Öömrang – der etwas andere Inselkrimi mit Androiden - Jan Bosse - E-Book
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Öömrang – der etwas andere Inselkrimi mit Androiden E-Book

Jan Bosse

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Beschreibung

Der etwas andere Inselkrimi: ein Ermittlerduo aus Mensch und Android wird zur Lösung eines Mordfalls nach Amrum entsandt Eigentlich wollte Kriminalkommissar Landmann nur in Ruhe gelassen werden. Und eigentlich wollte sein Chef ihm einen Gefallen tun, als er ihn zusammen mit Daneel, dem polizeilichen Assistenz-Androiden nach Amrum schickte. Denn eigentlich sollte der Mordfall für sie eine Routineaufgabe sein. Doch als ihr Ansprechpartner auf Amrum am Tag nach ihrer Ankunft ermordet am Strand gefunden wird, nimmt der Fall eine unerwartete Wendung. Für alle Fans von Douglas Adams, Jasper Fforde und Isaac Asimov  »Ein Krimi mit Androiden, vergnüglich geschrieben, nicht zu weit weg von unserem Vorstellungsvermögen, damit mensch noch miträtseln kann: Großartig!«  ((Leserstimme auf Netgalley)) »Klasse spritziger Krimi. Eine wunderbare Unterhaltung. die ich gerne empfehle.« ((Leserstimme auf Netgalley)) »Fazit: prima Strandlektüre.« ((Leserstimme auf Netgalley))

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© Piper Verlag GmbH, München 2021

Redaktion: Franz Leipold

Konvertierung auf Grundlage eines CSS-Layouts von digital publishing competence (München) mit abavo vlow (Buchloe)

Covergestaltung: Alexa Kim »A&K Buchcover«

Covermotiv: Shutterstock.com und PNGTree

Alle Rechte vorbehalten. Unbefugte Nutzungen, wie etwa Vervielfältigung, Verbreitung, Speicherung oder Übertragung können zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden.

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Inhalt

Cover & Impressum

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 1

Die Luft roch salzig mit einem Hauch von Seetang und in der abendlichen Sonne von Amrum standen zwei steife Gestalten an der Bushaltestelle des örtlichen Fähranlegers.

»Kann man das fassen? Diese verrückten Insulaner. Ich glaube, ich musste seit zehn Jahren nicht mehr auf ein Auto warten«, sagte Paul zu Daneel.

Daneel schaute Paul aus leeren Augen an. Er war bereits an das konstante Gezeter seines menschlichen Kollegen gewöhnt. Daneel hatte ein perfekt symmetrisches Gesicht, kurzes braunes Haar und trug ein blaues Sakko mit farblich passender Krawatte. Auf den ersten Blick konnte man nicht erkennen, dass es sich um einen Androiden handelte. Es war der Mangel an Fehlern, der einen erst bei genauem Hinsehen stutzig werden ließ.

Ganz im Gegenteil zu meinem Gesicht, dachte Paul. Das spitz zulaufende Kinn, die etwas zu nah zusammenstehenden Augen und seine leicht gebogene Nase umrahmten den kleinen Mund mit den – für seinen Geschmack – zu schmalen Lippen. Graue Strähnen durchzogen sein mittellanges braunes Haar. Seit Avas Tod waren es mehr geworden, viel mehr als für sein Alter eigentlich üblich. Niemand würde auch nur auf die Idee kommen, er hätte zu wenig Fehler für einen Menschen.

»Weißt du was?«, setzte Paul fort, »Ich denke, ich mag diesen Fall von Sekunde zu Sekunde weniger. Ich will zurück aufs Festland, zurück zu Avas Fall.«

Der Wind zerrte an Pauls langem braunem Mantel. Er hatte sich auf die frische Luft der Insel vorbereitet, doch hier am Hafen, direkt am Meer, bot ihm selbst der dicke Mantel nicht genügend Schutz. Die trostlose Fähre, mit der sie vom Festland übergesetzt waren, hatte inzwischen längst wieder abgelegt; die wenigen anderen Passagiere, die mit ihnen angereist waren, hatten sich gleich nach der Ankunft entfernt. Im Fährhaus zu ihrer Linken war es dunkel. Das Rauschen des Meeres wurde nur vom Kreischen einiger Möwen unterbrochen – die einzigen Geräusche um sie herum. Auf den Wegen am Strand waren keine Spaziergänger unterwegs.

Paul schaute auf die leere Straße dieser gottverlassenen Insel und hoffte, dass Magnus, ihr Ansprechpartner der örtlichen Polizei, endlich erscheinen würde. Er hatte versprochen, sie am Hafen abzuholen. Paul hatte ihm mitgeteilt, dass das nicht nötig sei, er würde stattdessen ein AutoCab zur Ferienwohnung nehmen. Aber Magnus hatte, zu Pauls Unmut, erwidert, dass es so etwas auf der Insel nicht gäbe. Keine automatisierten Taxis, keine Flugtaxis, nicht einmal einen fahrerlosen Bus hatte die Insel.

»Kannst du mir ein Update über den Fall geben? Was hat die Untersuchung des Tatorts ergeben?«, fragte Paul seinen Begleiter in der Hoffnung, die unnütze Wartezeit sinnvoll zu überbrücken.

»Ich habe mich schon mit der Kriminalakte verbunden, aber es sieht so aus, als gäbe es keine neuen Einträge, seit wir losgefahren sind«, antwortete Daneel.

»Was meinst du mit ›keine neuen Einträge‹?«, hakte Paul verwundert nach. »Hat die Ermittlung am Tatort nichts ergeben? Haben die Kollegen vor Ort nur geschlafen?«

»Zum Schlafverhalten der örtlichen Kollegen kann ich mich nicht äußern, aber ich kann sagen, dass seit der Aufnahme des Mordes in die elektronische Kriminalakte kein weiterer Eintrag hinzugekommen ist.«

Oh, diese Präzision! Zu Beginn ihrer Zusammenarbeit hatte die Kleinkariertheit seines neuen Kollegen Paul noch entsetzlich genervt. Daneel nahm die Dinge wörtlich. Er hatte keine andere Wahl. Inzwischen hatte Paul seine Genauigkeit schätzen gelernt. Sie half ihm dabei, nichts zu übersehen, auch nicht die kleinen Dinge. Wörter haben eine Bedeutung, und vor allem dann, wenn man in einem Mordfall ermittelt.

Immerhin besteht ein entscheidender Unterschied zwischen »wo waren Sie in den letzten zwei Wochen« und »wo waren Sie in der Nacht vom 6. auf den 7. August um 23.15 Uhr?«.

Während Paul noch über das Für und Wider kriminalpolizeilicher Präzision sinnierte, kam ein Auto auf den Vorplatz des Anlegers gefahren. Es war ein alter Volkswagen ID 3, der Lack am Spoiler schon leicht abgeplatzt. Eines dieser Autos, bei denen der Fahrer noch selbst lenken musste. Kein Wunder, dass Magnus so lange gebraucht hatte.

Der Wagen hielt mit quietschenden Bremsen direkt neben ihnen an der Bushaltestelle. Magnus stieg aus und kam ihnen mit schwankenden Schritten entgegen. Er hatte ein rundes Gesicht, die Nase saß leicht fehlplatziert ein wenig neben der Mitte, und die Augen lagen in unterschiedlicher Entfernung zur Stirn, leicht versetzt voneinander. Seine Uniform war zerknittert, und buschiges braunes Haar lugte unter der schräg sitzenden Polizeimütze hervor.

Er begrüßte Paul mit einem kräftigen Handschlag; obwohl er versuchte, dabei die Distanz zu wahren, kam Paul nicht umhin, den Geruch von Alkohol in seinem Atem zu erkennen.

»Moin«, sagte Magnus.

»Hast du getrunken?«, fragte Paul sichtlich irritiert.

»Ach, bluat en letj Biir, snaake wi ei faan«, sagte Magnus.

»Bitte, was?«, erwiderte Paul.

»’Tschuldigung, ’tschuldigung«, Magnus winkte ab.

»Das Fahren kann Daneel übernehmen«, schlug Paul vor. »So können wir uns über den Fall unterhalten und sparen Zeit.«

»Tidj?« sagte Magnus, »Diarfaan haa wi heer nooch!«

»Ich will ja nicht unhöflich sein, aber könnten wir bitte deutsch miteinander sprechen?« mahnte Paul ärgerlich an. Seine mangelhaften Friesisch-Kenntnisse ließen ihn nur die Hälfte verstehen.

»Ja«, kam die Antwort mit der tiefen Stimme von Magnus. Zumindest das konnte Paul verstehen.

Währenddessen hatte Daneel, unberührt von der Unterhaltung, bereits die Taschen im Kofferraum verstaut und sich selbst auf den Fahrersitz gesetzt.

»Er weiß, was er da macht«, sagte Paul als er den unglücklichen Ausdruck in Magnus’ Gesicht bemerkte.

»Unsere Unterkunft befindet sich in der Ortschaft Nebel in Nähe der Kirche. Kennst du die Ferienwohnung?«, fragte Paul, um das Eis ein wenig zu brechen.

»Ja«, kam die knappe Antwort.

»Oh, okay. Ist die Wohnung denn gut?«

»Ja.«

»Das freut mich zu hören.«

»Es ist laut Internet eine gemütliche kleine Wohnung mit hochwertiger Einrichtung«, sagte Daneel. »Ich habe bereits alle benötigten Lebensmittel in unsere vorübergehende Unterkunft liefern lassen.«

Paul war einmal mehr beeindruckt davon, wie praktisch es doch war, einen Androiden als Helfer zu haben.

»Dann lass uns einsteigen, und du kannst uns während der Fahrt über den Fall berichten«, schlug Paul vor.

Der schmutzige hellgraue Bezug der Sitze roch nach kaltem Rauch. Die Konzentration des Alkoholgehalts in der Luft war deutlich höher, als Paul es sich für ein Polizeiauto wünschen würde. Daneel hatte in weiser Voraussicht die Fenster des Wagens bereits heruntergefahren.

»Leg los!«, sagte Paul, als der Wagen vom Hafen aus durch Wittdün fuhr, den kleinen angrenzenden Ferienort.

»Vorgestern wurde in einer Ferienwohnung in der Nähe des Nebeler Waldes eine Leiche gefunden«, sagte Magnus, bemüht, nicht den Fokus zu verlieren.

»Ganz genau, deswegen sind wir ja hier«, entgegnete Paul. »Eine Nachbarin hatte Geräusche gehört, und als sie zur Ferienwohnung kam, war das Opfer bereits tot. Aber gibt es etwas Neues, dass du mir über den Fall erzählen kannst?«

»Nee«, sagte Magnus und schüttelte den Kopf.

»Du gehörst wohl nicht unbedingt zu den gesprächigen Zeitgenossen«, murmelte Paul sichtlich genervt. Er hoffte, dass Magnus’ Einsilbigkeit nicht stellvertretend für die der gesamten örtlichen Polizei war.

»Eigentlich sagen die Leute, ich rede zu viel«, sagte Magnus mit fragendem Blick.

»Welche Leute sagen denn so was?«, fragte Paul. »Wie dem auch sei, wer war das Opfer, was wissen wir über sie?«

»Äh«, sagte Magnus.

»Das Opfer hieß Lara Hansen, sie war 26 Jahre alt und hatte vor Kurzem ihr Journalismus-Studium abgeschlossen«, half Daneel aus.

»Daneel, kannst du kurz checken, ob es Bewegungen rund um den Tatzeitpunkt gab?«, fragte Paul.

»Ist schon erledigt«, antwortete Daneel. »Zur Tatzeit gab es keinerlei Fahrbewegungen oder Bewegungen von Handys rund um den Tatort.«

Paul brauchte einen kurzen Moment, um sich einen Reim darauf zu machen.

»Keine einzige?«, hakte er noch mal nach.

»Nein«, antwortete Daneel. »Bis auf das Handy von Nele Hufschmied.«

»Das ist die Frau, die die Leiche gefunden hat?«

»Genau«, sagte Daneel. »Ich denke, wir sollten mit ihr reden.«

»Und wer ist euer Hauptverdächtiger?«, fragte Paul seinen schweigsamen Amrumer Kollegen.

»Nun, ich denke, es müsste jemand vom Festland gewesen sein.«

»Wie kommst du zu dieser Vermutung?«

»Wir haben keine Morde auf Amrum, doch auf dem Festland ist das anders; da habe ich nur eins und eins zusammengezählt«, erwiderte Magnus.

Paul war nicht gerade beeindruckt von dieser Logik, aber er war sich sicher, dass er Magnus in seinem derzeitigem Zustand nicht von den Schwächen seiner Schlussfolgerung überzeugen konnte. Er wandte den Kopf ab und starrte aus dem Fenster. Die Häuser von Wittdün zogen an ihnen vorbei. Cafés und Geschäfte waren geschlossen. Handgemalte Schilder in den Fenstern und an den Türen versprachen einen baldigen Saisonstart, aber noch war alles dunkel. Wie konnten die Leute es hier nur aushalten?

»Hatte das Opfer einen Partner oder eine Partnerin?«, fragte Paul weiter in der Hoffnung, endlich auf einen Funken neuer Erkenntnisse zu stoßen. »Einen verstoßenen Urlaubsflirt?«

»Nee«, sagte Magnus, gesprächig wie eh und je.

»Ich würde vorschlagen, wir suchen morgen früh als Erstes den Tatort auf, vielleicht findet Daneel ja weitere Hinweise, die bei euren Untersuchungen übersehen wurden«, schlug Paul vor.

»Wir könnten gleich hinfahren«, sagte Magnus.

»Um diese Uhrzeit?«, fragte Paul. Mittlerweile war es bereits nach 21 Uhr.

»Ich hab nichts vor, und Familie Bruchhagen ist in der ›Blauen Maus‹, die stören wir nicht.«

Magnus’ Aussage warf mehr Fragen auf, als sie beantwortete.

»Wer ist Familie Bruchhagen, und was hat sie mit unserem Fall zu tun? Und was zum Teufel ist die ›Blaue Maus‹?«, platzte es aus Paul heraus.

»Familie Bruchhagen wohnt in der Ferienwohnung, in der die Leiche gefunden wurde, und die ›Blaue Maus‹ ist eine Kneipe. Wir kommen gleich daran vorbei und können gerne kurz anhalten. Ich bräuchte noch etwas Flüssigkeit, wenn du verstehst«, sagte Magnus mit einem Zwinkern.

»Ich denke, du hattest genug Flüssigkeit für heute«, antwortete Paul bestimmt. »Warum wurde Familie Bruchhagen nicht in der Akte erwähnt, obwohl sie in der Ferienwohnung wohnt?«

»Na weil sie erst heute angereist sind«, lautete Magnus’ überraschende Antwort.

»Und es macht ihnen nichts aus, an einem Tatort zu übernachten?«, fragte Paul.

»Nö, sie haben sich sogar geweigert, ihren Urlaub deswegen abzusagen.«

»Okay, was auch immer«, seufzte Paul.

Er stupste Daneel an die Schulter, der sofort verstand und den Kurs anpasste. Magnus zeigte hoffnungsvoll aus dem Fenster, als zu ihrer Linken ein Haus vorbeizog. Mit Strandkörben und einem blau-weißen Boot vor der Tür. Über dem Torbogen zum Hofeingang stand in großen Buchstaben ›Blaue Maus‹.

Nach einem kurzen Stück Feldweg passierten sie einen Leuchtturm, fuhren ein paar Minuten durch einen Wald und kamen an einer Windmühle vorbei. Der Fußballplatz gegenüber der Windmühle schien vor Kurzem ein Upgrade erhalten zu haben. Das zweistöckige Gebäude direkt am Parkplatz leuchtete in hellem Weiß und hatte, im Gegensatz zu den reetgedeckten Häusern in seiner Umgebung, eine gewaltige Solaranlage auf dem Dach.

Kurze Zeit später bog Daneel ab und folgte der Straße, die in einen Wald führte. Die Bäume erhoben sich hoch über ihnen, und die unebene Fahrbahn schüttelte sie im Inneren des Wagens ordentlich durch. Die Häuser, an denen sie vorbeifuhren, schienen alt und vernachlässigt zu sein. Es wirkte, als ob die Menschen auf der Insel Mitte der 1980er-Jahre aufgehört hatten, hier neue Häuser zu bauen.

Die Kieselsteine in der Auffahrt knirschten unter den Reifen und die Nacht hatte sich bereits über den Wald gelegt. Es war stockdunkel, keine Straßenlaterne half ihnen dabei, sich zu orientieren. Daneel stieg als Erster aus und erhellte mit seinem Scheinwerfer den Weg zur Tür. Magnus erschrak beim Anblick der hellen Lichtkegel, die aus Daneels Augen schienen.

»Keine Sorge«, sagte Paul, »man gewöhnt sich schnell daran. Und dann sieht man nur noch die Vorteile.«

Magnus schaute skeptisch zurück; anscheinend war er nicht davon überzeugt, sich so bald an die Scheinwerferaugen des Androiden gewöhnen zu können. In der Nähe des Hauses hörten sie den Ruf eines Uhus, und in der Ferne rauschte beruhigend das Meer. Der kalte Wind war hier im geschützten Wald zwar schwächer geworden, aber er wehte immer noch zu kalt für Pauls Geschmack.

Das Haus, in dem die Leiche gefunden wurde, war so winzig, dass es sogar neben den ebenfalls kleinen Nachbarhäusern noch wie ein Zwerg wirkte. Es hatte ein rotes Dach mit spitzem Winkel, und die Fenster, die zur Auffahrt zeigten, waren weiß gerahmt.

Die Eingangstür leuchtete ebenfalls weiß im Licht von Daneels Scheinwerfer. Magnus zog einen Schlüsselbund aus seiner Hosentasche.

»Hast du die Schlüssel aller Tatorte an deinem Schlüsselbund?«, fragte Paul ungläubig.

»Nee. Das hier ist das Haus von meinem Bruder. Wilems halep ik ham en betj.«

»Das Haus gehört deinem Bruder?«

»Ja«, sagte Magnus, »das hab ich gerade gesagt.«

Es schien, als würde er so langsam warm werden. Der Magnus von vor wenigen Minuten hätte es bei einem einfachen »ja« belassen.

Magnus öffnete die Tür, und sie erblickten einen blitzblanken Eingangsbereich. Der Boden war mit braunem Vinyl verlegt. Zwei gelbe Friesennerze hingen an der spartanischen Garderobe und im Schuhregal standen die dazu passenden Gummistiefel. Eine enge Treppe führte in den zweiten Stock. Von einem Tatort war nichts zu erkennen.

»Wo genau wurde die Leiche denn gefunden?«, fragte Paul, der sich sicher war, dass in der Akte etwas vom Eingangsbereich erwähnte wurde. »Gibt es noch einen zweiten Eingang?«

»Nee, du stehst direkt vorm Tatort.«

»Wie meinst du das? Hier ist doch alles sauber.«

Magnus runzelte die Stirn.

»Wir mussten es ja schließlich sauber machen, nicht wahr?«, erwiderte er.

»Wie bitte? Sauber machen …?« Paul verschlug es die Sprache, und er zeigte mit ausgestreckten Armen in Richtung Daneel.

»Naja, das wäre ja unhöflich für die Familie Bruchhagen gewesen, wenn die Wohnung vor ihrer Ankunft nicht gereinigt worden wäre. Die Bruchhagens sind Jons wichtigste Gäste, die kommen dreimal im Jahr.«

»Na wenn das so ist«, sagte Paul mit einem Anflug von Sarkasmus. »Natürlich soll unsere Arbeit an diesem unpassend gelegenen Mordfall nicht den Urlaub der werten Familie beeinträchtigen.«

»Siehst du, das habe ich Jon auch gesagt«, antwortete Magnus, der den Sarkasmus in Pauls Stimme nicht wahrgenommen hatte.

»Was sagt denn der Bericht der Forensiker?«, fragte Paul.

»Äh, was?«

»Die Forensiker haben bis auf ein paar Haare keine Rückstände gefunden«, half Daneel aus. »Und die Leiche ist wohl durch einen Genickbruch gestorben. Genaueres wird der Obduktionsbericht ergeben.«

»Könnte sie einfach die Treppe heruntergefallen sein?«, meinte Paul.

»Das schließt der Bericht der Forensiker aus«, sagte Daneel.

»Und gab es für das Haar ein Match in der DNA-Datenbank?«

»Nein«, sagte Daneel.

»Also könnte Magnus’ Theorie stimmen, dass es sich um einen Ausländer handelt?«

»Das hat nicht zwingend etwas miteinander zu tun«, sagte Daneel. »Hier auf Amrum existiert keine DNA-Datenbank der Anwohner.«

»Keine …«, Paul verschlug es die Sprache. Wie sollte er unter diesen Bedingungen überhaupt vernünftig arbeiten.

»Okay, wir gucken, was noch zu retten ist, vielleicht findet Daneel ja doch noch etwas«, sagte Paul. »Daneel, walte deines Amtes.«

Der Android schritt zur Tür und musterte still den Eingangsbereich.

Magnus fummelte in seinen Hosentaschen, bis er es schaffte, aus ihren Tiefen eine zerquetschte Schachtel Zigaretten hervorzuholen. Wie altertümlich, dachte Paul.

Er und Magnus standen schweigend vor der Tür. Der Glimmstängel leuchtete rot in der Nacht, und der Qualm roch ungewohnt verlockend. Paul hatte nach der langen Reise keine Energie mehr, um das Gespräch mit seinem einsilbigen Freund aufrechtzuerhalten.

»Ich bin bereit«, kündigte Daneel bereits nach einem kurzen Moment an.

»Was hast du gefunden?«, fragte Paul.

»Nichts«, erwiderte Daneel, »die Reinigungskraft hat ganze Arbeit geleistet.«

»Das werd’ ich Edda gleich morgen früh sagen, die wird sich aber freuen!«

»Der Tatort ist klinisch rein«, fuhr Daneel fort. »Die einzigen DNA-Spuren, die ich finden konnte, stammen von Familie Bruchhagen.«

»Nicht mal DNA vom Opfer?«, fragte Paul verwirrt.

»Nicht mal das.«

»Da hat die Reinigungskraft tatsächlich ganze Arbeit geleistet«, staunte Paul. »Nicht wahr, Herr Kommissar?«

Magnus richtete sich auf und blinzelte mit den Augen. Er war in ein ruhiges Dösen verfallen, während Daneel und Paul über den Fall redeten.

»Darf ich eine alternative Theorie vorschlagen?«, fragte Daneel.

»Leg los«, forderte Paul ihn auf.

»Es könnte sein, dass die Spuren bereits vorher vom Täter entfernt wurden.«

»Wie das?«, fragte Paul

»Wie, kann ich nicht sagen«, sagte Daneel. »Aber ich muss zu bedenken geben, dass der Bericht der Forensiker keine weiteren Spuren außer den Haaren erwähnt.«

»Ja klar, da war doch was!«, sagte Paul.

Daneel ging darauf nicht weiter ein. »Ich schlage vor, wir sehen uns noch einmal in der Wohnung um, bevor wir fahren.«

»Gerne, lass uns das machen.«

Die Wohnung war eng und Paul spürte das Verlangen, sich zu ducken, als er durch die Eingangstür ging. Im Erdgeschoss befanden sich ein Wohnzimmer, eine kleine Küche und ein winziges Bad. Im Obergeschoss, unter den Dachschrägen, blieb gerade noch Platz für ein einzelnes Schlafzimmer mit einem gemütlichen Doppelbett.

»Hast du etwas Auffälliges gesehen, Daneel?«

»Nein.«

»Also gut, ich schlage vor, du holst uns morgen früh ab, Magnus, und wir fahren gemeinsam zur Polizeistation, um das Material der Überwachungskameras zu sichten«, sagte Paul. »Du kannst in der Zwischenzeit ausnüchtern. Daneel fährt dich noch nach Hause, damit du uns keinen Unfall baust. Mit dem Videomaterial sollten wir den Fall im Nu gelöst haben, dafür brauchen wir keine Edda zu befragen.«

Magnus starrte noch immer in die Ferne und schaffte es erst, sich wachzurütteln, als Daneel den Motor des Wagens startete.

Ihre vorübergehende Unterkunft, eine Ferienwohnung, lag im ersten Stockwerk eines kleinen Reetdachhauses am Ende einer Sackgasse. Es sah anders aus als das winzige Haus, in dem der Mord geschehen war, etwas älter mit weniger 1980er-Jahre Charme. Und anspruchsvoller, so als würde es genau hierhin gehören. Die Inneneinrichtung war, im starken Gegensatz zu allem, was Paul bis jetzt von der Insel sehen durfte, geradezu modern. Ein kleiner schwarzer Metallofen im Eingangsbereich, eine Couch, vor der ein Flatscreen stand, und eine offene Wohnküche. Die gesamte Einrichtung wirkte wie eine Seite aus dem Magazin »Schöner Wohnen«.

Paul verband sein Smartphone mit dem Home Entertainment System, um die neuesten Nachrichten zu schauen. Zumindest war das noch sein Plan, während er sich hinsetzte. Aber es ist der Gedanke, der zählt, dachte sich Paul, und für heute genügte es ihm, dass er geplant hatte, sich zu informieren, selbst wenn er es nicht tat. Am Ende schaute er doch wieder alte Musikvideos. Die Popmusik der 2010er-Jahre war seine Leidenschaft. Oldschool, aber es gab kein anderes Jahrzehnt, das seitdem an diesen einzigartigen Sound herangekommen wäre.

Daneel betrat die Ferienwohnung eine Stunde später und setzte sich neben Paul aufs Sofa. Er musste das nicht tun, er hätte sich genauso gut in eine Ecke stellen können, aber Paul bevorzugte es, wenn sein Partner zumindest so tat, als wäre er menschlich.

»Keine Bewegungsdaten, keine Spuren am Tatort«, sagte Paul. »Ich hoffe, die Videoaufnahmen bringen uns weiter.«

»Solange es ausreichend Material dafür gibt. Ich habe zumindest noch keine Kameras gesehen«, sagte Daneel.

Paul wischte Daneels Bedenken beiseite. Wenn auch die Videoaufnahmen nichts hergaben, womit sollte er den Fall dann überhaupt lösen?

Kapitel 2

Paul erwachte vom leisen Klappern, das aus der angrenzenden Küche in sein Schlafzimmer drang. Die Jalousien dunkelten den Raum vollständig ab, und am liebsten hätte er sein Bett gar nicht verlassen, wäre da nicht der verlockende Duft von Kaffee gewesen, der sich, immer stärker werdend, den Weg zu ihm bahnte.

Das Frühstück ist einer der großen Vorteile, wenn man mit einem Androiden auf Dienstreise ist, dachte Paul, während er aus dem Bett stieg. Selbst wenn man dafür nach Amrum musste. Privat konnte er sich diesen Luxus nicht leisten, aber während er dienstlich unterwegs war, durfte er auf alle Haushaltsfunktionen der polizeilichen Assistenzandroiden zugreifen. Dazu gehörte auch, dass ihm Daneel pünktlich zum Aufstehen sein Wunschfrühstück zubereitete, und so begrüßte ihn ein prachtvoll gedeckter Tisch, als er – noch ziemlich verschlafen – die kleine weiße Wohnküche der Ferienwohnung betrat. English Breakfast, das Antifrühstück: Würstchen, Baked Beans, Eier und Bacon. All das, was einem die Lebenszeit auf dieser Erde effektiv verkürzte.

Er setzte sich an den Tisch und schaute aus dem Küchenfenster in den Hinterhof. Der Morgen war noch taufrisch. Ein vereinzeltes Huhn schritt über die angrenzende Wiese und die Sonne bahnte sich müde ihren Weg über den Horizont.

»Ich schlage vor, wir machen einen Spaziergang«, sagte Daneel.

Ein ungewöhnlicher Vorschlag für einen Androiden, dachte Paul, aber manchmal war Daneel etwas eigen.

»Ich glaube, wir sollten besser hierbleiben, um uns direkt auf den Weg zur Polizeiwache machen zu können, sobald Magnus kommt«, sagte Paul.

Daneel legte ihm wortlos einen Nachschlag Bacon, den Paul direkt nach dem Hinsetzen inhaliert hatte, auf den Teller.

»Ich denke, Magnus wird noch einen Moment länger brauchen, um wieder fit zu sein«, erwiderte er nun. »Und wir könnten die Zeit nutzen, um uns ein wenig in der Gegend umzusehen.«

»Okay«, sagte Paul schließlich, »dann machen wir es so.«

Draußen wehte ein rauer Wind, aber Paul war schlauer als am Tag zuvor und zu seinem langen Mantel gesellten sich ein doppeltes Paar Socken, eine lange Unterhose und ein Schal. Sein Haar ließ er sich vom Wind durchpusten.

Sie machten sich auf den Weg durchs Dorf. Der Friedhof vor der Kirche war bereits mit Besuchern gefüllt. Eine Gruppe von Schülern schlurfte ihrem Lehrer hinterher und versuchte, bei seinem Vortrag über die Geschichte der Insel nicht kollektiv einzuschlafen.

Paul und Daneel gingen weiter, vorbei an einem kleinen Spielplatz mit buntem Spielgerüst samt Rutsche und Schaukel. Nachdem sie das moderne, weiß verputzte »Haus des Gastes« passiert hatten, kamen sie zu einem schmalen, matschigen Weg, an dessen Ende ein Bohlenweg durch die Naturlandschaft hinaus aufs Watt führte. Der Himmel war bedeckt, aber Paul konnte am Horizont die Nachbarinsel Föhr erahnen. Der konstante Wind, der in ihre Gesichter blies, wurde von einer frischen Regendusche unterbrochen. Daneel öffnete einen Regenschirm über Pauls Kopf im vergeblichen Versuch, ihn trocken zu halten.

Hübsch hier, dachte Paul, nicht gerade das, was er sich unter einer Küste vorgestellt hatte, mit all dem Schilf und dem Mangel an Sand, aber das Watt beeindruckte ihn mit seiner rauen und ehrlichen Schönheit, die er selbst sehr schätzte.

Als der Regen begann, immer schräger und schräger zu fallen, und selbst der Regenschirm keinerlei Schutz mehr bot, gingen Daneel und Paul zurück zur Ferienwohnung.

Der Geruch des ungesunden Frühstücks hing immer noch in der Luft und Daneel blieb im Flur stehen, um Pauls Mantel mit seinem Heizstrahl zu trocknen. Von Magnus gab es weiterhin keine Spur. Paul versuchte vergeblich, ihn unter der Handynummer zu erreichen, die Magnus ihnen als Kontakt genannt hatte. Anschließend rief er direkt auf der Polizeiwache an. Die freundliche Stimme am anderen Ende der Leitung gehörte Magnus’ Kollegin Beeke. Sie teilte ihm mit, dass Magnus noch nicht im Büro erschienen war und dass sie selbst vorbeikommen würde, um ihn und Daneel abzuholen.

Wenig später hörten sie schon den Polizeiwagen die Auffahrt hochfahren.

Als sie aus der Tür traten, kam Beeke ihnen bereits entgegen. Sie war etwas älter als Magnus, etwa um die 50, und ihre kurzen grauen Locken umrandeten ein freundliches Gesicht. Ihre Polizeiuniform war makellos, aber auch bei ihr hatte die Mütze die gleiche Amrumer Schieflage angenommen, die sie schon von Magnus kannten. Der Wagen ratterte leise im Hintergrund, und Paul fragte sich, ob die Kollegen hier nichts von der Gesundheitsgefahr wussten, die von petroleumbasierten Automobilen ausging. Es war nicht so, dass es in Kiel keines dieser Fossilien gab, sie waren nur äußerst selten geworden.

»Hallo«, sagte sie freudestrahlend und drückte Paul mit einer kräftigen Umarmung.

Vor Daneel blieb sie einen Moment lang stehen und schaute ihm in seine metallblauen Augen.

»Man kann kaum glauben, dass es Roboter sind. Sie sehen so echt aus«, meinte sie. »Da fragt man sich glatt, wie viele von ihnen heute schon unter uns leben.«

»Das kann man ganz einfach im Android Tracking System nachschauen«, sagte Daneel. »Jeder Android ist von Werk aus mit einem GPS-Peilsender ausgestattet.«

»Ach, das ist ja ein Ding«, sagte Beeke. »Schon hab ich was gelernt. Ich hoffe, es wird nicht das Letzte sein.«

»Wollen wir los?«, fragte Paul. »Wir würden gerne als Erstes zu Nele Hufschmied fahren und darüber sprechen, wie sie die Leiche gefunden hat. Daneel übernimmt das Fahren, so sparen wir Zeit und können uns unterwegs über den Fall unterhalten. Vielleicht kannst du mir ja etwas Neues berichten. Magnus war gestern wenig hilfreich.«

»Ach, Magnus ist nach 18 Uhr für niemanden eine große Hilfe mehr, und über Zeit brauchen wir uns wirklich keine Gedanken zu machen. Davon haben wir hier genug«, sagte Beeke.

»Warum sagen uns das hier nur alle?«, fragte Paul.

»Weil es stimmt«, entgegnete Beeke.

Der Wagen setzte sich mit einem gewaltigen Rütteln in Bewegung. Vor lauter Lärm konnte Paul seine eigenen Gedanken nicht mehr hören.

»Gibt es auf dieser Insel noch viele andere Benziner?«, fragte Paul aus reiner Neugier.

»Ja, die sind einfacher zu reparieren und vergleichsweise günstig«, antwortete Beeke »Es dauert Tage, eines dieser schicken Elektroautos zur Reparatur aufs Festland zu schicken, da kann dir Magnus ein Lied von singen.«

Paul wusste zwar nicht, was an der alten Elektrokarre von Magnus auch nur im Ansatz schick sein sollte, aber gut.

Als sie am Haus von Nele Hufschmied ankamen, fühlte Paul sich kein bisschen schlauer, obwohl Beeke in konstantem Fluss mit ihm gesprochen hatte. Er wusste jetzt, dass Nele die Leiche mitten in der Nacht gefunden hatte. Er wusste auch, dass am Wochenende das Fußballspiel zwischen dem TSV Amrum und dem FSV Wyk-Föhr stattfand. Anscheinend gab es eine heftige Rivalität zwischen den beiden Vereinen, und Onka, die Frau von Wahnfried, hatte vor, Muffins für das Spiel beizusteuern, aber sie war sich noch unsicher, ob sie lieber Schokoladen- oder Blaubeermuffins backen sollte.

Was das alles mit dem Fall zu tun haben sollte, wusste Paul jedoch nicht.

Das Haus, in dem Nele wohnte, war hellblau. Zumindest war es das offensichtlichste Merkmal an diesem sonst eher unauffälligen Haus. Es war ähnlich klein wie das Nachbarhaus, aus dem gerade die Bruchhagens unbekümmert herausspazierten, als wäre nichts passiert, als wäre keine Frau in ihrer Ferienwohnung ermordet worden.

Das hellblaue Haus lag im Schatten der zwei prachtvollen Bäume, die an seiner Seite wachten.

Nele öffnete ihnen die Tür. Sie wirkte, als wäre sie gerade erst aus dem Bett gestiegen. Ihr leicht gewelltes braunes Haar hing ihr noch quer ins Gesicht.

»Moin, Beeke«, sagte sie und versuchte vergeblich, eine der Strähnen aus ihrem Gesicht zu wischen.

»Moin. Ich habe die Kollegen vom Festland dabei. Daneel und Paul. Sie wollen dir noch ein paar Fragen stellen, wegen vorgestern.«

»Ich hab dir doch gestern schon alles gesagt«, sagte Nele.

»Hallo, Nele. Ich bin Paul. Es sind nur ein paar kurze Fragen. Kannst du uns sagen, was genau du gehört hast, als du dich entschieden hast, ins Nachbarhaus zu gehen?«

»Muss ich das wirklich noch einmal machen? Das Ganze ist nicht gerade leicht für mich.«

»Das verstehen wir. Es wird auch nicht lange dauern«, versprach Paul.

»Okay, wenn es sein muss«, seufzte Nele und faltete die Hände vor ihrer Brust. »Als ich an dem Abend nach Hause gekommen bin, war es schon spät. Ich habe gesehen, dass in der Ferienwohnung noch Licht brannte und die Eingangstür offen stand. Ich wollte nur schnell nachsehen, ob alles in Ordnung ist, und dann …« Nele musste abbrechen.

»Hey, alles ist gut, du machst das super«, sagte Beeke.

»Um wie viel Uhr bist du nach Hause gekommen?«, fragte Paul, sobald Nele sich etwas beruhigt hatte.

»Vielleicht drei oder vier Uhr«, sagte Nele. »Ihr braucht gar nicht so zu gucken. Ab und zu will man auch Spaß haben.«

Paul war sich nicht bewusst, »so« geguckt zu haben. Aber vermutlich hatte sie nur Daneels analytischen Blick missverstanden.

»Und ist Ihnen irgendetwas Ungewöhnliches aufgefallen?«, fragte Daneel.

»Ich habe nur gesehen, wie sie dort lag. So friedlich, als würde sie schlafen.«

»Gab es Spuren eines Kampfes?«, fragte Daneel weiter.

»Nein, alles war in bester in Ordnung. Wenn überhaupt, dann war es aufgeräumter, als ich die Wohnung in Erinnerung hatte.«

»Hatte Lara Besuch bekommen?«, fragte Paul.

»Nein, die meiste Zeit war sie nicht einmal in der Wohnung.«

»Und hast du rund um die Tatzeit jemanden in der Nähe des Tatortes gesehen?«

»Nein, es war sehr dunkel.«

Paul musste einsehen, dass er hier nicht weiterkam.

»Daneel, hast du noch Fragen?«

»Nein.«

»Gut, dann sind wir hier fertig. Vielen Dank für deine Zeit, Nele.«

»Alles klar, mach’s gut Beeke.«

»Mach’s gut.«

Nele schloss die Tür, und sie machten sich auf den Weg zurück zum Auto.

»Und, was meint ihr?«, fragte Paul, als sie im Auto saßen.

»Ich denke, sie sagt die Wahrheit«, antwortete Daneel.

»Ich auch«, stimmte Beeke zu.

»Aber etwas komisch ist es schon, oder? Wir haben so gut wie keine Spuren am Tatort gefunden, aber die Leiche wird im offenen Hausflur bei angeschaltetem Licht fast schon auf eine Art und Weise präsentiert, als sollte sie gefunden werden«, sagte Daneel.

Paul schüttelte unschlüssig den Kopf.

»Stimmt, das ergibt alles noch keinen Sinn. Kommt, lasst uns ins Büro fahren, ich brauche frischen Kaffee.«

Die Polizeistation befand sich im Erdgeschoss eines zweistöckigen Hauses am Rande des Waldes. Auf der Wiese gegenüber trabten Pferde durch die leichten Nebelschwaden des Amrumer Vormittags.

Das Büro war ein mittelgroßer Raum mit vier robust eingerichteten Arbeitsplätzen, bestehend aus jeweils einem winzigen Bildschirm auf einem kargen metallenen Schreibtisch. Davor standen Stühle mit Metallbeinen und durchgesessenen blauen Bezügen aus grobem Stoff. Das Ganze wurde von einer wilden Ansammlung von Bürodrehstühlen in allen Farben und Formen abgerundet. Die Seiten des Büros waren mit hüfthohen, von Ordnern überquellenden Schränken belegt und zwischen all dem Mobiliar hatte man, im letzten verzweifelten Versuch, diesem tristen Ort etwas Leben zu spenden, Topfpflanzen verteilt.

Das Büro war noch leer, doch neben der Eingangstür röchelte bereits eine Kaffeemaschine ihr vertrautes Lied.

»Wo sind denn alle?«, fragte Paul.

Ende der Leseprobe