OMG, diese Aisling! - Sarah Breen - E-Book
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OMG, diese Aisling! E-Book

Sarah Breen

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Beschreibung

#completeaisling Auf den ersten Blick führt Aisling ein beschauliches Leben. Mit 28 wohnt sie noch bei ihren Eltern in ihrem Heimatort Ballygobbard und träumt, wovon man in dieser verschlafenen Kleinstadt so träumen kann: einem Ring am Finger und der ganz großen Liebe. Doch selbst ein gefangener Brautstrauß und ein romantischer Trip nach Teneriffa bewirken bei ihrem Freund nichts. Kurzerhand nimmt Aisling ihr Glück selbst in die Hand. Sie macht Schluss mit John und zieht nach Dublin zu ihrer hippen Kollegin Sadhbh. Die Folgen: neue, glamouröse Freundinnen (mit durchaus unglamourösen Problemen), ein Finanzskandal (mit dem sie hoffentlich nichts zu tun hat) und ein turbulentes Liebesdreieck (das in einem Viereck zu münden droht). Klingt nach Chaos? Klingt ganz nach Aisling!  

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Seitenzahl: 404

Veröffentlichungsjahr: 2019

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Über das Buch

»DIESE AISLING IST  JA WIRKLICH DER ABSOLUTE KNALLER.«

Eigentlich wollte die 28-jährige Aisling nur eins: endlich einen Ring am Finger, so wie all die anderen Mädchen aus ihrem irischen Heimatort Ballygobbard. Doch selbst ein gefangener Brautstrauß und ein romantischer Trip nach Teneriffa bewirken bei ihrem Freund nichts. Kurzerhand nimmt Aisling ihr Glück selbst in die Hand. Sie macht Schluss mit John und zieht nach Dublin zu ihrer hippen Kollegin Sadhbh. Die Folgen: neue glamouröse Freundinnen (mit durchaus unglamourösen Problemen), ein Finanzskandal (mit dem sie hoffentlich nichts zu tun hat) und ein turbulentes Liebesdreieck (das in einem Viereck zu münden droht). Klingt nach Chaos? Klingt nach Aisling!

 

 

 

 

An alle Aislings auf dieser Welt und den Teil von ihr, den wir allesamt in uns haben. In liebevoller Erinnerung an Leslie McLysaght, die so stolz gewesen wäre.

PROLOG

»Eure Aisling ist ja wirklich der absolute Knaller.«

Das klingt nicht wie jemand von hier. Aber die Stimme kenne ich, das ist die Dunkelhaarige mit der komplizierten Hochsteckfrisur, die zwei Tische weiter am »Titanic« sitzt – Denise und Liam haben nämlich alle Tische nach ihren Lieblingsfilmen benannt. Wunderbare Idee, sehr persönlich. Ich glaube, das ist seine Cousine. Sie sind zu zweit – beide aus Dublin und ganz und gar glamourös. Aufpoliert bis dorthinaus. Nett und gesprächig sind sie auch und keine Brotgrabscher. Noch schlimmer als ein öder Tisch ist eine dreiste Schnepfe, die sich einfach ein zweites Stück Brot nimmt, nur weil sie denkt, keiner merkt es. Ich merke das immer. Acht Punkte hat ein Stück Brot und ist jeden davon wert. Sich bei einer Hochzeit mit Fremden in Brotkorb-Politik zu verwickeln, ist allerdings keine gute Idee. Warum die wohl denkt, ich bin »der absolute Knaller«? Wir haben nur den üblichen Hochzeits-Smalltalk à la »Wo arbeitest du eigentlich?« und »Haben die beiden nicht Glück mit dem Wetter?« geführt. Und dann ging während der Reden natürlich auch das obligatorische Bierglas rum, in das jeder seine fünf Euro schmeißt. Da muss man allerdings echt aufpassen, dass alle mitmachen, sonst bleibt man am Ende auf einer riesigen Runde sitzen, und das wär echt nicht gerecht.

»Ist das die mit dem roten Fascinator? Die, die von hier nach Dublin pendelt und total besessen vom Rose of Tralee-Wettbewerb ist?«

Das klingt wie die Blonde, die neben John saß. Kerry heißt sie. Trägt so ein hübsches, fließendes Teil. Boho nennt man das wohl. Ja, ich bin die mit dem roten Fascinator – der war 25 Prozent runtergesetzt und passt zu allem. Allein drei Hochzeiten im letzten Jahr hat der schon mitgemacht, und wer weiß, wie viele noch vor mir liegen. Und ich habe nur gesagt, dass wir bald keine Rosen mehr sein können, jetzt wo alle heiraten. Ich meine, ich hätte natürlich niemals wirklich mitgemacht. Aber an meinem letzten Geburtstag, als ich 28 Jahre alt wurde, habe ich dann doch etwas bedauert, dass ich nun nicht mehr kandidieren kann. Einen Jig im Dreiertakt hätte ich getanzt und dazu das alte irische Pangur Ban-Gedicht rezitiert, das Ganze in einem abnehmbaren langen Rock mit einem kurzen drunter für die Tanznummer.

»Jepp«, sagt Hochsteckfrisur, während sie in ihrer Handtasche kramt, »das ist sie. Du sitzt neben ihrem Kerl – ganz schön heiß, der Typ.«

Na, da hat sie recht, aber sie sollte mal besser nicht auf dumme Gedanken kommen. Allerdings sieht John heute Abend wirklich verdammt gut aus – sein Anzug sitzt wie angegossen. Typisch Mittelstürmer eben.

Langsam werde ich unruhig, ich sollte nicht lauschen. Ich habe auch ein bisschen Angst vor dem, was ich noch zu hören bekomme, wenn ich mich jetzt nicht räuspere oder sonst wie bemerkbar mache. Obendrein hocke ich hier schon seit zehn Minuten. Eigentlich wollte ich vor allem meinen Füßen eine Pause gönnen. Sie tun jetzt schon weh und das Tanzen hat noch nicht mal richtig angefangen. Doch mein Grundsatz ist und bleibt: Vor Mitternacht werden die Schuhe nicht ausgezogen. Denise hätte dafür sorgen sollen, dass hier ein Korb mit Flipflops zur Verfügung steht. Das kriegt sie noch zu hören. Tja, dann werde ich wohl tapfer auf meinen Kitten Heels weitermachen, bis ich sie unter den Tisch schmeißen und richtig loslegen kann. Jetzt höre ich die Klänge von Sweet Caroline durch die Wand. Da draußen kommt Schwung in die Sache.

Für den Augenblick schweigen Hochsteckfrisur und Kerry. Nach den Geräuschen zu urteilen – Reißverschlüsse werden geöffnet, Gegenstände fallen ins Waschbecken – schminken sie sich gerade nach. Eigentlich will ich, dass sie sich beeilen, obwohl die Pause echt guttut. Ich versuche nachzurechnen, wie viel ich schon getrunken habe, verliere aber immer wieder den Faden. Ich habe mich so gut gehalten, habe wie immer zwischen Wasser und Pinot Gris gewechselt, aber dann hat jemand eine Runde ausgegeben und tja, das war’s dannmit den guten Vorsätzen.

Was soll’s, ich bleibe hier einfach noch ein bisschen sitzen und warte, bis die beiden gehen. Gönne mir eine kleine Verschnaufpause von meiner Strumpfhose mit effektiver Formkraft, bevor die noch anfängt, meine inneren Organe effektiv zu formen. John ist sowieso mittendrin im Getümmel, es wird also erst mal nicht auffallen, dass ich nicht da bin.

»Ich hab mich weggeschmissen, als sie plötzlich unter den Tisch verschwunden ist, um ihr Handy hervorzukramen, weil sie dachte, sie hat daheim den Tauchsieder angelassen«, fängt Hochsteckfrisur wieder an. »Sie hat fast das Tischtuch mitgenommen – bei dem Tempo hätte kein 100-Meter-Läufer sie mehr erwischt.«

»Ähumhrchh.« Ich gebe ein hustenähnliches Grummeln von mir. So. Das müssen sie gehört haben, das war schön laut. Nichts für ungut, aber jeder, der den Tauchsieder anlässt und erst am nächsten Tag wieder nach Hause kommt, würde einen Herzkasper kriegen. Wirklich. Der Stress hätte mir den ganzen Abend versaut. Da war es doch besser, Daddy anzurufen und ihn noch mal nachschauen zu lassen.

»Wirklich, ich schmeiß mich weg«, lacht Kerry. »Genau wie die Mädchen bei mir auf der Arbeit. Alle vernünftig, alle vom Land. Eine trägt freitags immer ein Trikot und wenn es in den Pub geht, legt sie noch ein paar Ohrringe an. Sie ist die Einzige in der ganzen Firma, der man den Schlüssel zum Büromaterial-Schrank anvertraut.«

Jetzt wird gekichert und ich verstehe nicht, warum. Ein schönes, großes Paar Ohrringe peppt doch jedes Outfit auf. Ich hab massenweise davon. Ohrringe, Trikot, Jeans und ein paar Stiefel mit einem vernünftigen Absatz – so ein Outfit bringt dich überall hin, sogar ins Coppers, falls man mal so richtig einen draufmachen will. Ich meine, ins Coppers geht doch jeder gern. Ist mit Abstand der beste Nachtclub der Stadt.

Ich räuspere mich wieder, aber sie sind offensichtlich so mit Anmalen beschäftigt, dass sie nichts mitkriegen.

»Oh, das ist ein ganz bestimmter Typ Frau«, sagt Kerry. »Mein Bruder geht gerade mit einer aus, die ist auch so eine totale Aisling. Er hat sie im Flannery’s kennengelernt. Eine Grundschullehrerin aus Leitrim. Fährt jedes Wochenende nach Hause, um Frauenhurling zu spielen, und hat sehr dezidierte Ansichten über Tee.«

Klingt irgendwie bekannt. Wer könnte das sein? Majella wüsste das bestimmt.

»Ist sie nett?«, fragt Hochsteckfrisur und ich merke, wie sich alles in mir anspannt. Sie muss doch nett sein, oder? Sie ist Sportlerin, sie arbeitet mit Kindern, das ist ja fast eine Mutter Teresa.

»Oh ja, sie ist wunderbar«, sagt Kerry zu meiner Erleichterung. »Er ist ganz verrückt nach ihr. Sie hat mir tatsächlich so einen Chip für den Einkaufswagen geschenkt. Als Schlüsselanhänger. Total praktisch! Ich weiß gar nicht, wie ich so lange ohne klargekommen bin.«

Chip-Schlüsselanhänger sind TOTAL praktisch. Ohne meinen Chip wäre ich komplett verloren. Ich habe ihn immer dabei. Man weiß ja nie, wann man ihn braucht, und Supermarkt-Chips fallen schließlich nicht vom Himmel.

»Eine von den Aislings bei der Arbeit, mir fällt gerade nicht ein, wie sie wirklich heißt, hat neulich gebeichtet, dass sie die ganzen passiv-aggressiven Zettel im Pausenraum aufgehängt hat, auf denen sie die Leute anfleht, die Mikrowelle zu säubern, nachdem sie ihre Suppe aufgewärmt haben«, sagt Hochsteckfrisur. »Sie benutzt Comic Sans, damit keiner merkt, wie genervt sie ist. Aber ich sag dir, es ist nicht zu übersehen, dass sie langsam durchdreht. Außerdem hat sie neulich auf dem Klo erwähnt, dass sie sich noch nie die Haare gefärbt hat. Also, nie. Noch nicht mal als Teenie.«

Ich höre Kerry entsetzt aufstöhnen und frage mich, wie lange sie eigentlich schon dem Wasserstoffperoxid verfallen ist. Inzwischen kennt sie wahrscheinlich nicht mal mehr ihre eigene Haarfarbe, das arme Ding. Und ich wette, die ist schön. Das Mädchen, das in Hochsteckfrisurs Büro arbeitet, hat mein aufrichtiges Mitgefühl. Die Leute in meinem Büro haben keinerlei Respekt vor der gemeinsamen Küche. Überhaupt keinen. Es treibt mich in den Wahnsinn, aber was soll ich machen, außer immer wieder neue Zettel über die Spülmaschine zu hängen und zu hoffen, dass sie sich eines Tages nicht mehr wie Schweine benehmen.

»Sie kann es kaum erwarten, dass ihr Typ ihr endlich einen Heiratsantrag macht, damit sie wieder nach Hause kann. Hat sie mir erzählt.« Hochsteckfrisur kommt jetzt richtig in Fahrt. Dem armen Mädchen müssen in Galway, oder wo auch immer sie herkommt, die Ohren klingeln. »Ihr Pa schenkt ihnen wohl ein Stück Land zur Hochzeit, damit sie einen riesigen Kasten bauen können, mit der Waschküche ihrer Träume und einer Einfahrt, die so groß ist wie das Aviva-Stadion in Dublin.«

»Tja, Glück muss man haben«, sagt Kerry, schließt den Reißverschluss ihres Kosmetikbeutels und schon sind sie auf und davon auf ihren lächerlich hohen Schuhen.

Plötzlich bin ich wieder allein. Ich muss zugeben, das eben war hart an der Schmerzgrenze. Warum trinke ich bloß immer Wein auf Hochzeiten? Das macht mich sentimental. Nicht zu viel trinken, Aisling. Trink lieber ein paar Gläser Wasser, wenn du da gleich wieder rausgehst. Und danach trinke ich weiter Weinschorle, damit ich nicht leerlaufe. Ein paar Paracetamol vor dem Schlafen, um den Kater abzuwenden. Diese Taktik lässt mich nie im Stich.

Als ich aus dem Klo komme, ist es wunderbar still, nur die Füße tun mir jetzt noch mehr weh.

Also, für so eine Waschküche mit großer Arbeitsfläche und einer Wäscheleine für Johns Hemden würde ich alles tun. Ehrlich gesagt frage ich mich in letzter Zeit immer öfter, ob er je die verfluchte Frage stellen wird. Mein Stück Land hat Daddy schon startklar. Und zwar nicht mitten in der Pampa, sondern direkt an die Straße angebunden. Auch ganz schön groß.

Als all unsere Freunde sich verlobten, habe ich nichts gesagt. Als die Hochzeitseinladungen kamen, habe ich nichts gesagt. Bald werden die ersten Schwangerschaften verkündet und ich habe noch nicht mal die Spur eines Rings in Aussicht. Das geht mir schon seit einer Weile durch den Kopf, aber irgendwie war nie der richtige Zeitpunkt, es anzusprechen. Vielleicht heute Abend? Wahrscheinlich keine gute Idee, angetrunken wie ich bin …

»Aisling! AISLING! Bist du da drin? Denise wirft jetzt den Brautstrauß!«

KAPITEL 1

Meine Augen sind fest geschlossen, aber so hell, wie es im Zimmer ist, haben wir eindeutig verschlafen. Mir brummt der Kopf, mein Mund ist trocken, ich verdurste – kein Wunder, wenn man bedenkt, dass wir gestern am frühen Nachmittag angefangen haben zu trinken. So ist das bei Hochzeiten, die zu früh anfangen – bis zur Teezeit sind alle hackedicht und mit Weinschorle den Abend zu beschließen wie ich, bringt es dann auch nicht mehr. (Obwohl, da war ja am Schluss auch noch der Jägerbomber an der Bar …) Und es hat echt ewig gedauert, bis sie das Essen serviert haben – RindOderLachs, selbstredend. Ich habe mich für Rind entschieden, doch es war sehr zäh und das Gemüse total verkocht. Der dreifache Nachtisch war aber super.

Wenn mein Großer Tag endlich kommt, wann immer das sein wird, heirate ich nicht vor 15 Uhr und vor dem Essen werden keine Reden gehalten. Für Daddy wird das natürlich echt stressig, er wird sein RindOderLachs nicht genießen können. Aber so besoffene Brautjungfern wie die von Denise will ich nicht haben. Eimear Flanagan – die ich früher mal babygesittet habe – hat vor meinen Augen mit einer Kippe in der Hand in die Zypresse gekotzt.

Langsam öffne ich ein Auge. John schläft tief und fest neben mir, sanft schnarchend, mit dem Gesicht nach unten. War ja nicht anders zu erwarten, nachdem er gut zwei Stunden mit um den Kopf gebundener Krawatte auf den Knien zu AC/DC und Kings of Leon über die Tanzfläche gerutscht ist. Echt, die Jungs sind immer so was von kindisch, wenn sie zusammenkommen. Alle Viertelstunde müssen sie sich mit noch einer Runde überbieten, und wenn die Band loslegt, machen sie sich völlig zum Affen. Und gehören die Jungs zum Hurling-Team der Knocknamanagh Rangers, ist es noch schlimmer. Denn – das muss ich ihnen fairerweise zugestehen – die sind ganz schön fit. Die können sich stundenlang so aufführen, ohne ins Schwitzen zu kommen. Kein Wunder, dass sie Bezirksmeister sind.

Meine Güte, sah Denise wunderschön aus. Ganz traditionell: elfenbeinfarbenes Kleid, A-Linie, Perlenstickerei, Spitze, bodenlanger Schleier und eine Schleppe – alles, was dazugehört. Nur ihre Frisur hat mich nicht überzeugt. Zu einem schulterlosen Kleid würde ich die Haare immer hochstecken. Nicht, dass ich ein schulterloses Kleid tragen würde, aber ich finde, man muss mit dem, nicht gegen das Kleid arbeiten. Aber sie sah umwerfend aus, das muss man ihr lassen.

Die Brautjungfern trugen so eine Art Lachsrosa – auch nicht meine erste Wahl, besonders nicht für eine Hochzeit im Januar, wenn die Arme wie Pökelfleisch aussehen –, aber sie sahen gut aus. Sinéad McGrath hat mir erzählt, dass sie in drei Monaten fast 12 Kilo mit Slimming World verloren hat und so viele Nudeln und Kartoffeln essen konnte, wie sie wollte. Klingt zu schön, um wahr zu sein, aber so schlank war sie seit unserem Debütantenball nicht mehr und ich muss zugeben, dass ich ein bisschen neidisch war, wie sie da um die Bar scharwenzelte. Aber ich bleibe den Weight Watchers treu und meinem Coach Maura, schließlich gehe ich seit sechs Jahren immer wieder hin. Ich habe Sinéad gesagt, sie soll nicht noch mehr abnehmen – denn wenn man zu dünn ist, kriegt man Falten im Gesicht. Und die Männer wollen doch ein bisschen Fleisch auf den Knochen haben – sagt zumindest John immer zu mir, wenn ich die Punkte für mein CurlyWurly aufschreibe (3), während er sein Snickers (12) isst. Trotzdem, bis zum Sommer will ich noch ein paar Pfund loswerden.

Plötzlich springt mir die Uhrzeit auf meinem Smartphone ins Auge und ich sitze senkrecht im Bett. Das kann doch nicht stimmen, oder? 10:52 Uhr leuchtet es mich an. Mir fällt das nette Gespräch mit dem Mädel an der Rezeption ein, bei der wir gestern eingecheckt haben: »Das Schwimmbad ist wegen Renovierungsarbeiten geschlossen. Frühstück bis 11 Uhr, auch am Sonntag. Ab 10 Uhr ist meist sehr viel Betrieb, also besser früh kommen. Die Würstchen haben einen Preis gewonnen.« Luiza, glaube ich. Oder Leticia? Irgend so was. Obwohl das High King Hotel gute 35 Minuten entfernt von der anderen Seite Knocknamanaghs liegt, profitiert es doch von der brasilianischen Gemeinschaft.

Ich greife mir das Handy, kalte Schweißperlen im Nacken. 10:53 Uhr. Jesus Christus, wir werden das Hotel-Frühstück verpassen! Büffet und warme Speisen à la carte, hat Luiza Schrägstrich Leticia gesagt. Ich kann sie noch hören: »Ja, Madam, Frühstück ist auf jeden Fall im Preis inbegriffen.« Wir haben ein super Angebot gekriegt. Es hat tatsächlich weniger gekostet, als wenn wir nach der Hochzeit mit dem Taxi erst zu John nach Knocknamanagh und dann zu mir nach Ballygobbard gefahren wären. Johns Mutter besteht immer noch darauf, dass ich im Gästezimmer schlafe, und dann schlafe ich, ehrlich gesagt, lieber im eigenen Bett. Außerdem schmecken Mammys gekochte Eier besser.

»John«, flüstere ich mit zitternder Stimme. »Ich glaube, wir verpassen das Hotel-Frühstück.«

So schnell wie Clark Kent in die Telefonzelle flitzt und sich in Superman verwandelt, ist John aus dem Bett, stolpert durch den halbdunklen Raum und befreit sich zügig von den vielen Laken, die um seine Beine gewickelt sind. Ich bin überrascht, wie gelenkig er ist. Vor sechs Stunden hat er noch mit geschlossenen Augen in der Residents’ Bar Mr Brightside gesungen und hier und heute Morgen bin ich mir ziemlich sicher, dass er dabei geweint hat. Baby Chef Gitton, der beste Außenverteidiger im ganzen Land, begleitete ihn auf der Gitarre. John liebt die Killers. Alle waren ein bisschen emotional drauf, ich auch.

»Im Preis inbegriffen, das Frühstück, oder?«, fragt er mit heiserer Stimme.

»Ist es – weißt du noch, ich habe die Frau an der Rezeption extra danach gefragt«, sage ich, während ich meine Beine aus den 17 Decken rauspule und nach meiner Jeans taste.

10:55 Uhr. Ich schlage auf dem Boden auf, krieche auf Händen und Füßen, bis ich meine Tasche finde – Orla Kiely, 50 Prozent runtergesetzt im Kilkenny Shop, weil auf einer Seite ein Fleck ist. Aber ich schwöre bei Gott, man kann ihn nicht sehen, nicht mal am helllichten Tag. Ich sammle meine Kleider ein und stolpere in unser Bad – zwei Waschbecken, netter Luxus –, wo John sich gleichzeitig die Zähne putzt, das Gesicht wäscht und versucht, nicht zu kotzen. Ich erblicke mein Spiegelbild – Heilige Mutter Gottes, ich habe mich gestern Abend nicht abgeschminkt, was völlig untypisch für mich ist – und zucke zusammen. Unter meinen blau-grünen Augen ist braune Wimperntusche verschmiert und Reste von Lippenstift kleben in meinen Mundwinkeln. Das Make-up, das ich vor 24 Stunden aufgetragen habe, ist längst verschwunden und somit sind auch meine Sommersprossen unverkennbar zurück und springen mich quasi an. Meine Haare stehen in alle Richtungen ab. Wie vor jeder Hochzeit hat mich auch gestern Róisín Flood bei Scissor Sisters frisiert. Das rächt sich am nächsten Morgen, wenn man die dreihundert Haarklammern nicht findet, die aber ja irgendwo sein müssen. Die werden vermutlich die ganze nächste Woche Haarklammern in diesem Hotelzimmer finden. Keine Ahnung, wo mein Kleid ist – ich habe es bei TK Maxx gekauft und war so froh, dass ich in die 40 und nicht die übliche 42 gepasst habe –, aber anscheinend habe ich es gestern Nacht geschafft, meinen Schlafanzug anzuziehen. Ich habe die starke Vermutung, dass meine Bauch-weg-Unterhose noch irgendwo rumfliegt. John wäre es zwar egal, aber auch nach all den Jahren möchte man sich ein paar Geheimnisse bewahren. Hoffentlich treffe ich beim Frühstück niemanden, den ich kenne. Ich schrubbe mir das Gesicht mit einem Baby-Feuchttuch – viel billiger als Reinigungscreme und genauso effektiv. Ach, bestimmt waren eh schon alle dort und sind längst weg. Wäre ja auch echt verrückt, ein Hotel-Frühstück zu verpassen.

10:59 Uhr. In einer Wolke von Lynx Africa (John) und Clinique Happy (ich) verlassen wir unser Zimmer und hasten zum Aufzug, der – eindeutiger Gottesbeweis – anscheinend auf uns gewartet hat. 45 Sekunden später sind wir im Hotelrestaurant, das – zu meinem absoluten Entsetzen – aus allen Nähten platzt.

Es ist 11:25 Uhr und noch immer trudeln Leute zum Frühstück ein; etwas zögerlich steuern sie das Büffet an, als hätten sie alle Zeit der Welt. Das Personal, anscheinend daran gewöhnt, nimmt noch freundlich Bestellungen entgegen. Ein nicht abreißender Strom hochbeladener Teller zieht an mir vorbei – Speck, Würstchen, Eier, gebackene Bohnen – und mir dreht sich allmählich der Magen um. Ich fühle mich wirklich nicht besonders gut. Ich habe natürlich das volle Programm genossen: Obst und Joghurt, Croissant, ein frisch gemachtes Omelette, pain au chocolat, das traditionelle irische Frühstück (Speck, Würstchen, Ei und Bohnen) und etwa 3 Liter Orangensaft aus diesen typischen fingerhut-kleinen Gläsern in Hotels, obwohl die Gläser im High King im Vergleich ziemlich groß ausfallen – schließlich ist alles im Preis inbegriffen. Doch das beginnt sich zu rächen. Der geräucherte Lachs war wohl keine so gute Idee. Ich sehe, wie Sinéad McGrath am anderen Ende des Restaurants gerade Pfannkuchen in sich hineinstopft, als hätte sie das Wort Kalorien noch nie gehört. Ich winke ihr zu. Sie heiratet in weniger als einem Jahr, da wird sie noch was Kalorienarmes auf ihren Teller werfen müssen. Kerry und Hochsteckfrisur sind nirgends zu sehen.

Neben mir schaufelt sich John gerade durch seine zweite Ladung vom Büffet. Er ist immer am glücklichsten, wenn er isst, und er sieht gerade so schnuckelig aus, dass ich einfach seine Hand streicheln muss. Er ist so schön groß und so schön unrasiert, da macht es gar nichts, dass seine dunkelbraunen Haare in alle Richtungen abstehen. Erst jetzt fällt mir auf, dass er sein weißes T-Shirt falsch herum anhat – der Vollidiot. Obendrein sind seine verkaterten Augen geschwollen. Unendlich schnuckelig. Er schaut von seinen Würstchen hoch, als ich ihn berühre, und zieht fragend die Augenbrauen hoch.

»Ach, nichts«, sage ich mit gespielter Unschuld. »Es ist nur, ich dachte – stell dir vor, in ein paar Jahren sitzen wir hier.«

Seine Augenbrauen klettern noch weiter nach oben.

»Hier, in einem schönen Hotel, am Tag nach der Hochzeit«, stelle ich klar und schaue ihm direkt in die Augen. »Nur, das wäre dann unsere Hochzeit«, ergänze ich und blicke zur Tür, wo die Braut, eindeutig etwas ramponiert, ihren großen Auftritt hat. Sie trägt das blau-gelbe Trikot der Knocknamanagh Rangers und hinten, über Liams Nummer 8, steht »Mrs Kelly«. Ein Geschenk der Brautjungfern, hat mir Sinéad gestern an der Bar erzählt. Haben sie ihr beim Junggesellinnenabschied überreicht. Ich selbst war nicht dabei, weil ich zum 90sten meiner Großtante Breda musste.

Als sich alle um Denise scharen, fühle ich einen Hauch von Neid und Missgunst. John und ich sind acht Monate länger zusammen als die beiden und sie haben sich vor zwei Jahren verlobt. Wir dagegen leben noch nicht mal zusammen. Es ist ja nicht so, dass ich nicht glücklich darüber wäre, wie alles läuft – das bin ich; nur habe ich immer gedacht, alles geht schneller, nachdem wir nun schon sieben Jahre zusammen sind. Allein auf drei Hochzeiten waren wir letztes Jahr – alles Jungs von den Rangers –, es ist also nicht so, als wären wir die Ersten, die diesen Schritt wagen.

»Wohl mehr als ein paar!« John lacht schallend, die Augen auf seine Würstchen geheftet, und reißt mich aus meiner Trance. Ich halte ihm meine Tasse zum Nachschenken hin – Barry’s Tea, natürlich.

»Was soll das heißen, mehr als ein paar?«, will ich von ihm wissen und bemühe mich, ganz unbekümmert zu klingen.

»Na, das steht ja wohl nicht gerade an für uns beide, nicht wahr? Ich bin 29 Jahre alt, du erst 28. Nach heutigen Maßstäben bist du eine Kinderbraut.« Er lacht gezwungen und besprüht dabei das weiße Leinentischtuch mit Toastkrümeln.

»Denise ist 27«, sage ich leise. »Sie wollte weder ein soziales Jahr noch Praktika machen. Fand sie alles Quatsch mit dem Orientierungsjahr nach der Schule. Sie sagt, dann hätte sie das Lernen verlernt – das war ihre ständige Leier …« Ich breche ab und gucke nach unten auf meinen Teller voller Croissant-Krümel, damit er nicht sieht, dass meine Augen sich mit Tränen füllen. Ich kann hier nicht weinen, nicht in einem Raum voller Mädchen, mit denen ich zur Schule gegangen bin, und den Jungs aus dem Hurling-Team. Das würde mir ewig anhängen. Und einen Streit darüber, ob wir nun heiraten, mitten im Restaurant des verdammten High King Hotels, will ich erst recht nicht. Ich habe noch nicht mal geduscht.

»Na komm – wir müssen bis um 12:30 Uhr auschecken und ich will noch duschen. Die Pflegeprodukte sind von Crabtree & Evelyn, das lasse ich mir nicht entgehen«, sage ich, stehe auf und werfe meine Serviette mit etwas mehr Schwung auf den Stuhl als beabsichtigt.

Um 12:31 Uhr fahren wir los. Die Stimmung zwischen uns ist im Auto etwas freundlicher als im Restaurant, aber es hängt eine seltsame Anspannung zwischen uns wie ein unangenehmer Gestank.

* *

Zu Hause finde ich Daddy schlafend vor der Sportschau, eine flauschige rot-orange Kugel auf dem Schoß. Eigentlich gehört die Katze Paul, aber seit mein jüngerer Bruder vor vier Monaten nach Australien abgereist ist, sind Daddy und Tiger eine seltsame Verbindung eingegangen, gestärkt durch ihre gemeinsame Liebe zum Feuer und dem Wunsch, Mammys ewigen Fragen zu entkommen. Als ich nach der Fernbedienung greife, wacht er auf, obwohl ich ganz leise war.

»Nicht umschalten, die zweite Hälfte hat gerade angefangen«, grummelt er, setzt sich aufrecht hin und richtet seine Brille. »Wie ist denn die blöde Katze reingekommen?«

Er schüttelt den aufgeschreckten Tiger ab und der stolziert hinaus, nicht ohne mir einen wütenden Blick zuzuwerfen, als wäre das meine Schuld; was es genau genommen ja auch ist.

»Das Spiel ist in der Verlängerung und dauert noch weniger als eine Minute«, gebe ich zu bedenken und nicke in Richtung Fernseher. »Du hast tief und fest geschlafen. Wirklich lustig, dass die blöde Katze immer dann reinschleicht, wenn Mammy und ich nicht da sind. Sie muss einen Schlüssel haben.«

Er tut so, als hätte er mich nicht gehört. Die Lämmer sind dieses Jahr früh dran und er war wahrscheinlich die halbe Nacht auf den Beinen. Er sollte besser ins Bett gehen, anstatt unbequem im Sessel zu schlafen. Er ist langsam zu alt für den ganzen Trubel, er schafft das einfach nicht mehr. An den Schläfen wird er ganz schön grau und seine eigentlich wettergegerbte Haut ist ein wenig wächsern und bleich geworden. Mammy wird ihm was erzählen, wenn sie sieht, dass er an seiner braunen Arbeitshose und seinem alten zerfransten Arbeitspulli einen halben Ballen Heu mit reingebracht hat. (Alle seine Arbeitspullis beginnen als gute Weihnachtspullis und werden, nachdem sie sich genug Jahre nach oben gedient haben, zu Arbeitspullis – ein sehr tröstlicher Kleider-Kreislauf.)

»Wie war die Hochzeit? Mammy hat gesagt, dass Denise umwerfend aussah. Und haben die Knock-Boys für Liam Spalier gestanden? Die Idee haben sie von uns geklaut, weißt du?«, sagt er spöttisch.

Daddy liebt nichts mehr, als die »legendäre« (seine Worte) Rivalität zwischen Ballygobbard, wo wir her sind, und dem sechs Meilen über kurvige Straßen entfernten Nachbarort Knocknamanagh zu beschwören. Auf den ersten Blick sind beide Orte verschlafene, kleine Dörfer, nahezu identisch für das ungeschulte Auge. Wir haben die Pfadfinder-Bude, sie haben die Bücherei. Mit großem Enthusiasmus haben wir 2001 den China-Imbiss begrüßt, nur um kurz darauf wieder die Schau gestohlen zu bekommen, weil eine Gruppe Brasilianer nach Knocknamanagh zog und ein Altersheim eröffnete.

Man erkennt das Muster, oder?

Beide haben eine Hauptstraße und eine Menge Pubs. Die Hurling-Teams spielen praktisch in jedem Bezirksfinale gegeneinander und der Wettstreit weitet sich oft vom Spieltag in den Alltag aus. Deswegen betrachtet Daddy John und mich gerne als eine moderne Version von Romeo und Julia, aber mit weniger Selbstmorden und mehr Tanzabenden des Irischen Sportverbands. Irgendwann, damals, als Daddy noch dabei war, fingen die Typen aus Knocknamanagh an, BallyGoBackwards statt Ballygobbard zu sagen und dann BGB, und irgendwie ist es dabei geblieben, selbst wir BGBs nennen uns so. Knocknamanagh kommt in Bezug auf die Abkürzung viel besser davon: Alle sagen einfach Knock.

»Ach, Daddy, hör schon auf. Mir reicht’s für heute.«

»In Ordnung. Hattest du Rindfleisch? Spät gegessen? Ich setz mal Wasser auf.«

»Ja und ja«, sage ich, streife die Schuhe ab und greife mir ein paar Kissen. »Bringst du Kekse mit? Von Weihnachten sind noch eine Menge übrig, die hat Mum irgendwo versteckt.«

»Es sind irgendwo Kekse versteckt? Ich wüsste gar nicht, wo ich anfangen soll zu suchen – das weiß nur deine Mutter«, sagt er und geht in die Küche. Als Erstes wird er in der amerikanischen Keksdose nachschauen. Wir dachten ja, die würde sie für ihr Nähzeug nutzen, aber in ihrem Bestreben, alles »Gute« vor uns zu verstecken, führt sie uns gern mit einem doppelten Bluff hinters Licht. Ein niedergeschlagenes Seufzen von ihr bedeutet, wir sind ihr auf der Spur. Neulich habe ich eine Packung Schokoladenkekse im Mixer gefunden – Mum ist so gut darin, Süßigkeiten zu verstecken, dass die Kekse drei Jahre über dem Verfallsdatum waren, aber wir haben sie trotzdem gegessen.

Ich schalte mich durch die Programme. Wie immer kommt nichts, also gucke ich, ob wir Folgen unserer Lieblings-Soap Home and Away aufgenommen haben, die ich noch nicht kenne. Bingo, ja, die Folge kenne ich noch nicht. Ich schalte ein und lehne mich zurück.

»Ach, Aisling, die habe ich schon gesehen«, sagt Daddy, der gerade mit einem Tablett reinkommt, das mit einer beachtlichen Menge an Weihnachtkeksen beladen ist. »Sie waren beim Katzenfutter. Schieb mal mit dem Fuß den Tisch zur Seite. Nein, beweg dich nicht, Gott bewahre! Du musst deine Kräfte schonen.«

»Haha«, sage ich und nehme mir einen Kringel (4 Punkte, aber zum Teufel damit, nachdem ich ohnehin so viel gefrühstückt habe). Daddy gießt mir Tee in meinen Lieblingsbecher, ein Geschenk von Majella aus dem Jahr, als ich im abgelegenen Donegal die Gaeltacht besucht habe, um mein Irisch zu verbessern, und sie Hausarrest hatte. Es ist der mit den Für-immer-Freunde-Bärchen. Nach denen waren wir damals völlig verrückt.

Als eingefleischter Landwirt ist Daddy besessen von Soaps, besonders von denen aus Australien. Ich glaube, ein Teil von ihm braucht eine kleine Flucht vor der Realität. Es ist ja nicht gerade glamourös, Schafe und Rinder durch die Gegend zu treiben.

»Du bist heute aber still, Ais«, sagt er, die Augen fest auf den Bildschirm gerichtet. »War ein Haar in deinen Cornflakes?«

Als würde irgendjemand, der klar bei Verstand ist, Cornflakes im Hotel frühstücken.

»John treibt mich in den Wahnsinn«, rutscht es mir raus. »Er war heute Morgen irgendwie ein Trottel.«

»Verkatert, was? Die Knock-Jungs vertragen einfach nichts, das habe ich dir schon oft gesagt.«

»Das, und er fand die Idee, dass wir in nächster Zeit heiraten, ziemlich abwegig.«

Daddy setzt seine Tasse ab und nimmt sich einen rosa Waffelkeks. »Abwegig? Nachdem ihr nun seit sieben Jahren zusammen seid? Denise und Liam haben sich vor zwei Jahren verlobt und sind erst nach euch zusammengekommen.«

»Eben! Genau das habe ich gesagt«, schreie ich fast.

»Soll ich ihn mir mal vorknöpfen? Er weiß, dass ich ein Gewehr habe.« Daddy grinst und ich weiß, dass er das zumindest zu zwei Prozent ernst meint.

»Jesus Christus, Daddy, genau was ich brauche – eine Zwangsheirat!«

Aber wenigstens wäre es eine Heirat.

KAPITEL 2

Es ist ganz schön mühsam, morgens aufzustehen und ins Auto zu steigen, um rechtzeitig um 9 Uhr in Dublin im Büro zu sein. Besonders, nachdem wir auf der Hochzeit so über die Stränge geschlagen haben, und mit dem Einbruch der Januarkälte. Daddy steht meist in aller Herrgottsfrühe auf und taut mir die Windschutzscheibe mit warmem Wasser auf.

Als ich am Freitagmorgen auf der Arbeit ankomme, bin ich mehr als bereit fürs Wochenende. 65 Minuten braucht man von Tür zu Tür, von BGB bis zum Büro von RentenPlus in Ballsbridge. Und das nur, wenn man Glück mit dem Verkehr hat. Ich höre jeden Morgen den Verkehrsfunk.

Das Büro an sich ist nichts Besonderes, aber wir können die Heizung selbst regeln und es gibt Tee und Kekse umsonst, also kann ich mich nicht beschweren. Es ist aufregend, in der Stadt zu arbeiten, und für die Mittagspause total praktisch. Wir sind mit einem Parkhaus mitten im Stadtzentrum gesegnet und fairerweise geben sie Leuten mit längerem Arbeitsweg den Vorrang. Für alle Fälle habe ich trotzdem ein Schild mit meinem Kennzeichen aufgestellt.

Gerade ertrinke ich in Kundendateien, in der Rentenverwaltung gibt es keine Ruhe für die Gottlosen. Heute muss ich einen ganzen Berg abarbeiten, um 8:59 Uhr ist der Computer hochgefahren und ich bin bereit loszulegen. Meine Teepause am Vormittag werde ich heute wohl etwas früher machen, mehr eine »Start in den Arbeitstag«-Teepause. Seit ich aus BGB losgefahren bin, kann ich nicht aufhören, an die Kekse zu denken, die ich aus Mammys Versteck unter den Geschirrhandtüchern im Trockenschrank hab mitgehen lassen. Fast hätte ich sie im Auto gegessen, weil ich so hungrig war (ich hab heute Morgen nur ein Weetabix gefrühstückt), aber zum Tee hätte ich dann noch mal welche gegessen und damit fast alle Punkte für den Tag verschwendet, also habe ich widerstanden. Als mir letzte Woche klar wurde, dass ich mich bei meinem Nachmittagsimbiss verrechnet hatte, bin ich fast zusammengebrochen, und seitdem versuche ich sehr brav zu sein.

Ich behalte das Telefon im Auge, weil ich darauf warte, dass sich Majella bei mir meldet. Ich wette, sie ist gestern Abend mit ihren Mitbewohnerinnen im McGowan’s gelandet. Und der Verlockung eines Donnerstagabend-Guinness konnte sie bestimmt nicht widerstehen, auch wenn am nächsten Morgen 29 Schüler auf sie warten. Sie hat mir hoch und heilig geschworen, dass sie nur ausgeht, nicht einen draufmacht. Eine wichtige Unterscheidung. Ausgehen heißt ein paar Gläser Leichtbier im Big Tree oder im Foggy Dew, den letzten Bus nehmen und vielleicht noch eine Portion Pommes, falls man hungrig ist. Einen draufmachen heißt, um 1 Uhr nachts zu Jump Around mitgrölen und sich das Arbeitsoutfit mit Wodka und Cola light bekleckern.

Majella geht gern feiern. Noch lieber kriegt sie die Leute dazu mitzufeiern. Aber sie ist keine Partyschlampe, obwohl ihr das nachgesagt wird. (»Majella Moran ist eine Partyschlampe« steht seit Highschool-Zeiten auf der Mauer der Sporthalle in Ballygobbard. Bis heute glaube ich, dass das Angela Clohessy war, die absolut angewidert war, als Tadgh Carolan Majella im Vortex, unserem Stammlokal, abgeknutscht hat.) Nein, Maj liebt es einfach, die Nacht zum Tag zu machen. Sie empfindet es als kleinen Sieg, wenn alle um zwei Uhr nachts auf der Tanzfläche brüllen: »Almost heaven, West Virginia!«. »Wenn du schon ausgehst«, feuert sie einen dann an, »kannst du auch richtig einen draufmachen.«

Auch wenn sie mir gestern am Telefon hoch und heilig geschworen hat: »Nee, Ais, wir gehen nur nach Feierabend einen trinken. Wir gehen nur aus, wir machen keinen drauf. Schließlich arbeiten wir ja alle morgen«, wäre ich fast enttäuscht, wenn sie nicht um 4 Uhr morgens bäuchlings mit der Nase in einer Portion Knoblauch-Käse-Pommes gelegen hätte. Ich hoffe nur, sie hat es pünktlich zur Arbeit geschafft.

* *

Um 9:43 Uhr habe ich lange genug auf meine Kekse gewartet, also schiebe ich mich vom Schreibtisch weg, um Teewasser aufzusetzen. Vielleicht füge ich meinem Zettel über der Spülmaschine mit der Bitte, doch alle Becher einzuräumen, noch ein paar weitere Ausrufezeichen hinzu. Die Firma verteilt sich über drei Stockwerke, aber die Haupt-Teeküche ist in der Mitte – auf meinem Stockwerk – , deswegen müssen wir uns mit dem ganzen Dreck rumschlagen. Im Waschbecken stapeln sich freitags immer die Tassen und alle Löffel sind auf unerklärliche Weise verschwunden. Auf dem Weg in die Küche bemerke ich, dass auf Donnas Schreibtisch drei Tassen Lebenszeichen von sich geben. Die stehen bestimmt schon die ganze Woche da. Wann ist ihr letzter Sklave gestor… Oh? Unbekannte Nummer? Wer ist denn das?

»Ais. Ich sterbe!«

Majella. Sie hat schon wieder ihr Handy verloren. Sie hat schon zweimal in eine der winzigen Schultoiletten gekotzt, aber Tracey ist zum Spar und hat Katerfrühstück besorgt und zum Glück sind die Blätterteigtaschen und Mini-Burger dringeblieben, die sie im Lehrerzimmer vertilgt hat.

»Ich hab ’ne Heidenangst! Ich glaub, ich hab dem stellvertretenden Schulleiter gesagt, dass ich auf ihn stehe, obwohl ich das überhaupt nicht tu. Der riecht nach alten Handtüchern.«

»Wo hast du dein Handy verloren, Maj?« frage ich, setze das Wasser auf und klappere mit den Tassen im Schrank. Zwei sind allen Ernstes nicht gespült. Manche Leute in diesem Büro würden tatsächlich ihr Brot eher mit einem Tacker schmieren, als mal was abzuwaschen. Ich habe den Verdacht, dass irgendjemand benutzte Gabeln einfach in den Müll wirft – in der ganzen Küche sind nur noch drei zu finden. Dann werde eben ich neue besorgen. Außer mir macht das sowieso keiner.

»Im Flannery’s, glaube ich. Oder im Taxi. Ich hab versucht, es anzurufen, aber es ist aus. Ach, egal, ist ja nur ein Telefon.«

Ich bin nicht wirklich genervt, dass Majella schon wieder ihr Handy verloren hat. Aber ich bin auch nicht nicht genervt. Sie ist meine beste Freundin, und das, seit wir beide mit zehn Mountain Bikes zu Weihnachten bekommen haben, die Straßen und Wege von BGB abgefahren sind und uns dabei immer schön von den heimischen Dachsen ferngehalten haben. Denn wenn man nicht gut aufpasst, beißen sie einem anscheinend das Bein ab. Bekanntermaßen hat Cowsy Cullen immer Stöcke in seine Gummistiefel gesteckt, um die Dachse auf die falsche Fährte zu locken, sollten sie es auf seinen Fuß abgesehen haben. Er sagt, wenn sie hören, wie die Stöcke brechen, denken sie, sie haben die Knochen zertrümmert, und dann lassen sie dich in Ruhe. Klar, Cowsy Cullen ist nicht ganz bei Trost, Gott hab ihn selig, aber lieber stecke ich mir einen Stock in den Stiefel, als dass ich ein Bein verliere.

Damals haben wir Mammy immer so lange angebettelt, uns ein Picknick für unsere Radtouren zuzubereiten, bis sie uns widerwillig Lunchpakete mit irgendwelchen Keksen mit Marmelade und Butter zusammengestellt hat. Einmal hat sie sogar zwei Flaschen Orangina hervorgezaubert. Das weiß ich noch wie heute. Orangina war irre teuer – noch teurer als Cornettos. Clíona Sutton hat in ihren Ferien in Frankreich jeden Tag eine Flasche getrunken, als sie elf war, und, Gott bewahre, sie hat es uns nie vergessen lassen. Die Suttons hatten einen Wohnwagen, den man in ein Zelt verwandeln konnte, und sie sind jeden Sommer damit ins Ausland gefahren. Nun ja, wir haben einmal im Killarney Ryan Hotel Urlaub gemacht und da gab es einen Pool, also ehrlich, Clíona, steck dir das sonst wohin.

Mammy sagt, dass Majella nach ihren eigenen Regeln lebt. Im Klartext heißt das, Majella soll mal ein bisschen runterkommen und aufhören, sich wie ein Närrin zu benehmen. Natürlich liebt sie Majella, aber gelegentlich muss sich Majella auch Sticheleien anhören wie »Na, ob die Klamotten wirklich zum Wetter passen?«. Unseren Fimmel für Aufhellsprays im Orientierungsjahr hat sie auch Majella in die Schuhe geschoben. Sie war überzeugt davon, dass ich jetzt auf die dunkle Seite wechsle und meine aschblonden Haare sich in ein hässliches Orange verwandeln würden. Aber ganz ehrlich, ich wäre doch verrückt, wenn ich meine schöne natürliche Farbe aufgeben würde. Eine Friseurin hat sie mal als »braun« bezeichnet und Mammy hat sie fast erstochen und ihr einen Vortrag über meinen natürlichen Haarglanz gehalten und darüber, wie sie in der Sonne golden schimmern.

Meine Haare haben noch immer dieselbe Farbe wie an Tag eins, während Majellas schon alle Farben des Regenbogens durchhaben. Gerade versucht sie, den perfekten Lila-Rot-Ton hinzubekommen, und erscheint deshalb in regelmäßigen Abständen in allen Farbtönen von Burgunder bis Fuchsrot, Kopfhaut inklusive. In der Weihnachtszeit ist es ihr gelungen, fast exakt den Ton ihres Festtags-Pullovers zu treffen, ein dunkles Briefkasten-Rot. »Kling meine Glöckchen, klingelingeling« stand dieses Jahr drauf, aber der ist nichts im Vergleich zu dem Spruch vom vergangenen Jahr: »Prosecco-ho-ho-ho«.

»Oh Mann, Majella, du bist echt ein Dummbeutel. Das ist das dritte Telefon in sechs Monaten.«

Ich versuche, mir meinen passiv-aggressiven Unmut nicht anmerken zu lassen, aber ich muss hier mal ein bisschen brutal sein. Irgendetwas an Majellas Dummbeutelei weckt meinen … Neid? Sie hatte schon immer diese Ist-mir-doch-egal-Haltung und das lässt sie leuchten wie ein Licht, dem die Motten nicht fernbleiben können, doof, wie sie sind. Sie ist seit zwei Jahren Single, aber nicht, weil sie keinen abkriegt. Donnerstagabends im Flannery’s kann sie sich vor Typen kaum retten.

»Ich hol mir in der Mittagspause eine Sim-Karte und irgendwer wird noch einen von diesen alten Backsteinen rumliegen haben. Wird alles gut. Du fährst heute Abend doch bestimmt nach Hause, oder? Holst du mich an der Red Cow ab?«

Majella fährt oft zusammen mit mir nach Hause, John manchmal auch. Unter der Woche lebt Majella in Phibsboro, arbeitet aber nur eine halbe Stunde von mir entfernt in Inchicore, sodass sie problemlos die Straßenbahn nehmen kann, um mich abzupassen. So selten, wie die Straßenbahnen fahren, und bei dem vielen Verkehr ist das allerdings manchmal ein wahrer Albtraum. John, der in Drumcondra wohnt und im Norden der Stadt arbeitet, kommt manchmal zu mir ins Büro, um dann mit mir nach Hause zu fahren.

Ich hab selbst in der Stadt gewohnt, bis Daddy vor zwei Jahren im Stall diesen Anfall hatte, und bisher habe ich es noch nicht geschafft, wieder zurückzuziehen. »Mir geht’s gut«, hat er damals immer fest behauptet. Ging es ihm aber nicht. »Mir geht’s gut«, beteuert er jetzt wieder, wann immer ich ihn schlafend vor seiner geliebten Sportschau erwische, doch ich lasse ihn lieber nicht aus den Augen. Freitags arbeite ich die Mittagspause durch, dann kann ich ein bisschen früher gehen und den schlimmsten Verkehr auf dem Weg aus der Stadt vermeiden. Die N7 kann einen in den Wahnsinn treiben.

Majella würgt schon wieder.

»Na dann. Ich hol dich um halb vier ab. Nimm zwei Paracetamol und trink viel Wasser.«

Die Mädels hier im Büro, was die sich immer für Tabletten reinziehen! Hier ’ne Nurofen, da ’ne Solpadein. Wenn sie so weitermachen, sind sie bald abhängig, und dann werden ihre Mammys Joe Duffy von Radio Eins vollheulen und sagen, sie hatten ja keine Ahnung. Außerdem lohnt es sich wirklich nicht, einem Apotheker verschreibungspflichtige Medikamente aus der Nase zu ziehen! Die tun immer so, als ob du das Grabtuch von Turin rauben willst. »Haben Sie schon etwas anderes versucht? Haben Sie schon mal dies oder das genommen? Wissen Sie, wie man den Rosenkranz betet?« Es ist leichter, einen Platz bei den irischen Hurling-Finals zu bekommen, als ihren Attacken zu entgehen. Deshalb habe ich meine Schublade immer voller Paracetamol, für alles und jeden. Schwester Aisling eilt zu Hilfe!

Endlich kocht das Wasser und herein kommt Donna. Bevor ich es verhindern kann, rutscht mir ein »Na?« raus. Seit zwei Tagen ist sie aus den Flitterwochen zurück und ihr Telefon ist mit so vielen Klingeltönen ausgerüstet, dass bei jedem »Gefällt mir« auf Facebook für eins ihrer unendlichen Hochzeitsfotos ein anderer Ton rausschrillt. Sie hat denselben Fotografen wie unser bekanntestes Promi-Paar Brian Ormond und Pippa O’Connor engagiert. Dabei sind sie und Martin etwa so prominent wie mein Fuß.

Donna hat ihre gesamte Hochzeit neben mir am Schreibtisch geplant. Klar hat sie an Tabellen gesessen, aber das waren ganz andere Tabellen als die, die wir anderen bearbeitet haben. Und kaum ist sie aus den Flitterwochen zurück, plant sie auch schon wieder den Junggesellinnen-Abschied für ihre Cousine Suzanne. Neulich habe ich gehört, wie sie am Telefon Unterricht im Cocktailmixen organisiert und dem armen Geschöpf am anderen Ende das Fifty Shades of Grey-Motiv erläutert hat. Natürlich gehören Penis-Strohhalme und lustige Unterwäsche zu jedem Junggesellinnenabschied, aber ich habe – rein aus Interesse, natürlich! – alle drei Fifty Shades of Grey-Bände gelesen und ich würde nicht wollen, dass Donna mir eine Analkugelkette um den Hals drapiert.

Klingeling. Das ist Tante Mary. »Toll seht ihr beiden aus, donna+martin«, kommentiert sie das Foto von Donna und Martin, auf dem die beiden wehmütig auf einen künstlichen See schauen, während ihre Gäste zu viel Prosecco auf leeren Magen trinken und sich fragen, wann das Essen serviert wird.

Bimmel. »Du und der Gatte, ihr seht geil aus, Dons. Danke für den tollen Tag«, plärrt Cousine Gráinne unter dem Bild, auf dem Donna und Martin den Kuchen anschneiden – eine Schicht Schokolade, eine Schicht Früchte (denn Donnas Oma hat den Kuchen gebacken und man kann keinen Hochzeitskuchen ohne Früchte machen; wir sind schließlich weder Protestanten noch Tiere). Es gibt 17 nahezu identische Bilder der Kuchenszene. Gráinne hat jedes einzelne davon geliked.

Klingeling. Bimmel. Klang. Kling. Donnas Telefon hebt fast ab, während sie eine Packung Ingwerkekse aufreißt, obwohl schon eine offen auf dem Tisch liegt. Wie eine Blöde stopft sie die Kekse in sich hinein und schmeißt ihren Löffel ins Waschbecken. Ins Waschbecken. Und ich weiß, dass sie es ist, die immer eine neue Milch aufmacht, auch wenn schon eine offen ist.

»Zeit für einen Tee, Mädels?«

Unser neuer Teamleiter Barry kommt in die Küche. Er ist beunruhigend groß, bestimmt über eins neunzig – mit dichten dunklen Haaren und einer hohen Stirn, was ein Zeichen für Intelligenz sein soll. Er war tatsächlich in einer dieser Renovierungsshows – der große, stille Ehemann mit einer eleganten Gattin und einer Schwiegermutter, die nichts anderes will als eine Einliegerwohnung, ab und zu in die Messe gehen und sich querstellen angesichts der vielen neuen Fenstern, zu denen der Stararchitekt geraten hat. Still und stumm stimmte Barry in seiner Folge der Show im Hintergrund weiteren Krediten und diesen hübschen kleinen Kissen zu. Das Haus sah zum Schluss wirklich sehr schön aus mit dem Sichtbeton (nur warum konnten sie nicht ein wenig Farbe verwenden?) und den neu erworbenen Strommasten, aber Donna sagt, die Ehe liegt nun in Schutt und Asche. »Schutt und Asche«, flüstert sie, um es besonders zu betonen. Sie hat gehört, dass Barry vielleicht auszieht, weil seine Gattin eine Affäre mit einem der Kamera-Männer hatte … wenn er seinen Koffer in einem der versteckten – Entschuldigung, eingelassenen – Schränke finden kann.

»Das Wasser hat schon gekocht, Barry – es ist genug für alle da«, sage ich.

Gerade will ich zurück an meinen Schreibtisch, da schwebt die glamouröse Sadhbh von der Personalabteilung herein und schlägt mir fast die Tasse aus der Hand, als wir beim Mülleimer aufeinandertreffen. Sadhbh. Die Arme hat es außerhalb Irlands bestimmt noch schwerer als ich, Leuten klarzumachen, wie ihr Name ausgesprochen wird; wobei Sadhbh sich zumindest noch auf »live« reimt, während sich auf Aisling rein gar nichts reimt.

»Oh Gott, tut mir leid, Sadhbh, ich bin ein Trottel.«

Mist, auf ihrem Oberteil ist Tee, wenn man das Ding ein Oberteil nennen kann; ein unförmiger Müllbeutel aus diesem Schickimicki-Laden, wo alle Sachen aus verschiedenen Weiß- und Beigetönen sind und aussehen wie Lätzchen für Kleinkinder. Auf der Suche nach einer neuen blauen Strickjacke war ich da mal zufällig drin und wusste nicht, wo hinten und vorne war. Aber irgendwie sieht der Müllbeutel gut an Sadhbh aus, beinahe zumindest. Etwas verblüfft tupft sie mit einem Taschentuch an den Teeflecken herum.

»Oh, gar kein Problem«, haucht sie, »ich war viel zu schnell unterwegs – ich wollte nur kurz sehen, ob es hier noch Mandelmilch gibt, meine ist alle.«

»Haben wir nicht«, trötet Donna mit dem Kopf im Kühlschrank. »Aber Ingwerkekse.«

»Ach, danke nein, das ist nett«, lehnt Sadhbh höflich ab. »Ich würde bei so viel Zucker auf einmal vollkommen durchdrehen, ihr kennt das ja.«

Wie kann man nur so viel Willenskraft besitzen, keinen Zucker zu essen? Ich bin mit Ingwerkeksen großgeworden. Vielleicht ist Sadhbh in so einer Jurte aufgewachsen? Das würde auch zu ihrer beigen Kleidung und ihren ständigen Reisen zu Orten, von denen ich noch nie gehört habe, passen. Sie wirkt aber echt nett. Schon schwebt sie mit gebauschtem Müllbeutel wieder davon, eine klimpernde Kette aus – kann das sein? – Schraubenschlüsseln anmutig um ihren Hals gelegt, auf der Suche nach der unauffindbaren Mandelmilch.

Der Rest des Nachmittags schleppt sich so dahin. Ich esse am Schreibtisch, damit ich früher loskomme. Knäckebrot mit Schinkenresten – 11 Punkte. Magerjoghurt zum Nachtisch – 5 Punkte. Das Auto habe ich extra am anderen Ende des Parkhauses abgestellt, damit ich noch eine kleine Strecke Power-Walking mache; meine Turnschuhe habe ich in dieser schicken Tüte mitgenommen, die ich kurz vor Weihnachten bekomme habe, als ich für Mammy was von Clinique gekauft habe – eigentlich sollte man für die Tüte selbst bezahlen, so schön ist sie.

Bevor ich mich ins Wochenende aufmache, schaue ich auf mein Telefon: eine SMS von Mammy. Zu Weihnachten haben wir ihr ein Smartphone geschenkt und sie traut ihm nur über den Weg, wenn sie eine WLAN-Verbindung hat: »Sind meine Nachrichten jetzt alle?«, »Kostet es mich was, dir dieses Foto zu schicken?«, »Was mache ich jetzt?«. Zur Sicherheit hat sie deswegen alle mobile Kommunikation ins Haus verlegt, eng an das Modem gepresst. Sie hat der Frau im Telefonladen auch nicht geglaubt, dass all ihre Kontakte wie durch Zauberhand einfach so, ohne ihr Zutun, auf ihrem neuen Handy sein würden, also hat sie einen ganzen Abend damit verbracht, sie alle in ihr Wichtiges Notizbuch zu übertragen: Brigid zu Hause, Brigid Büro, Geraldine (die mit dem toten Ehemann), Daddy, Daddy alt etc. Jedenfalls schreibt sie, dass es Koteletts zum Abendessen gibt und Daddy mit Paddy Reilly unterwegs ist, um Anhänger anzuschauen, ein gutes Zeichen.

* *

Um punkt 16:00 Uhr bin ich weg. Direkt zur Red Cow, um Majella von der Straßenbahn abzuholen, und dann geht’s gleich weiter nach BGB. John geht mit seinen Rugby-Kollegen einen trinken und nimmt dann später den Bus der Timoneys. Der fährt zwar nicht immer durch Knock, aber Derek Timoney macht gerne einen Umweg, wenn er einen aus dem Team kennt. Stützpfeiler der Gemeinde und so. Ich biege auf den Parkplatz neben der Straßenbahnhaltestelle ein und sehe Majella zusammengekauert auf einer Bank sitzen.

»Jesus Christus«, keucht sie und lässt sich vorsichtig auf dem Beifahrersitz nieder. »Fahr schon los, bevor ich noch mal kotze.«

KAPITEL 3

Mit Hilfe einer Flasche Lucozade Sport und indem sie immer wieder ihren Kopf aus dem Fenster hängt und nach frischer Luft schnappt, gelingt es Majella, auf der Heimfahrt nicht zu kotzen.

»Wie war denn nun Denise und Liams Hochzeit? Gibt’s neuen Klatsch? Du hast so wenig erzählt! War das Essen lecker?«

Majella kennt Liam und Denise zwar auch ganz gut, aber da sie nicht zu den Spielerfrauen gehört, war sie nur zum Umtrunk eingeladen und sowieso auf einer anderen Hochzeit – bei einer von ihren Freundinnen aus dem College.

»Ach, es war toll. Du kennst doch die Knock-Truppe, die lassen es immer richtig krachen. In der Kirche gab es aber ein ziemliches Drama, weil Liams Mam schneller als Denises Mam die Geschenke zusammenhatte und rumpöbelte, weil sie so lange allein vorne stehen musste. Aber selbst schuld, wenn man so schnell nach vorne drängelt. Und Francie McMenamin war um Mitternacht so betrunken, dass er beim Hinsetzen einen ganzen Tisch voller Biergläser mitgenommen hat, und alles ist voll auf die Michael Kors-Handtasche seiner Freundin gekippt.«

»Jesus, Maria und Josef«, pfeift Majella durch die Zähne. »Ich würde sagen, das bedeutet Krieg.«

»Das Dinner war okay und dann – halt dich fest – gab es um halb elf ein Buffet mit knusprigen Sandwichs! Es war alles in Körben angerichtet, mit gutem Brot und allem. Die haben echt keine Kosten gescheut.«

»Knusper-Sandwichs! Echt, diese Denise. Geschnetzeltes und Cocktailwürstchen sind ihr wohl nicht gut genug?«