mit Werkausgaben von Goethe und Schopenhauer, alles kolossal gediegen. Das Personal in Schwarz-Weiß serviert Tafelspitz, Vogerlsalat, Marillenknödel und Einspänner mit Schlag. Eine charmante Ladung K.-u.k.-Monarchie erwartet den geneigten Gast. Bitte einzutreten, küss die Hand die Damen, gschamster Diener die Herren!

„Wie immer der GrüVe, bitte schön!“ Die Mizzi – ebenfalls eine Institution – entkorkte die schlanke Flasche mit dem Grünen Veltliner und schenkte Olaf den Probeschluck ein.

„Passt schon.“ Joschi nahm ihr die Flasche ab: „Der Tropfen ist uns bekannt. Und jetzt tust du dich bitte verzupfen, meine Schöne. Geheimkonferenz!“

Mizzi, in ihrer Wissbegier bitter enttäuscht, machte auf dem perfekt polierten Stöckel kehrt und rauschte davon wie eine Diva. Bühnenerfahrung zahlt sich halt aus.

Olaf war nicht entgangen, dass der Hauptkommissar die Kellnerin ein wenig zu schnoddrig behandelte. War das Tarnung? Wollte der angeblich eingefleischte Junggeselle damit irgendwelche Regungen oder Absichten verbergen? Das musste Olaf unbedingt Britta erzählen. Die kannte sich in Beziehungskisten einfach besser aus.

Wie auch immer, jetzt war Joschi ganz Kriminalbeamter und flachste Olaf mit strenger Miene an: „Du weißt, dass ich dir kein Sterbenswörtchen sagen darf, auch wenn du dreimal der Bundeskanzler bist. Was möchtest du also wissen?“

„Alles will ich wissen. Ist ja quasi mein ganz persönlicher Fall. Lass dich bloß nicht aufhalten!“

Joschi nahm einen genussvollen Schluck. Der Wein, gekeltert in einem Benediktinerstift in der niederösterreichischen Wachau, schmeckte sensationell. Trocken, elegant, himmlisch leicht. Mönche sind eben nur bedingt Asketen. Dem Herrn sei Dank!

Joschi lehnte sich zurück und begann zu referieren.

„Herwig Attila Imhoff, 42, Karrierestart als abgebrochener Gymnasiast und radikaler Nichtstuer, lernt während seiner Laufbahn in der Berliner Chaoten-Szene die fesche und anschmiegsame Jasmin kennen, auch Mausi genannt. Sie, eine rebellische höhere Tochter, ausgebrochen aus einem erzkonservativen stockkatholischen Elternhaus. Er, der Underdog, Hochhauskind aus der Gropiusstadt in Neukölln. Eltern geschieden, ein begabter Bub, aber lieber Drummer und Texter in einer Punkband als Stipendiat in einer höheren Anstalt.

Die beiden finden rasch zueinander und finden bald noch etwas. Nämlich, dass dieses Anarcho-Leben nicht wirklich der Bringer ist. Liebesnächte in Bettwäsche aus der Altkleidersammlung mit kiffenden Revolutionären im Zimmer nebenan. Einfach grauslich. Sie wollen auf die bessere Seite des Daseins: first class statt second hand, Borchardt statt Döner, Marmorwanne statt Etagenbad, Schwanenwerder statt Spandau. Edel sei der Mensch, hilfreich und gut, vor allem zu sich selbst.

Dazu braucht es Einnahmequellen, und Attila besinnt sich auf sein Schreibtalent. Allerdings ist Schluss mit subversivem Schrifttum. Der spätere Hai beschließt, Journalist zu werden, und zwar ein gut verdienender Journalist. Am besten der Bestverdienende. Der mit den geilsten Storys.

Das Startkapital liefert ihm ungefragt die Baronin Duesterberg, Eigentümerin der Bruchbude, in der er mit Jasmin und seinen Noch-Kumpanen haust. Sie hatte sich mal wieder in ihrem Bentley vors Haus fahren lassen, um persönlich die rückständigen Mietzahlungen der WG einzutreiben. Dabei war dem Hai der neue angebliche Chauffeur aufgefallen. Ein drahtiger junger Somalier in schnieken Klamotten und mit einer Uhr am Handgelenk, die einen mittelständischen Jahresverdienst gekostet hatte. Der Blick der Baronin suchte mit Wohlwollen immer wieder den knackigen Hintern des Bürscherls, es war eindeutig.

Die Story wurde ein Knaller: Berliner Baronin macht Migranten aus Somalia glücklich! Die Geschichte triefte von Völker verbindender Liebe, von Leidenschaft, die kein Alter kennt, von Wohltätigkeit ohne Grenzen. Angeblich unterstützte die Duesterberg den gesamten Clan ihres Herzbuben, was mit dem Foto einer glückstrahlenden somalischen Familie belegt wurde, das in Wirklichkeit aus einer Werbebroschüre von UNICEF stammte. Dazu weitere Bilder von der Duesterberg und ihrem Buberl. Eng umschlungen zu zweit und in trauter Dreisamkeit mit dem Bentley. Dafür kein Wort von der verrotteten Heizungsanlage und der lebensgefährlichen Elektrik im Mietshaus der Wohltäterin. Oder von den verschimmelten Wänden. Eine Win-win-Situation. Die Baronin wird praktisch heiliggesprochen, und der Hai hat ruckzuck seine eigene Kolumne in der Hauptstadtpresse.

Von da an ist er hautnah an den Promis dran, zerreißt sich publikumswirksam für einen vom Tode bedrohten Currywurststand, er deckt auf, er deckt zu, er jubelt hoch, er macht nieder. Am Hai kommt keiner vorbei. Seine Kolumne Berlin mit Herz und Schnauze wird zum Dauerbrenner. Aber das ist dir ja eh bekannt. Auch dass immer wieder über Gefälligkeitsartikel gemunkelt wird, die er gegen gutes Geld ins Blatt hebt. Oder über gutes Geld, damit er nichts ins Blatt hebt. Ein einträgliches Geschäftsmodell.

Somit haben wir eine Menge Leute, die von ihm abhängig sind, die sich seinetwegen in die Hose machen oder die ihn zur Hölle wünschen.

Anders gesagt: Mordmotive ohne Ende.

Ein uns bislang unbekanntes Motiv führte schließlich zum bedauerlichen Hinscheiden des vielseitigen Zeitungsschreibers. Hervorgerufen durch zwei Schläge mit einem massiven Gegenstand. Also ein Doppel-Wumms.“

„Scherzkeks“, grinste der Kanzler.

„Tschuldigung“, grinste Joschi zurück.

„Also, die zwei Schläge ereilten den Hai circa eine halbe Stunde, bevor du ihn gefunden hast. Offensichtlich hat es ihn erwischt, als er Liegestütze machte. Mit der Musik in den Ohren konnte er den Angreifer nicht hören und mit dem Blick nach unten nicht sehen. Sport ist Mord.

Seine nächtlichen Fitnessorgien hat er übrigens erst vor Kurzem begonnen und darüber auch gleich eine Story veröffentlicht. Vorteil für ihn: Für ein schickes Foto bekam er sein unverschämt teures Equipment umsonst nachgeschmissen. Problem für uns: Es war allgemein bekannt, wo er sich zu später Stunde herumtrieb. Sozusagen Insiderwissen für jedermann. Blöd gelaufen, im wahrsten Sinn des Wortes.“

„Was war das für ein Gegenstand, der ihn ins Jenseits befördert hat?“

Der Hauptkommissar nahm einen tiefen Schluck vom Veltliner und fuhr fort: „Laut KTU ein stinknormaler Hammer. Der liegt aber mit Sicherheit längst irgendwo in der Havel und nützt uns einen feuchten Kehricht.“

„Und der Artikel über diesen Strauss? Ist das zeitliche Zusammentreffen ein Zufall?“

„Wos waaß a Fremder?“, wienerte der Kriminalist. „Auf jeden Fall hat Strauss kein Alibi für die Tatzeit. Aber ich glaub, das ist ein Schmäh, er lügt nicht sehr überzeugend.“

„Warum sollte er ein Alibi verschweigen? Er kann doch froh sein, wenn er eines hat.“

„Vielleicht, weil das Alibi peinlich ist, eine Blamage.“

„Und die Ehefrau vom Hai, die Jasmin, die Mausi? Cherchez la femme, du weißt schon.“

„Die hat ein Alibi. Wasserdicht. Da beißt der tote Hai keinen Faden ab. Außerdem wirkt sie überzeugend mitgenommen. Oder sie ist schauspielerisch talentiert.“

Dem Kanzler gingen die Verdächtigen aus: „Und jetzt?“

„Wir hackeln wie die Blöden, mein Wertester. Pardon, wir arbeiten auf Hochtouren. Wir suchen Zeugen. Eine halbe Hundertschaft zerpflückt sämtliche Ausgaben von Imhoffs Kolumne – vielleicht steckt ja da ein Hinweis drin. Und jetzt hab ich einen Hunger!“

Wenn Josef Wondratschek Hunger hatte, war nichts mehr zu machen, da half auch kein Kapitalverbrechen. Joschi war schließlich ebenfalls eine Institution.

Ein Mannsbild, Größe XXL, umfangreich, trotz der Leibesfülle alert und immer auf dem Sprung. Sein ergrautes Haar traktierte er mit Unmengen von Gel, dazu trug er ein Schnauzbärtchen. Im Grunde sah er aus wie ein leibhaftiger Mafioso. Als hätte Marlon Brando seinen Job als Pate hingehängt und wäre zur Polizei übergelaufen. Genau wie Brando im Film trug er grundsätzlich Fliege, allerdings nicht in mafiösem Schwarz. Jeden Tag eine andere Farbe, kombiniert mit passenden Sneakers. Der Inhalt seines Schuhschranks war bunter als ein Bild von Kandinsky.

Das Essen kam. Mizzi hatte trotz Joschis Abfuhr die Ohren gespitzt und etliches von der Geheimkonferenz mitbekommen. Jetzt servierte sie für Olaf einen steirischen Backhendlsalat mit Kürbiskernöl. Dieses Öl schmeckt herrlich nussig und macht auf der Kleidung todschicke grüne Flecken, die nie im Leben mehr herausgehen. Joschi bekam sein Wiener Schnitzel, tellergroß, mit einem saftigen Kartoffel-Gurken-Salat. Mizzi schaute dabei so treuherzig-harmlos, dass es schon wieder verdächtig war. Dem Hauptkommissar entging das nicht, aber auch für Kellnerinnen galt die Unschuldsvermutung, solange er nichts Belastbares gegen sie in der Hand hatte. Na ja, wenigstens hatte er jetzt etwas Belastbares gegen den Hunger.

Zu ihrem Dinner schwelgten die beiden Herren in Erinnerungen aus der Studienzeit und in einer weiteren Flasche vom Veltliner. Als Olaf bezahlt hatte und das Mäppchen mit der Rechnung zurückbekam, war da ein Zettel drin, der eigentlich nicht hineingehörte. Olaf ließ ihn samt seiner schwarzen Kreditkarte dezent verschwinden.

Kapitel 5

Manche Männer bemühen sich lebenslang, das Wesen einer Frau zu verstehen. Andere befassen sich mit weniger schwierigen Dingen, z. B. der Relativitätstheorie.Albert Einstein

„Chef, Sie müssen rüber. Die Genderdebatte fängt in fünf Minuten an.“

Jeanette, Olafs badische Büroleiterin, war eine Seele von Mensch, in organisatorischen Dingen aber unerbittlich. Ein Kanzler braucht Führung, sonst macht er noch, was er will.

Olaf war überhaupt nicht scharf auf die Aussprache im Bundestag, zumal er das Thema auch mit Britta ständig in der Mache hatte. Sie war eine glühende Verehrerin des Gendersternchens.

Olaf fand das Thema schon lange wichtig, die Auswüchse indessen gingen ihm auf die Nerven. Er konnte es sich absolut nicht vorstellen, dass es irgendetwas an der Wertschätzung von Frauen änderte, wenn Politiker gebetsmühlenartig von Bürrinnen und Bürrern nuschelten oder jetzt auch die Zwerginnen im Duden standen.

Da ihn leider keine spontane Migräne überfiel oder ein Erdbeben die Hauptstadt erschütterte, machte er sich notgedrungen auf den Weg in den Reichstag. Dort fläzte er sich auf der Regierungsbank in seinen blauen Stuhl. „Reichstags-Blue“ heißt die Farbe offiziell.

Das Hauen und Stechen war schon eröffnet. Gerade deklamierte ein Abgeordneter ein Kinderlied in Genderdeutsch: „Es tanzt eine Bi-Ba-Butzeperson in unserm Haus herum, fidibum.“

Die AfD klopfte sich grölend auf die Schenkel, Claudia Roth war kurz vor dem Explodieren, und dem gelangweilten Olaf fiel zu seinem Glück der ominöse Zettel von gestern Abend ein. Den musste Mizzi ihm zugeschoben haben.

Während er in seiner Brieftasche wühlte, rief er sich ins Gedächtnis, was Freund Joschi ihm über die Kellnerin erzählt hatte.

Maria Lahnsteiner wurde Mizzi gerufen, wie das in Wien für Marias so üblich ist. Geboren und aufgewachsen in einem Vorstadtviertel. In einer Zweizimmerwohnung, wo sie mit ihrem Bruder im Wohnzimmer schlief, während der Vater im Schlafzimmer die Mutter verprügelte.

Vor zwanzig Jahren war sie als junge Frau Hals über Kopf nach Berlin geflüchtet. Der Grund war ein Mann gewesen, der nicht einmal eine Fahrt mit der Straßenbahn nach Floridsdorf wert gewesen wäre. Aber er hatte sich als Märchenprinz getarnt, und ein Märchen samt einem Prinzen hatte Mizzi sich schon immer gewünscht. Er besitze einen Autosalon in bester Lage, ließ der vermeintliche Königssohn wissen, und er werde seiner lieben Mizzi die gesamte deutsche Hauptstadt zu Füßen legen. Am Ende lag dann allerdings die Hoffnung am Boden. Der Autosalon war ein windiger Gebrauchtwagenhandel, die beste Lage ein Bezirk ganz im Osten. Auch Berlin hat seine Vorstadtviertel. Das Märchen war tatsächlich eines, nur anders als gedacht. Das glückliche Ende fiel aus. Und Mizzi fiel aus allen Wolken.

Als ausgebildete Tänzerin ergatterte sie zum Glück ein Engagement in der berühmten Girl-Line des Friedrichstadt-Palastes. Manches Mal ist das Schicksal eben gnädig. Das fremde Berlin wurde ihre zweite Heimat.

Als sie nicht mehr taufrisch genug war für das Showbiz, war auch hier Schluss. Blieb noch das Leben als solches, und das bestritt die attraktive Mizzi nunmehr als Servierkraft mit gelegentlichen Nebenjobs.

Was konnte diese Frau bloß von ihm wollen?

Ich weiß was. Geheimkonferenz morgen 22 Uhr, Nikolaikirche.

Die hatte ja Nerven! Bestellt einfach einen Bundeskanzler ein! Und dann noch an der Nikolaikirche mitten in Potsdam! An einem riesigen Platz. Mit freiem Blick fürs Volk auf den Regierungschef – beim nächtlichen Tête-à-Tête mit einer Restaurantfachfrau. Echt großes Kino.

Andererseits, wenn’s der Wahrheitsfindung dient …

Olafs Handy brummte. Britta war dran: „Sitzt du gut?“

Olaf brummte ebenfalls: „Nein, ich sitze schlecht. Mitten in einer endlosen Debatte.“

„Elmar Michelbach ist tot. Vom Balkon gefallen. Marlene hat mich gerade angerufen, sie ist völlig aufgelöst. Ich fahre jetzt zu ihr, schließlich ist sie meine beste Freundin. Du weißt also, wo ich bin. Wart nicht auf mich heute Abend, Lasagne ist im Kühlschrank. Tschau, Ollibär!“

„Tschau, Schnuff, und richte Marlene bitte mein Beileid aus.“

Schon wieder eine Leiche! Hoffentlich wurde das nicht zur Gewohnheit, er hatte ja mit dem Hai schon genügend zu tun.

Gleichwohl tat es ihm im Herzen weh. Er hatte die Michelbachs als nette Leute kennengelernt. Ehrgeizig, erfolgreich, sehr wohlhabend, aber trotzdem nett. Warum fällt so einer vom Balkon?

Der Kanzler verbrachte noch eine Anstandsviertelstunde im Bundestag und verdrückte sich dann unauffällig.

Der Rest des Tages verging mit dem üblichen Kleinkram. Empfang einer Delegation der spanischen Sozialisten, Briefing für den Besuch beim Deutschen Gewerkschaftsbund, die Videoschalte zu den Scheichs.

Als Krönung ein Fotoshooting für die neue Homepage des Kanzleramtes. Der Regierungschef am Schreibtisch, der Regierungschef am Telefon, beim Aktenstudium und last, but not least im Porträt mit entschlossenem Gesichtsausdruck, die Zukunft im Auge. Gefühlte Stunden stand er zwischen Lichtformern, die aussahen wie waagerecht gehaltene Regenschirme, und tat, was ihm geheißen. Nach rechts gucken, nach links, nach vorne in die Kamera, immer kraftvoll, weise und staatsmännisch. Bis der Fotograf und der Typ vom Presseamt zufrieden waren und Olaf einen steifen Hals hatte vor lauter links, rechts, vorne und Zukunft im Auge.

Sein Lieblingsfahrer Müller II, ein rüstiger Ü60-er, brachte ihn schließlich mitfühlend mit dem Panzer-Daimler nach Hause. Die Lasagne aß er kalt im Stehen, das war er aus Studentenzeiten gewohnt.

Dann machte er sich zurecht für das Date mit der Mizzi. Sein Kleiderschrank barg noch diverse Klamotten aus dem letzten Jahrtausend, die sich hervorragend zur Tarnung eigneten. Er schlüpfte in den dunklen Trenchcoat und stellte den Kragen hoch. Guter Anfang. Jetzt noch der klassische Fedora-Hut mit Krempe nach unten, perfekt für eine Geheimkonferenz. Der Regierungschef der Bundesrepublik Deutschland schaute in den Ankleidespiegel und fand, dass er voll verwegen aussah. Fast so wie Brittas Liebling Humphrey Bogart als Privatdetektiv Sam Spade. Fehlte nur noch die Fluppe.

Schröder hatte der Verwandlung hoffnungsvoll zugesehen, musste sich aber schließlich damit abfinden, dass sie nicht dem Gassigehen diente. Beleidigt verzog er sich in den Korb und widmete sich seinem stinkenden Hundetrost, der roten Socke.

Kapitel 6

Der Unterschied zwischen Verhältnis und Verhängnissind genau zwei Buchstaben.Wolfgang Hofer

Bekannte Ermittler scheinen schlecht für die Ehe zu taugen. Der bekannteste der Bekannten, Sherlock Holmes, umgab sich statt mit einer Frau lieber mit Dr. Watson als willfährigem Assistenten. Fehlende Gefühle kompensierte er hemmungslos mit einer Line Koks. Koks fragt nicht, und man muss sich keinen Hochzeitstag merken.

Eine Frau Columbo soll es zwar gegeben haben, aber keiner hat sie je zu Gesicht bekommen. Kurt Wallander, der Schweden-Ermittler, hat sich scheiden lassen und damit eine Mid­life-Crisis nebst Schlafstörungen hervorgerufen.

Und Kojak?