One Wild Rodeo - Freya Miles - E-Book

One Wild Rodeo E-Book

Freya Miles

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Beschreibung

Was bist du bereit, für ein Baby aufzugeben? Wirst du dich in den Abgrund stürzen, um deine Familie beschützen zu können? Travis Darwin: Rodeo-Champion. Cowboy. Harter Hund. Mit seinem Faible für ruhige Abende alleine am Lagerfeuer gilt der durchtrainierte Frauenschwarm als Eigenbrötler und Geheimniskrämer unter den harten Rodeo-Jungs. Kaum jemand kennt den Mann, der von Ritt zu Ritt bereit ist, sein Leben zu riskieren, ohne Skrupel, ohne Angst, ohne Rücksicht auf Verluste. Emma Taylor liebt ihr Leben in der Stadt und lässt sich nur für den Junggesellinnenabschied ihrer besten Freundin zu einem Rodeo auf dem Land überreden. Ihr Albtraum, bis sie mit dem erfolgreichsten Rodeo-Reiter der heutigen Zeit zusammenprallt: Travis. Funken fliegen und gegen jede Vernunft landen die beiden nach einer durchzechten Nacht sturzbetrunken in seinem Zelt. Ein One-Night-Stand, der ihr Leben vollkommen auf den Kopf stellt, denn Emma wird schwanger. Und so stehen mit einem Mal zwei wildfremde Menschen vor der schwierigsten Entscheidung ihres Lebens. Eine Liebe zwischen zwei Welten, zwischen Schicksalsschlägen, Geheimnissen und einem Leben, das plötzlich am seidenen Faden hängt …

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One Wild Rodeo

FREYA MILES

Inhalt

Travis

Emma

Travis

Emma

Travis

Emma

Travis

Emma

Travis

Emma

Travis

Emma

Travis

Emma

Travis

Emma

Travis

Emma

Travis

Emma

Travis

Emma

Travis

Emma

Sechs Monate später

Travis

Emma

Travis

Emma

Sechs Monate später

Epilog

LESEPROBE

Dough

KARREN

Dough

Über die Autorin

Copyright © Freya Miles 2020

Nadine Kapp, Am Alten Bahnhof 3, 50354 Hürth

Cover: Shutterstock

Lektorat: Martina König

Korrektorat: Nicole Bauer

Umschlaggestaltung: NK Design (Nadine Kapp)

Kontakt: [email protected]

Alle Rechte vorbehalten.

Eine Vervielfältigung oder eine andere Verwertung ist nachdrücklich nur mit schriftlicher Genehmigung der Autoren gestattet. Sämtliche Handlungen und Personen sind frei erfunden. Jegliche Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt. Orte, Markennamen und Lieder werden in einem fiktiven Zusammenhang verwendet. Örtliche Begebenheiten wurden teilweise dem Storyverlauf angepasst. Alle Markennamen und Warenzeichen, die in dieser Geschichte verwendet werden, sind Eigentum der jeweiligen Inhaber.

Travis

Ich nahm einen tiefen Atemzug in der frischen und klaren Morgenluft, während ich meine Knochen streckte. Ich hatte Muskelkater von dem harten Ritt am gestrigen Tag, oder aber es lag an meiner unbequemen Schlafposition in der letzten Nacht. Was auch immer es war, ich fühlte mich alt und rostig, selbst wenn ich mit meinen vierunddreißig Jahren wahrscheinlich noch meilenweit davon entfernt war, mich so fühlen zu dürfen.

Wir waren mit dem großen Rodeozirkus wieder mal so weit draußen in der Pampa gelandet, dass es hier noch nicht mal ein Motel gab, in dem wir schlafen konnten, weshalb ich die Nacht in meinem Zelt verbracht hatte. Meine neuste Anschaffung, war ich es doch irgendwann leid gewesen, in meinem Pick-up zu schlafen, doch die letzte Nacht war unbequemer gewesen als normalerweise. Was nicht zuletzt an meinem viel zu guten Herzen lag, wie meine Mutter es immer nannte.

Carter Pruitt, mein härtester Konkurrent im Rodeozirkus und zeitgleich einer meiner ältesten und besten Freunde, hatte sich am gestrigen Abend etwas mit dem Whiskey verkalkuliert. Leider bevor er seinen eigenen Schlafplatz errichtet hatte. Meine Wahl, mitten in der Nacht nach einem Rodeo noch ein Zelt aufzubauen oder ihn einfach mit in mein viel zu kleines Zelt zu nehmen, war schnell getroffen. Ganz zum Leidwesen meines geschundenen Rückens.

Scheiße, vielleicht wurde ich langsam doch zu alt für diesen ganzen Mist hier.

Ich ging zu meinem alten schwarzen Pick-up und holte alles von der Rückbank, was ich für meine Morgenhygiene brauchte. Wenigstens waren für mich die Zeiten vorbei, wo ich mir die Zahnpasta mit Dosenbier oder Whiskey ausspülte. Ganz im Gegensatz zu Carter war mir irgendwann klar geworden, dass ich meinem Körper mit dem Rodeo schon genug Schaden zufügte und definitiv keinen Alkohol brauchte, um mich kaputtzumachen.

Der Unterschied zwischen uns lag allerdings auch darin, dass Carter stets auf der Sonnenseite des Lebens wandelte und ein unglaublicher Glückspilz war.

Das, oder er hatte es einfach besser drauf als ich, wogegen allerdings all meine Auszeichnungen, Trophäen und Preisgelder aus den Jahren sprachen, in denen ich ihn fertiggemacht hatte – und das waren viele Jahre. Natürlich war auch er schon öfter abgeworfen worden, das gehörte dazu, doch seine Verletzungen waren im Gegensatz zu meinen immer lächerlich gewesen.

Er hatte nie pausieren müssen.

»Warum bist du eigentlich schon auf, verdammt noch mal?«, erklang Carters Stimme zwei volle Stunden später, während ich bereits gefrühstückt hatte und bereit war, abzufahren. Bis auf mein Zelt natürlich.

»Lass mich kurz überlegen … Es könnte daran liegen, dass ich keine Sekunde länger neben deiner schnarchenden Visage liegen wollte, oder daran, dass mein nicht gerade klein geratener Körper mehr Platz brauchte als den Meter, den du mir übrig gelassen hast. Vielleicht war ich auch einfach ausgeschlafen, da ich mir gestern Abend nicht das Gehirn weggebrannt habe.

Oder aber ich wollte pünktlich loskommen, damit ich dir morgen beim Rodeo in Darson zeigen kann, wie man einen Bullen richtig reitet.«

»Wann bist du eigentlich zu diesem heiligen Samariter geworden, der so anstrengend klugscheißt, Mann?«

»Keine Ahnung. Vor ein paar Jahren, als ich es für eine schlaue Idee hielt, erwachsen zu werden, statt mich weiterhin wie ein jugendlicher Punk zu verhalten.«

»Wie sagt deine Ma immer so schön? Wenn du erwachsen geworden wärst, würdest du jetzt zu Hause auf der Farm helfen, statt dir beim Rodeo irgendwann den Hals zu brechen.«

Ich verdrehte die Augen bei Carters Worten und wandte mich von ihm ab.

Warum hatte er ausgerechnet meine Eltern ins Spiel bringen müssen? Für sie war es grauenvoll, dass ich immer noch bei diesem Zirkus dabei war, statt zu Hause zu sein, doch darüber würde ich mir jetzt keine Gedanken machen.

Ich musste mich darauf konzentrieren, was ich gestern Abend geschafft hatte und was ich noch schaffen wollte.

Geschlagene zwei Stunden später, nachdem ich Carter erst noch Gesellschaft beim Frühstück geleistet und somit sichergestellt hatte, dass er sich nicht zu früh ins Auto setzte, bog ich auf die kleine Landstraße ab, die mich in Richtung Darson führte.

Es war eine vierstündige Fahrt, doch das war ich gewohnt. Teilweise fuhren wir Tage, bis wir beim nächsten Rodeo ankamen. Lästig war definitiv, dass es hier ebenfalls kein Motel gab. Darson lag nahe an meinem Zuhause und war meine letzte Station vor einer kurzen Pause. W

enn ich es schaffte, nach dem Ritt noch fit zu sein, würde ich mich definitiv in den Pick-up setzen und in Richtung Farm fahren. Doch meist war ich einfach viel zu erledigt.

Es gab schlimmere Lösungen als mein Zelt. Das war es auch nicht, was mir Sorgen bereitete. Es war eher der Gedanke daran, übermorgen wieder auf die Farm zurückzukehren, zu meinen Eltern, waren sie doch alles andere als begeistert von meinem Lebensstil und den Entscheidungen, die ich bezüglich des Rodeos getroffen hatte und täglich traf.

Wenn es nach ihnen ginge, würde ich schon längst wieder in meinem kleinen Haus neben dem Haupthaus auf der Farm leben und dort mit anpacken. Die Tatsache, dass wir uns einen solchen Luxus allerdings nicht mal ansatzweise leisten konnten, verdrängten sie gerne.

Nicht oft beschrieben sie mich als verantwortungslos, während ich scheinbar der einzige Mensch in dieser Familie war, der verantwortungsbewusst handelte. Ich kannte die Gesamtsituation und das war Grund genug dafür, dem Rodeozirkus nicht den Rücken zu kehren, zumindest nicht solange ich es noch durchhielt.

Als ich in Darson ankam, verflogen die dunklen Gedanken an das Zusammentreffen mit meiner Familie schnell. Die Arena war bereits aufgebaut und es herrschte ein geschäftiges Treiben, um aus dem normalerweise leeren und kahlen Acker eine Vergnügungsmeile der besonderen Art aufzubauen.

In vielen Dörfern war der Stopp des Rodeos das Highlight des Jahres, so auch im beschaulichen Darson, wo die Leute aus nah und fern anreisten.

Durch seine Nähe zu New York, das nicht mal drei Stunden Fahrt entfernt lag, kamen teilweise auch Städter hierher, um sich das Spektakel anzusehen. Sie alle schliefen in den teuren Hotels im Umland.

Leider nichts, was ich mir erlauben konnte, weshalb ich mein Zelt neben meinem Pick-up aufbaute. Wenigstens gab es hier Duschen und sanitäre Einrichtungen, zwar in mobilen Wagen, aber immerhin besser als gar nichts. Ich war so oder so keinen Luxus gewohnt.

»Carter, bau dein verdammtes Zelt auf, bevor du auch nur einen Tropfen anrührst! Ich verspreche dir, dass du heute nicht einen Fuß in mein Zelt setzen wirst, verstanden?«, rief ich meinem Freund zu, der sich gerade mit einigen anderen Rodeo-Reitern unterhielt und dabei herzhaft auflachte.

Er war der Einzige hier, dem ich vertraute und mit dem ich wirklich sprach, was nicht zuletzt daran lag, wie lange wir uns schon kannten. Wir waren beide mitten im Nichts aufgewachsen, mit den Farmen unserer Eltern nicht weit voneinander entfernt.

Da war es vorprogrammiert gewesen, dass wir zu besten Freunden wurden. So lief das nun mal auf dem Land. Die anderen Reiter hier waren nett genug, um mal ein paar dumme Sprüche auszutauschen oder abends am Lagerfeuer zusammenzusitzen, doch meist zog ich es vor, meine Zeit entweder mit Carter oder alleine zu verbringen.

Ich musste diesen ganzen Trubel nicht immer um mich herum haben. Dafür reichte es mir, vollkommen im Fokus zu stehen, wenn die Scheinwerfer auf mich gerichtet wurden und das Rodeo losging.

»Ach Darwin, du Pussy! Du hast doch nur Angst vor zu viel Nähe«, grölte Carter mir zu und lachte mit den anderen zusammen laut auf.

Jaja … auch das war etwas, das hier gerne erzählt wurde. Travis Darwin, der Eigenbrötler, der Kerl, der gerne alleine war, der, der nicht viel sprach und es vorziehen würde, mitten im Wald zu leben, statt sich ein heißes Girl aufzureißen.

Nur weil ich, anders als Carter und die meisten Jungs hier, nicht reihenweise Mädchen abschleppte. Carter hatte meist an jedem Ort, an dem wir haltmachten, eine andere oder riss sich die Damen aus dem Publikum auf.

Die meisten von ihnen waren tatsächlich willig, sich auf ein einmaliges Abenteuer mit einem echten Rodeo-Kerl, einem Cowboy, einzulassen. Ich hielt nichts von diesen schnelllebigen und kurzweiligen Abenteuern.

Was sollte mir das auch bringen? Einsam war ich hier so oder so, dafür brauchte ich keinen One-Night-Stand, um mir das vor Augen zu führen. Außerdem war ich kein Typ für so was. Im Gegensatz zu meinem Ruf sah ich mich irgendwann sehr wohl mit einer Frau und vielleicht sogar mit Kindern draußen auf unserer Farm, mit hoffentlich viel besseren und stabilen Finanzen.

Zum jetzigen Zeitpunkt konnte ich mir solche Träume allerdings nicht leisten, also musste ich auch nicht nach der perfekten Frau für diese Zukunftspläne Ausschau halten. Irgendwann, wenn der Zeitpunkt gekommen war und alles stimmte, würde ich sie schon finden. Daran glaubte ich fest. Ich hatte nur keine Ahnung, wann das sein würde.

Im Moment war ich glücklich mit dem, was ich hatte. Der Rodeozirkus war mein Leben. Alles andere würde sich irgendwann von ganz alleine ergeben.

»Kommst du gleich noch mit? Wir wollen ins Pub«, rief Carter mir noch zu, doch ich winkte ab. Nach Pub stand mir nun absolut nicht der Sinn, genauso wenig wie nach Gesellschaft. Ich freute mich schon auf einen ruhigen Abend, auf ein Lagerfeuer neben meinem Zelt. Mehr brauchte ich heute nicht. Der morgige Tag, mit dem wichtigen Ritt, würde aufregend genug werden. Morgen entschied sich, ob Carter oder ich als Favorit auf den Gesamtsieg in die Pause gingen – und ich hatte nicht einmal ansatzweise vor, ihn gewinnen zu lassen.

Emma

Ich grinste mich selbst im Spiegel an und drehte mich noch einmal um die eigene Achse, um den Sitz meines sündhaft kurzen, aber unheimlich gut aussehenden Kleides zu überprüfen.

Oh ja, ich war so was von bereit für diese Partynacht in der Stadt, die ich so sehr liebte. Die Haare seidig glatt und ohne Anflug von Spliss, die Wimpern frisch geklebt, die Augenbrauen adrett gezupft und die Fingernägel in einem Midnight Grey, das perfekter nicht zu diesem Kleid passen könnte.

Anders als die meisten Menschen hier war ich eine echte New Yorkerin. Geboren in Staaten Island, wobei ich vor vier Jahren, mit Beginn der Anstellung bei Noland Trusts, meinen Sprung in die City gewagt hatte.

Ein Schritt, den ich nie bereut hatte, selbst wenn mein Geld schon mal kaum zum Überleben reichte. Ich hatte keinerlei Rücklagen, doch hey, mit achtundzwanzig musste man sich über so was auch noch keine Gedanken machen. Außerdem waren Rücklagen eher so ein Männerding. Zumindest hoffte ich auf einen Mann mit einer Menge Rücklagen, einen Mann wie Victor Noland zum Beispiel.

Mein Boss, in den ich seit meinem Vorstellungsgespräch vor vier Jahren unendlich verliebt war. Dieser Mann war der Inbegriff der Perfektion. Groß, dunkelhaarig, muskulös, autoritär und millionenschwer.

Wie sehr ich ihn vergötterte, auch wenn er mich als seine persönliche Assistentin eher rumschubste, als mich in irgendeiner Art und Weise gut zu behandeln.

Doch selbst das nahm ich für die Stunden mit ihm in Kauf. Für die rauen Berührungen oder die harten Nummern auf seinem Schreibtisch. Für die Blicke, die er mir zuwarf, bevor er mit mir schlief.

Tief in meinem Inneren wusste ich, dass ich nur sein Spielzeug für zwischendurch war. Das kleine naive, bemitleidenswerte Mädchen, das bereit war, ihm für seine Aufmerksamkeit alles zu geben. Doch eigentlich hoffte ich noch immer darauf, dass er irgendwann erkannte, wie sehr er mich mochte und brauchte.

Vielleicht machte er mich irgendwann zu seiner Misses Noland, zur Millionärsgattin. Solange würde ich meine Freiheit allerdings weiterhin in vollen Zügen ausnutzen und ordentlich feiern gehen.

Mindestens drei Mal in der Woche ging ich in einen Club oder in eine Bar. Ich liebte es, zu tanzen, und noch mehr liebte ich es, unter Menschen zu sein. Mit dabei waren eigentlich immer meine Freundinnen Zoe und Anni, wobei Anni sich in den letzten Wochen spürbar zurückgezogen hatte.

Eine Entwicklung, die nur logisch war, hatte sie doch im Gegensatz zu mir bereits vor Jahren mit Paul die Liebe ihres Lebens gefunden – und bald würden sie sogar heiraten. Auch Zoe war seit einigen Monaten in festen Händen.

Umstände, über die ich mir eher Sorgen machte, statt traurig zu sein. Ich gönnte ihnen diese Partnerschaften von ganzem Herzen, doch ich hatte Angst davor, dass sich auch mein Leben ändern würde – was bereits der Fall war.

Immer öfter gingen wir jetzt in eine Bar oder etwas essen statt in einen Club. Von den beiden wollte keine mehr aufgerissen werden und auch wenn ich rein gar kein Typ für One-Night-Stands war, flirtete ich doch gerne und hielt Ausschau nach meinem Mister Right, den es hoffentlich irgendwo dort draußen gab.

Von uns dreien hatte ich mit meinen langen blonden Haaren, den blauen Augen und der Top-Figur bei den Männern eigentlich immer die größten Chancen gehabt … doch jetzt war ich als einzige Single.

Vermutlich wegen all der Gedankengänge rund um den einzigartigen Mister Noland, die mich davon abhielten, mich auf etwas Festes einzulassen. Es war bescheuert … also herzlich willkommen in meinem Leben.

»Ich bin auch dafür, dass wir lieber nur einen Cocktail bei Jimmy trinken gehen«, antwortete Zoe in unserem Gruppenchat und ließ mich laut aufstöhnen.

Nein! Nein! Nein! Wir waren in der letzten Woche schon nicht feiern gewesen, warum immer nur dieses »gemütliche Zusammensitzen«? Verdammt. In diesem Fummel konnte ich ganz sicher nicht in die Bar gehen, in der es die leckeren Cocktails gab.

Also weg von Misses Megasexy, hin zur »Ich gehe in eine Bar«-Emma. Pulli und Jeans.

Yay. Ganz genau so, wie ich mir den Abend vorgestellt hatte … nicht!

Mit ordentlich Frust und augenscheinlich ohne Lust nahm ich an dem Tisch Platz, an dem Zoe und Anni bereits auf mich warteten.

Ich würde nicht wieder in die Diskussion einsteigen, warum es mir nicht passte, heute Abend hier zu sein, weshalb ich mir einfach einen extrastarken Cocktail bestellte und versuchte, mich auf den Abend mit meinen Freundinnen einzulassen.

Ein Abend, an dem es mal wieder nur ein Thema gab: Annis Hochzeit, die sie gefühlt seit zwanzig Jahren plante. Ich konnte nicht nachvollziehen, wie man sich so viele Gedanken um so unwichtige Sachen wie die Blumendeko oder die Abstimmung zwischen der Farbe der Einladungskarte und Elementen, die sich in der Dekoration des Raumes widerspiegeln sollten, machen konnte.

Als wenn irgendjemand auf solche Belanglosigkeiten achten würde. Nein, damit durfte ich jetzt erst gar nicht anfangen. Wir hatten diese Diskussion bereits hinter uns gebracht.

»Du bist so still heute Abend«, lieferte Anni mir eine Steilvorlage.

Ich würde nichts sagen, ich würde nicht …

»Ich wollte feiern gehen, okay? Ich hatte mich in ein sündhaft kurzes, wirklich megatoll aussehendes Kleid geschmissen und war bereit dazu, endlich mal wieder tanzen zu gehen. Stattdessen sitzen wir hier und kauen zum einhundertsten Mal deine Dekoration durch.

Wie lange sollen wir solche Sachen noch besprechen? Ich meine, ich kann es ja verstehen, das ist gerade dein Thema und megawichtig für dich. Aber können wir uns nicht darauf einigen, dass wir uns mal abwechseln?

Dass wir alle mal das machen, was dem anderen Spaß macht? Also dass wir sehr wohl mal in einer Bar sitzen und all diese Dinge besprechen, aber auch mal wieder tanzen gehen?

Ich will nicht wie ein Egomane klingen, obwohl, das tue ich bereits, das weiß ich auch, aber ich will auch mal wieder Spaß haben. Das müsste doch eigentlich für euch auch verständlich sein, oder? Ihr wisst, wie gerne ich in einen Club gehe!«

Betretenes Schweigen war eingetreten, während Anni die Erste war, die zustimmend nickte.

»Du hast vollkommen recht, Emma. Entschuldige bitte. Ich bin vielleicht wirklich ein bisschen zu sehr auf die Hochzeit und all das fokussiert. Es ist klar, dass es für dich nicht Thema ist.«

»Jeder von uns hat gerade andere Themen«, stimmte Zoe ihr zu, während ich langsam nickte. Unsere wundervolle Freundschaft, das total einfache Leben, das daraus bestand, feiern zu gehen und die Nächte durchzumachen, war irgendwann schlagartig vorbei gewesen, nur dass wir es erst jetzt und hier realisierten.

Jetzt, wo ich endlich nicht mehr stillschweigend hingenommen hatte, immer nur in eine Bar zu gehen, statt etwas zu machen, das mir Freude bereitete.

Ein Anflug von Panik ergriff für einige Sekunden Besitz von meinem Körper, doch ich schaffte es, sie vehement zur Seite zu schieben, wie auch schon in den letzten Wochen.

Diese Mädels waren alles, was ich hatte. Sie waren meine Familie, seit dem Tag, an dem ich meine eigene Familie innerhalb weniger Stunden verloren hatte. Ausgelöscht durch ein verdammtes Feuer, eine Sache, für die niemand etwas konnte.

Ein technischer Defekt, der auch mich das Leben gekostet hätte, wäre ich zu dem Zeitpunkt nicht gerade auf einer Party gewesen.

Mit nur zwanzig Jahren hatte ich meine Eltern, mein Zuhause und alles, was mir lieb war, verloren. Seitdem gab es für mich nur die Mädels, die seit Kindertagen zu mir hielten.

Wir waren immer wie Pech und Schwefel gewesen und so würde es auch bleiben, auch wenn es sich momentan als ziemlich kompliziert erwies, dass wir uns auf dem Weg des Erwachsenwerdens nicht verloren. Wir hatten schon so viel geschafft, wir würden das auch noch meistern.

»Erwachsenwerden ist scheiße, ich habe es immer gesagt«, platzte es aus Zoe raus, was uns alle auflachen ließ. Oh ja, all diese Verpflichtungen und die Erwartungen, endlich sesshaft zu werden, zu heiraten und eine Familie zu gründen.

Ich hatte mich schon vor Jahren aus gutem Grund gegen dieses Muster entschieden. Es war nicht mein Plan vom Leben, das ich in vollen Zügen genießen wollte.

Ohne mich festzulegen oder so eine unglaubliche Verpflichtung wie eine Ehe und Kinder einzugehen.

Es sei denn, Victor Noland würde mir ein Angebot in diese Richtung machen …

Gott, ich musste endlich aufhören, zu träumen und mich wie mit sechzehn zu verhalten.

So viel dann zum Erwachsenwerden!

Travis

Oh ja, Mann, perfekt gewählter Platz für deinen Unterschlupf«, stimmte Carter mir zu, während er seinen Klappstuhl neben mir aufstellte und ebenfalls Platz nahm.

Es war kurz nach drei und von meinem Zeltplatz aus konnte man perfekt beobachten, wie die Menschen zum Rodeo strömten und die Ränge sich langsam, aber sicher füllten.

Ich liebte es, zuzusehen, wie die verschiedenen Menschen hier ankamen, sich gute Plätze suchten und einen schönen Tag verbrachten. Familien mit Kindern, Cowboys, Ladys, Jung und Alt – bei den Rodeos war meist alles und jeder vertreten. Und dafür, ihnen allen einen unvergesslichen Tag zu bereiten, waren wir verantwortlich.

»Ich hab nicht mitbekommen, welchen Bullen du heute reiten musst«, sagte Carter, der bei der Auslosung viel zu weit von mir weggestanden hatte.

»Segmore«, erwiderte ich, was ihn kurz nicken ließ. Es gab in unserem Kader irre Bullen und vollkommen durgedrehte. Segmore lag im guten Mittelfeld, sodass es mir nicht wirklich Kopfzerbrechen bereitete, ihn heute reiten zu müssen.

»Ich hab das goldene Los gezogen. Duster Joe«, erwiderte er, was mich zu ihm blicken ließ. Von all den Bullen war Duster Joe mit Abstand der gefährlichste. Die meisten Reiter wurden abgeworfen, wenn sie es mit ihm aufnahmen.

»Also wirst du heute der Star der Show sein«, versuchte ich, wenigstens ein positives Argument vorzubringen, was Carter mit einem Lächeln quittierte. Ich wusste, dass ihm dieser Aspekt gefiel. Im Gegensatz zu mir stand er einfach unheimlich gerne im Mittelpunkt. Nur dass dieser Mittelpunkt in diesem Fall saugefährlich war und mit bösen Verletzungen enden konnte. Doch wer war in diesem Sport schon davor sicher? Wir konnten heute alle vom Bullen stürzen und uns das Genick brechen.

Um Punkt vier Uhr brachen wir zu unserem Treffpunkt auf, wo wir unsere Sachen anlegten. Die Meute tobte bereits bei den Clowns, die das Vorprogramm für uns übernahmen.

Aufgrund der Tatsache, dass Carter den wahnsinnigen Bullen erwischt hatte, würde er heute als Letzter in den Sattel steigen, während ich mich im Mittelfeld befand. Ich musste auf jeden Fall und um jeden Preis während des gesamten Ritts im Sattel bleiben, um mir den Erfolg vor der Pause zu sichern und als Favorit den Urlaub anzutreten.

Etwas, das auch Carter wusste, der mir aufbauend auf die Schultern klopfte. Wir waren viel zu gute Freunde, als dass wir die Konkurrenz zwischen uns die Oberhand gewinnen ließen.

Wir gönnten es uns beide, wobei Carter meist darauf hoffte, dass ich das Rennen machte, denn im Gegensatz zu unserer Farm hatten seine Eltern den Viehzuchtbetrieb auf eine vollkommen neue Stufe gehoben und scheffelten damit eine Menge Kohle. Für Carter war das alles hier im Gegensatz zu mir nur ein Spaß, ein Nervenkitzel, etwas, womit er aufhören konnte, wenn er wollte.

»Heute Abend werden wir uns nicht sehen. Ich bin der Star des Abends und es sind reichlich heiße Ladys anwesend. Du weißt, was das heißt«, sagte er, bevor er mir ein schelmisches Grinsen zuwarf. Oh ja, die Übersetzung davon kannte ich mittlerweile und seinen Plan hatte ich ebenfalls schon längst durchschaut, da sein Zelt als einziges weitab von den anderen stand.

Mein Herz schlug schnell in meiner Brust, als ich über die Brüstung kletterte und mich langsam auf den tobenden Bullen hinunterließ. Segmore schien heute Abend ausgesprochen schlechte Laune zu haben und doch machte er mir keine Angst.

Ich hatte ihn bereits bezwungen und ich würde es wieder tun. Es war nur ein einziger Ritt, in den ich wie immer all meine Kraft stecken würde. Bis ich nicht mehr konnte – und zu diesem Zeitpunkt hoffentlich schon sicher war.

Das Gatter öffnete sich und die unglaublichen Kräfte wirkten auf meinen Körper ein, während ich mich mit allem, was mir zur Verfügung stand, fester an den Bullen und kräftiger in den Sattel drückte.

Er würde mich nicht abwerfen. Nicht hier, nicht heute und nicht dann, wenn mein Sieg zum Greifen nah war.

Versprochen.

Doch Segmore schien heute einen äußerst widerspenstigen Tag zu haben. Zumindest ließ er mich härter kämpfen als normalerweise.

Gott sei Dank mit dem Ergebnis, dass ich am Schluss als glücklicher Sieger dieses Duells zwischen uns beiden hervorging. Jetzt lag alles an Carter. Wenn er es schaffen sollte, mit Duster Joe über die Acht-Sekunden-Marke zu gelangen, würde es in der Bewertung eng für mich werden – und somit auch eng, was den Etappensieg anging. Sollte er es gar schaffen, Duster bis zum Ende zu reiten, konnte ich einpacken. Heute ging es vor allem um die Ehre, als Führender in die Pause zu gehen, aber auch um fünfhundert Dollar. Geld, das meine Familie mehr als gut gebrauchen konnte. Ich hatte alles, was in meiner Macht stand, getan. Den Rest konnte ich nicht beeinflussen.

Dreißig Minuten später stand ich am Gatter bereit, um mir den letzten Ritt des Abends anzusehen. Auf der Anzeigetafel prangte mein Name noch immer als Führender und ich hoffte tief in meinem Inneren darauf, dass es auch so bleiben würde.

Eine Hoffnung, die ich nur wenige Sekunden später bitter bereute, als das Gatter hochgelassen wurde und Duster Joe mit meinem besten Freund auf dem Rücken vollkommen durchdrehte. Ich sah es kommen, noch bevor es passierte. Der Moment, in dem Carter durch die Luft flog, raubte mir die Luft zum Atmen.

Für den Bruchteil einer Sekunde stand ich einfach nur da und starrte in den Ring, sah auf meinen besten Freund, der regungslos am Boden lag, und auf den wahnsinnige Bullen, der gestoppt werden musste, bevor er ihn umbrachte.

Die Rodeoclowns sprangen in den Ring und auch einige Kollegen liefen los. Mich eingeschlossen. Ich dachte nicht nach. Alles, was ich wollte, war, Carter dort rauszuholen.

Ich wollte sein Lachen hören und wie er sich darüber lustig machte, einfach unverwüstlich zu sein.

Doch Carter bewegte sich nicht.

Ich wusste, dass ich nicht zu ihm laufen und ihn einfach aus dem Ring ziehen konnte. Zuerst musste dieser durchgedrehte Bulle zurück in die Startbox gebracht werden, bevor noch mehr Menschen verletzt wurden. Außerdem war es viel zu gefährlich, Carter zu bewegen, solange nicht klar war, welche Verletzungen er davongetragen hatte.

Es kam mir vor wie Ewigkeiten, bis Duster Joe endlich wieder sicher war und die Ärzte zu Carter gelassen wurden. Ich war nun ebenfalls bei ihm angekommen, konnte allerdings nichts anderes tun, als den Ärzten den Platz zu geben, den sie nun brauchten.

»Hab ich ihn bezwungen?«

Ich wandte meinen Blick überrascht zur Seite, als ich Carters Stimme hörte, während wir ihn auf der Trage zum Krankenwagen brachten. Gott sei Dank!

Er war wach und ansprechbar.

»Fast«, erwiderte ich und atmete bei dem süffisanten Grinsen auf seinen Lippen erleichtert aus. Es war keine Frage, ob ich beim Rodeozirkus blieb und mir meine Ehrung für den Tagessieg abholte oder mit Carter ins Krankenhaus fuhr. Er hatte dasselbe für mich getan, und das schon öfter als einmal.

Im Krankenhaus angekommen wartete ich geduldig auf Neuigkeiten, doch womit ich nicht gerechnet hatte, war, dass Carter mir nach zwei Stunden auf seinen eigenen Beinen entgegenkam. Dieser Mistkerl war wirklich und wahrhaftig unverwüstlich.

»Bist du mit Knochen aus Titan geboren?«, fragte ich, was ihn auflachen ließ.

»Hör mal, mittlerweile müsstest selbst du wissen, dass sich diese verdammten Trips ins Krankenhaus nach so einem Sturz echt nicht für mich lohnen.

Wenn ich sage, dass mir nichts fehlt, ist das nichts anderes als die Wahrheit.

Also los, lass uns zurückfahren. Du schuldest mir ein Bier auf deinen verdammten Sieg, den ich dir übrigens von Herzen gönne. Nur deshalb habe ich mich rechtzeitig vor der Acht-Sekunden-Grenze abwerfen lassen.«

»Wenn ich dich nicht kennen würde, könnte ich glatt in Erwägung ziehen, dir zu glauben«, erwiderte ich und schüttelte lachend den Kopf.

Für einige Minuten hatte ich wirklich Angst um ihn gehabt.

Ohne Carter in diesem Rodeozirkus – das war für mich nicht vorstellbar.

Emma

Seufzend zog ich meine Bettdecke über mich und bedeckte damit meinen nackten Körper, der noch vor einigen Sekunden voller Leidenschaft geglüht hatte.

Eine Leidenschaft und Hitze, von der nun rein gar nichts mehr übrig war.

Ganz im Gegenteil.

Die Kälte, mit der Victor mich hier liegen gelassen hatte, nachdem er auf seine Kosten gekommen war, kroch in jede Pore meines Körpers. Es war ein aggressiver, lustvoller Ritt gewesen.

Ohne Vorspiel, ohne Romantik, ohne Zärtlichkeiten, nur dass er sich dieses Mal nicht mal die Mühe gemacht hatte, mich ebenfalls zu befriedigen. Er war gekommen und danach direkt aufgestanden. Nach einer kurzen Dusche war er einfach gegangen, ohne ein weiteres Wort.

Er hatte mich liegen gelassen wie einen Gegenstand, den man nicht mehr brauchte. Er hatte mich benutzt, allerdings auf eine so kalte Art und Weise, dass es selbst für ihn krass war.

Wieso vergötterte ich diesen Mann so?

Wieso konnte ich nicht aufhören, an ihn zu denken und all diese verdammten Gefühle für ihn zu haben?

War es sein unendlich gutes Aussehen?

Die Art und Weise, wie er seine Autorität spielen ließ? Oder waren es doch all die Millionen auf seinem Konto, dir mir ein Leben in Saus und Braus garantieren würden? Ich konnte es nicht benennen, was es nicht einfacher machte, mich endlich von diesen Gedanken zu trennen.

Ich rollte mich zusammen und schlang die Bettdecke noch fester um meinen nackten, verletzlichen Körper.

Das alles hier musste ein Ende finden. Irgendwie musste ich es doch schaffen, diesen Gedanken, dass Victor durch mich ein besserer Mensch werden würde, loszulassen. Er würde sich nicht ändern. Niemals.

Zumindest nicht für mich. Dafür gab ich ihm einfach viel zu sehr genau das, was er erwartete. Ich spielte nach seinen Regeln, ließ ihn machen, was er wollte, auch wenn es bedeutete, dass er mich nur benutzte.

»Emma, das ist mit Abstand der schlechteste Kaffee, den ich in meinem ganzen Leben getrunken habe. Ich verlange einen neuen, und zwar sofort. Beeilen Sie sich«, drang seine Stimme am nächsten Morgen durch die Sprechanlage und ließ mich innerlich kurz aufstöhnen, während ich nach außen wie immer meine perfekte Ausstrahlung behielt.

Hier in der Firma siezten wir uns ganz professionell, obwohl sich wahrscheinlich eh alle denken konnten, dass zwischen uns etwas lief … oder besser gesagt, dass er mich benutzte, so wie es ihm in den Kram passte. Und ja, ich war nicht naiv genug, um zu denken, dass ich die einzige Frau hier im Büro war, mit der er das tat. Ich wusste von zwei anderen. Penelope aus der Designabteilung und Edith aus der Personalabteilung. Ich hatte beides hautnah mitbekommen. Edith hatte ich dabei sogar nackt gesehen, als ich nach Dienstschluss eine Akte auf Victors Schreibtisch legen wollte, der allerdings von ihrem nackten Körper besetzt war. Wohl ganz so, wie er es angefordert hatte.

»Ihr Kaffee, Mister Noland«, sagte ich mit freundlichem Lächeln im Gesicht, als ich wenige Minuten später mit einer neu aufgebrühten Tasse Kaffee Victors Büro betrat.

Er würdigte mich keines einzigen Blickes und ich wusste es besser, als ihn anzusprechen.

In solchen Momenten wurde er immer ungehalten und ausfällig, wenn man ihn in seiner Konzentration störte.

Was hätte ich auch sagen sollen?

Hätte ich eine Beschwerde vorbringen sollen?

Eine Beschwerde darüber, dass er mich benutzt und liegen gelassen hatte?

Wieso war mir diese Beschwerde nicht bei all den letzten Malen eingefallen, in denen es ganz genauso abgelaufen war? Ich hatte ihn hereingelassen, nachdem er spätabends an meiner Tür geklingelt hatte.

Und natürlich war dabei klar gewesen, dass er nicht zum Reden oder zum Arbeiten vorbeigekommen war, sondern zum Vögeln. So wie immer. Wir trafen uns ausdrücklich immer nur bei mir und auch immer nur dann, wenn Victor, wie immer unangekündigt, vor meiner Tür stand, um sich zu nehmen, was er wollte.

Gott, ich kam mir so lächerlich vor, dass alles über mich ergehen zu lassen. So absolut lächerlich.

Zurück an meinem Platz, musste ich ernsthaft gegen einen Schwall Tränen ankämpfen, den ich schon seit der letzten Nacht vergießen wollte.

»Hallo, Schätzchen!«

Ich blickte auf, als ich die mir fremde Stimme hörte. Schätzchen? Bitte was? Verlegen tupfte ich mir die Tränen aus den Augenwinkeln und blickte auf das groß gewachsene blonde Supermodel vor mir, das mich mit seinen makellosen weißen Zähnen anlächelte.

Ihr mindestens eins achtzig großer Körper schien zu neunzig Prozent aus Beinen zu bestehen, was das äußerst knappe und sehr eng anliegende Minikleid noch einmal betonte. Ihre blonden Haare lagen in opulenten Wellen über ihren Schultern und endeten kurz über ihren prallen, mit Sicherheit gemachten Brüsten. Von genau so einer Frau hätte man erwarten können, dass sie »Schätzchen« zu einem sagte, selbst wenn es sich nicht gehörte und man sich zuvor noch nie gesehen hatte, so wie es bei uns beiden der Fall war.

»Wie kann ich Ihnen weiterhelfen?«, fragte ich nach, was sie mit einem Kichern quittierte. Oh Gott, wirklich? Wie ich solche Frauen hasste.

»Ich möchte zu Victor«, sagte sie, wobei mir ihr Akzent sofort auffiel. Russland, Polen, woher auch immer sie kam.

»Mister Noland empfängt keine unangemeldeten Besucher. Ich müsste Sie bitten, einen Termin zu vereinbaren und …«

Die Blondine lachte schrill auf, was mich verstummen ließ. Wirklich? Theatralisch warf sie ihre Haare zurück und hielt mir nur Sekunden später ihre rechte Hand entgegen, an der ein mordsmäßiger Diamantring funkelte.

»Ich bin keine Besucherin und ich glaube, dass Victor es kaum erwarten kann, mich zu sehen«, sagte sie, während ich fragend auf den Ring starrte, bevor ich erschrocken zu ihr aufblickte. »Mein Name ist Natasia Monestarsova, aber Sie können mich Nassi nennen. Ich bin Victors Verlobte.«

In meinem Kopf herrschte ein unerklärliches Rauschen, während ich versuchte, die schrille Stimme dieser unmöglichen Frau auszublenden.

Hatte sie das gerade wirklich behauptet? Es kam mir vor wie in Zeitlupe, als sich Victors Bürotür öffnete und die beiden aufeinander trafen.

Ich saß in der ersten Reihe, bei einem Schauspiel, das selbst in meinen schlimmsten Träumen nie einen Platz gefunden hätte. Victor zog den mageren, operierten Körper in seine starken Arme und drückte seinen Mund auf die aufgespritzten Lippen dieser Frau.

Dieser Mann, der noch gestern Abend mit mir gevögelt hatte, lieferte nun, genau vor meinen Augen, das perfekte Schauspiel mit seiner Verlobten ab. Seine Verlobte! Mir blieb die Luft zum Atmen noch immer im Hals stecken, genau wie die Worte, die ich einfach nicht fand.

»Lass uns in mein Büro gehen, Darling. Möchtest du etwas trinken?«, hörte ich Victor fragen, dicht gefolgt von der Bitte, ein Wasser für Miss Monestarsova zu bringen.

Einen Scheiß würde ich tun. Stattdessen umfasste ich die Henkel meiner Tasche und stand ruckartig auf, um so schnell wie möglich zum Fahrstuhl zu laufen. Ich würde keine Sekunde länger hierbleiben und mir dieses Schauspiel ansehen.

»Susi, ich melde mich krank«, rief ich einer Kollegin zu, bevor ich im Fahrstuhl verschwand, wo mich die Tränen überkamen. Dieses miese Arschloch! Gestern noch benutzte er mich und heute präsentierte er mir seine Verlobte. Was für ein Mann war er, verdammt noch mal?

Ob es diese Frau interessieren würde, wie er seine Freizeit verbrachte? Vermutlich konnte sie es sich denken oder sie wusste gar davon.

Bei Victor konnte ich mir alles vorstellen, außer dass er wirklich sesshaft wurde. Jetzt stand auf jeden Fall fest, dass ich niemals die Frau an seiner Seite sein würde, ganz egal, wie oft ich mich noch von ihm benutzen ließ oder wie sehr ich mich ihm auch an den Hals schmiss.

Der Platz war an eine äußerst gut aussehende Frau à la Topmodel vergeben. Alles andere wäre für einen Mann wie Victor wahrscheinlich auch schwer verkäuflich gewesen. Eine Normalofrau wie ich …

Ich taugte nur dazu, in meiner Wohnung, bei geschlossenen Gardinen und ohne jegliche mediale Öffentlichkeit gevögelt zu werden. Hauptsache, niemand erfuhr davon oder sah uns zusammen.

»Mister Nolands Verlobte hat dem Büro gerade einen Besuch abgestattet«, tippte ich unter Tränen, die ich gar nicht weinen wollte, in mein Handy.

Wütend wischte ich sie mit dem Handrücken weg, doch ich war machtlos.

Selbst als ich in der Bahn angekommen war, mit der ich nun auf dem schnellsten Weg in mein kleines Appartement fahren würde, rollten sie noch immer meine Wangen hinunter.

Menschen betrachteten mich mit einer Mischung aus Verachtung, Verwirrung und Mitleid. Ja verdammt, ich war ein mitleiderregender Mensch, hatte ich mich doch jahrelang in etwas so Aussichtsloses wie Victor Noland verrannt. Wie viele Jahre meines Lebens ich verschenkt hatte, nur um für diesen Mann stets und ständig bereit zu sein. Es war lächerlich – ich war lächerlich! Nur dass mir erst jetzt das volle Ausmaß bewusst wurde.

»Ich bringe Eis mit«, war die erste Nachricht von Anni in unserem Gruppenchat, dicht gefolgt von Zoe, die hochprozentigen Alkohol zusicherte.

Egal, wie schwierig das Gespräch neulich Abend auch verlaufen war, eine Situation wie diese zeigte wieder einmal mehr als eindeutig, dass ich mich auf meine Freundinnen verlassen konnte – und zwar mehr als auf alles andere dieser Welt.

An diesem Abend hielten sie meine Hand, während ich weinte, und bemitleideten mich, statt mir zu sagen, dass es von vorneherein klar gewesen war, wie diese Geschichte enden würde. Sie machten mir keine Vorwürfe, auch wenn ich wusste, wie froh sie über meine viel zu späte Einsicht waren, dass Victor Noland niemals der Mann meines Lebens sein würde.

Immerhin war dieser Tag dazu gut gewesen. Jetzt musste ich nur noch meinen Stolz irgendwo wiederfinden und meine Krone gerade rücken, um ihm am nächsten Tag hocherhobenen Hauptes im Büro gegenübertreten zu können.

Wahrscheinlich würde er sich über mich und meinen Abgang lustig machen und mich als lächerlich darstellen, weil ich mir etwas anderes mit ihm erhofft hatte, doch damit würde ich wohl leben müssen.

Es kam anders.

Deutlich anders als erwartet.

Statt mich mit Hohn und Spott zu versehen, musterte Victor mich mit wachem Blick, als ich zur Morgenbesprechung sein Büro betrat und ihm den dampfenden Becher Kaffee wie an jedem Morgen auf den Schreibtisch stellte.

»Geht es dir wieder besser?«, fragte er. Er duzte mich – auf der Arbeit. So etwas war zwischen uns noch niemals vorgekommen.

»Ja, danke der Nachfrage, Sir«, erwiderte ich förmlich.

»Hör zu, die Sache mit Natasia gestern …« Er wand sich vor meinen Augen und ich genoss diesen Augenblick. Wahrscheinlich hoffte er darauf, dass ich ihn mit einem »Du musst mir nichts erklären« von seinen Qualen erlöste, doch das würde ich garantiert nicht tun.

»Ja?«, fragte ich stattdessen und freute mich innerlich darüber, so tough zu sein.

»Ich hätte dir vorher von ihr erzählen sollen.«

»Ja, das hättest du. Mir und auch all den anderen Frauen hier im Büro.«

»Gleichzeitig bin ich dir keinerlei Rechenschaft schuldig!«, schob er hinterher.

Natürlich …

»Wir sollten anfangen. Ihr Terminkalender für heute ist lang und in einer halben Stunde beginnt das erste Meeting«, kehrte ich zu den Arbeitsthemen zurück, während Victor mich noch für einige Sekunden anstarrte, bevor er auf seine Ausfertigungen vor sich blickte.

Das war es also, das fulminante Ende einer Liaison, die von vorneherein zum Scheitern verurteilt war – nur dass niemand mein Herz im Vorfeld darüber aufgeklärt hatte.

Ich würde nicht zulassen, dass es in tausend kleine Einzelteile zersprang. Auch würde ich nicht dulden, dass es mir wegen Victor auch nur noch einen einzigen Tag so schlecht ging, wie es gestern der Fall gewesen war.

Das war er nicht wert – und Gott sei Dank hatte nun auch ich diese Tatsache verstanden!

Travis

Ein Lächeln breitete sich auf meinem Gesicht aus, als ich um die Kurve bog und meinen Pick-up die Auffahrt zu unserer Farm entlangrollen ließ.

Es fühlte sich an, als wäre ich seit Ewigkeiten nicht hier gewesen, selbst wenn es erst ein paar Wochen waren. Wochen, in denen meine Eltern hier geschuftet hatten, während ich versuchte, mit dem Rodeo Geld zu verdienen, um sie unterstützen zu können.

Wahrscheinlich war durch meine Abwesenheit ein Haufen Arbeit entstanden, doch darum würde ich mich erst ab dem Nachmittag wieder kümmern.

Wie immer, wenn ich nach Hause kam, hatte meine Mutter bestimmt etwas Köstliches zu essen vorbereitet. Es waren oft die einzigen unbeschwerten Minuten, die wir zusammen verbrachten, bevor es nur noch um die Farm, die Finanzen und das Rodeo ging.

»Mein Junge!«, rief meine Mutter freudig, als ich das Haus betrat, und fiel mir prompt um den Hals. Sie war eine große, schlanke Frau, deren Haare langsam, aber sicher immer grauer wurden. Sie trug sie zu einem strengen Dutt, wie immer.

Ihre Kleidung schützte sie mit einer Schürze, die noch von meiner Großmutter stammte. »Meine Güte, sieh dich an. Ganz dürr bist du geworden.«

Das sagte sie grundsätzlich, wann auch immer ich nach Hause kam. Ich sah es als ihre Entschuldigung dafür an, dass ich in den nächsten Tagen mit Essen überhäuft wurde.

Ihre blauen Augen strahlten noch immer so wach und wundervoll wie in meiner Kindheit, nur mit dem Unterschied, dass sich tiefe Falten in ihrem Gesicht gebildet hatte.

Die schwere Arbeit zeichnete sie, genau wie meinen Vater, der genau in diesem Moment ebenfalls das Haus betrat. Selbst wenn ich ihn nur einige Wochen nicht gesehen hatte, wirkte er um Jahre gealtert.

Er ging noch krummer, was für mich ein sicheres Zeichen dafür war, dass seine Rückenprobleme schlimmer geworden waren.

Es wurde höchste Zeit, dass ich hier wieder mit anpackte, in der Zeit, in der ich mich eigentlich vom Rodeo erholen sollte.

Wir begrüßten uns ebenfalls mit einer Umarmung, wenngleich sie deutlich kürzer und viel weniger herzlich ausfiel als bei meiner Mutter und mir. Mein Vater nahm es mir übel, dass ich ihm nicht mehr auf der Farm half.

Er warf mir oft vor, dass ich meinen Körper beim Rodeo kaputt machte, während er sich hier krumm arbeitete. Dass allerdings jeder Cent von dem Geld, das ich auf diese Weise verdiente, in die Farm floss, übersah er dabei gerne.

Ohne das zusätzliche Geld hätten wir das Land schon längst verloren. Eine Option, über die ich im Gegensatz zu meinen Eltern schon länger nachdachte.

Ich fand den Gedanken, an Carters Familie zu verkaufen und nur noch hier zu wohnen, statt alles zu bewirtschaften, vollkommen in Ordnung. Es wäre eine gute Lösung, könnten meine Eltern von dem Geld doch viele Jahre lang gut leben, besser als jetzt …

Doch für meinen Vater kam es nicht infrage, das Land, welches seit fünf Generationen in Familienbesitz war, zu veräußern. All seine Vorfahren hatten es geschafft und so würden auch wir es schaffen, das redete er uns zumindest immer und immer wieder ein, seitdem ich ein Kind war.

»Nun lasst uns erst mal essen, bevor alles kalt wird«, sagte meine Mutter und ging voran ins Esszimmer, wo der Tisch bereits reichlich gedeckt war.

»Ich hab den alten Pruitt heute Morgen draußen getroffen. Er sagt, dass Carter einen Unfall beim Rodeo hatte«, begann mein Vater und streute damit sofort Salz in die Wunde. Ich hatte zumindest darauf gehofft, dass er bis nach dem Essen damit wartete.

»Ihm ist nichts passiert. Ein kurzer Check-up im Krankenhaus und das war’s.«

»Wird er in der Pause auch nach Hause kommen?«, fragte meine Mutter nach, augenscheinlich darauf bedacht, das Thema gar nicht erst hochkochen zu lassen.

»Du kennst Carter. Wahrscheinlich wird er für ein paar Tage vorbeischauen, aber den größten Teil der freien Zeit wird er bestimmt nicht auf der Farm verbringen.«

»Der alte Pruitt meinte auch, du wärst Erster geworden?«

»Ja, die Saison läuft verdammt gut. Ich habe ordentliche Einnahmen durch die Tagessiege und durch den Etappensieg mit nach Hause bringen können.«

»Das sind wundervolle Neuigkeiten, mein Junge«, erwiderte meine Mutter strahlend, während mein Vater mich mit durchdringendem Blick musterte.

Ich konnte nicht ablesen, ob es ihn erleichterte, dass ich Geld mitgebracht hatte, oder nicht. In den letzten Jahren hatte ich das Gefühl, dass er immer verbitterter wurde. Jedes Mal, wenn ich nach Hause kam, war es schlimmer.

Ich hatte keine Ahnung, wie meine Mutter das aushielt.

»Du kannst heute direkt zu Parkers Gully runterfahren und die Zäune reparieren. Es ist schon wieder Vieh durchgegangen.«

»Harrison, bitte, jetzt lass den Jungen doch erst mal zu Hause ankommen!

Du warst noch nicht mal in deinem Haus, oder?«, fragte meine Mutter, was ich mit einem kurzen Kopfschütteln beantwortete.

Ich bewohnte ein Haus neben dem Haupthaus meiner Eltern. Es war genug Platz dazwischen, um sich eigenständig zu fühlen, und doch war ich so noch Teil der Farm.

Das Haus war ursprünglich ein alter Stall gewesen, den ich eigenständig aus- und umgebaut hatte, zu einem Heim, in dem ich mich mehr als wohlfühlte. Es war nichts Besonderes. Ein großer Wohn- und Essbereich mit einer Veranda, die einen wahnsinnigen Blick über unser Land gewährte. Ein Schlafzimmer, ein Büro, in dem ich eigentlich nichts zu tun hatte, da meine Mutter den gesamten Papierkram der Farm erledigte, eine Küche – und das alles auf zwei Etagen, im Landhausstil gehalten. Ich war viel zu selten hier, doch jedes Mal, wenn ich es war, genoss ich es umso mehr.

Als ich wenig später die Tür aufschloss, atmete ich tief durch. Es roch nach meinem Haus, nach dem Zuhause, das ich so oft vermisste, wenn ich unterwegs war und durch das Land tourte.

Meine Mutter kümmerte sich um alles, wenn ich nicht da war, weshalb das Haus sofort bewohnbar war. Nicht, dass ich besonders viel Zeit hatte, es zu genießen. Heute Abend, wenn ich mit einem Bier auf der Terrasse saß, vielleicht – aber bis dahin lag noch eine Menge Arbeit vor mir.

Seufzend zog ich mir meine Arbeitsklamotten an und ignorierte dabei, dass mir jeder Knochen meines Körpers wehtat. Wie mein Vater schon sagte, manche Leute machten sich ihren Körper beim Rodeo kaputt.

Es war bereits dunkel, als ich die Crossmaschine neben meinem Haus parkte und mir im Flur die dreckigen Sachen abstreifte. Eine heiße Dusche und ein kühles Bier, um endlich hier anzukommen. Mehr brauchte und wollte ich für heute nicht.

Das nächste Rodeo würde bald erneut in Darson stattfinden, doch darüber machte ich mir jetzt noch keine Gedanken. Erst einmal zählte nur die Farm.

Emma

Ein Rodeo? Ihr seid doch bekloppt!«, stieß ich aus, was Anni mit einem lauten Lachen quittierte.

»Was ist daran bitte bekloppt? Das habe ich mir immer gewünscht.«

»Einen Junggesellinnenabschied auf einem Rodeo? Warum um alles in der Welt wünscht man sich so was, Anni?«, fragte ich kopfschüttelnd.

»Na, weil man da die heißen Männer in Aktion beobachten kann. Du weißt doch, wie romantisch ich die ganzen Cowboygeschichten schon immer gefunden habe – und meinen letzten Abend in Freiheit dort zu verbringen … Oh komm schon, Emma!«

»Erstens wird es ganz sicher nicht dein letzter Abend in Freiheit sein, schon alleine deshalb nicht, weil es bis zur Hochzeit noch eine Weile dauert, und zweitens, wieso gehen wir nicht zu einer Show mit vielen Strippern?«

»Weil ich Cowboys möchte.«

»Nein sagen kann ich doch sowieso nicht, oder? Ich meine, es ist dein Junggesellinnenabschied, wobei ich mir diese ganze Veranstaltung zugegebenermaßen komplett anders vorgestellt hatte.«

»Richtig, mein Junggesellinnenabschied, meine Regeln, so wie wir es uns immer versprochen haben.«

»Wir waren zwanzig!«, warf Zoe ein, was mich zustimmend nicken ließ.

»Na und? Versprochen ist versprochen und wird auch nicht gebrochen. Jeder darf sich auf seinem Junggesellinnenabschied selbst ausdenken, was er gerne machen möchte – und das ist genau das, was ich will«, stellte Anni noch einmal klar, was Zoe mit einem Lachen quittierte.

»Wahnsinn – wir fahren zum Rodeo. Ich hab echt vieles erwartet, aber das nicht, Anni!«

»Oh, wartet es ab, Mädels. Ihr werdet es lieben! Ich buche uns direkt ein ganzes Wochenende, okay?«

»Ein ganzes Wochenende mit den Cowboys?«, entfuhr es mir erschrocken.

»Nein, nur einen Tag Rodeo, und an dem anderen Tag genießen wir das Leben auf dem Land.«

»Wenn denn überhaupt etwas in der Nähe stattfindet, schließlich sind wir hier mitten in New York City und nicht gerade nah dran am Landleben.«

»Ach Emma, als wenn ich mir darüber noch keine Gedanken gemacht hätte. Ein Rodeo ist verlegt worden und findet in zwei Wochen in Darson statt.«

»Wo?«, fragten Zoe und ich beinahe zeitgleich. Ich war zwar in New York geboren, doch das Umland war für mich noch nie ein Thema gewesen.

»Darson! Es wird episch. Viele Städter fahren dorthin, um sich das Rodeo anzusehen, und die ganze Kleinstadt ist dann immer auf den Beinen. Und das Beste: Wir müssen nur drei Stunden fahren.«

»Drei Stunden? Aber wenigstens mit der Bahn, oder?«, hakte ich nach, was mir einen fragenden Blick von Anni einbrachte.

»Als ob es eine Bahnverbindung dorthin geben würde. Wir reden vom Landleben, Emma. Ich habe das schon alles geklärt. Mein Dad leiht uns seinen Wagen, sodass ich uns sicher hin- und auch wieder zurückbringen kann.«

»Ich kann es kaum erwarten«, murmelte ich, gab mich der freudigen Umarmung meiner besten Freundin dann allerdings doch hin. Es war ihr Tag und sie freute sich augenscheinlich wahnsinnig darauf.

Und so kam es, dass wir drei Wochen später im Auto saßen, auf dem Weg in ein Kaff, von dem ich bis zu jenem Tag noch nie etwas gehört hatte – und je weiter wir fuhren, desto klarer wurde mir auch, warum.

Die Infrastruktur wurde schlechter, bis sie nahezu gänzlich aufhörte, zu existieren. Die Häuser wurden weniger, die Felder deutlich mehr.

Ich war das letzte Mal in meiner Kindheit auf dem Land gewesen, doch die Erinnerungen daran waren schon lange verblasst. Es wirkte weder karg noch trist, so wie ich es mir vorgestellt hatte. Ja, vielleicht konnte ich der ganzen Szenerie hier doch Schönheit abgewinnen.

Ein Lächeln huschte über mein Gesicht, als Anni vorne im Wagen lauthals ein Countrylied mitsang, das ich noch nie gehört hatte.

Sie liebte diesen ganzen Cowboykram und ich war mir ziemlich sicher, dass sie gemeinsam mit ihrem Mann irgendwann hier auf dem Land enden würde.

Zumindest, wenn es ihre Jobs zuließen. Anni war nicht so ein Stadtkind, wie ich es war. Sie hing nicht so sehr an den Möglichkeiten der Stadt, an der Lautstärke und dem hektischen Treiben, ohne das ich nicht existieren konnte.

»Wow«, entfuhr es mir, als sie den Wagen vor einem winzig kleinen Motel gestoppt hatte und wir ausgestiegen waren. Es war totenstill, ohne Autogeräusche, ohne Hupen, ohne Sirenen, ohne Stimmengewirr. Diese ganze Szenerie hatte fast etwas Unheimliches.

»Atmet mal tief ein. Diese frische Luft ist herrlich«, forderte Anni uns auf und hatte mit ihren Worten definitiv recht. Dieser Geruch nach frisch gemähtem Gras, an den ich mich noch aus meiner Kindheit erinnern konnte, war etwas Besonderes.

»Wo sind alle?«, fragte Zoe leise, was mich auflachen ließ. Ihr schien es genauso unheimlich zu sein wie mir.

»Ihr spinnt. Kommt, lasst uns einchecken. Wahrscheinlich sind schon alle beim Rodeo und ich möchte garantiert keine einzige Sekunde verpassen.«

»Aber das geht doch erst heute Nachmittag los.«

»Emma, heute Nachmittag beginnt das Rodeoreiten, aber das ganze Drumherum wollen wir doch sicher nicht verpassen, oder?«

»Ganz wie du meinst«, gab ich mich geschlagen und folgte ihr in das kleine Motel, in dem sie ein Dreierzimmer für uns reserviert hatte. Gott, das alles hier würde ich nur mit sehr viel Alkohol aushalten können.

Wie recht ich behalten sollte, wurde mir spätestens klar, als wir durch die Pforten des Rodeofestivals, oder Rodeozirkus, wie Anni es immer nannte, schritten. Überall waren Buden aufgebaut und ein großes Zelt, eine Countryband spielte …

Alles in allem war es ein Spektakel, das ich noch niemals zuvor in dieser Art gesehen hatte. Ein Spektakel, das bei Anni wahre Glücksgefühle auszulösen schien, denn sie quiekte aufgeregt, als sie sich umsah. Ich würde es nicht nachvollziehen können, ganz egal, wie viel Mühe ich mir auch gab.

»Oh mein Gott, seht ihr den?«, fragte sie noch immer mit quietschiger Stimme, was mich aufblicken ließ.

Ein groß gewachsener Mann mit dem wohl typischen Rodeo-Cowboyoutfit, anders wusste ich es nicht zu beschreiben, steuerte direkt auf uns zu und sorgte dafür, dass meine beste Freundin sich Halt suchend an mich krallte.

»Ladys«, grüßte der Cowboy mit tiefer Stimme und zog kurz an seiner Hutkrempe, was das Fass bei Anni vollkommen zum Überlaufen brachte. Wann genau war aus dieser gestandenen Frau, die kurz davorstand, den Bund der Ehe einzugehen, dieses sabbernde Häufchen Elend geworden, das beim Anblick eines jeden Cowboyhuts fast zusammenbrach?

Ich musste Anni noch immer fassungslos angeblickt haben, denn nur so konnte ich mir erklären, dass ich den Muskelberg vor mir übersehen hatte, mit dem ich nun äußerst unsanft zusammenprallte. Halt suchend versuchte ich, nach etwas zu greifen, während ich mich schon Sekunden später in starken Armen wiederfand. Meine Hände lagen auf Oberarmen, so groß und durchtrainiert, dass es mich fassungslos machte.

»Wow, Ma’am«, erklang eine Stimme und ich blickte auf in die wohl strahlendsten blauen Augen, die ich jemals in meinem Leben gesehen hatte. Kleine Grübchen zeichneten sich auf den Wangen des Mannes ab, der zu lächeln begonnen hatte.

»Oh mein Gott«, flüsterte ich peinlich berührt, während er mich mit einem festen Ruck, bei dem ich für einige Sekunden die Bodenhaftung verlor, nach oben zog und mich wieder auf meine eigenen zwei Beine stellte.

»Travis reicht vollkommen aus«, sagte er, was dafür sorgte, dass ich ihn noch verwirrter anblickte. Ich fühlte mich kaum in der Lage, zu denken, so sehr hatte ich mich erschrocken.

»Entschuldigung, ich habe Sie wirklich nicht gesehen.«

»Ja, ich weiß, das geht vielen so«, scherzte er mit seinen mindestens eins achtzig und den unglaublich breiten Schultern. »Viel wichtiger ist, dass Sie sich nicht verletzt haben.«

»Sie haben sie ja sehr galant gerettet«, schaltete sich nun Anni ein, wobei mich ihr Lächeln und der Blick, den sie ihm zuwarf, zum Lachen brachten. Verdammt, ich machte mich mit meinem sonderbaren Verhalten gerade vollkommen zum Affen.

»Und Sie sind Rodeo-Reiter?«, fragte Anni, sichtlich darum bemüht, diese peinliche Situation gut zu lösen.

»Wenn Sie diese Frage stellen müssen, kommen Sie auf jeden Fall aus der Stadt. Schön, Sie hier begrüßen zu dürfen, Ladys.

Ich muss jetzt leider weiter«, sagte er und sah mich dabei noch einmal mit seinen durchdringenden und wunderschönen Augen an. Meine Güte, wer hätte gedacht, dass Cowboys so hübsch aussehen konnten.

Wenn dieser Mann jetzt noch in einem perfekten Maßanzug stecken würde, wäre er wahrscheinlich der Inbegriff meiner Träume. »Und schön aufpassen, wo Sie hinlaufen«, sagte er augenzwinkernd, bevor er einfach verschwand.

Wow!

»Emma, starrst du dem Mann gerade hinterher?«, fragte Anni und riss mich aus meinen Gedanken. »So viel dann dazu, dass Cowboys keinerlei Reiz auf dich ausüben.«

»Tun sie auch nicht«, wiegelte ich ab, wobei ich wahrscheinlich nicht einmal halb so überzeugend klang, wie ich klingen wollte. Dieser Kerl hätte auch Priester sein können und trotzdem noch einen unglaublichen Reiz auf mich ausgeübt, mit seiner Statur, den unglaublichen Augen und diesen sündhaften Grübchen.

»War er jetzt eigentlich einer von diesen Rodeo-Reitern?«, fragte Zoe nach, was ich nur mit einem Schulterzucken beantworten konnte, genau wie Anni.

Wir erhielten unsere Antwort wenig später, als wir auf unseren Plätzen angekommen waren und die Eröffnungszeremonie auf der Leinwand betrachteten. Ein extragroßer Abschnitt gehörte Travis Scott, dem Weltmeister, dem Spitzenreiter, dem eins achtzig großen Mann, mit dem ich zusammengeprallt war.

Kein Wunder, dass er sofort herausgefunden hatte, wie wenig wir uns mit diesem Sport auskannten, wenn wir schon nicht wussten, wer der erfolgreichste Mann in diesem Bereich war.

»Emma, du bist ernsthaft mit dem größten Star hier zusammengestoßen. Das ist ja der Hammer«, rief Anni aufgeregt und klatschte in ihre Hände. Für sie war es mit Sicherheit das Highlight des Tages. Wobei … wirklich unbeeindruckt hatte mich das Treffen nicht gelassen, so gerne ich es auch behauptet hätte.

Mister Rodeo war wirklich unglaublich attraktiv, aber das schienen außer mir auch noch andere Frauen bemerkt zu haben. Wahrscheinlich war er so etwas wie der Popstar unter den Rodeo-Reitern – und wenn er auch nur halb so tickte wie ein gewisser Mann in New York City, dann hatte er mit Sicherheit in jeder Stadt alle Hände voll zu tun. Im wahrsten Sinne des Wortes.

Ich hielt automatisch die Luft an, als der erste Reiter auf diesem riesigen Bullen in die Arena gelassen wurde. Welche unglaublichen Kräfte dort wirkten und wie die Menge tobte. Das alles hier hatte ich mir deutlich unspektakulärer vorgestellt. Wahrhaftig aufgeregt war ich allerdings erst, als das Bild von Travis auf der Leinwand erschien und er als nächster Reiter angekündigt wurde. Ich schloss bereits nach Sekunden die Augen, da ich Angst hatte, diesen Mann fallen zu sehen, doch der tosende Applaus verriet mir, das wohl alles gut gegangen war. Und tatsächlich – der Bulle war zurück in seinem Gatter und Travis ließ sich kurz von der aufgeregten Menge feiern, bevor er verschwand.

Wahnsinn. So aufregend hatte ich mir den Tag nicht vorgestellt.

Allerdings ließen sowohl die Euphorie als auch die Aufregung schnell nach, als ich gemeinsam mit Anni und Zoe das Festzelt betrat, wo die sogenannte After-Party stattfinden sollte. Laut Anni das Highlight am ganzen Rodeo. Hübsche, starke Kerle, die gemeinsam mit den Zuschauern ausgelassen feierten. Was uns erwartete, war ein primitives Zelt ohne jegliche Dekoration, keinerlei Stimmung und vor allem derselben Oldie-Country-Band, die zuvor auch schon auf dem Gelände gespielt hatte.

»Oh Gott, das kann nicht dein Ernst sein!«, entfuhr es mir, doch Anni strahlte schon wieder, oder auch noch immer, über das ganze Gesicht. Für sie war das alles hier die Erfüllung ihrer Träume.

»Lächle und versuch einfach, Spaß zu haben«, raunte Zoe mir zu, die ich kurz anblickte.

»Wie soll man denn hier Spaß haben?«

»Mädels, ist es nicht toll? Ich hole uns schnell ein paar Bier«, rief Anni im nächsten Moment, während ich angeekelt das Gesicht verzog.

»Hat sie gerade wirklich Bier gesagt?«, fragte ich an Zoe gewandt, die kurz in den Raum deutete.

»Glaubst du, sie mixen dir hier einen leckeren Cocktail, oder was?«

Ich zuckte resigniert mit den Schultern, denn ja, die Antwort lag auf der Hand, machte die Gesamtsituation aber auch nicht besser. Bier … ich konnte mich gar nicht daran erinnern, wann ich das letzte Mal Bier getrunken hatte. Wahrscheinlich in der Schule, heimlich, weil man cool sein wollte.

Ich nahm das Glas aus Annis Hand entgegen und schüttelte mich kurz, bevor ich es ansetzte und in einigen hastigen Schlucken leerte. Hoffentlich war das alles hier betrunken besser auszuhalten.

»Jetzt willst du es aber wissen!«, lachte Zoe und zog schnell nach. Wenigstens erging es ihr ähnlich. Nur Anni war in ihrer ganz eigenen Welt und amüsierte sich köstlich, wobei auch immer.

Vier Bier später sah diese Party schon deutlich besser aus, was zum einen daran lag, dass sich das Zelt mittlerweile doch ganz gut gefüllt hatte, und zum anderen natürlich an meinem Alkoholpegel, der allerdings schlagartig zu verfliegen schien, als Travis das Zelt betrat.

»Das glaube ich nicht! Bist du dir sicher, dass du dich nicht verlaufen hast? Das hier ist eine Party! Dein Zelt mit deinem Lagerfeuer ist nicht hier«, rief ein anderer Rodeo-Reiter und klopfte Travis auf die Schulter. Also feierte er nicht oft? Oder war das wohl ironisch gemeint? Unsere Blicke trafen sich und ich schaute peinlich berührt weg. Ich hatte ihn angestarrt und das wusste er nun ganz genau.

»Hat sich die Frage erübrigt, ob ich Rodeo-Reiter bin?«, erklang seine Stimme schon wenige Sekunden später. Oh mein Gott! Ich war nicht darauf vorbereitet gewesen, noch einmal in diese blauen Augen zu sehen.

»Ja, entschuldige, dass wir dich nicht erkannt haben, aber weißt du, ich verstehe von Rodeo ungefähr so viel wie vom Autoreparieren.«

»Ach Quatsch, kein Problem. Ich bin kein eingebildeter Kerl, ich hoffe, so ist das nicht rübergekommen. Woher kommt ihr? Lasst mich raten, direkt aus New York City für ein unvergessliches Mädelsabenteuer.«

»Nimm mir bitte nicht meine Illusion, dass wir einzigartig sind und außer uns noch niemand auf eine so verrückte Idee gekommen ist.«

Travis lachte auf und zuckte dabei mit den Schultern. »Sagen wir mal so, wären wir nicht in Darson, könnte ich dir das vielleicht erzählen, aber genau diese Gruppen von unwissenden Leuten machen das Rodeo hier so populär und besonders interessant.«

»Ach so ist das also«, murmelte ich und umklammerte mein leeres Bierglas ein bisschen fester. Ich fühlte mich schlagartig unsicher in seiner Gegenwart, da ich nicht dumm wirken oder etwas Falsches sagen wollte.

»Noch ein Bier?«, fragte er und deutete auf das leere Glas in meiner Hand.

Wollte ich noch ein Bier? Oder besser gesagt, wollte ich mit ihm zusammen hier ein Bier trinken – in seiner Gegenwart?

»Gerne«, erwiderte ich und händigte ihm mein leeres Glas aus, bevor ich mich wieder zu Zoe und Anni umdrehte.

»Oh mein Gott«, formte Anni mit ihren Lippen, während ich mit den Schultern zuckte.

»Süße, krall dir diesen Kerl. Vergiss diesen spießigen Vollarsch in New York und nimm dir den Cowboy. Den Rodeo-Weltmeister, den Führenden, den Tagessieger, den heißesten Typen im Umkreis bis New York«, fasste Zoe es zusammen und schob Anni von mir weg, als Travis wieder auftauchte. Es war genau so eine dumme und peinliche Situation, wie ich sie gerne verhindert hätte.

»Deine Freundinnen können aber auch gerne bleiben«, sagte Travis sofort, der den rein gar nicht dezenten Abgang der beiden natürlich mitbekommen hatte.

»Sie wollen tanzen und ich bin verdammt froh, dass sie das ohne mich erledigen.«

»Nicht so die Tänzerin?«

»Oh doch, aber garantiert zu einer ganz anderen Musik. Vielen Dank für das Bier.«

Ich prostete ihm zu, doch Travis sah mir fest in die Augen und machte nicht einmal den Anschein, etwas trinken zu wollen.

»Bevor wir anstoßen, würde ich gerne deinen Namen erfahren. Ich kann dich ja schließlich nicht Manhattan nennen.«

»Manhattan? Ist es so offensichtlich?«, fragte ich, was Travis auflachen ließ, bevor er nickte.

»Oh ja, das ist es. In vielerlei Hinsicht.«

»Dann nenn mich einfach Emma.«

»Es ist wunderschön, dich kennenzulernen, Emma.«

Meine Beine wurden weich und ich trank mein Bier schon wieder viel zu schnell, doch irgendetwas musste ja gegen die Aufregung helfen, die sich in meinem ganzen Körper ausgebreitet hatte.

»Für ein Stadtmädchen hast du aber einen ganz schön ordentlichen Schluck drauf«, meinte er lachend, was mich erröten ließ. Wenn er wüsste, wie sehr ich den Alkohol bereits spürte. Ich und Bier …

»Also, Manhattan, ja?«, fragte er, was ich mit einem Nicken beantwortete. »Was machst du dort?«

»Ich bin persönliche Assistentin.«